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Peterchens Tagewerk

Eigentlich hieß der kleine lustige Junge mit dem blonden Krauskopf und dem Stupsnäschen Karl August, aber kein Mensch nannte ihn so. Vater, Mutter, Brüder und Schwestern riefen Peterchen. Der Vater hatte es angefangen, als der kleine Mann noch in der Wiege lag, und nun war es schon so geblieben.

Peterchen war ein sehr tätiges Kind, ein Kind, das mit Ausdauer durchsetzte, was es sich einmal vorgenommen. Das hatte es schon bewiesen, als es acht Monate alt war. Da hatte die Mutter ihm die ersten Schühchen an die winzigen Füßchen gezogen, Schühchen von allerfeinstem Handschuhleder. Peterchen besah sich erstaunt diesen neuen Schmuck, hob das Füßchen bedächtig an den Mund und lutschte auf dem Leder. Aber sein Gesicht verzog sich, die Sache traf nicht seinen Geschmack. Warum aber etwas an den Füßen dulden, was man nicht in den Mund nehmen mochte? Bisher hatte er immer so herrlich an seinem rosigen Zehen gelutscht, an den konnte er nun nicht mehr kommen. Also mußte dieses närrische Futteral entfernt werden, und Peterchen begab sich mit Eifer und Umsicht an die Arbeit. Aber die Sache war nicht so einfach. Er zog und zerrte, kugelte im Wagen von einer Seite auf die andere, purzelte auf den Rücken, arbeitete sich mühsam wieder hoch, rutschte auf die Nase, aber aufgeben tat er sein Bemühen nicht. Und endlich, endlich hielt er den Schuh in der Hand, sah ihn tiefsinnig an und warf ihn aus dem Wagen. So, nun der zweite. Es dauerte lange, aber es gelang. Jetzt noch die Strümpfchen. Darin hatte Peterchen bereits Übung.

Als die Mutter in das Zimmer kam, lagen Strümpfe und Schuhe friedlich miteinander am Boden.

»Nein, nein,« sagte die Mama, »so darfs das Peterchen nicht machen,« und sie zog ihm das Fußzeug wieder an die dicken Beine. Peterchen, als braves Kind, schrie nicht und strampelte nicht, aber so wie die Mutter ihr Werk vollendet hatte, begann auch er das seine von neuem, und es dauerte dieses Mal schon nicht so lange, da flog erst der eine und dann der andere Schuh über den Wagenrand.

Jetzt machte die Mutter ein ernstes Gesicht. »Peterchen darf nicht die Schuhe ausziehen, Peterchen bekommt kalte Potebeinchen. Nein, nein,« sie drohte mit dem Finger, »nicht wieder tun, sonst gibt Mama Patsch-Patsch.«

Peterchen war ein ungeheuer kluges Kind. Er sah die Mutter so ernst und verständig an, als hätte er jedes Wort verstanden und sei ernstlich bereit, sich danach zu richten.

Also wurden ihm die Schuhe zum drittenmal angezogen, und Mama drohte noch einmal mit dem Finger: »Nein, nein.«

»Nein, nein,« machte Peterchen ebenso, sah Mutter groß an, – und begann an den Schuhen zu zerren.

Jetzt wurde die unnütze, kleine Hand festgehalten und bekam einen ermahnenden Klaps. Peterchen besah sich erstaunt seine Hand, klappte auch darauf und zerrte von neuem.

»Aber Peterchen,« rief die Mutter, »du mußt das nun begreifen, du bist doch sonst nicht so dumm.« Und sie hielt wieder die Finger fest, und dieses Mal gab es zwei Klapse, und die waren zu fühlen.

Der Junge verzog keine Miene, nur die Hand sah er wieder sehr nachdenklich an, dann seufzte er tief auf, – und wupp, da flog der erste Schuh wieder aus dem Wagen. Es war nichts mit ihm anzufangen; er hatte sich einmal vorgenommen, keine Schuhe an seinen Füßen zu dulden, und er setzte das mit der größten Ausdauer durch, bis ihm selber die Sache langweilig wurde.

Und so ausdauernd blieb er. Ein Jahr verging und das zweite und dritte, und endlich war mein Peterchen fünf Jahre alt und sollte zu Ostern in die Schule kommen. »Wenn er da ebenso fleißig ist wie setzt im Hause, dann kann mal etwas Tüchtiges aus ihm werden,« meint die Mutter.

Denn, es ist wunderlich, aber der kleine Kerl hat den ganzen Tag so viel zu tun, daß er oft gar nicht weiß, woher er die Zeit nehmen soll zu all seinen Taten. Kaum scheint die Sonne morgens durch die Ritzen der Vorhänge in das Schlafzimmer, da turnt Peterchen mit kühnem Satz aus seinem Gitterbettchen. Die Mutter kann ihm gar nicht schnell genug das Zeug zuknöpfen und ihm seine Morgenmilch geben, da rennt er schon in den Holzstall. Der Holzstall ist das Feld seiner Tätigkeit, wenn die Geschwister in der Schule sind.

Male, die dicke Magd, packt eben einen Korb Holz, um ihn in die Küche zu tragen. Sie pustet dabei, denn sie mag sich nicht gerne bücken. Peterchen greift sofort mit zu und es entspinnt sich eine Unterhaltung. »Magst du gern Holz sammeln, Male?«

»Och, der Mensch mag viel nicht und muß das doch.«

»Hast nu genug Holz?«

»Erst ist das mal genug, aber nu muß ich Wasser pumpen, das is noch doller.« Sie hebt ihren Korb und trägt ihn in die Küche.

Peterchen steht und sieht ihr nachdenklich nach. Da ruft die Mutter: »Peterchen, ich gehe auf den Markt, willst du mit?«

Der Junge aber ist eben zu einem großen Entschluß gekommen: »Nein, Mama, ich hab so doll zu tun.«

Die Mutter lacht und geht.

Auf dem Hofe, nahe dem Holzstall, steht die Pumpe, deren Wasser Male in die Küche tragen muß, denn eine Wasserleitung gibt's noch nicht im Städtchen. Peterchen holt seinen kleinen Blecheimer und beginnt zu pumpen. Das Wasser schießt in dickem Strahl aus dem Pumpenrohr, und das meiste stürzt über den Eimer fort. Der Junge legt die Stirn in Falten und bedenkt die Sache. Jetzt trabt er in die Küche und kommt mit einem großen Eimer wieder, schiebt ihn unter das Rohr und beginnt sein Werk von neuem. Der Eimer ist bald gefüllt, aber die kleinen Arme können ihn nun nicht mehr schleppen. Doch ein fixer Junge weiß sich immer zu helfen. Peterchen taucht den kleinen Eimer in den großen, hebt ihn gefüllt heraus und trägt ihn in die Küche, wo er ihn in die Wassertonne schüttet. Die Tonne ist etwas hoch, aber Peter holt sich den Küchenschemel, und nun geht die Sache ganz famos.

Der zweite Eimer wird geholt, der dritte: es ist schrecklich, was in solche Tonne hinein geht, man merkt noch gar nicht, daß es mehr wird.

Peterchen läuft und pumpt und pumpt und läuft, er hat einen roten Kopf, die Blondhärchen kleben an seiner Stirn, so schwitzt er. Der Anzug ist bedenklich durchnäßt, auf der Treppe und der Küchendiele ziehen sich lange Wasserstraßen, denn der kleine Eimer leckt ein bißchen, aber die alte Tonne will nicht voll werden. Peterchen muß mal verschnaufen. Er sieht es ein, daß die arme Male es schwer hat, wenn sie jeden Tag die große Tonne randvoll tragen muß, so schlimm hat er sich das nicht gedacht.

Endlich hat er sich ein bißchen erholt und läuft die Küchentreppe wieder empor zum Garten. Da gleitet er auf den nassen Stufen aus und schießt mit Gepolter hinab. Das hat einen tüchtigen Stoß gegeben, Peterchen sind die Tränen nah, aber er denkt: »Ein richtiger Junge weint nicht,« und fängt tapfer an zu lachen.

Eben kommt die Mutter in das Haus, sie hört das Lachen und ruft: »Nun, mein Junge, wo steckst du denn?«

»Hier, Mutschi,« schreit er und rennt herbei.

Die Mutter bekommt keinen kleinen Schrecken. »Aber Männe, wie siehst du aus? Der reine, weiße Anzug.«

Peterchen beguckt sich selber. O weh! Naß von oben bis unten und schmutzig dazu. Das kommt, wenn man eine nasse Treppe hinunterkugelt, die von Male noch nicht abgefegt ist. »Ich hab doch bloß Male geholfen,« stammelt er.

»Was hast du denn getan?«

»Wasser gepumpt und in die Tonne getragen.«

»So siehst du aus. Ja, nun komm nur in die Schlafstube, daß ich dich umkleide. Male! Sie müssen hier aufwischen.«

Male kommt, aber sie ist gar nicht nett, denn anstatt sich bei dem fleißigen Jungen zu bedanken, schreit sie: »Nu so 'ne Schmutzerei. Ich sag man, das is en schrecklichen Jungen.«

Dann macht sie sich an die Säuberung der Treppe.

Die Mutter zieht ihrem Jungen einen frischen Kittel an und ermahnt ihn, nicht wieder an die Pumpe zu gehen. Peterchen verspricht es, und was er verspricht, das hält er auch. »Ich geh in den Holzstall, Mutti, ich muß noch was nageln. Mach mir bloß mal Paps Handwerkskasten auf.«

»Was willst du dabei? Du hast doch deinen eigenen Kasten.«

»Aber ich brauch doll große Nägel, meine sind all zu klein. Pap hat solch dickes Paket, der gibt mir gern welche ab.«

Dann zieht er mit seinem Nagelpaket in den Holzstall. Da holt er sich das kleingeschlagene Brennholz, legt ein Stück auf den Haublock, ein zweites mit dem einen Ende unten dran und nagelt sie zusammen. Dann wird ein drittes daran genagelt, darauf ein viertes, und so entsteht allmählich eine lange Stange. Es geht nicht sehr schnell, denn das Holz will nicht immer so wie der kleine Zimmermann. Es rutscht fort, fällt vom Block, verschiebt sich beim Nageln, aber Peterchen ist ausdauernd. Er fängt immer wieder von neuem an, und wie er eine Stange fertig hat, so lang wie er selbst, nimmt er die nächste in Angriff. Wieder perlt ihm der Schweiß über die Stirn, von Zeit zu Zeit wischt er mit den Händen über das Gesicht und streicht die Locken zurück, die sich immer vorwitzig in die Augen hängen, und dabei hat er es nicht acht, daß die Händchen bei der Arbeit schwarz werden, denn das Holz liegt neben den Steinkohlen und ist selber voll Steinkohlenstaub.

.

Die Mutter ruft ein paarmal: »Peterchen, steckst du noch immer im Holzstall?« und ein helles Stimmchen tönt zurück: »Ja, Mammi, ich hab so doll viel zu tun!«

Die Haustür geht, die großen Geschwister kommen aus der Schule. Natürlich ist die erste Frage: »Wo ist Peterchen?« Der läßt sich nicht stören, sondern nagelt weiter, aber der Schlag seines Hammers verrät ihn, und bald ist die ganze Gesellschaft bei ihm.

»Peterchen, was machst du da?«

Peterchen sieht strahlend um sich. »Ich helf Male. Sie muß sich immer so doll viel bücken, wenn sie Holz holt, nu nagel ich ihr das alles aneinander, dann kann sie die langen Stangen fein leicht reintragen.«

Die Brüder quieken vor Vergnügen. »Du bist ein famoser Kerl, na, Male wird sich schön freuen.« Sie ergreifen jeder eine Stange und ziehen damit zu Male in die Küche. »Hier Male, ist Brennholz.« Peterchen läuft nach.

Male greift sehr erstaunt nach solcher Stange und reißt sich die Hand an einem hervorstehenden Nagel. »Was soll denn nun der Unfug? Wer hat mir das Holz zusammengenagelt? Nix wie Dummheiten hat die Bande vor.«

»Male,« sagt Peterchen und strahlt sie an, »du mußt dich doll freuen, nu brauchst du dich nich mehr so viel zu bücken. Ich hab das andere auch alles zusammen gehauen.«

»Hach,« seufzt Male aus Herzensgrund und sinkt auf den nächsten Stuhl, »was bist du fürn schrecklichen Jung. Wenn das Hilfe sein soll, – na, denn möcht ich das nich erleben, wenn du einem mal en Tort antust. Wie soll ich das nu wieder auseinander kriegen?« Sie wirft das Holz zornig in die Ecke.

Peterchen ist ganz geschlagen. »Du bist gar nicht nett,« sagt er bekümmert.

»Sei bloß still,« fährt Male ihn an. »Wie siehst du überhaupt aus! Der reine Schornsteinfeger. Den halben Kohlenhaufen hast du im Gesicht. Ja, besieh dich nur mal im Spiegel. Deine Mutter wird ihre helle Freude an dir haben.«

»Komm, Peterchen,« sagt Gustav, der vierzehnjährige Bruder, »du hast es gut gemeint, du kleiner Kerl, du bist überhaupt ein Prachtjunge. Schwester Mite wäscht dich sauber, und dann essen wir Mittag.«

Der Kleine ist schnell getröstet, Bruder Gustav ist doch immer der Beste. Nach dem Essen wendet er sich darum vertrauensvoll an den großen Bruder. »Du, leih mir mal deinen Malkasten.«

Gustav sieht nicht sehr glücklich aus. »Meinen Malkasten? Was willst du denn damit?«

»Papsch en Bild zum Geburtstag malen.«

»Der Geburtstag ist doch erst in der nächsten Woche.«

»Ach, Gustav, sei doch nich so, ich weiß grad so was Feines.«

Gustav holt den Malkasten. »Aber verschmier die Farben nicht so, sonst bekomm ich in der Schule was. Was willst du denn malen?«

»En großes Schiff und das Meer, und aus 'n Schostein kommt dicker Rauch. Sollst mal sehen, wie fein das wird.«

Er macht sich an die Arbeit, nachdem er sich noch ein Glas voll Wasser für den Pinsel geholt hat. Erst kommt ein dicker, grüner Strich, das ist das Meer. Darüber ein blauer, das ist der Himmel. So, das war ganz einfach. Aber nun das Schiff. Da wird die Sache schwieriger. Peterchen streckt die Zunge aus dem Mundwinkel, als wenn ihm die helfen soll, legt den Kopf auf die Seite und malt mit Todesverachtung. Viel Farbe ist immer gut. Er taucht den Pinsel ordentlich in das Wasser und fährt über die Farbe, dann geht es aufs Papier. Der Schiffsrumpf wird rot. Er hebt sich sehr prächtig von dem grünen Meer und dem blauen Himmel ab. Dann die Masten werden gelb gemalt, und nun kommt das Beste, der Schornstein mit dem Qualm. Grün wird der Schornstein, Peterchen findet schwarze Schornsteine garstig; den Rauch muß er ja leider schwarz malen.

Jetzt hält er an und betrachtet sein Machwerk. Tadellos, wirklich tadellos! Hansel, der neunjährige Bruder, kommt in die Stube.

»Guck einmal, was ich gemalt hab,« ruft der Kleine glückselig.

Hansel besieht sich das Gemälde. »Was ist denn das?«

Peterchen nimmt die Frage nicht übel, er erklärt bereitwillig. »Das ist ein Schiff, und das ist das Meer, und das ist der Himmel, und das – – –«

»Ach was,« ruft Hansel, »das ist ein roter Krebs mit Spinat.«

Klatsch, da hat er eins an die Ohren. Er schaut den Kleinen verblüfft an, dann gibt er die empfangene Wohltat mit Zinsen zurück. Peterchen schreit nicht, er schreit nie, wenn er sich mit den größeren Brüdern balgt, aber er setzt sich tapfer zur Wehr, und die beiden Kämpfer rollen über den Fußboden. Jetzt stoßen sie gegen das Maltischchen. Das ist solchem Anprall nicht gewachsen, neigt sich auf die Seite, und da liegen Farben, Bild, Pinsel, Wasserglas in lieblichem Durcheinander auf dem Boden. Das Glas ist natürlich in Scherben, und es ist noch ein Glück, daß die beiden Kämpfer nicht verletzt sind.

Sie stehen beide auf und sehen sich mit verlegenen Mienen den Schaden an. Plötzlich hebt Hansel das Bildnis empor, über das die Wasserströme gelaufen sind. »Peterchen, was ist das nun?«

Ein wüstes Durcheinander von Farben ist zu erblicken, weiter nichts. Peterchen will traurig aussehen, aber das Lachen kommt schon wieder bei ihm zum Durchbruch. »Nun is es ne Lumpenkiste, Hansel, kuck mal, lauter bunte Flicken.«

»Hurra,« schreit Hansel, »Peterchen hat ne Lumpenkiste gemalt.«

Dann beseitigen sie gemeinschaftlich die Spuren ihrer Taten.

Wie Peterchen am Abend im Bettchen liegt und die Mutter neben ihm steht, meint er mit seinem strahlendsten Gesichtchen: »Nich, du, Mammi, wenn einer schrecklich fleißig gewesen ist, denn kann er sich freuen.«

»Das kann man dann,« lacht die Mutter.

»Oha, ich freu mich so doll, ich bin heut ganz fuchba schrecklich fleißig gewesen.« Damit legt er sich auf die Seite und schläft ein.

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