Theodor Kirchhoff
Eine Reise nach Hawaii
Theodor Kirchhoff

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Siebenzehntes Kapitel.

Letzte Tage in Honolulu. – Ein Zukunftskabel. – Der »Dampfertag« in Honolulu. – Auf die Punschbowle. – Das alte Fort. – Die Schlacht beim Punch-Bowl. – Ankunft der Zealandia. – Erlaubnis zur Abreise. – Unangenehme Lage des Vulkanmalers Tavernier. – Ein herzlicher Abschied.

Die Stunde für meine Rückreise nach San Francisco rückte allmählich näher heran. Mir war dies nicht unlieb, denn auf die Dauer wurde mir der Aufenthalt in Honolulu, trotz des außerordentlich liebenswürdigen Entgegenkommens meiner dort lebenden Landsleute, doch etwas einförmig, und auch das Neue, das ich in dem schönen Tropenlande sah, verlor nach und nach seinen Reiz. Namentlich konnte ich mich nicht daran gewöhnen, wochenlang gar keine Nachrichten von der Außenwelt zu erhalten. Für die Fremden wäre ein telegraphisches Kabel von Californien oder British Columbia nach Australien und Japan, dessen Mittelstation naturgemäß Honolulu sein müßte, eine große Annehmlichkeit. Das Königreich Hawaii hat einer überseeischen Kabelverbindung eine jährliche Unterstützung von 20 000 Dollars verbürgt, und es ist gewiß nur eine Frage der Zeit, daß eine solche hergestellt werden wird. Gegenwärtig erfordern die Handelsverhältnisse in der Südsee aber kaum ein derartiges sehr kostspieliges Unternehmen, zumal Neu Seeland, der australische Kontinent und Japan bereits eine telegraphische Verbindung mit der alten Welt besitzen.Das Legen eines unterseeischen Telegraphenkabels von der Westküste Nordamerikas nach Hawaii, Neu Seeland und Japan wird, wie die neuen Tiefseemessungen des V. St.-Schiffes Albatros bewiesen haben, mit größeren Schwierigkeiten verknüpft sein, als früher angenommen wurde. Kapitän Tanner, der Befehlshaber des Albatros, hat berichtet, daß im nördlichen Stillen Ocean auf der Linie, welcher ein unterseeisches Kabel zwischen der californischen Küste und Hawaii folgen müßte, eine gewaltige Schlucht liegt, die sich von Norden nach Süden in bis jetzt unbekannte Ferne am Meeresboden erstreckt. Der Ost- und der Westrand dieser kaum drei Seemeilen weiten Schlucht liegt nur 1100 Faden unter dem Meeresspiegel, während sie in der Mitte 3800 Faden tief ist. Kein Kabel könnte, ohne zu brechen, die ungeheure Spannung von 2700 Faden zwei Mal kurz nacheinander aushalten. Es wird überhaupt sehr schwierig sein, unterseeische Kabel im pacifischen Ocean zu legen, der in seiner Tiefe ganz voll ist von scharfen Piks, ungeheuren Abgründen und steilen Bergketten, die vulkanischen Ursprungs sind. An der Westküste Amerikas liegt ein schmaler Streifen Meeresgrund, der nur 200 bis 500 Faden tief ist, dann folgt ein breiterer Streifen mit 1000 bis 2000 Faden Tiefe. In der Mitte hat jener Ocean eine Durchschnittstiefe von 3000 Faden. Ein Kabel zwischen Europa und Nordamerika zu legen, wo sich nur ein schräger unterseeischer Abhang westlich von der irländischen Küste befindet, und der Meeresboden an wenigen Stellen tiefer als 2000 Faden und so eben wie eine Tenne ist, ist ein Kinderspiel im Vergleich mit einem Telegraphenkabel am Grunde des Stillen Oceans.

Die lebendigste Zeit in Honolulu ist der Tag, an welchem ein Postdampfer aus San Francisco anlangt, der die neuesten Briefe und Zeitungen mitbringt. Jedermann kauft sich alsdann eine gute Auswahl californischer Zeitungen; das Postgebäude ist stundenlang förmlich belagert, und es herrscht in den großen Kaufmannshäusern die regste Thätigkeit. Ich will hier erwähnen, daß das Königreich Hawaii für einen Brief nach auswärts, der nach anderen Ländern des Weltpostvereins als die Vereinigten Staaten, Kanada oder Mexiko, z.B. nach Deutschland, England u.s.w. aufgegeben wird, doppeltes Briefgeld berechnet. Ein Brief nach den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko kostet 5 Cents (das gewöhnliche Briefgeld im Weltpostverein); ein Brief von Honolulu nach Deutschland kostet dagegen 10 Cents. Für Briefe innerhalb der Grenzen des Königreichs Hawaii wird 2 Cents berechnet, und es gelten dort dieselben, die Post betreffenden Regeln und Ansätze wie in Amerika. – Während, wie gesagt, die californischen Zeitungen, namentlich die aus San Francisco, mit einem wahren Heißhunger in Honolulu verschlungen werden, kümmert sich dort um die australischen und um andere auswärtige Blätter fast kein Mensch; ein deutlicher Beweis, daß die Beziehungen der Bewohner des Inselreichs mit dem Auslande ganz in Amerika liegen. Einige Engländer aus Aukland in Neu Seeland, die im Hawaiian Hotel wohnten und dort bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf den Regen schimpften – »beastly weather, you know!« – machten ihrem Ärger über jene Bevorzugung Amerikas mehrmals in meiner Gegenwart mit grimmigen Worten Luft.

Am Tage vor der Ankunft des Dampfers Zealandia von Sydney, auf welchem ich die Rückreise nach San Francisco antreten wollte, bestieg ich den schon öfters erwähnten, dicht hinter der Stadt liegenden Punch-Bowl-Berg (Puowaina), um einen letzten Überblick auf Honolulu und die Umgebungen der Stadt zu genießen. Mit ziemlicher Mühe erreichte ich auf einem Umwege von der Nordseite her den Rand des 498 Fuß hohen Berges. Dieser, wie auch Diamond Head, Koko Head und die zahlreich auf der Insel Oahu zerstreut liegenden alten Krater, waren ursprünglich Aschenkegel, die ihre Thätigkeit aber längst eingestellt haben. Geologen behaupten, daß dieselben verhältnismäßig neueren Ursprungs sind. Ein plötzliches Wiedererwachen ihrer vulkanischen Thätigkeit ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich, aber doch nicht unmöglich, und es sind jene alten Krater in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt gar keine angenehmen Nachbarn für die Bewohner. Das Innere der Punschbowle gleicht einer großen mit Gras bewachsenen Mulde, – daher der Name. Jedenfalls könnte dieselbe Punsch genug für Kalakaua und für alle seine stets durstigen Unterthanen und Gäste in sich aufnehmen!

Auf der südöstlichen Spitze des Punch-Bowl-Berges, wo das vulkanische Gestein deutlich zu Tage tritt, liegt ein altes sogenanntes Fort, aus welchem man ehedem Salutschüsse abzufeuern pflegte. Vier verrostete Geschützrohre lagen auf der Erde neben ihren halb zerstörten Lafetten, kein Soldat oder sonst ein Mensch war auf der von zerbröckelten Felsen umwallten Höhe zu sehn, und ein altes dort stehendes Bretterhaus, ohne Thür und mit eingeschlagenem Fenster, sah so verwahrlost wie nur möglich aus. Später erfuhr ich, daß einige patriotisch gesinnte Honoluluer jene Geschütze zur Zeit der ersten großen Revolution dienstuntauglich gemacht hätten, damit Kalakauas Leibgarde die Stadt nicht mit ihnen in Grund und Boden schießen könnte, – eine müssige Vorsicht, da weder Kugeln noch Granaten vorhanden waren! Auch hätte man sich in den Hospitälern früher oft über den ganz unnötigen Lärm beklagt, was vielleicht mehr als die Furcht vor einem Bombardement die Veranlassung gab, die Kanonen unbrauchbar zu machen. Die Aussicht auf das blaue Meer und die lange Küstenlinie, von Diamond Head bis jenseits des Perlenflusses, auf den Hafen und die wie in einem großen Park liegende Stadt, deren Häuser zwischen den grünen Baumwipfeln hervorlugten, auf die umliegenden Thäler und den die Rundschau im Norden abschließenden vielgipfeligen Gebirgszug war überaus malerisch.

In der Nähe des Punch-Bowl-Berges wurde im Jahre 1794 eine Schlacht zwischen dem Könige Kalani von Oahu und seinem Onkel Kaéo, dem Beherrscher von Kauai, geschlagen. Letzterer war mit einem ansehnlichen Heere von seiner Insel gekommen, um Oahu zu erobern. Mit einer großen Flotte landete er in der Nähe von Honolulu und marschierte mit seiner ganzen Macht das Nuuanuthal hinauf, wo sich ihm Kalani am Fuße des Punchbowl mit seinen Kriegern zum Kampfe entgegenstellte. Kalanis Gemahlin, die Königin Kupule, und alle Frauen, deren Männer in die Schlacht gezogen waren, hatten den Berg erklettert, von wo jene die Krieger Oahus durch Gesang und Zuruf zu Heldenthaten anfeuerten. Plötzlich bemerkte Kupule, daß Kaéos Flotte ohne allen Schutz im Hafen lag. Mit 1200 Frauen rannte sie im Rücken des feindlichen Heeres den Punchbowl hinab und entführte sämtliche Schiffe nach Waikiki. Als die Kauaier dies entdeckten, war ihre Bestürzung derartig, daß es Kalani nur wenig Mühe kostete, sie zum Niederlegen ihrer Waffen zu bewegen, zumal er seinen Onkel bereits mit einem Speerwurf getötet hatte. Schließlich verbanden sich die Krieger von Kauai mit denen von Oahu gegen Kamehameha I. Die Entscheidungsschlacht gegen diesen fand, wie ausführlich im fünften Kapitel geschildert wurde, im folgenden Jahre auf dem Pali statt.

Wie steil der Abstieg vom Punchbowl war, den die Königin Kupule und die 1200 Frauen Oahus vor fast hundert Jahren hinunterliefen, ward mir bei meiner Rückkehr nach der Stadt klar, als ich denselben Weg einschlug. Statt hinunterzulaufen hielt ich es für geraten, den felsigen Abhang mit äußerster Vorsicht langsam hinunterzuklettern, um nicht auf den Sandwichinseln noch zuguterletzt Hals und Bein zu brechen. Ganz erschöpft und in Schweiß förmlich gebadet erreichte ich nach einigen Stunden wieder das Hawaiian Hotel und gelangte zu der Überzeugung, daß dies kein Land sei, in welchem lange Spaziergänge und Bergbesteigungen für gewöhnliche Menschenkinder angebracht sind. Das heutige Geschlecht klettert überhaupt fast gar nicht mehr auf die Punschbowle. Ich glaube nicht, daß mehr als einer von hundert der gegenwärtigen Bewohner Honolulus je dort oben waren. Die alte Poesie und Heldenzeit ist längst dahin. Kupule und ihre 1200 leichtfüßigen Begleiterinnen würden voll Mitleid die heutigen Kanakafrauen betrachten, wenn sie einigen derselben zufällig begegneten. –

Am 15. Januar langte der Dampfer Zealandia im Hafen von Honolulu an. Zunächst verschaffte ich mir für einen Dollar die Erlaubnis zur Abreise, indem ich mir einen Schein löste, worin ich durch Unterschrift an Eides Statt bekräftigte, daß ich im Reiche Kalakauas alle meine Schulden bezahlt hätte. Ohne einen solchen Paß darf niemand das Paradies der Südsee verlassen. Wer fünf Dollars oder mehr schuldet, den kann sein Gläubiger, und wäre dieser nur ein chinesischer Waschmann, ohne weiteres wieder vom Dampfer herunterholen lassen und ihn hindern abzureisen, bis er bezahlt hat. Als ein warnendes Beispiel wurde mir der in Honolulu berühmt gewordene Vulkanmaler Tavernier genannt. Derselbe war so unvorsichtig gewesen, einige teure blutrote Bilder des Lavasees an His Majesty auf Pump zu verkaufen, für welche dieser zu zahlen vergaß. Infolge dessen vermochte jener Sohn des Apelles, der des schnöden Mammons dringend bedürftig war, seine eigenen Schulden nicht zu begleichen, konnte nicht abreisen und führte in der Nähe der Hauptstadt ein unfreiwilliges Verbannungsleben.

Glücklicherweise befand ich mich nicht in der Lage des Herrn Tavernier, so daß ich ohne Sorgen vor unbezahlten Wasch-, Gasthaus- oder anderen Rechnungen von meinen Freunden in Honolulu Abschied nehmen konnte. Als ich mit mehreren Mitreisenden das Hawaiian Hotel verließ, wurde jedem von uns ein prächtiger Rosenkranz überreicht, womit wir uns die Hüte schmückten. Auf der Landungsbrücke fand das bei allen solchen Gelegenheiten übliche Gedränge, Abschiednehmen u.s.w. statt. Kanakamädchen hatten auf Matten, die auf dem Boden ausgebreitet waren, eine Menge von hawaiischen und anderen Seltenheiten hingelegt, die von den Reisenden als Erinnerung an Honolulu gern gekauft wurden: Hutbänder und Halsketten aus kleinen farbigen Muscheln, Fächer verschiedener Art, allerliebste aus braunem Koa-Samen verfertigte Täschchen und Armbänder, Flechtarbeiten aus Bast, Stickereien, Muschelschnüre aus Fidschi und Tasmanien, allerlei Nippsachen, Blumenkränze u.s.w. Ein vielstimmiges »Aloha!« erscholl am Ufer, als die Zealandia sich langsam entfernte, die Matrosen der amerikanischen und englischen Kriegsschiffe hatten die Raaen bemannt und schwenkten die Mützen, das Musikchor des Herrn Berger spielte zum Abschied ein hawaiisches Nationallied.

Ich muß gestehn, daß mir bei diesem herzlichen Abschiednehmen doch etwas eigentümlich zu Mute wurde. Die kleinen Unannehmlichkeiten, welche ich im Reiche Kalakauas erfahren habe, sind seitdem fast von mir vergessen worden; aber so manches warm gezeichnete Tropenbild, die Feuerwelt Hawaiis, die unter meinen Landsleuten in Honolulu verbrachten heiteren Stunden und das Leben dort in einer fremdartigen Umgebung haben durch Zeit und Entfernung nichts von ihrem Zauber verloren. Als die stolze Zealandia bei Sonnenuntergang am Kraterwall von Diamond Head vorüberdampfte, ein doppelter Irisbogen die auf den Gebirgen von Oahu lagernden Wolken wie zum freundlichen Abschied mit glänzenden Farben schmückte und ich einen letzten Blick auf die sich schnell in Dunkel hüllende Küste warf, bereute ich nicht meinen Besuch im lavaumgürteten schönen Insellande der blauen Südsee, von dessen riesigen Feuerbergen und mit Palmen gekrönten grünen Gestaden ich einen Schatz goldener Erinnerungen mit mir genommen habe.


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