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Der Schatz und das Recht


Die Legende vom fünften Strome.

Als Gott der Herr das Paradies erschuf,
Da quollen bei dem Baume des Verbots
Vier Ströme auf und flossen durch die Welt;
Und jedem Strome ward ein Mensch bestimmt
Als Herr und Herrscher über seine Fluten.
Doch eine alte Sage kündet uns:
Als über jeden Strom ein Fürst gesetzt,
Da kam der Juden dunkles Volk herbei
Und klagte, daß die Teilung es versäumt.

Drauf tönt' des Allgerechten Wort herab:
»Werft eine Handvoll gelben Staubs zur Erde,
So wird ein fünfter, großer Strom euch fließen,
Der an Gewalt die andern übertrifft
Und in geheimem Bett die Welt umschlingt;
Und sein Geheimnis sei für alle Zeit
Nur euch und euren Kindern offenbar!« –

Dies war des Herrn Bescheid und so geschah's.
Aus dunklen Tiefen in dem Schoß der Erde,
Gespeist von tausend rätselhaften Quellen, –
Die bald ein Land mit Überfluß verseh'n,
Bald durch Versiegen es der Armut weihn, –
Drang nun der fünfte große Strom ans Licht
Als Erbteil eines auserwählten Volks:
Es war der Zauberstrom des roten Goldes.

Da legte Juda Kron' und Herrschaft hin
Und lagerte am Ufer seines Stroms,
Der jetzt mit mächt'gem Schwall sein Bett erfüllte,
Jetzt in die Erde sich verlor und schwand
Und eine Zeit den Blicken sich entzog, –
Aus Gründen, die kein Volk der Erde kannte,
Als Israel allein.

So war denn Juda Herr des fünften Stroms,
Der Zauberflut, die Gott ihm selbst verliehn;
Sein Ohr allein vernahm der Wellen Rauschen,
Das Lied des Goldes kreist' in seinem Blut.
Er sagt es stets voraus: »Nun wird er fallen!«
Kein andrer weiß, daß irgendwo im Süd,
Am Rand der Wüste, tausend Meilen fern,
Ein wicht'ger Quell des Stromes jetzt versiegt.
Er kündet es zuvor: »Nun wird er steigen!«
Kein andrer weiß, daß irgendwo im Nord
Auf Bergeshöhen, tausend Meilen fern,
Im Sommersonnenbrand der Schnee zergeht.
So sagt ihm sein Gefühl die künft'ge Dürre,
Der nahe Regen kündet sich ihm an,
Ihm sind die Folgen beider Übel kund –
Und dieses Wissen zinst ihm beim Verdienst.

Ein reicher Fürst, dem doch das Schwert versagt ist,
Ein Herrscher, dem kein Thron auf Erden blieb,
So folgt der Stamm Judäas seinem Stern;
In allen Erdenreichen ist er Gast
Und manche Staaten fühlen seine Macht,
In keinem Lande aber ist er König. –
Und nur der große fünfte Strom bewahrt
Die Treu und sein Geheimnis ewiglich
Dem Volke Israels. –
So ward das Wort des Herrn an ihm erfüllt.

Der Schatz und das Recht.

Die dritte Novemberwoche war nun gekommen, und die Wälder hallten vom Lärm der Fasanenjagd. In dieser steilen, zerklüfteten Gegend kann man hierzu nur derbe Spürhunde vom Lande verwenden, die denn auch oft genug aus ihrem Stalle ausbrechen und sich einen Tag lang auf eigene Faust vergnügen. Dan und Una kamen eben dazu, wie zwei von ihnen die Katze im Küchengarten hetzten. Sie hätten allzu gern auch ein paar Kaninchen erwischt, aber die Kinder trieben sie über die Wiesen beim Bache bis nach dem Hofe von Lindensfarm, wo sie mit einer alten Sau einen unrühmlichen Strauß ausfochten, und von da bis hinauf zu dem Eingange des Steinbruchs; dort stöberten die Kinder gar einen Fuchs auf und rannten ihm bis ans andere Ende des Waldes nach. Dabei scheuchten sie alle Fasane auf, die hier vor einer Treibjagd im jenseitigen Tale Zuflucht gesucht hatten. Aufs neue begannen nun die Flinten zu knallen, und die Kinder hielten die beiden Hunde fest, damit sie nicht durchgingen und angeschossen würden.

»Ich möchte kein Fasan sein – im November – nicht um alles in der Welt!« rief Dan atemlos, während er »Folly« am Halse festhielt.

»Schau mal!« rief Una, die sich auf die starke »Flora« gesetzt hatte, »die dummen Vögel fliegen in ihren Wald zurück, statt hier zu bleiben, wo sie sicher wären!«

»Nur so lange, bis es auch euch einfällt, sie zu morden.« Mit diesen Worten trat ein alter Mann von riesenhafter Größe hinter einem Eichengebüsch bei »Volaterrä« hervor. Die Kinder sprangen vor Erstaunen auf, und die Hunde duckten sich scheu. Er trug einen wallenden Talar aus dickem, schwarzem Tuch, der mit gelbem Pelz gefüttert und verbrämt war, und er neigte sich vor den Kindern so tief zur Erde herab, daß sie sich geschmeichelt und zugleich beschämt fühlten. Dann blickte er sie ruhig an, und auch jene musterten ihn ohne Zweifel oder Furcht.

»Habt ihr keine Angst?« fragte er, indem er mit der Hand durch den prächtigen, weißen Bart fuhr. »Fürchtet ihr nicht, daß jene Leute da drüben« (er warf den Kopf in die Richtung des ununterbrochenen Geknatters) »euch verletzen?«

»Nun – ja –«, begann Dan, »der alte Hob – –, ein Freund von mir, hat mir erzählt, daß einer von den Treibern vorige Woche angepfeffert wurde – ich meine, daß er ins Bein geschossen wurde. Das kommt eben, weil Herr Meyer grad' immer auf Kaninchen schießen muß. Er gab aber dem Mann 'nen Blauen – fünf Pfund, will ich sagen – und der meinte nachher zu Hobden, fürs halbe Geld lasse er sich gleich noch einmal anschießen.«

»Ach, er versteht dich nicht!« unterbrach Una, die das bleiche, bekümmerte Antlitz des Fremden beobachtet hatte. »Wenn doch nur Puck –«

Kaum hatte sie das Wort gesagt, als sich Puck auch schon durch die Hecken zwängte und in einer fremden Sprache hastig auf den Alten einredete. Puck trug gleichfalls einen langen Mantel – der Spätnachmittag brachte bereits häufig Fröste mit –, und dadurch war sein Aussehen ganz verändert.

»Nein, nein,« sagte er schließlich. »Du hast den Knaben nicht verstanden. Ein Freier wurde durch bloßen Zufall bei der Jagd verletzt.«

»Diese Zufälle kenne ich!« höhnte der andere. »Und sein Herr – der ritt gewiß lachend über ihn hinweg?«

»Einer von deinem eigenen Volke war's, der ihn verletzt hat, Kadmiel,« versetzte Puck mit boshaftem Augenzwinkern. »Er gab also dem Freien Geld, und die Sache war abgetan.«

»Was?« rief Kadmiel. »Ein Jude hat einen Christen verletzt, und die Sache ist abgetan? Das gibt's nicht! Wann wurde er gefoltert?«

»Kein Mensch,« beharrte Puck, »darf gebunden, bestraft oder getötet werden, solange er nicht von seinesgleichen verurteilt ward. Es gibt in Altengland nur ein Gesetz für Jud' und Christ – es ist das Gesetz, das zu Runnymede unterzeichnet wurde.«

»Ach, das ist ja das Staatsgrundgesetz von 1215!« flüsterte Dan. Das war eins der wenigen Geschichtsdaten, die er im Kopfe hatte. Allerdings war es auch ein sehr wichtiges, denn erst durch dieses Ereignis wurde bestimmt, daß jeder vor dem Gesetz gleich ist. Kadmiel wandte sich ihm mit plötzlichem Rucke zu, so daß sein mit Wohlgerüchen getränkter Talar raschelnd über den Boden fegte.

»Wie, du, ein Kind, weißt das?« rief er und streckte staunend die Hände in die Höhe.

»Jawohl,« meinte Dan unerschrocken,

»Den Freibrief, den Heinrich der Dritte zerrissen,
Den hat König Johann bestätigen müssen«.

»Und wenn der nicht wäre, sagt der alte Hobden immer, hätten ihn die Förster einmal für ein ganzes Jahr ins Loch gesteckt!«

Wieder übersetzte Puck seine Worte dem ratlosen Fremden; dieser lachte dabei auf und meinte:

»Aus Kindermund mögen wir lernen! Aber ich will dich künftig nicht Kind, sondern Gelehrter nennen, wenn du mir sagen kannst: Warum hat der König das neue Recht zu Runnymede gezeichnet? Er war doch König, nicht?«

Dan schielte auf Una – sie sollte ihm helfen.

»Er wird halt nicht anders gekonnt haben,« warf Una ein. »Die Barone haben ihn dazu gezwungen.«

Kadmiel aber schüttelte den Kopf und sagte: »O nein; man vergißt nur immer, daß Gold mehr vermag als Schwerter. Euer guter König unterschrieb, weil wir Juden ihm kein Geld mehr liehen.« Er krümmte den Rücken ein, zog höhnisch die Nase hoch und runzelte die Stirn. »Ein König ohne Geld ist wie eine Schlange mit gebrochenem Rückgrat, und – es ist eine gute Tat, eine Schlange wehrlos zu machen. Mein Werk ist es gewesen,« wandte er sich frohlockend an Puck. »Bezeuge, Erdgeist, daß es mein Werk war!« Er reckte sich zu seiner vollen Riesengröße auf, und seine Worte klangen wie Trompetenstöße. Seine Stimme änderte ihren Klang fast so schnell wie der Opal seine Farbe – bald war sie tief und donnerähnlich, bald dünn und winselnd; aber stets zwang sie zum Zuhören.

»Viele Leute können das bezeugen,« pflichtete Puck bei. »Erzähle den Kindern, wie es sich zutrug. Und bedenke, daß ihnen Furcht und Zweifel fremd sind.«

»Das las ich von allem Anfang aus ihren Zügen,« meinte Kadmiel. »Aber gewiß hat man sie gelehrt, Juden zu beschimpfen.«

»Beschimpfen?« fragte Dan neugierig. »Womit denn?«

Puck lachte auf und erklärte: »Kadmiel denkt an die Zeit König Johanns. Damals wurde sein Volk grausam behandelt.«

»O, das haben wir schon gelernt,« meinten beide, und ohne zu ahnen, daß es Kadmiel verletzen könnte, blickten sie auf seinen Mund, um zu sehen, ob ihm kein Zahn fehle. Sie wußten nämlich noch aus der Schule, daß König Johann den Juden Zähne reißen ließ, wenn sie ihm kein Geld geben wollten.

Kadmiel verstand den Blick und lächelte bitter.

»Nein, mir hat der König keinen Zahn gezogen – wer weiß, ob's nicht umgekehrt war! – Nun höret! Ich bin nicht unter Christen geboren, sondern unter Mauren – in Spanien – in einem weißen Städtchen am Gebirge. Die Mauren sind zwar grausam, aber ihre Gelehrten wagen es wenigstens, zu denken. Mir wurde bei meiner Geburt prophezeit, ich würde einst Gesetzgeber eines Volkes von fremder Sprache und rauher Rede werden. Wir Juden erwarten ja stets die Ankunft eines Königs und Gesetzgebers. Warum nicht? Mein Volk in jener Stadt – es waren ihrer wenige – verehrten mich als ein Kind der Prophezeiung, als den Auserwählten des auserwählten Volks. Wir Juden träumen ja so mancherlei! Ihr möchtet uns das niemals ansehen, wenn wir mit dem Hadernbündel auf dem Rücken durch euren Stadtteil schleichen; aber wenn es Abend geworden, die Tür verriegelt, die Kerzen angezündet sind – ach! – dann sind wir wieder das auserwählte Volk!«

Er schritt beim Reden auf und nieder. Die Flinten knallten noch immer; die Hunde winselten leise, ohne sich zu rühren.

»Ich war ein Prinz! Ja! Denkt euch einen Prinzen, der daheim nie ein hartes Wort zu hören bekommen hatte und der nun zankenden, langbärtigen Rabbis übergeben wird, die ihn an den Ohren ziehen und mit Nasenstübern anhalten, zu lernen – immer und immer nur zu lernen, um einmal König zu sein, wenn seine Zeit kommen würde. Mit einem Auge sah er neidisch den raufenden Maurenkindern zu, mit dem anderen suchte er allenthalben sein Königreich. Nun lernte er verstohlen zu weinen, wenn man ihn durch die Straßen gehetzt hatte; vor allem lernte er, alles leise zu tun. Er spielte unter dem Tische, wenn die große Kerze angezündet wurde und horchte nach Kinderart auf die Gespräche des Vaters und seiner Freunde. Diese kamen aus der ganzen Welt über die Berge zu uns, denn mein Vater war ihr Berater. Sie kamen aus Arabien, aus Rom, aus Venedig, aus England. Sie stahlen sich die Gasse herab, klopften leis an die Tür, warfen ihre Lumpen ab, zogen Festeskleider an und berieten mit dem Vater beim Weine. – Auf der ganzen Welt bekämpften sich die Heiden. Wir hörten die Neuigkeiten aus jenen Kriegen, und während mein Prinz unter dem Tische spielte, hörte er über sich die Männer entscheiden, wann, wo und wie lange ein König gegen den anderen kämpfen, ein Volk gegen das andere fechten könnte. Warum nicht? Ohne Geld gibt es keinen Krieg, und wir Juden wissen, wie sich das Geld nach Jahreszeiten, Wind und Ernte richtet; es dreht sich und kreist, steigt und fällt wie ein Fluß – ein unterirdischer Zauberstrom! Was aber wußten die törichten Könige davon, da sie nur an Kampf, Raub und Mord denken?«

Das Gesicht der Kinder zeigte, daß sie nichts von all dem verstanden hatten, während sie neben dem weitausschreitenden Alten hin und her trabten und dabei kein Auge von ihm wandten. Er zupfte seinen Talar über den Schultern in die Höhe, und da glänzte auf einmal eine viereckige Goldplatte, mit Edelsteinen besetzt, zwischen dem Pelz hervor, so wie ein Stern durch treibenden Schnee flimmert.

»Mein Beruf,« fuhr er fort, »war der eines Arztes. Nachdem ich mich in Spanien herangebildet hatte, ging ich nach Osten, um mein Königreich zu suchen. Warum nicht? Der Jude ist so frei wie ein Sperling – oder wie ein Hund. Er geht, wohin man ihn treibt. Im Osten fand ich Bibliotheken, wo die Menschen zu denken wagten – und Schulen für Heilkunde, wo man zu lernen wagte. Ich nahm es mit meinem Studium ernst. Ich stand bald vor Königen; Prinzen wurden meine Gefährten und Bettler meine Freunde; so wandelte ich jahrelang zwischen Lebenden und Toten. Aber es war kein Gewinn dabei; auch mein Königreich fand ich nicht. Daher kehrte ich im zehnten Jahre meiner Wanderschaft, als ich schon die äußerste östliche See erreicht hatte, wieder in mein Vaterhaus zurück. Gott hatte mein Volk wunderbar bewahrt; keiner war erschlagen, keiner auch nur verstümmelt worden; nur einige wenige hatte man gepeitscht. Und wieder ward die große Kerze angezündet; wieder pochten Leute im Bettlergewand zur Abendzeit an unsere Tür; und wieder sah ich, wie Krieg und Frieden erörtert wurde, wobei das Gold eine große Rolle spielte. Ich selbst war nicht reich – nicht reich genug. Drum saß ich abseits im Schatten, während jene, die Macht und Wissen und Reichtum besaßen, sich besprachen. Warum nicht?

Aber meine Wanderfahrt hatte mich doch eins gelehrt: daß nämlich ein König ohne Geld soviel ist, wie ein Speer ohne Spitze. Er kann nicht viel Unheil stiften. Drum fragte ich Elias aus England, einen von den Mächtigen meines Volkes: ›Warum borgt unser Volk noch den Königen, welche uns bedrücken?‹ Er erwiderte: ›Weil sie sonst ihr Volk auf uns hetzen, und die Völker sind zehnfach grausamer als die Könige. Wenn du mir nicht glaubst, komm mit nach England und lebe dort, wie ich lebe.‹ Da sah ich, wie meiner Mutter Antlitz erglühte und sagte: ›Ich will mit dir ziehen. Vielleicht finde ich in England mein Königreich.‹

So segelte ich mit Elias nach Bury, in die Finsternis und Grausamkeit Englands, wo es keine Gelehrten gibt. Denn wie kann der Mensch weise sein, wenn er haßt? Zu Bury führte ich Elias die Bücher und sah, wie man Juden beim Turme erschlug. Aber niemand legte Hand an Elias, denn er lieh dem König Geld, und seine Gunst war mit ihm. Ein König tötet nicht, solange Geld vorhanden ist. Dieser König nun – es war Johann – unterdrückte sein Volk schändlich, weil es ihm kein Geld geben wollte. Und doch war sein Land ein gutes Land; hätte er ihm nur Ruhe gegönnt, er hätte es leicht leiten können! Doch nicht einmal das verstand er; so hatte ihn Gott allen Verstandes beraubt und hatte Pest, Hunger und Verzweiflung im Lande verbreitet. Daher wandte sich das Volk gegen uns, die wir aller Völker Prügelknaben waren. Warum nicht? Schließlich empörten sich Volk und Adel gemeinsam gegen den König, weil seine Grausamkeit kein Maß kannte. Gewiß – die Barone liebten das Volk nicht; aber sie erkannten, wenn er das Volk zerfleischt und vernichtet haben würde, werde bald an sie die Reihe kommen. So vereinigten sie sich, wie sich Katzen und Schweine zusammentun, um eine Schlange zu töten. Alles das beobachtete ich, denn ich hatte meine Prophezeiung im Gedächtnis.

Die Barone (die zum größten Teile unsere Schuldner waren) kamen zu einer Versammlung nach Bury, und hier wurde, nach vielem Gerede und tausend Botengängen, die Liste der neuen Gesetze verfaßt, die sie dem Könige abzwingen wollten. Wenn er das Staatsgrundgesetz beschworen haben würde, wollten sie ihm wieder etwas Geld geben. Das war sein Gott – das Gold – das man vergeuden kann! Die Adeligen zeigten uns das neue Gesetz. Warum nicht? Sie waren uns ja Geld schuldig. Wir waren in alle Beratungen eingeweiht – wir, die wir uns zitternd hinter unseren Türen in Bury versteckten. Aber wir wollten nicht nur mit Geld bezahlt werden. Wir strebten nach Macht – Macht!

Ich sagte zu Elias: ›Die Gesetze sind gut. Borge dem König kein Geld mehr; solange er Geld hat, wird er sein Volk belügen und quälen.‹ ›Nein,‹ war Elias' Antwort. ›Ich kenne das Volk. Es ist grausam bis zum Wahnsinn. Besser ein König als tausend Schlächter. Ich habe etwas Geld an die Barone verborgt, sonst würden sie uns martern, dem König aber will ich das meiste leihen. Er hat mir eine Stellung am Hofe, in seiner Nähe, versprochen, wo ich und mein Weib sicher sein werden.‹

›Aber wenn man den König zwingt,‹ erwiderte ich, ›die neuen Gesetze zu halten, dann wird das Land Ruhe haben, und unser Handel wird blühen. Wenn wir ihm borgen, wird er wieder kämpfen.‹

›Wer hat dich zum Gesetzgeber über England gesetzt fuhr Elias auf. ›Ich kenne dieses Volk. Mögen sie sich gegenseitig zerfleischen! Ich will dem Könige zehntausend Goldstücke leihen, damit er die Barone bekämpfen kann, solange er will.‹

›Es gibt doch in diesem Jahre keine zweitausend Goldstücke in ganz England,‹ war meine Antwort; ich führte ihm ja die Bücher und wußte, wie der Goldumlauf in den Ländern war. – Elias schloß die Türläden und flüsterte mir, die Hand am Munde, zu, wie er bei einem Handel mit französischen Waren in das Schloß von Pevensey gelangt war.«

»O,« rief Dan. »Schon wieder Pevensey!« Er blickte auf Una; sie nickte bloß und hüpfte ungeduldig.

»Als man dort seine Waren im Herrensaale verstreut hatte, war er von einigen jungen Rittern in ein Turmzimmer geschleppt und in einen Schacht hinabgelassen worden, in dem das Wasser mit der Flut stieg und fiel. Sie nannten ihn ›Josef‹ und warfen ihm Fackeln an den nassen Kopf. Warum nicht?«

»Ja, aber weißt du denn nicht?« rief Dan aus. »Das war doch – –«. Puck brachte ihn mit aufgehobener Hand rasch zum Schweigen; Kadmiel hatte nichts gemerkt und fuhr fort: »Als das Wasser sank, kam es ihm vor, als ob er auf alten Rüstungen stand, aber da er mit den Füßen fühlte, brachte er einen Barren weichen Goldes zum Vorschein. Es war wohl irgendein fluchbeladener Schatz aus alter Zeit, den man hier verborgen, und dessen Besitzer man mit dem Schwerte stumm gemacht hatte. Ich habe dergleichen schon gehört.«

»Wir auch,« flüsterte Una. »Aber der Schatz war gar nicht fluchbeladen.«

»Elias nahm ein wenig von dem Metalle mit sich und pflegte nun dreimal im Jahre als Händler nach Pevensey zu kommen und seine Waren ohne Gewinn oder gar umsonst herzugeben, bis man ihm erlaubte, in dem leeren Zimmer zu schlafen; dort zog er dann immer ein paar Barren in die Höhe und nahm sie mit. Der Vorrat schien nicht kleiner werden zu wollen, und schließlich hatte er sich gewöhnt, das Gold als sein Eigentum zu betrachten. Als wir beide nun aber berieten, wie man den ganzen Schah heben und fortschaffen könnte, da sahen wir keine Möglichkeit. Das war zur Zeit, als das Wort des Herrn noch nicht über mich gekommen war. Eine starke Feste, von Normannen gehütet; und in der Mitte ein vierzig Fuß tiefer Schaft; und aus diesem sollten wir mehrere Pferdeladungen Goldes heimlich wegschaffen – aussichtslos! Elias weinte aus Verzweiflung. Seine Frau Adah weinte noch mehr. Sie hoffte neben den christlichen Kammerjungfern bei Hofe stehen zu dürfen, bis ihnen der König die versprochene Stellung in seiner Nähe verleihen würde. Warum nicht? Sie war in England gebürtig – und ein abscheuliches Weib.

Das Schlimme war nun, daß Elias in seiner Torheit dem Könige weitere Geldaushilfe versprochen hatte. Infolgedessen verstopfte der König sein Ohr gegen die Barone und das Volk; das Blutvergießen ging weiter. Adah wollte durchaus ihre Stelle bei Hofe haben und drang in Elias, dem Könige den Schatz zu verraten, damit er sich gewaltsam in seinen Besitz bringe – sie wollten dann auf seine Dankbarkeit vertrauen – warum nicht? Davon wollte aber Elias nichts hören, denn er betrachtete das Gold als sein Eigentum. Sie stritten miteinander, weinten beim Abendessen, und einmal kam ein gewisser Langton – ein Priester, fast ein Gelehrter – in später Nacht zu ihnen, um Geld für die Barone zu borgen. Elias und Adah gingen schließlich zur Ruhe, und dann bin ich mit Langton über den vierzigsten Punkt des neuen Gesetzes übereingekommen.«

»Wie meinst du das?« warf Puck ein. »Der vierzigste Punkt des Staatsgrundgesetzes lautet doch: Wir wollen niemandem Rechte oder Gerichtsgewalt verkaufen, versagen oder bestreiten.«

»Das ist richtig; doch die Barone hatten erst geschrieben: ›Keinem freien Manne‹. Es kostete mich zweihundert Goldstücke, diese drei Wörtchen, die uns Juden auf immer rechtlos gemacht hätten, zu ändern. Der Priester Langton verstand mich. ›Wenn du auch Jude bist,‹ sagte er, ›die Änderung ist gerecht, und wenn jemals Juden und Christen in England gleichberechtigt sein werden, soll man dir es danken.‹ Dann stahl er sich heimlich davon, wie es Sitte war, wenn man mit Israel zur Nacht verhandelte.

Ich hörte Elias und Adah im Stockwerk über mir streiten, und da ich wußte, daß das Weib stärker war, sah ich voraus, daß Elias dem Könige den Schatz verraten, und dieser in seiner Hartnäckigkeit verharren würde. Ich erkannte also, daß das Gold aus dem Bereich von Menschenhand geschafft werden müsse. Und siehe, da kam auf einmal das Wort des Herrn über mich und sagte: ›Dein Morgen ist gekommen, du Fremdling in diesem Lande!‹

Kadmiel hielt inne. Schwarz hob sich sein Körper gegen den bleichen Himmel ab – eine gewaltige Erscheinung.

»Ich stand auf. Ich ging fort, und als ich die Türe an dem Hause der Torheit verschloß, da blickte das Weib aus dem Fenster und flüsterte: ›Ich habe meinen Mann überredet, dem Könige alles zu sagen.‹ Ich entgegnete: ›Ich fürchte nichts, der Herr ist mit mir.‹

In jener Stunde gab mir der Herr Weisheit, daß ich wußte, was ich zu tun habe; und seine Hand war über mir auf meinem Wege. Ich ging erst nach London, zu einem Arzte meines Volkes, der mir gewisse Gifte verkaufte. Ihr werdet gleich sehen, wozu ich sie brauchte. Von dort eilte ich nach Pevensey. Rings um mich her kämpften die Menschen, denn weder Gesetz noch Richter gab es in diesem entsetzlichen Lande. Und wenn ich an ihnen vorüberhastete, dann riefen sie, ich sei Ahasverus – ein Jude, der, wie sie glauben, zu ewigem Leben verflucht ist – und flohen vor mir. So schirmte mich der Herr für mein Werk; in Pevensey kaufte ich mir einen Kahn und verbarg ihn im Schlamme unter dem Marschentore des Schlosses. So hatte Gott es mich gewiesen. Ich warf das Gift in den großen Brunnen des Schlosses. Aber es sollte natürlich kein Unheil stiften; es verursachte nur Pusteln und juckenden Ausschlag auf der Haut, der, wie ich wußte, in vierzehn Tagen vergehen würde. Es lag mir ja fern, mich an ihrem Leben zu vergreifen. Die Leute im Schlosse jedoch glaubten, es sei die Pest und flohen alle; nicht einmal die Hunde ließen sie zurück.

Ein christlicher Arzt, welcher wußte, daß ich ein Jude und Fremdling sei, behauptete, ich hätte die Seuche aus London mitgebracht. Es war das erstemal, daß ein Arzt des Landes über eine Krankheit die richtige Ansicht hatte. Das Volk schlug mich, und schließlich meinte eine mitleidige Frau: ›Tötet ihn nicht. Schließt ihn mit der Plage im Schlosse ein; wenn die Krankheit in zwei Wochen erlischt, wie er sagt, können wir ihn noch immer töten.‹ Warum nicht? So jagten sie mich über die Zugbrücke ins Schloß und flohen zu ihren Hütten. Und nun war ich endlich allein mit dem Schatze!«

»Ja, wie wußtest du denn, daß alles so kommen würde?« fragte Una.

»Die Prophezeiung sagte, ich sollte Gesetzgeber eines Volkes von fremder Sprache und harter Rede werden. Ich wußte, ich würde nicht sterben. Ich wusch meine Wunden und grub und wühlte nun von Sabbat bis Sabbat in der Festung. Viele Ladungen Goldes brachte ich ans Licht und verbarg sie in meinem Boote. Es muß auch Goldstaub dort verborgen gewesen sein, doch der war von der Flut fast gänzlich weggeschwemmt.

Da sagte mir mein Herz: wenn dieses Übel bestehen bleibt, ja, wenn die bloße Hoffnung, es wiederzufinden, besteht, dann wird der König hart bleiben und das Land zugrunde gehen. Als ich daher alles in mein Boot verladen hatte, wusch ich meine Hände siebenmal und stutzte die Nägel, um auch nicht das winzigste Körnchen davon zurückzubehalten. Dann fuhr ich bei dem kleinen Pförtchen hinaus, wo der Abfall des Schlosses ins Meer fließt. Ich wagte nicht, mein Segel zu hissen, aus Furcht, gesehen zu werden. Aber der Herr gebot der Flut, mich hinauszutragen, und noch vor Tagesanbruch war ich weit vom Lande entfernt.«

»Hattest du keine Angst?« unterbrach ihn Una.

siehe Bildunterschrift

Sie jagten mich über die Zugbrücke ins Schloß –

»Wovor? Es war ja niemand im Boote. Des Morgens verrichtete ich mein Gebet und warf dann den Schatz – das ganze, ganze Gold! – in die tiefe See. Es war das Lösegeld eines Königs – nein, es war vielmehr das Lösegeld eines Volkes! Als der letzte Barren verschwunden war, befahl der Herr den Fluten, mich zur Mündung eines Flusses bei einem Hafen zu führen, und von dort wanderte ich durch die Einöde nach Lewes, wo ich Glaubensbrüder habe. Zwei Tage lang hatte ich nichts gegessen, und als sie mir die Türe öffneten, sank ich auf der Schwelle zusammen und rief: ›Ich habe eine Armee mit Reiterei ins Meer versenkt!‹

»Wieso denn?« meinte Una. »Ach, ich weiß schon: du meinst, der König hätte sich für den Schatz eine Armee kaufen können.«

Kadmiel nickte. Wieder ertönten Schüsse dicht hinter ihnen. Die Fasane flogen eben über eine Gruppe hoher Tannen hinweg. Man sah den jungen Herrn Meyer, der in seinen neuen, gelben Gamaschen voller Aufregung neben den übrigen Jägern einherlief und hörte zuweilen den dumpfen Fall eines getroffenen Vogels.

»Was tat nun Elias von Bury?« fragte Puck. »Er hatte doch dem Könige Geld versprochen?«

Kadmiel lachte bitter. »Ich ließ ihm aus London sagen, der Herr sei auf meiner Seite. Und er erkannte, daß es wahr sei, als er erfuhr, wie in Pevensey die Pest ausgebrochen, und ein Jude in der Festung eingeschlossen ward. Er eilte mit seiner Frau nach Lewes und verlangte Rechenschaft von mir; er hielt das Gold noch immer für sein Eigentum. So sagte ich ihm denn, wohin ich es gebracht hatte und stellte es ihm frei, es sich wieder zu holen. – – Was tut's? Die Flüche des Narren und der Staub der Landstraße sind zwei Dinge, denen selbst der Weise nicht entgeht. – – – Und doch tat mir Elias leid! Der König zürnte ihm, weil er ihm nichts leihen konnte; die Barone zürnten ihm, weil sie erfahren hatten, er habe dem Könige Geld geben wollen; und sein Weib zürnte ihm, weil sie abscheulich und ehrgeizig war. So fuhren sie mit dem nächsten Schiffe nach Spanien – und taten wohl daran!«

»Nun, und hast du die Unterzeichnung des Gesetzes zu Runnymede, das das gleiche Recht für alle brachte, gesehen?« fragte Puck.

»Nein. Wer bin ich, daß ich mich in so hohe Angelegenheiten mischen dürfte? Ich kehrte nach Bury zurück und lieh Geld auf die nächste Ernte. Warum nicht? Erst viel später hörte ich, daß der König, weil er kein Geld mehr zum Kriegführen hatte, mit den Baronen Frieden schließen und das Staatsgrundgesetz anerkennen mußte. So konnte ich mir sagen, daß auch ich für meinen Teil zu diesem Ergebnis beigetragen hätte.« –

Auf einmal hörten die Kinder ein Krachen über sich. Ein Fasan war angeschossen worden, hatte sich zur Seite gewendet, stürzte nun durch das Geäst nahezu auf ihre Köpfe, wobei die dürren Blätter am Boden wie von einer Granate getroffen emporstoben. Flora und Folly stürzten sich auf die Beute; die Kinder warfen sich ihnen entgegen, und als sie die Hunde weggejagt und das zerzauste Gefieder in Ordnung gebracht hatten – war Kadmiel verschwunden.

»Nun?« begann Puck gelassen. »Was haltet ihr davon? Wieland brachte das Schwert; das Schwert brachte den Schatz; der Schatz brachte das gleiche Recht. Ist es nicht ganz natürlich?«

»Eins hab' ich nicht verstanden – wußte er nicht, daß es Ritter Richards Schatz war?« fragte Dan. »Und warum ließen der Ritter und Bruder Ugo das Gold dort – und – und – –«

»Laß nur!« begütigte Una höflich. »Er wird es uns ein nächstesmal erzählen, nicht wahr Puck?«

»Ein andermal, wohl möglich. – Brr! Es ist kalt und spät. Jetzt wollen wir um die Wette nach Hause laufen!«

Sie eilten in das geschützte Tal hinunter. Die Sonne war hinter den Bergen nahezu verschwunden, das Gras wies bereits Reif an den Kanten auf, und der frische Nordwind blies von den Höhen die Nacht herab. Die Kinder nahmen die Beine in die Hände; sie flogen über die braunen Wiesen dahin, und wenn sie innehielten, ganz in den Dampf des Atems gehüllt, dann stob hinter ihnen das welke Laub empor; und es waren genug Blätter von Eichen, Eschen und Dornen darunter, um tausend Erinnerungen wegzuzaubern.

So trabten sie über die Wiese dem Bache zu und konnten sich nicht erklären, wieso Folly und Flora den Fuchs beim Steinbruche hatten entwischen lassen.

Der alte Hobden beendete eben eine Arbeit an der Hecke; sie sahen seinen weißen Kittel im Zwielicht herüberschimmern, während er das Reisig zu einem Bündel sammelte.

»Na, jetzt ist der Winter da, junger Herr,« rief er. »Nun kommen trübe Zeiten bis zum nächsten Kuckucksfest. Ja, wir werden alle froh sein, bis Frau Holle wieder den Kuckuck aus ihrem Käfig hinausläßt, damit es wieder richtig Frühling in England werde.«

Da hörten sie ein Krachen, Stampfen und Plätschern, als ob ein plumpes Rind gerade an ihnen vorüber in den Bach renne. Hobden lief ärgerlich zur Furt.

»Schon wieder Gleasons Stier, der auf unserem Gute seinen Schabernack treibt! Seht nur, junger Herr, seine große Fußspur, so groß wie'n Teller. So eine Unverschämtheit! Er tut ja rein, als ob ihn ein Mensch oder – oder sonstwer jage!«

Da brummte von der anderen Seite der Hecke eine Stimme:

Wer kann auf seinem Wege bleiben,
Wenn Puck ihn in die Irre führt?
Wer heißt das Irrlicht Possen treiben – –«

Die Kinder sangen aus vollem Halse: »Mit Zwergenlohn ist's nun vorbei –«; so zogen sie ins Haus ein. Sie wußten nicht einmal, daß sie vergessen hatten, Puck eine gute Nacht zu wünschen.

 


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