Bonaventura
Nachtwachen
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Vierzehnte Nachtwache

Kehre mit mir zurück ins Tollhaus, du stiller Begleiter, der du mich bei meinen Nachtwachen umgiebst. –

Du erinnerst dich noch an meine Narrenkämmerchen, wenn du anders den Faden meiner Geschichte – die sich still und verborgen, wie ein schmaler Strom, durch die Fels- und Waldstücke, die ich umher aufhäufte, schlingt – nicht verloren hast. In diesem Narrenkämmerchen lag ich, wie in einer Höle der Sphynx, mit meinem Rätsel eingeschlossen, und war fast auf dem glücklichen Wege, mich wahrhaft zur Tollheit, als dem einzigen haltbaren Systeme, zu bekennen, eben weil ich täglich Gelegenheit hatte die Resultate dieser allgemeinen Schule, mit denen der einzelnen zu vergleichen. Ich will etwas ausholen! sagen die Schriftsteller, wenn sie vom Sie einer Sache anheben wollen, ich muß mich auch dazu bequemen, da ich in dieser Nacht das einzige Nachtigallenei meiner Liebe auszubrüten gedenke; denn um mich her schlagen die Nachtigallen in allen Büschen und Gezweigen, und verbinden sich, wie ein Chor, zu einem einzigen Liebesgesange.

Ich spielte einst aus Ingrimm über die Menschheit auf einem Hoftheater den Hamlet, als Gastrolle, um Gelegenheit zu haben, mich gegen das schweigend dasitzende Parterre eines Theils meiner Galle zu entledigen. An diesem Abende trug es sich zu, daß die Ophelia aus ihrem Vexirwahnsinne Ernst machte und förmlich toll vom Theater ablief. Es gab gewaltigen Lärm, und wie andere Direktoren sich mit dem Einstudieren der Rollen zu beschäftigen pflegen, so bemühete sich dagegen der anwesende seine Prima Donna mit aller Anstrengung aus der gespielten herauszustudieren; – doch vergeblich, die mächtige Hand des Shakespear, dieses zweiten Schöpfers, hatte sie zu heftig ergriffen, und lies sie zum Schrecken aller Gegenwärtigen nicht wieder los. Für mich war es ein interessantes Schauspiel, dieses gewaltige Eingreifen einer Riesenhand in ein fremdes Leben, dieses Umschaffen der wirklichen Person zu einer poetischen, die jetzt vor den Augen aller Vernünftigen, auf Kothurnen ernsthaft auf- und abging, und abgerissene Gesänge, wie wunderbare Geistersprüche, hören ließ. So sehr man auch mit den bündigsten Gründen in sie drang zur Vernunft zurückzukehren, so heftig protestirte sie dagegen, und es blieb zuletzt kein anderes Mittel übrig, als sie ins Tollhaus zu schicken.

Zu meinem nicht geringen Erstaunen traf ich hier wieder mit ihr zusammen. Ihr Kämmerchen stieß dicht an das meinige, und ich hörte sie täglich den Holzschuh und Muschelhut ihres Geliebten besingen. Ein Kerl wie ich, der aus Haß und Grimm zusammengesetzt ist, und nicht wie andere Menschenkinder seiner Mutter Leibe, sondern vielmehr einem schwangern Vulkane entbunden zu sein scheint, hat für Liebe und dergleichen wenig Sinn; und doch beschlich mich hier im Tollhause so etwas, es äußerte sich zwar anfangs nicht in den gewöhnlichen Symptomen, als Vorliebe für Mondschein, poetischen Andrangs zum Kopfe und dergleichen; sondern vielmehr in dem heftigen Bestreben zur Errichtung einer Narrenpropaganda und einer ausgebreiteten Kolonie von Verrückten, um sie zum Schrecken der andern vernünftigen Menschen plözlich anlanden zu lassen.

Dies tolle Gefühl indeß, das sie Liebe nennen, und das wie ein Flicken vom Himmel auf diese dürre Steppe der Erde heruntergefallen ist, fing doch am Ende auch bei mir an es ernstlicher zu nehmen, und ich machte zu meinem eigenen Entsetzen mehrere Gedichte in Versen, schaute auch in den Mond, und sang gar zu Zeiten mit, wenn draußen um das Tollhaus her die Nachtigallen pfiffen. Ich habe wahrhaft einmal einige Rührung an einem sogenannten melancholischen Abende verspürt; ja ich konnte in gewissen Stunden aus einem Loche meiner Kaukasushöle schauen, und weniger denken als nichts. – Auch Betrachtungen habe ich in diesem Zeitpunkte meiner Schreibtafel einverleibt, von welchen ich doch hier einige für gefühlvolle Seelen ausheben will.


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