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IV.
Aus der Tiefe der Verlassenheit, des Mißlingens und der Enttäuschung.

Mein Herz ist zerschlagen und verdorret wie Gras, daß ich auch vergesse, mein Brod zu essen. Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache.

Ps. 102, 5. 8.

Wenn mein Geist in Ängsten ist, so nimmst du dich meiner an. Schaue zur Rechten und stehe! Da will mich niemand kennen. Ich kann nicht entfliehen; niemand nimmt sich meiner Seele an. HErr zu dir schreie ich und sage: du bist meine Zuversicht, mein Teil im Lande der Lebendigen. Merke auf meine Plage, denn ich werde sehr geplagt

Ps. 142, 4. 5. 6.

Der HErr ist gnädig und gerecht; und unser Gott ist barmherzig. Der HErr behütet die Einfältigen, wenn ich unterliege, so hilft Er mir.

Ps. 116, 5. 6.

Je tiefer, je bitterer deine Vereinsamung, desto ähnlicher bist du Ihm, der am Kreuz rief: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!« Er hat dies Leid erfahren, und Er fühlt für dich, wenn kein anderer für dich fühlt. Ob sie dich alle verlassen, Er ist noch bei dir, und ist Er bei dir, so kannst du's auch tragen, wenn das Liebste dich für eine Weile verläßt. Ja selig sind, die hier weinen, denn wen der HErr lieb hat, den züchtigt Er, und Er bringt die Armen in die Tiefe des Leides, eben weil Er sie lieb hat. Alles ist gesegnet, die Sünde ausgenommen, denn alle Dinge, außer der Sünde, haben teil an der Erlösung durch das Leben des Gottessohnes. Gesegnet sind Weisheit und Mut, Freude und Gesundheit, Schönheit, Liebe und Ehe, Kindheit und Manneskraft, Korn und Wein, Früchte und Blumen, denn Christus hat sie geheiligt durch sein Leben. Gesegnet selbst sind Thränen und Schmach, gesegnet Schwäche und Häßlichkeit, gesegnet Krankheit und Todesnot, gesegnet die schmerzliche Rückerinnerung an unsre Sünden, ein gebrochenes Herz, ein bußfertiger Geist; gesegnet ist der Tod, gesegnet das geheimnisvoll unbekannte Reich, wo die Seelen dem Auferstehungstag entgegenreifen, denn Christus hat sie befreit und erlöst durch Seinen Tod. Gesegnet ist jedes Ding, das schwache wie das starke; jeder Tag, der trübe wie der helle, denn alles ist Sein, und Er ist unser, und alles ist unser, und wir sind Sein für alle Ewigkeit. Darum seufzt nur, ihr Betrübten, aber freut euch der Trübsal; blutet nur, ihr blutenden Herzen, jubelt aber in eurem Schmerz, jubelt und haltet aus, denn nach dem Leid kommt die Freude; haltet aus, denn in eurer Schwachheit wird Gottes Kraft vollendet werden; haltet aus, denn der Tod ist das Thor zum Leben; haltet aus bis zum Ende und fasset eure Seelen in Geduld; noch eine kurze Zeit, und schnell kommt der Tod und vielleicht noch schneller der jüngste Tag. Ja, je tiefer das Leid, desto näher das Heil.

Das Dunkel der Nacht ist am tiefsten,
Eh' früh der Morgen anbricht,
Die Schmerzen, die sind am größten,
Eh' das Kind geboren zum Licht,
Und der Tag des Herrn ist nah.

*

Du Mühseliger und Beladener, der du in den trübsten Augenblicken wähnst, des HErrn Arm sei zu kurz, als daß er helfen könne, ja, der du nahe daran bist zu rufen: »Gott hat mich vergessen!« laß dich trösten und sieh auf Christum. Erst dann wirst du der Liebe Gottes sicher sein, wenn es dir klar wird, wie sie eins ist mit der Liebe Christi, und daß du Seinen Vater und deinen Vater kennen lernst, wenn du auf Jesum siehst, dessen Ebenbild Er ist, siehst, daß der Geist, der gleichermaßen von beiden ausgeht, der Geist der Menschlichkeit und der Liebe ist, der da nicht anders kann, als ausgehn dich zu suchen und zu retten, einzig und allein, weil du verloren bist. Ich sage dir: sieh auf Jesum und sei überzeugt, daß, was der barmherzige Samariter dem that, der unter die Räuber gefallen war, das wird Er dir thun, weil Er der wahre Menschensohn ist, menschlich und menschenfreundlich.

Bist du beraubt, verwundet, vereinsamt, vernichtet, besiegt im Kampf des Lebens, dahingesunken auf dem rauhen Pfad, ratlos, ist kein Mut, keine Hoffnung, kein Lebenszweck dir geblieben, dann erinnere dich: es giebt einen, der unsichtbar, aber immer nah hin und her wandelt in dieser Welt, dessen Gestalt ist wie die Gestalt eines Menschensohnes. Und er hat die Zeit sowohl als den Willen, sich dir zuzuwenden und solchen, wie du es bist, wohlzuthun. Für das herabgekommenste, niedrigste menschliche Wesen, für den kleinsten menschlichen Kummer hat Er Zeit, Willen und Macht sich ihrer zu erbarmen, eben weil Er der Menschensohn ist. Deshalb wird Er sich auch selbst zu dir neigen, wer du auch sein magst, der du mühselig und beladen bist, und kannst keine Ruhe für deine Seele finden, zur rechten Stunde und in der Weise, die für dich heilsam ist. Wenn du lange genug gelitten hast, wird Er dich befestigen, kräftigen, gründen; Er wird deine Wunden verbinden, und hineingießen das Öl und den Wein Seines Geistes, des Trösters, des heiligen Geistes; und Er wird dich tragen zu Seiner Wohnung, von der geschrieben steht: »du verbirgst sie heimlich bei dir vor jedermanns Trotz, du verdeckst sie in der Hütte vor zänkischen Zungen. Denn Er hat Seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen.« Und zuletzt wird Er dir die ewige Ruhe geben an des Vaters Herzen, von dem du, wie aller Menschen Seelen, von Anfang ausgingst, und wohin du endlich heimkehren wirst mit allen Menschenseelen, die in sich haben den Geist Gottes und Christi – den Geist des ewigen Lebens.

*

Wir wünschen uns alle Ruhe und Behagen, was ist aber damit gemeint? Das Befreitsein von Angst und Sorge? – Die Ruhe, welche arme menschliche Wesen hochnötig bedürfen in diesem Jammerthal, ist nicht die Ruhe der Bequemlichkeit, sondern die Ruhe der Kraft; der Tröster, den wir brauchen, ist nicht einer, der uns nur freundlich zuspricht, sondern der wirklich Hilfe bringt; Hilfe dem traurigen, vereinsamten Herzen, welches in der Unruhe der Zeit keine Rast finden kann. Uns genügt nicht ein sonnig lächelndes Antlitz, wir brauchen den starken, helfenden Arm. Vielleicht ist unser Herz so wund, daß das Lächeln uns weh thut, und daß Freundlichkeit allein, ob wir gleich dankbar dafür sind, nicht mehr Trost bringt, wie etwa liebliche Musik einem Ertrinkenden. Vielleicht sind wir elend und nicht imstande diesem tiefen Gefühl des Elends uns zu entziehen, haben vielleicht nicht einmal die Energie, den guten Willen dazu, wünschen gar nicht vor unserm Kummer zu fliehen, vermögen ihn nicht zu vergessen – wagen es gar nicht. Der Kummer ist so tief, so entsetzlich, so herzbrechend, so offenbar, daß Gott der HErr, der Erzieher, der Pfleger unserer Seele wohl verlangt, daß wir diesem Schmerz ins Auge sehen, ihn so ertragen und aushalten. Unser Vater hat uns den Kelch gereicht, sollen wir ihn nicht trinken? Ach, wo ist nun ein Tröster, der uns beisteht, wenn wir den bittren Leidenskelch leeren, der den Glauben stärkt, daß wir sprechen können: »Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil«, ein Tröster, der uns auf den festen Grund stellen wird, sodaß wir unserm Leid mutig ins Auge sehen können und die gute Lektion lernen, welche uns diese Trübsal lehren soll. Ja, wo ist der Tröster, der uns den Geist verleihen will, nüchtern und ruhig zu bleiben unter den Schlägen und Wechselfällen dieses irdischen Lebens. Hätten wir einen solchen Tröster, wir wollten uns nicht daran stoßen, wenn er sich zuzeiten nicht nur milde, sondern streng erwiese, wir wollten die Rüge hinnehmen, gäbe er uns auch die Weisheit, um die Rüge zu verstehen, und Mut, die Züchtigung zu ertragen. Ach wo ist der Tröster? Da antwortet Gott: »Ich bin euer Tröster, Ich, der Gott Himmels und der Erden.« Wohl giebt es Tröster auf Erden, die dir mit weisem Wort und edlem Rat helfen, dir mit Mannesstärke und Weibeszartheit beistehen können, aber Gott ist stärker als der Mann, Er kann zarter sein als das Weib, und wenn des Mannes starker Arm dich nicht mehr schützt, so umschließen dich die ewigen Arme.

*

Du bist enttäuscht – o vergiß nie, wenn dir das Herz in Mutlosigkeit über deiner Arbeit sinken will, daß doch nichts davon verloren ist, daß das Gute jeder guten That bleibt, Früchte trägt, und, wenn auch unbemerkt, fort und fort wirkt. Vergiß nicht, daß alles, was verfehlt war und verloren ging, die äußere Hülle der Aufgabe ist, welche vielleicht hätte besser gethan werden können; aber das Gute oder das Schlechte, das vor Augen liegt, hat nichts zu thun mit der wirklichen geistigen Wohlthat, welche du manchem Menschenherzen erwiesen, und das wird dir Gott lohnen auf Seine Weise und zu Seiner Zeit.

*

Werde nicht mutlos, wenn zuerst äußere Demütigung, Enttäuschung, Mißlingen an dich herantritt. Wenn Gott in Wahrheit unser Vater ist, so wird Er züchtigen, wo Er liebt, wie ein Vater den Sohn, der doch seines Herzens Wonne ist, und das Wort: »Ehe du nicht von dir selbst leer geworden, kann dich Gott nicht füllen« ist vernünftige und praktische Lebenswahrheit, ob's gleich ein Lehrsatz der Mystiker ist. Gehe mutig deinen Weg, wenn auch der Weg zum wahren Licht lang und steil ist.

*

Was meine Pläne betrifft, so hat es nicht viel zu bedeuten, ob sie gelungen sind oder verfehlt waren. Das Mißlingen von hundert Plänen könnte meine Überzeugung nicht erschüttern, daß sie Versuche waren nach der rechten Richtung hin; und ob mir auch der Erfolg nicht verheißen ist, will ich mit freudiger Hoffnung sterben; erblicke ich doch die Erfüllung in seliger Ferne und bekenne, daß ich hier ein Fremdling und Pilgrim bin. Und so wäre ich denn ruhig, auch über meine Mißerfolge. Ich habe gerade in diesen Versuchen unschätzbare Wahrheiten gelernt, sowohl in Beziehung auf mich, als auf meine Nebenmenschen und auf das Reich Gottes, welches ewig im Himmel ist und doch beständig zu den Menschen herniederkommt, und sich mehr und mehr bezeugt in jedem folgenden Jahrhundert.

*

Wir setzen unsere Hoffnung auf Christum für das zukünftige Leben ebenso wie für dieses; wir hoffen, daß Er uns dort zum Sieg und Gelingen führen werde, wo wir hier unterlegen sind, daß Er uns Kraft geben wird, gut zu sein und Gutes zu thun, und wenn nicht anderen zum Heil zu verhelfen (denn wir sind der Zuversicht, daß alle es dort gefunden haben werden), doch die Fülle der Freude zu genießen, nach der wir uns so auf dieser Erde gesehnt – ich meine die Freude, andere vollkommen zu sehen, wie Christus vollkommen und ihr Vater im Himmel vollkommen ist.

*

Es giebt Seelen, die durch des Herrn Gnade das himmlische Dürsten nach dem Leben aus Gott haben; Seelen, die mit sich unzufrieden sind, ja sich ihrer selbst schämen, die ein Sehnen quält, das sie nicht befriedigen, dunkle Triebe, über die sie sich nicht klar werden können, Kräfte, die sie nicht anzuwenden verstehen, Pflichten, die sie nicht erfüllen, Glaubensskrupel, die sie nicht zu entwirren vermögen; Seelen, denen jeder Wechsel, auch der ungeheuerste, willkommen wäre, wenn sie dadurch edler, reiner, gerechter, liebevoller, nützlicher, wenn ihr Herz und Verstand klarer würden. Zu ihnen können wir sagen, denn so hat Gott schon vorzeiten gesprochen: »Seid getrost!« Gott läßt sich's nicht gereuen, wenn Er gerufen oder ein Sehnen ins Herz gelegt hat. Darum wird auch dies himmlische Dürsten in dir gestillt. Sehnst du dich danach, besser zu sein, so wirst du es werden, halte nur fest an diesen höheren, edleren Gefühlen. Wenn es auch durch Mißgriffe, Fehltritte, durch Sünde hindurch geht (für letztere wird dich der HErr züchtigen, selbst während Er dir vergiebt), ja trotz aller bitteren Enttäuschungen – ringe nur tapfer weiter! Selig seid ihr, die ihr hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn ihr sollt satt werden. Zu euch, und gewiß nicht vergebens, sprechen der Geist und die Braut: »Komm, und wer dürstet der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.«

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Das Herz – die Seele des Menschen bedarf mehr als »einer Religion«, denn es stehet geschrieben: »Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.« Sie braucht einen lebendigen Gott, der für die Menschen liebend sorgt, ihnen vergiebt, sie erlöst von ihren Sünden, und Ihn habe ich in der Bibel, nirgends anders gefunden, es sei denn in den Thatsachen und Führungen des Menschenlebens, und diese deutet doch die Bibel einzig und allein.

*

Was war Christi Leben? Kein ruhiges Nachdenken, kein tiefes Grübeln, keine lichten Visionen! Es war ein Leben des Kampfes gegen das Böse, ernstes Gebet, inneres Ringen, unausgesetzte Arbeit für Körper und Geist nach außen hin; in Schmach und Gefahr, in Schande und furchtbarer Anstrengung und bittrem Leid. Ja – das war Christi Leben, und das ist auch endlich das Leben von jedem guten, großen Menschen. Dies war Christi Kelch – und ihn müssen Seine Jünger trinken, ebenso wie Er ihn trank – dies war die Feuertaufe, mit der Er getauft ward, ebenso wie später Seine Jünger. Dies sollte ihr Kampf des Glaubens sein, dies war die Trübsal, durch welche sie, wie alle anderen Heiligen, in das Himmelreich eingehen sollten. Es ist sicher, daß je eifriger, je heißer ein Mensch gegen das Böse ankämpft, desto eifriger wird das Böse gegen ihn kämpfen; aber es ist auch sicher, daß, je heißer ein Mensch gegen das Böse ringt, desto mehr gleicht er seinem Heiland und desto herrlicher wird sein Lohn dereinst im Himmel sein.

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Die Liebe zu Gott stellt Moses in seinen letzten Reden an die Kinder Israel als erste und größte Belohnung hin für die, welche in Seinen Wegen wandeln. Und so lehrt es die Erfahrung jedem Christen. Hat er an Gott festgehalten, hat er sich gemüht, wenn auch noch so unbeholfen, Gottes Gesetz zu erfüllen, auf Seinen Wegen zu gehen, dann wird Vertrauen und Liebe zum Herrn in ihm wachsen, eine Liebe, die sich auf Erfahrung gründet. Er kann zurückweisen auf soviel Segnungen, mit denen ihn sein Herr überschüttete, auf so manchen Kummer, den zu tragen Gott die Kraft verlieh, (obgleich solches Leid ihm auf den ersten Blick unerträglich schien,) auf so viel Enttäuschungen, die zur Zeit ihm wie ein Unglück vorkamen, aber zum Guten ausschlugen. So kommt es bei Gottes Kindern zu einer tiefen, gegründeten Liebe zum himmlischen Vater. Sie haben geschmeckt, wie freundlich der HErr ist. Jetzt können sie sprechen wie die Samariter am Jakobsbrunnen: »Wir haben selbst gehört und erkannt, daß dieser ist wahrlich Christus, der Weltheiland.« Und wenn wiederum Leid und Trübsal über sie kommen, wie es ja kommen muß, können sie rückwärts blicken und also Kraft erlangen, um vorwärts zu schauen; sie können mit David sprechen: »Ich gehe einher in der Kraft des HErrn HErrn.« Und so aus der tiefen Erfahrung von dem, was Gott ihrer Seele ist, können sie allem, was noch kommen soll, mutig ins Auge sehen. O meine lieben Freunde, ich weiß, es giebt viele Dinge, nach denen sich euer Herz sehnt, die ihr nicht haben könnt, viel Glück, das außer eurem Bereich liegt; aber eins könnt ihr haben, wenn ihr euch nur danach sehnen wollt, dies Glück könnt ihr erreichen, wenn ihr nur eure Hand ausstreckt, um es zu fassen – ich meine den ewigen, unfehlbaren Trost, Gott zu lieben und zu wissen, daß Er euch liebt. Erwählt Gottes Wege, die da Freude, und Gottes Pfade, die da Friede sind, und euch wird die eine, große, wahre, ewige Belohnung werden, die Moses den Israeliten verhieß, ihr werdet in dem, was ihr mit Gott durchgemacht, die Ursache finden, Ihn zu lieben, der euch liebend und sicher durch das Leben geführt hat, der euch sicher durch das Todesthal tragen wird, Ursache zu sprechen mit allen Heiligen und Märtyrern: Es giebt vieles, was ich nicht weiß, vieles habe ich verloren, aber das weiß ich: ich weiß, an wen ich geglaubt habe, und das kann ich nimmermehr verlieren – nämlich Gott selbst, des Name ist treu und wahrhaftig.

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Ist's nicht seltsam und traurig, daß die Klage über unbefriedigte Hoffnungen, über ungestilltes Sehnen, so oft aus dem Munde von Christen gehört wird? Wahrlich seltsam genug, da doch der Gründer unserer Religion, der König, das Haupt unseres Geschlechts, der Gott, den wir anbeten, der Bruder, den wir lieben sollen, der Heiland, der am Kreuz für uns starb, »derselbe ist gestern und heute und in Ewigkeit!« Wahrlich seltsam, wenn wir uns klar werden, daß Gott im Fleisch Sich geoffenbart hat, auf daß Er die Menschheit und ihre Hoffnungen erlösen könne von dem fortwährenden Wechsel, der endlichen Zerstörung; daß Er all' das Jagen und Sehnen nach einem unbestimmten Gegenstand, der das Herz des Menschen doch nicht ausfüllt, durch Sich selbst befriedige.

Er hat uns in Sich selbst einen König gegeben, der in Seiner Regierung nie irren, einen Lehrer, der nie den falschen Weg führen kann, einen Priester, dessen Opfer nie vergeblich dargebracht wird, einen Beschützer, der nie ermattet, einen Freund, der unwandelbar treu ist. Und alles, was diese Erde schmückt, was der Liebe wert ist, die Bande der Familie, des Vaterlandes, der allgemeinen Brüderlichkeit, die Geheimnisse und Wunder der Schöpfung Gottes, alle wahre Liebe, alle nützliche Arbeit, alle unschuldige Freude, den häuslichen Herd, den Erntesegen, das Lächeln des Frühlings – mit einem Wort alles, was das Leben licht und uns die Erde teuer macht – alles dies hat Er den Menschen von neuem verliehen, vergeistigt und geheiligt, vertieft in neuer Bedeutung, verklärt zu reiner Freude, nicht allein für diese Zeit sondern für die Ewigkeit – und das alles, nachdem die köstlichen Gaben durch die angehäufte Sünde und Thorheit der Jahrtausende ihren Schmelz und ihre tiefe Bedeutung verloren hatten. O ihr Menschenkinder, die ihr verwirrt und erschreckt seid durch die scheinbaren Widersprüche, die sich kreuzenden Pläne und Führungen, die einander aufhebenden Kräfte und Grundsätze dieser dunkeln, friedlosen Zeit, tröstet euch mit dem Gedanken, daß euer König, Mensch wie ihr und doch wahrer Gott, nun dort über all dem thront, alles durchschaut, was ihr nicht durchschauen könnt, entwirrend all dies Durcheinander im Gewebe der Zeit, während unter Seinem wachsam lenkenden Blick alle Dinge schweigend sich fortbewegen (wie die Sterne in ihrem Lauf über eurem Haupt), dein vorausbestimmten Ende entgegen. »Wenn Er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und alle Gewalt. Er muß aber herrschen, bis daß Er alle Seine Feinde unter Seine Füße lege.«

Dann, o dann endlich wird dieser bewölkte Himmel klar und hell sein, denn die Leuchte der Stadt Gottes ist das Lamm.

*


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