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Die verhexten Spatzen

Hohensprenz ist ein Dörflein nicht weit von den Bergen gelegen, mit alten, strohgedeckten Bauernhäusern, einem niedrigen Kirchlein, vielen Obstbäumen und einer großen Schar wilder Jungens. Es gibt auch noch andere Leute in Hohensprenz wie die Buben; aber die Jungens machen so viele Dummheiten, daß andere Menschen gar nicht gegen sie aufkommen.

Einige kluge Leute meinen, das käme davon, daß der Herr Lehrer schon so alt wäre, daß er den Gelben nicht mehr genug auf der Kehrseite seiner Schüler tanzen ließe. Aber die alte Mutter Krohn, die so alt war, daß sie selber ihre Jahre nicht mehr wußte, die sagte, die Hohensprenzer Jungen wären nie besser gewesen, und da mußte man wohl annehmen, daß es so in der Art lag.

Die Kirche lag mitten im Dorfe an einem großen Platz, auf dem Gras wuchs und die Dorfziegen weideten. Außerdem waren da an dem Platz noch die Schule, das Haus des Herrn Pastors, das Wirtshaus und Mutter Krohns kleines, schiefes Hüttchen, das so baufällig war, daß man täglich erwartete, es würde umfallen.

Die Jungen standen manchmal mit Mutter Krohn auf Kriegsfuß, und manchmal war es eine große Freundschaft, das wechselte wie das Wetter. Aber einmal, mitten im Sommer, hatten sie es sehr mit Mutter Krohn verdorben. So arm die war, hatte sie doch noch immer ein bißchen für andere übrig, und wenn es auch nur die Körner waren, die sie aus gefundenen Ähren säuberlich ausklaubte und im Winter den Vögeln streute. Dafür waren die gefiederten Musikanten auch ihre guten Freunde, und wenn sie ihr Fensterchen aufmachte, surrte und burrte es von allen Seiten herbei, setzte sich auf das Fensterbrett, huschte in das Stübchen und suchte nach guten Bissen für den Schnabel.

Im Winter kamen viele verschiedene bunte Herren und Damen, Goldhähnchen, Buchfinken, Meisen und Ammern, aber im Sommer kamen meist nur die Spatzen, dann war die andere Gesellschaft in Wald und Feld hinausgezogen. Aber Mutter Krohn liebte auch die Spatzen, und darum wurde sie sehr böse, als die wilde Jungenschar eines Tages mit Bogen und Pfeilen auf dem Platze vor der Kirche erschien und einen Vernichtungskampf gegen die Sperlinge begann.

Fiete Eggers, der Sohn des Schusters, der immer der Anführer bei allen dummen Streichen war, hatte die Bogen mit Heine Klöhnhammer zusammen gefertigt. Fritze Wunderlich und Ete Beier hatten die Pfeile geschnitten, und die übrige Bande hatte das Zusehen besorgt und guten Rat gegeben. Dann zogen sie in den Wald und fochten etliche Kämpfe untereinander aus, bis Fritze Wunderlich eine blutige Schmarre an der Stirn hatte und Ete Beier eine verdrehte Hand. Da sahen sie sich nach andern Feinden um, und weil sie keine fanden, schlug Fiete Eggers vor, sie wollten auf die Jagd gehen. Aber Rehe gab es nicht in der Nähe, und die Hasen waren so klug, daß sie lange davon waren, wenn die wilde Gesellschaft nahte. Da blieb kein jagdbares Wild wie die Spatzen, und Ete Beier, der einen besonderen Haß auf sie hatte, weil sie die großen Süßkirschen in seines Vaters Garten gemaust hatten, trotzdem eine dicke Vogelscheuche im Baum saß, sagte, Spatzen seien ein sehr guter Braten. Der Pferdeknecht beim Schulzen hätte ihm das erzählt. Er wolle Spatzenbraten zum Abendbrot haben.

»Hurra, ja, wir wollen Spatzenbraten essen,« schrie die wilde Bande, und dann tobten sie – acht Mann stark – auf den Kirchenplatz.

Die Spatzen hatten keine Ahnung, was ihnen bevorstand. Sie schrien in den Linden, jagten Mücken und Fliegen, und etliche, die sehr für die Reinlichkeit waren, badeten sich in dem dicken Staub der Straße, daß es stäubte. Sie flogen auch gar nicht davon, als die Jungen mit Hallo und Hurra erschienen, denn sie waren an deren Geschrei von kleinauf gewöhnt. Als aber Fiete Eggers kommandierte: »An die Gewehre! Legt an, Feuer!« und als ein Hagel von Pfeilen ihnen mitten in das Badevergnügen sauste, da entflohen sie mit Geschrei, setzten sich auf Mutter Krohns morsches Strohdach und zeterten gewaltig.

Sie blieben aber auch auf dem Strohdach nicht ungestört, wieder kamen die Pfeile, und bald flogen die abscheulichen Dinger nach allen Seiten, auf die Dächer, in die Linden, sogar gegen den Turm der Kirche, überall hin, wo sich solch ein Gelbschnabel breit machte.

Die Spatzen protestierten in allen Tönen, aber es half ihnen nichts, und als es Ete Beier gelang, ein harmloses Spatzenkind, das noch nicht recht fliegen konnte, am Flügel zu treffen, so daß es jammervoll piepsend unter eine Hecke flüchtete, da stieg der Heldenmut der wilden Jäger über alle Grenzen.

»Spatzenbraten, Spatzenbraten!« schrien sie, und wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie an einem Tage alle Sperlinge in Hohensprenz ausgerottet.

Aber ob nun die Pfeile zu schwach waren oder die Spatzen zu flink oder die Jäger zu ungeschickt, trotz alles Geschreis gelang es ihnen nicht, einen zu erlegen. Da begannen sie in Ärger und Wut auf die Nester zu feuern, die über Mutter Krohns Fenster waren. Das waren aber keine Sperlings- sondern Schwalbennester, und die Jungens wußten das auch ganz gut. Die Schwalben, als die Pfeile ihre friedliche Behausung trafen, flogen ängstlich zirpend hin und her, denn sie hatten Eier im Nest, und die Schwalbenmütter mußten flüchten, wenn es ihnen nicht schlecht ergehen sollte. Die Nester aber, die nicht davon konnten, hielten dem Ansturm auf die Dauer nicht stand, eins zerbrach und noch eins, und die zierlichen Eierchen fielen herab und zerbrachen.

Und gerade als es so weit war, kam Mutter Krohn über den Platz. Sie war bei dem Kaufmann gewesen und hatte sich Strickwolle geholt, denn sie versorgte alle Hohensprenzer Bubenbeine mit Strümpfen.

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Na, das war eine schöne Geschichte, als sie die Bescherung sah. Mutter Krohns Beine waren nicht mehr flink, aber mit der Zunge ging es noch sehr gut, und die setzte sie nun in Bewegung, und die Jungens bekamen etwas Tüchtiges zu hören.

»Wartet nur, ihr Bande,« rief Mutter Krohn, »das soll euch nicht geschenkt sein. Schwalbennester zerstören! Solch eine Roheit! Schwalben sind heilige Tierchen, die schützen das Haus vor Feuer und Blitz.« – Sie langte mit ihrem Krückstock aus und versetzte Ete Beier einen gehörigen Puff. »Dabei ist gar nichts zu lachen, Ete, ich werd dir das Lachen schon austreiben.«

»Wir haben doch bloß Spatzen schießen wollen,« schrie Fiete Eggers dazwischen, aber Mutter Krohn sah das auch für sehr unberechtigt an.

»Warum wolltet ihr Spatzen schießen? Haben die nicht ebensogut ein Recht zu leben wie ihr? Fütter ich sie darum durch den Winter, daß ihr sie mir tot schießt? Tierquäler seid ihr, und Prügel müßt ihr haben, denn wer als Kind Tiere quält, der quält später Menschen, und es nimmt mal ein schlechtes Ende mit ihm.« Und als Mutter Krohn so weit war in ihrer Strafrede, sah sie Schäfer Lange kommen. Der trieb eben seine Schutzbefohlenen heim, und sie rief ihn an: »Och Lange, du hast da so einen schönen, langen Stock, den könntst mal brauchen für die Bengels. Die haben mir meine Schwalbennester zerstört.«

»Was haben sie?« fragte der Schäfer, »Nester zerstört? Na wartet mal, das soll euch schlecht bekommen,« und da er noch sehr schnell laufen konnte, sprang er hinter Fiete Eggers her und erwischte ihn auch und zählte ihm seine Lektion auf den richtigen Fleck, und bei jedem Schlag fragte er: »Willst du das noch mal tun? Willst du noch mal Nester zerstören? Willst du noch mal Tiere quälen?«

Und Fiete Eggers heulte aus Leibeskräften: »Nee Schäfer, ich tu das nie nich wieder. Nu, au, au, hör' doch bloß mit dem Hauen auf.«

Die andern Jungen aber warteten es nicht ab, bis die Reihe an sie kam, sondern gaben Fersengeld, und als Schäfer Lange den heulenden Fiete los ließ, war von den übrigen nichts mehr zu sehen.

Aber ihre Strafe war ihnen nicht geschenkt, denn vom Schulhaus aus hatte die Frau Schulmeister das Strafgericht beobachtet; sie erzählte es ihrem Manne, und da mußten am nächsten Tage alle acht Jäger eine Stunde nachsitzen und hundertmal auf die Tafel schreiben: »Ich darf keine Tiere quälen.«

Das war hart, und daher stammte ihr Zorn auf Mutter Krohn. Sie brummten mit ihr, und Mutter Krohn wollte auch nichts von ihnen wissen.

Nun war in dem Sommer bei dem Herrn Lehrer sein Sohn zum Besuch. Der war ein Malersmann; er malte die alte Sägemühle hinten am Wehr und die Kirche mit ihrem bemoosten Turm und die hängenden Weiden drüben am Moor und noch so allerlei, was er sehr schön fand. Die Jungens begriffen zwar nicht, was da Schönes dran war, sie fanden die Zuckerstangen und Kreisel im Fenster des Kaufmanns viel hübscher. Aber darum zogen sie doch sehr gerne hinter dem Maler her, drängten sich um die Staffelei, schmierten mit den Farben und machten sich so unnütz wie möglich.

An einem Nachmittag aber war der Maler mit seinen Eltern in die nahe Stadt gefahren, und wie die Jungens an dem Schulhaus vorbei kamen, sahen sie hinter dem offenen Fenster den Farbenkasten stehen, und auf dem Tisch lag ein ganzer Haufen Pinsel, und Ete Beier sagte zu Fiete Eggers: »Du Fiete, wenn man da son bißchen mit malen könnte.«

Über Fietes Gesicht flog solch schnelles Leuchten, wie immer, wenn er irgendeine Dummheit vorhatte, und er meinte: »Schweig mal einen Augenblick rein still, Ete; ich muß mir mal was bedenken.«

Und Ete Beier und Fritze Wunderlich und Heine Klöhnhammer waren ganz still und umstanden ihren Anführer und wunderten sich, was der wohl wieder angeben würde. Und nach einer kleinen Weile ging wieder solch Leuchten über Fietes Züge, und er fragte: »Is Mutter Krohn woll zu Hause?«

»Nee.« sagte Heine, »die is in den Wald und sucht Pilze. Das kann noch ne Stunde dauern, bis sie wieder kommt.«

»Na, dann geht mal alle nach Hause und holt jeder ne Handvoll Korn, und dann kommt hier wieder her.«

»Hafer oder Gerste oder Weizen?« fragten die Buben.

»Das is ganz egal. Die Spatzen fressen alles, und wenn wir keine schießen sollen, dann wollen wir uns welche greifen. Aber mal ein bißchen schnell.«

Da liefen sie und waren nach fünf Minuten mit ihrem Korn wieder da.

»So,« sagte Fiete, »und nu gehen wir nach Mutter Krohns Haus, die schließt ja nie ihre Tür zu. Und ihr, Heine und Ete, geht hinein und macht das Fenster auf und lockt so, wie Mutter Krohn immer tut, und streut dabei die Körner auf das Fensterbrett, und dann geht ihr ein bißchen zurück, daß die Vögel nicht scheu werden vor euch. Und wenn recht viele drinnen sind im Zimmer, dann flötet Ete dreimal, und dann klapp ich fix das Fenster von außen zu, und dann komm ich auch rein. Und du Fritze, du holst mal gleich dein großes Vogelbauer, wo dein Vater früher die Lachtauben drin gehabt hat, und dann kommst du damit hierher.«

»Und dann?« fragten die drei andern.

»Das werdet ihr schon sehen,« sagte Fiete. »Aber wenn es was wird, dann wird es was Feines.« Damit mußten sie sich begnügen.

Nun zogen sie davon zu Mutter Krohn, Heine und Ete verschwanden im Häuschen, und Fiete stand draußen Wache.

Jetzt klapperte das alte morsche Fenster, jetzt fing Ete an zu locken: »Komm, komm, tatata, tütütü,« und da flatterte es auch schon von allen Seiten herbei. Nun flogen die ersten Körner aus dem Fenster, und sofort schossen ein Dutzend Vögel oder mehr herzu, pickten und schluckten, flogen auf das Fensterbrett und vom Brett auf den Fußboden, denn da lag es so dicke, wie es noch nie getan hatte, und nun pfiff Ete dreimal, da ging es am Fenster »klapp!« und zu war die Falle. Die Vögel aber hatten es im Schmausen gar nicht einmal bemerkt; nur einer, der auf dem Fensterbrett gesessen, flog erschrocken empor und stieß mit dem Schnabel gegen das Glas und piepte ängstlich.

Fiete kam in die Stubentür, und hinter ihm kam Fritze mit dem Taubenbauer, und die Spatzen burrten in die Höhe und wollten wieder entweichen, aber da waren sie gefangen.

»So,« lachte Fiete, »und nu müssen wir sie greifen und in den Käfig sperren, aber sachte, daß sie sich nichts tun, sonst kommt mir Schäfer Lange noch mal auf meine Kehrseite, und ich kann euch sagen, er hat eine kräftige Hand.«

Da gab es ein großes Lärmen in Mutter Krohns friedlichem Stübchen, aber es dauerte keine halbe Stunde, so waren alle Spatzen gefangen, bis auf einen, der hatte sich unter dem Bett versteckt und wurde nicht gefunden.

Mit ihrem Käfig voll Vögeln liefen die Buben davon, hinten durch den Garten und über die Hecke in den Schulgarten, und da hinein in eine leere Schulstube, und nun befahl Fiele: »Heine, jetzt hol mal dem Malersmann seinen Kasten und die Pinsel.«

Die andern drei sahen ihn an, als wüßten sie nicht, ob er nicht ein bißchen verdreht geworden sei. Als er aber noch einmal befahl: »Fix, die Farben und Pinsel,« ging Heine Klöhnhammer gehorsam hin und holte sie.

»Nun paßt auf,« kommandierte Fiete, »nun nehm ich einen von den Spatzen, und du, Ete, nimmst einen Pinsel, und den tauchst du recht tief in die gelbe Farbe, und dann machen wir aus dem Spatz einen Kanarienvogel. Und was dann Mutter Krohn woll sagt, wenn ihr son ausländisches Ding in das Zimmer hüpft!«

»Hurra,« brüllten die Buben.

Wirklich, Fiete langte in das Bauer, die Sperlinge flatterten und schrien entsetzlich, aber sie mußten es sich gefallen lassen, daß er einen erwischte und ihn sorglich, aber sicher zwischen die Finger nahm. Und Ete ergriff die Tube mit der schönen, gelben Wasserfarbe und machte einen dicken Farbenklex auf die Palette, wie er das von dem Maler gesehen hatte, tauchte den Pinsel tief hinein, und dann fuhr er dem Spatz damit über die Flügel. Der wußte gar nicht, wie ihm geschah, hockte ganz ängstlich in Fietes Hand und ließ alles über sich ergehen. Wieder kam ein gelber Strich und noch einer, dann sagte Ete: »Nu mußt du ihn mal ein bißchen anders halten, daß ich auch den Schwanz anmalen kann. So, nu noch ein gelbes Käppchen, siehst du, der ist fertig.«

Kaum hatte er ausgesprochen, so öffnete Fiete die Hand, und wie der Wind war der Vogel aus dem Fenster und hinüber zum alten Platz. Jetzt begannen auch Fritz und Heine sich an dem Werk zu beteiligen, und weil sie es langweilig fanden, nur Kanarienvögel zu fabrizieren, und weil sich die Farbe so hübsch aus den Tuben drücken ließ, beschmierten sie die ganze Palette und malten den Sperlingen rote Flügel und grüne Schwänze und weiße Müllermützchen, und einer wurde sogar ganz himmelblau. Die Finger und Jacken bekamen bei dem Geschäft auch allerlei bunte Orden ab, aber dadurch ließen sich die fleißigen Künstler nicht stören. Mancher Spatz entwischte auch, wenn er erst auf einer Seite etwas bekommen hatte, und das sah dann besonders verwunderlich aus. Im ganzen flogen etwa ein Dutzend in bunten Narrenjacken in die Welt hinaus.

»So,« rief Ete Beier, als sie mit dieser neuen Dummheit fertig waren, »und nu müssen wir sehen, was Mutter Krohn wohl sagt,« damit lief er hinaus aus der Schulstube, die andern hinterher, und Kasten und Pinsel blieben hübsch beschmutzt liegen.

Mutter Krohn war inzwischen aus dem Walde heimgekehrt, wo sie sich ein Gericht Steinpilze für ihren abendlichen Tisch zusammengesucht hatte. Ohne an etwas Schlimmes zu denken, kam sie über den Kirchenplatz, da flog ein Vogel dicht an ihr vorüber und setzte sich auf einen Ast von Pastors Fliederstrauch, und der Vogel war ganz gelb.

»Sieh, sieh,« dachte die Alte, »da ist der Frau Schulmeister ihr Kanarienvogel davon geflogen, und sie ist in der Stadt und kann ihn sich nicht wiederfangen. Und meine alten Beine sind nicht mehr flink genug für solch leichtes Volk.« Sie sah sich nach Hilfe um. Aber von den Buben, die sonst immer den Kirchenplatz unsicher machten, war nichts zu erblicken. Da ging Mutter Krohn zu Kaufmann Hansen und bat die Frau Hansen, die noch jung und behende war, ob sie nicht Frau Schulmeisters Kanarienvogel greifen wollte, der säße im Pastorgarten. »Natürlich, gern,« sagte Frau Hansen, und Herr Hansen vertraute dem Lehrling den Laden an und machte sich auch mit auf die Jagd.

Sie sahen den gelben Vogel auch noch auf dem Platz herumfliegen; aber er war so behende, daß sie ihn nicht greifen konnten, und Frau Hansen wunderte sich, daß ein Tierchen, welches sein Leben lang im Bauer gesessen hatte, so flink fliegen konnte.

Mit einem Male bekam der Gelbe Gesellschaft von einem Himmelblauen, der flog hinter ihm her und begrüßte ihn mit Geschrei, und Mutter Krohn rief: »Hab ich doch je solche Vögel gesehen! Was ist denn das für ein Bruder? Sieh mal, Hansen, nun sitzt er auf meinem Gartenzaun und plustert sich. Unter den Flügeln scheint er mir grau zu sein, und oben ganz himmelblau; so ein komisches Tier. – Wart, ich will mal mein Fenster auf machen und Futter ausstreuen, ob sie nicht herankommen sollen?«

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Damit lief sie, so schnell es die alten Beine erlaubten, in das Haus. Aber wie sie in ihr Stübchen kam, blieb sie erschrocken an der Tür stehen und sagte wieder: »Was ist denn das?« Da sah es aus wie in Sodom und Gomorra, und sie hielt doch immer alles so sauber und ordentlich. Von ihrem Bett war die Federdecke halb heruntergerissen, die Zipfel schleiften auf dem Fußboden, der eine Holzstuhl lag neben dem Bett und streckte seine Beine anklagend gen Himmel, der andere stand schief in der Ecke. Ihr Wolltuch, das sie an kalten Tagen über die Schultern hing, lag am Boden, und überall, wohin sie sah, waren Körner verstreut, als hätte jemand in dem Kämmerchen gedroschen. Auf dem Fensterbrett aber saß ein Spatz, plusterte das Gefieder und piepte kläglich.

Mutter Krohn kannte den Gast, er hatte nur einen halben Schwanz, die andere Hälfte hatte ihm die Pfarrkatze einmal ausgerissen. »Was bedeutet denn dies hier, Mätzchen?« fragte sie den grauen Gesellen.

Der stieß wieder klägliche Pieptöne aus, aber Mutter Krohn verstand leider seinen Bericht nicht, und so öffnete sie ihm das Fenster und ließ ihn hinaus in die Freiheit. Dabei fiel es ihr wieder ein, daß sie doch die wunderlichen Tiere draußen locken wollte. Sie verschob das Ordnen ihrer Stube auf eine spätere Zeit, sammelte von den reichlich verstreuten Körnern und begann zu locken, wie sie es gewohnt war: »Komm, komm, tatata, tütütü.« Na, aber das hatte sie wirklich nicht erwartet! – da kamen der Gelbe und der Himmelblaue herangeflattert, als müßte das so sein, schrien und pickten; und ehe Mutter Krohn sich noch recht besonnen hatte, bekamen sie Gesellschaft von der seltsamsten Art. Grüne und rote und ganz bunt gefärbte Gesellen, mit gelben Schwänzen und grünen Flügeln und weißen Mützchen, und einer der war ganz schneeweiß, nur auf dem Kopf hatte er ein rotes Käppchen. Das alles huschte heran, vermischt mit richtigen Spatzen, und das zwitscherte und schnabulierte um sie herum, als müßte das nur so sein, und Mutter Krohn schlug die Hände zusammen und rief aus dem Fenster: »Nee, Hansen, kommen Sie doch nur mal rein mit Ihrer Frau! So was hab ich nie für möglich gehalten! Was ist dies man, was ist dies man!«

Und Herr Hansen machte ein würdiges Gesicht und legte es in bedenkliche Falten und sagte: »Sie müssen einem Vogelhändler entflogen sein, es sind sicher ausländische Vögel.«

Und seine Frau kam auch und sah auch und stimmte ihm bei. »Ja, wenn sie nicht schon gefangen gewesen wären, würden sie nicht so zutraulich sein. Sehen Sie mal, Mutter Krohn, jetzt ist der Blaue sogar in die Stube gehüpft. – Aber das wird ein böser Schaden für den Mann sein, dem sie entwischt sind.«

»Wir müssen sehen, daß wir sie ihm einfangen,« erklärte Mutter Krohn, und nun machte Herr Hansen das Fenster zu, und drinnen begann wieder die Jagd auf drei hereingeflogene Vögel, den Blauen, den Gelben und den Weißen mit dem roten Käppchen.

Aber die Tiere waren von all dem, was ihnen an diesem Nachmittag begegnet, so erregt, daß sie sich nicht von Mutter Krohn fassen lassen wollten, obgleich sie ihr sonst auf Schulter und Hand flogen. Der Himmelblaue flatterte unter Schreien und Piepsen in die Waschschale, schlug jämmerlich mit den Flügeln und konnte nicht wieder heraus.

Herr Hansen faßte zu und verkündete: »Den einen hab ich schon. Aber wohin damit?«

»Hier in meinen Pilzkorb,« rief die alte Frau, schüttete ihr Abendgericht auf den Tisch, nahm das Wolltuch, um es über den Korb zu decken, »so Hansen, da setz ihn man rein.«

»Pfui,« sagte Herr Hansen und besah seine Hand, »wie seh ich denn aus? Sieh mal. Lene,« er hielt seiner Frau die Finger hin, »ist das Farbe oder ist das keine? Ich glaub, das Ding hat abgefärbt.«

»Wie kann ein Vogel abfärben, Hansen?« fragte Mutter Krohn, doch als sie sich nun den Gefangenen betrachtete, da sah er gar nicht mehr so schön blau aus, sondern eigentlich – eigentlich – ja, es war traurig zu sagen, – eigentlich wie ein nasser, schmieriger Spatz.

Die drei standen und sahen sich an, und der Spatz hüpfte wieder aus dem Korb heraus, putzte und sträubte sein Gefieder, und als ihm keiner mehr zu nahe kam, sondern alle ihn nur verdutzt anschauten, fing er nach echter, dreister Spatzenart sofort wieder an zu futtern.

»Wenn ich dies begreife!« sagte Herr Hansen. – »Sollten die andern Dinger auch am Ende nur gefärbte Ware sein? – Lene, hilf mal, gib mal das Tuch, der Gelbe pickt gerade so emsig –« richtig, da hatte er ihm das Tuch übergeworfen, faßte darunter, hatte den kleinen Kerl in der Hand und rief: »Nun kann ich ihm nicht helfen, er muß auch baden.« Sorgsam nahm Mutter Krohn ein Läppchen, tauchte es in Wasser und streifte dem Vogel über den Kopf. Da hatte sie gelbe Farbe am Tuch, und auf dem Vogelköpfchen kam ein richtiges schwarzes Spatzenkäppchen zum Vorschein.

Sie sah Frau Hansen an, und Frau Hansen sah ihren Mann an, und der schaute tiefsinnig auf seinen Gefangenen, und dann sagte Mutter Krohn plötzlich: »Das hat ganz gewiß niemand getan wie Fiete Eggers und Ete Beier und die Bande. Und darum hat es wohl auch hier in meinem Zimmer so böse ausgesehen. Aber Farben sind doch nicht hier bei mir.«

»Da sind sie ja,« rief Frau Hansen. »Da kucken sie uns ja in das Fenster.«

Richtig, draußen vor den Scheiben wurden vier Bubengesichter sichtbar, die schauten neugierig und listig in das Kämmerchen, und jetzt verzogen sich ihre Münder zu einem vergnügten Grienen, denn sie hatten den Gelben in Hansens Hand bemerkt, und nun lachten sie aus Leibeskräften, wie nur solche Jungens lachen können, denen eine rechte Dummheit gelungen ist.

»Is das nicht ein feiner Kanarienvogel?« schrie Fiete. »Hansen, wollen Sie nicht einen Handel mit ausländischen Vögeln anfangen? Hier auf dem Kirchenplatz gibt es eine ganze Menge der seltensten Sorten.«

»Ich werd gleich mit was anderem handeln,« rief der Kaufmann, »nämlich mit ungebrannter Asche,« griff nach Mutter Krohns Krückstock und lief aus der Tür. Doch da sausten die vier schon davon, und er hatte das Nachsehen. –

Die Spatzen sollten sich jedoch nicht lange ihres Schmuckes erfreuen. Am Nachmittag ging ein Sturzregen nieder, und als sie nach ihrer Gewohnheit sich hinterher mit frohem Geschrei in den Pfützen badeten, da verschwanden die bunten Farben, und sie wurden wieder, was sie vorher gewesen, ganz gewöhnliche graubraune Dorfjungen, und das sind sie von da an geblieben. Für das vierblättrige Kleeblatt aber hatte die Sache noch ein sehr unangenehmes Nachspiel.

Als der Maler heimkam und sah, wie seine Sachen verschmutzt und die Farben verdorben waren, schwur er den Missetätern Rache. Er brauchte nicht lange zu forschen, wer das gewesen, denn noch am selben Abend erzählte sich ganz Hohensprenz die Geschichte von den ausländischen Vögeln, und woher die gekommen. Am andern Morgen aber, als die Sünder in die Schule kamen, wartete der Maler auf sie vor der Klassentür, nahm jeden freundlich in Empfang und gab ihnen eine Lehre, daß sie sich künftig nicht wieder an seinem Eigentum vergriffen.

Sie durften auch nicht wieder mitlaufen, wenn er hinaus ging mit Staffelei und Farbkasten, er wollte nichts mehr von ihnen wissen. Und Mutter Krohn, die sonst so manchen Riß in Hose und Jacke gestopft hatte, sagte jetzt ganz kurz: »Danke, sucht euch jemand anders, der euch eure Dummheiten wieder gut macht. Ich habe fürs erste genug von euch.«

Das war bitter, und für eine kurze Zeit sind sie etwas braver gewesen.

Jetzt sind sie schon alle große Kerle, und Fiete Eggers, der so schön Spatzen malen konnte, malt nun Häuser und Zäune an, denn ihm hat die Pinselei damals so gut gefallen, daß er auch ein Maler geworden ist. Und kann man nicht Bildermaler werden, so ist ein tüchtiger Anstreicher auch nicht zu verachten.

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