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Der kleine Prinz und die Pflaumenmänner

Der kleine Prinz saß in seinem Zimmerchen und drückte sich die Nase an der Fensterscheibe platt. Draußen auf dem Platz vor dem Schlosse unter den großen Kastanien, die im Sommer lauter Weihnachtslichter auf ihre Zweige steckten, spielten die Gassenjungen. Sie warfen sich mit Schneeballen und zweie fuhren sogar auf einem Kleinen, hölzernen Schlitten. Sie kreischten und schrien, daß man es im Schlosse hören konnte. Der kleine Prinz wäre zu gerne mit da draußen gewesen und hätte mit geschrien und gekreischt. Aber er durfte es leider nicht. Die Miß, die für ihn zu sorgen hatte, sagte, für einen Prinzen schickte sich das nicht, und seine Mutter, die Fürstin, würde sehr entsetzt sein, wenn er so etwas sagte.

Der kleine Prinz war erst sechs Jahre alt und konnte es nicht begreifen, warum sich das nicht für ihn schicken sollte; aber er wußte, daß er der Miß folgen mußte, und da sagte er nichts mehr von seinen Wünschen. Doch immer, wenn die Buben draußen tobten, kniete er auf dem Stuhl am Fenster und horchte, was sie schrien, und sah zu, was sie spielten. Er kannte sogar von manchen die Namen. Da war der böse Moritz, der immer die andern heimlich knuffte, und der kleine dicke Max, der so aussah, als rollte er sich durch die Welt, und der blasse Peter, der hinkte ein wenig und lief stets als letzter hinter den andern her. Und dann war da noch ein großer Junge, der spielte nur selten einmal mit, aber wenn er dabei war, taten die übrigen alles, was er befahl. Den riefen sie Karle.

»Prinzchen,« sagte die Miß, »es ist heute so kalt, und der kühle Zug geht durch die Scheiben. Sie sollten doch lieber mit dem Schaukelpferdchen spielen als dort am Fenster knien.«

»Schaukelpferd ist tot und begraben,« sagte das Prinzchen. Aber in Wirklichkeit stand das Pferd in der Ecke. »Ich will nicht immer alleine spielen, ich will zu den Jungens da draußen.«

»Das sind böse Jungens, mit denen kann unser Prinzchen nicht spielen.«

»Sie sind gar nicht böse, und ich will mit ihnen spielen.«

Sanft war das Prinzchen nicht, und darum warf es sich auf die Erde und strampelte mit den Beinen.

Die Miß machte ein sehr ernstes Gesicht: »Karl Ernst,« sagte sie, denn wenn das Prinzchen unartig war, wurde es mit seinem Namen genannt, »Sie sind jetzt selber unartig, und ich werde es Ihrer Mutter sagen müssen.«

Eben kam die Fürstin in das Zimmer und hörte die letzten Worte, sah ihren kleinen Jungen am Boden liegen und mit den Beinen strampeln und fragte: »Was ist denn hier für ein böses Kind?«

»Ich will nicht alleine spielen,« weinte der Kleine. »Alle Jungens spielen draußen im Schnee, ich will auch im Schnee spielen.«

»Du wirst dich erkälten,« sagte die Mutter. »Aber morgen sollen die kleinen Knaben vom Hofmarschall und vom Herrn Hofprediger kommen, mit denen darfst du spielen.«

»Mit denen mag ich nicht spielen. Die sind immer so artig und sagen zu allem ja. Das sind keine ordentlichen Jungens, ich will mit ordentlichen Jungens spielen. Sieh mal, die da draußen, das sind ordentliche Jungens.«

Die Fürstin schüttelte den Kopf. Das Prinzchen aber kletterte wieder auf den Stuhl und drückte das Näschen an die Scheibe, denn draußen geschah etwas sehr Interessantes. Der böse Moritz hatte sich hinter den blassen Peter geschlichen und ihm eine Handvoll Schnee in den Jackenkragen geschoben. Peter schrie, daß es über den Platz schallte, und da kam der große Karle aus dem Häuschen drüben an der Ecke gelaufen, packte den bösen Moritz, drückte ihn nieder und rieb ihm das Gesicht und die Ohren trotz seines Gezappels tüchtig mit Schnee ein. Alle kleineren Knaben rannten herbei und sahen sehr befriedigt zu, wie ihr Peiniger gestraft wurde. Das Prinzchen drinnen schlug vor Freude in die Hände und rief: »Das ist recht! Das ist recht! – Nun muß er auch schreien.«

Aber die Fürstin schüttelte den Kopf, und bei der Mittagsmahlzeit berichtete sie ihrem Gemahl von den sonderbaren Wünschen des Prinzchens.

Der Fürst lachte dazu und sagte: »So ist es mir auch ergangen, als ich ein kleiner Kerl war. Natürlich kann er nicht mit den Buben da auf dem Platze spielen, aber wir wollen ihm eine andere Freude machen. Am Markt haben sie schon den Weihnachtsmarkt aufgebaut, da mag die Miß mit ihm hingehen heute nachmittag, wenn es dämmrig wird und die bunten Laternen brennen. Aber Riefkohl soll mitgehen, daß nichts passiert.«

Riefkohl war ein alter, würdiger Lakai, den das Prinzchen sehr gerne hatte.

Nachmittags zog die Miß dem kleinen Prinzen seinen feinen, blauen Wintermantel an, den mit dem braunen Pelzkragen, setzte ihm die warme Pelzmütze auf und ging mit ihm auf den Weihnachtsmarkt. Riefkohl wanderte hinterher.

Der kleine Prinz machte große Augen, als er im Schein der bunten Laternen die vielen Buden sah mit ihrem herrlichen Inhalt. Die Steckenpferde und die Trommeln schienen ihm viel köstlicher als die guten Spielsachen, die er in seinem Zimmer hatte. Die Miß mußte ein Steckenpferd kaufen und eine Trompete und ein kleines Schweinchen, das man aufblasen konnte und das greulich quiekte, wenn die Luft wieder entwich. Riefkohl trug geduldig all die Herrlichkeiten nach.

»Kuchen wollen wir auch kaufen,« befahl das Prinzchen. »Ganz vielen Kuchen.«

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»Den holen wir lieber beim Herrn Hofkonditor,« sagte die Miß.

»Ich will keinen Kuchen vom Hofkonditor, ich will Kuchen vom Weihnachtsmarkt.«

Rund um den Knaben sammelten sich die Menschen, die alle den Sohn ihres Fürsten einmal in der Nähe sehen wollten, und sie lachten, als er so energisch auf seinem Verlangen bestand. Da trat die Miß an die Bude heran und kaufte den begehrten Kuchen, denn sie wollte es lieber nicht erwarten, daß das Prinzchen sich auf die Erde warf und mit den Beinen strampelte.

Der Kleine besah sich die Nachbarschaft. Da war ein Tisch, auf dem standen lauter komische kleine Leute, sahen aus wie Schornsteinfeger und hatten blanke Leitern über dem Arm. »Was sind das?« fragte das Prinzchen.

»Das sind Pflaumenmänner,« sagte ein Junge, der hinter dem Tisch stand, und wie der Prinz ihn genauer besah, war es der große Karle, der am Vormittag den bösen Moritz mit Schnee abgerieben hatte. Er freute sich, als er endlich den Knaben in der Nähe sah, den er so oft von seinem Fenster beobachtete, und fragte ganz zutraulich: »Du, hat der Moritz dir noch was getan? Ich hab gesehen, wie du ihn abstraftest.«

Karle zeigte vor Vergnügen all seine blitzenden Zähne. »Ja, hast du das gesehen? Nein, der kann mir nichts tun, ich bin viel stärker. Der haut nur die Kleinen.«

»Was sind das aber für Pflaumenmänner? Wozu sind die gut?«

»Zum Gegessenwerden.« Er nahm einen der kleinen Leute, zog ihm den Kopf ab, und das Prinzchen sah, daß es eine Pflaume war, die auf einem weißen Hölzchen steckte. Und die Arme und die Beine und der Leib, – alles Pflaumen auf Hölzer gespießt.

Etwas so Lustiges hatte er noch nicht gesehen. Er zappelte vor Vergnügen und krähte mit seiner hellen Stimme so laut er konnte: »Miß, sehen Sie mal die Pflaumenmänner! Die wollen wir mitnehmen, alle zusammen. Das sollen meine Soldaten sein, damit exerziere ich, und die totgeschossen werden, die eß ich alle auf. Schnell, kaufen Sie die Pflaumenmänner.«

»Nein,« sagte die Miß sehr bestimmt, »das geht nicht. Wer weiß, wieviele Leute schon die Pflaumen angefaßt haben, die können Sie nicht bekommen, Prinzchen. Es wird nun auch Zeit, daß wir in das Schloß zurückgehen.«

»Aber ich will Pflaumenmänner, ich will Pflaumenmänner!« schrie der Kleine. Da nahm die Miß ihn fest an die Hand und führte ihn so schnell über den Platz und in eine Seitenstraße, daß er sich gar nicht wehren konnte.

»Ich werd es meiner Mutter sagen,« schluchzte er. Doch die Fürstin war im Theater, als sie heimkamen, und die Miß erklärte ihm, von den Pflaumenmännern bekäme man Leibschmerzen und müßte im Bett liegen. Da weinte er nur noch heimlich um seinen versagten Wunsch.

Am Fenster saß er aber noch öfter als zuvor, doch den Karle sah er selten. Der mußte am Nachmittag Pakete tragen, denn seine Mutter war arm, der Vater nicht mehr am Leben, und er hatte noch eine ganze Reihe kleiner Geschwister.

Wie der Frühling kam, stand der kleine Prinz nicht mehr am Fenster, sondern an der Pforte des Schloßgartens, da konnte er noch besser sehen, was die Jungens auf dem Platz trieben. Am lustigsten war es, wenn ein tüchtiger Regen niedergegangen war, dann streiften sie die Hosen auf und wateten in der Gosse. Sie spritzten sich mit Wasser, planschten und lachten, und der kleine Prinz wäre wieder zu gerne dazwischen gewesen. Aber er sagte nichts mehr davon, er wußte, das wurde ihm doch nicht erlaubt.

Eines Nachmittags aber war er mit der Miß im Garten in der großen Laube nahe am Springbrunnen. Es war sengend heiß, und die Miß, die starke Kopfschmerzen hatte, sagte: »So Prinzchen, heute ist kein Wetter zum Herumspringen, heute spielt man ganz hübsch leise hier im Sandhaufen. Erst bauen wir ein Städtchen mit den Bauklötzen, und dann setzen wir die Soldaten hinein –«

»Ja, ja, ja,« antwortete das Prinzchen, das schon genau wußte, was kam, »das will ich alleine machen. Aber dann muß auch ein Graben um die Stadt, und da muß Wasser hinein. Das hol ich vom Springbrunnen.«

»Nein, Prinzchen, Wasser nicht. Sie haben den neuen weißen Anzug an, das kann ich nicht erlauben.«

Das Prinzchen machte eine Schippe, schwieg aber still. Es dachte: »Wart nur, ich tu doch, was ich will,« baute die Stadt auf dem Sandhaufen, setzte die Soldaten hinein und sah dabei immer einmal nach der Miß, ob die noch aufpaßte. Die arme Miß aber mit ihren Kopfschmerzen hatte den Kopf gegen die Wand der Laube gelehnt und war eingeschlafen. Das Prinzchen kicherte in sich hinein, griff nach dem roten Eimerchen, in das es eigentlich nur weißen Sand füllen sollte, und machte sich heimlich davon, hinüber zum Springbrunnen.

Der schimmernde Wasserstrahl stieg hoch empor in die klare Luft und fiel wie ein Regen von tausend Brillanten in das Becken zurück. Klein Prinzchen streckte die Hand in das kühle Naß. Ach, wie schön war das. Wenn man einmal so ganz da hinein tauchen könnte. Das müßte gut tun bei der Glut. Es war auch zu heiß. Die dicken Blondhaare klebten ihm an der Stirn, so schwitzte er. – Er lauschte hinüber nach der Laube, die Miß rührte sich nicht. Da begann er das Kittelchen abzustreifen, die Höschen, das Hemd folgte, dann noch schnell die Schuhe und Strümpfe, da stand der Nackefrosch mitten im Sonnenschein vor dem Springbrunnen und hielt beide Arme unter die sprühenden Strahlen.

Um das Becken wuchsen blaue Schwertlilien, die bog eine kleine Hand sorgsam zur Seite, zwei nackte Füße tasteten über den Rand. Ach, das war ja gar nicht tief, nicht einmal bis zu den Knien ging das Wasser. Das Prinzchen begann mächtig zu plantschen.

Die Fürstin kam vom Schlosse her, um sich nach ihrem Jungen umzusehen. Hinter einer grünen Laubwand hörte sie ihn lachen, als habe er etwas Köstliches entdeckt. Leise ging sie näher, sie wollte ihn überraschen; da erblickte sie mitten im Becken des Springbrunnens eine kleine tanzende und hüpfende Gestalt, die niemand anders war, als das immer so sorglich vor jeder Torheit behütete Prinzchen.

»Karl Ernst,« rief sie entsetzt, »aber Karl Ernst!« Der kleine Junge sah sich um, lachte und krähte: »Das ist aber mal was Feines, Mutter.«

»Willst du sofort aus dem Wasser kommen,« befahl die Fürstin. »Wo ist die Miß? Wie kann die das dulden!«

»Miß schläft,« sagte der Kleine und kroch ängstlich aus dem Bassin, denn das sah er schon, daß die Mutter dieses Vergnügen nicht billigte. »Und es war so heiß, und die Jungens vor dem Schloß die plantschen auch immer in der Gosse –«

»Es ist ganz unerhört,« sagte die Fürstin empört. »Ich werde die Miß entlassen müssen.«

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Sie ging zu der Laube, und die arme Miß war nicht wenig erschrocken, als sie hörte, was ihr Pflegebefohlener angerichtet hatte. Sie wollte sich entschuldigen, aber die Fürstin befahl kurz: »Holen Sie schnell ein Tuch, daß wir ihn abtrocknen, und dann muß er in sein Bettchen. Wenn er nur nicht krank wird!«

»Warum soll ich krank werden?« fragte der kleine Prinz. »Die Jungen, die in der Gosse patschen, werden auch nie krank.«

Er wurde aber doch krank. Als er in das Wasser stieg, war er ganz naß gewesen von Schweiß, und sein kleiner Körper war an solche Abkühlungen nicht gewöhnt. Wie es auf den Abend ging, klagte er über Frost und Schmerzen in der Brust, bekam dann einen roten Kopf, und der Herr Hofarzt machte ein bedenkliches Gesicht. Die Miß, die an allem schuld war, obgleich sie doch sonst so gut acht gegeben hatte, mußte ihren Koffer packen und abfahren. Die Fürstin wachte selber die Nacht bei ihrem Liebling, und das war nicht so leicht, denn das Prinzchen war ein ungebärdiger Kranker, wollte nicht unter der Decke liegen, weil es ihm zu heiß war, hustete und weinte, rief nach seiner Miß, und schrie dann wieder, er wolle unter den Springbrunnen, da wäre es so hübsch kühl. Erst gegen Morgen schlief er ein wenig, und die Mutter, die ganz erschöpft war, schlief im Stuhle neben dem Bettchen auch ein.

Sie dachte, als sie aufwachte, und der Kleine immer noch schlief, nun würde er bald besser werden, doch Wochen gingen hin, und der kleine Prinz lag noch immer. Im ganzen Lande war großer Kummer, denn alle Welt hatte den blonden Jungen gerne, der immer so vergnügt grüßte, wenn er durch die Straßen fuhr oder am Schloßfenster stand. Täglich sammelten sich die Menschen auf dem Platz vor dem Schloß und spähten, ob denn das kleine Gesichtchen sich nicht zeigen wollte, und die Jungens auf dem Platz hatten ihre wilden Spiele ganz eingestellt, seit Riefkohl ihnen gesagt hatte, es müßte alles sehr ruhig sein, bei Tag und Nacht, damit der Kranke nicht gestört würde. Endlich, endlich war die Gefahr vorüber, das Fieber wich, und alles schöpfte wieder Hoffnung. Doch die Fürstin sagte zu ihrem Gemahl: »Ich weiß nicht, unser Karl Ernst gefällt mir noch gar nicht. Er ist so still und sanft, man kennt ihn gar nicht wieder. Und an nichts hat er Freude. Ich hab ihm den schönsten Baukasten kommen lassen, den es nur gibt, er sieht ihn nicht einmal an. Gestern wollte er, wir sollten sein Bettchen nahe an das Fenster rücken, daß er hinaussehen könnte, und ich war so froh, daß er einmal einen Wunsch äußerte, aber heute sieht er gar nicht mehr hinaus. Das ist ihm auch schon wieder gleichgültig.«

Ja, das Prinzchen hatte gedacht, draußen würden die Buben auf dem Platze spielen wie gewöhnlich, doch als er nach ihnen spähte, war keiner zu sehen. Sie hatten sich einen andern Tummelplatz gesucht, seit Riefkohl sie fortgescheucht hatte. Da mochte der Kleine nicht mehr hinaussehen.

Am Nachmittag kam der Herr Hofarzt, und auch er schüttelte den Kopf und meinte: »Es wäre gut, wenn die kleine Hoheit etwas aufgeheitert würde. Dieses müde, gleichgültige Wesen hält die Genesung auf. Hat unser Prinzchen denn gar keine Wünsche?«

Das Prinzchen schüttelte den Kopf.

»Und früher hatte es so viele,« klagte die Mutter.

»Was ich haben will, bekomm ich doch nicht,« murmelte der Kleine.

»Doch, doch, du sollst es haben. Wenn unser Kind nur einmal wieder lachen wird. Sag doch, was möchtest du denn?«

Da flog es wie ein lustiger Schein über das schmale Gesichtchen. »Ich will Pflaumenmänner haben.«

»Pflaumenmänner?« Die Fürstin war ganz erschrocken, denn sie dachte, das Kind phantasiere. »Aber mein Liebling, so etwas gibt es doch nicht.«

»Gibt es doch. Aber ich soll alles immer nicht haben. Die Miß wollte sie mir auch nicht geben.«

Ja, nun war die Miß davon, und man konnte sie nicht fragen, was das Prinzchen meinte.

»Beschreib mir mal deine Pflaumenmänner,« sagte der Vater.

»Ach, das sind eben Pflaumenmänner. Und man kann ihnen den Kopf abziehen und dann ißt man sie auf. Kennst du denn keine Pflaumenmänner?«

Nein, der Fürst kannte sie auch nicht.

»Karle kennt sie,« sagte das Prinzchen. »Der macht sie selber. Der kann alles. Aber mit dem soll ich auch nicht spielen.«

Wer war Karle? Der Fürst und die Fürstin wußten es ebensowenig. »Hör einmal zu,« sagte der Fürst, »ich habe dir einen kleinen Wagen machen lassen –«

»Ich will keinen Wagen, ich will Pflaumenmänner.«

»Aber so laß mich doch zu Ende reden. Vor den Wagen kann ein lebendiges Pferdchen gespannt werden, und in dem Wagen soll unser Junge fahren, wenn er wieder gesund ist.«

Das Prinzchen dachte nach. Ein lebendiges Pferdchen, – das war einmal etwas anderes. Aber dann fuhr wieder gewiß eine neue Miß mit, und die erlaubte nicht, daß er selber lenkte, und daß er sein Pferdchen beim Kopf nahm und streichelte, – nein, er wollte das Pferdchen nicht, er wollte Pflaumenmänner.

Der Fürst hätte seinem Jungen so gerne die Pflaumenmänner verschafft, wenn er nur gewußt hätte, wo er sie hernehmen sollte. Die Fürstin erzählte es den Hofdamen, und die sagten es den Kammerjungfern, und die Kammerjungfern berichteten es den Lakaien, und der alte Riefkohl lachte: »Wenn es weiter nichts ist!« ging zum Fürsten und sagte: »Hoheit, die Pflaumenmänner, die könnte ich dem Prinzchen schon bringen, und wenn der Junge, der sie herstellt, mitkommen soll, dann ist das auch keine Kunst, denn der wohnt drüben über dem Platz in dem kleinen Eckhäuschen, da hat seine Mutter einen Kramladen.«

»Was ist denn das für ein Junge?« fragte der Fürst.

»O, das ist ein ganz ordentlicher braver Bursche, der schon tüchtig hilft, daß die arme Frau für sich und ihre kleine Gesellschaft zu essen hat.«

»Ist er auch manierlich und sauber?« – »Hoheit zu dienen, der manierlichste Junge, den ich kenne.«

»Bring Er ihn her, Riefkohl,« bestimmte der Fürst. »Und von seinen berühmten Pflaumenmännern soll er ein Dutzend oder mehr mitbringen. Es soll sein Schade nicht sein. Morgen früh soll er kommen, heute abend möchte es das Prinzchen zu sehr erregen.«

Es traf sich aber so, daß am nächsten Morgen der Geburtstag des Prinzchens war. Als es erwachte, waren vor seinem Bett die köstlichsten Geschenke aufgebaut. Ein Helm und ein Säbel und eine Trommel und ein Netz mit großen bunten Bällen, und ein Tründelreifen, rot und gelb gestreift, und Bilderbücher – ein ganzes Dutzend. Dann ging die Tür auf und hinein kam ein kleines Pony, Riefkohl führte es am Zügel, das zog einen zierlichen Wagen hinter sich her. Die Tür mußte aber offen bleiben, sonst wäre der Wagen nicht hinein gegangen. Das Prinzchen freute sich auch ein bißchen, aber ein bißchen war ihm das lebendige Pferd vor seinem Bettchen doch unheimlich, und es befahl: »Riefkohl, bring es lieber wieder raus, es wirft hier alles um.« Dann lehnte es sich in sein Bett zurück und seufzte: »Doch keine Pflaumenmänner.«

»Die Pflaumenmänner sind vor der Tür,« sagte der Fürst, »sollen sie hereinkommen?«

»Ja, ja, ja, laß sie schnell herein. – O Karle!« rief das Prinzchen und streckte beide Arme aus, »bringst du sie mir selber? Das ist aber mal fein. Zieh ihnen mal den Kopf ab, ja so ist das richtig, – nu steck ihn wieder auf. Denk mal, mein Vater wußte gar nicht, was Pflaumenmänner sind! – Sag mal, warum spielen die Jungens hier nicht mehr auf dem Platz? Ich hab immerzu rausgeguckt, aber sie kamen nicht und kamen nicht. Es war zu langweilig.«

»Sie wollten nicht stören,« sagte der große Karle, »weil, – weil – –« er schluckte ein wenig, denn er war schrecklich verlegen, »weil Sie krank waren, Herr Prinz.«

»Ich bin kein Herr,« und der Kleine lachte zum erstenmal wieder ganz hell auf, »ich bin nur das Prinzchen. Du, du mußt den Jungens sagen, daß sie hier wieder spielen sollen. Und heute nachmittag sollen sie alle in den Schloßgarten kommen und Schokolade und Kuchen haben, und ich will aus dem Fenster sehen, wenn sie essen. Sag ihnen das.«

Karle sah auf den Fürsten, der nickte und sagte auch: »Laß sie nur kommen. Wenn es unserem Prinzchen solche Freude macht, sollen sie den ganzen Nachmittag hier im Schloßgarten spielen.«

»Und Karle soll bei mir bleiben,« kommandierte der Kleine weiter. »Ich will ihn zum Geburtstag haben.«

»Aber Kind,« sagte die Fürstin, »das geht nicht. Menschen kann man nicht schenken, du kleiner Tyrann.«

»Wenn ich ihn aber doch nu mal haben will!« Das Prinzchen machte Anstalten, mit den Beinen zu strampeln, und die Eltern merkten, daß es nun wirklich wieder gesund wurde. »Wenn ich ihn doch mal haben will!«

»Ja, glaubst du denn, daß dein Karle bei solchem unartigen Jungen bleiben will? Der bedankt sich schön dafür.«

Das Prinzchen zog die Beine wieder unter die Decke.

»Willst du nicht bei mir bleiben, Karle?«

»Ich möchte schon, aber das geht doch nicht. Ich muß meiner Mutter helfen.«

»Du sollst doch mit mir ausfahren. Ich hab einen kleinen Wagen bekommen und ein lebendiges Pferd. Karle, du könntest doch Kutscher werden und auf dem Bock sitzen. Vater, sag es ihm mal.«

»Hm,« machte der Fürst, »das wäre ein Gedanke. Dann mußt du dich nun ganz still hinlegen und ein wenig ausruhen, du bist ja heiß vor Aufregung. Und wenn du das Strampeln und Schreien im neuen Lebensjahr nicht mehr machen willst, dann möchte ich vielleicht mit Karles Mutter reden.«

»Ich strample schon nicht mehr,« sagte das Prinzchen.

Vierzehn Tage später sahen die Buben, die wieder nach alter Weise vor dem Schlosse spielten, einen kleinen Wagen aus dem Tore kommen, in dem saß das Prinzchen neben seiner Mutter, und auf dem Bock thronte in blauer Livree ein junger Kutscher, den erkannten sie erst, als er die Peitsche gegen den Hut legte, als wollte er sie grüßen. Da schrien sie ganz aufgeregt: »Der Karle! Hurra! der Karle! Hurra!«

Und drinnen im Wagen schrie das Prinzchen mit.

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