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I.
Am Hofe des Landgrafen.

Man erblickt zuweilen neben einem in all' seinen Farben glühenden Regenbogen einen zweiten, – bruchstückweise und in vereinzelten Farben von jenem gleichsam abgeschimmert.

So standen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zwei deutsche Regenten, zwei Friederiche, jeder auch der Zweite zubenannt, neben einander, – Friederich der Große von Preußen, und Landgraf Friederich von Hessen, beide auf demselben dunkeln Hintergrund eines im östreichischen Erbfolgekriege zwischen Preußen und Hessen gegen Oestreich geschlossenen geheimen Unionsvertrages. König Friederich war acht Jahre älter und zwanzig Jahre früher an die Regierung gekommen, als der Landgraf, den er auch noch um beinahe ein Jahr überlebte.

Es sind nur wenige Farben, mit welchen der Landgraf dem strahlenden Könige matt nachleuchtet. Vom Ruhmesglanze des Feldherrn, von der schöpferischen Thätigkeit des Staatsmannes und Regenten ist mit Hinblick auf den Landgrafen nicht zu reden. Nur dessen Gunst für Wissenschaft und Künste und seine Vorliebe für französische Sprache und Literatur erinnern an den großen Fritz; und jenes Leben des königlichen Kronprinzen in Rheinsberg, wo dieser sich mit Gelehrten, Musikern und Künstlern umgab und mit Voltaire briefwechselte, wiederholt sich unter der Regierung des Landgrafen sogar breiter und bedeutender, weil dieser Fürst seine lebhafteste Beeiferung gerade darauf verwendete, und in der günstigen Zeit nach dem siebenjährigen Kriege ausgezeichnete Köpfe für die Casseler Schule gewann, mit welcher er seinen einsamen Hof in eine leichte Verbindung setzte.

Um dieser Männer willen, die zum Theil in der Geschichte der Wissenschaften mit berühmten Namen glänzen, verdient jene, seitdem in Cassel ohne Wiederholung gebliebene Zeit eine freundliche, wenn auch nur flüchtige Erinnerung. Vielleicht, daß die Leser, deren Aufmerksamkeit und wenig heitre Theilnahme in den letzten Jahren auf jene Residenz gelenkt worden ist, sich von dem landgräflichen angenehm überrascht finden, und doch auch schon einige Keime der spätern Zeit wahrnehmen.

Friederich, im Sommer 1720 geboren, war schon als zwölfjähriger Knabe nach der damals berühmten Akademie in Genf gebracht worden, wo er neben dem Unterrichte seiner heimischen Lehrer bei den Professoren Calandrin Mathematik, bei Bourlamaqui Natur- und Völkerrecht und bei Necker deutsches Staatsrecht hörte.

Nachdem er sich hierauf im östreichischen Successionskriege militärisch versucht hatte, unterlag er der damals wieder, besonders gegen fürstliche Personen, in Bewegung gesetzten katholischen Bekehrungspolitik. Er war 29 Jahre alt, mit Maria, einer Tochter Georg's II. von Großbritannien, vermählt und Vater dreier Söhne, als er beim Kurfürsten von Köln, einem baierischen Prinzen, während dieser sich zu Neuhaus in seinem Stifte Paderborn aufhielt, einen Besuch machte, und – sanft und gutmüthig, wie er war – zum Uebertritt in die katholische Kirche bewogen wurde.

Mit diesem empfänglichen Naturel und einer phantasievollen Sinnlichkeit für Musik und Malerei gehörte der Prinz zu jenen begabten Menschen, auf welche die Pracht der katholischen Kirchen und der fremdartige Pomp symbolischer Ceremonien einen bezaubernden Eindruck machen. Und wer weiß, was gerade die Persönlichkeit des Kurfürsten dabei vermochte! Es war eben jener galante und üppige Clemens, an dessen Hofe nur französisch gesprochen und parisisch gelebt wurde. Denn er hielt sich gern am Hofe Ludwig's XV. auf, obgleich der hochmüthige Fürst, der zu Hause 150 Kammerherrn hatte, sich dort bequemen mußte, vor dem sitzenden Könige zu stehen, und an der Tafel des Dauphin zu unterst unter den lustigen Hofleuten seinen Platz zu nehmen.

Und mit diesem scharfen persönlichen Beigeschmack für Hofgelage verband dieser Mann die erzbischöfliche Würde in jenem magischen Gebiete, worin mit lateinischen Worten gezaubert wird, und gehörte zugleich als Kurfürst dem heiligen römischen Reich an, aus welchem er einem schwärmerischen Erbprinzen in des Kaisers Namen – Länderzuwachs und den gräflichen Kurhut versprach. – Das alles that seine Wirkung, und Prinz Friederich legte das katholische Bekenntniß in die Hände des Kurfürsten-Erzbischofs ab.

Seine Bekehrung hing mit den großen Anstrengungen zusammen, die – heut wieder erneuert – um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gemacht wurden, den Protestantismus auszutilgen. Clemens selbst hatte schon das Seinige gethan, den protestantischen Gewerbs- und Handelsleuten in seinem Gebiete so zuzusetzen, daß sie es verließen, und mit ihrem Fleiß und Vermögen in's Bergische übersiedelten. Eben so wurden die Protestanten in der Pfalz von dem frischen Eifer der ebenwohl bekehrten Neuenburger Linie verfolgt.

Im hessischen Hause war Friederichs Rückschritt nicht der erste Fall. Just ein Jahrhundert früher war Prinz Ernst, der sechste Sohn des Landgrafen Moriz des Gelehrten, während eines Aufenthaltes in Wien durch Vermittlung des Kapuziners Valerian katholisch geworden, hatte den Uebertritt anfänglich durch Reisen geheim gehalten, nachher sich aber in Ausbreitung seines Glaubens desto eifriger erwiesen.

Auf ähnliche Weise hielt auch Prinz Friederich seinen Uebertritt 5 Jahre geheim. Er besuchte Paris, und nahm abwechselnd an verschiedenen Höfen einen ausweichenden Aufenthalt, bis endlich durch seinen vertrauten Umgang mit dem Bischofe von Augsburg und durch Besuch der Messe in Aachen die Sache ruchbar wurde, und sein Vater, Landgraf Wilhelm VIII., nach seiner Rückkehr aus Schlangenbad und Hanau, im September 1754 von verschiedenen Höfen Winke über den Religionswechsel seines einzigen Sohnes erhielt.

Der Landgraf, ein Mann von Ernst und Einsicht, nahm die Sache hoch auf. Er beschickte seinen Sohn mit dem Geheimerath von Eyben und dem General Diede zum Fürstenstein. Der Prinz bekannte seinen Uebertritt, und erhielt Zimmerarrest zu den Verhandlungen mit einigen Ministern in Betreff der Sicherungsmaßregeln zur Aufrechthaltung des Protestantismus in den Cassel'schen und Hanauischen Landen, so wie der Erziehung der Kinder des Prinzen im reformirten Glauben. Friederich erwies sich wohlgesinnt und fügsam; so daß eine Uebereinkunft, – die sogenannte Religionsversicherungsacte bereits am 1. October 1754 zu Stande kam.

Aber der Hofhalt des Erbprinzen erlitt durch die Bestimmungen dieser Acte eine große Veränderung. Seine Gemahlin trennte sich mit ihren drei Söhnen von ihm, und erhielt ihren standesmäßigen Unterhalt auf die vom Landgrafen in bestimmter Weise abgetretene Grafschaft Hanau angewiesen.

Die Erbprinzessin, drei Jahre jünger als Friederich, und unter Obhut und Leitung ihrer königlichen Mutter Karoline, einer Tochter des Landgrafen von Brandenburg, mit großer Sorgfalt erzogen, war 17jährig mit ansehnlichem Gefolge aus England herüber gekommen, und im Sommer 1740 dem 20jährigen Erbprinzen angetraut worden. Sie hatte ihm drei Söhne geboren, und sich mit ihrem ernsten, unterrichteten Geiste der Erziehung derselben gewidmet, als die Trennung des verschiedengläubigen jungen Paares erfolgte. Im December desselben Jahres 1754 wurden die Prinzen, der jüngste erst 7jährig, nach Göttingen gebracht, und begaben sich zwei Jahre später, hauptsächlich auch den kriegerischen Bewegungen des siebenjährigen Krieges auszuweichen, an den dänischen Hof nach Kopenhagen.

Dieselben Wechselfälle des Krieges nöthigten auch den Kasseler Hof wiederholt zur Flucht und zu Wechseln des Aufenthaltes. Auf diesen Reisen und Zwischenresidenzen in Hamburg, Bremen und Rinteln begleitete Prinzessin Maria stets ihren Schwiegervater, den Landgrafen Wilhelm, um sich der Pflege und Erheiterung des greisen Fürsten zu widmen. Mit dieser Anhänglichkeit stand sie auch am Sterbelager desselben, und erst als er hingeschieden war, verließ sie Rinteln, und nahm ihren vorläufigen Aufenthalt in Zelle.

Als nun mit dem 1. Februar 1760 Friederich seinem Vater in der Regierung folgte, sah man in Hessen mit der lebhaftesten Besorgniß den Neuerungen entgegen, die er vornehmen werde. Und man hatte Grund zu Befürchtnissen. Die östreichische Politik blieb nicht unthätig. In Wien hatte man die vom Prinzen ausgestellte Acte für eine unverpflichtende Beschränkung der monarchischen Machtvollkommenheit des neuen Landgrafen erklärt. Aber Friederich ergriff diese dargebotene Hand nicht: er hielt fest an der politischen Verbindung mit Preußen und an der kirchlichen Verfassung die er beschworen hatte.

Statt der gefürchteten Reaction richtete der neue Landgraf, sobald der Krieg, der auch ihn wiederholt aus der Residenz getrieben hatte, beendigt war, seine Thätigkeit auf große Unternehmungen, – auf Erweiterung und Verschönerung Cassel's und auf Errichtung wissenschaftlicher Anstalten. Wiederholte Reisen nach Paris und Italien steigerten sein Interesse und seinen Geschmack.

Es lag bei Friederich's Regierungsantritt eine Trauer auf der Residenz, nicht bloß in Folge wiederholter Belagerungen und Kriegsverheerungen, sondern auch des allzu ökonomischen Sinnes des verstorbenen Landgrafen, der das Personal des Militär- und Civilstaates und den Aufwand des Hofes auf's Aeußerste beschränkt hatte. Nun schlug jenes Wohlgefallen seines Sohnes an Pracht und Prunk, das ihn zuerst kirchlich verstrickt hatte, in's Weltliche mit üppiger Entfaltung durch. Cassel bekam einen Hofhalt, der für damals prächtig heißen konnte, und erst später durch Jerome's Napoleon'schen Aufwand überboten wurde. – –

Landgraf Friederich, ein hübscher Mann von mittler Statur, etwas corpulent bei männlicher Haltung, war für Hessen ein fürstlicher Vertreter des 18. Jahrhunderts, nicht bloß durch Glanz, Ueppigkeit und Weichlichkeit des Hoflebens, sondern auch durch Geschmack und Gunst für Wissenschaft und Künste. Ein heiterer Vierziger, gütig und von gemüthlichen Absichten bewegt, umgab er sich gern mit fröhlichen und sinnreichen Menschen. Von dem Museum und der großen Menagerie, aus der Gesellschaft der Alterthümer und von den Gelehrten der Karlsschule kehrte er dann gern zu seinem französischen Theater, zu seinen Tonkünstlern und italienischen Sängern und zur romantischen Falkenbeize um das Schloß zu Wabern zurück.

Bei seinen ernsten Richtungen fehlte es ihm leider nicht an Sonderbarkeiten, die eine Anziehungskraft auf wunderliche Käuze und Abenteurer ausübten; wodurch der Kreis bedeutender Köpfe, die bleibende Werke schufen, mit ergötzlichen Phantasten durchsetzt wurde, die nur Anekdoten hinterlassen haben.

Die Abgeschiedenheit des Fürsten von seiner Gemahlin entzog freilich dem glänzenden Hof ein anmuthiges Frauenleben. Es war so zu sagen – ein einschläfriger Hofhalt. An Neigungen des Herzens fehlte es natürlich nicht; aber man mußte sie zu den Cryptogamen zählen, zu jenen Liebesverhältnissen, die keine social anerkennbaren Organe darbieten. Ja, sie waren zum Theil erotisch, ausländisch; wie denn unter den Favoritinnen auch eine Mademoiselle F. – abgelegte Maitresse des Herzogs von Bouillon – eine Rolle spielte.

Was nahm der deutsche Adel damals nicht alles von Paris an, – gebraucht oder ungebraucht!

Doch wir forschen diesen Cryptogamen nicht weiter nach, sondern wenden uns den Phanerogamen zu, – dem Kreise jener mehr oder weniger ausgezeichneten Männer, die in offen blühender und fruchtender Thätigkeit manche berühmten Namen und theilweise noch immer geschätzte Werke hinterlassen haben. Durch sie machte Friederich seine Residenz zu einem der Glanzpunkte, in jener Zeit, wo mit dem Frühlingsanbruch unserer Literatur, abwechselnd in Berlin und Göttingen, in Leipzig und Halle, in Pempelfort und Weimar geniale Köpfe mit literarischem Schaffen, glänzende Talente mit poetischem Lenzgesange die Begeisterung und Erwartung der Nation erregten.

Dem Fürsten standen nach der einen oder andern Seite seines Lebenskreises verschiedene Männer von Ansehen und Einfluß näher oder entfernter. Als Vermittler der wissenschaftlichen Absichten Friederichs tritt ein interessanter Mann hervor der, selbst von ungewöhnlichem Bildungsbestreben beseelt, und durch hohe Stellung, wie durch persönliches Vertrauen begünstigt, gerade für erneuerte und neuzuschaffende Anstalten als der geeigenste Agent erschien.

Martin Ernst von Schlieffen,

aus Pommern gebürtig, hatte zuerst bei der Leibgarde Friederich's des Großen als Fähnrich gestanden. Zur Ausheilung eines Lungengeschwürs hatte er eines längern Urlaubs bedurft, als es seinem König gefiel, ward entlassen, und bei seiner Wiederanmeldung zum Dienste aus unbegreiflicher Laune von dem Monarchen schnöde und wegwerfend behandelt. Er wendete sich mit Empfehlungen, besonders auch des preußischen Prinzen Heinrich, an den Casseler Hof, diente in den Feldzügen der Hessen gegen die Alliirten des siebenjährigen Krieges, und hatte es bis zum Obersten gebracht, als ihn Landgraf Friederich nach dem Friedensschlusse in seine Umgebung zog, und im Rang eines Generalmajors mit auf Reisen nahm.

Nach des Fürsten Rückkehr aus Italien ward er in 1772 Staatsminister und als Generallieutenant Oberst der Garde und Ritter des in 1770 gestifteten Ordens vom goldnen Löwen.

Zeitgenossen bezeichnen ihn, – den damals angehenden Vierziger – als den schönsten Offizier, die Miene voll Würde, Edelmuth und Geist, adelig nicht minder von Gesinnung, als nach dem alten Stammbaume seiner freiherrlichen Familie, dabei voll Anstand in Manieren, großdenkend und freimüthig. So kam er anerkennend, aufmunternd, beschützend den wissenschaftlichen Männern entgegen, die nach und nach, zum Theil von ihm berufen, sich am Karls-Collegium sammelten.

Seine Erziehung war sehr vernachlässigt worden; aber ein lebhaftes Bestreben um Kenntnisse und Bildung trieb ihn an, das Versäumte zu desto größerer Befriedigung als Selbsterwerb nachzuholen. Und nachdem in seiner frühesten Jugend ihm nur Dasjenige beigebracht worden, was er als Mann nicht mehr festhalten mochte, hatte er als Fähnrich in Potsdam mit unsäglicher Mühe von selbst Latein gelernt, und nachher in Braunschweig, während einer Waffenruhe von Langweile belästigt, sich auch noch an's Griechische gemacht.

Es läßt sich erwarten, daß ein Fähnrich, ein schöner Offizier, den das Garnisonsleben so wenig zerstreuen kann, sich in männlichem Alter als Geschäftsmann noch ernster zusammenhalten werde. Wirklich verband Schlieffen mit dem Minister den Einsiedler. Er bewohnte auf dem neubebauten Königsplatze als Junggeselle ein schönes und breites Haus – jetzt Gasthof zum König von Preußen – einfach eingerichtet, aber zahlreich bedient. Seine eigenthümliche Lebensweise, früh 2 Uhr aufzustehen und nach eingenommenem Kaffe bis zur Parade zu arbeiten, Abends aber, oft schon um 7 Uhr, zu Bette zu gehen, war durchaus nicht nach dem Zuschnitt eines muntern Hoflebens, wie es sich in Cassel, besonders nach 1772, ausließ. Aber er hatte den Hof bald genug an seine Zurückgezogenheit gewöhnt, so daß es nur kurzweg hieß: »Der Schlieffen philosophirt wieder.« –

Indeß befriedigte ihn diese Zurückgezogenheit noch nicht einmal, sondern so oft es der Geschäfte wegen anging, verließ er die Residenz, um auf seinem Gute Wendhausen, eine Meile von der Stadt, nur seinen Studien zu leben. Dort, in der Verborgenheit eines Waldes, in einer durch einfache Nachhülfe sanft reizenden Naturumgebung, empfand er sich der behaglichsten Einsamkeit froh. Der Besuchende traf ihn an schönen Sommernachmittagen in einer einfachen Allee wandelnd, und ward zum Ausruhen in eine Einsiedelei von Rohr und Baumrinde geführt. Da erzählte der gemüthliche Mann gern von seinen Feldzügen und Reisen oder von einem verlornen Freunde, und wenn der Gast darnach war, von seinen Studien. Affen und andres Gethier trieben sich umher, und zur Erfrischung ward eine fette Milch angeboten, und der hochgrüne Rasen lud zum Gelage ein.


Zärtliche Stündchen cryptogamischer Neigungen hinter den Staatsgeschäften, französische Literatur neben der Falkenjagd ließen dem einsamen Landgrafen noch manches unbefriedigte Verlangen. Er versuchte es mit diesem und jenem. Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Gegenständen war am hessischen Hofe hergebracht. Friederichs Vater zwar hatte sich mehr das Fabrikwesen angelegen sein lassen; von dem früheren Landgrafen Karl aber weiß man, daß er sich viel mit Physik und Mechanik beschäftigte. Es war zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, daß Denys Papin, der vertriebene Calvinist aus Blois, von Marburg, wo er als Professor untergekommen war, nach Cassel zu reiten pflegte, um dem Landgrafen Karl seine kühnen Versuche mit dem Dampfe zu zeigen. Von ihm erfunden und nach ihm benannt ist bekanntlich der papinianische Topf, jenes cylindrische, dichtverschließbare Gefäß, worin harte Körper durch gesteigerte Hitze und Dampf gelöst werden. Papin hatte es sogar damals schon mit einem kleinen Dampfschiffe auf der Fulda versucht, und was dem genialen Beschwörer einer damals noch abgeneigten Naturkraft dabei mißlang, – kleine unerwartete Unglücke befriedigten wenigstens die Mißgunst der deutschen Naturforscher des Landgrafen, die nun desto lauter mit – »französischer Windbeutelei« um sich werfen konnten.

Unser Landgraf Friederich wendete sich mehr der jüngsten Tochter der Naturforschung, der Chemie zu. Sie, noch unerfahren und unklug, wie die Jugend ist, hatte sich damals auch mit den Rosenkreuzern zur Aufsuchung des Steins der Weisen, und zur Bereitung der Goldtinktur, sowie eines Lebenselixirs eingelassen. In Cassel gab man sich zu jener Zeit insgeheim viel mit dergleichen ab. Ob auch, wie an andern Höfen, unser Friederich Versuche machte, steht dahin, man weiß nur, daß ihn

Karl Prizier,

Professor an der Karlsschule, bei chemischen Tiegeln und Retorten amüsirte. Er war ein Casselaner, hatte Berg- und Cameralwissenschaft studirt, und ging vom Sekretariat jener Behörde zum Professorat über. Die Studenten bekamen ihn aber selten auf dem Katheder zu hören, da er meist im Laboratorium des Fürsten in seinem schwarzen Kittel waltete. – –

Eine betrübende Erfahrung sollte dem Landgrafen von dieser Seite seines Interesses her begegnen.

Daß hochgestellte und vermögende Personen von mehr vertrauendem, als prüfendem Geiste eine starke Anziehung auf umherschweifende Gauner üben, kommt alle Tage vor. In jener Zeit aber waren sie vielleicht zahlreicher und verwegener, und zu den Abenteurern gesellten sich auch Schwärmer. –

Landgraf Friederich blieb von keiner Seite unversucht. Seine Art von Bildung und Herzensgüte machte ihn fremden und einheimischen Menschen zugänglich, die sich entweder mit der Absicht des Betruges näherten, oder hinter seinen Erwartungen mit Täuschung zurückblieben. Seitdem er nach so bedenklichem Religionswechsel ohne den zugesagten Länderzuwachs und Kurhut regierte, also nach jener großen politischen Täuschung, hatte er sein literarisches Vertrauen französischen Marquis und Chevaliers geschenkt. Nun erschien ein andrer Franzose, der sich durch das Laboratorium einschlich. Er gab sich für einen Fabrikanten pariser Porzellans aus, und sprach ein so feines Französisch, daß keine bescheidnen Zweifel des Bergrathes Fulda im besten kassler Deutsch dagegen aufkommen konnten. Der Fabrikant erhielt nach und nach, während er vier Monate lang an seinem Ofen und dessen Füllung baute und sich dabei mit schlauem Geheimthun der Aufsicht des dazu bestellten Bergrathes zu entziehen wußte – 12000 Rthlr. Eines trüben Morgens aber war er verschwunden, und es fand sich bei der Untersuchung am Ofen eine einzige ordinäre blaue Tasse, die der Landgraf aus Fulda's Händen empfing und mit den Worten zurückgab: »Sie haben viel Mühe mit dem Menschen gehabt; nehmen Sie zum Andenken diese kostbare Tasse, – sie kostet mich 12000 Thaler.«


Bei diesem Vorfalle kam eine frühere Geschichte in Erinnerung, die mit einer deutschen Nichtswürdigkeit die Gaunerei des Franzosen aufwog.

Rudolph Erich Raspe,

ein Hannoveraner, hatte sich nach vollendeten Universitätsstudien als Sekretär an der Bibliothek zu Hannover bei dem Minister von Schlieffen in solches Vertrauen zu setzen gewußt, daß dieser ihn beim Landgrafen gegen dessen erste Abneigung geltend machte. Er war, 30 Jahre alt, im August 1767 als Professor der Alterthümer angestellt worden, und erhielt nach und nach die Aufsicht über die Antiquitäten und das Münzkabinet mit einem für damals bedeutenden, auf 1000 Rthlr. steigenden Gehalte.

Diese günstige Stellung und eine glückliche Berliner Heirath schwellten seinen natürlichen Hochmuth, seinen Eigendünkel und seine Selbstgenügsamkeit in's Anmaßliche. Gegen die Abneigung des Publikums nahm ihn Schlieffen unter sein persönliches Ansehn. Raspe, unruhig, genuß- und geldgierig, brachte den Landgrafen zu dem Aufwande, ihn die Paderborner Klöster bereisen zu lassen, um Abschriften der Klosterschätze für die Bibliothek zu erwerben. Ja, er setzte es durch, daß er auf Kosten des Landgrafen nach Italien geschickt wurde, um Kunstsachen und Alterthümer zu gewinnen.

Doch der erste Schritt zu dieser erwünschten Reise, führte seinen Sturz herbei. Er hatte Urlaub erhalten, seine Familie auf die Dauer seiner Abwesenheit nach Berlin zu bringen, und schickte von Münden aus, als vergessen, den Schlüssel zum Medaillenkabinet ein. Aber die Uebernahme des Kabinets von Seite eines Stellvertreters nahm den Gang nicht, den er sich versprochen haben mochte. Man sucht nach dem Inventar, und da sich keines findet, wird er zum Zwecke der Ueberlieferung des Kabinets zurückberufen. Prahlereien mit unterwegs gemachten hohen Bekanntschaften überheben ihn der gemeinen Geschäftsordnung nicht, und so überraschte er eines Nachmittags den Minister von Schlieffen in dessen Wendhäuser Einsiedelei mit dem Geständnisse, daß er aus dem Medaillenkabinete 2000 Rthl. an Werth entwendet, und für 300 Rthlr. beim Lombard versetzt habe, auch weder dies, noch die 700 Rthlr., mit denen er in Besoldungsvorschusse stehe, zu ersetzen im Stande sei.

Erstaunt, entsetzt über den Menschen, der seines Fürsten und seines Gönners Vertrauen so schmählich mißbraucht hatte, erklärte ihm der Minister, – so unwerth er sich durch seine Schandthat alles Wohlwollens gemacht habe, so wolle er doch hier auf seinem stets nur gastlichen Landsitze seiner Macht, ihn festnehmen zu lassen, vergessen, da hierdurch das Entwendete doch nicht wieder erlangt werde; aber Rath wisse er ihm nicht, und von ihm selbst wolle er nichts mehr wissen.

Raspe entwich nach Braunschweig, wo er den Herzog um gnädige Verwendung beim Landgrafen anflehte. So bereitete der Unverschämte seinem Gönner von Schlieffen auch noch den Verdruß, daß der Fürst des Ministers Vorwissen von der Flucht erfuhr.

Der Steckbrief, der den Professor verfolgte, zeichnet uns ein wenig den äußerlichen Menschen. – Raspe war von mittlerer Statur, länglichen Gesichts mit kleinen Augen und großer gebogner, spitzer Nase; er trug sein rothes Haar unter einer kurz am Kopfe gebundnen Beutelperrücke, und hatte einen raschen Gang. Er wechselte mit mehreren Röcken, – einem rothen mit Golde, einem von schwarzem Tuche, einem blau-manchesternen und einem von grauem Zeug.

Schade, daß wir nicht auch von den andern Hofprofessoren – Steckbriefe haben, um sie ein wenig portraitiren zu können!

In Clausthal festgenommen, entkam die diebische Elster noch einmal, und erreichte England, wo sie umherstrich, und von ihren Federn lebte. Raspe übersetzte Lessings Nathan in's Englische, englische Schriften in's Deutsche, schrieb über Ossian, über Elephantenzähne und über Mineralwasser. Man schätzte ihn als brauchbaren Gelehrten, und lieferte ihn nicht aus. Er starb in Irland im Jahre 1794.

Ob wohl der leichtfertige Mensch, wenn er etwa Mitglied eines Treubundes gewesen wäre, sich dadurch von Veruntreuung öffentlicher Werthe hätte abhalten lassen?


Bei solchen Vorkommnissen fällt man leicht auf die Frage nach dem Zustande der Staatskassen und der Finanzen. Und – es soll ziemlich flau damit ausgesehen haben.

Abgesehen von so viel Bedeutendem, was der Landgraf für Kunst und wissenschaftliche Anstalten ausführte, war auch solche fürstliche Gutherzigkeit, die sich auf der Philosophie des 18. Jahrhunderts – »Leben und Leben lassen« wiegte, wenig geeignet, Schätze zu sammeln; indeß ein verschwenderischer Hofhalt, bei dem Alles bis hinab zu den zechenden Lakaien es sich wohl sein ließ, recht gemacht war, die Kassen zu erschöpfen. Die reichen Quellen des nachmaligen Hausschatzes flossen noch nicht, – die englischen Subsidien für die hessischen Bataillone, mit denen Friederich ein gutes Geschäft nach Amerika machte.

Dabei war das fatale System der Finanzverpachtung unter Umständen, wie die oben angeführten, doppelt unheilvoll, gerade weil es das greifbarste Geld schaffte, wodurch die ausgebenden Hände leichtfertiger, und die Quellen des Einkommens zu Grunde gerichtet werden. –

Die Finanzen herzustellen, ward ein gewisser Bopp aus Preußen verschrieben, und scheint es ganz richtig, nämlich bei den Ausgaben, angepackt zu haben; denn er hatte bald genug eine lauernde Gegnerschaft am Hofe. Auch spricht es für ihn, daß er aus Unmuth über die unzureichenden Einnahmeziffern sein geheimes Tagebuch mit sarkastischen Bemerkungen füllte. Doch gerade an diesen Witzen, die ihm dann und wann unvermuthet aus der Tasche fielen, gelang es seinen Widersachern, ihn zum Stolpern und zum Fall zu bringen.

Auch dem Lottospiel begegnen wir zu jener Zeit in Cassel. Diese täuschenden Künste waren damals an den Höfen sehr beliebt, und vielfach in den Händen von Italienern. So betrieb um jene Zeit ein gewisser Graf Bollo, ein Genueser, in Coblenz unter Clemens Wenzeslaus eine Zahlenlotterie, und der Sinistrario, der in Cassel sein Kunststück machte, war aus Mailand. Er betrog die Kasse um 70,000 Rthlr. –

Wie es mit dem untergeordneten Rechnungswesen aussah, geht aus einer heitern Anekdote hervor.

Bei Gelegenheit einer Hetzjagd war ein Forstlaufer um seinen Tressenhut gekommen, und klagte es dem Hofjägermeister. – Bring' ihn nur in Rechnung! lautete der Bescheid. Doch derselbe gnädige Herr strich den Betrag des verlornen Hutes, als er ihn unter den Ausgaben ausdrücklich aufgeführt fand, und erklärte dem sich beschwerenden Forstlaufer: In die Rechnung sollst du ihn bringen, hab' ich gesagt, nicht auf die Rechnung.

Das war ein »Tölpel merk's« für manche Fälle, und bestätigte Horazen's Behauptung: Est modus in rebus! – –


Die Wege des Fortkommens für Menschen, die das Glück barfuß gelassen hat, richten sich nach Zeiten und Umständen. Vielleicht ist es nicht uninteressant zu betrachten, wie der deutsche Poet sich an jenem französirenden Hofe fortbrachte, nachdem man weiß, wie der große Friederich in Berlin die deutsche Poesie ansah.

Casparson,

der Vertreter der hessischen Poesie von damals, gehörte zu jenen wissenschaftlichen Köpfen, die unser Friederich bei seinem Regierungsantritte bereits antraf. In die poetische Region hatte ihn ein seiner Zeit hochberühmter Mann gezogen, – der literarische Sultan Gottsched. Der Ruhm dieses Namens, die stattliche Person seiner Magnificenz begeisterte den jungen, 22jährigen Casparson zu einer Ode, als der Leipziger Professor auf einer Durchreise bei seinem Bruder, dem Steuerrathe Gottsched, in Cassel verweilte. Dies geschah im Jahr 1757, und der junge Poet war zufällig gerade so alt, als Gottsched's erste Liebe zu der begabten Luise Adelgunde Victorie Kulmus, jener gebildeten, talentvollen und corpulenten Danzigerin, die nachher als seine Frau das literarische Geschäft ihres Mannes mit gutem Glück neben ihrem Haushalte betrieb, ohne den gestrengen Gatten dadurch eifersüchtig zu machen, daß sie mehr Witz und Verstand in gewandterem Deutsch producirte, als er selbst.

Gottsched warb den jungen Dichter für die Leipziger Gesellschaft der freien Künste und zum Mitarbeiter am »Neuesten aus der anmuthigen Wissenschaft«, brach aber mit ihm in Folge eines Gedichtes, das den jungen Verfasser als Verehrer Haller's und Bewunderer Klopstock's verrieth, – des ersten Gebotes gegen Gottsched vergessend: Du sollst keine andern Götter neben mir haben!

Casparson war in jener Zeit Hofmeister beim Staatsminister von Canngießer. Sein Vater, aus einer der schwedischen Familien die unter Karl XI. ihr Vaterland verließen, hatte im Militär und beim Postwesen gedient, zuletzt aber, im Dienste stolz und unfügsam, sich in Gießen auf literarischen Erwerb gesetzt. Hier war der junge Wilhelm Christian geboren, und erst vom Vater und einer gebildeten Mutter, dann im Halle'schen Waisenhaus erzogen worden. Landgraf Wilhelm, Friederich's Vater, unterstützte das junge Talent, das auch ihn besungen hatte, zum Besuche der Universität Göttingen, wo Casparson von der Theologie zur historischen, philosophischen und schönen Literatur überging. Er schloß sich dann bei einem kriegerischen Ueberfalle Cassels dem fliehenden Hof an, wodurch er zu einer Schule der Weltkenntniß und zur Verbindung mit der Bremer »Deutschen Gesellschaft« geführt wurde.

Eben war er als Lehrer der historischen und schönen Wissenschaften angestellt worden, als sein fürstlicher Gönner starb.

Mit der ganzen Schmiegsamkeit, die seinem Vater gefehlt hatte, suchte nun Casparson sein Glück beim neuen Landgrafen. Mit Lobgedichten auf schwungvollen Füßen der Ode war es bisher gut gefahren; aber es galt den rechten Zugang zum jetzigen Fürsten. Dieser fand sich, – wenig poetisch, aber so charakteristisch, daß uns die Leser wohl verzeihen werden, wenn wir ihn andeuten.

Landgraf Friedrich war ein starker Esser mit einer Leibesbeschaffenheit, die ihm nach jeder Mahlzeit eine Tasse Rhabarber räthlich machte. Doch da dieser Rath sich nicht immer prompt und ausgiebig erwies, so hielt sich der lebhafte Herr noch einen besondern – Assistenzrath zur Unterhaltung an einem geheimen Ort. Gewiß ein Mann des engsten Vertrauens, aber darum auch ein sehr geplagter Mann! Denn da er bald genug in den Geruch eines aparten Einflusses beim Fürsten kam, sah er sich von Supplikanten aller Art heimgesucht, die ihm ihre hundertfachen Anliegen für den günstigsten Augenblick des Fürsten aufnöthigten.

Auch Casparson, wie man uns überliefert, verschmähte diese Hintertreppe nicht, um durch den Assistenzrath sein Lobgedicht auf Friederich in einschmeichelnden Gedanken und Versen dem Fürsten in die Hände zu spielen. Es war zugleich auf das zarteste Seidenpapier gedruckt, und besser hätte sich der Dichter nicht empfehlen können. Er erhielt eine ordentliche Professur am Carolinum, ich glaube mit Rathstitel.

Casparson war ein muntrer Geist, und liebte die Gesellschaft. Er kann überdies für einen Vorläufer unsrer Germanisten gelten. Mit Vorliebe für altdeutsche Poesie unternahm er, vom Landgrafen unterstützt, die Herausgabe eines epischen Gedichtes aus der altschwäbischen Zeit. »Wilhelm der Heilige von Oranse«, wovon der erste Theil auch erschien. Seine Trauerspiele »Tafnilde« und »Teutomal« aus 1768 und 1771 sind damals viel besprochen, und nachher rein vergessen worden. Als Dechant des Karlscollegiums gab er in einem Programm eine Abhandlung über die italienischen Gedichte der hessischen Prinzessin Elisabeth – mit Proben der Uebersetzung ihrer zahlreichen Madrigale und Canzonetten. Die Dichterin war eine ältere Schwester jenes oben erwähnten Landgrafen Ernst, der in Wien katholisch geworden war.

Unser poetischer Professor, eigentlich mehr Literat als Dichter, fand in dem unpoetischen Cassel, selbst in jener erweckten Frühlingszeit der Poesie und in der Nähe der göttinger Hainbundssänger keine dichterischen Talente zu fördern. Nur ein wahrhaft armer Poet hing an ihm, und gewann des Professors Theilnahme. Es war

Hans Tobias Dick,

Soldat unter der Grenadiergarde. In Schwalbach geboren, das damals zu Hessen gehörte, hatte er es zuerst mit der Kaufmannslehre versucht und war zum Glaserhandwerke seines bürgerlich zurückgekommenen Vaters übergegangen, als er, 20 Jahre alt, bei einer militärischen Ausnahme in die hessische Montur und zur Cassler Garnison kam.

Hier las er die damals so beliebten Volksbücher und Romananfänge – den gehörnten Siegfried, die schöne Melusine, die asiatische Banise. – Ueber alles aber bewunderte er Günthers Gedichte, und wußte sich nichts Höheres, als ein Günther zu werden. Er fand leider! Gelegenheit eine harte Behandlung seines Obersten Donop in klagende Verse zu bringen, wodurch er Bekanntschaft und Achtung in der Stadt gewann. Ganz glücklich machte es ihn aber, als der 50 jährige Gleim, der mildherzige Papa dürftiger Poeten, der Sänger der Lieder eines Grenadiers, in 1770 durch Cassel reisend, den ihm aufwartenden poetischen Grenadier mit seinen Gedichten beschenkte. Dick sprach seinen jubelnden Dank in Versen aus, und wir geben einige Zeilen zur Probe seiner Diction und Bescheidenheit:

»Dem Glücke dank' ich's, großer Gleim,
daß Deiner Weisheit Honigseim
sich heute mir zu schmecken giebet:
und daß Minerva meinen Fleiß,
der jetzt nicht viel zu dichten weiß,
doch nur durch Dich beseelt, als einen Schüler liebet.
Ich weiß, es kommt nur darauf an,
daß ich von Dir, berühmter Mann,
Lehr', Buch und Unterricht empfange,
daß ich am deutschen Helikon,
als ein verarmter Musensohn
vielleicht noch einen Platz, den Niemand will, erlange.«

Zwei Jahre, nach jenem Gleim'schen »Honigseim« gab unserm Sänger die Liebe den ihrigen zu »schmecken.« Er verheirathete sich, und lebte von Unterrichtsstunden, die er in Religion, Rechnen und Schreiben gab. Dabei muß er doch wohl sein leidliches Auskommen gefunden haben, denn man hat von ihm das sehr übermüthige Wort aufbewahrt: »Er könne doch mit seiner Person den Beweis liefern, daß ein Poet nicht gerade Hungers zu sterben brauche.«

Ein einziger Grenadier, dessen poetischer Federbusch auch eben nicht gefüllt und glänzend aussah, machte mithin unter Casparsons Korporalschaft das ganze Contingent aus, das Cassel in seiner damaligen Herrlichkeit unter die Fahnen des ersten Aufgebots der deutschen Sänger und Dichter stellte.

Nun ja, der Abhang des Kratzenberges, an welchem die Residenz hängt, und der ganze Gau zwischen dem Habichtswalde, den Kaufunger und den Reinhardswaldzügen, ja der althessische Boden überhaupt hat sich zu keiner Zeit besonders fruchtbar für poetische Erzeugnisse erwiesen. Um aber poetische Talente, deutsche Schöngeister und Literaten von weiter her an den Hof zu ziehen, wie dies mit wissenschaftlichen Männern zur Hebung der hohen Schule in Cassel geschah, dazu fehlte es dem Landgrafen an Gunst für die damals freilich noch in ihren Anfängen begriffne deutsche Literatur. Friederich war, wie sein großer Zeitgenosse, der preußische Friederich, auf das Französische gerichtet, und selbst die Männer der Wissenschaft mußten sich bei feierlichen Gelegenheiten in dieser Sprache hören lassen.

An Empfänglichkeit und Theilnahme für das, was der Frühling unserer Literatur brachte, fehlte es jedoch der Casseler Bevölkerung keineswegs. Man freute sich der Primeln unseres poetischen Lenzes, – jener einfachen, die der fromme Gellert in die schlichten, gesitteten Bürgerfamilien brachte, der stärker duftenden, mit denen Bürger zwischen den Werkstätten der Handwerker und den Wachtstuben der Soldaten verkehrte, und jener gemischten Kränze, die Lessing und Wieland der gebildeteren Gesellschaft darboten.


Wie wir eben immer mehr unter die Gelehrten der Karlsschule gerathen, müssen wir wohl mit einigen Worten über diese Anstalt berichten.

Sie war eine Stiftung des Landgrafen Karl und am 2. Nov. 1709 in Beisein des Fürsten, seiner Minister und Räthe vom Prokanzler mit einer Rede über den Nutzen der physikalischen und mathematischen Wissenschaften eröffnet worden. Hatten nun auch, wie es scheint, in den Augen jenes hohen Gönners des obgenannten genialen Papin die Naturwissenschaften den Vortritt: so nahmen doch neben denselben die Geschichte, die Beredtsamkeit, die Dichtkunst, die Philosophie und natürliche Theologie nicht weniger angesehene Lehrstühle ein.

Die Schule hatte die Bestimmung, Studirende durch die schönen und humanen Wissenschaften zu den Brotstudien der Universität vorzubereiten, und zugleich den Söhnen der Kaufleute und Fabrikanten eine höhere Bildung für das Leben darzubieten. Aber weder die einen, noch die andern beeiferten sich sehr um jene humane Weihen. So welkte die wohlgemeinte Anstalt, und nur das später dazu gekommene medicinisch-chirurgische Seminar gewann Kraft, sich dem Leben nützlich zu erweisen.

Landgraf Friederich gab darum doch die andern Zweige der Schule nicht auf; vielmehr lag es in seinem Sinne, der fortgeschrittnen Zeit Vertrauen zu schenken, und die Anstalt unter Beibehaltung des hergebrachten Namens zu erneuern, ja zu erweitern.

Wir müssen es anerkennen, daß er der letzte seiner Dynastie war, welcher der fortschreitenden Zeit Vertrauen schenkte.

Die Erneuerung der Schule geschah in 1766 und noch weiter in 1773, so daß dann auch Philologie, neue Sprachen, schöne Künste und Leibesübungen, ja ein zweijähriger Lehrgang für Theologen, Juristen und Mediciner eröffnet wurde.

Indeß war es mit diesem Ansehen universellen Unterrichts doch nur auf universellere Bildung, die dem Jahrhundert entspräche, nicht aber auf eine eigentliche Universität abgesehen, der man in Marburg die tiefere Wissenschaftlichkeit, die Ausbildung aller geistigen Richtungen, durch zusammengreifende Lehrthätigkeit überließ.

Wir müssen nun noch, ehe wir an die große Hofveränderung des Fürsten kommen, die Bekanntschaft einiger der Gelehrten machen, die noch der einschläfrigen Regierungszeit Friederich's angehören. Da begrüßen wir denn gleich einen schwerfälligen Kathederpedanten,

Joh. Rudolph Anton Piderit.

Er war schon 46 Jahre alt, als er im März 1766 für Philosophie und morgenländische Sprachen aus Marburg berufen wurde. Er glaubte zwar dem Ruf ein Opfer an Gehaltsverlust zu bringen, hoffte vielleicht aber von Cassel aus mit der Welt mehr in's Klare zu kommen, als es sich hernach doch machen wollte. Denn nach wie vor schien ihm Das abzugehen, was man unter »Takt« versteht, – ein unmittelbares Vorgefühl dessen, was sich für die Person schickt und den Umständen angemessen ist.

Er hatte wohl von Pyrmont, wo er geboren war, zuviel spröden Stahl, und von Jena, wo er studirt hatte, etwas »Pech« mitgebracht, und so spann sich ihm aus der ersten Uneinigkeit mit sich selbst über die Wahl zwischen Kanzel und Katheder, nachdem er sich für letzteres entschieden, ein ununterbrochen – splitteriger Lebensfaden von Zerwürfnissen mit der Welt und der Gesellschaft.

Seit 1745, nach Tilemann's Tod, auf das Katheder der Philosophie getreten, schien er unter die Nachtraufe jenes uneinigen Marburger Religionsgespräches zwischen Luther und Zwingli gerathen zu sein. Er gab zwei Schriften älterer Reformatoren – »über den Ablaß« und »über die Schlüssel des Himmels« heraus, und widmete jene dem Papste, diese dem Kurfürsten von Mainz. Dies erregte begreiflicherweise ein fragendes Aufsehen.

Es war Benedict XIV. der damals noch den heiligen Stuhl inne hatte, – Lambertini, allerdings ein Gelehrter, dem sogar die Römer, undankbar für manche vortreffliche Anstalt, vorwarfen, daß er mehr Schriftsteller als Regent sei, ein Mann »von zwei Seelen« – für die Wissenschaft und für die Gesellschaft, und der in seiner humanen Weisheit das Ansehen des heiligen Stuhls durch kluge Mäßigung zu erhalten suchte, weil er die größere Unabhängigkeit der Fürsten als eine Folge der Reformation erkannte. Dennoch schien es ungeschickt genug, auch einen solchen Pontifex durch ein ihm gewidmetes Buch an den Ablaß zu erinnern, der für Roms Kirchenprovinz in Deutschland gewesen war, was nachmals der Thee für Englands Colonien in Nordamerika wurde, – der Anlaß zum Abfall. Sollte aber die Dedication dem hohen Gelehrten, dem Juristen und Canonisten gelten: womit rechtfertigte sich die andre über die Himmelsschlüssel für den Mainzer Kurfürsten-Erzbischof?

Johann Friederich Karl aus dem gräflichen Hause von Ostein war ein Betbruder, ein Jesuitengönner und Fanatiker, der – selbst ohne Talente – statt Wissenschaft zu fördern, seinen gelehrtesten Professor in Mainz zu einer Ketzerbuße verurtheilte, und sich kaum durch seinen aufgeklärten Großhofmeister, Grafen Stadion, von förmlicher Ketzerverfolgung abhalten ließ?

Auch bekam unserm Professor das Dediciren nicht zum besten. Der kaiserliche Bücher-Commissär in Frankfurt, dessen Amt sich errathen läßt, erkannte darin ein Vergehen gegen die jenen hohen Kirchenhäuptern gebührende Achtung, und der Landgraf, damals noch Friederich's Vater, fand sich veranlaßt, wenn auch nicht den päpstlichen »Ablaß«, doch, aus Rücksicht für den Mainzer Kurfürsten, »die Himmelsschlüssel« confisciren zu lassen.

Wir übergehen die uninteressanten theologischen Streitigkeiten, die Piderit, wie Sommerfäden am Hute, von Marburg mit nach Cassel brachte; übergehen die scharfen Kritiken, die der gelehrte Griesbach über ihn ausgoß, – die Anfechtungen, die er vom eignen Consistorium zu bestehen hatte, die über ihn verhängten Verbote, Theologisches ohne Censur drucken zu lassen, die Verweise die er durch Schlieffen erhielt, als er sich Ausfälle und Beschuldigung des Socinianismus gegen Raspe und Casparson erlaubt hatte und endlich die Cassation, die ihm erst angedroht und dann auch, wiewohl mit Belassung des Gehaltes für Frau und Kinder, vollzogen wurde.

Seine Vorträge in der Gesellschaft der Alterthümer mißfielen; bei Hofe war er unbeliebt und beim Publikum stand er im Verdachte bald des heimlichen Katholizismus, bald des Naturalismus und dazwischen des Fanatismus. Aber Piderit tröstete sich mit der Schätzung auswärtiger Gelehrten, man weiß nicht mehr welcher; allein wir glauben auch wirklich nicht, daß er damals der einzige Kauz seiner Art gewesen sein sollte.

Wir stellen diesem wunderlichen Theologen einen liebenswürdigen Juristen entgegen –

Ludw. Jul. Friedr. Höpfner,

– ein Name, an den sich die Erinnerung an einen anmuthigen Jugendstreich Goethe's und an jene sentimentale Zeit knüpft.

In Gießen geboren, war auch er, wie vor ihm Casparson, als Hofmeister in das Haus des Staatsministers von Canngießer gekommen. Doch mochte er durch seine juristischen Studien mehr persönlichen Vortheil zu Gunsten seiner praktischen Ausbildung im Verkehr mit einem solchen Staatsmanne gewinnen. Schon in seinem 24. Jahre kam er an die Karlsschule als Professor der Rechte, blieb es aber nur vier Jahre, und nahm dann in 1771 eine Professur an der Universität Gießen an.

Hier erhielt er im folgenden Jahre von Goethe, der sich eben in Wetzlar aufhielt, jenen Besuch, den uns der Dichter selbst so reizend erzählt hat, – wie er eines heitern Morgens vor Sonnenaufgang das liebliche Thal der Lahn hinauf nach Gießen wanderte, an Höpfner's Studierstube pochte, und sich für einen von Akademien heimkehrenden Studenten ausgab, bis er von den mitgekommenen und mit einverstandnen Freunden Merck und Schlosser beim heitersten Mittagmahle, wozu sie Höpfnern geladen hatten, dem durch die übersprudelnden Reden und Manieren des fahrenden Schülers ganz verblüfften Professor aus der räthselhaften Rolle herausgeschält, und zum Dessert vorgestellt wurde.

Bei dieser Bekanntschaft, die sich auf die Dauer und durch die jetzt verabredeten »Frankfurter Gelehrten Anzeigen« auch zu literarischer Gemeinsamkeit knüpfte, war eben das Herz des jungen übermüthigen Dichters voll von jener Wetzlarer Lotte und von dem leidenschaftlichen Drange, der sich bald darauf, nach dem unglücklichen Ende des jungen, schwermüthigen Jerusalem in dem außerordentlichen Buche von »Werther's Leiden« ergießen mußte.

Aber auch innerlich war Höpfner diesem genialen Büchlein verwandt durch die sentimentale Stimmung der Zeit, in die es so gewaltig zündend einschlug. Denn unser streng geschulter Jurist – »tüchtig in seinem Fach, als denkender und wackrer Mann anerkannt und höchlich geachtet«, wie ihn Goethe bezeichnet – war doch bei vieler Herzensgüte bis zum Uebermaß empfindsam und in die weiche Tonart jener Zeit gesetzt. Jedem zärtlichen oder auch nur freundlichen Augenblicke pflegte er ein poetisches Sträußchen darzureichen, aus dem Flor von Almanachsgedichten oder aus dem Herbarium lateinischer Dichter genommen.

Wir übergehen seinen Nachfolger auf dem Katheder – Justus Friedr. Runde, der den Lehrstuhl in Cassel länger als Höpfner und vielthätiger inne hatte, bis er nach Göttingen berufen ward.

Beide Rechtslehrer hatten miteinander gemein, daß ihre Namen sich in der späteren politischen Entwicklung Deutschlands an ihren beiden Söhnen in öffentlicher Thätigkeit erneuerten. Der jüngere Höpfner, in ehrenvoller Amtsstellung, brachte aus den Darmstädter Verfassungskämpfen die Anerkennung seiner gründlichen Rechtskenntnisse, seines Scharfsinns, seiner Freimüthigkeit und eines bewährten Charakters mit. – Der jüngere Runde, berühmter als sein Vater, ein ausgezeichneter Rechtslehrer für die Studirstube und eine Autorität für den Aktentisch, entwickelte bei der Reorganisation des Großherzogthums Oldenburg eine einflußreiche Thätigkeit, – er selbst mehr auf Seite der Regierung, wie der junge Höpfner mehr bei der Opposition.


Das Jahr 1772 brachte für den Landgrafen Friederich ein wichtiges Ereigniß, in Folge dessen auch eine große Veränderung bei Hofe vorging. Am 14. Januar dieses Jahres starb nämlich nach kurzem Krankenlager in Hanau, die Landgräfin Maria in ihrem 49. Lebensjahre.

Wir haben sie zuletzt in Zelle verlassen, von wo aus sie die ihr bei der Scheidung von ihrem Gemahl angewiesene Grafschaft Hanau als Regentin und Vormünderin der Prinzen verwaltete.

Sie hatte sich auch nach dem Tode ihres Schwiegervaters nicht sogleich entschließen können, Norddeutschland zu verlassen, wo sie sich ihren Söhnen in Kopenhagen näher fühlte, der Briefwechsel mit ihnen kürzer, und die Zusammenkünfte mit denselben zu Coldingen in Jütland leicht zu erreichen waren. Auch die kriegerischen Bewegungen mochten sie von der Maingegend zurückgehalten haben. Wenigstens traf sie kurz nach hergestelltem Frieden, am 11. März 1763, in Hanau ein, empfing für den Sommer dieses Jahres ihre zwei jüngern Söhne, die von einer holländischen Reise zu Besuch kamen, und trat im Oktober des folgenden Jahres die Regentschaft über Hanau an den 21jährigen, eben mit der dänischen Prinzessin Wilhelmine Karoline vermählten Erbprinzen ab. – –

Nach ihrem Tode versuchte es Landgraf Friederich, obgleich ein Fünfziger, mit einer zweiten Heirath. Er nahm die junge Prinzessin Philippine von Brandenburg-Schwedt.

Die neue Landgräfin, schön, lebhaft, reizend, war in keiner allzutugendhaften Umgebung aufgewachsen, und brachte einen neuen Ton und Schwung in das Hofleben, das schon bisher, wenn auch ohne den Schmuck und Reiz einer Fürstin, doch nicht gerade zu den trübseligen gehört hatte. Ueppigkeit und Weichlichkeit nahmen nur noch zu. Mit dem Spiel der Cavagnole und der Quadrille wechselten Bälle, und die Landgräfin, wie sie anfing corpulent zu werden, stürzte sich in Menuette, Contretänze und Cotillons. Jeden Abend fanden kleine Spiele statt, und die Fürstin, die sich zu vergnügen liebte, sah den Neigungen ihrer jungen Hofdamen, ja – wenn man dem geheimen Hofrathe Stein, damaligem Geburtshelfer für vornehme Damen, glauben durfte – der Vertraulichkeit ihrer Fräulein mit den Kavalieren nur zu sehr durch die Finger. –

Die Cryptogamen waren also auch unter dem zweischläfrigen Throne nicht ausgegangen!

Noch in spätern Tagen, als die Genossen jener lustigen Abende nur noch sehr vereinzelt umher schlichen, wies man im Volke mit den Worten auf sie: Seht, das ist auch noch Einer von damals!

Ein paar tolle Streiche eines Hofjunkers von bekanntem Namen mögen zu dem flüchtigen Bilde jenes »Damals« noch einige Züge hergeben. –

Adolf Franz Friedr. von Knigge,

war auf einem väterlichen Gute bei Hannover geboren, und bis zu seinem 14. Jahre durch Privatunterricht in Sprachen, Künsten, besonders auch der Musik, ja in Handwerken vorgebildet und sofort auch zur Kenntniß der Welt und der Menschen von seinem Vater auf Reisen geführt worden. Als Student in Göttingen machte er einen Besuch am Cassler Hof und ward alsbald auch, unter Vorbehalt der Beendigung seiner Studien, zum Kammer-Assessor und Hofjunker ernannt. Seine Rückkehr nach beschlossner Universität fiel mit dem vorerwähnten großen Wechsel am Hofe zusammen.

Knigge war durch Geist und Laune ganz gemacht für einen so ausgelassenen Kreis von Hofgesellschaft, als die junge Landgräfin um sich versammelte. Er war es nur zu sehr, und verdarb es wiederholt durch seine Spöttereien und Schalkstreiche mit den Hofdamen, so daß er sich einmal förmlich von den kleinen Abendcirkeln ausgeschlossen sah, die bei der fröhlichen Fürstin, sobald sich der Landgraf mit seinem Podagra in seine Gemächer zurückgezogen hatte, durch Verkleidungen, Pfänderspiele und dergleichen Ergötzlichkeiten erst recht lustig wurden. Sich zu rächen, oder die verlorne Gunst wieder zu erobern, versuchte er einen kecken Streich. Es gelang ihm an einem Abende, des Schlafrocks und einer Nachtmütze des Landgrafen habhaft zu werden, und er kam so verkleidet mit schlurfenden Schritten eines Podagristen an die Thür des lärmenden Salons, durch die er dem Treiben ein Weilchen zusah, bis er, von der Gesellschaft wahrgenommen, mit ungnädigem Kopfschütteln sich entfernte. Man hatte ihn aber doch erkannt oder errathen, und die Landgräfin nahm ihn wieder zu ihren kleinen Abenden in Gnaden auf. Aber der ausgelassene Mensch hielt sich nicht, und verdarb es abermals durch eine – man darf wohl sagen – Bosheit, die sich kaum mittheilen läßt. Die Unart ist aber für einen angehenden und von einem eifrigen Vater so sorgfältig vorbereiteten Weltmann, der nachmals auch ein noch immer umlaufendes Buch »über den Umgang mit Menschen« geschrieben hat, zu bezeichnend, um sie nicht anzudeuten. Die Ausgelassenheit bestand nämlich darin, daß Knigge widerwärtiges Ungeziefer von Bettelkindern in einige Federspulen sammeln ließ, und es bei einer Abendgesellschaft mehreren Damen, unter vertraulichem Ohrenflüster in die bauschende Frisur zu bringen sich unterfing.

Konnte er sich doch gegen den Landgrafen selbst seiner tollen Streiche nicht enthalten. So einstmal, als einige Engländer dem Fürsten vorgestellt zu werden verlangten. Knigge übernahm es, und gab ihnen, als sie sich um das Ceremoniel erkundigten, den Wink, der Herr sei ganz einfach und anspruchlos, nur sehe er es gern, wenn die Aufwartenden die Klappen seiner Westentasche küßten, ohne sich durch seine Weigerung daran hindern zu lassen. – Und nun denke man sich den drolligen Auftritt, daß der ganz betroffne Landgraf, je mehr er zurückweicht, desto lebhafter von den Beeiferten bestürmt wird, bis sie zuletzt die Taschen wirklich erreichen, nicht um sie zu plündern, sondern eine der Patten an die Lippen zu drücken.

Glücklicherweise kam das Mißverständniß nicht sogleich zur Erörterung: aber um es nur darauf zu wagen, – wie leichtsinnig oder begünstigt mußte Einer sein?

Soviel gewagter Muthwillen fand am Ende eine Zurechtweisung, die des Ernstes ihrer Folgen wegen noch gewagter erscheint. – Knigge hatte eine der jungen Hofdamen, die äußerlich wie innerlich wenig ausgezeichnete Henriette v. B. eine Zeitlang zum Gegenstande seiner neckenden Unterhaltung ausersehen. Dies besonders auch während eines Hoflagers in Hofgeismar. Die Fürstin, gerade dieser jungen Dame besonders zugethan, nahm eines solchen muthwilligen Augenblicks wahr, um mit der Miene heitrer Gunst den Schalk anzusprechen: Sie interessiren sich so lebhaft für meine liebe Henriette, Herr von Knigge, daß ich mir nur die ernstlichsten Absichten dabei denken kann.

Knigge, betroffen, befangen, macht eine stumme Verbeugung um die andre, und die Landgräfin nimmt ihn und Henrietten bei der Hand, führt sie der Gesellschaft im Saal entgegen, und stellt sie als verlobtes Paar vor.

Was war zu machen? Die Verbindung erfolgte wirklich, nahm aber späterhin denselben Ausgang, wie die Ehe der Stifterin, – der jungen Landgräfin mit dem alternden Friederich, – durch Scheidung. –

Nachdem Knigge mehrere Jahre bei der Kriegs- und Domänenkammer gestanden, und daneben besonders Musik getrieben hatte, brachte er sich durch ein für einen Hofschornsteinfeger aus altem Muthwillen ausgefertigtes Diplom um des Fürsten Gunst und um seine Stellung. Er verließ Cassel, angeblich um seine verschuldeten Güter in eigne Bewirthschaftung zu nehmen. Wir finden ihn aber bald auf weitern Fahrten, an verschiednen Orten und in schriftstellerischer Thätigkeit, mit welcher er der deutschen Literaturgeschichte angehört. – –

Knigge hat uns eben an die Musik erinnert.

In Hessen war der Geschmack für Musik schon dreimal seit der Regierung Philipps des Großmüthigen aus der Uebung gekommen und gesunken. Zuerst unter dem genannten Landgrafen selbst durch die etwas puritanische Frömmigkeit der Reformatoren, die in ihrem Eifer gegen das sogenannte christliche Heidenthum des katholischen Gottesdienstes ihre auf Gesang und Predigt beschränkte Andacht alles äußern Beiwerks entkleideten, und selbst die Orgel mit verdrießlichem Blick ansahen.

Aber schon unter Philipps Enkel, dem Landgrafen Moriz, dessen Tochter Elisabeth wir als Verfasserin italienischer Gedichte erwähnt haben, hob sich die Musik wieder durch des Fürsten Gunst und Betrieb. Er selbst componirte. – Doch der 30jährige Krieg erstickte bald wieder die Instrumente dieses Aufschwungs und selbst die Kehlen der Chorschüler.

Erst Landgraf Karl brachte durch seine Oper und sein Orchester die Musik wieder in Aufnahme und in ausgebreiteten Ruf ihrer Cassler Blüthe. – Indem jedoch diese Kunst nur auf dem gebohnten Estrich der Hofsäle Raum für ihre Notenpulte fand: so zog sie auch unter Karls Nachfolger, als er König von Schweden wurde, mit nach Stockholm.

Jetzt endlich hatte sein Neffe, unser Friederich, ein Opernhaus und eine katholische Kirche erbaut, und Sänger und Musiker vor die Bühne sowie auf die Orgel berufen. Ein zahlreiches Personal französischer, italienischer und deutscher Musiker umstand das Taktzepter des Marquis de Trestondam. Hier erklang die Geige, das Horn und die Clarinette manches Virtuosen und der Castratensopran Morellis. Nur die einheimische Nachtigall, Mamsell Schmehling, entfloh, gewann die Königin von England, nahm den alten Potsdamer Fritz ein, und entzückte an der Hand ihres unbesonnenen Mannes, des Violoncellisten Mara, alle Welt durch den Umfang und die Fülle ihrer Kehle, wie durch die Einfachheit ihres hinreißenden Adagio.

Ein bedeutsames, auf die Zukunft der musikalischen Volksbildung hinweisendes Ereigniß war es, daß bereits in 1766, hauptsächlich für die Meisterwerke der deutschen Componisten, eine musikalische Gesellschaft in der Stadt entstand, wodurch die Kunst neben dem Hof, und unabhängig von dessen Geschmack, eingebürgert wurde. Stifter dieser Gesellschaft war ein gewisser Engelbronner, aus dem Clevischen gebürtig, der auf der Universität Marburg mit dem Oberappellationsrathe von der Malburg befreundet geworden, erst die Stelle eines Hofmeisters der Edelknaben, und in 1764 die Professur des bürgerlichen und des Naturrechts am Carolinum erhalten hatte. – – –

Indem wir uns nun weiter am Hofe Friederichs umsehen, dürfen wir nicht vergessen, was bereits erinnert worden, daß der Landgraf mit seinem Zeit- und Bundesgenossen, dem alten Fritz von Preußen, unter dem Meridian der französischen Sprache und Literatur stand, der durch Voltaire bezeichnet wird. Die frühe Schule Friederichs in Genf, seine nachherigen Reisen in Frankreich hatten ihm die fremde Sprache geläufig, den französischen Ausdruck des Lebens überhaupt lieb, und durch beides ihn selbst auswärtigen Verbindungen zugänglicher gemacht. Diese Vorliebe lockte Franzosen an den Hof; sie schuf ein französisches Theater in der Residenz, und brachte durch dasselbe auch solche Subjecte herbei, die sich dann gelegentlich in die untergeordneten Hofbedienungen einzuschieben verstanden. So weiß man wenigstens von einem Stockfranzosen des Theaters, der nachher zum Inspecteur des abeilles bestellt wurde, mithin von der Bühne zu den Bienen überging. Ja diese Vorliebe des Fürsten erstreckte sich bis zur Liebhaberei an kleinen Savoyarden, die Friederich kommen ließ, und auf ihre leichten pariser Erwerbzweige setzte, ohne daß sie in dem kleinen Cassel eigentlich auf einen – grünen Zweig kamen.

So erschien denn auch im Mai 1775 mit einem Empfehlungsschreiben des 80jährigen Voltaire ein Mann in den dreißigen, von einnehmendem, gesetzt scheinenden Wesen und gefälliger Physiognomie in Cassel. Er trat unter so begünstigenden Umständen als – Marquis – auf: man wußte aber nicht, ob er als solcher auch von Hause ausgegangen war, oder vielleicht unterwegs eine glückliche Umwandlung bestanden hatte,

Marquis de Lüchet.

Jean Pierre Louis war zu Saintes geboren. Dürfen wir seinem guten Französisch glauben, so hatte er schon in seinem 15. Jahre Uebersetzungen – im 16. Tragödien geliefert, und nachdem er vom 20. Jahre an verschiedne Werke politischen und historischen Inhalts herausgegeben, sich mit Naturwissenschaften befaßt, von denen er zur Poesie, Literatur und Literärgeschichte übergegangen war.

Wie dem auch sei: er fand bei Friederich die beste Aufnahme und die günstige Stellung als Director des französischen Theaters, als Intendant der Kapelle, die der Marquis de Trestondam dirigirte, später als ständiger Sekretär der Antiquitäten-Gesellschaft, in welcher er verschiedene Abhandlungen über – Voltaire, Albert v. Haller u. a. vortrug – alte Bursche, die er für Antiquitäten gelten ließ. Mit dem Rang eines geheimen Legationsrathes finden wir ihn als Günstling des Fürsten in dessen Gefolge zu Bad Geismar, im Schlosse zu Wabern, bald da, bald dort.

Später, als er sich auf einem Zwischenposten zwischen dem Hof und der Karlsschule bethätigte, kam sein gelehrtes Ansehen etwas in die Klemme. Die öffentliche Bibliothek sollte gegen Ende Januar 1779 aus dem – Marstalle, wo sie bisher untergebracht gewesen, in das nach zehnjähriger Arbeit vollendete prächtige Friederichs-Museum mit seinem unvergleichlichen Bibliothekssaale zur bevorstehenden Einweihung dieses Neubaues übergeschafft werden. Hierzu hatte der Marquis einen Plan entworfen, nach welchem der ganzen Bibliothek eine neue Gestalt oder Umstellung der Bücher in ihren Fächern zugedacht war. Der Landgraf, in gutem Vertrauen auf seinen gelehrten Liebling, hatte das Project genehmigt, und suchte die Ausführung durch persönliches Erscheinen zu fördern. Dies vielleicht nicht zum Vortheil der Sache selbst. Denn während jeder Einsichtige das Verfehlte, ja Verwunderliche der neuen Eintheilung und Anordnung alsbald durchschaute, hatte doch keiner den Muth, vor dem dafür eingenommenen Fürsten mit Nachweis und Nachdruck dagegen aufzutreten. Vor allen ließ der Bibliothekar selbst, Regierungsrath Schminke, sich nur empfindlich, aber nicht entschlossen finden, den französischen Gasconaden mit Anstand und Würde zu begegnen. Selbst als ihm aus bloßem Mißverständnisse des Marquis ein lächerlicher Mißgriff in der alten Bücherordnung aufgebürdet wurde, schwieg er dazu still. Es schien, der engherzige Mann, der sich als höchstem Lebenszweck einer ängstlichen Sparsucht ergeben hatte, war sogar bedenklich, für seine Amtsehre ein paar Worte aufzuwenden. Eben so schluckte der Bibliotheks-Registrator, der ehrliche Strieder, allen Verdruß in sich hinein. Und wenn es ihm auch gelang, hinter dem Rücken des ab- und zugehenden Landgrafen wenigstens doch – den Hoflichtkämmerer, seinen guten Freund, von den Mißgriffen des Marquis zu überzeugen, so ärgerte er sich dabei doch nach und nach die Gicht »vom Zenith bis zum Nadir« seines Leibes an, und fand nur einige Herzenserleichterung darin, daß er den Jammer seines Lebens einem geheimen Tagebuch anvertraute, das denn auch zum Glück die Stiefeln von gebranntem Leder mit Manchetten, ohne welche der brave Mann nie vor seinen Büchern und Acten erschien, überdauerte und der Nachwelt eine lächelnde Theilnahme abgewinnt.

Unter diesem Bibliotheksverhängniß voll verworrner Arbeit und verbißnem Aerger lief das Jahr 1779 ab. Mit dem Februar 1780 erschien ein neuer Franzose, Chevalier de Nerciat, und hielt in der Antiquitäten-Gesellschaft einen Vortrag zum Ruhme der erstaunlichen Schöpfungen eines zweiten Augustus, den der Reisende in Cassel gefunden haben wollte.

Es läßt sich denken, daß diese Rede dem alternden Friederich nicht weniger lebhaft gefiel, als sie dem jungen gefallen hätte. Er belobte sie laut, und sah sich nach einem Plätzchen um, auf dem man den Chevalier setzen könnte. Schmincke gab herzlich gern seine Stelle an der Bibliothek auf, und so wurde Nerciat Unterbibliothekar.

Während nun beide Franzosen mit all' ihren Künsten um die Gunst des Fürsten wetteiferten, kam unvermerkt etwas von den wunderlichen Anordnungen der Bibliothek durch reisende Gelehrte in's Publikum. Da hatte man z. B. Cicero's Briefe unter den Kirchengeschichten, einen Commentar über Hugo Grotius unter den Werken über Oekonomie entdeckt, und die unlateinischen Rubriken » Europaeana« und » Exeuropaena« zu belächeln gefunden. Zwischen der »Gothaer Gelehrten Zeitung« und »Schlözer's Briefwechsel« wurde die Sache anzüglich genug für die Bibliothekare verhandelt. Dem Unterbibliothekar blieb es auch nicht unbemerkt, und er suchte sich in französischen Briefen an Schlözer zu rechtfertigen; indem er den Schöpfer der neuen Anordnung, de Lüchet, dafür verantwortlich erklärte. Schlözer antwortete deutsch mit der witzigen Anspielung, – er wage es nicht, sein französisch zu Papier zu geben, aus Furcht, in jeder Zeile eine – »Exeuropäane« zu machen.

De Nerciat, der Chevalier, warf sich schon in 1782 auf einen andern Sattel, und wurde – Baumeister des Landgrafen von Rotenburg. Der Marquis de Lüchet hielt sich aber auf seinem Platz.

Dies so lebhaft betriebene französische Wesen blieb aber nicht im farbigen Blätterschlusse der Hofliteratur verschlossen, ohne zugleich auch etwas vom Dufte Voltaire'scher Denkungsart und ungläubiger Zweifelsucht, wenigstens in gewissen Kreisen der Gesellschaft, zu verbreiten. Die Empfänglichkeit dafür lag ohnehin in jener für die s. g. Aufklärung gestimmten, auf diese Eroberung so stolzen Zeit. In Cassel mochte aber auch ein deutscher Theolog, freilich ohne Absicht und böse Meinung der leichteren Verbreitung freier, abweichender Meinungen vorgearbeitet haben. Nach dem Zeugnisse von Zeitgenossen hatte nämlich der damals noch lebende Joh. Christian Edelmann aus Weißenfels auch in Cassel einen starken Anhang zur Zeit des Regierungsantrittes unseres Landgrafen.

Dieser Theolog, dessen Schriften bekanntlich zwischen den englischen Deisten und den deutschen Rationalisten jener Periode allerdings eine höhere, mehr speculative Bedeutung behaupten, ging dennoch darauf aus, dem Christenthum den Boden geoffenbarter Wahrheit zu entziehen, die Bibel aus dem Lichtgewölke göttlicher Eingebung auf die gemeinsame Linie alles menschlichen Wissens von den göttlichen Dingen herab zu setzen und ihr höchstens einige Verzierung allegorischer Mystik zu lassen. Diese, einer spätern Philosophie vorauslaufenden Ansichten, die heut unter uns vertraulich Platz genommen haben, begegneten aber damals, zuerst und oberflächlich begriffen, Voltaire'schem Witz und französischem Unglauben, und mochten im ersten Rausche geneigt sein mit diesen Fremdlingen sich zu verschwistern.

Aber auch in Cassel zeigte es sich, daß der Unglaube einer so gebildeten Zeit nicht leicht als Bracteate, als Hohlmünze, sondern gewöhnlich mit der Kehrseite des Aberglaubens ausgeprägt wird. Franzosen auch dieses Schlages coursirten am Cassler Hofe. Aus Forsters Briefen wissen wir von jener 70jährigen Marquise, die in Begleitung eines alten Gauners nach Cassel kam, um Teufel auszutreiben, wozu sie in späteren Zeiten mehr Gelegenheit gefunden hätte. Sie versprachen dem Landgrafen einige Geister zu zeigen; die alte Vettel fand aber den alten Herrn nicht fromm genug dazu, und nahm lieber von ihm selbst goldene Dosen und dergleichen an.

Die ganze damalige Zeit trug ja eine solche Doppelseite offen zur Schau, – zweifelsüchtige Aufklärung und wahrheitbietende Ordensgeheimnisse, – eine Philosophie, die hinter allen Erscheinungen das Ding an sich suchte, und die Alchymie, die am Stein der Weisen laborirte. Es war die Zeit, in welcher Professor Weishaupt, der mit unserm Knigge in 1776 den Illuminaten-Orden gegründet hatte, neben Pater Gaßner wandelte, der in Bayern Teufel austrieb.


Auf diesen Kreuzwegen begegnet uns ein bekannter Mann, der in allen Geheimbündnereien jener Jahrzehnte steckte und bereits auch die Witterung der nahen revolutionären Zeit hatte. Er bringt uns vom Hofe des Landgrafen noch einmal zu den Gelehrten der Karlsschule.

Jakob Mauvillon,

ein eigenthümlicher, aus innern Widersprüchen geflochtener Charakter.

Ursprünglich brachte er schon französisches Blut mit zu seinen deutschen Studien. Er war nämlich, 15 Jahre alt, mit seinem Vater, der aus der Provence stammte, von Leipzig nach Braunschweig gekommen, wo der Alte als Sprachlehrer angestellt wurde. Hier genoß der junge Jakob guten sprachlichen und mathematischen Unterricht, setzte sich gegen das ihm vom Vater zugemuthete Studium der Rechtswissenschaft und suchte mit seinem schwächlichen und verwachsenen Körper – den Militärdienst. Wirklich diente er auch im hannoverschen Ingenieur-Corps, verließ aber die Waffen und ging nach Leipzig, um dort die ihm doch aufgebürdete Jurisprudenz mit literarischen und philosophischen Studien zu vertauschen. Nachdem er etliche Jahre an der Schule zu Ileseld für den Unterricht in französischer und italienischer Sprache gestanden, gelang es ihm in 1771 als Wege- und Brücken-Ingenieur nach Cassel zu kommen, und wurde später zum Lehrer der militärischen Wissenschaften an das Carolinum, und in 1778 zum Hauptmann beim Cadetten-Corps befördert.

Nachdem er in 1785 mit Majorsrang als Lehrer zum Ingenieur-Corps nach Braunschweig berufen worden, kam er in die bekannte Verbindung mit dem Grafen Mirabeau, dem er zu seinem berühmten Werk über die preußische Monarchie viel Stoff und eine deutsche Darstellung lieferte. Daneben schrieb er über die abweichendsten Gegenstände, – über Militärwesen und Nationalwirtschaft, über den Werth deutscher Dichter und über den Einfluß des Schießpulvers, dramatische Sprüchwörter und das Leben des Herzogs von Braunschweig, über Mann und Weib und – über den dreißigjährigen Krieg.

Eben so widersprechend verband er aristokratischen Ton und Geschmack mit republikanischen Gesinnungen, die ihm bald viel Verdruß zuzogen, wie mathematische Genauigkeit im bürgerlichen Verkehr mit einer sehr lockern Lebensphilosophie. Er wurde nur 51 Jahre alt.

Physiokratische Briefe, die er ebenfalls geschrieben hatte, waren an einen berühmten Mann gerichtet, der auch eine Zeitlang dem Cassler Carolinum angehörte,

Christian Wilh. Dohm.

Allein welches Gegenbild gibt nicht dieser gehaltene Mann zu dem von leichten Widersprüchen leicht getragnen Mauvillon ab! Und ihre Lebenswege, – wie liefen sie nicht von verwandten Ausgängen nach verschiedenen Zielen in ungleichen Längen auseinander!

Beide wurden auf der gleichen Universität Leipzig, nur in verschiedenen Jahren, von der Jurisprudenz zu den philosophischen Wissenschaften – der eine mehr zu den mathematischen, der andere zu den historischen – gezogen; beide gingen vom Lehrberufe, und literarisch von Uebersetzungen aus, zufälligerweise beide von Indien her; indem Mauvillon Reynolds Geschichte des Besitzes und Handels der Europäer in beiden Indien, und Dohm Ive's Reise nach Indien und Persien übersetzte. Mauvillon nahm aber in seinem französischen Blut und Geiste französische Motive, Dohm dagegen aus seinem Studium englischer Classiker englische Sympathien mit, Beide huldigten der Sache allseitigen Fortschritts im Völkerleben, in Staat und Wissenschaft, nur jener mehr mit stürmischem Drange, dieser mit begeisterter Besonnenheit. Mauvillon drängte nach dem Militär, Dohm lenkte nach dem Staatsmann: jener, acht Jahre älter, kam beim Jubel der französischen Freiheit und Gleichheit, dieser bei den Geheimnissen des preußischen Cabinets an; jener bekannte sich mit aristokratischen Manieren zur französischen Demokratie, dieser, Predigersohn aus Lemgo, ging mit bürgerlichen Gewohnheiten, von Preußen geadelt, nachmals als Gesandter des Königs Jerôme von Westfalen nach Dresden.

Seitdem sind Mauvillons Schriften ziemlich vergessen; Dohm's wird noch immer um seiner »Denkwürdigkeiten« willen gedacht von Lesern, die eines so patriotischen, gemüthvollen Historikers tief gefaßtes und treu ausgeführtes Zeitgemälde zu würdigen wissen.

Der junge Dohm hatte die ihn hemmende Stelle eines Pagenhofmeisters des Prinzen Ferdinand von Preußen aufgegeben und sich in Göttingen seinen historischen und staatswissenschaftlichen Studien gewidmet, als er auf Veranlassung des Ministers v. Schlieffen an das Carolinum nach Cassel berufen wurde, um Oekonomie, Finanzwissenschaft und Statistik zu lehren. Auch übernahm er Unterricht an der Militärschule und Kameralaufträge, z. B. für vortheilhaften Anbau des Grappes.

Wer hätte hinter einem gerade in diesen Feldern beschäftigten Manne den Mitunternehmer des »deutschen Museums« gesucht? Aber Dohm war es wirklich in 1776 und 1778, und gab auch über ein Dutzend Beiträge zu dieser, in Fragen der Wissenschaft, der Dichtung und des thätigen Lebens stets freisinnigen Zeitschrift, – Artikel, durch die er sich auch um die ältere deutsche Literatur verdient machte.

Indeß sagte ihm das Katheder nicht recht zu. Schon in 1777 machte er mit Urlaub eine wissenschaftliche Reise, auf welcher er auch in Berlin dem großen Friederich vorgestellt wurde. Er kam mit Aussichten für eine Anstellung in Preußen wieder zurück und wurde im Herbste 1779 vom Minister v. Herzberg für das Archiv und die auswärtigen Angelegenheiten mit dem Titel eines Kriegsrathes berufen. Seine staatsmännische, diplomatische und wissenschaftliche Thätigkeit fällt von hier an über Cassel hinaus.


Wir sind schon in dem engen Kreise deutschen geistigen Lebens, wie es damals einen halbfranzösischen Fürstenhof umgab, Männer von so reicher und selbstständiger Begabung, wie Mauvillon und Dohm, begegnet, die sich auf Veranlassung angesehener Weltleute oder unternehmender Buchhändler dazu verstanden, tüchtige Reisewerke und Schriften fremder Nationen über Länder- und Völkerkunde zu übersetzen. Wir irren wohl nicht, wenn wir daraus auf eine in Deutschland lebhaft erwachte Theilnahme an der weiten Welt schließen, an Fahrten und Unternehmungen, unsern spießbürgerlichen Landsleuten im damaligen Zustande Deutschlands bei weitem fremder, als es heute der Fall ist. Kaum können wir uns daher einen lebhaften Begriff von dem Staunen machen, das auf den ersten deutschen Weltumseglern, auf beiden Forstern ruhte und von dem Aufsehen, als

Georg Forster,

der Sohn, am 1. Dezember 1778 in Cassel erschien. Er war es ja, der Cooks zweite Entdeckungsreise mitgemacht, der mit Jünglingsaugen die Kindheitsvölker des südlichen Ozeans gesehen und der sogar Sachen aus dem Paradies Tahiti in Koffern und Kisten mit sich führte.

Wie ward er begrüßt, als er den Abend bei Dohm mit Mauvillon zubrachte, wie geehrt, als er andern Tags beim Minister v. Schlieffen zu Mittag speiste, wie gnädig empfangen, als er im Antiquitäten-Cabinette dem Landgrafen ein Werk seines Vaters überreichte, und mit schlauer Pietät die Kunstschätze des Fürsten rühmte.

Diese Pietät galt seinem in London tief verschuldeten Vater, für den am Carolinum eine Stelle zu suchen der brave Sohn eben gekommen war. Allein jener berühmte Mann mit seinen großen Bedürfnissen und einer starken Familie war dem etwas erschöpften Fürsten zu theuer; wogegen er den 25jährigen Sohn fast gegen dessen Willen als Professor der Naturkunde mit einem Gehalte von 450 Thalern festhielt.

Hier verlebte Forster fünf Jahre, zurückgezogen und in seiner Zurückhaltung mißverstanden, in Kummer und Sorgen um seine Eltern und Geschwister, mit kleinen körperlichen Leiden und mit Schulden kämpfend und in einer tiefen, geistigen Krise begriffen.

Schon in England war er in den Bund der Freimaurer gekommen, und fand nun in Cassel nicht nur die Loge »Friedrich von der Freundschaft«, sondern gerieth auch in eine Verbrüderung von Rosenkreuzern, die in auswärtigen Verbindungen standen. Man laborirte auf die Goldtinctur, mit welcher man unedle Metalle in Gold zu verwandeln dachte, auf das Arcanum, eine jugendliche Gesundheit zu erhalten, ja selbst auf Enthüllungen aus dem Geisterreiche durch die Kraft des Gebetes. – Der Glaube an Wunder der Chemie lag einmal in der Zeit, entsprungen aus der geheimnißvollen Kindheit der Wissenschaft und als die Kehrseite des damaligen religiösen Unglaubens der höhern Stände, wie heut umgekehrt dieselbe Wissenschaft dem religiösen Ueberglauben, dem Eifer eines bornirten Christenthums, die Kehrseite einer Abläugnung aller übersinnlichen Existenz entgegen hält.

Auf bloß vornehme Kreise schloß sich aber der Rosenkreuzer'sche Geheimbund nicht ab. Forster erwähnt eines Apothekers Fiedler und eines Uhrmachers Senger, die noch später fortlaborirten. Schwerlich fehlte Mauvillon bei diesen Geheimnissen, und ein Major v. Canitz, so wie der in 1780 eingetretene Minister von Fleckenbühl, genannt Bürgel, lassen sich aus brieflichen Aeußerungen Forsters vermuthen; obschon wir von des Letzteren Rosenkreuzer'schen Praxis nicht so viel wissen, als von seinem Buche: »Der Wetzlarsche Practikant.«

Die Verirrung des jungen Forster brachte ihn um Zeit und Geld; so daß er in jenem Zustand auch wenig schrieb, nachdem er doch schon als Knabe seinem Vater an Uebersetzungen aus verschiedenen in verschiedene Sprachen geholfen hatte, und die von ihm abgefaßte Beschreibung seiner Reise um die Welt in Deutschland eben so fleißig gelesen war. Sein Unbehagen und Unmuth nahm mit jedem Tage zu, so daß er eines unerwarteten Rufs an die Universität Wilna, so bedenklich eine solche Übersiedelung erschien, doch sehr froh ward, und im Frühling 1784 Cassel verließ.

Bei der tiefen Eingenommenheit seines Gemüthes bleibt es zu bedauern, daß ein so guter Beobachter der Welt über jene interessante Cassler Zeit fast gar nichts in seinen Briefen mittheilt. Außer einigen moralischmißbilligenden Seitenblicken auf das Hofleben gedenkt er nur des Wiedersehens zwischen dem Landgrafen und seinen drei Söhnen nach einer Trennung von 29 Jahren. Der Erbprinz ward auf der Parade zum General-Lieutenant erklärt, wobei – zur Parade viel geweint und sich gefreut wurde.

Das einzig glückliche, und in seiner Art auch wahrhaft einzige Verhältnis, das Forster in Cassel hatte, war das seiner Freundschaft mit

Thomas Sömmering.

Dieser, von gleichem Alter mit Forster, war auch dessen Landsmann aus polnisch Preußen, nämlich aus Thorn, wie Forster aus der Nachbarschaft von Danzig gebürtig. Beide hatten sich kennen gelernt und einen Herzensbund geschlossen, als Sömmering, um seine anatomischen und physiologischen Studien bei dem berühmten John Hunter zu vollenden, nach London kam und die Familie Forster aufsuchte. Bis er nachher über Edinburg und vom Anatomen Monro nach Deutschland zurückkehrte, hatte der junge Freund die Anstellung in Cassel erhalten, und verhalf ihm selbst, durch Verwendung beim Minister v. Schlieffen, zur eben vacant gewordenen Lehrstelle der Anatomie am Carolinum.

Hier richteten sich beide auf dem traulichsten Fuß ein. Forster nahm seinen Tisch bei Sömmering, zog ihn aber auch zu seinem alchymistischen Tiegeln und Retorten. Beide laborirten, einer den andern bestärkend, an der gemeinsamen Befangenheit, auf gemeinsames Glück und mit gleichen Verlusten. Als sie endlich ihre Verirrung erkannten und sich vom Geheimbunde lossagten, verließ Forster Cassel, und nun hielt es auch Sömmering, aus Angst vor Rache der Geheimbündler, nicht mehr aus, sondern nahm der ersten Gelegenheit wahr, als Professor der Anatomie an die Mainzer Universität zu kommen.

So wenig auch er in Cassel zu literarischer Tätigkeit aufgelegt gewesen war, hatte er doch eine der Wunderlichkeiten des Landgrafen Friederich – die kleine Negerkolonie in der Nähe von Weißenstein (Wilhelmshöhe:) – nicht unbenutzt gelassen, und mittelst Zergliederung mehrerer schwarzen Leichen die Verschiedenheit des Körperbaues der Neger und der Europäer zu ermitteln versucht. Mit einer Abhandlung darüber, die in Mainz gedruckt wurde, machte er seinen Uebergang dahin. – –

Ehe jedoch beide Freunde Cassel verließen, erschien daselbst ein Mann, der eben auf der ersten Staffel seines nachmaligen Ruhmes stand, – der Historiker

Johannes Müller.

Dieser 29jährige Pfarrerssohn aus Schafhausen, der nach seinen göttinger Studien bei Freunden und Gönnern in der Schweiz da und dort gelebt, zu einer großen Weltgeschichte ein erstaunliches Material aufgestapelt und den ersten Band seiner Schweizergeschichte heraus gegeben hatte, kam eben aus Berlin von einer Unterhaltung mit dem großen König, niedergeschlagen von mißlungenen Hoffnungen auf einen Platz in der Akademie, nach Braunschweig, wo ihn die huldvolle Aufnahme des Hofes in etwas beruhigte. Hier erhielt er von Schlieffen einen Ruf auf die durch Dohms Abgang noch offene Stelle am Carolinum.

Es war im Mai 1781, als er in Cassel erschien, von dem Minister herzlicher, als von seinen künftigen Collegen aufgenommen. Sein Ruf war so wenig günstig, daß selbst Forster, damals so leicht für ausgezeichnete Menschen eingenommen, es kaum über sich vermochte, dem kurzen, dicken, unruhigen Manne mit dem schwammigen Gesicht und den groß hervortretenden, leicht entzündlichen blauen Augen nur mit der schicklichsten Höflichkeit zu begegnen. Außer anderem, was man sich über ihn nur zuflüsterte, hielt er Müllern auch für einen Achselträger, der den Mantel nach dem Wind hänge. Nach und nach aber wurden sie doch gute Freunde, und Forsters Briefe aus jener Zeit lassen sogar vermuthen, daß auch Müller an den Rosenkreuzerschen Geheimnissen einigen Antheil genommen habe.

Mit Schlieffen kam Müller dagegen auf bessern Fuß, als die andern Professoren. Er war öfter bei ihm in Wendhausen und machte im September seines ersten Jahres eine Lustfahrt mit ihm nach Geismar, wo eben der berühmte Domherr und Statsmann von Fürstenberg mit der ihm befreundeten Fürstin Gallitzin verweilte.

Hofgeismar, in der Nähe von Cassel, zählte damals zu den auch von auswärts besuchten Bädern. Landgraf Friederich hatte manches zur Einrichtung und Verschönerung desselben gethan. Der Brunnenarzt Schröder legte auch großes Gewicht auf die heilsamen Wirkungen dieses »eigenthümlich seifenartigen« Wassers, während Bopp, der oben erwähnte berliner Finanz-Nothhelfer, in seiner satyrischen Weise Freunden in's Ohr flüsterte: Hofgeismar sei eine prächtige Pferdeschwemme; es müsse aber ein Geheimniß bleiben.

Wir können vermuthen, was den Minister Schlieffen so lebhaft zu dem sonst nicht sehr einnehmenden Müller zog: er bewunderte den Historiker und dessen Styl, – er selbst eben beschäftigt, sein das Jahr vorher erschienene Buch »Nachricht von dem pommerschen Geschlecht der Slievin oder Schlieffen« zu einer neuen Ausgabe umzuarbeiten. Eine Geschichte der Entwicklung des Adels geht jenen Nachrichten voraus. Es ist ein höchst achtbares Buch, für welches man sich schon voraus durch das beigegebene Brustbild des hübschen, offen ausblickenden Autors eingenommen fühlt, und über welches Müller an Bonstetten schrieb, – es werde nicht verkauft, aber es enthalte über den Adel, über das Lehn- und Faustrecht, über die Geschichte der Sitten, über Religion, Reisen und andere Gegenstände, so schöne Gedanken in eigenthümlich starker, bilderreicher Schreibart, daß er es über alle andere Geschichtsbücher hinauf setze.

Und allerdings mag diese Abhandlung zu dem Besten gezählt werden, was über die Geschichte des Adels in wirklich edler Sprache und mit geistvollen Ergebnissen unparteilicher Forschung erschienen ist. Nachahmung des Müller'schen Styls ist übrigens unverkennbar darin.

Schlieffen nahm wirklich eine literarisch-freundschaftliche Stellung zu Müllern. Er trieb ihn fortwährend zum Schaffen an: »jede Stunde, die nicht für das Publikum verwendet werde, sei verloren.« Er schrieb zu Müllers Schweizergeschichte 36 Seiten Anmerkungen, kritisirte auch dessen Leistungen und tadelte z. B. in einem Billet an ihn hinsichtlich der von Müller herausgegebenen Essais historiques eine gewisse Ungenauigkeit mit den artigen Worten:

Il m'a paru que le feu de Votre beau genie Vous a fait préferer quelquefois le brillant à l'exactitude.

So lernte auch Müller erst durch Schlieffen unser altes Gedicht »Chriemhilds Rache« kennen, indem der Minister nicht ruhte, bis der Ablehnende es endlich und zwar zu großer Zufriedenheit vornahm.

Schon nach zwei Jahren, im Sommer 1783, kehrte Müller in die Schweiz zurück, von einer Art Heimweh zu seiner Schweizergeschichte und von Pietät für seinen 80 Jahre alten Gönner Tronchin getrieben.

Aus Cassel datirt das bekannte kleine Buch Müllers: »Die Reisen der Päpste.« Vielleicht läßt sich sagen, daß dies Büchlein weniger historische Bedeutung in der Literatur, als psychologischen Werth in Bezug auf den Verfasser selbst habe. Indem es ihm nämlich in weiten und höchsten Kreisen katholische Sympathien und glänzende Aussichten sogar bis nach dem Vatikan zuwege brachte, gab es dem zur römischen Kirche und Politik gelockten Manne, der in so vielen Stücken die Welt über seine gutmüthige und ehrgeizige Fügsamkeit nicht im Zweifel ließ, die schöne Gelegenheit, sich auf seiner hohen Lebensfahrt durch Cabinette und Ministerien wenigstens in dem einen Stücke seines mitgebrachten protestantischen Glaubens männlich fest und treu dazuthun.

So beharrlich stand er in Wien auf einer Stelle, die nach ihm ein Gentz, ein Friedrich Schlegel, ein Adam Müller, Jarcke und Hurter nur als Abtrünnige des Protestantismus einnehmen konnten.

Indem nun die Männer deutscher Berühmtheit Cassel verlassen, finden wir uns wenig gestimmt, noch einige unbedeutendere Gelehrte der Friedrichsschule zu mustern. Nur eine Dichterin dürfen wir nicht unbegrüßt lassen, die uns auch noch in das Atelier eines Hofkünstlers einführt.

Eines schönen Tages im Sommer 1780 war nämlich Philippine Gatterer, Tochter des berühmten Hofraths und Historikers in Göttingen, von da nach Cassel herüber gekommen, sich vom Akademie-Direktor Tischbein malen zu lassen. Wahrscheinlich sollte einem Bändchen ihrer Gedichte oder einem Musenalmanach das Brustbild der Dichterin als Schmuck beigegeben werden, so bescheiden auch Philippine selbst von ihren Poesien dachte. Denn sie machte nicht einmal Anspruch auf Kunst, sondern wollte durch einfache, zwanglose Natur rühren; wie sie es bildlich in den Versen ausdrückt:

Durch dichtgeschnitzte Taxus bricht
Nie weder Sonnen- noch Mondenlicht:
Da durch den Baum, der kunstlos blüht,
Die sinkende Sonne malerisch glüht,
Und selber der Mond durch die Zweige blinkt,
Wenn Abends die Flur vom Thaue trinkt.

Während sie nun dem berühmten Maler saß, nahm ihre Liebenswürdigkeit das freundschaftliche Herz des bejahrten Mannes ein, und er vermittelte die Bekanntschaft eines jungen Freundes mit ihr – Engelhards der etliche Jahre älter als sie, eben wirklicher Kriegssekretarius geworden war, und sehr bezüglich Philipp hieß. Philipp und Philippine gefielen sich, erklärten sich, heiratheten sich – versteht sich in anständigen Zwischenräumen des Eintrocknens und Uebermalens von Bild und Liebe.

Der Verfasser dieses hat den glücklichen Folgen dieser Verbindung eine Episode seines Romans »Jerômes Carneval« gewidmet. Er ist dabei den Mittheilungen eines damaligen Zeitgenossen in Cassel gefolgt, die nachher von andern als nicht ganz richtig bezeichnet worden sind. Aber freilich wollte er nicht sowohl der geschichtlichen Wirklichkeit, als der inneren poetischen Wahrheit jener Verhältnisse gerecht werden.

Wir lassen den Anlaß nicht vorüber gehen, ohne uns mit jenem berühmten Maler selbst bekannt zu machen.

Joh. Heinrich Tischbein,

aus der zahlreichen Künstlerfamilie dieses Namens, war der fünfte Sohn des Klosterbäckers in Haina, damals 58 Jahre alt.

Sein energisches Talent hatte sich früh geregt und durch die beschränktesten Verhältnisse Bahn gebrochen. Er fiel als Knabe von selbst auf eine Art Pastellmalerei, indem er mit drei verschiedenfarbigen Kreiden auf die Ecken des gescheuerten Familientisches Gesichter malte, die unter dem nächsten Waschlappen der Mutter wieder verschwanden. Um nun seine Schöpfungen zu erhalten, brachte er sie auf zusammengelesene Papierstückchen mit Pinseln, die er sich aus Distelblumenfäden oder aus Besenreißern, an einem Ende faserig geklopft, bereitete.

Vierzehnjährig kam er dann zu einem Tapetenmaler nach Cassel, wo er doch einiges zu seiner Ausbildung ermitteln konnte. Nun malte er auch gleich Brustbilder hier und auf einem Besuche bei Verwandten im Darmstädtischen.

Zwanzig alt, wird er bei seinem Bruder, der in Hanau für einen Herrn Vandervelde malte, dem Mainzer Großhofmeister, Grafen Stadion, bekannt, jenem bei Professor Piderit schon erwähnten aufgeklärten Rathgeber des Kurfürsten aus dem Hause von Ostein. Stadion schickte auf seine Kosten den jungen Maler von so drängendem Talente nach Paris, wo er bei Andreas Vanloo – und nach Venedig, wo er bei Piacetta seine Studien machte, dann über Florenz nach Rom ging, und hier zwei Jahre blieb.

Nach seiner Rückkehr ward er von seinem Gönner dem Landgrafen Wilhelm, Friedrichs Vater, empfohlen, der im Sommer 1752 Schlangenbad gebrauchte und sich nach einem guten Maler umthat. Zu seiner Zufriedenheit mit Tischbeins Probebild, dem Portrait der jungen Gräfin Stadion, erfährt der Landgraf auch noch, daß der Maler ein hessisches Landeskind ist, und nimmt ihn zu seinem Cabinetsmaler an. Friedrich, als er die Regierung angetreten, befördert ihn zum Professor der Malerei am Carolinum, bis er in 1776 eine eigene Akademie für die Malerei, für Bau- und Bildhauerkunst gründete und Tischbein zum dirigirenden Professor bestellte.

Aus dieser Friedrichschen Periode rühren Tischbeins beste Sachen an historisch-mythologischen Gemälden und an Portraiten. Er ward für den Landgrafen, was Stieler später für König Ludwig war, – er malte ihm eine Sammlung schöner Hofdamen und Landestöchter. Aber an diesem Cabinet de beautés in Wilhelmsthal steht man mit bedauerndem Vergnügen, wie ein großes Talent in eine verkehrte Zeit fallen und in verschobene Lebenskreise gerathen kann. Der Pinsel ist meisterhaft zart und fein, und in der Anordnung des Bildes auch des Künstlers guter Geschmack noch frei; aber die Hofschönheiten selbst konnte er nicht naiv oder charakteristisch auffassen, sondern sie mußten durchaus in den conventionellen Gewändern, Mienen und Geberden erscheinen, durch welche sie auch auf der Leinwand noch hoffähig blieben.


So stehen wir denn noch einmal am Hofe des Landgrafen.

Einst hatte Friedrich unter schweren Besorgnissen des Landes die Regierung angetreten, – eng gebunden in seiner monarchischen Gewalt durch die zur Sicherung der protestantischen Landesverfassung ihm auferlegte Acte, die man in Wien für eine unverpflichtende Beschränkung seiner Machtvollkommenheit erklärte. – Indem er aber seinem fürstlichen Worte dennoch treu blieb, und von seinen Ministern berathen, gegen alle wiener Anerbietungen an der Politik mit Preußen festhielt, hatte er schnell das Vertrauen und die Liebe seines Volkes gewonnen, und statt eines täuschenden Länderzuwachses ein inneres Feld echt fürstlichen Schaffens erobert.

Nun war die Stadt erweitert, neue Häuser, ansehnliche Paläste standen erbaut, es fehlte nicht an Arbeit und Erwerb; denn zahlreich besetzte Behörden, eine prächtige Garnison, ein reicher Hofetat, Oper und Ballet, aber auch Manufacturen und Fabriken nährten bürgerliche Thätigkeit und Handelsverkehr.

Cassel war damals eine Residenz des Frohsinns und der Lebenslust – in mehr als einer Hinsicht, selbst im Keper zweier Hofsprachen, ein Vorspiel des ein Vierteljahrhundert spätern Jerome'schen Hofhaltes. Fremde Herrschaften, Reisende aller Art kamen dahin; das Museum, die Bildergalerie, die für damals seltne, sogar mit einem Elephanten besetzte Menagerie, das Personal der Karlsschule, alles das zog auch Gelehrte, Literaten, Künstler herbei. Wir wissen von Gottsched, Gleim, Tetens, Goethe, Fürstenberg, Jacobi, die Cassel besuchten. Sogar der berühmte niederländische Anatom Camper, dieser Mann der ungewöhnlichsten Begabung, erschien, die Menagerie zu besehen.

Bei solchem Frohsinn war selbst dem Spiel und der Laune des Glückes ein Raum gegönnt. Und so strömte wöchentlich alles aus der Umgegend herein, um die mit Trompetenschalle verkündeten Glückszahlen des Lotto zu vernehmen, das in 1771 vom Grafen Bollo gegründet war.

Die Trompete tritt überhaupt in jenen lustigen Tagen als ein beliebtes Instrument auf; denn auch ein Bäcker Wagner in der Königsstraße gab, so oft seine beliebten Speckkuchen warm aus dem Ofen kamen, Trompetensignale vor seinem Laden.

Dem Schöpfer solcher glanzvollen Herrlichkeit wurde an seinem 63. Geburtstage das von den Landständen votirte Denkmal, von Professor Nahl in Marmor ausgeführt, feierlich enthüllt. Auf dem Friedrichsplatze steht es als ein Denkmal jener Tage.

Zwei Jahre später, am letzten Oktober 1785, als der Landgraf auf Schloß Weißenstein lustig und vergnügter Dinge am Schlusse der Tafel eben seine Tasse Rhabarber trinken wollte, ward er, vom Schlage getroffen, ohne Todesahnung dahin genommen. – Er hinterließ, wie man sagt, einen Schatz über das Doppelte der 22 Millionen englischer Subsidien.

Mit seinem Nachfolger und Erben veränderte sich die Scene.

Schlieffen verließ Cassel und ging vorerst in preußische Dienste. Ueber die Verwaltung des Museums ward eine Untersuchung verfügt und der Marquis de Lüchet überließ seinen Gläubigern die von ihm in letzter Zeit gegründete Buchhandlung, und machte sich eines stillen Aprilmorgens 1786 aus Cassel fort.

Der Postillon durfte zu dieser traurigen Abfahrt nicht blasen; der Marquis selbst aber ließ aus sicherer Ferne die Trompete seiner Verdienste hören: »Er habe als Günstling des Fürsten ein Jahrzehend lang Geschmack und Kenntnisse in einem Lande verbreitet, das mehr durch die Schönheit seiner Soldaten, als durch Liebe zu den Wissenschaften bekannt gewesen sei.«

Wer von Gelehrten noch anwesend war, siedelte nach Marburg über an die Universität, mit welcher das Carolinum vereinigt wurde.

Militär- und Civilstaat erfuhren starke Reductionen; die französische Bühne und die Menagerie wurden aufgehoben, die Bildergalerie zugeschlossen.

Der Hof des getrennt wohnenden fürstlichen Paares verdunkelte, und in der Residenz ward es stille.

Protestantische Fasten traten ein nach dem katholischen Carneval. Und freilich geht es in Cassel, wie im Kalender: Die Fasten dauern länger, als die Fastnacht. Und wenn es auch nach dem Fastensonntag Reminiscere noch – fette Schnepfen gibt: wem kommen sie zu gut?



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