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VI.
Schalk, der Benedictiner.


Ein begabter Mann, der im tiefsten Widerspruche mit seiner Lebensstellung die Welt nicht verkennt und sich selbst nicht verliert, sondern sich zu den Ideen erhebt, in denen jener Zwiespalt seine Lösung findet, – ein solcher Held bietet ein anziehendes Schauspiel dar, mehr oder weniger interessant durch die Beleuchtung der Zeit, in der es spielt, und durch die Gesinnung der Menschen, die darin mitwirken. Die Ueberschrift bezeichnet einen Mann solcher Art, als Mensch und Schriftsteller nicht ohne Einfluß, den ich aber gleich, um meine Vorliebe für ihn zu bekennen, als meinen Landsmann und vorausschreitenden Zeitgenossen bezeichnen muß. Er stahl sich aus Fulda in demselben Halbjahre, in welchem ich geboren war, und mehre der Männer die Einfluß auf sein kämpfendes Leben hatten, gehören noch zu meinen frühesten Erinnerungen.

Indeß war Karl Siegmund Schalk doch nicht von altfuldischer Abkunft; seine Vorfahren waren nicht neben den Wachholderwurzeln jenes basaltischen Bodens erwachsen. Religiöse Verfolgungen und Religionswechsel gehörten zu den Ueberlieferungen der Familie und fielen als erste Aussaat von Fragen und Zweifeln in die erwachende Seele des Knaben.

Als nämlich die Hugenotten aus Frankreich vertrieben wurden, kamen erwidernde Gewaltthätigkeiten – Repressalien – in den Niederlanden gegen die Katholiken vor, und die katholische Linie der in Herzogenbusch begüterten, altadeligen Familie der Schalke von Blumenthal sah sich zur Auswanderung genöthigt. Ihre Nachkommen sanken allmählich in Vermögensverhältnissen und bürgerlicher Stellung zurück, sodaß sie etwa um dieselbe Zeit, in welcher die reformirte Linie ausstarb, theilweise ihren Adel aufgaben. Der Vater unsers Schalk, Arzt in östreichischen Kriegsdiensten, kam im Jahre 1757, gelegentlich der damaligen Kriegsläufte, mit dem zum Fürst-Bischof erwählten Adalbert von Walderdorf, als dessen Leibwundarzt, nach Fulda, und verheirathete sich mit einer Enkelin des Superintendenten Grünebaum in Rudolstadt, dessen Sohn zum katholischen Bekenntniß übergetreten war. Den 19. Juni 1758 ward Karl Siegmund geboren; zwei Brüder und eine Schwester folgten ihm nach. Die Mutter, die Herz und Bildung verband, leitete den Unterricht ihrer Kinder unter guten Hauslehrern und betrieb die Vorbereitung ihres begabten Aeltesten für das Gymnasium. Dieses war damals noch in den Händen der Jesuiten. Karl that sich unter den besten Schülern hervor und ging nach Aufhebung des Ordens zum philosophischen Unterricht der Benedictiner über. Die Enkelin eines Superintendenten setzte das volle Mutterherz darauf, an ihrem Karl einen Priester zu erleben, und brachte ihn dazu, beim Fürsten, der zugleich Abt des adeligen Convents der Benedictiner war, um Aufnahme in diesen angesehnen Orden, aus dem die adeligen Capitelsherren und die bürgerlichen Professoren hervorgingen, mit einem Gesuch einzukommen.

Nach Jahresfrist ward die Aufnahme zugestanden. Inzwischen aber hatte sich der Sinn des gehorsamen Sohns geändert und eine entschiedene Abneigung gegen den geistlichen Stand hatte sich seiner bemächtigt. Unglücklicherweise war aber auch der Vater sehr entschieden für den Eintritt seines Sohnes in den Orden; weil er sich wahrscheinlich auf diesem Wege gute Verbindungen für seine eigene Person und eine ehrenvolle Lebensstellung für seinen Karl versprach. Auch sah man es damals in Fulda sehr ungern, wenn ein guter Kopf aus dem Bürgerstande etwas anders als Geistlicher werden wollte. So fand sich der junge Schalk zugleich mit einer schwärmerischen Mutter und einem leidenschaftlichen Vater in heftigstem Widerspruche, der sich endlich an der ihm von dem Vater mit Entschiedenheit vorgelegten Wahl brach, entweder die Cuculle des heiligen Benedict, oder die Montur des östreichischen Kaisers zu nehmen. Karl unterwarf sich und legte, achtzehn Jahre alt, das Ordenskleid an.

Doch die äußerliche Umwandlung änderte nichts an dem innern Unmuthe des Novizen. Das Gewand brachte ihn vielmehr zu einer stillen Verzweiflung, in der er mehrere mal zu entfliehen versuchte, was aber der mißtrauisch wachsame Vater stets zu verhindern wußte. So kam der 5. Juni des folgenden Jahrs heran –, das einheimische Fest des heiligen Bonifacius, an welchem der junge Schalk das Gelübde ablegen sollte.

Bei dieser feierlichen Handlung ward ihm mit dem Klosternamen Bonifaz das weite, schwarze Kuttengewand, die gewöhnlich sogenannte Flocke, angelegt und die über den Kopf gezogene Kapuze unterm Kinn zugenäht. In dieser Verhüllung hatte ein junger Conventuale drei Tage und Nächte fromme Regel zu halten, worauf ihm die Kappe unter herkömmlichen Ceremonien wieder aufgeschnitten wurde. Diesmal aber ereignete es sich, daß Schalks Kapuze schon in der ersten Stunde von selbst aufging. Wahrscheinlich, daß das Fadenende nicht gut verwahrt und der unwillige Kopf auch unruhig unter dem Zunähen gewesen war. Der Superior forschte aber nach keiner natürlichen Erklärung, sondern nahm es für eine Vorbedeutung. »Sie werden gewiß Ihren Profeß widerrufen«, sagte er lächelnd, »ich nehme die aufgegangene Kapuze in diesem vorbedeutsamen Sinne.«

Jedenfalls war es von einem geistlichen Vorgesetzten ein humanes Wort. Und mit so heiterm Blick und Aussehen wie er diese Erwartung ausgesprochen, steht mir jener Prälat in der Erinnerung vor. Bis zu meiner Zeit war er Propst auf dem Michelsberg, neben dem uralten Kirchlein der Stadt, geworden. In diesem stillen Gartenbau, dem jetzigen Sitze des Bischofs, lebte Baron von Warnsdorf sehr gesellig mit zwei alten Schwestern, in deren Mitte man ihn täglich die Linden-Allee entlang in die Stadt gehen sah – weltlich gekleidet, in vornehmer Nachlässigkeit etwas vorgebeugt, die Lorgnette auf jeden Gegenstand richtend, der sich näherte, und jeden Gruß mit heiterer Miene und aristokratischem Wohlwollen erwidernd. Der Propst Warnsdorf war der fröhlichste Theilnehmer an den sommerlichen Scheibenschießen, der fleißigste Besucher des Theaters das unter dem Prinzen von Oranien sich in dem schönen Orangeriegebäude des Hofgartens aufthat, wohin aus dem Propsteihofe nur über die Straße zu gehen war. Diese Neigung wendete der alte Herr später unserm Liebhabertheater zu, das in demselben Bau spielte, und ich erinnere mich, daß er uns für die Garderobe einen guten Sammetrock mit dem Wunsche anbot, ihm zu Liebe das kleine Stück »Der Sammetrock« zu geben.

Von einem solchen Weltmanne darf man wohl eher annehmen, daß er mit seiner milden Bemerkung die Abneigung des jungen Schalk gegen das Gewand, die ihm nicht unbekannt sein konnte, habe andeuten oder ihm einen Wink geben wollen, als daß er an ein wirkliches Vorzeichen geglaubt hätte. Der bedrängte Novize war aber ganz in der hohen Stimmung, eine solche Vorbedeutung mit Ahnung oder Aberglauben zu ergreifen. Das hoffnungsvolle Wort seines Superiors fiel wie eine Losung für sein Leben in die Brust des eingekleideten Jünglings, – dunkel mahnend, leise drängend, – wir werden sehen, zu welchem Ausgang!

Schalk warf sich nun mit dem neuen Muthe der Ergebung auf seine philosophischen Studien, schrieb eine Abhandlung »Von den Farben«, und hielt im Herbst eine öffentliche Disputation zur Erlangung der philosophischen Doctorwürde. Kaum aber zu dieser innern Befriedigung gelangt, wurde er von seinen Vorgesetzten zu gemessenem Studium der Theologie angehalten und fand sich wieder auf dem alten Boden des Widerwillens gegen seinen Beruf.

Diese Bewegung werden wir immer wiederkehren und sich zu höhern Zielen erweitern sehen. Schalk erhebt sich aus seinem Zwiespalt zu einer ideellen Sphäre, sucht hier den innern Widerstreit durch einen geistigen Kampf zu lösen und wird, infolge dessen oder wohl auch durch ein äußeres Ereigniß, wie von einem unsichtbaren Verhängniß immer wieder auf den alten Boden seiner Entzweiung zurückgedrückt, um sich auf's neue zu erheben.

Die Theologie, zumal in der scholastischen Behandlung der damaligen Professoren, erregte seinen Widerwillen. Er suchte Trost und Erhebung bei den deutschen, englischen und italienischen Dichtern und Schriftstellern, die er sich heimlich anschaffte und unvorsichtigerweise sogar mit in die theologischen Stunden brachte, bis man den allzusehr vertieften Zuhörer über Pope's »Lockenraub« und bei eigenen Versen ertappte. Die Folge war, daß er eines Tages, auf sein Zimmer zurückkehrend, es von allen Büchern geräumt fand, die sich nicht auf Theologie bezogen.

In diesem neuen Mißmuth wendete er sich an einen Freund seiner Familie, den Domcapitular von Hanxleden in Passau um Vermittelung einer andern ihm angemessenern Unterkunft. Eine solche anzutreten war das herkömmliche Quinquennium, der Zeitraum von fünf Jahren, während dessen man seinen Profeß zurücknehmen konnte, noch nicht abgelaufen; auch hätten die vier kleinern Weihen, die Schalk inmittelst empfangen hatte, seinen Austritt nicht gehindert: leider aber ging jener Gönner auf ein solches Vorhaben nicht ein, und der aufgefangene Brief desselben regte Schalk's Vorgesetzte und seinen leidenschaftlichen Vater auf's neue gegen ihn auf. So wurde er denn festgehalten und konnte der Priesterweihe nun nicht mehr entgehen. –

Jetzt auch innerlich durch ein unverbrüchliches Band gefesselt, fand er vollends nur Zuflucht bei seinen Studien. Aus den Fächern der Theologie nahm er sich das Kirchenrecht und die Kirchengeschichte heraus, womit er Philosophie und orientalische Sprachen verband. Außerdem bildete er sich für geistigen Verkehr einen auswärtigen Kreis, durch Verbindung mit namhaften Gelehrten und wissenschaftlichen Journalen. Die Literatur des katholischen Deutschlands gewann einen thätigen Arbeiter.

Hier betrat aber der junge Schriftsteller ein Feld nicht blos der Arbeit, sondern zugleich auch des Kampfes. Um jene Zeit wurde, besonders auch von katholischer Seite, eine sogenannte Religionsvereinigung, eine Art von Fusion des Katholicismus und des Protestantismus, der ältern und der jüngern Linie des Christenthums, wieder lebhafter betrieben. Es waren die alten Unionsbestrebungen aufgeklärter Theologen – schon durch des Erasmus Schrift von der Eintracht der Kirche im Jahre 1553 angeregt, von den Vorschlägen des mainzer Kurfürsten Johann Philipp Schönborn im Jahre 1660 unterstützt, durch die vermittelnden Reisen des kaiserlichen Beichtvaters Spinola nicht erreicht, durch die warme Theilnahme unsers philosophischen Leibniz nicht gefördert und in den Annäherungen des pseudonymen Febronius verworfen. Schalk theilte diese Ansichten und Bestrebungen einer vielleicht wohlgemeinten aber unbedachten Aufklärung nicht. Seine Ueberzeugung von der Freiheit christlicher Entwickelung hatte höhere Standpunkte, zumal Rom gegenüber, wo man unter Vereinigung stets nur unbedingte Unterwerfung verstand. Er gab zu den im Jahre 1782 zu Frankfurt erschienenen Religionsvereinigungsschriften einen geistreichen Beitrag, worin er das Unthunliche und Lächerliche jener katholischen Bemühungen nachzuweisen suchte. Vielleicht hatte er dabei besonders den Professor Böhm im fuldaer Convent im Auge, der sich an diesem Religionsverschmelzungswerke mit besonderm Eifer betheiligte. Und freilich war dieser Böhm der Mann nicht, der es einem Schalk allzu schwer gemacht hätte, ihn abzufertigen. Ich habe ihn noch als Bibliothekar gekannt und erinnere mich, daß sogar wir Gymnasiasten uns an ihm zu reiben versucht waren, so oft er besonders unsern Haarschnitt kritisirte, – derselbe, von dem in einer Reisebeschreibung durch Deutschland gesagt wurde, die größte Seltenheit der fuldaer Landesbibliothek sei der Bibliothekar.

Wenn nun diese Angriffe auch nicht ohne Verdrießlichkeiten für Schalk abliefen, so hatten sie doch keine ernstere Folge und hinderten nicht, daß er im October 1783 zum ordentlichen Professor der practischen Philosophie an der fuldaer Universität bestellt wurde. Dieser Beruf, der ihn in geistigem Verkehr mit Rousseau, Helvetius, Montesquieu, Hobbes, Shaftesbury, Hume, Smith, Hartley, Hutcheson und Andern erhielt, hatte etwas Beruhigendes, Erhebendes für ihn. Grotius und Pufendorf waren ihm, wie Andern die Kirchenväter, zur Hand. Eine Neuerung, indem er nach Feder's »Untersuchungen über den menschlichen Willen« seine Vorträge deutsch hielt, zog ihm so viel Neckereien zu, daß er schon im Begriff war, das Buch mit Hofrath Feder's lächelnd ertheilter Zustimmung in's Lateinische zu übersetzen, als er sich noch entschloß seinen Weg unbekümmert fortzugehen.

Um diese Zeit drang von Königsberg her Kant's Name und Ruf in Deutschland vor und setzte unsern 26 jährigen Pater-Professor in neuen Aufschwung der Seele. Er ergriff mit Lebhaftigkeit die Kant'schen Ideen, – er, der Erste in Fulda, der die neue Philosophie nicht nur erfaßte, sondern auch einbürgerte. Denn dadurch, daß er in auswärtigen Journalen die öffentlichen Thesen und Lectionen seiner Collegen auf ihrem vorkantischen Standpunkte angriff und nach Kant'schen Sätzen beurtheilte, nöthigte er die fuldaer Professoren zum Studium der neuen Schule. Diesen gewaltigen, aus Königsberg vorrückenden Gedanken, die sich schnell alle muntern Geister und die nächste deutsche Zukunft eroberten, war es wohl auch beizumessen, daß Schalk statt verdrossener Gegner einen Anhang gleichbegeisterter Genossen gewann. Dies zeigte sich, als er von seinem damaligen Superior, dem Domcapitular Baron von Guttenberg, eine ungebührliche Begegnung erfuhr. Dieser enge, bigote Mann nahm den von Schalk behaupteten Satz: daß die Verknüpfung der Beweggründe mit einer Handlung unsere Verbindlichkeit zu derselben begründe, zum Anlaß, mit Mund und Miene eines Großinquisitors den Professor öffentlich der Ketzerei zu beschuldigen. Indem sich aber so das alte Mißgeschick wiederholen und Schalk von seiner geistigen Erhebung zur geistlichen Unterwürfigkeit hinabdrücken wollte, traten ihm seine Collegen zur Seite. Sie machten die ihm widerfahrene Unbilde zu ihrer allgemeinen Angelegenheit und zogen die Sache vor den damaligen Rector Magnificus der Schule, Propsten von Bibra. Dieser hochgebildete Prälat, literarisch durch das eben entstandene »Journal von und für Deutschland« mit Göckingk verbunden, brachte die Beschwerde an den Fürsten Heinrich und setzte es durch, daß der despotische Superior abtreten mußte.

Freilich war auch dieser Fürst Heinrich, ebenwohl ein Bibra, einer der leuchtenden Prälaten des 18. Jahrhunderts, der eine vortreffliche Schulordnung gab, und schon vor Ausbruch der französischen Revolution die Säcularisation des geistlichen Fürstenthums voraus sagte.

Auch den zurückgetretenen Superior habe ich noch als nachmaligen Propst gekannt – ein rechtes Gegenbild des michelsberger Propstes von Warnsdorf. Wenn dieser das anmuthige Gepräge des 18. Jahrhunderts trug, so war Guttenberg eine Bracteate des Mittelalters. Mit der Miene der Gottseligkeit, in der Haltung frommer Einfalt, die weltverschmähenden Blicke zu Boden gesenkt, wandelte der in seiner Weise sehr gelehrte Mann, so oft man ihn sah, auf dem Kirchenwege, hinter ihm der Famulus, der ihm das Meßbuch nachtrug, – ein junger Mensch mit langen Plattfüßen, das gutgebildete Gesicht in die nachgeahmten Mienen der Frömmigkeit gelegt, durch welche die Folie der Schelmerei hindurchschimmerte. So hatte der Famulus einst seine studentischen Freunde zu Abend bei sich eingeladen und bewirthete sie reichlich mit dem guten Weine seines in entferntem Zimmer studirenden und betenden Propstes. In seiner wachsenden Besorgniß wurden die Zechgenossen immer lauter und lärmender. Vergebens winkt er und wehrt, bis er endlich bedenkliche Bewegungen im Zimmer seines Herrn erlauscht. Und kaum auch sind die jungen Zechbrüder mit den Flaschen und Lichtern hinaus in einen Hintergang und ist der Wirth in sein Bett geschlüpft, als Guttenberg mit Licht herantritt. Hier hört er nun den schlummernden Heuchler lateinische Gebetsworte und Ausrufungen eines Traums von lieben Engelein lallen. Gerührt lächelt ihm der fromme Mann zu. » Deo gratias,« sagte er endlich. »So habe ich mich doch in dem satanischen Spuk geirrt und habe dir in Gedanken Unrecht gethan, mein unschuldiger Jakob. Schlummere nur fort in deinen verklärten Anschauungen und die Engel, die dein nächtlich Lager besuchen, mögen dein tägliches Leben behüten!«

Inzwischen scheint in der Brust unseres Benedictiners die früheste Losung seiner aufgegangenen Cuculle nachgeklungen zu haben. Sein Profeß war freilich nicht mehr zu widerrufen, doch aus dem Kloster in die Welt zu treten, blieb für ihn eine lockende Verwandlung. Schalk besuchte jetzt die juristischen Collegien der Universität und studirte selbst die Amtspraxis. Bald sollte ihm die unerwartetste Muße zu solchen Studien zu Theil und die Sehnsucht nach einer andern Lebensstellung erneuert werden. Diesmal traf ihn nicht durch anfechtende oder mißliebige Doctrin, sondern durch die Unbefangenheit eines mit der Welt wenig vertrauten Gemüths der schwerste Verdruß.

Zwischen dem Fürsten und dem Domdechanten war ein, damals selbst zur Publicität gelangter Rechtsstreit ausgebrochen, der auch die parteinehmenden Mitglieder des Capitels und den Anhang beider Theile in zwei feindselige Lager schied. Unser Schalk war auf seinem Platze klug genug, sich zwischen der leidenschaftlichen Erbitterung zweier Pfaffenparteien neutral zu halten; aber er war nicht vorsichtig genug, um gerade jetzt einen Besuch zu unterlassen, zu dem ihn bei seinem alten Gönner, dem Propsten von Piesport in Sannerz, eine herzliche Anhänglichkeit trieb. Nun hatte Piesport Partei für den Domdechanten genommen, und Schalk erschien daher in den Augen seiner lauernden Neider auf derselben Seite. Oder hätte er etwa keine Neider, keine mißwollenden Nager haben sollen? Seiner glänzenden Begabung, seinem zunehmenden Rufe gereichte es wenig zum Schutze, daß er weichen Gemüths auch noch Wohlthaten erwiesen, aus unbefangenem Herzen Bekenntnisse entlassen hatte, die man unter Pfaffenregiment nicht tief genug verschließen kann. Ja er hatte manchen Fuldensern durch literarische Arbeiten, die er ihnen leistete, allzu schwere Dankbarkeit auferlegt, als daß sie die gute Gelegenheit, solche abzuschütteln, nicht hätten ergreifen sollen. Und so wurde ihm, unter tückischer Hinweisung auf jenen Besuch in Sannerz, die Gunst des Fürsten entzogen, dessen sonst so humanes Wohlwollen doch nicht über jene brennende Parteistimmung hinaus kommen konnte. Schalk wurde auf verletzende Weise zurückgesetzt und seinem Lehramte entzogen.

Eine fuldaische Intrigue hatte ihn gebeugt, eine große deutsche Frage kam den von ihm ergriffenen Studien des kanonischen Rechts und seinen Arbeiten für die deutsche Encyklopädie zu Hülfe, um ihn lebhaft zu ergreifen und wieder aufzurichten. Der Sommer 1786 hatte nämlich im Bade Ems die deutschen Erzbischöfe und Bischöfe zu einem Congreß gebracht, auf dem man die Freiheit der deutschen Kirche gegen die Uebergriffe Roms feststellen wollte. Diese Absicht entsprach ganz den Ueberzeugungen Schalk's und veranlaßt ihn, einen Commentar zu den emser Punctationen zu schreiben. Fürst Heinrich, mit seiner Gesinnung ganz auf dem emser Standpunkte, gab seinem Benedictiner, als Zeichen seiner zurückgekehrten Gunst, die Erlaubniß, dieses Werk, jedoch ohne Namen des Verfassers, drucken zu lassen. So entstand das »Neue Magazin des neuesten Kirchenrechts und der Kirchengeschichte katholischer Staaten« (Weißenburg 1789).

Wie schon angedeutet, läßt sich in einem einfachen Privatleben die Spirallinie seiner Entwickelung und Erweiterung selten so rein verlaufend nachweisen, als in Schalk's Bestrebungen und Begegnissen. Sehen wir einen Augenblick zurück! –

Sein erster geistiger Kampf war blos eine gelehrte Disputation, der erste Bogen der Erhebung aus seiner Lebensstellung reichte nur bis zur philosophischen Doctorwürde. Wie erweiterten sich seitdem aber durch dazwischenfallende Zurücksetzungen die Kreise seines Bestrebens zum Lehramt an der kleinen Universität, zur Verbreitung der Kant'schen Philosophie, zu gelehrten Bezügen hinaus in die Welt, zur Schriftstellern für die katholische Theologie! Und jetzt schwebt er auf der hohen Frage zwischen Deutschland und Rom!

Erscheint es aber nicht auch als ein umfassenderes Mißgeschick, daß gerade jetzt, im September 1788, Schalk's Gönner mit Tode abgehen mußte, der treffliche Fürst Heinrich »Buf«, wie ihn das Volk nannte, von seiner gewöhnlichen Unterschrift B. u. F. – Bischof und Fürst? Die neue Wahl brachte den Fürstenhut auf den beschränktesten und eigensinnigsten Kopf, der sich im Capitel fand, auf Adalbert von Harstall. Aus dem neuen Cabinet erging nur allzu bald eine Mißbilligung des »dem heiligen Stuhle« feindseligen »Magazin,« mit dem Verbot an Schalk, dasselbe fortzusetzen, ja sogar irgend eine andere Schrift kanonischen Inhalts herauszugeben.

Und so stand er denn wieder – man möchte sagen aller Schwungfedern beraubt – auf dem alten zwiespältigen Boden seines Klosterlebens. Denn kaum sogar war er in dem Stiftsarchive, wohin man ihn mit der Miene besonderer Gunst unter die alten Pergamente zu »reponiren« dachte, an eine Umgestaltung dieses interessanten Urkundenlagers gegangen, als er auch schnell wieder daraus entfernt wurde. Ohne Zweifel fürchtete man sich vor den Todten, die dieser Zauberer aus ihren Gräbern erwecken mochte. So blieb ihm kein Zweifel, daß ihn der alte fuldaer Sinn nach keiner Seite wollte aufkommen lassen.

Da mahnte denn lauter als lange nicht die alte Lebenslosung in seiner Brust. Alle idealen Kreise, die aus dem Kloster emporgingen, schienen sich verzogen zu haben und nichts ihm übrig zu bleiben als die weite wirkliche Welt. Und wie eine edle Frucht um ihren innern Kern nicht zeitigt, ohne daß auch die äußere Schale sich mit den duftigen Farben der Reife überhauche: so pflegen auch, wenn die Vorbestimmung eines Menschen sich erfüllen will, jene äußern Verhältnisse günstiger zu fallen, die sich erst hart und herb gezeigt haben. Dies war der Fall mit Schalk's Eltern. Das träumerische Herz der Mutter ruhte bereits im Grabe und der leidenschaftliche Sinn des Vaters war endlich zur Einsicht gekommen, daß er den begabten Sohn in eine falsche, unglückselige Lebensstellung gedrängt hatte. Er rieth ihm nun ebenfalls zu seiner Befreiung. Die Welt selbst unterließ nicht, ihrem Candidaten zu winken. Die gelehrte Gesellschaft zu Mainz ernannte Schalken zu ihrem ordentlichen Mitglied; sie krönte seine Abhandlung »Ueber den Einfluß der Philosophie in das Kirchenrecht.« Dort am kurfürstlich-erzbischöflichen Hofe ging es ja so freidenkerisch, so lebenslustig zu, daß ein geistreicher Mönch sich da wohl alle Förderung in's weltliche Leben versprechen durfte.

So reichte denn Schalk der Welt eine Hand, indem er sich zum Doctor beider Rechte promoviren ließ, um gewissermaßen einen Reisepaß, einen Titel der Bewerbung um eine Unterkunft zu haben. Dann erbat er sich im Juni 1790 einen Urlaub zu einem Besuche seines Vetters, des Geheimrathes und Vicariatsofficials Schalk von Blumenthal in Worms. Statt aber dorthin, begab er sich mit dem erhaltenen Urlaub nach Mainz, um beim erzbischöflichen Stuhle sein Säcularisationsgesuch anzubringen. Auf diesen Schritt, den man in Fulda sogleich erfuhr, ward er zurückberufen, erklärte aber, daß er erst seine Versetzung in die Welt und irgend eine Versorgung erlangen wolle, ehe er Fulda wiedersehe. Von Worms aus ließ er während des Wahlconvents für Kaiser Leopold eine Abhandlung: »Ueber die Fundamentalgesetze der deutschen katholischen Kirche im Verhältnis zum römischen Stuhl, als Nachtrag zur Spittler'schen Geschichte«, erscheinen, und brachte die ältere Schrift: »Grundsätze über die Regierungsform der katholischen Kirche«, in zweiter Auflage.

Wie er nun doch nach Fulda zurückkehrte, weil er zur Betreibung seiner Angelegenheit in Rom eines Zeugnisses von seinem Fürst-Bischof bedurfte, empfing er die freundlichsten Zusagen zur Beförderung seines Säcularisationsgesuchs, konnte aber doch bemerken, daß man ihm hinterrücks alle denkbaren Hindernisse in den Weg legte. Man hoffte, daß es ihm draußen an Versorgung und an dem sogenannten Tischtitel fehlen werde. Unter letzterm versteht man die berechtigte Stelle, gleichsam das Heimatrecht eines Geistlichen in irgend einem bestimmten Kirchensprengel. Beides aber fand sich wider fuldaisches Erwarten. Im April 1791 erhielt Schalk vom Landgrafen Ludwig X. zu Hessen-Darmstadt den Ruf als Professor und Pfarrer in Gießen und vom Kurfürsten in Mainz den Tischtitel auf die Diöcese Worms. Und nun konnte ihm das Zeugniß nicht mehr versagt werden, mittelst dessen, gegen alle Einwendungen des kölner Nuntius, das Breve des Papstes zu seiner Säcularisation im August erwirkt wurde. Die frohe Verwandlung war bald geschehen, indem Schalk die Cuculle des heiligen Benedict von Nursia, die schwarze faltige Flocke, für immer abstreifte. Unter lächelnden Artigkeiten aller Derer, die ihm Ränke gespielt hatten und nun seine Feder fürchteten, verließ er Fulda. Er war 33 Jahre alt.

Wir haben gleich anfangs Schalk's Leben ein Schauspiel genannt und schließen hier unsere Betrachtung, wie man eben ein Drama nicht mit dem Tode, sondern mit dem Siege des Helden beschließt.

Und in der That greift »der berühmte Papist«, wie die Jenaische Literaturzeitung unsern Schalk zu nennen pflegte, mit seinem »Akademischen Programm« in unsere kämpfende Gegenwart herein und behandelt die große deutsche Frage des Augenblicks. Er spricht nämlich: »Ueber die Lage unserer deutsch-katholischen Kirche im Verhältnisse zum römischen Stuhle.«

Diese Rede – gedruckt Gießen bei Braun, Univ. Buchdr. 1791 – ist heut wieder lesenswerth geworden. Denn – meint Schalk – »Fürsten und Unterthanen kann es nie gleichgültig sein, zu erfahren, wie die kirchlichen Verhältnisse des Vaterlandes beschaffen sind; nicht selten lauft mit denselben die ganze Wohlfahrt des Staates parallel. Ein mit den Grundsätzen des Staats unproportionirtes Steigen oder Fallen dieser Verhältnisse kann immer Zerrüttung im Ganzen, Trennung der Glieder vom Haupte, Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung anrichten.«

Der Redner weist nach, unter welchen begünstigenden Zeitverhältnissen Pabst Hildebrand-Gregor seine offenbarsten Eingriffe in die Gerechtsame der deutschen Kirche habe wagen können. Treffend ist die kernige Schilderung dieser Umstände, der Entwickelung des Gregorianischen Systems für Deutschland und der deutschen Bestrebungen zur Herstellung der Kirchenfreiheit mittelst einer Reformation. Schalk's Kenntniß der Geschichte ist umfassend, die Zeichnung scharf, die Sprache höchst freimüthig. Dies besonders auch, wo er von der Richtung des jüngsten Concils von Trient, von den Arbeiten des neuen Jesuiten-Ordens zu Gunsten Roms und von der für Deutschland gefährlichen Politik der damals neuen Nuntien in Cöln, Wien, Brüssel und Luzern spricht. Nuntien, sagt er, schienen nun Idole für den schwach gewordenen Deutschen zu sein, von denen, als Ausspähern der Staaten, als Taschenspielern mit geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit, vor allem die Fürsten alles zu fürchten hätten, gegen die sich endlich auch Kaiser Leopold gesetzt und sogar das geistliche Churtrier und Churcöln Beschwerde erhoben hätten, bis endlich das aufhetzende Umschreiben des kölner Nuntius Pacca an die Pfarrer der rheinischen Erzbisthümer die geistlichen Churfürsten genöthigt habe, »den großen Freiheitsplan für die deutsche Kirche zu berathen.«

Da galt es nun den »Curialisten«, Deductionsgeschütz schwersten Calibers gegen die deutschen Erzbischöfe aufzuführen, es mit »Drohungen von Verdammungsurtheilen, Excommunicationen u. dgl.« zu laden, und hierzu – »alles zusammen zu suchen, was je der alte Sünder Isidor zum Besten des römischen Hofes gelogen hatte.«

Das Programm schließt mit Anführung dessen, was Kaiser Leopold, – »dieser weiseste Fürst, welcher schon zu Toscana der römischen Curie eine eiserne Stirne zeigte« – bei seiner Wahlcapitulation gegen Roms Uebergriffe feierlich beschworen hatte. – So entrüstet der Pabst darüber war, so ließ er doch die Sache ruhen, weil die französische Kirche, das bevorstehende Schisma, seine ganze Aufmerksamkeit forderte. »Wohl uns – ruft Schalk zum Schlusse seiner Rede – wenn Rom uns Frieden und Freiheit in der lang gewünschten Ruhe fernerhin genießen läßt, und nicht einst von neuem zu stören trachtet!«

Mit dieser letzten Besorgniß trifft er unsere Gegenwart, in welcher er wohl selber als katholischer Professor in Gießen unmöglich wäre. Oder würde vielleicht die Regierung in Darmstadt diesen namhaften Schalk gegen die wirklichen Schälke in Mainz halten und behaupten mögen?



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