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II.
Aus der Tiefe der Sünde.

Denn es hat mich umgeben Leiden ohne Zahl, es haben mich meine Sünden ergriffen, daß ich nicht sehen kann; ihrer ist mehr denn Haare auf meinem Haupt, und mein Herr hat mich verlassen.

Ps. 40, 13.

Denn ich erkenne meine Missethat und meine Sünde ist immer vor mir. An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir gethan.

Ps. 51, 5. 6.

Ich sprach: ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen. Da vergabst du mir die Missethat meiner Sünde.

Ps. 32, 5.

Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedecket ist.

Ps. 32, 1.

Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte.

Ps. 130, 4.

Gott ist nicht wider dich, sondern für dich in allen Kämpfen des Lebens. Er will, daß du sicher durchdringest, Er will es soll dir gelingen, Er will du sollst siegen, und Er wird deinen Ruf aus der Tiefe hören und dir beistehn. Und darum – wenn du fühlst, daß du irre gehst, rufe nicht zu diesem oder jenem Menschen: »Hilf du mir, rücke mich etwas zurecht, ehe Gott kommt und mich irrend finde und mich strafe.« Schreie zu Gott selbst, zu Christo, bitte Ihn, daß Er dich aufrichte, bitte Ihn, daß er dich auf den rechten Weg bringe. Sei nicht wie Petrus vor seiner Bekehrung, rufe nicht wie er: »HErr gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, warte ein wenig, bis ich aufgestanden bin und habe meine Flecken abgewaschen, daß ich mich sehen lassen kann.« Nein. Rufe: »Eile o HErr, komme gleich, gerade weil ich ein sündiger Mensch bin, gerade weil ich wund und elend bin, weil meine Sünde und Bosheit mich aufhalten in dem Lauf, der mir verordnet ist, weil ich träge und thöricht, weil ich boshaft und verkehrt bin, darum komme mit deiner Kraft zu mir, deinem elenden Geschöpf, deinem verlorenen Kinde, und steh mir bei mit deiner großen Macht. Richte mich auf, weil ich so tief gefallen bin, befreie mich, denn ich bin von deinem sicheren, festen Weg abgekommen, in den tiefen Sumpf geraten, wo ich versinke. Mir selbst helfen kann ich nicht, und wenn du mir nicht hilfst, bin ich verloren.« – Thue also, bete so. Lasse deine Sünde und Missethat nicht den Grund sein, daß du dich vor Christus versteckest, der nahe ist, sondern lasse sie einen Grund sein, den Grund aller Gründe, um zu Christo zu schreien, der dicht bei dir steht. Und dann, ob Er dich befreit durch sanfte oder starke Mittel, befreien wird Er dich und wird deine Füße auf festen Grund stellen, und deinen Gang ordnen, daß du in Geduld laufen mögest den Lauf, der dir vorgezeichnet ist auf dem Wege des Lebens, und den Pfad der Gebote Gottes, auf dem kein Tod ist.

*

Was sollen wir beginnen, wenn unsere Sünden uns ins Elend bringen, wie sie es gewiß eines Tages thun werden? Da heißt es die Augen aufthun und einsehen, daß das einzig Nötige für den von Gott geschaffnen Menschen ist, Ihm zu gehorchen. Wie kann es mit uns vorwärts gehen, wenn wir anders thun? Es ist schwer kämpfen gegen Gott. Doch es könnte einer sagen: »Ich weiß, ich habe gesündigt, und ich sehne mich danach, Gottes Gebot zu erfüllen, aber ich bin so schwach und so verstrickt in meinen Sünden, daß ich Gott nicht gehorchen kann, und doch sehnt sich mein Herz danach. Ich weiß und fühle es, wenn ich zurückblicke: alle meine Sünde und Schande, mein Elend, sie kommen von meinem Stolz, meinem Eigenwillen und dem Vorsatz, nur meinen eignen Weg zu gehen. Aber ich kann mich nicht ändern.« Verzage nicht, o arme Seele. Tausendmal lieber will ich dich sagen hören, daß du dich nicht bessern kannst, als daß du es kannst. Denn die, welche wirklich davon überzeugt sind, daß sie sich nicht bessern können, die wirklich mühselig und beladen sind und seufzen unter der Bürde ihrer Sünde, die erschöpft sind vom Beharren im Eigenwillen und nur noch eins können, sich hinlegen und sterben, wie ein abgetrieben Pferd, und sagen: »Gott nimm mich von hinnen, gleichviel wohin, ich bin nicht wert, hier auf Erden zu leben, bin mir selbst eine Schande und Plage Tag und Nacht.« Die, welche solchen Seelenzustand durchmachen, sind nahe, sehr nahe daran, selige Botschaft zu vernehmen. Gott weiß eben so gut wie du, ach tausendmal besser, was deine Kämpfe sind, Er weiß – ja was weiß Er nicht? – Darum bete zu Ihm, schreie zu Ihm, daß Er Seinen Willen zu dem deinen mache, daß du lernst lieben, was Er liebt, hassen, was Er haßt, und thun Seinen guten und gnädigen Willen. Und du wirst sicher erfahren, daß Gott die bekehren wird, die danach streben sich zu bessern, und doch wissen, daß sie sich selbst nicht bessern können.

*

Wenn im Unglück dir der Gedanke kommt, daß es Strafe für deine Sünde ist, so trauere um diese, nicht um das Glück, welches sie verhindert hat. Nein, danke Gott, daß Er dich zur rechten Zeit aufgehalten, und gedenke Seiner Verheißungen, daß er uns wieder annehmen will, wenn wir uns durch Seine Züchtigungen bekehren, sie uns zum Besten dienen lassen.

*

Sünde bedeutet wörtlich nach dem Griechischen: Verfehlen des Ziels; und daß jedes Verfehlen eine Strafe nach sich zieht, oder eigentlich an sich schon eine Strafe ist, das bleibt für mich die beste Kunde und giebt mir Hoffnung für mich und jedes menschliche Wesen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Denn nun kann ich sie alle ansehen als Kinder, die unter väterlicher Erziehung stehen, Kinder, die in der Lehre sind, damit sie sich ihrer eignen Gaben und Kräfte bewußt werden und sie anwenden in Gottes Haushalt, dem Weltall und Gottes Werk in demselben. Und im Verhältnis wie sie hierin fortschreiten, erreichen sie die Heiligung, das heißt die Gesundheit, das Heilsein des Geistes, welche, wie die Gesundheit des Leibes, ihre Belohnung in sich selbst trägt.

*

Ach, wie manches arme, thörichte Wesen in Jammer und Schande, mit schuldbeladenem Gewissen und traurigem Herzen, müht sich, Sünde und Leid zu vergessen, aber es gelingt dem Elenden nicht. Er ist eben elend und weiß kaum warum. Es ist ein Sehnen da, ein nagender Hunger der Seele nach etwas Besserem. Da wird die Erinnerung wach nach seines himmlischen Vaters Hause; Worte, die er in seiner Kindheit gelernt, traute, alte Worte aus dem Katechismus und der Schrift, sie tauchen seltsam vor seiner Seele auf. Er hat sie vergessen, vielleicht sie verlacht in den stürmischen Tagen seiner Jugend. Aber nun treten sie vor, er weiß nicht woher, wie hehre, liebliche Geister, die heranschweben. Und er schämt sich ihrer. Sie werfen ihm seine Untreue vor, die lieben ersten Eindrücke aus Gottes Wort; und zuletzt spricht er: »Wollte Gott, ich wäre wieder ein kleines Kind, ach noch ein Mal ein unschuldiges, kleines Kind auf meiner Mutter Schoß! Vielleicht war ich ein Thor und die alten frommen Lehren hatten doch recht! Eins weiß ich nur: ich bin elend. Ich dachte, ich sei mein eigner Herr, aber vielleicht ist der doch mein Herr, von dem ich in den alten, frommen Büchern las. Jedenfalls bin ich nicht mein eigner Herr, ich bin ein Sklave! Vielleicht habe ich all' die Zeit über gestritten gegen Gott den Herrn, und nun hat Er mir gezeigt, daß Er der Stärkere ist.« –

Und hat der HErr einen Menschen einmal so weit zu sich gezogen, wird Er ihn dann wieder loslassen? Mit nichten. Er läßt keins Seiner Werke halb vollendet. Bleibt das Werk dennoch ein halbes, so ist's, daß wir auf halbem Wege stehen bleiben, nicht der Herr. Wer zu Ihm kommen will, sei es auch noch so unbeholfen und unsicher, oder selbst träge und schwankend, der darf kommen, Er will ihn nicht hinausstoßen. Vielleicht wird Er ihm noch mehr Trübsal senden, um ihn zu heilen von seinem Schwanken und von seiner Trägheit. Aber Er ist ein Arzt, der nie einen Patienten fortschickt, oder ihn eine Stunde warten läßt.

*

Der heilige Augustinus hat es erfahren, daß er nie Herr über seine Sünde werden konnte, weder durch hin- und wiederreden mit sich selbst, noch durch irgend ein andres Mittel, bis er Gott erkennen lernte und inne ward, daß Gott der HErr sei. Als dann seine eigne Kraft gründlich gebrochen war, und als er sah, daß er selbst immer thöricht und blind gewesen, da tauchten die alten trauten Worte, die er bei der Mutter gelernt, wieder in seinem Herzen auf, und es ward ihm klar, daß Gott seither über ihn gewacht, ihn geleitet hatte. Ja, er wußte nun, daß Gott ihn den Irrweg hatte gehen lassen, nur um ihm die Thorheit von solchem Irrweg zu zeigen, daß Er ihn getragen, für ihn gesorgt, sein Gewissen geweckt, ihn zurück gelockt zum einzig wahren Glück, nach Art eines liebenden Vaters mit dem ungehorsamen, eigenwilligen Kinde – und so wurde Augustin ein neuer Mensch. Mochte der Gott aller Gnade zu Seiner Zeit uns bringen zu solchem seligen Stande. Und bringt er uns dahin, dann hat es wenig auf sich, ob es durch Freud' und Leid geht, durch Ehre oder durch Schande, durch den Garten Eden oder durch das finstere Todesthal. Mag auch die Arzenei noch so bitter sein, wenn sie nur unser Leben rettet!

*

Das Gefühl Ihrer Sündhaftigkeit ist keine Exaltation, nein, ich setze voraus, daß es einfach Bewußtsein der Thatsache ist. Ich glaube nicht, daß es in meiner Macht steht, Sie auch nur ein Haar breit näher zu Christo zu bringen. Ich sehe keine Hoffnung als nur im Gebet, in dem Sie selbst zu ihm gehen und sprechen: »HErr, wenn du da bist, wenn du überhaupt bist, wenn dies alles nicht Lüge ist, erfülle deine großen Verheißungen und gieb mir Frieden, die Überzeugung, daß mir vergeben ist, und das Gefühl, daß, so schlecht wie ich auch sein mag, du mich dennoch liebst. Ja, du siehst alles, du verstehst alles und hast darum Nachsicht mit allem.« So ist's mit mir gewesen in den vergangenen Tagen. Ich habe Gott herausgefordert, habe mit ihm gerungen in Finsternis und Stille der Nacht, bis ich's beinah erwartete, Er würde Seine Ehre rechtfertigen dadurch, daß Er sichtbar erscheine, wie Er es dem Paulus und Johannes gethan. Aber Er antwortete nur im stillen, sanften Sausen, mit der Stimme, die kein irdisch Ohr zu hören vermag, aber die den gebrochenen Herzen kostbarer ist, als alle Schätze der Welt – ich meine den Frieden, der höher ist denn alle Vernunft – der sicherste und einzig bleibende Friede.

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Lieber Freund, das Geheimnis des Lebens für dich und mich besteht darin, unsre Vorsätze, unser ganzes Innere unausgesetzt dem vorzulegen, der sie gemacht hat, und mit dem Psalmwort zu flehen: »Wasche mich wohl von meiner Missethat und reinige mich von meiner Sünde. Denn du hast Lust zur Wahrheit, die im verborgenen liegt, du lassest mich wissen die heimliche Weisheit.« – Denn sicherlich, wenn es einen Gott giebt, der uns am Anfang gemacht hat, so kann Er auch sein eigen Werk zurecht bringen, wenn es Seiner Hand bedarf. Liegt mehr Wunderbares im Dogma von der Erneuerung und Wiedergeburt, als in der bloßen Thatsache der Schöpfung?

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Was sagt dir der 130. Psalm von den Jugendsünden? »So Du willst, HErr, Sünde zurechnen; HErr, wer wird bestehen? Denn bei Dir ist die Vergebung, daß man Dich fürchte.«. Ich weiß kein besseres Mittel, in der Furcht Gottes zu bleiben, als im rüstigen Fortarbeiten an der besonderen Aufgabe, die Er uns zugeteilt hat, im festen Vertrauen, daß Er dies in Seinem Dienst gethane Werk an unserer Seele segnen wird. Darum sorge nicht, und lasse den Geist des Zweifels nicht über dich kommen, sondern thue die Pflicht, die dir am nächsten liegt.

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Dies ist unser Trost, dies unsere Hoffnung. Christus der Heiland, der große Arzt, Er kann uns, Er will uns befreien von den Überresten unserer alten Sünden, den Folgen unserer eigenen Thorheiten. Gewiß nicht auf einmal oder etwa durch ein Wunder, sondern Schritt für Schritt durch seine erziehende Vaterhand. Vielleicht ist es besser für uns, daß Er uns nicht auf der Stelle heilt – wir möchten sonst wähnen, es sei die Sünde ein leichtes Ding, welches wir von uns werfen können, sobald es uns gefällt, und nicht eine innere, zersetzende, zerstörende, fressende Krankheit, deren Sold der Tod ist. Und so kann Christus in Seiner Liebe zu uns nicht anders, wie unsere Sünden hassen; Er kann sie nicht dulden, sondern Er will sie strafen und zeigt gerade Sein Erbarmen und Seine Liebe darin, daß Er so lange strafen wird, bis auch kein Schatten oder Überrest der Sünde in uns zurückgeblieben ist. Darum wollen wir uns völlig in die Hände Christi geben und Ihn, den großen Arzt, bitten, daß Er unsre wunde Seele heile, unser verderbtes Herz reinige, Ihm überlassend, wie er es thun will. Wir wollen uns darein ergeben, daß Er züchtigt und straft. Mag Er mit uns verfahren, wie Er es für gut findet; wie einst mit David, dem Er seine Sünden vergab und diese Sünde doch strafte durch den Tod seines Kindes. Laßt Ihn mit uns thun, was Er will, in der festen Zuversicht, daß Er gute Menschen aus uns macht.

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Ich glaube fest, daß Gott strafen wird, (und hat Er es nicht schon gethan?) strafen jedes Unrecht, das ich begangen, wenn ich nicht Buße thue, das heißt umkehre und mich bessre. Ach und es ist ja der leistste Schlag Seiner Hand stark genug, Mark und Bein zu erschüttern!

Um nichts in der Welt aber könnte ich es denken oder aussprechen, daß irgend ein menschlich Wesen für ewig ohne Hoffnung verloren sei, daß Gott ihm nicht vergeben könne, selbst wenn ihm die Augen über seine Sünde geöffnet, die Sinnesänderung sich unter dem bittren Schmerz der Züchtigung vollzöge. Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, in dem nicht etwas Gutes wäre, und ich weiß, Gott sieht das Gute weit klarer, liebt es viel tiefer, wie ich es kann. Ich denke mir, da Er es in den Menschen gelegt, wird Er den Keim auch pflegen und kräftigen und den Menschen, dessen Seele Er das Gute anvertraute, züchtigen, damit er demselben gehorcht, es liebt und sich ihm hingiebt. Darum könnte ich nie eine Seele aufgeben, als sei sie vor Gott verloren.

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Hält ein Mensch an dem Glauben fest, daß er als Sohn unter Gottes väterlicher Erziehung steht, so weiß er auch, daß alles, was ihm begegnet, ein Teil dieser Erziehung ist. Betet und arbeitet er also, vor sich als Leitstern des Heilands Worte: »Vater unser, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden«, und bittet selbst um das tägliche Brot in diesem und keinem anderen Sinn, so wird er innewerden, wie Selbstsucht und Eigenwille in ihm sterben und thätige Nächstenliebe dafür aufwächst. Jedes Straucheln und Leiden in seiner Vergangenheit wird ihm unerwartet zu praktischem Nutzen ausschlagen, zu seinem und anderer Besten – ja er wird zu seiner Freude entdecken, daß. es sein himmlischer Vater war, der ihn erzog, während er wähnte sich selbst zu erziehen. Er wird es nicht mehr nötig finden, auch keine Muße haben, über die Beweggründe seiner Handlungen nachzugrübeln, sondern einfach mit Daransetzung aller Kräfte die Pflicht erfüllen, die jede Stunde bringt.

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Vorwärts – Gott führt uns! Wohl sind wir blind, aber wollen wir uns darum fürchten Ihm zu folgen? Ich sehe den Weg nicht, den ich gehen soll – was kümmert's mich! Weiß ich doch, daß Er Seinen Weg sieht, und daß ich Ihn sehe, und ich kann nicht glauben, daß trotz all' unsrer Sünde, Er Seine Gnadenverheißung vergißt: »Welche Ihn ansehen und anlaufen, deren Angesicht wird nicht zuschanden werden.«

Ich weiß genau, was für ein elendes, trotziges, verzagtes, träges, hochmütiges, gebetsarmes Geschöpf ich bin; aber ich weiß auch, daß Einer mich leitet, der mich lehren wird, ja mich schon gelehrt hat, Seine Wege gehen, Seine Arbeit thun, im dunkeln wie im hellen.

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Sei guten Muts! »Wenn sich der Gottlose kehret von seiner Ungerechtigkeit, die er gethan hat, so wird er seine Seele lebendig erhalten, und seiner Sünde und Missethat soll nicht mehr gedacht werden.« Ich weiß nicht, wie groß dein Maß von Sünde ist, ja kann man überhaupt bei dem nicht zu messenden Geistigen von Maß reden? Aber das weiß ich, solange du das Schuldbewußtsein lebendig in deiner Seele erhältst, wirst du vor Gott gerechtfertigt bleiben, solange du deine Sünde vor dein Angesicht stellst, wird Gott sie nicht ansehn.

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Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft für den gefallenen Menschen, daß ein Mensch – Christus – auf dem Throne Gottes sitzt, und Ihm gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, daß das Schicksal der Welt und alles, was darinnen ist, der Lauf von Sonnen und Sternen, das Geschick von Königen und Völkern, von Zöllnern und Sündern, von Heiden und Ausgestoßenen, das Schicksal aller in Tod und Hölle, gleicherweise abhängt von dem heiligen Herzen Jesu, dem Herzen, das da trauerte am Grabe seines Freundes Lazarus; dem Herzen, das da weinte über Jerusalem; dem Herzen, das zu der reichgesegneten Magdalena, dem Weib, das eine Sünderin gewesen, sprach: »Gehe hin in Frieden, deine Sünden sind dir vergeben«; dem Herzen, das sich in unendlicher Liebe sehnte nach jeder sündigen, irrenden Seele auf Gottes Erde, allen zurufend: Warum wollt ihr sterben? (Jes. 33, 11.) Meinst du, daß ich habe Gefallen am Tode des Gottlosen, und nicht vielmehr, daß er sich bekehre und lebe? (Jes. 18, 23.) Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken (Matth. 11, 28).

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Das heilige Sakrament des Leibes und Blutes Jesu Christi bringt die tröstliche Botschaft, daß du aufsehn kannst zu Gott als zu deinem lieben Vater, zum HErrn Jesu als zu deinem Leben, zum heiligen Geist als zu deinem Führer und Berater. Ja, es sagt dir, daß, ob du gleich ein verlorner Sohn bist, des Vaters Haus dir doch offen steht, des Vaters ewige Liebe bereit ist, dir von weitem entgegenzukommen, sobald du aus Herzensgrunde zu ihm rufst: »Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir, ich bin nicht wert, daß ich dein Sohn heiße.« Es sagt dir, daß du dich bekehren mußt und zurückkommen zu Gott, deinem Vater, nicht ein für allemal, sondern täglich, stündlich, so oft, wie du Gott vergessen hast und Ihm ungehorsam gewesen bist. Dies ist die Botschaft, die dir das segenspendende Sakrament bringt, daß du, ob du gleich nicht Ihm nahen darfst, vertrauend auf deine eigene Gerechtigkeit, du kommen sollst mit der Zuversicht auf Seine vielfältigen und großen Gnadenerweisungen; daß, ob du gleich nicht wert bist, die Brosamen unter Seinem Tische aufzuheben, Er doch derselbe HErr bleibt, dessen Eigenschaft ewiges Erbarmen ist. Er will dir in Gnaden gewähren, daß deine Seele, reingewaschen in Christi teurem Blut, bleiben könne in Ihm und Er in ihr für alle Ewigkeit.

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Glieder am Leibe Christi, Kinder Gottes, Erben des Himmelreiches, Erben einer unbefleckten, unvergänglichen Hoffnung, euch ist ein Recht gegeben durch die Zusage und den Eid des allmächtigen Gottes, für euch und für eure Nebenmenschen, für diese arme, irrende Welt, ein Recht zu hoffen, ein Recht zu glauben, daß ein ewiger Tag der Gerechtigkeit, des Friedens, und der Glückseligkeit vorhanden ist für alle, und daß ihr, wenn ihr es wollt, teilhaben werdet an dem heiligen Sonnenaufgang, der nie zur Rüste geht. Suchet in der Schrift und leset dort die Verheißung Gottes, die Grundlage eurer Hoffnung für Himmel und Erde. »Siehe, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt.« Wir, die wir uns Christen nennen, die wir auf Seinen Namen getauft sind, die wir Seine Gnade schmecken dürfen, deren Teil die Macht Seiner Liebe, die bekehrenden und erneuernden Gaben des heiligen Geistes geworden, wie dürfen wir zu zweifeln wagen, daß Er die Sünden der Welt hinwegnehmen wird? Ja, Schritt für Schritt, Jahr für Jahr wird der HErr ein Volk nach dem andern erobern, denn Er regiert, bis Er alle Feinde zu Seinen Füßen hat. Er hat es verheißen – Er will der Welt Sünde tilgen, und Er ist Gott, Sein Mund kann nicht lügen.

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Wir alle in diesem Leben haben einen Lauf zum Ziel zurückzulegen, unsre Aufgabe ist, so durch die Welt zu kommen, daß wir die zukünftige ererben können, so durch die Dinge dieser Zeit zu gehen, daß wir schließlich der Dinge der Ewigkeit nicht verlustig werden. Gott hat jedem von uns seine Kräfte und seine Eigenart gegeben, jedem den Lebenspfad vorgezeichnet, jedem von uns die besondere Pflicht und Aufgabe gestellt. Darum ermahnt uns auch der Apostel Paulus, jede Last abzulegen (d. h. jede böse Angewohnheit, die uns träge und sorglos macht) und die Sünde, die uns immerdar anklebt, und zu laufen in Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, zu Jesu aufblickend, dem Vorkämpfer unsers Glaubens, der neben uns steht, daß er uns Glauben, Zuversicht und Mut zum Weiterstreiten gebe. Ja, schon im Sakrament der Taufe und danach Tag für Tag, wenn wir Ihn darum bitten – selbst wenn wir Ihn nicht bitten – steht Er uns bei mit der milden Taufe Seines heiligen Geistes, die uns erfrischt, stärkt, ermutigt, ja begeistert. Aber wenn wir uns davon nicht ziehen lassen wollen, wenn wir uns auflehnen, unsre eigenen Wege gehen und von Gottes Weg abweichen, um diesem oder jenem nachzujagen, in Stolz und Eigenwillen, als wären wir unsere eignen Herren, dann wird uns Gott mit Feuer taufen, uns mit solchem Schlage treffen, wuchtig genug, um einen Menschen zu zermalmen. Selten schlägt Er so (denn Er ist barmherzig und voll zarten Erbarmens), aber scharf ist seine Zuchtrute, damit kein Zweifel darüber sei, was der Streich bedeute, und daß der Mensch erfahre, so klug berechnend, so stolz, so selbstgerecht er auch sei, daß Gott der HErr ist, daß Gott der Lehrmeister ist, und daß Er Gehorsam fordert. Was kann solch ein Mensch anders thun, als sich winden und krümmen in dem bittern Schmerz seiner Seele, und so eilend wie möglich zurückkehren auf den Weg seines Gottes, in Angst und Zittern vor einem neuen Schlage, der ihn zermalmen muß! Und so, durch die Tiefen der Enttäuschung, der Verluste, der Krankheit, der Armut, oder durch das Schwerste: durch die Tiefe der Schande, wird der HErr solchen Menschen mit Feuer taufen. Aber vergeßt nicht: alles das thut Er in Liebe und für der Seele Heil, und wenn Er uns trifft bis ins innerste Herz und tauft uns mit Feuer, so ist's Seine ewige Liebe, die uns desto eiliger helfen und befreien will. – Darum laßt es euch gesagt sein: so langsam, so unsicher wir auf unsrer Bahn vorwärts kommen, dennoch wenn wir redlich danach streben, weiter zu gelangen, sollen wir uns freuen, daß Gott in Christo auf uns blickt, weil er unserm Lauf zusieht, nicht um uns zu richten oder uns zu quälen, sondern um uns zu helfen, weil Er uns mehr liebt als wir uns selbst lieben, weil Sein Sehnen, daß wir sicher und glücklich durch diese Welt bei Ihm anlangen, größer ist als das unsre.

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