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III.
Aus der Tiefe von Angst und Schrecken.

Mein Herz ängstigt sich in meinem Leibe, und des Todes Furcht ist auf mich gefallen. Furcht und Zittern ist mir angekommen, und Grauen hat mich überfallen.

Ps. 55, 5. 6.

Du prüfest mein Herz und besuchest es des Nachts und läuterst mich.

Ps. 17, 3.

Der HErr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HErr ist meines Lebens Kraft: vor wem sollte mir grauen?

Ps. 27, 1.

Da ich den HErrn suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht.

Ps. 34, 5.

Wer hätte nicht in dunkeln Stunden geseufzt: Gott ist so heilig, so rein, so herrlich, und ich so ungerecht, so unrein, so gering! Gott ist so groß, so mächtig; und ich so klein und schwach! Haßt und verachtet mich dieser Gott nicht? Wird Er mir nicht das Liebste rauben? Wird Er mich nach dem Tode nicht in die ewige Pein werfen? Wie kann ich Ihm entrinnen? Wie kann ich Seinen Zorn von mir abwenden? Wie kann ich diesen Zorn besänftigen? Wenn dir solche Gedanken kamen, hat dich dann sklavische Furcht vor Gottes Zorn, das Entsetzen vor der Hölle zu einem besseren Menschen gemacht? Gewiß nicht! – Wenn du über diese Gedanken dich nicht erheben kannst, so weit wie der Himmel von der Hölle ist, so weit wie der Sohn über dem elend kriechenden Sklaven steht, werden sie dir mehr Schaden wie Heilung bringen. Ja – dieser Geist der Furcht, diese knechtische Scheu, anstatt uns Gott zu nähern, treibt uns weiter von Ihm fort. Wir werden dadurch nicht die Sünde hassen lernen, nur uns doppelt fürchten vor der Strafe. Wie sollen wir denn dem Elend, dem Schrecken eines bösen Gewissens entrinnen und uns von Sünden aufraffen? Glaube der Bürgschaft, die du in der heiligen Taufe empfangen; sie ruft dir zu: »Gott ist dein Vater; Er haßt dich nicht, ob du gleich der größte Sünder auf Erden bist; Er liebt dich, denn du bist sein Kind; Er hat nicht Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre von seinem Wesen und lebe. Gott haßt nichts, was Er gemacht hat.« Dies ist die frohe Botschaft, die dir in der Taufe geworden – daß du als Gottes Kind, nach deines himmlischen Vaters Wunsch und Willen, heranwachsen sollst, Ihm in Liebe, Treue und Festigkeit zu dienen, und daß Er dir die Kraft dazu geben wird – ja Er hat sie dir schon gegeben, wenn du sie nur in Anspruch nehmen willst. Aber nun heißt es auch diese dir gebotene Kraft brauchen – sollst du doch nicht Gottes eigenwilliges, unwissendes, selbstsüchtiges Kind sein, nur gehorchend aus Furcht vor der Rute, sondern Sein williger, liebender, gehorsamer Sohn.

*

Gott ist kein Tyrann, der durch Geschenke gewonnen, kein Zuchtmeister, der nur durch die Arbeit seiner Sklaven befriedigt werden kann. Er ist ein Vater, der seine Kinder liebt, der giebt, ja dessen Freude es ist zu geben »der da giebt und rückt es ihnen nicht auf.« Sein Wille ist ein guter und gnädiger Wille, und wenn auch der Menschen Sünde und Thorheit diesem Willen widerstehen, und zuzeiten selbst ihn scheinbar durchkreuzen – ist Er doch zu groß, zu gut, als daß Er einem Menschen, selbst dem schlechtesten, auch das Geringste nachtragen könnte. Geduldig, edel, großmütig wartet Gott. Er wartet, bis der Thörichte seine Thorheit erkennt; Er wartet, bis das Herz, das da Freude und Glück in allem gesucht, außer in seinem Gott, sich klar werde, daß alles andere nur Enttäuschung bringt, bis dieses Herz zurückkehrt zu Ihm, der Quelle aller wahren, reinen Freude, dem Brunnen alles Lebens. Wenn der Thörichte seine Thorheit erkennt, wenn der Selbstsüchtige seine eignen Wege aufgiebt, wenn der Rebell sich dem Gesetz unterwirft, wenn der Sohn heimkehrt in seines Vaters Haus – so giebt es für ihn dort keine Strenge, keine Vorwürfe, keine Vergeltung, sondern es strömt ihm die ewige, grenzenlose Liebe Gottes entgegen in alter Fülle. Ja, dieser Gott will nicht die Furcht, sondern die Liebe Seines Geschöpfes, nicht sein »HErr HErr-sagen«, aber seines Herzens Gehorsam. Er will nicht, daß er als zitternder Sklave zu seinem Herrn zurückkomme, sondern wie der Sohn, der es endlich inne wird, welcher Vater ihm geblieben, nachdem ihn alles betrogen. Kommt er so zurück, so wird er finden, daß alles vergeben ist, und des Vaters Stimme sprechen hören: »Dieser mein Sohn war tot, und siehe, er ist lebendig, er war verloren und ist wiedergefunden.«

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Wenn Stürme kommen, wenn Herzeleid, Angst, Schande hereinbrechen, dann fängt das Kreuz Christi an Bedeutung für das Herz zu gewinnen. Denn in unserm Elend und unsrer Verwirrung blicken wir auf gen Himmel und fragen: »Giebt es Einen dort oben, der dies alles versteht? Fühlt Gott mit mir in meiner Betrübnis? Weiß Gott überhaupt, was Sorge bedeutet, oder muß ich den Kampf des Lebens allein ausfechten, ohne das Mitgefühl und die Hilfe von dem Gott, der mich geschaffen, und mich auf den Kampfplatz gestellt hat? Dann bringt Christi Kreuz unserm Herzen eine Botschaft, wie sie kein ander Ding oder Geschöpf sonst bringen kann, denn es spricht zu uns: Gott versteht dich durch und durch, denn Christus versteht dich, Christus fühlt mit dir, Christus hat für dich, mit dir gelitten. Du hast nichts durchzukämpfen, was Christus nicht schon für dich durchgemacht hätte. Er, der Sohn Gottes, ertrug Armut, Furcht, Schande, Seelenangst, ja den Tod selbst für dich, auf daß Er dir das Gefühl der Gebrechlichkeit, der Schwäche nachempfinden könne, dir helfen könne aushalten, und dich endlich durch alles sicher hindurchführen zu Sieg und Frieden.

*

Glücklicherweise stehen wir nicht mehr unter den Schrecken der Nacht, welche in alten Zeiten den Hexen, Geistern und Teufeln zugeschrieben wurden; doch giebt es Schrecken, welche die Nacht bringt, an die wir glauben müssen – ja, die Schrecken über unsre eigne Sündhaftigkeit, Thorheit und Schwäche, die uns in den Träumen und schlaflosen Nächten verfolgen, denn sie kommen uns von Gott, und wir sollten auf sie merken wie auf Gottes Stimme. Wir können lernen von diesen Nachtgebilden und Nachtgedanken, denn sie bringen oft eine Botschaft Gottes, uns zu Reue und Lebensbesserung mahnend. In ihnen hält uns Gott oft ein Blatt aus dem Buch vor, in dem zum Gericht unsere Sünden verzeichnet sind, und zeigt uns also unser vergangenes Leben, das unserm Gedächtnis nur zu leicht entschwindet. Ja, durch die demütigenden Träume mahnt uns Gott, daß die verderbte Natur auch in den Wiedergeborenen nicht erstorben ist, und daß nichts wie der unaufhörliche Beistand von Gottes Geist uns vor dem Fall oder gänzlichen Abfall bewahren kann.

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Die Religion des Schreckens ist die oberflächlichste von allen Religionen. Gottes unumschränkter Wille und allmächtige Herrschaft erscheinen wohl an sich dunkel in ihrer unendlichen Tiefe, wie den Calvinisten in ihrer Prädestinationslehre; aber dieser Wille steht unabhängig da von Seinem Herzen, Seinem innersten Wesen. Halte sie zusammen mit der Thatsache, daß Er ebenso wohl der Gott des Erbarmens, wie der Gerechtigkeit, und überdem der Inbegriff aller Liebe ist, und es wird die Wetterwolke in schimmerndem Gold erglänzen, voll milden Regens und reinen Lichtes. Die Tiefen der Gottheit sind hell und klar, denn Gott ist Licht.

*

Ich sorge mich um nichts und will es auch gar nicht thun; warum sollten wir das bißchen Leben, das in uns ist, also verkümmern, da Er doch verheißen hat, für uns zu sorgen? Ja, Er will uns wieder jung werden lassen, (Hiob 33, 25; Jes. 40, 31; Ps. 103, 5) und uns geben alles was uns frommt. Was nun die äußeren Schwierigkeiten in unserm Leben betrifft, hat sich in ihnen nicht das Wort erfüllt: »Wie dein Tag, soll deine Kraft sein«? Waren diese Schwierigkeiten nicht Gottes Schickung, gesandt, daß der Freudenbecher nicht zu süß würde? Prüfe dich: wurde diese Leidensschule dir nicht zum Segen? Ist dir nicht in allen Dingen neben der Versuchung auch der Ausweg, um ihr zu entrinnen, gezeigt worden? So bringt Gott aus dem Bösen Gutes hervor, oder sagen wir lieber: Er läßt uns aus der Not die Kraft herauswachsen. Ja, selbst in dem unbedeutendsten äußerlichen Ereignis kann oft für uns das höchste geistige Erziehungsmittel enthalten sein, und das geringste Bedürfnis des Tages vermag die vorhandenen aber schlummernden Keime der edelsten Kräfte ins Leben zu rufen.

Groß ist dies Geheimnis, aber da wir, was Raum und Zeit betrifft, sinnliche Wesen sind, begreife ich, daß Raum und Zeit, sowie unsere sinnliche Natur uns erziehen müssen. Darum laßt uns nur geduldig – geduldig sein; und von unserm himmlischen Vater die heilsame Lektion auf Seine Weise lernen. Ja, laßt uns streben, sie gut und schnell zu lernen.

Wir wollen aber ja nicht wähnen, daß unser großer Lehrmeister die Schulglocke läuten und uns, Seine Schüler, zum Spiel entlassen wird, ehe die Aufgabe gelöst ist.

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Bete bei allem, was dir begegnet, bete, und nimm's getrost an, daß, was Gott dir versagt, auch nicht zu deinem Besten ist, und vertraue Ihm, daß Er dir schicken wird, was dir gut ist. Denke, es ist recht so wie es ist, und es hat alles seinen bestimmten Grund, seinen Zweck, seine Bedeutung. Wer darüber murrt, glaubt nicht (zur Zeit wenigstens) an den lebendigen Gott.

Ach, denke nicht, daß ich nicht oft ratlos wäre! Wohl zu Boden gedrückt, aber nicht verzweifelt. Nein, »Christus regiert«, wie Luther zu sagen pflegte, und darum will ich mich nicht fürchten, »obgleich die Berge (und ich mit ihnen) in die Tiefe des Meeres versenkt würden.«

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Alle diese Angst und Sorge ist zu deinem Besten. Sie alle sollen helfen einen rechten Mann aus dir zu machen, die Gott-Abhängigkeit in dir hervorzurufen, die da ist die einzig wahre Unabhängigkeit, die einzig wahre Kraft.

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Unser Heiland sagt: »Sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.« (Matth. 6, 34.) Und erfahren wir es nicht, wie wahr unseres HErrn Worte sind? Wo sind die Leute, die mit der wenigsten Angst und Unruhe die meiste Arbeit bewältigen? Sind's die Sorgenkinder? Die, deren Einbildungskraft ihnen allerlei mögliche und unmögliche Unfälle vor Augen stellt? Die fortwährend ängstlich fragen: »Wenn nun dies oder jenes geschähe? Wie werde ich durch dieses oder jenes Ungemach hindurchkommen? – Weit, weit entfernt davon! Laßt uns nicht in Träumen und nichtigen Ängsten für den andern Morgen die Kraft verschwenden, die Gott uns nur für den heutigen Tag gegeben hat. Das Heute hat seine vollständige Last an Kummer und Not – es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigne Plage habe – aber auch seine Freude. Der heutige ebenso wie der morgende Tag können sehr anders enden als wir gehofft – sie können aber auch anders enden als wir gefürchtet. Wolle nicht zu weit in die Ferne schauen, du könntest sonst vielleicht schon sehen was da kommt, ehe du für den Anblick vorbereitet bist. Wüßten wir im voraus die Sorgen, welche im Anzuge sind, vielleicht würde unser Herz darüber brechen, und könnten wir das Glücks, das die Zukunft bringen soll, von weitem erschauen, es würde uns vielleicht übermütig machen. Wir wollen uns nicht mit der Zukunft beschäftigen, sondern unsere Seele stillen und sie zu des HErrn Füßen legen wie Kinder, zufrieden mit der Nahrung, den Aufgaben und den Erholungsstunden, die der Tag bringt, sicher, daß der Meister dort oben weiß, wie es recht ist, weiß, wie Er uns am besten erzieht und wohin Er uns leitet, wenn wir es auch nicht wissen; brauchen auch nichts zu wissen, als daß der Weg, auf welchem Er uns gehen heißt – wenn wir nur gehorchen und Ihm Schritt für Schritt folgen wollen – hinauf führt zum ewigen Leben.

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Kummer und Enttäuschung bringen oft mit zwingender Gewalt die Menschen zu dem Glauben, daß es Einen giebt, der Gebete hört, und daß sie ihre Augen zu Einem aufheben können, von dem ihre Hilfe kommt. Vor der schrecklichen Wirklichkeit der Gefahr des Todes, der Enttäuschung, der Schande, der Vernichtung und vor selbstverschuldeter Schande und Vernichtung verstummen alle Argumente, und der Mensch, der noch gestern bereit war, zu sprechen: »Gott wird nie sehen, nie hören«, sängt jetzt an leidenschaftlich zu hoffen, daß Gott helfen möge.

In der Stunde der Finsternis, wenn kein Trost, keine Hilfe bei Menschen ist, wenn der Unglückliche keinen Ort weiß, wohin sich bergen, und niemand sich um seine Seele kümmert, dann tritt ihm die feierlich ernste, ja gesegnete Frage nah: »Aber ist denn keiner höher als der Mensch, zu dem ich fliehen könnte, keiner höher als der Mensch, der sich um meine Seele kümmere und um die Seelen derer, die mir teuer sind? Kein Freund, kein Helfer, kein Erretter, kein Ratgeber? Giebt es nicht einmal einen Richter, keinen der da straft, keinen Gott – und wäre Er ein verzehrend Feuer? Bin ich mit meinem Elend allein im Weltall? Ist mein Elend ohne tiefere Bedeutung, ohne Hoffnung? Wenn es keinen Gott giebt, so bleibt mir nur Verzweiflung und der Tod! Lebt aber ein Gott, dann kann ich hoffen, daß ein tieferer Sinn meinem Elend zugrunde liegt, daß es über mich mit einer Absicht gekommen, auch wenn ich selbst die unmittelbare Schuld an meinem Unglück trage. Dann kann ich mit Gott rechten, wenn auch mit kühnen, ungestümen Worten gleich Hiob, und kann fragen: Was ist die Bedeutung von diesem Elend? Was habe ich gethan? Was soll ich anfangen? Ich will zu Gott sprechen: »Verdamme mich nicht, lasse mich wissen, warum Du mit mir haderst! Doch wollte ich gern wider den Allmächtigen reden und wollte gern mit Gott rechten« (Hiob 10, 13 etc.). Meine Freunde, ein Mensch kann nur Mut und Weisheit erhalten zu solchem Fragen und Flehen durch die Eingebung des Geistes Gottes. Hat er solche Worte aber aus Herzensgrund gesprochen, so ist der Anfang seiner Rechtfertigung gemacht, denn er hat Glauben an Gott. Er hat Gott vertraut, noch mehr – er hat Gott als gerecht erkannt, er hat bekannt, daß Gott nicht nur ein Naturgesetz, eine Naturkraft ist, kein Tyrann oder Zuchtmeister, sondern ein allweiser Geist, der mit sich reden läßt, ein Gott, der den Wesen, die Er geschaffen hat, gerecht werden will.

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