Theodor Kirchhoff
Eine Reise nach Hawaii
Theodor Kirchhoff

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Achtes Kapitel.

Das Panorama des Kilauéa. – Der Mauna Loa und der Mauna Kea. – Die Caldéra des Kilauéa. – Die Umgebungen des Volcano-House. – Der Abstieg in den großen Krater. – Ein Spaziergang von drei Meilen über Lava. – Der »kleine Bettler«. – Peles Haar. – Pele und ihre Geschwister. – Lästige Schwefeldämpfe. – Der große Lavasee. – Der Halemaumau. – Ein waghalsiger Kanake. – Der Feuersee bei Nacht. – Im Finstern durch den großen Krater.

Sonnenschein am Kilauéa! – Wie ganz anders als am vergangenen regnerischen Abende sah der gewaltige Krater in seiner urwilden Umgebung am Morgen des 22. Dezembers aus, als ich nach erfrischender Nachtruhe aus meinem Schlafgemach in den leuchtenden Sonnenschein auf die Veranda des Volcano-House hinaustrat! Zur Rechten des Kraters lag wie eine ungeheure umgekehrte Mulde der riesige, 13650 Fuß (4161 Meter) hohe langgestreckte Mauna Loa (der »lange Berg« – Mauna ist das hawaiische Wort für Berg), dessen oberste Wölbung mit Schnee bedeckt war. Einen ähnlichen Berg sah ich noch nirgends in der Welt. Ganz allmählich stieg der meilenlange Vulkan empor, ohne einen ins Auge fallenden Grat zu bilden. Der Berg lag scheinbar so nahe, daß es kaum glaubhaft schien, sein Gipfel sei eine volle Tagereise entfernt und erhebe sich mehr als 9000 Fuß über meinem Standpunkt. Die Grenze der Waldzone am Mauna Loa konnte ich ganz deutlich erkennen. Sein Hauptkrater, Makuawéowéo genannt, liegt auf der breiten Gipfelfläche und ist etwa drei engl. Meilen (4-4/5 km) lang und fast zwei engl. Meilen (3-1/5 km) breit, mit einer Tiefe von etwa 800 Fuß. Wenige Schritt vom Gasthause gelangte ich an einen Punkt, wo der Mauna Kea (der »weiße Berg«) im Nordwesten hervortrat. Die mehrfach gegipfelte, gleichfalls mit Schnee bedeckte Zinne jenes höchsten Berges auf den hawaiischen Inseln erhebt sich 13 805 Fuß (4209 Meter) über den Meeresspiegel. Der 8275 Fuß (2523 Meter) hohe Huálalai, der vierte unter den Riesenvulkanen auf der Insel Hawaii, ist beim Volcano-House nicht sichtbar, weil er dort vom Mauna Loa verdeckt wird. Mauna Kea und Huálalai sind erloschene Vulkane, wogegen Mauna Loa und Kilauéa, ersterer in Pausen von wenigen Jahren, der letztere unausgesetzt thätig sind. Der Mauna Loa ist der größte thätige Vulkan auf der Erde.

Der Krater des Kilauéa bildet ein ziemlich regelmäßiges längliches Rechteck von etwa neun engl. Meilen (14-½ km) im Umfang, mit senkrechten Felswänden, die nur an der schmäleren Nordseite eine weite Öffnung mit schrägem Absturz frei gelassen haben, durch welche man auf den Boden gelangen kann.

Die Veranda des Volcano-House (an der Nordostseite des Kraters) befindet sich 4040 Fuß (1232 Meter) über dem Meeresspiegel, der Boden des Kraters liegt 487 Fuß tiefer als der Fußboden der Veranda. An der westlichen Längenseite haben seine Felshänge eine Höhe von 630, an der südlichen und östlichen Seite eine Höhe von 300 bis 600 Fuß. Augenscheinlich verdankt der große Krater seine Entstehung dem Einsturz einer Erdkruste, die wahrscheinlich einst von einer unter ihr lagernden flüssigen Lavamasse getragen wurde. Durch einen unterirdischen Abfluß der Lava verlor die Decke ihren Halt, stürzte ein und bildete so den jetzigen Krater. Von dem ausgezeichneten amerikanischen Geologen C. E. Dutton, der im Auftrage seiner Regierung die hawaiischen Inseln bereiste, um die dortigen Vulkane zu studieren,Siehe »Report of the U.S. Geological Survey«, Band IV. wurde einem solchen Einsturzkrater im Gegensatze zu einem Auswurfskegel der spanische Name Caldéra (ein Kessel) beigelegt, welche Bezeichnung jetzt die übliche ist. Ursprünglich hatte der Krater des Kilauéa eine viel größere Tiefe, als er gegenwärtig zeigt. Im Jahre 1840 waren die ihn einschließenden Felshänge noch 1200 Fuß hoch. Durch zahlreiche, sich fast in jedem Jahre wiederholende Überschwemmungen aus den verschiedenen Lavaseen wurde die große Einsenkung mehr und mehr ausgefüllt. Der amerikanische Geologe Wilkes sah nach seiner Schätzung nicht weniger als fünfzehn Millionen Kubikfuß Lava in einer einzigen Nacht aus einem der Lavaseen strömen, so daß die Zeit vielleicht nicht mehr fern liegt, wann die Caldéra des Kilauéa in ihrer jetzigen Gestalt verschwunden sein wird.

Da wir erst am Nachmittage in den Krater hinabsteigen sollten, so benutzte ich das herrliche Wetter (mittags zeigte das Thermometer im Schatten auf der Veranda des Gasthauses 70º F =   17º R.) teils zu Spaziergängen, teils dazu, um mich über den Kilauéa etwas näher zu unterrichten. Der freundliche Wirt, ein Amerikaner mit Namen Maby, der über alles, was den Vulkan betraf, genau Bescheid wußte, gab mir unaufgefordert manche hochinteressante Auskunft über denselben, worauf ich später zurückkommen werde. Auch entdeckte ich eine ausgezeichnete Quelle der Belehrung in den Fremdenbüchern, worin namhafte amerikanische Geologen seit einer Reihe von Jahren ausführliche Berichte über die Vulkane Hawaiis eingetragen hatten. Wie ich bereits bei meiner Ankunft im Volcano-House wahrgenommen hatte, steigen an vielen Stellen in der Nähe des Gasthauses heiße Dämpfe aus dem Boden empor. Es sind dies teils Wasser-, teils Schwefeldämpfe. Letztere umwogten namentlich einen ansehnlichen gelben Schwefelberg, bei welchem eine einfache Badeanstalt liegt. Die Dampfbäder, welche jedem Fremden frei zur Verfügung stehn, sollen gegen rheumatische Beschwerden von großer Wirksamkeit sein. Der Boden ist in der Nähe des Volcano-House in einer Tiefe von nur sechs Fuß fast überall so heiß, daß man denselben dort nicht zu berühren vermag und sogar ein Topf mit Wasser sich in ihm bis zum Sieden erhitzt. Wir wandelten und wohnten hier augenscheinlich auf einem Feuerherd, der allerdings eine ziemlich feste Decke hatte, sich aber ungemütlich dicht unter unseren Füßen befand.

Den schönsten Blick auf das Panorama des Kilauéa und seine Umgebung entdeckte ich auf einer unterhalb des Gasthauses stehenden Ruhebank, in deren Nähe heiße Wasserdämpfe aus dem Gestein hervorbrachen. Einen lieblichen Vordergrund bildete der mit wilden Rosen und mit grünen Büschen und Farnen dicht bewachsene Abhang. Über den grauen und bräunlichen tief unten liegenden schollenartigen Kraterboden glitten die Schatten der im blauen Äther schwebenden Wolken langsam hin. In einer Entfernung von etwa drei engl. Meilen (5 km) lag der Halemaumau, eine vielgezackte, von weißem Dampf dicht umwogte Klippeninsel, in dem Lavameer. Zur Rechten blickte der Mauna Loa mit blinkendem Haupte im hellen Sonnenlichte auf das wüste, großartige Bild majestätisch herab. Es war dies ein Ruheplatz, der für poetische Träumereien wie geschaffen schien.

Um zwei Uhr nachmittags war unsere kleine Gesellschaft marschfertig, um unter der Führung eines ortskundigen Kanaken in den Krater hinabzusteigen. Die Gummimäntel nahmen wir mit, weil ein Regenbogen andeutete, es sei wieder nasses Wetter im Anzuge. Ein starker Stab, eine Laterne und für den Notfall ein Imbiß und Flaschen mit Trinkwasser vervollständigten unsere Ausrüstung. Die Laternen, von welcher jeder von uns eine tragen mußte, sollten dazu dienen, den Weg in der Nacht bei unserer Heimkehr durch den finsteren Krater etwas zu erleuchten. Bald befanden wir uns auf dem gewundenen Bergpfad, der an dem mit Büschen und Farnkräutern dicht bewachsenen fast 500 Fuß hohen Abhang hinunterführte. Der Kanake brach zunächst einige Halme von dem hier in Menge wachsenden schilfartigen Silver-Sword-Gras (Peineyo – eine Art Astelia) ab und riß von der Binnenseite der Blätter lange silberglänzende Streifen los, die wir in unseren Knopflöchern oder am Hutrand befestigten und im Winde flattern ließen. Mit diesen sogenannten »Lilien des Kilauéa« schmücken sich alle Vulkanfahrer. Der Abstieg auf dem bequemen gewundenen Wege ward schnell bewerkstelligt. Wir befanden uns jetzt am unteren Rande des eigentlichen Kraters, eines wie im Sturme erstarrten Lavameeres, das den Boden des Kilauéa weit und breit bedeckte.

Unserem Führer in aufgelöster Reihe folgend, traten wir von dem Sandboden auf die erkalteten Halemaumau (das Haus des ewigen Feuers) los, der sich dampfend vor uns auftürmte. Der Ausdruck marschieren ist hier eigentlich nicht gut gewählt; es war vielmehr ein abwechselndes Klettern, Gleiten, Kriechen, Schleichen, Schreiten und Springen, mit eifrigem Bemühen, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, wodurch sich unsere Bewegungen kennzeichneten. Die Lava, über welche sich der kaum zu erkennende Pfad hinzog, war zum größten Teil eine ziemlich poröse Masse, die wie ausgegossene pechschwarze, graue oder dunkelbraune Melasse und in Haufen zusammengedrehte Taue und Knäuel aussah, das schon früher erwähnte Pahoehoe, oder sie bestand aus scharfkantigen Schollen und Trümmern, dem höchst unangenehmen A-a, das unsere Stiefelsohlen zerschnitt, und bildete streckenweise dicht neben einander liegende feste und glatte kleine Hügel. Einige Flächen, welche durch den Niederschlag von Schwefeldämpfen braunrot gefärbt waren, sahen von ferne so aus, als beständen sie aus glühender Lava.

Mühsam mußten wir uns zwischen Hügeln und über große und kleine Schollen, die aufeinander gehäuft dalagen, vorwärts bewegen. Stellenweise war die Lava zu förmlichen Bergen aufgetürmt, oder ihre Decke war eingestürzt und es zeigten sich zahlreiche schmälere und breitere Spalten, Löcher, ansehnliche Höhlen und förmliche Schlünde. Der Kraterboden des Kilauéa besteht nämlich durchaus nicht aus einer dichten Masse, sondern er ist infolge der sich öfters wiederholenden Überschwemmungen aus den Feuerseen, und des zeitweiligen Verschwindens der flüssigen Lava, unter ihm auf weiten Strecken unterhöhlt. Die ungleichmäßige Abkühlung der glühenden Massen ist eine der Hauptursachen der zahllosen Spalten und Risse im Lavabett. Zur Zeit meines Besuchs vermehrte sich die flüssige Lava wieder sehr schnell und füllte die Höhlungen von neuem aus. An anderen Stellen war der Boden mit einer dünneren Schale von lockerer grauer Lava bedeckt, die Ähnlichkeit mit schmutzigem gefrorenen Schnee hatte und leicht zerbröckelte, wenn wir über sie hinwegschritten. Daß der Boden unter unseren Schuhsohlen oft unangenehm warm war, daß wir gelegentlich in eine heiße Dampfwolke hineingerieten, oder plötzlich durch die lockere Kruste hindurchtraten, trug auch nicht zu unserem Wohlbehagen bei. Genug, es war dies ein sehr ermüdender und recht unangenehmer Marsch von etwa 2-½ engl. Meilen (4 km), der schier kein Ende nehmen wollte, obgleich wir dem Halemaumau, den wir scharf im Auge behielten, allmählich näher kamen.

Endlich standen wir auf einer ansehnlichen Höhe von grauer, sehr poröser Lava. Unter uns dehnte sich eine breite Niederung aus, welche den jenseits derselben liegenden, heftig dampfenden Halemaumau im weiten Halbbogen umspannte. Augenscheinlich lag der Feuerherd dicht unter jener mit einer dünnen Lavakruste bedeckten Niederung, welche an vielen Stellen die unter ihr verborgene Glut durchschimmern ließ. Höchst unterhaltend war ein sich dort in voller Thätigkeit befindender, nur etwa zehn Fuß hoher schmaler Ausbruchskegel, der fortwährend, mit dem puffenden Geräusch einer Dampfmaschine, kleine Mengen von blutroter Lava ausspie. Ab und zu flogen seine silbern aussehende Fädchen, bald einzeln, bald mehrere von ihnen vereint, aus diesem »Baby«-Krater, welcher den Namen: Der kleine Bettler führt, weithin durch die sonnige Luft und blieben an dem entlegeneren Gestein hängen: das sogenannte Peles Haar. Über die Entstehung dieser Fädchen, welche fein gesponnenem Glas ähnlich sehn, ist man nicht recht im klaren. Sie scheinen aus Asbest mit Schwefelverbindung zu bestehn. Diese vulkanische Wolle sondert sich wahrscheinlich in ganz kleinen Teilen von der heftig emporgeschleuderten flüssigen Lava ab, wird vom Winde fortgeführt und in der Luft gleichsam ausgesponnen. Bei großen Ausbrüchen fliegt Peles Haar, das, soviel ich weiß, nur im Kilauéa und Mauna Loa vorkommt, viele Meilen weit in Menge hoch durch die Luft und wurde schon auf Schiffen gefunden, die in bedeutender Entfernung von der Küste Hawaiis fuhren. Wir sammelten eifrig soviel von diesen sich nicht immer hier zeigenden Silberfädchen, als wir zu erlangen vermochten, und verwahrten den kostbaren Stoff sorgfältig zwischen Papier, während unser Führer eine kleine Blechbüchse, damit füllte. Die zarten Fädchen klebten ziemlich fest an dem vulkanischen Gestein und mußten behutsam von demselben losgelöst werden, verloren aber leider ihren ursprünglichen Glanz, als wir sie in größerer Menge aufeinander legten und zusammen preßten.

Pele (Pelle), deren Haar aus diesen Silberfädchen besteht, ist der Name der Vulkangöttin, die nach dem alten Glauben der Eingeborenen Hawaiis im feurigen Schlunde des Halemaumau wohnt. In englischen Reiseschilderungen wird sie gewöhnlich Madame Pele genannt, eine Bezeichnung, die ungefähr ebenso passend ist, wie Madame Juno oder Madame Proserpina. Pele ist eine gewaltige Göttin, die mächtigste unter allen Unsterblichen, auf deren Wink sich die Erde spaltet und verheerende Lavaströme ausspeit. Wenn sie zürnt, wanken die Berge, und es erzittert die Inselwelt Hawaiis. Die grellaufleuchtenden vulkanischen Blitze sind die Glut ihrer Augen, die erbebende Erde zeugt von der Wucht ihrer Schritte, das umherfliegende Haar rauft sie sich im Zorne aus. Um die Göttin, welche durch die geringsten Kleinigkeiten beleidigt wird, zu versöhnen, oder sie in eine freundliche Stimmung zu versetzen, wurden ihr ehedem von den Eingeborenen häufig Opfer dargebracht. Wertvolle Gegenstände aller Art, Früchte, lebendige Tiere, namentlich ganze Herden Schweine, warf man in den Lavaschlund hinein. Am liebsten war es ihr, wenn einige hundert Kriegsgefangene als Opfer in den glühenden Pfuhl des Halemaumau hineingestoßen wurden. Dann schwamm sie fröhlich in der feurigen Flut hin und her, oder sie tanzte vor Freude auf den blutroten Lavawogen.

Peles Geschwister, welche bei ihr im Halemaumau wohnen, sind kaum weniger furchtbar als sie, gehorchen aber ihrem leisesten Wink. Da sind z.B. Ke-o-ahi-kama-kaua, der feuerschleudernde Kriegsgott; Makole-wawahi-waa, der Böte-Zertrümmerer mit den Feueraugen; Hiaka-wawahi-lani, der Wolkenträger, der den Himmel zerreißt; Kamahu-alii, der König der erstickenden Dünste; Kane-hekili, der Donnergott, und andere streitsüchtige Götter, die sozusagen Peles Leibgarde bilden. Ein schlimmer Widersacher von ihr war Kamapuaa, ein riesiger Meergott, halb Schwein und halb Mann. Dieser hatte die Frechheit, ihr, als er sie einst im Kilauéa besuchte, einen Liebesantrag zu machen, und als sie ihn schnöde abwies, versuchte er es, sie zu ersäufen. Dies wäre ihm auch gelungen, wenn ihre Diener das Wasser nicht ebenso schnell ausgetrunken hätten, als jener es in den Krater goß. Zuletzt trieb ihn Pele mit Felsblöcken und Feuerwogen wieder in das Meer zurück, wo sie ihm noch zuweilen mit mächtigen Lavaströmen auf den Leib rückt. Früher pflegte Pele mit den Sterblichen zu verkehren, sie half solchen Häuptlingen, die in ihrer Gunst standen, bei den Kriegszügen, welche jene unternahmen, z.B. Kamehameha dem Großen und Kalani, dem Könige von Oahu. Zu Zeiten konnte sie in der That recht liebenswürdig sein, was alles von den alten Dichtern Hawaiis in unzähligen Liedern und Legenden verherrlicht wurde. Seit der Christengott die Herzen ihrer braunen Kinder bethört hat, giebt Pele sich nicht mehr persönlich mit den Menschen ab. Ihre gewaltige Kraft hat sich aber nicht vermindert; das beweisen die furchtbaren Ausbrüche des Mauna Loa und des Kilauéa in jüngster Zeit zur Genüge. Und ihr seidenes Haar, das immer noch durch die Lüfte fliegt, zeigt deutlich genug ihre Gegenwart im feurigen Krater des Kilauéa! –

Pele schien von unserem Besuch gar nicht erbaut zu sein. Vom Halemaumau trieb sie förmliche Wolken von Schwefeldämpfen herüber, die uns fast den Atem raubten, so daß wir rasch Nase und Mund mit Taschentüchern bedeckten. Schon ihr umherfliegendes Haar, das sie sich Handvoll ausraufte, bewies ihren Unmut. Aber wir schritten, unbekümmert um den Zorn der mächtigen Göttin, wacker vorwärts auf der grauen Lava, die wie Windeis unter unseren Füßen zerbröckelte. Plötzlich gewahrten wir, als wir eine mit Schlacken bedeckte Höhe erklommen hatten, vor uns die blutroten Wogen des Lavasees, ein Bild von so packender, fremdartiger Großartigkeit, daß es sich meinem Geiste unauslöschlich eingeprägt hat. Bald hatten wir einen etwa 80 Fuß über dem Feuersee liegenden Aussichtspunkt erreicht, wo eins der größten Naturwunder auf diesem Erdball in seiner ganzen furchtbaren Erhabenheit vor unseren Augen aufgeschlossen war.

Man stelle sich einen wie eine riesige Austernschale geformten Feuersee vor, der etwa 600 Fuß lang und halb so breit sein mochte – ringsum wüste Lavafelder, von dichten Schwefeldämpfen umwogte schwarze Klippen, nackte Abstürze, Schlünde u.s.w. –, einen ins Zehntausendfache vergrößerten, mit flüssigem Metall angefüllten Schmelzofen. Zeitweise bedeckt sich die innere Fläche des Sees mit einer auf- und abwallenden schwärzlichen Kruste von rasch an der Luft erkaltender Lava, während an seinem Rande die Feuerwogen nie verschwinden. Plötzlich schlängeln sich schmale rote Linien oder breitere Spalten, ein feuriges Netzwerk, nach allen Richtungen durch die Kruste, oder es wird ein Teil derselben von flüssiger Lava überschwemmt, die aber bald wieder erkaltet. Aus den größeren Öffnungen steigen mitunter blutrote Springbrunnen bis zu einer Höhe von etwa 15 bis 20 Fuß empor. Jeden Augenblick verändert sich das Bild. Zu einer Zeit nahm das entlegenere schmälere Ufer eine volle Viertelstunde lang die täuschend ähnliche Gestalt einer lichterloh in Brand stehenden Häuserreihe, darauf die eines brennenden Schiffes an, bis plötzlich an derselben Stelle wieder eine Brandung von Feuerwogen wütete. Ab und zu verschwanden die Schollen von der zerborstenen Oberfläche vollständig in den Lavastrudeln, und der ganze See flammte in einem das Auge förmlich blendenden roten Lichtglanze. Die Feuerwogen schlugen dann mit gewaltiger Wucht, mit dem Geräusch einer Meeresbrandung nach einem Sturme, oft bis über den Uferdamm und spritzten den glühenden Gischt hoch empor. Dies dauerte aber nie länger als fünf oder höchstens zehn Minuten. Die Glut wurde matter und es bedeckte sich die innere Fläche des Sees wieder mit einer schwärzlichen Kruste, bis die Zerstörung derselben von neuem begann. Nie sah ich wirkliche Flammen emporschlagen. Die geschmolzene Lava, welche eine blutrote glänzende Farbe hat und vor ihrem Erkalten geronnenem Blut ähnlich ist, bildete ganz allein jenes höllische Feuerwerk, das wahrscheinlich durch schweflige Gase, welche mit Gewalt durch dieselbe entweichen, verursacht wird.

Der gleich jenseits des Lavasees liegende, von 400 Fuß hohen schwarzen Klippen umgebene Halemaumau war zur Zeit meines Besuchs nicht zu erreichen. In früheren Jahren konnte man über eine natürliche Brücke und durch einen Felsspalt bis in den Schlund und dicht an den Rand des dort wie in einem Kessel eingeschlossenen Lavapfuhls gelangen, der eine Länge von etwa 1000 und eine Breite von 600 Fuß hatte und sich stets in dem furchtbarsten Aufruhr befand. Ob sich dort wieder ein thätiger Lavasee gebildet hat, läßt sich nur vermuten. Aber recht warm muß es in der alten Feuerburg der Göttin Pele immer noch sein, das bewiesen die dort hin und her wogenden Schwefeldämpfe zur Genüge.

Bis an den Rand des Feuersees zu gehn und, wie man ehedem dort und im Halemaumau zu thun pflegte, eine Münze in die flüssige, rasch daran erkaltende Lava zu drücken und jene als Erinnerung an den Kilauéa mitzunehmen, ist heute nicht rätlich. Nicht nur ist das Hinunterklettern in den tiefen Schlund sehr gefährlich, es ist auch wahrscheinlich, daß man am Ufer des Sees unvermutet von einer Lavawoge bespritzt, wenn nicht gar von einer solchen überschüttet wird. Die Oberfläche des Sees lag zur Zeit meines Besuchs im Krater mindestens zwanzig Fuß über der angrenzenden Niederung, in welcher sich der vorhin erwähnte »kleine Bettler« befindet. Durch das Überspritzen der Lava baut sich der See, der fortwährend langsam steigt, einen allmählich immer höher werdenden Uferwall, der einem sich stetig vermehrenden Druck ausgesetzt ist und über kurz oder lang zusammenbrechen muß. Dann wird der See plötzlich eine ungeheure Lavamasse in die Schlucht ergießen, und wer sich zufällig dort befindet, der ist unrettbar verloren. Die Gefahr war so augenscheinlich, daß ich nicht die geringste Lust verspürte, an den steilen Felsen hinunterzuklettern, um bis an den See zu gelangen. Der leichtfüßige Kanake schwang sich freilich an dem fast hundert Fuß hohen senkrechten Abhang von Fels zu Fels hinunter, aber ich verzichtete auf die Ehre, ihm dorthin zu folgen. Unten lief er wie ein Windhund bis an den Lavasee, er kehrte aber noch schneller wieder um, als eine große Feuerwoge dicht bei ihm über den Uferwall schlug. Dann rannte er auf dem heißen Boden der Schlucht bis nach dem »Baby«-Krater, in dessen unmittelbare Nähe er sich aber auch nicht getraute. Genug, sein Gebaren gab den deutlichsten Beweis, daß es dort unten nicht geheuer sei. Zweifelsohne war er froh, als er sich wieder oben bei uns auf einem einigermaßen sicheren Boden befand.Am Lavasee und an seinen Umgebungen hat sich in neuerer Zeit manches verändert. Herr Maby schrieb mir am 11. Juni 1888 einen Brief, den ich hier in wortgetreuer Übersetzung mitteile:
»Die Gestalt des Lavasees hat sich, seit Sie ihn sahen, etwas verändert. Derselbe bildet jetzt einen Kreis von etwa 350 Fuß im Durchmesser. Seine Oberfläche liegt mehr als 30 Fuß höher als damals, als Sie auf ihn herabblickten. Um die große Klippe des Halemaumau haben sich 10 bis 15 kleine Kegel erhoben, die Lava ausspeien, was einen viel prächtigeren Anblick als früher gewährt. Der tiefe Schlund (die Niederung, worin der kleine Ausbruchskegel lag), an dessen Rand Sie entlang gingen, ist bis 8 oder 10 Fuß von der oberen Felsbrüstung aufgefüllt, und es wird nicht lange dauern, bis sich die flüssige Lava über den Boden des großen Kraters ergießt. Gegenwärtig befindet sich der Kilauéa in heftiger Thätigkeit«.

Fast drei Stunden lang hatten wir das großartige, immer wechselnde Schauspiel des tobenden Lavasees bereits betrachtet, als es zu dunkeln begann. Hoch über uns stand die silberne Mondsichel, die goldenen Sterne traten einer nach dem anderen aus der blauen Ferne hervor. Über dem Mauna Loa ballte sich finsteres Gewölk zusammen und drohte mit Regen. Aber wir kümmerten uns nicht darum, denn als die Dunkelheit zunahm, wurde das Bild des Lavasees furchtbar schön und hielt unsere Sinne ganz gefangen. Jetzt war jener in der That ein Höllenkessel, wie ihn sich selbst Dante schwerlich vorgestellt hat! Doppelt laut hallte der wuchtige Schlag der Lavabrandung durch die stille Nacht; die den zerklüfteten Halemaumau umwogenden Dampfwolken waren rosig beleuchtet; der Feuersee, von dessen Oberfläche die Kruste längere Zeit ganz verschwunden war, befand sich in einem Aufruhr, der jeder Beschreibung spottet. Nicht weniger als ein halbes Dutzend große, blutig flammende Springbrunnen stiegen an verschiedenen Stellen aus dem Feuerpfuhl empor; die flüssige Lava strahlte in einem so blendenden Rot, daß unsere Augen davon schmerzten.

Die ungeheure Kraft, welche dort wütete, hatte etwas Beängstigendes. Von Sicherheit konnte auch auf unserem Standpunkte nicht die Rede sein, denn ringsum leuchtete blutrote Glut, während die dichten Schwefeldämpfe uns fast den Atem raubten. Auf dem Boden der unter uns liegenden Schlucht strahlten hier und da kleine rote Flächen und gaben den Beweis, daß Pele auch dort das Feuer schürte; hinter uns und seitwärts von uns zeigten sich neue Feuerlöcher; aus dem großen Lavasee, der wie rasend tobte, stiegen hohe Feuersäulen empor; der »kleine Bettler« lärmte unausgesetzt wie eine überhitzte Dampfmaschine und spie unaufhörlich glühende Lava aus. In der Ferne, zwischen uns und dem Volcano-House, bemerkten wir mit Besorgnis eine immer länger werdende Feuerlinie, die auch unserem Führer durchaus nicht zu gefallen schien. Als es nach einer weiteren Stunde immer finsterer ward, zündeten wir die Kerzen in unseren Laternen an, stärkten uns rasch mit Speise und Trank und begaben uns dann, dem Drängen des Führers nachgebend, auf die Heimkehr.

Einen letzten bewundernden Blick warfen wir auf die tobenden Feuerwogen des Lavasees, und dann folgten wir möglichst dicht dem uns langsam voranschreitenden Kanälen. Wenn ich nun behaupten wollte, daß unser nächtlicher Marsch von gut drei engl. Meilen (5 km) durch den Riesenkrater, der bei den hier und dort in ihm aufleuchtenden Lavaausbrüchen doppelt finster schien, ein Vergnügen war, so würde ich mich einer groben Unwahrheit schuldig machen. Die Laternen waren gerade hell genug, um den Boden in unserer Nähe einigermaßen zu erleuchten, der uns noch unendlich viel rauher und unwegsamer als bei Tage vorkam. Mir schien es, daß unser Führer einen weiten Umweg nahm, wahrscheinlich um die schon erwähnte neue große Feuerspalte zu vermeiden, die kaum hundert Schritt seitwärts lag, aus welcher die rote Lava ungefähr zehn Fuß hoch emporgeschleudert wurde. Besonders unangenehm war eine andere quer über unseren Pfad laufende etwa drittehalb Fuß weite Spalte, die sich nach beiden Seiten hin bis ins Dunkel ausdehnte. Unwillkürlich prallte ich zurück, als ich einen glänzenden Lavastrom gewahrte, der in derselben, vielleicht 40 Fuß unter mir, vorüberschoß. Die Laternen in der Hand, mußten wir diesen Riß im Lavafeld, der zur Zeit als wir nach dem Feuersee gingen, gewiß nicht vorhanden war, überspringen, was mir, offen gestanden, gar nicht gefiel. Eine von unseren Damen fing sogar zu weinen an und wollte den Sprung lange Zeit nicht wagen, bis auch sie endlich glücklich hinüber gelangte. Mehrere Male tauchten wir in heiße Dampfwolken, durch welche wir uns tastend vorwärts bewegen mußten. Das Klettern, Schleichen, Kriechen u.s.w. über die zahllosen Lavahügel wollte gar kein Ende nehmen. Der Kanake, der einzige lebende Mensch, dem der Wirt des Volcano-House die Führung von Fremden durch den Krater zur Nachtzeit anvertraut, schien Augen wie eine Katze zu haben und löschte sogar seine Laterne aus, um besser sehen zu können. Herzlich froh waren wir alle, als wir endlich von der letzten Lavascholle wieder auf den Sandboden traten. Der Aufstieg von beinahe 500 Fuß nach dem Volcano-House ermüdete uns außerordentlich, zumal es jetzt heftig zu regnen begann. Endlich waren wir oben und erreichten bald darauf das Gasthaus, wo ein loderndes Kaminfeuer und eine wohlbesetzte Abendtafel uns nach der ausgestandenen Mühe eines siebenstündigen Marsches und Aufenthaltes im Krater des Kilauéa wie eine Offenbarung erschien.


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