Adolph Freyherr Knigge
Politisches Glaubensbekenntniß
Adolph Freyherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

Es ist nun ein Jahr verflossen, seit mein Herr Vetter, der Advokat Benjamin Noldmann, in Goßlar, ehemaliger Baalemaal oder Gentilhomme de la Chambre am kaiserlichen Hofe in Gondar, seine Geschichte der Aufklärung in Abyssinien herausgab. Hätte er mich um Rath gefragt; so würde ich ihn davon abgemahnt haben, und ich erschrak nicht wenig, als mir das Buch zu Gesichte kam. Nicht, daß ich glaubte, ein Gentilhomme de la Chambre dürfe nicht auch einmal ein historisch-philosophisch-politisches Werk herausgeben; (hat doch der Gentilhomme ordinaire de la Chambre, Herr von Voltaire, deren viele in die Welt geschikt) allein ich kannte meinen Herrn Vetter zu gut, als daß ich nicht hätte ahnden sollen, er werde schwerlich unterlassen können, mit zu viel Feuer seine republikanischen Kezzereyen auszukramen und andre ein wenig kühne Säzze einzumischen, die ihm leicht misgedeutet und gefährliche Folgen für ihn haben könnten; denn da die beiden grösten Mächte des Erdbodens, Dummheit und Bosheit, in allen Winkeln der Welt ihre Residenten und Agenten haben, welche jeden frey denkenden und frey redenden Mann als einen Aufrührer verdächtig machen; so ist es ein kizlicher Punkt, diesen sich blos zu stellen. Desfalls nun legte ich mich auf Kundschaft, um zu erfahren, welchen Eindruk jenes Buch auf das Publikum gemacht hätte; und da bestätigte sich denn wenigstens ein Theil dessen, was ich befürchtet hatte. Verschiedne geistliche Herrn fanden sich hauptsächlich dadurch beleidigt, daß darin von ihrem Stande und der edeln Dogmatik nicht mit der gehörigen Schonung wäre gesprochen worden; Edelleute meinten, Herr Noldmann mögte nur aus Neid sich gegen den erblichen Adel erklären, weil er selbst das Unglük hätte, von bürgerlicher Abkunft zu seyn; Rechtsgelehrte sagten, Herr Noldmann müsse wohl ein schlechter Jurist seyn, weil er mit Geringschäzzung von der erhabensten und einträglichsten aller Wissenschaften redete; verschiedne Ärzte warfen ihm Undankbarkeit gegen die wohlthätige und zuverlässige Heilkunde vor – kurz! wenn auch jeder heimlich alles so ziemlich der gesunden Vernunft gemäß fand, was mein Herr Vetter über Menschenrechte und bürgerliche Einrichtungen gesagt hatte, so ließ er doch das nicht gelten, was seinen besondern Stand angieng. Nun nahm ich mir gleich damals vor, ein paar Bogen wenigstens zu Vertheidigung der politischen Grundsäzze des Herrn Noldmanns zu schreiben. Ich wollte darin ungefehr folgende Säzze ausführen: »In der Geschichte der Aufklärung von Abyssinien sind Misbräuche in den Staats-Verfassungen gerügt, deren, mehr oder weniger, in jedem Lande angetroffen werden. Das Bild der Ausartung der bürgerlichen Gesellschaften und ihres Wiederspruchs mit den ersten Zwekken des Societäts-Vertrags, ist zwar mit sehr starken Farben ausgemalt; aber nicht, als hätte der Verfasser dadurch zu erkennen geben wollen, daß alle diese Misbräuche in allen Staaten herrschend wären, sondern nur, um aufmerksam zu machen auf die fürchterlichen Folgen, die nothwendig entstehn müssen, wenn man sich immer weiter von den ursprünglichen, heiligen Rechten der Natur entfernt; zu zeigen, wie tief der raffinirte Despotismus mit allen seinen Ressorts, an der Hand des Luxus und der Sittenlosigkeit, die Völker herabwürdigen kann; wie dann aber selbst seine schimmernde Blüthe den Saamen zu einer neuen Sprosse trägt, welche hervorschießt, bald ihn selbst unterdrükt und weit umher Wurzel faßt; wie die, lange Zeit hindurch mishandelten Völker, wenn ihr Elend und der Druk aufs Höchste gestiegen sind, und sie, bey einer andern Ordnung oder Unordnung der Dinge, nichts verlieren, aber vielleicht alles gewinnen können, die Augen öfnen, an der eignen Fakkel des Despotismus, nämlich an der Aufklärung, welche die feinere Cultur herbeigeführt hat, ihr Licht anzünden und damit endlich ihren armseeligen Zustand beleuchten; wie hierauf vergebens alle Mittel angewendet werden, den Stärkern, dessen Namen Legio heißt, wenn er es einsehn gelernt hat, daß er der Stärkere ist, wieder unter das Joch des schwächern einzelnen zurük zu bringen; und welche gewaltsame Umkehrungen, welche blutige Kämpfe alsdann da erfolgen müssen, wo, wenn alle umstürzen helfen, jeder auf seine eigne Weise und zu seinem eignem Vortheile wieder aufbauen will. Heißt das Aufruhr predigen, wenn man ein solches Bild entwirft, damit man die Regierer der Völker warne, es dahin nicht durch eigne Schuld kommen zu lassen? wenn man ihnen begreiflich macht, daß es jezt grade noch Zeit ist, die Saiten herunter zu stimmen, wenn sie nicht reißen sollen? Nie ist dem Herrn Noldmann eingefallen, den Reformator zu spielen und alle Staaten nach dem neuen Systeme seines abyssinischen Prinzen ummodeln zu wollen; aber ein Ideal wollte er aufstellen, von einer, nach den Grundsäzzen der reinsten Vernunft und natürlichen Billigkeit errichteten Verbindung der Menschen zu einem Staatskörper. Es kömt hier nicht auf die Möglichkeit der Ausführung, der Erreichung eines solchen Ideals, sondern darauf kömt es an, daß man, durch Betrachtung desselben, sich überzeuge, wie weit man sich von demselben entfernt hat, damit man, bey Gründung einer neuen Constitution, einen Maaßstab habe, wonach man bestimmen möge, welche Schritte man zurükthun muß, um dem Ideale nahe zu kommen. Über solche, der ganzen Menschheit wichtige Gegenstände kann nie genug nachgedacht, gesagt und geschrieben werden. Übrigens kann man ein sehr ruhiger Bürger seyn, und dennoch manches in seinem Vaterlande anders wünschen, als es ist, sich auch darüber gelegentlich deutlich herauslassen. Man kann gegen Misbräuche in dogmatischen und gottesdienstlichen Sachen eifern, und dennoch nicht nur sehr warm für Religion seyn, sondern auch, ohne Heucheley, die kirchlichen Gebräuche mitmachen, weil sie nun einmal so eingeführt sind. Man kann wünschen, daß alle geheime Verbindungen aufgehoben würden, und dennoch die Freymäurer-Logen, die nun einmal da sind, besuchen, und darin Gutes wirken. Man kann behaupten, daß, wenn man einen neuen Staat zu errichten hätte, man in demselben keine Schauspiele dulden wolle, und dennoch in dem Staate, darin man lebt, sich des Schauspiels annehmen. Man kann mit Enthusiasmus die Glükseeligkeit einer republikanischen Verfassung erheben, und dennoch ein sehr gehorsamer Unterthan seines Monarchen seyn. Man kann die Thorheiten und Tükken der Menschen rügen, und dennoch die Menschen herzlich lieben und seine eignen Fehler nicht miskennen – Kurz! der philosophische Schriftsteller muß über alles raisonniren dürfen; Raisonnements sind aber weder Gesezze, noch Glaubens-Artikel, noch Fehde-Briefe.«

 

Diese und ähnliche Säzze wollte ich zu Vertheidigung meines Herrn Vetters dem geneigten Leser an das Herz legen, als mir die Ankündigung einer periodischen Schrift vor Augen kam, die nun bald in Wien hervortreten wird und in welcher man die neumodischen Philosophen entlarven, abfertigen und das Publikum vor diesen abscheulichen Volks-Aufrührern warnen will. Nun läßt es sich gar nicht denken, daß, bey der Aufklärung und Denkfreiheit, welche jezt im ganzen teutschen Reiche herrschen, einige niedrige, sklavische Schmeichler es wagen sollten, um für sich Pensionen und andre Vortheile zu erringen, dem politischen, theologischen und philosophischen Despotismus und der Verfinsterung das Wort zu reden, die guten Fürsten, die auf halbem Wege sind, ihren Völkern, statt der eisernen, spröden Ketten der willkührlichen Gewalt, die sanften und dauerhaften Bande der Gesezze, der Liebe und der Achtung anzulegen, mistrauisch gegen die freimüthigen, edeln Männer zu machen, die den Muth haben, ihnen, zu ihrem Heile, die Wahrheit zu sagen. Es läßt sich nicht denken, daß die Unternehmer jener periodischen Schrift boshafte Dummköpfe wären, welche sich verschworen hätten, jeden hell denkenden Mann, dessen Licht ihnen etwa zu sehr in die Augen schimmerte, bey dem Volke verdächtig zu machen, ihn zum Schweigen zu nöthigen, oder gar ihm Verfolgung im bürgerlichen Leben zuzuziehn. Es läßt sich nicht denken, daß namenlose, unberühmte Leute die Unverschämtheit haben würden, auf eigne Autorität, ein philosophisches Inquisitionsgericht anzulegen – Nein! ich bin vielmehr überzeugt, daß die in Wien angekündigte Zeitschrift Männer zu Verfassern haben wird, die sich schon durch Schriften und Handlungen in den Ruf aufgeklärter, denkender, uneigennüzziger und edler Eiferer für Wahrheit und Recht gesezt, und daß diese den lobenswerthen Zwek haben, ächte philosophisch-politische Grundsäzze zu entwikkeln; Diejenigen welche sich, ohne Kentniß der Sache, an Beurtheilung großer Welt-Begebenheiten wagen, gütlich zurecht zu weisen, und durch Warnung und richtigen Volks-Unterricht, den gefürchteten bösen Folgen vorzubeugen, welche unvorsichtig vorgetragne Säzze, von falschem Enthusiasmus irregeleiteter Schriftsteller, auf die allgemeine Stimmung haben könnten.

So wenigstens habe ich jene Ankündigung verstanden und das hat mich bewogen, damit auch ich mein Schärflein zu dieser guten Absicht beitragen mögte, meinem ersten Plan, der nur auf Vertheidigung des Herrn Benjamin Noldmanns gieng, zu erweitern. Ich will nämlich in dieser Schrift die Frage abhandeln: ob und in welchen Fällen den europäischen Staaten, bey der jezzigen, durch zunehmende Denk- und Preß-Freiheit bewürkten Stimmung des Zeitalters, eine Staats-Umwälzung bevorzustehn scheinen mögte? Und da wohl ohne Zweifel die französische Revolution jezt den grösten Einfluß auf diese Stimmung hat, indem sie so manche Feder und Zunge in Bewegung sezt; so will ich meine Frage also einkleiden: Welche Folgen haben wir von der französischen Revolution zu fürchten, oder zu hoffen?


 << zurück weiter >>