Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die neuen Gutsherren


Ein Baumlied.

Vieltausend mächtiger Bäume stehn
In Englands heiligen Reichen;
Doch keinen von allen ziemt höherer Ruhm
Als Dornbusch, Eschen und Eichen.
Drum töne ihnen begeistert mein Lied,
Bis die Schatten der Sommernacht weichen!
Trinkt, Brüder, auf Englands herrlichste Zier,
Auf Dornbusch, Eschen und Eichen!

Manch stolze Eiche erhob schon ihr Haupt,
Als Aeneas bei Dido gelandet;
Schon strebte die Esche zum Himmel empor,
Eh' Brut Nach der mittelalterlichen Sage war Brut, der Urenkel des Aeneas, der Stammvater der Briten. Anm. d. Übers. noch bei England gestrandet;
Der Dornbusch sah Neu-Troja ersteh'n,
Für künftige Größe zum Zeichen:
Wer rühmt sich nun älteren Adelstamms,
Als Dornbusch, Eschen und Eichen?

Wohl pflanzen wir Eiben, ein teueres Grab
Mit schattigem Laubdach zu schützen,
Wir wissen die Erle zu festem Beschlag,
Die Buche für Becher zu nützen:
Doch springt dir Becher, zerrann dir dein Gut
Und stehst du, ein Mörder, vor Leichen:
Dann fliehst du zurück in die schaurige Hut
Von Dornbusch, Esche und Eichen!

Die Ulme haßt uns! Vertraust du dein Haupt
Ihrem Schatten, dann sinnt sie auf Tücke:
Kein Windhauch regt sich – da löst sich ein Ast
Und bricht dir am Kopfe in Stücke.
Drum schweifst du trunken vom Gerstensaft,
Streifst nüchtern im Waldesbereiche,
Stets suche dein Lager zu sicherer Ruh
Unter Dornbusch, Esche und Eiche!

O, hehlet dem Geistlichen unseren Bund!
Er ließ' es als Sünde uns büßen,
Daß, nächtlich zur Feier im Walde vereint,
Wir das Nahen des Sommers begrüßen.
Nun bringen wir fröhliche Botschaft heim
Und Segen verheißende Zeichen:
Die Sonne ist wieder zurückgekehrt
Mit Dornbusch, Eschen und Eichen!

Drum töne ihnen begeistert mein Lied,
Bis die Schatten der Sommernacht weichen!
England, halt' fest bis zum jüngsten Tag
An Dornbusch, Eschen und Eichen!

Die neuen Gutsherren.

Einige Tage später saßen die Kinder mit ihrer Angel am Ufer des Baches, der sich im Laufe der Jahrhunderte tief in den weichen Talboden gewühlt hatte. Über ihren Häupten schlossen sich die Baumkronen zu langen Bogengängen zusammen, durch welche sich die Sonne nur in Kringeln und Streifen zu stehlen vermochte. Tiefer im Innern des Ganges gab es Sandhügel und Kiesbänke, alte Wurzeln und Baumstümpfe, die von Moos überzogen oder auch von dem eisenhaltigen Wasser ganz rot gefärbt waren; da gab es Fingerhüte, die, bleich und kränklich, dem Lichte zustrebten, große Büschel von Farnkraut und durstige, scheue Blümlein, die nur im Wasser und Schatten gedeihen. Im Wasser wiederum konnte man sehen, wie die Forellen hin und her huschten, daß es nur so spritzte. Die einzelnen Lachen waren – außer bei Hochwasser, wo alles ein brauner, schießender Schwall war – durch seichte Wasserläufe verbunden, die sich plätschernd in der Laubnacht der nächsten Krümmung verloren.

Das war nun eines ihrer verstecktesten Jagdreviere, und der alte Heckenmacher Hobden, ihr bester Freund, hatte ihnen gezeigt, wie es zu verwerten sei. Nichts regte sich – nur hie und da hörte man einen leichten Schlag, wenn die Angelrute einen Weidenzweig traf, oder ein schnelles Knistern und Rascheln im jungen Eschenlaube, wenn sich eine Schnur verfing. Draußen auf der heißen Wiese hätte niemand ahnen können, welch' eifrige Jagd hinter dem Gebüsch vor sich ging.

»Also sechs Stück hätten wir schon,« sagte Dan nach einer schwülen Stunde; »ich schlage vor, wir gehen zur Steinbucht und versuchen es in der langen Lache.«

Una nickte – ihre Antwort war meistens bloß ein Nicken – und die beiden krochen aus dem Halbdunkel des Laubganges dem kleinen Wehr zu, das den Bach in den Mühlarm leitet. Hier sind die Ufer flach und baumlos, und der Widerschein der Nachmittagssonne auf der »langen Lache« fällt blendend in die Augen.

Kaum waren sie auf freier Wiese angelangt, als sie im höchsten Erstaunen stillstanden. Ein gewaltiges graues Roß stand in der Lache und trank; sein langer Schweif strich über die glitzernde Wasserfläche, und die von der Schnauze fallenden Tropfen leuchteten wie flüssiges Gold. Auf seinem Rücken aber saß ein alter Mann mit weißem Haar, der einen weiten, schimmernden Kettenpanzer trug; sein Haupt war unbedeckt, und die Eisenhaube hing am Sattelbogen. Die roten Zügel waren aus breitem, gezacktem Leder, und rote Brust- und Schwanzriemen hielten den hohen, gepolsterten Sattel.

»Siehst du?« fragte Una den regungslos starrenden Bruder. »Ganz wie das Bild in deinem Zimmer: ›Ritter Isumbras an der Furt‹.«

Der Ritter kehrte sich zu ihnen, und sein feines, längliches Antlitz war ganz so lieb und freundlich wie das des Ritters, der auf jenem Bilde die Kinder im Arme hält.

»Sie sollten schon hier sein, Junker Richard,« tönte da Pucks Stimme aus den Weiden.

»Hier sind sie auch,« entgegnete der Ritter und blickte lächelnd auf Dan und seine Forellenschnur. »Es scheint, die Buben haben sich wenig geändert, seit der meine in diesem Bache angelte.«

»Wenn Ihr Euer Roß getränkt habt, so meine ich, wir machen es uns im Feenringe bequem,« fuhr Puck fort. Dabei winkte er den Kindern so unbefangen zu, als hätte er ihnen niemals die Erinnerung weggezaubert.

Das gewaltige Roß kehrte sich der Wiese zu und erklomm schwerfällig das Ufer, wobei sich unter seinen stapfenden Hufen ganze Schollen vom Boden lösten.

»Nichts für ungut,« wandte sich der Ritter zu Dan. »Als ich Herr dieses Landes war, durften meine Berittenen nur auf gepflasterter Furt den Bach durchqueren. Aber ›Schwalbe‹ war durstig, und ich wollte euch nicht verfehlen.«

»Wir freuen uns sehr, daß Ihr gekommen seid,« entgegnete Dan, »bekümmert Euch nicht wegen des Ufers.«

Er schritt zur linken Seite des Schlachtrosses und betrachtete das gewaltige Schwert, das am Gürtel des Ritters hing. Una folgte mit Puck; nun konnte sie sich auf einmal auf alles besinnen. Der Zwerg begann: »Ihr seid doch nicht böse wegen der Blätter, die ich euch gab? Aber es ging doch nicht, daß ihr heimkämt und alles ausplaudertet, nicht wahr?« »Gewiß nicht,« antwortete Una, »aber hast du nicht erzählt, daß alle Bergwesen England verlassen haben?« »Das haben sie auch, aber ich versprach euch doch, ihr solltet kommen, gehen, alles sehen und erfahren dürfen! Der Ritter ist kein Zauberwesen; es ist Ritter Richard Dalyngridge, ein alter Freund von mir. Mit Wilhelm, dem Eroberer, kam er nach England und freut sich sehr, euch kennen zu lernen.« »Weshalb denn?« fragte Una.

»Eurer großen Klugheit und Gelehrsamkeit wegen,« erwiderte Puck mit ernstem Gesichte.

»Gelehrsamkeit?« lachte Una, »ach, ich kann ja kaum das Einmaleins, gar wenn ich es außer der Reihenfolge sagen soll, und auch Dan macht beim Bruchrechnen die fürchterlichsten Schnitzer. Sicherlich meint der Ritter nicht uns.«

»Una!« rief nun Dan nach rückwärts, »Ritter Richard will uns erzählen, was mit Wielands Schwert geschah; er hat es! Das wird fein!«

»Nein, nein,« meinte der Ritter und schwang sich vom Pferde; man war beim Ringe in der Krümmung des Mühlarms angelangt.

»Ihr müßt mir etwas erzählen. Man sagte mir, heute sei in England ein kleines Kind so weise, wie zu meiner Zeit kaum der weiseste Schreiber.« Dabei nahm er seiner ›Schwalbe‹ den Zaum aus dem Maule, lockerte die Zügel, und das kluge Tier wandte sich zur Weide. Hierauf schnallte er sein langes Schwert ab.

»Das ist es!« flüsterte Dan der Schwester zu.

»Seht, das ist das Schwert, welches Bruder Ugo von Wieland dem Schmiede erhielt. Einst bot er es mir an, und ich wollte es nicht nehmen. Schließlich aber gewann ich es in einem Kampfe, wie ihn nie wieder ein christlicher Ritter ausfocht. Seht her!« Mit diesen Worten zog er es halb aus der Scheide und zeigte es ihnen von beiden Seiten. Unterhalb des Griffes, wo die Runenzeichen wie lebend zitterten, liefen rechts und links zwei tiefe Rinnen in dem matten, unheimlichen Stahl. »Nun, wessen Werk ist dies?« scherzte der Ritter, »ich weiß es nicht, vielleicht seid ihr so weise?«

»Erzähle ihnen doch die ganze Sache,« legte sich Puck ins Mittel, »es betrifft ja auch ein wenig ihr Land.«

»Ja, bitte, erzählt alles von Anfang an,« bat nun auch Una, die das freundlich lächelnde Antlitz des Ritters immer wieder an ihren ›Ritter Isumbras an der Furt‹ erinnerte.

Sie ließen sich alle nieder. Der Ritter saß barhaupt in der Sonne und strich mit beiden Händen liebkosend über sein Schwert. Außerhalb des Ringes graste sein graues Roß, und leise klirrte zuweilen der Helm am Sattelbogen bei der Bewegung des Kopfes.

»Ich will also vom Anfange beginnen und euch die Geschichte erzählen, da sie euer Land betrifft. Als unser Fürst aus der Normandie nach England kam, um sein Reich in Besitz zu nehmen, folgten ihm viele tapfere Helden und standen in hartem Kampfe zu ihrem Herrn. (Hört ihr?) Denn er hatte ihnen Land und Gut versprochen, und mancher arme Ritter folgte seinem reichen Lehensherrn. Meine Eltern in der Normandie waren arm, aber ein mächtiger Ritter, Engerrard vom Adler – Engenulf De Aquila – ein Verwandter meines Vaters, folgte dem Grafen Mortain, dem Lehensmann des Herzogs Wilhelm, und ich war im Gefolge Engerrards. So zog ich also, drei Tage nachdem ich zum Ritter geschlagen worden war, mit dreißig Reisigen und einem neuen Schwerte aus dem Elternhause, um England zu erobern. Ich wußte damals noch nicht, daß England mich erobern werde. Wir stießen zu den übrigen und kamen nach Santlache – es war ein mächtiges Heer.«

»Das war wohl die Schlacht von Hastings, 1066?« flüsterte Una. Puck nickte bloß, um die Erzählung nicht zu unterbrechen.

»Bei Santlache, jenseits dieses Berges« (er wies nach Südosten), »trafen wir auf Harolds Heer. Es kam zum Kampfe. Gegen Abend kehrten sich die Feinde zur Flucht. Wir und Aquilas Mannen machten uns auf, sie zu verfolgen und zu plündern. Aber Engerrard vom Adler fiel bei der Verfolgung, und sein Sohn Gilbert übernahm Banner und Führung. Das erfuhr ich jedoch erst später, denn meine ›Schwalbe‹ war an der Flanke verletzt worden, und ich hatte am Bache bei einer Dornenhecke zurückbleiben müssen, um die Wunde zu waschen. In diesem Augenblicke rief mich ein einzelner Sachse auf Französisch an, und wir kämpften miteinander. Ich hätte ihn an der Stimme erkennen müssen, aber ich dachte nur an den Kampf. Keiner konnte dem anderen beikommen, bis endlich – durch ein bloßes Mißgeschick – der Fuß meines Feindes ausrutschte, und diesem das Schwert entglitt. Nun war ich erst jüngst Ritter geworden und strebte vor allem danach, als ritterlich und edel gerühmt zu werden; ich hielt also im Schlage inne und forderte ihn auf, sein Schwert aufzuheben. ›Der Teufel hole mein Schwert,‹ rief der Gegner, ›es hat mich bei meinem ersten Kampfe im Stiche gelassen! Hier, nimm es!‹ Damit hielt er es mir hin; aber kaum hatte ich die Hand danach ausgestreckt, als es wie ein Verwundeter aufstöhnte. Ich sprang entsetzt zurück und rief ›Zauberei!‹«

Hier blickten die Kinder zaghaft auf die Waffe, als ob sie gleich wieder ihre Stimme erlangen müßte.

»Gleich darauf stürzte sich eine Schar von Sachsen auf mich, und ich, der einzelne, wäre ihnen wohl rasch zum Opfer gefallen. Aber mein Gegner rief ihnen zu, ich sei sein Gefangener und hielt sie von mir ab. Seht ihr, so hat er mir das Leben gerettet. Er hieß mich sein Pferd besteigen und führte mich zehn lange Meilen durch den Wald bis in dieses Tal.«

»Hierher also?« fragte Una.

»Jawohl, hier in dieses Tal. Wir betraten es bei der ›Unteren Furt‹, dort unterhalb des Königsberges« – und er wies nach Osten, wo sich das Tal erweitert.

»Der andere war wohl Ugo, der sächsische Klosterschüler?« riet Dan.

»Richtig, aber hört weiter! Er hatte drei Jahre im Kloster zu Bec bei Rouen zugebracht, wo« (Ritter Richard begann zu kichern) »der Abt Herluin mich auf keinen Fall dulden wollte.«

»Warum denn nicht?« warf Dan ein.

»Ich kam eines Tages, als die Brüder bei der Mahlzeit waren, auf meinem Rosse ins Refektorium geritten, um den sächsischen Burschen zu beweisen, daß wir Normannen uns vor keinem Abte fürchteten. Und eben jener Sachse Ugo hatte mich dazu angestiftet. Seit jenem Tage hatten wir einander nicht mehr gesehen, nun aber fiel mir ein, daß mir seine Stimme schon unter dem Helme bekannt vorgekommen war, und ungeachtet der Fehde unserer Herren, waren wir beide glücklich, einander nicht erschlagen zu haben. Er ging neben mir her und erzählte, wie ihm ein Heidengott das Schwert geschenkt habe und meinte auch, er selbst habe nie zuvor die Stimme des Schwertes vernommen. Ich erinnere mich, ihn daraufhin vor Zauberei und Höllenkünsten gewarnt zu haben.« Wieder zog ein Lächeln über das Antlitz des Ritters. »Ich war eben jung, sehr jung!

Als wir bei seinem Gehöfte ankamen, dachten wir kaum mehr daran, daß wir uns noch kürzlich im Kampfe gemessen hatten. Es war nahezu Mitternacht, und der Herrensaal war voll von Männern und Frauen, die neuer Kunde harrten. Jetzt erblickte ich zum ersten Male Lady Alueva, seine Schwester, von der er uns in Frankreich oft erzählt hatte. Sie fuhr mich grimmig an und hätte es durchgesetzt, daß man mich auf der Stelle aufknüpfte, aber ihr Bruder sagte, daß ich ihm das Leben gerettet habe (er verriet aber nicht, daß auch er mich von den Sachsen befreit hatte), und daß unser Herzog die Schlacht gewonnen habe. Da, während dieses Streites um meinen Kopf, sank Ugo plötzlich infolge seiner Wunden ohnmächtig zu Boden.

›Das ist deine Schuld!‹ rief Lady Alueva mir zu, ehe sie an der Seite des Bruders niederkniete und nach Wein und Tüchern rief.

›Hätte ich das gewußt,‹ wandte ich ein, ›so hätte er reiten müssen und ich wäre gegangen. Aber er hieß mich mein Roß besteigen und ließ keine Klage laut werden, er ging den ganzen Weg scherzend neben mir. Glaubt mir, ich habe ihm nichts zuleide getan!‹

›Du hast allen Grund, um Gnade zu bitten!‹ herrschte mich das Mädchen an und nagte zornig an der Lippe. ›Wenn er stirbt, baumelst du auch.‹

Sie trugen Ugo in sein Gemach; mich aber fesselten drei starke Männer des Gesindes und setzten mich unter den stärksten Balken der Halle, mit einem Strick um den Hals. Das andere Ende schlangen sie lose um den Balken; dann setzten sie sich zum Feuer und harrten der Nachricht aus Ugos Zimmer. Inzwischen knackten sie Nüsse mit dem Griffe ihres Messers.«

»Und wie war Euch zumute?« fragte Dan.

»Ich war sehr müde; doch ich betete inbrünstig für das Leben meines Schulgenossen. Da hörte ich – es mochte Mitternacht sein – Reiter das Tal heraufsprengen, die drei Männer sprangen auf, lösten meine Fesseln und flohen. Gleich darauf ritten Aquilas Mannen im Hause ein. Gilbert de Aquila führte sie, denn er rühmte sich, gleich seinem Vater, nie einen seiner Krieger im Stiche zu lassen. Er war klein, wie sein Vater, aber er sah unheimlich aus und glich mit seiner Nase und den gelben Augen einem Adler. Er ritt gewaltige Rosse – Rotschimmel eigener Zucht – und ließ sich von niemandem in den Sattel helfen. Er sah das Seil, das vom Balken herabhing und lachte; seine Mannen stimmten ein, denn meine Glieder waren so steif, daß ich nicht aufstehen konnte.

›Das nenne ich einen kläglichen Zeitvertreib für einen normannischen Ritter,‹ sagte er, ›aber wir müssen froh sein, daß es nicht ärger kam. Sag' mir, Freund, wem du am meisten schuldest, und wir wollen ihm auf der Stelle seinen Lohn geben.‹«

»Was meinte er? Blutige Rache?« unterbrach Dan.

»Ganz richtig. – Ich aber blickte auf Lady Alueva, die im Kreise ihrer Mägde stand, ihrem Bruder zur Seite. Denn Aquilas Leute hatten alle Bewohner des Gehöftes in den Herrensaal zusammengetrieben.«

»War sie schön?« fragte Una.

»In meinem ganzen Leben sah ich kein Weib, das würdig gewesen wäre, Lady Alueva die Riemen zu lösen,« antwortete der Ritter leise und schlicht. »Und da ich sie anblickte, kam mir der Wunsch, sie und ihr Haus durch einen Scherz zu retten. Ich erwiderte also Aquila:

›Sintemalen ich den Sachsen etwas vorschnell und ohne Vorhersage ins Haus gekommen bin, habe ich keinen Grund, mich über die Höflichkeit zu beklagen, die sie mir erwiesen.‹ – Aber meine Stimme bebte bei diesem Wort. Es ist – es war nicht ratsam, mit dem kleinen Manne zu scherzen. Einige Augenblicke herrschte Schweigen, dann lachte De Aquila auf und rief: ›Leute, seht, welch' ein Wunder! Die Schlacht ist kaum erst gewonnen, noch ist mein Vater nicht beerdigt, und doch finden wir hier den jüngsten unserer Ritter bereits im Besitze seines Gutes, da er eben erst – ihr könnt es in ihren plumpen Gesichtern lesen – von den Sachsen Huldigung und Treueid empfangen hat! Bei allen Heiligen,‹ fuhr er fort und rieb die Nase dabei, ›ich hätte nie geglaubt, daß England so leicht zu erringen sei. Fürwahr, ich kann nichts Besseres tun, als dem Burschen das verleihen, was er sich bereits genommen. Dies Gut soll dein sein, mein Junge, bis ich wiederkomme oder bis du erschlagen wirst. And nun, Mannen, aufs Pferd und flink von hinnen! Wir folgen unserem Herzog nach Kent und krönen ihn dort zum Könige von England!‹

Er winkte mich zur Türe, während man sein Roß vorführte – ein derber Rotschimmel, größer als ›Schwalde‹, aber schlechter aufgezäumt. ›Höre mal,‹ begann er, während er ungeduldig an den Schlachthandschuhen zerrte. ›Das Gut hier, das ich dir verliehen habe, ist ein wahres sächsisches Wespennest, und ich denke, in kaum einem Monat bist du erschlagen – wie mein Vater es ward. Vermagst du jedoch Haus und Scheunen unter Dach zu behaupten und den Pflug zu führen, bis ich wiederkehre, so sollst du dies Gut von mir zum Lehen erhalten. Denn der Herzog hat dem Grafen von Mortain alles Land um Pevensey versprochen, und der Graf wird mich mit jenem Teile belehnen, den er meinem Vater gegeben hätte. Gott weiß, ob wir beide noch leben, bis England gewonnen ist; drum denke daran, mein Junge, daß der Kampf mitunter eine Torheit ist und,‹ damit griff er nach den Zügeln, ›daß List und Schlauheit am meisten nützen.‹

›Weh' mir, ich bin nicht schlau,‹ sagte ich.

›Bis jetzt noch nicht,‹ erwiderte er, den Fuß im Bügel, und mit der Spitze sein Roß spornend, ›aber du hast doch eben gute Anlagen dazu bewiesen. Lebwohl! Du behauptest dich oder verlierst das Gut und den Kopf!‹ Mit diesen Worten schoß er von dannen, daß die Riemen des Schildes auf seinem Rücken ächzten.

So stand ich denn da, Kinder, fast noch ein Knabe, allein, mit dreißig Mann Gefolge, in fremdem Land, unter Leuten, deren Sprache ich nicht verstand und sollte das Land behaupten, das ich eben, einen Tag nach der Schlacht bei Santlache, erhalten hatte.«

»Und das war hier, bei uns?« fragte Una.

»Ja, hier. Seht her! Von der oberen Furt, Wielandsfurt, bis zur unteren Furt erstreckte sich mein Gut längs der Belle Allee eine halbe Meile von West nach Ost. Und vom Leuchtturm von Brunanburgh (hier hinter uns!) dehnte es sich eine Meile lang nach Norden und Süden – und dazu waren alle Wälder voll von flüchtigen Kriegern, sächsischen Dieben, normannischen Plünderern, Räubern und anderem Gelichter. Fürwahr, ein Wespennest!

Als Aquila fort war, wollte mir Ugo dafür danken, daß ich ihnen allen das Leben gerettet hatte. Lady Alueva aber höhnte, ich sei nur deshalb so großmütig gewesen, um das Land zu erhalten. ›Wie konnte ich wissen, daß Aquila es mir geben würde?‹ sagte ich, ›hätte ich erzählt, wie ich diese Nacht in der Schlinge verbracht habe, so wäre jetzt alles ein rauchender Trümmerhaufen.‹

›Wenn mir jemand einen Strick um den Hals gelegt hätte,‹ entgegnete sie, ›hätte ich sein Haus eher dreimal in Flammen aufgehen lassen, als daß ich auf Vergeltung verzichtet hätte!‹

›Vergeltung an einem Weibe?‹ versetzte ich und lachte. Drauf brach sie in Tränen aus und klagte, daß ich sie, die Gefangene, verhöhne.

›Lady,‹ war meine Antwort, ›es gibt keinen Gefangenen in diesem Tale – einer ausgenommen, und der ist kein Sachse.‹ Als Antwort schalt sie mich einen normannischen Dieb, der sich mit süßen, falschen Worten hier eingeschlichen, und es von allem Anfang darauf angelegt habe, sie als Bettlerin auf die Straße zu jagen. (Was das bedeute, wußte sie selbst wohl kaum, denn sie hatte noch keinen Krieg erlebt!) Da antwortete ich ihr zornig: › Das wenigstens kann ich widerlegen, denn ich schwöre es hier auf meinen Schwertgriff, nie wieder diese Halle zu betreten, bis Lady Alueva selbst mich darum bittet!‹

Sie verließ wortlos das Gemach; auch ich ging, und Ugo hinkte mir nach; er pfiff sich – wie es so englische Sitte ist – ein trauriges Stücklein, und so kamen wir an den drei Sachsen vorüber, die mich gefesselt hatten. Jetzt lagen sie, von meinen Mannen gebunden, am Boden; hinter ihnen aber stand ein Haufen von etwa fünfzig trotzig dreinschauenden Knechten des Gutes und harrten der Dinge, die da kommen würden. Leise hörte man noch De Aquilas Hörner aus dem Walde schallen, der sich gen Kent erstreckt.

›Sollen die drei gehängt werden?‹ fragten meine Leute.

›Dann würden meine Knechte vom Leder ziehen,‹ raunte mir Ugo hastig zu. Ich bat ihn, die Gefangenen zu fragen, ob sie auf Gnade hofften. ›Nein,‹ war die Antwort, ›die Herrin befahl uns, dich zu hängen, wenn unser Herr stürbe. Und das hätten wir auch getan; wir sind bereit.‹

siehe Bildunterschrift

Als Antwort schalt sie mich einen normannischen Dieb –

Während ich noch überlegte, kam ein Weib aus dem Walde des Königsberges da drüben herbeigeeilt und rief, daß einige Normannen eben die Schweine forttrieben.

›Ob Normannen oder Sachsen,‹ fuhr ich auf, ›wir müssen sie zurückschlagen, sonst rauben sie täglich aufs neue! Auf zu den Waffen, alle Mann, und ihnen nach!‹ Ich gab also die drei Gefesselten frei, und wir stürmten alle einträchtig davon, ich mit meinen geharnischten Reitern, und Ugo an der Spitze seiner Sachsen, die eiligst Axt und Bogen aus ihrem Versteck – dem Strohdach ihrer Hütten – hervorgeholt hatten. Auf halbem Wege zum Königsberge fanden wir einen schurkischen Pikarden, der als Marketender dem Heere unseres Herzogs gefolgt war, mit dem Schilde eines toten Ritters am Arme, und auf einem gestohlenen Pferde. Zehn oder zwölf Landstreicher, sein Gefolge, stachen und hieben auf unsere Schweine ein. Wir verjagten das Gelichter und retteten unsere Herde, Hundertundsiebzig Schweinen haben wir in dieser großen Schlacht das Leben gerettet,« schloß Ritter Richard lachend.

»Das nun war unsere erste gemeinsame Arbeit und ich ließ Ugo seinen Leuten verkünden, daß ich mit jedem, Normanne oder Sachse, Ritter oder Knecht, der auch nur ein Ei in unserem Tale entwendet, ebenso verfahren würde. Als wir heimritten, sagte mein Freund: ›Du hast heute viel gewagt, um England zu erobern.‹ Ich entgegnete: ›Darum muß alles dir und mir gehören! Hilf mir, Ugo, mit diesen Leuten gerecht zu verfahren. Überzeuge sie, daß De Aquila, wenn sie mich erschlügen, sicher blutige Rache an ihnen nehmen würde, und ein schlimmerer Mann an meine Stelle käme.‹ ›Das glaube ich auch,‹ erwiderte Ugo und reichte mir die Hand. ›Der Teufel, den wir kennen, ist besser als der Teufel, den wir nicht kennen, solange wenigstens, bis wir euch wieder aus dem Lande jagen können.‹ Und das war auch die Meinung der übrigen Sachsen, und unter Lachen trieb man die Schweine ins Tal. Und ich glaube fast, daß schon damals einige aufhörten, mich zu hassen.«

»Bruder Ugo gefällt mir,« warf Una leise ein.

»Er war zweifellos der vollendetste, freundlichste, tapferste, sanfteste und weiseste Ritter, der je gelebt hat,« sagte Ritter Richard, sein Schwert streichelnd. »Er hing sein Schwert – dieses Schwert – an die Wand des Herrensaals, indem er sagte, daß es rechtens mir gebühre und nahm es nicht mehr herunter, bis De Aquila wiederkehrte, wie ihr gleich hören werdet. Drei Monate schirmten meine und seine Mannen das Tal, bis alle Räuber und Wegelagerer erkannten, daß bei uns nichts zu holen sei, denn Nagel und Strick. Seite an Seite kämpften wir gegen alle Eindringlinge – zuweilen gar dreimal in der Woche –, gegen Diebe und landgierige Strauchritter. Dann hatten wir leidlich Frieden, und es gelang mir, mit Ugos Beistand, das Tal zu beherrschen – denn euer ganzes Tal hier gehörte zu meinem Gute – und meine Pflicht als Ritter zu erfüllen, Haus und Scheune behauptete ich unter Dach, aber – – – Die Engländer sind ein selbstbewußtes Volk. Die Sachsen lachten und scherzten mit Ugo und er mit ihnen, und – das wunderte mich am meisten – wenn der Geringsten einer sagte, dies oder jenes sei so Brauch auf dem Gute, dann erhoben selbst Ugo und die ältesten Vasallen keinen Einwand mehr – sah ich sie doch einst die Mühle abstellen, obgleich das Korn kaum halb gemahlen war. Und stellte es sich heraus, daß Sitte und Brauch es wirklich so wollten, wie einer gesagt hatte, nun, dann gab es nichts mehr darüber zu reden, wenngleich es Ugos Wunsch und Auftrag stracks zuwiderlief. Sonderbar!«

»Gewiß!« ließ sich Puck zum ersten Male vernehmen. »Altenglands Sitte war früher hier, als Eure normannischen Ritter und überlebte alles, obgleich Ihr sie grimmig befehdet!«

»Ich tat es nicht,« antwortete Ritter Richard, »ich ließ die Sachsen ihren gewohnten Weg gehen und nur, wenn meine eigenen Ritter, die kaum ein halbes Jahr in England waren, mich belehren wollten, was hierzulande Sitte sei, dann wurde ich zornig, Hei, war das eine schöne Zeit! Ach, ein wundervolles Volk! Ich liebte sie alle!« Er breitete die Arme aus, als wollte er das ganze Tal umfassen; ›Schwalbe‹ blickte auf und wieherte leise, als sie das Klirren der Rüstung hörte.

»Schließlich,« fuhr er fort, »nach einem Jahre harter Arbeit und klugen Schaltens, kam De Aquila allein und unangemeldet in unser Tal zurück. Ich erblickte ihn als erster bei der ›Unteren Furt‹; auf dem Sattel vor ihm saß der Knabe, der unsere Schweineherde hütete.

›Du brauchst mir keine Rechenschaft mehr über deine Tätigkeit zu geben,‹ sagte er; ›ich weiß bereits alles von diesem Kinde.‹ Und er berichtete, wie der Knirps, einen Zweig schwingend, sein stattliches Roß an der Furt angehalten und gerufen habe, daß der Zugang untersagt sei.

›Und wenn in diesen Zeitläuften ein unerschrockenes, waffenloses Kind hinreicht, die Furt zu behüten, dann hast du dich trefflich bewährt,‹ schloß er, und wischte pustend den Schweiß von der Stirn. Dann kniff er den Kleinen in die Wange und musterte unsere Rinderherde, die am flachen Flußufer graste. ›Alles hübsch wohlgenährt,‹ sagte er, die Nase reibend, ›das ist klug und weise, wie ich es liebe. Was sagte ich dir, mein Sohn, als ich davonritt?‹

›Du behauptest dich oder verlierst das Gut und den Kopf! Ich habe es wohl gemerkt.‹

›Richtig! Und du hast dich behauptet.‹ Er schwang sich aus dem Sattel, hob mit der Spitze des Schwertes eine Scholle aus dem Rasen und übergab sie mir, während ich auf die Knie sank.«

Una und Dan blickten einander verständnisvoll an.

siehe Bildunterschrift

»Du brauchst mir keine Rechenschaft zu geben,« sagte er, »ich weiß bereits alles von diesem Kinde.«

»Das war die Besitzergreifung,« flüsterte Puck.

»,Nun bist du rechtmäßiger Herr auf diesem Gute, Ritter Richard,‹ (er gab mir zum ersten Male diesen Namen), ›du und deine Nachkommen für alle Zeit! – Dies muß genügen, bis dir die Schreiber des Königs dein Recht auf Pergament verbriefen. Ganz England gehört uns – wenn wir es behaupten können.‹

›Welchen Dienst habe ich zu leisten?‹ fragte ich und fühlte mich unaussprechlich stolz.

›Ritterdienst und Lehenspflicht,‹ entgegnete jener, mit einem Fuße schon wieder im Steigbügel. (Sagte ich euch, daß er klein war und sich doch von niemandem in den Sattel helfen ließ?) ›Sechs Berittene und zwölf Bogenschützen sollst du mir stellen, so oft ich sie heische, und – woher hast du dieses Korn?‹ unterbrach er sich. Erntezeit war nahe, und das Getreide stand prächtig. ›Nie sah ich noch so üppigen Stand. Du sollst mir jährlich drei Säcke von diesem Korn zinsen und ferner, zum Gedächtnis an unsere letzte Begegnung, da du einen Strick um den Hals trugst, mich und meine Mannen zwei Tage im Jahre im Herrenhause deines Gutes bewirten!«

›O weh!‹ erwiderte ich, ›dann gehe ich schon jetzt meines Lehens verlustig; denn mich hindert ein Eid, den Herrensaal zu betreten.‹ Und ich berichtete, was ich Lady Alueva zugeschworen hatte.«

»Du warst also seither nicht wieder in der Halle?« fragte Una.

»Nein,« entgegnete lächelnd Ritter Richard. »Ich hatte mir weiter oben an der Bergeslehne aus Holz eine Hütte errichten lassen, und da wohnte ich und sprach Recht. De Aquila aber wandte sich mit einem Ruck zu mir, daß der Schild auf seinem Rücken ertönte, und rief: ›Mach' dir nichts daraus, mein Sohn! Ich will dir für dieses Jahr die Lehenspflicht erlassen!‹«

»Er meinte, daß ihm Ritter Richard in diesem Jahre kein Festmahl dort vorzusetzen brauchte,« erklärte Puck.

»De Aquila wohnte mit mir in der Hütte, und Ugo, der lesen, schreiben und Rechnung führen konnte, legte ihm das Grundbuch des Gutes vor, in dem die Namen unserer Felder und Arbeiter alle verzeichnet waren. Er fragte tausenderlei über Boden, Holzbestand, Weideland, über die Mühle, den Fischteich und den Wert jedes Knechtes in unserem Tale. Nie aber nannte er den Namen der Lady Alueva und setzte keinen Fuß in den Herrensaal. Zur Nachtzeit trank er mit uns in der Hütte; er hockte auf dem Stroh wie ein Adler mit gesträubten Federn, seine gelben Augen blitzten über den Becherrand, und wie ein Adler jäh herabstößt, so stürzte er sich von einem Gegenstand des Gesprächs auf den nächsten, stets mit sicherem Griffe zupackend. Ja, manchmal lag er geraume Weile still und raschelte im Stroh, dann wieder sprach er, als wäre er selbst König Wilhelm, zuweilen redete er gar in Parabeln und Gleichnissen, und wenn wir nicht schnell genug den Sinn erfaßten, stieß er uns die Scheide seines Schwerts in die Rippen.

›Glaubt mir, Leute,‹ sagte er einmal, ›ich bin zu unrechter Zeit geboren worden. Vor fünfhundert Jahren hätte ich England zu einem Reiche gemacht, das mir weder Dänen, noch Sachsen, noch Normannen hätten erobern sollen. Und von heute über fünfhundert Jahre würde ich einen Kanzler für Könige abgeben, wie ihn nie die Welt geträumt hätte. Hier sitzt es,‹ meinte er, an die mächtige Stirn klopfend, ›aber in unseren traurigen Zeiten ist es zu nichts nütze! Übrigens – unser Ugo hier ist besser als du, Richard.‹ Dabei war seine Stimme so heiser und krächzend wie die eines Raben geworden.

›Das stimmt,‹ entgegnete ich. ›Ohne Ugo, seine Hilfe, Geduld und Langmut hätte ich niemals das Gut behaupten können.‹

›So wenig wie dein Leben!‹ versetzte De Aquila. ›Ugo hat es dir nicht einmal, sondern hunderte Male gerettet. Gemach, Ugo! Weißt du auch, Richard, warum Ugo bis auf den heutigen Tag inmitten deiner normannischen Krieger schläft?‹

›Um in meiner Nähe zu sein,‹ gab ich zur Antwort, da ich dies für den Grund hielt.

›Nein, du Narr! Weil ihn seine Sachsen aufgefordert hatten, sich gegen dich zu erheben und alle Normannen aus dem Tale zu jagen. Gleichgültig, woher ich es weiß! Es ist so! Deshalb machte sich Ugo zum Bürgen deines Lebens, wohl wissend, daß ihn deine Normannen erbarmungslos niedermachen würden, wenn dir etwas zustieße. Und das wußten auch seine Sachsen. Stimmt's, Ugo?«

›Zum Teil,‹ gab Ugo errötend zu. ›Vor einem halben Jahre wenigstens war es so. Jetzt würden meine Sachsen Richard kein Leid mehr zufügen. Ich glaube, sie kennen ihn jetzt. Damals aber schien es mir wohl rätlich, sicher zu gehen.‹

›Hört ihr, Leute, was dieser Mann für mich getan, ohne daß ich es ahnte? Nacht für Nacht schlief er unter meinen Getreuen, obwohl er wußte, daß er mit seinem Leben dafür hätte einstehen müssen, hätte auch nur ein Sachse sein Messer auf mich gezückt!‹

›So ist's!‹ pflichtete De Aquila bei. ›Und dabei trägt er gar kein Schwert!‹ Er wies auf Ugos Gürtel, denn dieser – hab' ich euch's erzählt? – hatte sein Schwert seit dem Tage abgelegt, da es bei Santlache seiner Hand entglitt; er trug nur einen kurzen Dolch und seinen Bogen. ›Des Schwertes und Landes gingst du verlustig, Ugo! Und bist doch, so sagt man, von fürstlichem Geblüt! (Das war auch wirklich der Fall!) Steh auf und bitte um Gnade, Ugo, denn er kann dich wie einen Hund davonjagen!‹

Ugo schwieg; ich hörte, wie er mit den Zähnen knirschte. Da fuhr ich meinen Lehnsherrn De Aquila an, still zu sein, sonst wollt' ich ihm den Mund mit dem Schwerte stopfen. Drauf lachte er wieder, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen und sagte:

›Ich habe den König gleich gewarnt, daß es so kommen würde, wenn er England an uns normannische Diebe verteilte. Noch bist du, Richard, keine zwei Tage auf deinem Lehen bestätigt, und schon empörst du dich gegen deinen Herrn. Was soll mit ihm geschehen, › Ritter‹ Ugo?‹

›Des Schwertes ging ich verlustig; höhne mich nicht!‹ Er legte den Kopf auf die Knie und stöhnte.

›Kurzsichtiger Tor!‹ versetzte De Aquila, und mit einem Male klang seine Stimme ganz anders. ›Wisse, daß ich dir schon seit einer halben Stunde den Herrensitz von Dallington als Lehen zugedacht!‹ Und wieder stieß er scherzend mit der Scheide seines Schwertes über die Strohschütte nach ihm.

›Ein Lehen, mir? Ich bin ein Sachse, und wenn ich auch aus Liebe zu Richard hier lebe, so hab' ich noch keinem Normannen die Treue geschworen.‹

›In einer gottgewollten, schöneren Zukunft – die ich meiner Sünden wegen nicht mehr erleben werde! – da wird man in England weder Sachsen noch Normannen kennen! Verstehe ich mich auf Menschen, dann bist du ohne Eid treuer als eine ganze Anzahl von Normannen, die ich nennen könnte. Nimm Dallington an und – empöre dich morgen womöglich gegen mich! Vielleicht hilft dir gar Richard dabei!‹

›Nein,‹ erwiderte Ugo. ›Ich bin kein Kind! Wo ich Lehen nehme, gelobe ich Dienstpflicht.‹ Und so legte er seine Hände in die De Aquilas, schwor ihm Treue, und ich erinnere mich, daß ich ihn küßte, und De Aquila küßte uns beide.

Dann saßen wir vor der Hütte, während die Sonne aufging; De Aquila musterte unsere Knechte, die zur Feldarbeit auszogen, sprach von heiligen Dingen, wie wir in Zukunft unsere Güter verwalten sollten, von der Jagd und Pferdezucht, von des Königs Weisheit und Fehlern. Denn nun redete er mit uns, als wären wir völlig seine Brüder. Und da schlich sich ein Knecht zu mir – es war einer von denen, die ich seinerzeit begnadigt hatte – und brüllte mir in die Ohren (die Sachsen können ja nicht leise reden!), daß mich Lady Alueva beim Herrenhause sprechen wolle. Sie wanderte sonst täglich auf dem Gute umher und pflegte mich stets wissen zu lassen, wohin sie ging, damit ich ihr einige Bogenschützen zur Bedeckung mitschicken konnte. Ja, oft – oft barg ich mich selbst im Walde, um sie gleichfalls zu behüten.

So ging ich nun eilends hin, und als ich ins hohe Tor trat, öffnete sich die Türe von innen, und da stand Lady Alueva und sagte: ›Ritter Richard, beliebt es Euch, Euren Herrensaal zu betreten?‹ Dann brach sie in Tränen aus – wir waren allein –.«

Der Ritter schwieg lange Zeit, das Antlitz lächelnd zum Tale gekehrt. »Ach, das war schön von ihr!« rief Una, leise in die Hände klatschend. »Es tat ihr leid, und sie sagte es.«

»Ja!« Der Ritter schrak aus seinen Träumen auf. »Es tat ihr leid, und sie sagte es. Gleich darauf – nach seiner Behauptung freilich zwei volle Stunden später – kam De Aquila vor das Tor geritten, mit frisch gescheuertem Schilde (Ugo hatte es selbst geputzt), und heischte Bewirtung; er schalt mich einen treulosen Vasallen, der seinen Herrn verhungern ließe. Da rief Ugo aus, daß niemand im Tale heute arbeiten dürfe, unsere Sachsen stießen in die Hörner, und wir feierten den Tag mit Gelage, Wettkämpfen, Tanz und Liedern; und De Aquila kletterte auf einen Holzblock und hielt eine Ansprache, die keiner der Leute verstand. (Er schwur, es sei reinstes Sächsisch gewesen!) Am Abend hielten wir unser Festmahl im Saale, und als die Sänger und Tänzer gegangen waren, saßen wir vier noch lange am Herrentische beisammen. Ich erinnere mich: es war eine warme Vollmondnacht; De Aquila forderte Ugo auf, seinem Lehen auf Dallington zu Ehren sein Schwert wieder von der Wand zu nehmen, was Ugo mir allzu gerne tat. Staub bedeckte die Scheide, und ich sah, wie ihn Ugo fortblies.

siehe Bildunterschrift

»Ritter Richard, beliebt es Euch, Euren Herrensaal zu betreten?«

Ich saß mit Lady Alueva ein wenig abseits, und wir dachten anfangs, die Harfenspieler seien zurückgekehrt, denn mit einem Male strömten Töne durch den Saal. De Aquila sprang auf – aber nur Streifen des Mondlichts bedeckten den Boden.

›Horcht!‹ rief Ugo. ›Es ist mein Schwert!‹ Und als er es in die Scheide zurückstieß, verstummten die Töne.

›Gott behüte, daß ich je ein Schwert wie dieses am Gürtel tragen sollte!‹ rief De Aquila. ›Was bedeutet die Prophezeiung?‹

›Das wissen allein die Götter, die es geschmiedet. Zum letzten Male erhob es bei Hastings seine Stimme, als ich mein Land verlor. Mag sein, daß es nun wieder sang, weil ich neuen Besitz gewann und wieder ein ganzer Mann bin.‹

Er lockerte nochmals die Klinge, stieß sie glückselig wieder in die Scheide, und das Schwert antwortete ihm, leis und traulich, wie – wie eine Frau mit dem Gatten flüstert, wenn sie ihr Haupt an seine Schulter lehnt.

Seht ihr, das war das zweitemal in meinem ganzen Leben, daß ich die Stimme des Schwertes hörte – –«

»Schau!« rief Una. »Da kommt die Mutter die ›lange Wiese‹ her! Was sie wohl zu Ritter Richard sagen wird? Sie muß ihn doch sehen!«

»Und diesmal kann uns Puck nicht bezaubern!« meinte Dan.

»Seid ihr dessen sicher?« versetzte Puck; er neigte sich vor und flüsterte Ritter Richard etwas zu, der lächelnd mit dem Kopfe nickte.

»Was sich nun weiter mit dem Schwerte und Bruder Ugo zutrug, das will ich euch ein nächstes Mal erzählen,« sagte der Ritter und erhob sich. »Hierher! Schwalbe!« Das gewaltige Roß kam von der anderen Seite der Wiese herbeigetrabt, hart an der Mutter vorüber.

Und dann hörten sie diese sagen: »Kinder, Nachbar Gleasons alte Mähre ist wieder mal in die Wiese geraten. Wo sie nur durchgebrochen sein mag?«

»Gerade unter der Steinbucht,« antwortete Dan. »Sie hat ganze Schollen Grases losgetreten! Wir haben es eben erst bemerkt! Und Fische haben wir, 'ne ganze Menge! Wir haben den ganzen Nachmittag geangelt!«

Und das glaubten sie auch wirklich; sie merkten nicht, daß ihnen Puck Blätter von Eiche, Esche und Dornbusch listig in den Schoß gestreut hatte. –


 << zurück weiter >>