Adolph Freyherr Knigge
Politisches Glaubensbekenntniß
Adolph Freyherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Abschnitt

Bemerkungen über gewaltsame Revolutionen überhaupt.

Nichts kömt mir alberner vor, als wenn man sich in moralischen und politischen Gemeinsprüchen über die Befugnisse und Nichtbefugnisse einer ganzen Nation, ihre Regierungsform zu ändern, ergießt; wenn man darüber raisonnirt, was ein Volk, wenn es sich empört, hätte thun sollen, und wie es hätte besser und gelinder handeln können und sollen, und ob zu viel oder zu wenig Blut dabey vergossen worden. Ja! wenn von einem Plane die Rede ist, den ein einzelner Mann entwirft; wenn die Frage ist: ob Brissac recht und weise handelte, als er, ehe Heinrich der Vierte sich auf dem Throne befestigt hatte, über dem Entwurfe brütete, aus Frankreich eine freye Republik zu machen; dann läßt sich vielleicht entscheiden, in wie fern er dazu Befugniß und Veranlassung hatte, ob er, bey der damaligen Stimmung und politischen Lage der Nation, sich mit einem glüklichen Erfolge schmeicheln durfte, oder nicht, und welche Mittel er hätte anwenden sollen und können, um seinen Zwek zu erreichen; wenn aber ein ganzes Volk, durch eine lange Reihe von würkenden Ursachen dahin gebracht ist, seine bisherige Regierungsform, die nicht taugte, die nicht in die jezzigen Zeiten, nicht zu dem gegenwärtigen Grade der Cultur paßte, in welcher sich der größte Theil der Bürger unglüklich fühlte, mit Gewalt über den Haufen zu werfen; wenn sie alle hierzu durch einen Geist belebt werden, den ihre elende, verzweifelte Lage in ihnen erwekt hat; wenn dies also nicht nach einem bestirnt angeordneten Plane, sondern durch einen Windstoß geschieht, der auf einmal das Feuer, das lange unter der Asche geglimt hatte, in helle Flammen auflodern macht – wer kann da Ordnung fordern? wer kann da bestimmen, ob zu viel, oder zu wenig geschieht? Schreibe dem Meere vor, wie weit es fortströhmen soll, wenn es den Damm durchbricht, den Jahrhunderte untergraben haben!

Und wenn auch bey solchen gewaltsamen Umwälzungen Scenen vorfallen, bey deren Anblikke die Menschheit zurükschaudert; wer trägt dann die Schuld dieser Gräuel? Ganz gewiß mehr die, gegen welche man sich empört, (oder vielleicht ihre Väter) als die Empörer selbst –Auf sie, die entweder durch despotische Mishandlungen das Volk aufs Äußerste gebracht, oder durch Beyspiel und Beförderung des schändlichsten Luxus und aller Wollüste wahren Seelen-Adel und Einfalt der Sitten in allen Klassen der Bürger zerstört, oder wenigstens, sorglos in ihrem Berufe, von boshaften, gleißnerischen, raubsüchtigen Schranzen umgeben, die Unterthanen der Verführung, der Plünderung und dem Drukke preis gegeben, es gegen jede Herrschaft, gegen jeden Zwang erbittert, alle Herzen von sich abgelenkt haben – Auf ihnen ruht die Sünde. Die Menschen im Ganzen lieben Ruhe und Frieden, sezzen nicht leicht den mäßigen aber sichern Genuß des Gegenwärtigen aufs Spiel, bey der Aussicht eines mühsam zu erkämpfenden ungewissen Künftigen; allein wenn der Despotismus es dahin gebracht hat, daß die Staats-Verfassung einem Kriege Aller gegen Alle ähnlich sieht; wenn jeder nimt, wo er ungestraft nehmen darf, niemand Gesezze anerkennt, sobald er sich Impunität erschleichen, ertrozzen, oder erwürken kann; wenn kein Eigenthum mehr respektirt wird; wenn kein Bürger sicher ist, den Erwerb seines Fleißes vor den Klauen der Raubthiere bewahren zu können; wenn man endlich doch Leben und Freiheit wagt, man spiele das große Spiel mit, oder nicht – wer wird es dann auch dem Sanftmüthigsten zum Verbrechen machen wollen, daß er, statt sich geduldig schinden zu lassen, mit drein schlägt, mit zugreift, da, wo so viel zu gewinnen, und keine andre Gefahr zu laufen ist, als die ihm, nicht weniger, täglich in seiner friedlichen Hütte drohte, als er sich auch nicht regte?

Überhaupt ist es ganz verlohrne Mühe, zu raisonniren über die Befugnisse eines Volks, seine Regierungs-Verfassung zu ändern. In den großen Plan der Schöpfung gehören diese Umkehrungen; sie sind unvermeidlich; sie werden herbeygeführt durch die Ebben und Fluthen der Cultur; die Menschen sind nur die Werkzeuge in der Hand der alles ordnenden Vorsehung. Ist der Zeitpunkt da, stimmen alle Umstände dazu ein; so sind alle Würkungen einzelner Leute, alle Anstalten der Regenten, alle Predigten und Deklamationen dagegen vergeblich. Das Recht des Stärkern ist in der ganzen Natur herrschend. Worauf sonst, als auf dieses Recht gründen die Despoten ihre Gewalt? womit sonst, als mit diesem Rechte des Stärkern machen sie uns, an der Spizze von hunderttausend Mann, die Gründe, worauf ihre Deduktionen gestüzt sind, anschaulich? Ist dies Recht aber nicht auf ihrer Seite; so haben auch ihre Gründe wenig Gewicht und sie müssen dem nachgeben, der mit mehr Nachdruk den Beweis seiner Rechtmäßigkeit führt. Von der Natur sind nun einmal die Menschen nicht in Classen getheilt, nicht einige zum Gehorchen, andre zum Herrschen bestimt. Der Mensch, der sich von einem Menschen regieren läßt, thut dies entweder, weil er muß, oder weil er will. Er muß, wenn der andre stärker ist, sey es an Cörper, oder Geiste, oder durch Bündnisse mit Mehrern. Er will, wenn er sich behaglich dabey fühlt, oder wenn er in dem Wahne steht, der andre sey auf irgend eine Weise berechtigt, ihm Gesezze vorzuschreiben. Wenn aber kein Übergewicht da ist; wenn Liebe und Zutraun aufhören; wenn Unzufriedenheit eintritt und Wahn verschwindet – dann demonstrire einmal, drohe einmal, Fürst, Moralist, Staatsmann! und siehe zu, ob du etwas ausrichtest! Denn (möge auch der Saz noch so herbe klingen!) man kann dem Menschen die Nothwendigkeit der Erfüllung aller moralischen Pflichten unwiederleglich beweisen; aber ich weiß nicht, wie man es anfangen kann, einen Menschen zu überzeugen, daß er eine natürliche, angebohrne Verbindlichkeit auf sich habe, einem andern Menschen von Fleisch und Bein zu gehorchen, wenn er dies nicht glauben will, nicht glauben muß, oder nicht sein Interesse dabey findet, es zu glauben. Seine Vernunft sagt es ihm nicht; die Religion sagt ihm, daß er seiner Obrigkeit gehorchen solle; aber wer diese Obrigkeit seyn soll, und wer das Recht hat, sie einzusezzen, da wir keine Theokratien mehr haben; das sagt sie ihm nicht und das ist doch der Punkt, worauf es ankömt. Gegen Contrakte, die er nicht selbst geschlossen hat, wird er viel Einwendungen finden, wenn sie ihn drükken; die Beförderung der allgemeinen Ruhe, des allgemeinen Wohls kann einen Philosophen bewegen, Privat-Vortheile aufzuopfern, aber nicht den Pöbel – Diesen zum ruhigen Gehorsame zu bringen wenn man ihn, weder durch Wahn, noch Gewalt zwingen kann, dazu giebt es, ich sage es noch einmal, kein andres Mittel, als daß man in ihm den freyen Willen erwekke, gern zu gehorchen. Wie dies möglich zu machen sey, das soll noch, zur Erbauung aller Regenten, in diesen Blättern gezeigt werden, und ich zweifle nicht, einer von ihnen wird mich für dies Recept mit einer kleinen jährlichen Pension von einem paar tausend Thälerchen belohnen. Unter den zahlreichen Geschenken, die sie aus fremden Beuteln nehmen, würde dieses, denke ich, nicht am schlechtesten angelegt seyn; und ich will ihnen dann nie wieder ein Recept aufdringen.


 << zurück weiter >>