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Die liebe Fraue

I.

. Man nehme zwei, drei Hauptrichtungen unserer Schauspielkunst. Welche Werte stehn in Frage?

Adalbert Matkowsky bedeutet mir keine Richtung. Sondern ein prächtiges Gemisch aus Konvention und Bramarbasieren. Er ist ein Wagnersänger ohne Stimme. Er kommt für uns, für die feineren Ziele menschlicher Durchseelung nicht in Betracht. Er bleibt das eigentlich Psychische beim Holofernes … und gar beim Tasso schuldig. So hart das Wort klingen mag: was man sonst Kulissenreißer nennt, ist er illuminiert und fresco. (Aber mehr fresco als illuminiert). Die Liebe zu Mariamnen bewältigt sich nicht mit Wildheitsausbrüchen. Dies ewige Gefühl ist nicht mit Keuchen und Stammeln zu machen. Er muß nicht auf sie losspringen: er muß sie ansehn, ansehn, ansehn! (Dabei wie ein Abwesender reden, dennoch mit der letzten Inbrunst eines Gegenwärtigen). Als Karl Moor steht Matkowsky in den böhmischen Wäldern, oben der gedunkelte Kopf von Dürers Selbstbildnis, unten der fliegende Holländer mit dem Mantel; er schluckt Wendungen, Seiten ein, es gelingt ihm Gleichnisse, überhaupt den Sinn der Sätze unterzukriegen, bisweilen widerspricht er barock und unbegründet mit leiserrr Eschtimme, bisweilen schreit er nach Errrache, Errrache, Errrache und knackt, klackt, klatscht wild in die Hände, als ob er den Berruder zerreschmettern wollte … Ein Wagnersänger ohne Stimme. Wir werden sehen, daß der größere Typ seiner Gattung wirklich im Musikdrama Boden hat: Albert Niemann.

Vater des letzten berliner Realismus ist Emanuel Reicher. Man weiß heute nicht, worauf man den stärkeren Ton legen soll: daß er eine historische Bedeutung hat – oder daß seine Bedeutung historisch ist. Sein Verdienst und unser Dank bleibt unumstößlich; er ist ein Epochenkünstler. Zwischen den Realisten, die auf ihn gefolgt sind, und den Zeichnerischen steht Irene Triesch. Sie ist schwer unterzubringen. Eine merkwürdige Person mit Schattenseiten und gewaltigen Vorzügen. Andere wirken gewinnender und mit höherem Reiz. Wohingegen die Triesch, – welche nicht eine Jüdin ist, sondern ein verkleideter Jude, eine dunkle, wehe Gestalt mit schmutzigen Schmerzenszügen, – losbricht und klagschreit wie das Alte Testament, erschütternd ohne Rücksicht, sich hingebend, sich ausblutend, stoßweis überwältigend. Man fühlt etwas Heißes aufsteigen und denkt: schafft sie fort! Die Lerche Nora glaubt ihr Niemand. Sie ist wenig naiv. Doch in Schmerz und Schmerzenswucht bei uns kaum vergleichbar. Ja, sie scheint geschaffen für den Schmerz. Sie zeigt es, wie sie als Hebbels Klara den Jugendgeliebten umkrampft. Das ist nicht zu vergessen. Leuchtende Anmut des Kindhaften und gedankenlos blühende Freude: dafür scheint sie nicht gemacht. Die Triesch und die Sorma sind annähernd wie Rahel und Bettina; wenn der Leser Bescheid weiß in der Geschichte der deutschen Romantik. Schwer einzuordnen, wie sie, ist auch Sauer, – dessen Name genannt werden soll, wo vom erschütterndsten Gregers Werle gesprochen wird und von einem deutschen Schauspieler, der mehr als ein Schauspieler ist, nämlich ein großer, innerlicher Mensch.

siehe Bildunterschrift

Oskar Sauer als Gregers Werle

Das Blütegeschlecht auf der von Reicher geöffneten Bahn waren Else Lehmann und Rudolf Rittner. (Beide strenger als er. Nur das Technische betrachtet.) Ihre Stärke lag in der Behandlungsart für ein Gebiet. Sie haben für einen bestimmten Umfang – der vielleicht klein war – die Vollendung erreicht. Sie haben das Feld nicht erweitert: doch ein enges Feld wundervoll vertieft. Sie waren die großen, nicht vergänglichen Säulen nördlicher Kunst.

Rittner und die Lehmann sind holländische Schule; Kainz italienische. Die Sorma jedoch hat zwei Flügel (als ein ausgemachtes Engelein), wovon der eine in Niederland, der andere in Hesperien wuchs. Sie gibt wundersam zarte, dennoch innerliche Wirkungen. Sie ist fein und auch »tief«; (man denke an späte Ibsengestalten). In ihr lebt vielleicht das Edelste der Schauspielkunst unseres Landes, – und zu bedauern bleibt, daß es nur in einer schwachen Frau Gestalt bekam. (Denn die männliche Synthese von Kainz und Rittner existiert nicht.)

siehe Bildunterschrift

Agnes Sorma.
Nach einem unveröffentlichten Pastell von Lenbach

II.

Im Reiche der Sorma wachsen Zypressen und Rosmarin, stille Tränen fließen, Lachen erklingt. Sie gesellt das Widerstrebende: Innigkeit und Gassenmädelgrazie; Leiden und Betrug. Ihre Welt ist die Welt der holdesten Tragik und der trauervollsten Koketterie.

Wie sie, vierzehnjährig, in ihrer Vaterstadt Breslau auf die Szene trat, ist sie als ein feines und schmiegsames Wesen zwischen den Soffiten herumgewandelt. Ich denke sie mir wie die kleine Marianne Jung, Goethes spätere Suleika, die vierzehnjährig als Bühnen-Harlekin aus einem Ei schlüpfte (zum Entzücken der Frau Rat und des jugendheißen Clemens Brentano). Nur hat in der grauen Oderstadt kein frankfurtisch-fröhlicher Glanz die Anfänge dieses Theaterkindes bestrahlt. Sie trat nach den Kinderrollen in den freudlosen Chor.

Kind und Weib ist sie geblieben. Seelische Grazie schwebt um die Sorma am leuchtendsten, wo sie am kindlichsten ist. Etwas Mignonsüßes ruht in der Glanzzeit auf ihr. Hätte Goethe dem »wunderbaren Kinde« dramatische Gestalt verliehen, die Sorma konnte es verleiblichen in seltsamer Fremdheit und mancher irren Sehnsucht. Aber diese holde, wie von Schleiern umfloßene Gestalt trug auch Philinens frevelhafte Anmut, – Kind und Weib.

Kind und Weib. In den besten Tagen ist sie eine Julia von dieser Mischung. Ein wundersüsses, reifes Konfirmandengeschöpf; der seligste Drang, mit leisem Schlag erweckt, zaubert natürliche Hingebung, ein junges, sinnlich-zages Wesen, mitten zwischen Kindschaft und Frauentum, mehr ahnend als begehrend – doch trunken und schwer von Liebe. Wenn sie vom Balkon dem harrenden Montague auf den Anruf der Amme ganz leise zuwispert: »Wart einen Augenblick, ich komme wieder!«, im Ton eines eiligen, heimlichtuenden und grenzenlos liebenden Schulmädchens von erwachenden Sinnen: so ist das ein Gipfel in der Synthese von Weib und Kind.

Kind und Weib ist sie noch als Nora. Der Übergang der Lerche zur Frau wirkt bei ihr am tiefsten. Sie gibt nur eine Frau, auf die unendlicher Schmerz niederfällt wie Frostreif; deren Hauptgefühl nicht der Drang zur Abwehr ist, … sondern die unauslöschliche Trauer. Henrik Ibsen hat sie – deshalb? … trotzdem? – »meine allerbeste Nora« genannt.

Weib und Kind ist die Sorma bei Schnitzler, als Christine. Das blasse wiener Bürgerkind, das eine unüberwindbar tiefe Neigung faßt und grausam daran zugrunde geht. Wer in verhaltener Liebesfülle hier ihre Stimme zittern gehört, himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt, der vernahm den Herzschlag der zwei Altersstufen … Als Rahel bei Grillparzer, – was für eine schmeichelnde Schmetterlingsgrazie! Ein schönes, kokettes, armes Rachelchen, ein verführerisches, verspieltes, verbuhltes, zartes Kind, voll lockender Schmiegsamkeit und eigenwillig holder Liebeslaune, – Kind und Weib. Als Célimène bei Molière hat sie in der leise durchblickenden Neigung für den Menschenfeind ihre Höhe, und in der halb beschämten, halb trotzigen Zerknirschung als entlarvte Sünderin.

Die Sorma gibt Frauenart in seelischen Abschattungen, von der schmerzvollen Beterin bis zur lachenden Vernichterin, von der Leidenden zur Lockenden, vom Weib zum Kind. Sie kann bei Maeterlinck erschüttern, daß man ihr noch mehr die Menschlichkeit als die Legende glaubt. Als Lessings Minna ist sie von einer entzückenden Beseeltheit, die über allen Stilen steht. Und sie beschritt den Weg zu ihrem Gipfel als unvergessene Mutter des kleinen Eyolf, verlorene Regungen zergliedernd, vom Gesetz der Umwandlung durchschauert. Sie bewegt nicht durch das was sie kann, sondern was sie ist. Man mag sie, alles in allem, nicht anders nennen als die liebe Fraue unsrer deutschen Schauspielkunst.

Wobei immer zu beklagen bleibt, daß ein lieber Herre nicht vorhanden ist.


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