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Mein Leben zu Maulbronn

Seine Lehrer, seine Kreuzgänge und Klosterkirche

Zwischen Ludwigsburg und Maulbronn war nun eine große Verschiedenheit; dort die langen, weiten, lichten Straßen, die künstlichen Alleen, Schloßgebäude und Soldaten, alles in neuem Stile, kaum etwas über sechzig Jahr alt. Nun ein Kloster aus dem zwölften Jahrhundert, rings umgeben mit hohen Mauern, einem Zwinger, über den eine Zugbrücke in dunkle Torgewölbe führte, in den Räumen innerhalb der Mauer selbst gar keine Wohnung als die der Beamten und das Prälaturgebäude, an welches das Kloster selbst, das nun die Wohnung junger theologischer Zöglinge war, grenzte. Statt der Ludwigsburger weiß und gelb angestrichenen, wie von einem Schreiner gemachten Kirchen und Türme, – erblickte man hier vom Alter schwarzgraue Kreuzgänge und eine Kirche, die in ihrem Innern, besonders für die Phantasie eines Knaben, große neue Rätsel darbot.

Merkwürdig war bei jedesmaligem Geläute der Turm, der auf dieser in Form eines Kreuzes gebauten Kirche sich schlank und leicht aus dem Dache erhob und durch die Erschütterung der Glocken sichtbar hin und her wankte. Baumeister gaben diese Erscheinung als einen Beweis seines kunstreichen festen Baues an. Wohl sah man in diesem Kloster und seinen Gängen keine Zisterzienser, wie in seiner Vorzeit, mit weißen und schwarzen Kutten mehr, aber viele, oft durchaus nicht klösterlich aussehende, lebenslustige Jünglinge, jedoch auch nach alter klösterlicher Weise mit langen schwarzen Kutten bekleidet.

Um in Wälder und Felder zu kommen, hatte man nicht mehr lange Gassen und Alleen zu durchgehen; das Kloster war in einen engen Grund gebaut, und über ihm ragten schöne Berge mit Weinreben und üppigen Wäldern. In seinem Umkreise befanden sich etliche und dreißig Seen, reich an Fischen und Geflügel aller Art.

Ich hatte nun das neunte Jahr erreicht, mein Wachstum war sehr schnell, mein Körper sehr zart gebaut und nervös. Bald nach unserer Ankunft traf mich auch ein großer Unfall. Es war für mich alles neu, und so auch die Bereitung des Weines. Es war Herbst, die Trauben wurden von den nahen Bergen in die Klosterkelter gebracht, ich ging dahin, um diesem Geschäft zuzusehen, wollte auch die Maschine der Presse näher betrachten und stieg verwegenerweise und auch von niemand gewarnt auf den sehr hochliegenden Kelterbaum.

Wie es geschah, weiß ich nicht, ich stürzte herunter und blieb ohne Bewußtsein auf dem Boden liegen. Ein herbeigeeilter Arbeiter trug mich für tot nach Hause; die Mutter legte mich zu Bett, machte mir kalte Umschläge auf den Kopf, alles hinter dem Vater. Des andern Morgens kam ich wieder in einen bessern Zustand, aber nicht zu einem klaren Bewußtsein, sprang aus dem Bette durch alle Zimmer, stellte mich dort jedesmal vor den Spiegel und rief: »Wer bin ich? wo bin ich? was bin ich?« Dieser Zustand dauerte acht Tage lang an. Ich glaube nicht, daß man mir einen Arzt gebrauchte. Damals waren Ärzte nicht so in der Mode, und der Klosterarzt hatte seinen Sitz mehrere Stunden vom Orte in Vaihingen. Es wurde bloß ein Chirurg zur Hülfe gezogen und ich mehr noch der Kraft der Natur überlassen, die mich auch bald wieder zu meinem völligen Bewußtsein aus der Hirnerschütterung, die ich erlitten, brachte.

Hier waren der Gegenstände zu viele, es war das Neue dieser alten Klosterräume, die vielen Seen mit ihren Fischen, die nahen Weinberge mit ihren Trauben, der das Kloster umgebende Zwinger, der zur Oberamtei gehörte – als daß meine Phantasie sich nicht mächtig nach außen hätte beschäftigen sollen. Der Zwang der Schule war auch weg. Es befand sich für mich keine Schule im Kloster, ich erhielt den Unterricht in alten Sprachen, Geographie, Geschichte usw. von den ausgezeichnetsten der altern Zöglinge des Klosters, und unter denselben waren auch wirklich vortreffliche Jünglinge. Ich nenne von denselben die Theologen Pregizer, Klaiber (nachherigen Prälaten und Konsistorialrat), Kratz usw. Auch der alte Professor Maier, der eine Nichte meines Vaters zur Frau hatte, gab mir neben diesen Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache.

Mein Vater selbst war in seinen Erholungsstunden, die er sich dadurch in Wahrheit wieder zu einem neuen Geschäft machte, sehr bemüht, mich in der Geographie und Arithmetik weiter zu bringen. Es ist zu bedauern, daß hauptsächlich die Sprachen meiner Phantasie Langeweile machten, daß ich nicht aus innerer eigener Lust mitarbeitete, wie es später mehr geschah, und daß ich diese Lehrstunden lange Zeit nur als einen lästigen Zwang betrachtete. Dadurch machte ich meinem guten Vater manche Sorge und Verlegenheit. In unserem Haushalte waren nun auch im Vergleich mit Ludwigsburg große Veränderungen eingetreten. Mein Vater mußte eine große Ökonomie führen und hatte von dem vorigen Beamten, Hofrat Rümelin, einen Stall voll Schweizerkühe, zwei Pferde und einen großen Garten, eine halbe Stunde vom Kloster gelegen, übernommen. Seine Lieblingsbeschäftigung in freien Stunden, die Baumkultur, wurde nun in größerem Stile fortgesetzt. Dazu gab ein rings um das Kloster gelegenes Gut die beste Gelegenheit.

Der Klosterzwinger

Dies war ein auf beiden Seiten mit Mauern eingefaßter tief gelegener, das ganze Kloster umgebender sogenannter Zwinger. Der Eingang in denselben war wenig Schritte von den Ökonomie-Gebäuden durch ein großes, mit schwerem Riegel versehenes Tor der Mauer. Nicht weit von ihm stand in diesem Garten die Ruine eines Turmes, vielleicht eines ehemaligen Gefängnisses, der aber jetzt zum friedlichen Geschäfte eines Dörr-Ofens für das Obst eingerichtet war, und in Wahrheit, man bedurfte auch einer solchen ökonomischen Vorrichtung; denn der ganze lange Zwinger war mit den schönsten Obstbäumen aller Art ausgesetzt, die in den damaligen Jahren Obst in Menge lieferten. In der Umgebung jenes Turmes, etwas tiefer gelegen, war ein kleiner Blumengarten angelegt. An diesen reiheten sich Beete für alle möglichen Gemüsearten, und die Mauern, die gegen Kälte und Wind schützten, gaben vielen Frühbeeten und Spalieren einen passenden Aufenthalt. Noch befand sich hier ein kleiner ausgemauerter See, dem es an Fischen und Geflügel nie fehlte. Selbst der Versuch, wilde Enten hier aufzuziehen, von denen es auf den großen Seen oft wimmelte, wurde hier öfters gemacht, aber meistens mit dem Erfolge, daß die Enten, sobald sie flügge geworden, in die Luft sich erhoben und nicht wieder kamen. Über diesem Zwinger befand sich ein großer See, genannt der tiefe See, welcher ausgezeichnet fischreich war. Durch unsern Garten ging sein Ablauf, aus welchem ich oftmals herrliche Karpfen als gute Beute herauszog. Im Frühjahr, wo durch Schneewasser von den Bergen dieser See sehr anschwoll, bildete er eine große Kaskade, die mit furchtbarem Geräusche in den Zwinger herabstürzte und wirklich dann mehrere Wochen lang einen imposanten Anblick gewährte.

Was ich in Ludwigsburg noch nicht kannte, die Liebe zu Pflanzen und Blüten, erwachte hier in mir auf einmal. Anpflanzen von Blumenbeeten, Ziehen von Blumen in Töpfen, gewährte mir nun die größte Freude; auch zog es mich, Waldpflanzen zu suchen, in die Wälder, und ich brachte auch manche Stunde in denselben zu, um die Ofris insectifera (eine Pflanze, deren Blüte wie eine Biene aussieht) aufzusuchen und zu Hause in Töpfen aufzustellen. Malven, Levkoien, Nelken pflanzte ich teils selbst, teils suchte ich sie, wo ich nur konnte, für meine Pflanzungen zu erhalten.

Freund Gottfried und seine Eltern

Ich hatte hierin einen gleichstrebenden Freund, den Sohn des Professor Mayer, namens Gottfried.

Er war älter als ich, ein gutmütiger, aber sonst sehr prosaischer Mensch. Er war Hospes im Kloster und sollte die Theologie studieren. Oft rief ihm sein Vater zu, wenn er ihn bei mir erblickte: »Büble, Büble! Hebräisch mußt du lernen, Hebräisch! nur dadurch kann man ein Mensch werden.« Das Hebräische soll die Hauptforce dieses Professors gewesen sein, und wenn er glaubte, das Hebräisch habe ihn zu einem Menschen gemacht, so machte es ihn wenigstens zu einem ganz sonderbaren, komischen Menschen und Sonderling. Seine Frau, wie schon öfters bemerkt, Nichte meines Vaters, war aber ebenfalls ganz eigener Art, aber von ihrem Manne ganz und gar verschieden. Er und seine Gattin sprachen durch ihr ganzes Leben miteinander per Sie. Ich kann ihn mir kaum anders denken als in einer weißen baumwollenen Kappe, mit grauem Härchen, rotem rundem Gesicht, einem runden Bäuchlein, kurz und dick steckend in einem meist schmutzigen, mit Schnupftabak verunreinigten Schlafrocke, an dessen Gürtel ein großes Bund Schlüssel hing. Es waren dies nicht nur die Schlüssel zu Speisekammer und Keller, sondern auch zu den Gelassen der Studenten, dem sogenannten Dormente. Seine Frau dagegen war immer schneeweiß gekleidet, ihr Gesicht bleich, etwas aufgedunsen, von freundlichem, doch ernstem Aussehen. Sie war schwärmerisch in religiösen Dingen, die Reinlichkeit in ihrem Haushalte trieb sie bis zur quälendsten Pedanterie. Auf die Reinheit ihrer Stubenböden drang sie so sehr, daß nicht nur das Gesinde, sogar oft die Besucher, mit ausgezogenen Schuhen in den Strümpfen gehen mußten; daß sie dadurch besonders mit ihrem die Reinlichkeit gar nicht liebenden Ehegemahl in starken Konflikt kam, war nicht zu verwundern.

Oft bediente sich der Professor eines Pferdes meines Vaters zum Spazierritt, in meiner Begleitung. Das Pferd war ein sehr hoher Rappe, auf welchen ihn jedesmal beim Aufsteigen der Amtsdiener hob. Bei solchem Ritte trug er immer einen langen schwarzen Frack, dessen Flügel links und rechts bis auf die Schuhe reichten, die mit breiten silbernen Schnallen prangten. Das runde Bäuchlein bedeckte eine schwarze Pattenweste. Auf dem Kopfe hatte er einen kleinen spitzigen dreieckigen Hut und in der Hand einen braunlackierten Stock.

Eines der Pferde meines Vaters hatte die Eigenheit, daß es das Rauschen von Papier nicht leiden konnte. Als ich nun einmals mit dem Professor solch einen Ritt machte, begegnete uns der Ortsbote. Diesem forderte der Professor die Zeitungen ab, um sie gemächlich auf dem Pferde zu lesen; aber kaum hatte er sie entfaltet und das Pferd das Rauschen des Papiers vernommen, so kehrte es in vollem Laufe um. Der Professor klemmte seine kurzen Füße wie Krebsscheren in den Gaul ein, es entfielen ihm Hut und Stock, er hielt sich mit den Händen am Sattelknopfe und schrie mit verzweifelter Stimme: »Holet den Gaul ein!« Das Pferd rannte mit ihm durch das Tor, das meinige mit mir hintennach über den Klosterplatz dem Oberamtei-Hofe zu. Man glaubte, es kommen Feuerreiter angesprengt, alles sah aus den Fenstern und sprang herbei, doch ging die Kavalkade noch glücklich vorüber. Das Pferd hielt, vor dem Stalle angekommen, auf einmal stille. Der Professor hatte sich noch konvulsivisch auf demselben erhalten, wurde aber totenbleich und fast besinnungslos von demselben herabgenommen und in unsere Wohnung gebracht. Er wußte lange nicht, wo er war, und sprach von Elias und seinem feurigen Wagen, auf dem er gefahren, ganz in der Irre. Seine Ehehälfte, Therese, die auch herbeigesprungen war, suchte ihn durch kalte Umschläge im Lehnsessel meines Vaters zurechtzubringen. Er sprach aber immer von Elias und daß er seinen Mantel verloren. »Sie haben keinen Mantel angehabt und keinen verloren«, beschwichtigte ihn die Frau, »und Sie fuhren auch auf keinem Wagen, sondern ritten auf dem Rappen, der mit Ihnen durchgegangen, und ein Professor sollte eben nicht reiten.« – »Wie? ich ritt?« sagte er – »ja, ja, ich besinne mich, auf dem Rappen, es ist mir ganz schwarz vor den Augen; vorher war es mir wie Feuer. Sie haben recht, Therese, ich werde nicht wieder reiten, ich will lieber zu Fuße gehen.« »Aber nicht bei schmutzigem Boden«, fiel Therese ein, »weil Sie Ihre Schuhe nie vor dem Zimmer ausziehen wollen.« Die kalten Umschläge und ein Aderlaß, die man dem Professor zu Hause applizierte, heilten ihn bald völlig von Erschütterung und Schrecken; aber auf den Rappen kam er von da an nicht mehr.

Basen und Schwestern

Außer einem Sohne hatten diese voneinander so verschiedenen Eheleute noch zwei Töchter, von denen die jüngere nahe meinem Alter war. Sie hatte die Sanftmut und Ordnungsliebe der Mutter, ein rundes niedliches Gesichtchen und ein ganz schwarzes und ein ganz blaues Auge. Mit ihrem Bruder und meinen Schwestern, die aber älter als sie waren, waren diese Mädchen oft meine Unterhaltung und Begleitung in den Gärten und auf den Spaziergängen. Meine älteste Schwester Ludovike war sehr lebendig und reizbar. Ihre Gesichtszüge waren regelmäßig und schön, und es verglichen sie schon in Ludwigsburg Emigranten und auch einmal der Herzog Ludwig mit der unglücklichen Königin Marie Antoinette. Ihr Gemüt war äußerst gut, und sie hätte Hab und Gut verschenkt, hätte man ihr viel zugelassen. Ein Jammer war, daß sie für das einfache, stille, sorgliche Wesen der Mutter oft zu exzentrisch war, weswegen sich diese beiden oft nicht verstanden.

Sie wurde während unseres Aufenthaltes in Maulbronn an einen braven Geistlichen (Pfarrer Zeller zu Wiernsheim) verheiratet und starb zu Uerdingen, nachdem sie einem schon erwachsenen Sohn geistlichen Standes, der an einem ansteckenden Nervenfieber darniederlag, mit treuer Mutterliebe Tag und Nacht abgewartet hatte, wie er ein Opfer desselben. Drei ihrer Söhne leben noch, von denen einer ein tätiger Kaufmann im Vaterlande ist, der andere als Direktor der Landwirtschaft im Großherzogtum Hessen-Darmstadt sehr würdig vorsteht. Der dritte widmete sich dem Militärstande. Während die Mutter mit diesem guter Hoffnung war, befand sich die schon erwähnte Tochter des Professors Maier, die ein schwarzes und ein blaues Auge hatte, oft um sie, welches Naturspiel dadurch auch auf diesen ihren Sohn überging: auch er erhielt ein ganz schwarzes und ein ganz blaues Auge.

Die jüngere Schwester Wilhelmine war von ruhigem gesetztem Wesen. Sie hatte den Verstand und das Rechtlichkeitsgefühl des Vaters geerbt. Mein Vater gebrauchte sie oft zu seinem Sekretär, auch kam sie meiner Mutter in der großen Ökonomie sehr zustatten.

Obgleich älter als ich, gab sie sich doch oft auch meinen Zerstreuungen hin, und ich erinnere mich noch jetzt oft mit Vergnügen der Stunden, wo wir mit Stroharbeiten beschäftigt, mit welchen wir die Eltern überraschen wollten, auf dem Heu der nahen Tenne verborgen saßen. Aber auch an meinem Unterrichte in der Geographie, der Geschichte usw. nahm sie teil, und wir lasen manches Buch Geschichten und Lieder miteinander. Ich erinnere mich oft eines Spieles, das wir damals häufig trieben, und das, wäre ich intellektueller gewesen, mich zur Erfindung der Dampfwagen hätte bringen können. Sooft nämlich meine Schwester morgens die Kaffeetassen in heißem Wasser reinigte, kehrte ich sie, solange sie noch innen vom Wasser dampften, schnell auf den glatten Tisch um, und da spazierten sie, vom Dampfe innen getrieben, von selbst den Tisch entlang, was ich sie oft, auch zum Vergnügen meiner Schwester, wiederholen ließ. Die Dampfwagen in meinen späteren Jahren brachten mir dieses Spiel wieder in Erinnerung.

Der Kutscher Matthias

Nebst den Pferden, Kühen und Gärten hatte mein Vater von seinem Vorfahren im Amte auch einen alten Kutscher übernommen, der Matthias hieß und von komischem Wesen war. Er war wie der Policinell im Marionettenspiele, wie ein Hofnarr, dem man seine auch oft derben Spaße nicht übel nahm. Als einmal ein großes Gastessen im Hause war, entfiel ihm vor der Tür die volle Suppenschüssel. Er ließ sich aber dadurch nicht aus der Fassung bringen, öffnete die Tür und sagte zu den Versammelten: »Meine Herrschaften, die Suppe wurde hier außen angerichtet, nehmen Sie die Löffel mit!«

Wir hatten ein naives junges Bauernmädchen von der Alp in Diensten; an dieser übte der Alte oft seine komischen Launen. Er hatte von der vorigen Herrschaft einen Guéridon aufgegabelt, der einen Mohren mit einer Krone auf dem Kopfe vorstellte. Diesen legte er einmal in ein weißes Hemde gekleidet dem Mädchen, ehe es in die Kammer kam, ins Bett, worauf es mit einem entsetzlichen Geschrei: »Der Teufel! der Teufel! der Teufel ist in meinem Bett!« die Treppe herabsprang und das ganze Haus in Alarm versetzte und aus den Betten brachte.

Einmal kutschierte er meine Mutter und die Frau des Prälaten mit dem Rappen auf einer Wiese, auf der viele Schlüsselblumen sproßten. Da fing er auf einmal mit matter Stimme zu sagen an: »Mir wirds grün und gelb vor den Augen«, so daß die Frauen, welche glaubten, es befalle ihn eine Ohnmacht, einen Vorübergehenden um Hülfe riefen und ihn baten das Leitseil zu fassen, ehe ihr Kutscher herunterfalle. Er aber lachte ihrer Angst, ihm sei es ganz wohl, aber wie ihnen gewiß auch hier grün und gelb vor den Augen.

Außer dem Humor eines Lustigmachers und der Kunst eines guten Pferdelenkers hatte aber der alte Matthias noch eine gute Eigenschaft, er war ein vortrefflicher Jäger, was in dieser Gegend, so reich an wildem Geflügel, sehr erwünscht war. Mit wilden Enten, Wasserhühnern, Schnepfen usw. versorgte er gar oft und reichlich unsere Küche.

Marder und Iltisse gab es in den alten Gängen und Mauern des Klosters in Menge; auch diese wußte er geschickt zu fangen und sich ihres Pelzes zu bemeistern. Weniger ließ er sich zum Fangen unedler Tiere, namentlich der Ratten, bewegen, und ich weiß Mondscheinnächte, wo man diese Tiere aus einem Kellerloche des Oberamteigebäudes in einer langen schwarzen Prozession, eine hinter der andern, über die Straße zu den benachbarten Brunnen, dort zu saufen, langsam ziehen sah. Matthias hatte vor solchen einen wahren Respekt, er wollte nie gegen sie zu Felde ziehen oder Fallen stellen und gab zu verstehen, hinter ihnen könnte doch der Teufel stecken, sie seien noch von den alten Klosterzeiten her und könnten gar verwünschte Mönche sein. Mir gab der komische Gesell viele Veranlassung zur Hintanstellung der Bücher durch Verlockungen zu Spazierritten, zum Laufen an die Seen und durch Herbeischaffung von Vögeln aller Art, von Hunden, Rehen, Kaninchen, Eichhörnern, Eidechsen, lebendigen Ottern und Schlangen.

Die Klostermauer und ihre Ameisenlöwen

Das Oberamteigebäude stand an der Klostermauer und war hinten, durch ein vom zweiten Stock heraus über den Zwinger laufendes Zugbrückchen, mit dem nahen Berge in Verbindung gesetzt. So war man sogleich im Freien; die Klostermauer aber, die ein bedecktes Dach hatte, lief wie der Zwinger rings um alle Klostergebäude herum, so daß man auf ihr trockenen Fußes überall hin, auch in das Innere der Klostergebäude kommen konnte.

In feinem Sande, der sich auf dem Gange dieser Mauer vorfand, bemerkte ich einmal mir sonderbar scheinende kleine Trichterchen. Mein Auge hatte sich an Beobachtungen in der Natur durch Betrachtung von Blumen und Schmetterlingen, Insekten, Steinchen usw. gewöhnt und geschärft; es konnte mir das Insekt nicht entgehen, das in dem Grunde der Spitze jedes solchen Sandtrichterchens saß, und nahte sich dem Rande desselben eine Fliege, eine Ameise, sogleich ein Bombardement von heraufgespritzten Sandkörnchen auf dasselbe begann, bis es in die Tiefe des Trichterchens sank und seine Beute wurde. Das waren die sogenannten Ameisenlöwen, für mich eine neue Freude und Beobachtung. Nun wurde mir mein Schreibsand auf einmal sehr lieb, ich füllte Schächtelchen mit ihm, brachte diese Insekten in solche, wo sie dann sogleich die Arbeit ihres trichterförmigen Festungsbaues begannen, und ich ihr Treiben und ihre Verwandlung in Nymphen beobachten konnte.

Dieses Insekt blieb mir von dort an merkwürdig, eine liebe Erinnerung an jene Klostermauern, und noch in späterem Alter, wo ich nur hinkam, suchte ich mir auf eine Zeitlang wieder dieses Insekt zur Beobachtung und zur Erinnerung an meine Knabenzeit zu verschaffen.

Die Oberamtei

Die Oberamtei hatte zwei Erker (kleine Türmchen) an jedem Ende. In dem Erker, der gegen das Fronhaus hinschaute (ein langes Gebäude, in welchem sich mehrere Familien von Kloster-Insassen, Weingärtner usw. befanden), war mir mein Aufenthalt angewiesen. Rings an den Wänden befanden sich Bücherständer, die mir mein Vater meistens mit naturhistorischen Werken, mit geographischen und mit Reisebeschreibungen aus seiner großen Bibliothek, die im untern Stock des Hauses eingerichtet war, gefüllt hatte. Bonnets Betrachtungen der Natur, Hallers, Reimarus' Werke verschlang ich und las eine Menge Reisebeschreibungen. Es gab damals eine aus dem Französischen übersetzte Reisebeschreibung in mehr als dreißig Bänden (Delabordes Reisen), die fast die ganze Welt umfing; von dieser führte ich lange Zeit immer einen Band mit mir und las in demselben auf dem Heuboden, im Garten, im Walde und in den Klostergängen. Ein altes Werk über die Eroberung und Geschichte Mexikos in Quart mußte mir auch oft als Begleiter in Wälder und Felder dienen. Da schwärmte ich in der romantischen Geschichte der Inkas, träumte von Sonnenjungfrauen und Tempeln von Gold und zürnte ihren habsüchtigen Eroberern. Länger konnte ich nie in meinem Erkerkäfig ruhig bleiben, als die verschiedenen Stunden meines Unterrichts dauerten. Die vielen Tiere, die mein eigen waren, ließen mich auch nicht ruhen. Hatte ich aber nur einen Vogel, einen Hund bei mir in meinem Käfig, so vertiefte ich mich neben ihm schon auch gerne in ein Buch und las in demselben bis zum Ende fort. Vor den Fenstern meines Erkers standen in Töpfen meine Blumen, und meine gute Schwester Wilhelmine half mir in deren Pflege. Oft kam auch der ältere Freund Gottfried hinter sie mit prüfendem Blicke, und ordnete deren Beschneidung, Versetzung und Aufbindung usw. an. Das mittlere Zimmer des Oberamteigebäudes war zum Staatszimmer bestimmt, und mein Vater hatte in dasselbe seine Gemäldesammlung gebracht, die er schon in Ludwigsburg besaß. Es waren meistens Ölgemälde, Landschaften von Harper, historische Darstellungen, Nachtstücke, Seestücke, Blumen- und Tierstücke, Kopien und Originalien, deren Meister mir nicht bekannt wurden.

Durch sie ward in mir die erste Lust, in Öl zu malen erweckt, die ich in späteren Jahren ausübte. Die lebensgroße Darstellung eines Greisen im Kerker (Cimons), dem, um ihn vom Hungertode, zu dem er verdammt war, zu retten, seine Tochter die Brust reichte, war wohl das schönste Bild der Sammlung.

In demselben Zimmer befand sich auch ein sehr schöner Heiland am Kreuze, von Bronze und vergoldet, auf einem Piedestal von schwarzem Marmor, ein altes Familienstück, das nachher meinem Bruder Louis als Geistlichem zufiel.

Auch ein anderes plastisches Kunstwerk zierte dieses Zimmer; es waren zwei Pferde von Bronze in steigender Stellung, sehr kunstreich und lebendig. Sie stammten von meinem Großvater Stockmayer und deuteten auf das Wappen von Stuttgart, ein Ehrengeschenk dasiger Bürger. Sie kamen später meinem ältesten Bruder, Georg, zu.

Im untern Stock der Oberamtei befanden sich die Amtszimmer und rechts beim Eintritt das Bibliothekzimmer meines Vaters, da wo ehemals die mit Stein belegte Schlachtstube des Wildes war; denn dieses Gebäude diente früher dem Herzog Christoph zu einem Jagdschlosse und war von dem berühmten Baumeister Schickard gebaut.

Der Oberamtei gegenüber stand das große Prälaturgebäude und vor der ersteren auf einem freien Platze ein schöner lebendiger Brunnen mit vielen Röhren, die ihre Wasserstrahlen in bronzene große Schalen ergossen. Es war ein Kunstwerk alter Zeit.

Die Kreuzgänge

Durch die Prälatur kam man in den Kreuzgang des Klosters, der, wie gewöhnlich die Kreuzgänge, einen kleinen Garten umschloß, der durch die hohen gotischen Fenster desselben sichtbar war. Man beklagte noch die prachtvollen Glasgemälde, die einst die Fenster dieses Kreuzganges schmückten, die aber Herzog Karl herausnehmen ließ und bedauerlicherweise zu neuen Bauten in Hohenheim usw. verwendete. Fußböden und Wände des Kreuzganges waren mit steinernen Grabmonumenten längst verstorbener Äbte und Mönche ausgelegt, und an manchen Stellen der Fußboden selbst eingesunken.

Durch diese Gänge ging ich selbst oft in Nächten allein mit einem Laternchen, es führte der nächste Weg durch sie von meinem Freund Gottfried in meines Vaters Wohnung. Auch im Mondschein ohne Laterne ging ich oft hindurch und wünschte mir sehnlich die Begegnung eines Mönchsgeistes in schwarz und weißer Kutte mit langem Barte.

Oft aber stellten wir uns auf die Probe, versteckten und neckten uns in diesen doch immer etwas unheimlichen Gängen, und da kam es manchmal, daß ich trotz meiner kühnen Herausforderungen in Prosa und Versen, von Angst ergriffen und in meiner Phantasie von einem fliegenden Mönche verfolgt, durch diese Gänge stürzte und atemlos und geisterbleich in der Oberamtei ankam.

Mein Schauer dauerte aber immer nur kurz, ich kehrte bald wieder in die Gänge zurück und wünschte mir eine Erscheinung; denn ich glaubte schon damals an die Existenz von Geistern, und mein naturforscherischer Trieb, der früh in mir auftauchte, ließ mich schon da genauere Erforschung wünschen.

Wie den Ameisenlöwen in ihren Sandgruben, den dicken unbehülflichen wanzenähnlichen Geschöpfen, die sich in leichte, schlanke Sylphiden verwandeln, so wünschte ich auch der geistigen und leiblichen Verwandlung dieser Äbte und Mönche in ihren Gräbern nachforschen zu können.

Bei allem vorherrschenden Gemüts- und Phantasieleben blieb doch in mir Besonnenheit und Verstand, ein Trieb zur klaren Forschung, die mich das Wahre vom Unwahren, sagte auch letzteres meiner Phantasie noch so sehr zu, unterscheiden ließen. Aber durch Behauptungen und Vorurteile anderer ließ ich mich nie abschrecken; ich hörte ihre Beweise und Dafürhalten an, folgte aber, hielten sie mir nicht Stich, meinem eigenen Scharfsinne und einem Ahnungsvermögen, das die Natur schon frühe in mein Innerstes gelegt hatte.

Jene Verse bezogen sich hauptsächlich darauf, daß diese Mönche über der Ruhestätte ihrer Brüder einst nicht bloß mit Gebeten wandelten, daß über ihnen nicht einzig Gesang und Glocken zur Andacht tönten, sondern auch die Becher der Mönche bei vollen Mahlen. Zu solchem hatte die Natur hier ja alles gegeben, Wein der Berge, Fische und Geflügel der Wasser, Wild der Wälder.

In der Mitte des Kreuzganges befand sich eine kapellenartige Rotunde eingebaut mit den schönsten Fenstern in gotischem Stile, während die andern Fenster des Kreuzganges die Kraft und Zierlichkeit der Übergangsperiode des Rundbogens in den Spitzbogenstil zeigten. In der Mitte dieser weiten und hohen Rotunde stand auf steinernem Fuß eine runde Schale von Stein, in der die Mönche in heißer Sommerszeit ihre Weine in Eiswasser kühlten; denn dieser Rotunde gegenüber lag das sogenannte Rebental, der sehr geräumige Gast- und Speisesaal der Mönche. Von einem Walde schlanker Säulen war dessen Spitzbogengewölbe unterstützt. Es brannten Säulen, Wände und Gewölbe einst in den lebendigsten noch jetzt sichtbaren Farben, rot, blau und golden.

Die Bogen des Kreuzganges hatten die mannigfaltigsten Verzierungen. Lange betrachtete ich oft an einer Säule einen als Kapital ausgehauenen kleinen nackten Mönch, mit der Tonsur, der eine Traube verzehrte, während er auf einer andern ritt.

Durchging man von der Oberamtei und Prälatur aus diese Kreuzgänge, so kam man endlich auf einen mit alten Linden besetzten Platz, auf dem ein Rohrbrunnen stand und dem die Kirche ihre Front bot, an das hellere Tageslicht.

Die Sommerkirche

Der Vorhof der Kirche bestand wieder in einer schönen hohen Säulenhalle mit hochgesprengten gotischen Fenstern. Oben am Gewölbe erblickte man Kunstgebilde in Stein und in Farben, unter anderem ein Gemälde, in dem die Mönche sich naiverweise, wie im Bilde jenes auf einer Traube reitenden Klosterbruders, selbst persifliert zu haben scheinen. Es war auf das Gewölbe das Bild einer Gans gemalt, an welcher eine Flasche, eine Bratwurst, ein Bratspieß usw. hingen, neben einer Fuge mit unterlegtem Texte, gleichwohl nur mit den Anfangsbuchstaben: A. V. K. L. W. H. All voll, Keine leer, Wein her!

In dem Schiffe der schönen echt gotischen Kirche war uns immer das vierzehn Fuß hohe Kreuz merkwürdig, das aus einem einzigen Stein gehauen war, aber sehr täuschend von Holz zu sein schien. Es blieb der würdige obgleich schmerzensreiche Ausdruck im Gesichte seines Christusbildes mir lange im Gedächtnisse. Am liebsten aber verweilte ich mit meinen Gespielen im Chor der Kirche. Durch das viele Bildwerk der Chorstühle, auf deren Boden man, entstanden durch das viele Knien der Mönche im Gebete, ausgeschliffene Vertiefungen bemerkte, durch die vielen Grabmonumente und Gemälde auf dem Boden und an den Wänden wurde unsere Phantasie immer reichlich beschäftigt.

Da war an den Chorstühlen in schönster Schnitzarbeit das Opfer Kains, die Trunkenheit Noahs, Isaaks Opfer, Davids Tanz vor der Bundeslade, Moses vor dem feurigen Busche, Simsons Kampf mit dem Löwen usw. zu erblicken.

Ein großer Teil der alten biblischen Geschichte prägte sich mir durch die Bilder dieser Chorstühle lebendig ein. Merkwürdig, aber zu bedauern war, daß sich in dieser Kirche unter den tausenden von Bildern in Stein und Holz auch nicht ein einziges Bild eines Menschen befand, das noch eine Nase hatte. Wir suchten oft nach einem solchen, fanden aber nie eines. Die Schweden hatten in dem Dreißigjährigen Kriege diesen Vandalismus ausgeübt. Auch einen schönen Hochaltar mit vielen Bildern und der heiligen Jungfrau enthielt dieser Chor.

Von den Seiten sahen große Steinbilder der Stifter dieses Klosters, der Bischof Günther und der edle Ritter Walther, uns an.

Über all diese Gebilde gossen die mit den schönsten Glasgemälden erfüllten riesigen Fenster des Chores eine oft zauberhafte Beleuchtung. Welche Lust aber, über all diesen Bildern, den Chorstühlen, dem Hochaltar, in dem magischen Schimmer, leicht, wie zum Vogel verzaubert, zu schweben! Und dies geschah oft und auf eine für den altern Zuschauer höchst beängstigende Weise. Wir umwanden uns nämlich oft mit den Glockenseilen, die von dem hohen Chorgewölbe herniederhingen, den Leib und ließen uns durch Kameraden vermittelst anderer an diese Glockenstränge befestigten Seile, zuerst langsam, dann immer stärker und stärker, hin und her schwingen, bis wir zuletzt durch den ganzen Chor, ja! fast bis an das Gewölbe desselben, über all die Wunder da unten dahinflogen und aus unsern seligen Träumen, wir seien fliegende Engel, nur dann erst erwachten, wenn wir unter uns auf einmal die Schlüssel und die Stimme des in Zipfelkappe und Schlafrock herbeigekommenen Professors Maier hörten, der durch die Türe des Dormentes ins Chor der Kirche auf unser Lärmen stieg und seinen Gottfried und mich unter dem Rufe: »Hebräisch! Büble! hebräisch! und Sie Christel (so nannte man mich) lateinisch!« aus unserem Himmel auf seine Stube im Dormente zum Lernen transportierte.

Das Dorment und seine Bewohner

Aus dem Chor der Kirche kam man auf hohen steinernen Treppen und einem Tore auf das sogenannte Dorment, den eigentlichen Aufenthalt der Klosterzöglinge, deren es gemeiniglich zwanzig an der Zahl waren. Sie kamen in ihrem sechzehnten Jahre von der niederen Klosterschule Denkendorf und blieben zu Maulbronn bis in ihr achtzehntes Jahr. Das Dorment bildete einen weiten und langen Platz oder Gang, auf dessen beiden Seiten viele kleinere und größere Zimmer sich befanden.

Sommers hatte jeder ein kleines Stübchen, eine Zelle für sich allein, winters waren mehrere auf einem größern Zimmer zusammen. Die Zimmer und Zellen standen auf den Kreuzgängen, und sahen teils in das Kreuzgärtchen, teils in den Garten der Prälatur und den Platz vor der Oberamtei. Inmitten des Dormentes hing das Seil eines Glöckchens nieder, das die Klosterzöglinge zu ihren Lektionen und in ihren Speisesaal rief, der im untern Stocke eines eigenen an das Kloster stoßenden Neubaues war. Er schaute auf jenen Platz vor der Kirche, auf dem ein Rohrbrunnen quoll und alte Linden ihre Schatten warfen.

Über diesem Speisesaale war die Wohnung des Professors Mayer und das Dachstübchen meines Gottfrieds.

Die Klosterzöglinge waren den Tag über in ihr Dorment eingeschlossen und durften es nur verlassen, gingen sie in den Speisesaal oder abends auf Spaziergänge.

Zum Ärger des Professors und des noch strengeren Prälaten, schlich ich mich aber oft auch außer der erlaubten Zeit aufs Dorment und in die Zellen der kleinen evangelischen Mönche (sie waren damals, wie schon bemerkt, mit schwarzen Kutten bekleidet, jedoch ohne Kapuzen, mit etwas neuerem Zuschnitte) und störte sie in ihren Studien durch meine Spiele und Wünsche.

Obgleich sie sieben Jahre älter als ich waren, hing ich doch an manchem mit großer Liebe und zog auch manche zu meiner kindischen Phantasie hin, so daß sie oft auf dem weiten Dormente Spiele mit mir spielten, die sonst nur meinem Alter gewöhnlich waren.

Kam aber von der Prälatur her durch den langen Gang der Herr Prälat Mieg, ein sehr gestrenger Herr, mit goldener Tabaksdose in der Hand geschritten, so stoben wir mitten in unsern Spielen auseinander, und ich verbarg mich in irgend einem Winkel des Dormentes, bis diese schwarze Wolke vorüber war. Mayer, im Schlafrocke und der Zipfelkappe, wurde weniger gefürchtet.

Zu Streichen, die den Professoren, dem Famulus usw. galten, half ich ihnen auch oft mit.

Wenn zu einer Lektion geläutet werden sollte und der Famulus nicht gleich erschien, so kam oftmals Professor Mayer selbst aus seiner Klause und zog den Strang des Dormentglöckchens. Da gingen sie mich einmal an, weil ich mit Knaben des Famulus öfters unter das Dach des Dormentes geriet, ich solle das Seil des Glöckchens so weit hinaufziehen, daß es der kurze Professor nicht mehr erlangen könne. Als die Stunde zum Läuten kam, paßten wir Anstifter in einem Winkel auf. Der kurze Professor erschien, wußte sich aber wohl zu helfen; er nahm einen Stuhl, stieg auf solchen und erreichte glücklich das Seil zum Läuten. Wir im Verstecke verrieten uns fast durch Lachen ob der komischen Figur, die der Professor machte, als er in seinem Schlafrocke mit der Zipfelkappe und einem Hängebauche auf dem Stuhle stand und den Strang des Klosterglöckleins mit saurer Miene zog.

Meinen Eifer, die Natur zu erforschen, unterstützte mancher dieser Freunde von gesetzterem Alter. Ich lernte welche kennen, die sich mit Botanik, mit Physik beschäftigten, ich schloß mich an solche mit großer Liebe an, und sie eröffneten meinem Forschungsgeiste neue Felder.

Ein lieber Mensch, er hieß Amandus Günzler (starb später als Dekan zu Leonberg), legte sich in der Physik besonders auf die Erscheinungen der Elektrizität.

Er hatte sich sinnreiche, elektrische Apparate selbst geschaffen. Diese Arbeiten verrichtete er meistens unter meinen Augen. Er erklärte mir spielend das Wesen der Elektrizität, ihr Entstehen, ihre Wirkungen.

Ich freute mich seiner Maschinen, des Blitzes, den er in ein Häuschen schlagen ließ, der Glöckchen, die er durch Elektrizität in Bewegung setzte, der durch diese Materie in tanzender Bewegung gehaltenen Figürchen von Pappe.

Oft war ich auch der Begleiter dieser Freunde auf ihren Spaziergängen um die Seen und in die Wälder.

In einem herrlichen Buchenwalde, eine halbe Stunde vom Kloster, hatten diese jungen Leute Anlagen, Rasenbänke und natürliche Lauben geschaffen. Man nannte den Ort das Kapuzinerbrünnlein, von einem Brünnlein, das dort aus Felsen entsprang und einen kleinen See bildete, der rings von hohem Schilf und überhängenden Buchen beschattet war. An dessen Strande nisteten häufig wilde Enten, und ich erblickte da einmal einen Vogel, den ich bisher noch nicht gesehen hatte, eine Rohrdommel, die mir aus dem Alten Testamente bekannt und merkwürdig war. Auf jedem Besuche dieser Waldgegend fand ich neue Wunder, mir noch unbekannt gewesene Pflanzen, Insekten, Muscheln und Reptilien.

Die alte Stiftungstafel des Klosters

Kamen Fremde in unser Haus, so wollten sie die Merkwürdigkeiten des Klosters sehen; und mein Vater, müde des Herumgehens, gab meine Schwestern, oft aber auch mich, ihnen zum Führer mit auf den Weg.

Als gewandter Cicerone führte ich sie meistens zuerst dahin, wo die Stiftungstafel des Klosters hing, deren Bilder mir auch jetzt noch auf dem dunklen Grunde der Vergangenheit, leicht und bunt, wie die Bilder einer laterna magica, im Gedächtnisse stehen.

Aus dem Schlüsselbunde des kurzen Professors wurde einer der schwersten Schlüssel geholt, und dieser öffnete die Türe zur Klosterbibliothek, in welche man auf dem Dormente, nah dem Tore, durch das man von dem Chore auf dasselbe kam, einging.

Es war eine hochgewölbte, übrigens nicht große Zelle, deren Bücherschatz von keiner Bedeutung gewesen sein soll. Derselbe wurde aber auch in meiner Phantasie schon ohne weitere Betrachtung von jener alten Tafel überboten, die an den Wänden jener Zelle hing und in Bildern und in Versen, in Mönchslatein, in goldenen Lettern, Stiftung und Geschichte des Klosters enthielt.

Die Tafel hatte zwei Seitentüren, wie eine Altartafel. Auf der rechten nach außen war eine Waldwildnis abgebildet; in solcher erblickte man Räuber, die Wanderer plünderten und mit Schwertern und Dolchen niederstießen. Auf der linken Seitentüre nach außen sah man Zisterzienser in schwarz und weißen Kutten als Bauleute beschäftigt. Einige behauten Steine und Balken, andere trugen Holz und Kalk herbei, noch andere waren in Aufführung einer Kirche begriffen. Diese als Maurer und Steinhauer schaffenden Mönche erweckten in mir immer eine große Teilnahme, und ich wünschte mir stets, ich hätte mit ihnen auch so mitschaffen können.

Auf der innern Seite der rechten Türe hielten ein Bischof und ein Ritter (Bischof Günther und Ritter Walther von Lomersheim) die Klosterkirche, ganz im Bilde, wie sie noch ist, der ob ihnen schwebenden Jungfrau Maria hin. Darüber standen die Worte:

»Laß dir dieses Opfer gnädiglich befohlen sein.«

Im Innern der linken Türe kniete der erste Abt des Klosters (Diether 1148), und aus seinem Munde gingen die Worte:

»O! Mutter Gottes, laß dir dieses Opfer empfohlen sein.«

Die goldene Schrift auf der Tafel selbst erzählte in Mönchslatein (das ich auf Anleitung des Professors einmal ins Deutsche, mein armer Gottfried aber ins Griechische und Hebräische übersetzen mußte), wie diese Gegend, in der nun das Kloster steht, vordem in großer Waldwildnis lag, nur von Räubern bewohnt, so daß in ihr kein Friede war, keine Glocke erklang, nur Schwertergeklirr und Notruf der Beraubten und Halberschlagenen. Da faßte der edle Ritter Walther von Lomersheim den Entschluß, gerade in diese Wildnis ein Kloster zu bauen. Der Klang von Glocken, der Gesang aus Klosterhallen werde die Räuber ferne halten, verwilderte Herzen erweichen und Gottes Frieden in diese Gegend bringen. Mit Geldsäcken zum Baue des Klosters beluden der Ritter und Bischof Günther von Speyer einen Esel mit dem Entschlusse, daß auf der Stelle, wo das Tier in jener Wildnis seine Last nicht weitertragen könne, der Bau des Gotteshauses unternommen werden sollte. Dies geschah an der Stelle, wo der sogenannte Salzbach entspringt.

Ich betrachtete noch oft den viereckigen Turm, unter dem man gleichsam wie unter einem Triumphbogen hindurchfahren mußte, und der über seinem Eingange den am Bach oder Brunnen (Maulbronn) mit seinen Geldsäcken niedergefallenen Esel in Stein gehauen zum Wahrzeichen hatte. Nun wurde diese Stelle der Wildnis zum Klosterbaue erkoren. Licht wurde in sie durch Ausrottung der Wälder gebracht; man legte Wege an, führte mächtige Quadersteine, den Felsen entrissen, herbei. Die schönen Kreuzgänge hatten sich schon gewölbt, Mönche waren herbeigeströmt, und schon legte man den ersten Stein zum Baue der Kirche – da erschienen auf einmal die Räuber, begehrten Stillstand des Baues und erklärten den Mönchen, sie seien fest entschlossen, wenn sie nicht mit dem Baue aufhörten, alles bisher von ihnen Gebaute niederzureißen.

Da trat ein schlauer Mönch zu ihnen und sprach, sie freundlich anblickend: »O! gebt euch doch keine Mühe mit dem Niederreißen; wir selbst wollen euch geloben, das Kloster nicht auszubauen.« Darauf ließen sich die Räuber einen Eid geben und ließen die Mönche inzwischen in Ruhe. Aber die Mönche bauten an der Kirche fort, als wäre nichts geschehen, und ließen nur im Schiffe der Kirche an einer Mauer links einen Quaderstein uneingesetzt und legten ihn zu Füßen der Mauer.

Nun klangen die Klosterglocken weit durch die Wildnis, und die Räuber, zornentbrannt, kehrten um, Rache an den eidbrüchigen Mönchen zu nehmen; diese führten sie aber an jene Stelle ihrer schönen Kirche, wo der Stein am Boden lag und oben noch einer fehlte, und sprachen zu ihnen: »Ihr sehet, die Kirche wartet noch jetzt auf ihre Vollendung und soll auf sie warten bis auf den Jüngsten Tag.« So sahen sich die Räuber von der List der Mönche bezwungen, sie konnten sie keines Eidbruches beschuldigen, wurden auch von der Schönheit des Baues ergriffen und bedachten sich auch wohl, daß ohne starke Beschützer all dies von ihnen nicht hätte geschaffen werden können; man sähe sie von nun an in diesen Wäldern nicht mehr.

Jener Stein am Fuße der Mauer, links von dem großen Altarkreuze, liegt noch da, und oben auf der Mauer, wo er hätte eingesetzt werden sollen, erblickt man eine zum Schwur aufgehobene Hand von Stein, unter welcher Insignien der Baukunst: Kelle, Winkelmaß und Spaten, eingehauen sind.

Die Klosterprediger

In dieser großen gotischen Kirche wurde nur zur Sommerszeit Gottesdienst gehalten; für die andere Jahreszeit war eine andere Kirche vorhanden, die aber nur wie eine Art von Betsaal aussah und zwischen dem Dormente und dem Hause lag, in dem der Speisesaal der Klosterzöglinge sich befand. Es war aber eine schlechte Erbauung in beiden. Jener Betsaal hieß die Winterkirche. Der Gottesdienst begann meistens mit der Zeremonie, daß der Primus der Promotion (der erste der Zöglinge) sich erhob, nach dem Stuhle, in dem die Frau Prälatin saß, schritt und ihr mit tiefem Bücklinge das Gesangbuch mit dem Gesänge, der vorgeschrieben war, darreichte, wobei der gegenübersitzende Herr Prälat seine Schritte wohlgefällig verfolgte.

Die Frau Prälatin hatte ganz den Kopf und die Augen einer Eule, war gegen Untergebene und den Herrn Gemahl sehr herrschsüchtig, gegen uns aber ziemlich bescheiden: denn wir kannten sie schon von Ludwigsburg her, wo sie eine andere Rolle als Haushälterin im Forsthause des Osterholzes spielte.

Außer dem Professor Mayer befand sich damals zu Maulbronn noch ein Professor namens Hiller, ein alter, frommer, stiller Mann, mit einem gar zarten Stimmchen. Er war hauptsächlich Mathematiker. Auch er war, wie Mayer, zugleich Prediger, und sein Vortrag so, daß man bald schlafen mußte, welche Wirkung Mayers Vortrag nicht hatte. Dieser war sehr eindringend und erweckend, denn er tönte fast ganz so wie ein Kamm, wenn man mit ihm auf einer Fensterscheibe auf- und abfährt.

Mayer hatte eine sehr gelehrte Schrift in lateinischer Sprache, betitelt: Historia diaboli, geschrieben und predigte viel vom Teufel; der sanfte Hiller aber mehr von den Engeln, ihrer und der Menschen Erschaffung und von dem Alter der Welt und der Erzväter, wobei er lange Berechnungen anstellte.

Auch der Herr Prälat predigte zuweilen, soll aber, nach älterer Urteil, auch wenn er predigte, eigentlich gar nichts gepredigt haben, wie ich mich auch durchaus nicht mehr erinnere, was er denn einmal predigte. Außer der Kirche predigte er mir oft (und diese seine Predigten behielt ich), wenn ich mit meinen Kameraden die Stille der Kreuzgänge in der alten Kirche und den Fleiß der Zöglinge auf dem Dormente durch laute Spiele zu sehr störte. Da schuf er mir starken Zank beim Vater, kam aber darüber oft mit seiner Ehehälfte in einen noch stärkern.

Die Prälatin mit dem Eulenkopfe

Ich war nämlich ihr Liebling noch vom Osterholz her und konnte sie wohl leiden, weil sie wie eine Eule aussah, was mir wegen meiner Vögelliebe merkwürdig war und weswegen ich sie immer sehr begierig ansah. Mein Vater versäumte nicht, sooft wir eine gebratene Gans verspeisten, ihr ihr Lieblingsstück, das spitze fette Hinterteil, durch mich zu übersenden, welches Geschäft ich auch so freudig wie das Füttern eines Vogels verrichtete.

Meinem Vater, dessen Ernst sich im Umgange, besonders mit Frauen, gern verlor, gab sie manche Veranlassung zu Scherzen. Oft noch im Mondenschein, wenn sie mit ihrem Eulengesichte aus dem Erker der vis-à-vis von uns stehenden alten Prälatur sah und herüberrief, entspann sich zwischen beiden ein scherzhaftes Zwiegespräch durch die Fenster im Geplätscher des untenstehenden Brunnens. Wenn aber die Prälatin auch manchmal einsam und nur von mir bemerkt im Mondenschein aus den alten Mauern heraussah und zugleich die Ratten aus dem Keller der Oberamtei ihre Prozession über den Platz nach dem Brunnen angetreten hatten, so kam das mir wie ein Märchen vor.

Die Prälaturgänge und die Klosterkutsche mit dem Prälaten Weiland

Unheimlicher als in den Kreuzgängen war es mir in den Gängen der Prälatur, und ich wollte nächtlich nur ungern Bestellungen dahin bringen; denn, wenn ich mir in den Kreuzgängen die Erscheinung eines Abtes oder Mönches gewünscht hätte, so wäre mir die Erscheinung eines Herrn Prälaten und einer Frau Prälatin der neuen Zeit in den Gängen der Prälatur doch sehr unheimlich gewesen.

Matthias, unser Kutscher, ließ es sich auch nicht nehmen, es gehe in diesen Gängen der verstorbene Prälat Weiland, und er sei ihm einmal bei einer nächtlichen Sendung in die Prälatur begegnet, wie er in einem weißen Fracke mit schwarzen Bärtchen an ihm die Treppe herabgestiegen sei und sich dann unten in die Prälaturkutsche gesetzt habe. Diese alte Prälaturkutsche, die unten in einem Seitengewölbe verwahrt wurde, war für uns Kinder sehr merkwürdig. Sie erbte sich von Prälat auf Prälat, hatte die Größe eines kleinen Gartenhauses, und ich meinte, es könnte wohl schon Abt Entenfuß mit Dr. Faust in ihr gefahren sein. Sie wurde nur ein paarmal des Jahrs herausgezogen, wenn der Prälat auf den Landtag nach Stuttgart fuhr oder dem katholischen Prälaten zu Bruchsal einen Besuch abstattete, wozu er jedes Jahr einmal das Recht hatte. Die übrige Zeit war sie der Aufenthalt von Fledermäusen und Katzen, besonders einer alten schwarzen Katze ohne Schwanz, die ich oft aus ihr schleichen sah.

Ging eine solche Fahrt an, so wurde dies Gartenhaus mit vier Pferden bespannt, die dazu vom Klostermüller geliefert werden mußten.

Diesen voran ritt ein Vorreiter, für den auch von langen Jahren her eine Livree in Bereitschaft war, in die er sich stecken mußte, war er klein oder groß, dürr oder dick, was den Zuschauern oft einen possierlichen Anblick verschaffte.

Jener Prälat Weiland, den Matthias gesehen haben wollte, wie er sich als Gespenst in die Prälatenkutsche setzte, hatte sich zu seinem jährlichen Besuche des Prälaten von Bruchsal eine eigene Kleidung machen lassen, und zwar, wie sie Matthias am Gespenste gesehen haben wollte, einen weißen Frack mit schwarzen Borten (wohl auf die ehemalige Tracht der Zisterzienser deutend).

Als das Kleid fertig war, befiel ihn eine Krankheit, und er konnte in demselben nicht mehr die Prälatenkutsche besteigen. Er ließ sich nun das Kleid an sein Bett aufhängen, so daß er es immer im Auge haben konnte, und mit innigem Lächeln hielt er seine Augen, auch als sie schon im Tode brachen, noch fest auf das Kleid gerichtet, bis er verschied. Sein Gehen nach dem Tode in jenem Kleide nach der Prälaturkutsche fände in dieser letzten Szene seines Lebens eine Erklärung.

Der alte Geisterspuk in der Prälatur

In diesen Gängen der Prälatur, unter ihrem Dache, in ihren Zimmern und auf den Treppen, besonders der Wendeltreppe, die ins Dorment führte, herrschte im Jahre 1659 bis 60 ein so gewaltiges Spuken, daß jenes Prälaten Weiland einfacher Geistergang nach der Prälaturkutsche dagegen eine Kleinigkeit war.

Alles, was unter dem Dache und in den Zimmern nur beweglich war, wurde wie von unsichtbaren Händen erhoben und spazierte zum Teil durch die Fenster hinaus in den Prälaturgarten oder in den Hof hinab.

Dabei sah man es im Garten oder dem Hofraume nicht niederfallen, sondern die Gegenstände schwebten langsam zur Erde, als würden sie vermittelst eines Seiles oder sie noch immer haltender Hände niedergelassen. Oft entstand in den verschlossenen Zimmern ein entsetzliches Gerumpel, als würde ein Arm voll Holz an die Türe geworfen; eröffnete man aber das Zimmer, so bemerkte man nichts in ihm als eine schwarze Katze, die sich aber immer während der Verfolgung verlor.

Oft lief es nächtlich die Schneckentreppe hinauf, nicht anders, als ginge jemand in großen weiten Pantoffeln. Als man meinte, es werde nun oben erscheinen, hörte und erblickte man nichts mehr, dagegen warf es nun unten im Gange die Feuereimer, die dort hingen, teils untereinander, teils stellte es sie aufrecht in eine Reihe hin.

Der Prälat, er hieß Schlotterbek, verließ die Prälatur und zog in eine andere Wohnung.

Auf seine Klagen sandte die Regierung eine Abteilung Soldaten, die Tag und Nacht in der nun menschenleeren Prälatur Wache halten mußte. Früher hatten Bürger in ihr gewacht, aber, wie sie, wurden auch die Soldaten von dem Unwesen nur gefoppt und kamen auf keinen Grund.

Ebensowenig brachten fürstliche Räte, die zur Untersuchung gesandt wurden, durch weitläufige Verhöre etwas heraus. Den 15. August nachts kam es in die Stube und dann in die Nebenstube und an das Bette, in dem der Offizier der Wache schlief, und schüttelte und rüttelte die Bettlade, so daß er vermeinte, mit derselben in die Höhe gehoben zu werden. Ein Hund, der mit ihm im Zimmer lag, sprang zum Zimmer, als würde er gejagt, hinaus.

Am 17. nachts sah einer von der Wache bei völliger Windstille zum Laden hinaus, kaum aber hatte er den Kopf wieder hereingezogen, schlug es den Laden wieder mit solcher Gewalt zu, daß er in Stücke zersprang.

In einer andern Nacht zwischen zwölf und ein Uhr entstand in mehreren Gemächern der Prälatur ein furchtbares Gepolter. Der auf der Wache stehende Soldat Brinkh eröffnete das Gemach, von wo aus die heftigsten Töne gingen; da war es ihm aber, als fahre etwas mit großem Ungestüme zum Zimmer hinaus, und es fing auf einmal ein solches Poltern und Krachen an, als würde ein großes Stück vom Dache abgehoben und in den Garten hinabgeworfen. Als man morgens das Dach untersuchte, fand man an ihm nichts verletzt, auch nichts im Garten liegen.

Von einer andern Nacht gab einer der wachhabenden Soldaten an:

Als er vor des Prälaten Gemach Wache gehabt, sei etwas die Schneckenstiege heraufgerauscht; er habe nun nachgesehen, was es sei. Da habe er ein langes, weißes Ding (so war sein Ausdruck) erblickt.

Als er der Schneckenstiege zugegangen und es genau habe visitieren wollen, sei es auf einmal zu einer runden Kugel geworden, die in die Stiege hinabgefahren.

Oft legte es sich auf die Soldaten im Schlafe, ging schwer, und es war ihnen, als drückte ihnen eine schwarze Gestalt mit beiden Daumen fest aufs Herz.

Am öftesten neckte es die Soldaten und auch die andern Bewohner unter der Gestalt einer schwarzen Katze, die aber größer als eine gewöhnliche Katze und hinten höher als vorn war.

Die Regierung setzte einen Preis von vierzig Gulden auf die Habhaftwerdung dieses gespenstigen Tiers, aber nie konnte es gelingen, immer entwischte es. Diese Geisterkatze wurde meistens, nachdem irgend so ein Spuk geschehen war, sogleich gesehen.

Doktor Faust und sein Freund Prälat Entenfuß

In einer Ecke des Gartens, der hinter der Prälatur und den Kreuzgängen lag, war an die Klostermauer ein Turm angebaut, den man den Fauststurm hieß; denn er diente einst dem berühmten Dr. Faust zum Laboratorium und Aufenthaltsorte.

Der Abt Johannes Entenfuß war ein besonderer Freund Fausts und räumte ihm bei Besuchen diesen Turm zur Wohnung ein; das war im Jahr 1516.

Entenfuß und Faust waren in dem nahen Städtchen Knittlingen geboren. Ein Zeugnis, daß Fausts Geburtsort Knittlingen war, gab Melanchthon in seinen Tischreden mit den Worten:

»Ich habe einen gekannt, mit Namen Faust von Knittlingen, einer Stadt in der Nähe meiner Vaterstadt (Bretten). Er hatte auf der Schule zu Krakau die Magie gelernt, schweifte überall herum und lernte viele Geheimnisse.

Er wollte sich zu Venedig sehen lassen und sagte: er wolle gen Himmel fliegen.

Der Teufel aber zog ihn herab und gab ihm einen solchen Stoß, daß er auf die Erde stürzte und fast gestorben wäre; doch starb er nicht.

Vor wenigen Jahren saß dieser Johannes Faust abends gar traurig in einem Dorfe. Der Wirt fragte ihn: warum er gegen seine sonstige Art und Weise so traurig sei. Er sagte: Laß dich heute nacht nicht erschrecken. Um Mitternacht nun bekam das Haus einen Stoß. Als morgens Faust nicht aufstand und es fast schon Mittag war, ging der Wirt in sein Zimmer und fand ihn neben dem Bette auf dem Gesichte liegen; und so hatte ihn der Teufel getötet. Er hatte, solange er lebte, einen Hund bei sich, welcher ein Teufel war.« –

Es ist schade, daß Melanchthon das Dorf nicht benannte, in dem Faust sein tragisches Ende gefunden haben soll. Zu Maulbronn sagte man nicht anders, als daß ihn der Teufel auch in jenem Turme seines Freundes, des Abts Johannes Entenfuß, geholt habe.

Mein Aufenthalt in Knittlingen

Die Stille des Klosters wurde nun oftmals durch Töne unterbrochen, die in seinen Mauern wohl schon lange nicht mehr gehört wurden. Geschütze und Pontons zogen ganze Nächte lang auf der Straße vor dem Kloster vorüber, an den benachbarten Rhein; und bald ertönte von daher der Donner österreichischer und französischer Kanonen. Bald sprach man von Siegen der Franken, bald von denen der österreichischen Truppen.

Die Gefahr feindlichen Einbruches schien nahe zu sein, doch ging sie wieder auf kurze Zeit vorüber.

Mein Vater erkannte wohl, daß in Maulbronn mein Unterricht zu vielen Unterbrechungen ausgesetzt war und daß – würde ich von all den Zerstreuungen im Hause entfernt und einem einzelnen Manne zur steten Beaufsichtigung übergeben, – daraus mehr Gewinn für mein Wissen und meine Erziehung erwachsen würde. In dem zwei Stunden von Maulbronn entfernten Knittlingen (eben dem Geburtsorte Fausts) befand sich damals ein lateinischer Lehrer (Präzeptor) namens Braun. Er war in dem Rufe eines guten Lateiners und strengen Erziehers, wenigstens seiner eigenen Kinder.

Ich mußte dahin.

Mit großer Trauer schied ich von meinen Blumen und meinen Tieren; doch wurde mir das Versprechen gemacht, ich dürfe jeden Samstag über den Sonntag wiederkehren, wozu Matthias mir die Rappen bringe.

Letzterer versprach mir auch für meine Tiere zu sorgen, meine Schwester für meine Blumen, und meine Mutter versicherte mich, was sie auch treulich hielt, mir so oft als möglich Schachteln voll Obst zu senden.

Das Haus des Präzeptors zu Knittlingen hatte, hinter einer Kirche versteckt, eine sehr fatale Lage. Es war kein freier Platz vor ihm, wie vor dem Hause zu Maulbronn; und statt des schönen lebendigen Brunnens war vor ihm eine Miststätte, wegen welcher der Präzeptor mit seinem Nachbar, dem Schulmeister, immer im Streite lag.

Der Präzeptor war ein langer, hagerer Mann, mit ganz schneller, fast stotternder Aussprache.

Aus Rücksichten für meinen Vater und aus Furcht, ich möchte ihm nicht lange gut tun, war er zwar gegen mich nicht heftig, aber gegen seine Kinder und namentlich gegen seine drei Knaben, die so ziemlich in meinem Alter waren, so strenge und tyrannisch, daß er sie bei den kleinsten Vergehen barbarisch schlug, ja sie oft noch dabei auf den Boden warf und mit den Füßen auf ihnen herumtrappte. Dieses Schicksal traf besonders oft seinen zweiten Sohn, namens Gottlieb, der in spätem Jahren in Karlsruhe der Verleger meiner ersten Schriften, meiner Reiseschatten, meines Musenalmanachs, der Geschichte zweier Somnambulen und noch anderer Schriften von mir wurde.

Dieser hatte den gutmütigsten Charakter von allen, sah aber immer kränklich aus, wogegen der ältere, Friedrich, wie das Leben blühte. Diesen, mehrere Jahre älter als ich, traf ich später in der Tuchfabrik zu Ludwigsburg wieder. Er hatte sich in sieben Sprachen geübt, machte als Kaufmann eine schöne Laufbahn, auch durch gute Verheiratung, ergab sich aber dem Trünke und endete sehr elend, wogegen Gottlieb bis zu seinem Tode die Stütze der übrigen Geschwister blieb.

Unter diesen befand sich ein damals noch kleines Mädchen, das, zur Jungfrau herangereift, eine der größten weiblichen Schönheiten wurde. Auf eine bedauernswürdige Weise wurde sie an einen als Kaufmann auf den Messen herumziehenden Italiener verheiratet, bei dem sie ein höchst trauriges Los traf. Sie erkrankte und wurde geschieden; da nahm sie der Bruder Gottlieb, jetzt Buchhändler in Karlsruhe, auf. Hier lernte sie der Dichter Ludwig Robert, Rahels Bruder, kennen, und nahm sie, von ihrer Schönheit bezwungen, zur Gattin. Er und sie starben bald nacheinander. – Varnhagen stiftete ihr in seinen Biographien ein schönes Monument, und Heine dichtete auf sie mehrere Sonette, in denen er sie aufrief, aus dem Sande von Berlin nach Indien zu ziehen, und gewiß, sie war eine wahrhaft indische Schönheit.

Die Mutter war eine sanfte und gutmütige Frau, hatte aber durch den schweren Haushalt und den Jähzorn ihres Mannes viel zu ertragen. Ihre Sorge für mich war mütterlich.

Die Veränderung, die ich hier gegen mein voriges Leben fand, war derart, daß mich wohl ein starkes Heimweh hätte ergreifen können, was aber doch nicht der Fall war. Wo die Jugend nur wieder in ihrer Phantasie sich mit etwas Neuem beschäftigen kann, da ist sie schon zufrieden.

Meine neue Ausstattung in Kleidern, Waschgeräte, einem Koffer, einem Stiefelzieher, war aller Trost und Ersatz, und ich fühle – denke ich diesem Stiefelzieher nach – jetzt noch im Alter ein Wohltun um die Herzgrube herum, das ich damals durch ihn gefühlt haben muß.

Die Freude auf den Tag, an dem der Bote mit der mütterlichen Schachtel ankam, das Rechnen und das Sichfreuen auf den Samstag, wo der alte Matthias mit den Rappen erschien und der Ritt ins Kloster angetreten wurde, ließ kein eigentliches Heimweh aufkommen, wurde auch dadurch die Sehnsucht nach der Heimat nicht unterdrückt.

Der Unterricht in der lateinischen und in der griechischen Sprache war nun allerdings geregelter, und die ältern Söhne des Präzeptors hatten schon schöne Fortschritte gemacht, denen ich nacheiferte.

Der Religionsunterricht bestand leider meistens nur im Lesen und in abenteuerlicher Erklärung der Offenbarung Johannis und begann meistens mit der Warnung: »Buben! wenn ihr euch nicht vor dem Namen Jesu beugt, sooft dieser Name vorkommt, so schlag ich euch den Stecken um die Füße herum.«

Auf eine schöne Handschrift sah der neue Lehrer besonders. Die seiner Söhne war sehr schön. Sie schrieben in den verschiedensten Formen von Buchstaben und selbst in großer Mönchsschrift mit Farben.

Die Zubereitung solcher farbigen Tinten, meistens vegetabilische Säfte, führte uns zur Sammlung von Blättern, Blüten und Beeren in Felder und Wälder.

Der Durchzug österreichischer Truppen und das viele Gespräch Älterer vom Kriege brachte uns auf kriegerische Spiele mit den anderen Knaben des Städtchens, bei welchen ich als ehemaliger Kommandant der kleinen Landmiliz von Ludwigsburg meistens die Hauptrolle spielte.

Der Sturm des Krieges brach aber nun immer ernster und näher herein. Die Franzosen waren mit großer Heeresmacht über den Rhein gebrochen und näherten sich der Pfalz und der württembergischen Grenze. Tag und Nacht ertönte Kanonendonner.

Rückkehr nach Maulbronn beim Erscheinen der Franzosen

Die sorgliche Mutter hielt mich zu Knittlingen, das der Pfalz so nahe war, nicht mehr für sicher, und ich wurde auf ihre Veranlassung von dem Postmeister zu Knittlingen in eine Chaise gepackt und fuhr unter den hellen Tönen eines Posthorns nach einigen Stunden in den Klostermauern ein. Das waren dort gar seltene Klänge, und alles lief dem Gefährte nach; denn man glaubte nichts Geringeres, als es sei der kommandierende General aus dem französischen Hauptquartiere angekommen. Ich glaube, dasselbe stand dazumal unter Dessaix in der Gegend von Pforzheim. Mein Vater hatte sich dahin begeben, um von Dessaix Schutz und Sicherheit für Kloster und Oberamt zu erhalten, aber noch ehe er angekommen war, hatten sich die weiten Räume des Klosters mit leichten französischen Chasseurs zu Pferde (einem Streifkorps) angefüllt, die vor denjenigen Wohnungen, die ihnen den reichsten Inhalt zu haben schienen, abstiegen und sich in ihnen zu Gast baten.

Der Professor im Kamine

Der gute Professor Mayer hatte nicht mehr Zeit, seine weiße Zipfelkappe und Schlafrock mit dem schwarzen Magisterkäppchen und Frack zu vertauschen; sie überraschten ihn gerade in der Küche, als er sich mit seiner Ehehälfte Therese um die Schlüssel zur Speisekammer stritt, weil er aus dem Kamine die Schinken, die er dort nicht mehr für sicher hielt, in die Speisekammer bringen wollte, wozu er schon eine Leiter auf den unter dem Kamin stehenden Herd aufgepflanzt hatte. Als er aber nun durchs Küchenfenster die herannahenden Franzosen erblickte, warf er schnell den Schlüssel der Speisekammer in eine Wasserkufe, stieg in Angst und Verlegenheit, so schnell er nur konnte, auf der Leiter ins Kamin empor und rief noch mit halbgebrochener Stimme hernieder: »Sie nehmen mich als Geisel mit, darum kommen sie. Therese, ich sag Ihnen, verraten Sie mich nicht!« – »Wie?« rief sie hinauf, »steigen Sie sogleich herunter, ich gehe nicht aus der Küche ohne Sie!« Da waren die Chasseurs schon in der Küche, sahen die Leiter auf dem Herde und fragten in gebrochenem Deutsch, was das bedeute, während einer an der Leiter zu rütteln anfing. Die Professorin gab zu verstehen, das sei, um ihnen Würste und Fleisch aus dem Rauche zu holen, rief auch ihrem sich zitternd an der Leiter haltenden Manne zu: »Kommen Sie nur mit den Schinken und Würsten herunter!« Da kam der kurze Professor in Zipfelkappe und Schlafrock auch langsam hernieder, indem er die Schinken und Würste (gleichsam als Fürsprecher für sich) vor sich vorausgeworfen hatte. Die komische Gestalt des Herabsteigenden machte das lustige französische Blut laut auflachen, sie hoben ihn auf ihre Arme, trugen ihn ins offenstehende Zimmer und setzten ihn unter Umarmungen und Verbeugungen in seinen Armsessel, den sie dann mit ihm an den Tisch trugen und ihm, sowie der freundlich am Arme des Offiziers herbeigekommenen Ehehälfte zu verstehen gaben, daß sie gute Freunde seien und nichts mehr begehrten, als nur Wein zu den Würsten. Frau Therese brachte aber nun nicht nur diesen, sondern sie fischte auch den Speisekammerschlüssel wieder aus der Wasserkufe, ließ ein Feuer auf dem Herde anzünden und bereitete in Eile die Schinken und Würste und anderes den Gästen zum fetten Mahle. Die Professorin spendete auch sonst immer gern mit reichen Händen zum Jammer ihres Ehegemahls, und sie beklagte nie den Verlust aus Kamin und Speisekammer, sondern nur den Verlust der Reinheit ihrer Stubenböden oder ihres Tischweißzeuges, was auch jetzt allein ihr sehr schmerzlich war.

Die Franzosen in der Oberamtei

Weniger Störung verursachten die Franzosen in der Prälatur. Es stiegen bei vierundzwanzig Chasseurs vor derselben ab, sprangen die Treppen hinauf, kamen aber ebensobald wieder, wie von einem Schreckbilde verscheucht, zurück.

Die Frau Prälatin mit dem Eulenkopfe hatte sie auf der Treppe empfangen, da suchten sie schnell wieder das Freie; nur wenige blieben, und der größte Teil wandte sich nach der der Prälatur gegenüberstehenden Oberamtei, wo aus den Erkern junge Mädchen schauten, die großen Kellertüren ihnen reichlichen Wein und der rauchende Schornstein ihnen Speise zu verkünden schienen.

Hier waren auch schon in Küche und Keller alle Hände in Tätigkeit. Meine ängstliche Mutter war bereit, alles zu geben, nachdem sie aber doch vieles versteckt hatte, was ihre Angst und Bereitwilligkeit zu geben nur wieder vermehrte. Wir hatten sogar von einem Straßburger adeligen Gutsbesitzer, einem Herrn von Türkheim, Kisten voll reicher Effekten, die er über den Rhein zu uns rettete, im untern Stocke des Hauses in Verwahrung.

Doch man sah bald, daß es hier auf kein Plündern abgesehen war, und meine lebhafte Schwester Ludovike, nachdem sie sich in Herbeischaffung von Speise und Trank erschöpft hatte, kam auf den Einfall: es wäre ganz schön und würde dem Bruder in Paris sicher Wohlgefallen, ja! könnte ihm dort von Nutzen sein, würde die Mutter einen Ballen roten wollenen Zeuges, den sie zu Sesselüberzügen bestimmt, den guten Franzosen zu Kappen austeilen, das würde sie so erfreuen, daß sie gewiß nach dem Versteckten nicht fragen würden.

Die beängstigte Mutter willigte ein. Schnell ward das gute Stück roten Wollenzeuges zu Kappen verschnitten, am Ende des Mahls an die trunkenen Gäste, die voll Jubel waren, ausgeteilt, während schon unten der Trompeter zum Abmarsch blies.

Flugs waren sie alle versammelt und wieder zu Pferde und verließen mit ihren anderen Kameraden in schnellem Galopp das Kloster zur großen Beruhigung meiner Mutter und des Professors Mayer, aber zu meinem Leide; denn diese neue Erscheinung hatte mich in der Seele erfreut.

Die Sauvegarde

Meine und meines Vaters Gesinnungen gegen die Franzosen

Mein Bruder Carl

Mein Vater kam am andern Tage mit einer Sauvegarde, mehreren Chasseurs, und den besten Versprechungen vom General Dessaix, daß das Kloster geschont und geschützt werde, aus dem französischen Hauptquartiere zurück.

Ich hatte damals, obgleich schon zehn Jahre alt, für Politik noch gar keinen Verstand. Und geschah es, daß ich den Franzosen mehr anhing als den Österreichern, so kam dies nur daher, weil mein Bruder Georg in und für Frankreich lebte; auch waren die Franzosen mir wieder etwas Neues. Die Österreicher in den immer weißen Röcken waren mir nach und nach langweilig geworden.

Es kamen mir die Franzosen in ihrem gebrochenen Deutsch, mit dem sie sich bemühten, sich mir zu verständigen, während ich ihnen nachhelfen durfte, auch kindlicher und zutulicher vor; es machte mich bald vertraut mit ihnen.

Um ihr politisches Wollen kümmerte ich mich nicht. So kam es, daß die Chasseurs, die mehrere Wochen lang in der Oberamtei und sonst im Kloster als Sauvegarde einquartiert blieben, mir zu großer Freude und Zeitversäumnis wurden, und ich nur mit Tränen von ihnen schied.

Ich habe von einem derselben noch jahrelang geträumt. Es war ein junger Mann von etlich und zwanzig Jahren mit langem schwarzem Knebelbart, bleichem Aussehen, kohlschwarzen feurigen Augen, schwarzen Haaren, immer lebendig, voll Feuer und dennoch voll Sanftmut und mitspielend wie ein Kind. Auf welchem Schlachtfelde bleichen wohl seine Gebeine?

Mein Vater zeigte sich zwar gegen jeden einzelnen Franzosen immer ernst, aber gefällig, nie mißlaunisch, gehässig; ihre Lebendigkeit gefiel ihm, aber die Nation und ihr politisches Treiben war ihm ein Greuel, wie der Aufenthalt seines Sohnes Georg unter ihnen. Ich besitze noch das Fragment eines Briefes, den er in dieser Zeit an ihn nach Paris schrieb, in dem es heißt: »Die Franzosen sind nun aus hiesiger Gegend entfernt. Heute die ganze Nacht durch hat es ihnen gegolten, man hörte hier den Kanonendonner. Die Neckarschanze bei Mannheim ist schon in den Händen der Deutschen. Clerfait ist bei Oppenheim über den Rhein und schon bis Alzei vorgedrungen, wobei die Franzosen ein Merkliches einbüßten.

Überhaupt: Friede! Friede ist das Beste! Die französische Republik ist gar zu sehr auf Blut gebaut, und dieser Fluß von Blut wird noch so stark, daß all die Freiheit in ihm ertrinkt. Es wird am Ende euch all dies selbst wie ein böser Traum werden, den ihr träumtet. Mein Sohn! bewahre doch in diesem Lande der Chimären Dein deutsches Blut!«

In einem andern väterlichen Schreiben an ihn heißt es: »Deine Vaterstadt Ludwigsburg kann nicht von der gepriesenen Tapferkeit Deiner französischen Freunde zeugen, wohl aber von deutscher. Eine Handvoll sächsischer Jäger und leichter Reiter überfielen die Franzosen in Ludwigsburg (1796), der französische General Frimont versteckte sich in unseren ehemaligen Schweinestall (in der Oberamtei). Ein sächsischer Schütze nahm in der Kanne einen ganzen Tisch voll Franzosen gefangen, indem er die Büchse am Backen in das Zimmer trat und ihnen zurief: Ihr seid alle Prisoniers! In der Rose erwischte ein Dragoner einen Kriegskommissär mit einer Kasse von 30 000 Franks.« –

Die entgegengesetzte Richtung seines Sohnes Carl gereichte auf der andern Seite aber zu jener Zeit meinem Vater zu großer Freude. Dieser setzte in der herzoglichen Artillerie, in der er als Unterlieutenant stand, seine militärische Ausbildung tätig fort. Als die französischen Truppen am 24. Junius 1796 über den Rhein zogen, marschierte er zum erstenmal gegen den Feind. Die auf den befestigten Punkten des Kniebis und zu Freudenstadt verteilten Geschütze gerieten, da sie keine eigene Bespannung hatten, in große Gefahr, genommen zu werden. General St. Cyr nahm am 2. Julius die Schanze auf dem Kniebis, worauf ein eiliger Rückzug der Reichstruppen erfolgte. Den mutvoll getroffenen raschen und zweckmäßigen Veranstaltungen des jungen Lieutenants war es zu verdanken, daß jene Geschütze samt Munitionswagen dem Vaterlande gerettet wurden.

Mein Erkranken

Mein Vater war im Begriffe, mich in eine größere Stadt zur Erziehung zu geben, da er mich nach Knittlingen nicht wieder zurückzubringen wünschte: denn der wundersame Präzeptor Braun daselbst vertiefte sich immer mehr in die Erklärung der Offenbarung Johannis, wodurch dessen psychischer Zustand meinem Vater immer verdächtiger wurde, als eine Krankheit meinen Körper befiel, die mit großer Hartnäckigkeit fast ein Jahr andauerte. Mein Wachstum ging äußerst schnell vor sich, und wahrscheinlich als Entwicklungskrankheit trat eine außerordentliche Reizbarkeit der Nerven meines Magens ein, so daß ich alles, was ich aß und trank, oft sogleich, oft nach einer Stunde wieder erbrechen mußte. Es wurden viele Ärzte gebraucht, deren Kunst an diesem hartnäckigen Übel scheiterte. Es ist mir noch unbegreiflich, daß ich nicht den oft ganz unsinnigen Mitteln dieser Heilkünstler erlag, und vielleicht geschah es nur daher, daß ihre Mixturen, Pulver, Latwergen und Pillen von meinem Magen ohne allen Respekt sogleich wieder weggeworfen wurden, und sie nicht durch längeres Verweilen in ihm ihre Wunder verrichten konnten.

Einer dieser Äskulape machte die Verordnung, man solle mich, solange es nur möglich sei, gar nichts mehr von Speise durch den Mund nehmen lassen, sondern mir täglich nur Gerstenschleim durch ein Klisma, statt der Speise, beibringen.

Es waren lamentable Tage dieses Versuches, in welchen ich, wenn sich die andern zu Tische setzten, zur Entschädigung und um das Essen zu vergessen, mit dem Matthias auf einen Spazierritt geschickt wurde. Die Marter war um so größer, da ich beständigen Hunger hatte, so daß ich im Reiten oft heimlich Laub von den Bäumen streifte und aß. Ich weiß nicht, wie viele Tage lang man diese Kur an mir versuchte, aber ich wurde dadurch natürlich fast zum Hungertode gebracht, konnte auf dem Rappen mich nicht mehr halten und verfiel in Ohnmächten und Krämpfe, in denen jener Äskulap der erste war, der nach Suppe und weichen Eiern sprang und sie mir auf dem alten naturgemäßen Wege beibrachte.

Aufenthalt in Brackenheim

Besonders geschickt zur Heilung meines Leidens hielt man einen damals zu Brackenheim, fünf Stunden von Maulbronn, wohnenden Arzt, und da sich daselbst gerade auch ein sehr tüchtiger Lehrer der alten Sprachen befand, und der Dekan des Orts, Uhland (Oheim des Dichters), der Neffe meines Vaters war, so brachte man mich auf mehrere Monate dahin.

Bei all diesem körperlichen Jammer hatte ich meine Elastizität und Munterkeit beibehalten, denn mein Leiden war nie der Art, so bleich und mager es mich auch machte, daß ich zu Bett liegen mußte. Es war in mir kein fieberhafter Zustand, der mich verzehrte, es war nur der zu wenige Nahrungsstoff, der in mir haften blieb, was mich bleich und mager machte.

Der Frühling war da, ich hatte meine Blumenbeete aufs beste angesäet und bepflanzt, als ich nach Brackenheim abgeschickt wurde. Die abermalige Trennung fiel schwer, aber der Aufenthalt im Hause des Dekan Uhland ward mir durch freundliche Behandlung und den Umgang mit dem Sohne, der mit mir in fast gleichem Alter stand, erleichtert. Er hieß Ernst und paarte mit äußerm Ernste und Trockenheit ein sehr gemütliches und joviales inneres Wesen. Wir fanden uns später zu Tübingen auf der Universität wieder, wo wir miteinander im sogenannten Neuenbau wohnten. Er war der redlichste, offenste, treueste Mensch der Welt. Zum Jammer aller, die ihn kannten, starb er schon im frühern Mannesalter, als geschätzter Mensch und Arzt, in meiner Geburtsstadt Ludwigsburg.

Die Fortschritte in meiner Gesundheit durch die Mittel des Brackenheimer Äskulaps waren nur scheinbar oder nichts, das Übel blieb wie es war; bessere Fortschritte machte ich aber hier in Erlernung der alten Sprachen, denn dieser Lehrer gehörte unter die besten jungen Schulmänner der damaligen Zeit. Er paarte Strenge mit Wohlwollen. Er war oftmals unser Führer auf den Spaziergängen und beim Bade in den frischen Wellen der Zaber, das mir meiner Gesundheit wegen vorgeschrieben war. Eine Ohrfeige, die ich einmal von ihm erhielt, bleibt mir noch jetzt schmerzlich im Gedächtnis. Es geschah mir damals fast wie dem Knaben der »vox populi, vox Dei« mit den Worten »Die Stimme der Pappel, die Stimme Gottes« übersetzte, und dieser hatte doch gewiß recht.

Der St. Michaelsberg

Die Gegend von Brackenheim bot viele romantische Punkte zu Spaziergängen und Wanderungen dar, und oft machten wir zum Ziel derselben den Michaelsberg mit seiner alten, dem Erzengel Michael geweihten Kirche und seinem Kapuzinerhospize. Die Aussicht auf diesem Berge erstreckt sich besonders gegen die Gaue des Neckars und die lange Reihe der schwäbischen Alp.

Hier erblickt man eine Menge von Städten, Dörfern und Burgen; aber noch mehr als diese Fernsicht erfreuten mich immer die zwei alten langbärtigen Kapuziner in ihren kleinen, mit Blumen und Bildern geschmückten Zellen, oder in ihrem Klostergärtchen, wo sie die schönsten Blumen anpflanzten, die mir ein Heimweh nach meinen, im Kloster Maulbronn zurückgelassenen Blumen erregten. Das Innere der Kirche zeugte von hohem Alter: denn es fanden sich mehrere Säulen in ihr, deren Kapitale römischen Ursprung verrieten; ja sie soll ein Tempel der Luna gewesen sein; denn man will in ihrer Nähe früher einen Mondaltar gefunden haben.

Die Kapuziner aber waren lustige Brüder, wozu ihnen der rebenreiche Berg wohl Veranlassung gab, auch die vielen frohen Gesellschaften, die von nah und fern bei schöner Frühlingszeit, statt der ehemaligen frommen Wallfahrten, auf diesen Berg wanderten und auf seiner Höhe sich mit Spielen und Tanzen, Essen und Trinken belustigten. Die Kapuziner mit den grauen Bärten und braunen Kutten machten da oft wacker mit.

Man sagt, auf diesem Berge habe der heilige Bonifatius mit dem Teufel einen Zweikampf gehabt, in welchem ihm der Engel Michael zu Hülfe gekommen; dabei habe der Engel eine Feder aus seinem Flügel fallen lassen, dieser habe der Heilige dann eine Kirche hier gestiftet und zu Ehren Michaels eingeweiht. Die Feder, die lange Zeit in der Kirche bewahrt wurde, soll zur Zeit der Reformation von da weggekommen sein; man sagte, es habe sie ein alter Stadtschreiber aus Stuttgart, der von der katholischen zur lutherischen Kirche übergegangen, heimlich an sich gezogen. Vergebens baten die Mönche des Berges bei Herzog Ulrich um die Bestrafung des Stadtschreibers und Zurückgabe der heiligen Feder; sie erhielten keine Genugtuung. Darob in Zorn entbrannt habe der Erzengel Michael die Strafe der Vielschreiberei über Württemberg ausgeschüttet.

In spätern Jahren, als Student, besuchte ich einmal mit meinem Freunde, dem Dichter Ludwig Uhland, diesen Berg.

Es waren schöne Herbsttage, und Uhland rief mich damals in einem Briefe mit folgenden Worten aus Stube und Haus: »Welch herrliches Herbstwetter! es ist als riefe der Gott des Jahres uns zu: kommt herbei, die ihr nicht genossen des Frühlings, des Sommers arkadische Freuden, denen umsonst der Baum geblüht, die Rose geduftet! Die Halle meiner Freuden soll euch nicht ganz verschlossen werden, bevor auch ihr euren Teil davongetragen. Noch einmal schlag ich auf meinen blauen Himmel! Noch einmal laß ich meine Sonne herrlich leuchten. Meine Trauben sind reif, meine Weingärten geöffnet! Eilet herbei, die Zeit ist kostbar! Ersetzet, was ihr versäumt! Die ihr im Mai nicht von Liebe gesprochen, sprechet jetzt. Auch euer Liebchen rufe ich noch einmal in den Garten. Mädchen und Jünglinge! lebet und liebet!«

Wir hatten von Ludwigsburg an miteinander die Wallfahrt nach dem Michaelsberge angetreten. Als wir uns dem rebenbekränzten Berge nahten, tönten uns aus den offenen Toren der Kirche Gesang und Orgelklang entgegen. Wir traten in sie in sehr frommer, romantischer Stimmung ein. Da hörten wir einen der Mönche das Evangelium in deutscher Sprache absingen. Mehrmals kamen in diesem Gesang die Worte vor: »und als sie aßen von den Früchten des Weinstocks«, allein der Mönch sang, sooft diese Worte vorkamen, immer statt »des Weinstockes«, »des Schweinstockes«. Dadurch wurden wir in aller romantischen Andacht gestört und brachen endlich in ein konvulsivisches Gelächter aus, das uns die Kirche eilends zu verlassen nötigte, um nicht die Andacht anderer zu stören.

Erste kindliche Naturforschung

Der Lehrer hatte uns auch Unterricht in der Botanik erteilt und suchte auf solchen Wanderungen unsere Kenntnisse zu erweitern; aber ich konnte lange solchen Namensbestimmungen und Einregistrierungen der Blüten und Kräuter keinen Geschmack abgewinnen, und mir waren die Blumen, deren Namen ich nicht kannte, viel wunderbarer und lieber als solche, denen ich durch ihr Zergliedern und Zählen der Staubfäden einen Namen zu geben wußte, der mir ihr Wesen doch nicht bezeichnete. Ich gab den gesammelten Kräutern am liebsten Namen nach eigener Wahl, meistens nach mir bekannten Menschen. Der kurze Professor Mayer, seine schneeweiße Theresia, der komische Kutscher Matthias, der steife Prälat Mieg und seine Gattin mit dem Eulenkopfe, der grimmige Präzeptor Braun mit seinen Söhnen und Töchtern usw. fanden sich in meiner botanischen Sammlung je nach ihren Charakteren als Pflanzen verzeichnet, und selbst als Student in Kielmeiers Vorlesungen, ja sogar im Examen, verwechselte ich noch manche dieser von mir geschaffenen Benennungen der Pflanzen mit denen, die ihnen Linné schuf.

Käfer und Schmetterlinge fing ich nie zu toten Sammlungen; sie waren mir nur ihrer Verwandlung wegen merkwürdig. Diese beobachtete ich genau, wodurch schon früh mir die Ahnung wurde, daß, wie zwischen der Raupe und dem Schmetterling noch ein Mittelzustand, der der Puppe, liegt, dieses auch bei den Menschen nach dem Tode der Fall sein werde. Aus dieser Naturanschauung ging hauptsächlich der später von mir verteidigte Glaube eines Mittelreichs hervor, eines Zustandes, in dem der Mensch sich selbst anheimgestellt, wie die Raupe die Flügel zum Schmetterling, die Flügel einer höhern Psyche erst entwickelt und zu solcher reif wird. – Aber auch das Unerbittliche (ich möchte sagen die Grausamkeit) der Natur lernte ich früh mit Trauer erkennen, als ich einen Käfer sah, der zufällig auf den Rücken gefallen war und sich nun nicht mehr auf die Beine bringen konnte, und den in dieser hülflosen Lage noch am Leben Ameisen aushöhlten. Der fiel mir als Arzt nachher oft bei armen hart leidenden Menschen ein.

Naturhistorische Schriften und Reisebeschreibungen wurden in den Stunden, die nicht für Erlernung der alten Sprachen bestimmt waren, auch hier mit Lust und Liebe gelesen, namentlich Bonnets, Bertuchs, Hallers Werke, ferner die Reisebeschreibungen von Campe, und das Entzücken aller Kinder – sein Robinson. Das Vergnügen, das mir damals das erste Lesen dieses Buches machte, hat bis auf den heutigen Tag das Lesen eines andern Buches noch nicht überstiegen. Neben diesem Buche standen Tausend und eine Nacht, Musäus Volksmärchen und all die alten Volksbücher, Heymonskinder, Magelone, Siegfried usw., die die Reutlinger Buchhändler auf den Jahrmarkt in das Städtchen sandten.

Die Reise nach Heilbronn und der Wunderdoktor

Mit meinen körperlichen Leiden blieb es, wie ich schon anführte, auch hier beinahe immer auf derselben Stufe. Ich war sehr abgemagert, bleich und hoch aufgeschossen, jedoch noch immer in keinem fieberhaften Zustande und nicht geschwächter als früher. Nachdem man mich auch hier mit Arzneien überhäuft, sah man ein, daß auch der gerühmte Äskulap von Brackenheim für dieses Leiden kein Kräutlein finde. Dagegen wurde damals viel von den Wunderkuren des russischen Geheimerats Dr. Weickardt gesprochen, der sich zu Heilbronn aufhielt, Leibarzt der Kaiserin Katharine gewesen war und sich durch seine Schriften als gewaltiger Brownianer bekannt gemacht hatte. Unter dessen prüfende Augen sollte ich nun gestellt werden. Es kam zu diesem Zweck meine gute Mutter nach Brackenheim und fuhr eines Morgens im väterlichen Gefährt mit den Rappen unter Leitung des Matthias mit mir nach Heilbronn ab.

Wir stiegen auf dem Marktplatze bei der Mutter des Fräuleins vom Osterholz (der Frau von Stetinkh, die hier getrennt von ihrem Manne lebte) ab. Es war bald Mittag, als wir ankamen. Matthias holte mich sogleich auf den freien Platz vor dem Rathause, denn es war bald zwölf Uhr, wo die Böcke an der künstlichen Uhr des Rathauses zwölfmal gegeneinander stoßen, und der Engel posaunt. Das war ein neuer Anblick, besonders für Matthias, der, als die Böcke mit dem Schlag zwölf Uhr zu stoßen anfingen, ihre Bewegungen nachmachend, mit dem Kopfe vorwärts stoßend einen mächtigen Satz machte und einen vorübergehenden Herrn in einem roten Bordenrocke und einem Höcker dergestalt auf denselben stieß, daß derselbe unaufhaltbar unter einen dort stehenden Güterwagen fiel. Der Herr erhob sich zum Glücke unverletzt wieder und sah sich, einen Augenblick auf sein spanisches Rohr gestützt, nach der Ursache seines Falles um, aber Matthias hatte sich noch schneller als der Herr erhoben, unter die auf dem Markte stehende Menge gemacht, und ich blieb, nach dem soeben posaunenden Engel schauend, stehen, als bemerkte ich sonst nichts. Aber das bemerkten ich und Matthias, als wir nach Hause kehrten, zu unserer großen Verlegenheit, daß der Herr in dem roten Rock nun gerade auch auf das Haus zulief, zu dem wir zurückkehrten, auf die Wohnung der Frau von Stetinkh, dort anläutete und nun fast zu gleicher Zeit mit uns die Treppe hinaufstieg, während er immer an seinem staubig gewordenen Rocke wischte. Ich wußte nicht, sollte ich umkehren: denn ich befürchtete, er komme nur, uns seines Falles wegen zu verklagen; aber Matthias hatte Unverschämtheit genug und rief dem Herrn zu: »Erlaubens! Sie sind auf Ihrem Rücken ganz weiß wie ein Zuckerhut«, und klopfte ihm dabei unter Danksagung des Herrn den Höcker aus, auch reinigte er ihm noch vor dem Zimmer den bestäubten Hut, während ich in dasselbe mit großer Bangigkeit und Herzklopfen vorausgeeilt war. Der Herr trat ein und wurde von der Frau von Stetinkh als der Herr Geheimerat Weickardt bekomplimentiert und ihm meine Mutter und ich als die Ursache vorgestellt, wegen der sie sich die Freiheit genommen, ihn zu sich zu bitten, denn die Frau Regierungsrätin sei von der Reise sehr ermüdet und ihr Söhnlein, wie er sehe, äußerst angegriffen und erkrankt.

Ich stand in einer Ecke des Zimmers, mager und weißlichblau, wie eine Thermometerröhre, die man mit blauem Spiritus gefüllt hatte, und mußte nun auf den Ruf meiner Mutter: »Christian, wo bist du?« vor den auf dem Sofa platzgenommenen Geheimerat mich stellen. Es war eine kleine, stark ausgewachsene Figur, mit hoher Frisur, blitzenden grauen Augen und sehr beweglichen Gesichtsmuskeln. Meine Mutter hatte ihm einen schweren Pack Rezepte der von mir früher gebrauchten Ärzte überreicht, die er flüchtig durchging, während er bald in den Ruf: »Entsetzlich!« bald in den: »Verkehrt!« bald in den: »Lächerlich!« bald in den: »Tödlich!« ausbrach und endlich den Pack mit den Worten beiseite legte: »Mich wundert nur, daß Ihr Herr Sohn noch lebt, ob er gleich in Wahrheit zum Gespenste herabgebracht worden zu sein scheint!« Ich erwiderte: »Ich habe diese Sachen in dem Pack alsbald wieder herausgebrochen und so konnten sie mich nicht töten!« »Das war noch das Beste!« versetzte der Herr Geheimerat mit lautem Gelächter. »Nun, was ich Ihnen jetzt verordne«, sprach er weiter, »muß bei Ihnen bleiben.« Ach! dachte ich, nur das nicht, sonst muß ich sterben! – Das Männlein kam mir wie der gestiefelte Kater vor, der mir aus dem alten Märchen bekannt war; es war mir plötzlich, als hätte ich an ihm, als er am Wagen umgefallen war, auch einen Schwanz hinten bemerkt. Es wurde mir ganz märchenhaft und wunderbar zumute, als er nun seine Finger ausstreckte, die ziemlich große Nägel hatten, mir den Puls fühlte und dann die Augenlider mir mit denselben auseinander zog und mit seinen grauen blitzenden Augen tief in den Augenstern hineinsah, während er das Kinn auf dem goldenen Knopfe seines spanischen Rohres aufgestützt hielt. Ich bekam Herzklopfen, es kam mir vom Bauche kalt bis in die Stirne herauf, die Leute, die um mich waren, sah ich alle in Tiergestalt und fiel auf einmal bewußtlos zu Boden. »Das ist die erklärteste Asthenie (hörte ich den Herrn Geheimerat sagen, als ich von kölnischem Wasser duftend wieder zu mir kam) und da werden Hopelpobel und Pfefferkörner die zweckmäßigste Diät sein!« – Und ich werde sie sogleich wieder herausbrechen, daß ich nicht sterbe, dachte ich bei mir.

Der Herr Geheimerat verschrieb mir nun eine Mixtur zu stündlichem Gebrauch und eine Einreibung in den Magen, auch gab er eine lange diätetische Vorschrift, in welcher Hopelpobel und Pfefferkörner eine Hauptrolle spielten.

Hopelpobel war ein Getränk von Tee, Eigelb und Kirschengeist, echt russischer Art, wie wahrscheinlich auch der Name Hopelpobel. Pfefferkörner sollten nach jeder Speise geschluckt werden, sagte der Herr Geheimerat zu meiner Mutter. »Furchtbare Asthenie durch zu schnelle Entwicklung ist es, sonst nichts«, sprach er, »und da müssen nur stärkende Mittel gereicht werden.«

Meine Mutter versprach, ihm in allem Folge zu leisten und ihm Nachricht von dem Erfolge seiner Mittel zu geben und sich seinen fernem Rat zu erbitten. Nach erhaltenem Honorar entfernte sich der Herr Geheimerat sehr freundlich, indem er mir strenge Diät und Folgsamkeit empfahl und gewisse Genesung versprach. »Glauben Sie mir, liebe Freundin«, sagte die Frau von Stetinkh zu meiner Mutter, »die Heilungen dieses Mannes sind ganz entsetzlich, Menschen, die man begraben wollte, brachte er durch Hopelpobel wieder ins Leben, und ich bin versichert, daß der liebe Christian durch die Heilmittel dieses erstaunlichen Arztes in wenigen Wochen von seinem Übel befreit wird; aber sogleich werde ich ihm den Hopelpobel bereiten.«

Das amerikanische Nilpferd

Statt des Mittagessens mußte ich nun ein paar Tassen Hopelpobel trinken, die ich sogleich auch wieder von mir gab; doch blieb von dem geistigen Getränke noch so viel im Magen zurück, daß ich dadurch aufgeregt wurde und es nicht anders tat, als daß man mich abends mit Matthias auf den, eine halbe Stunde entfernten, sogenannten Wartberg spazieren ließ. Dem Matthias war es bei diesem Gange hauptsächlich darum zu tun, dem berühmten Jäger Nast, der das Wirtschaftsgebäude auf diesem Berge bewohnte und den Wirt machte, kennenzulernen. Nast hatte einen Hirsch zum Reiten und zu andern Künsten abgerichtet, einen Hasen die Trommel zu schlagen und einen Esel wahrzusagen gelehrt. Wir gingen zum sogenannten Sülmertor hinaus. Da begegnete uns bald ein Bauer mit einem stattlichen Pferde an einem Frachtwägelchen, der die gleiche Straße fuhr. »Ei!« schrie der Bauer, »daß wir uns hier begegnen, mein lieber Vetter Matthias!« Matthias erkannte in ihm einen nahen Verwandten, einen Frachtbauer aus der Gegend von Öhringen, und freute sich des Zusammentreffens. Aber als er von dem Jäger Nast und seinen Tieren auf dem Wartberg sprach und daß er dahin gehe, diesen kennenzulernen, da umwölkte sich des Vetters Stirn gewaltig, und er brach in Schimpfreden gegen den armen Jäger aus. »Nun«, sagte er, »dies gute Pferd und noch etwas Geld dazu habe ich freilich durch ihn gewonnen, aber den Schlag, den mir der undankbare Geselle mit der Fläche der Klinge seines Hirschfängers über die Schulter versetzte, und die Schimpfreden, die er mir gab, werde ich nie vergessen, und kommt ihr zu ihm, so sagt es ihm nur, und sagt nur aller Welt, daß das Tier, das er für ein amerikanisches Nilpferd zu Frankfurt ausgegeben, nichts als ein alter haarloser Karrengaul gewesen.« Matthias sprang vor Lachen hoch auf und sagte: »Das wäre doch ganz possierlich, und könntet Ihr es beweisen, wollte ich es aller Welt erzählen, auch Euch für die erhaltenen Schläge rächen.« – »Warum sollte ich es nicht beweisen können?« sagte der Bauer, »man frage nur den Scharfrichter zu Steinfurt bei Oehringen. Der Gaul hatte die Strengel, ich schüttete ihm vieles ein, allein es half nichts, bis der Scharfrichter ihm einen starken Trank von Savenbaumzweigen gab; darauf verlor sich die Strengel, allein mit derselben verloren sich alle seine Haare, das Tier wurde ganz und gar haarlos und glatt wie ein Stiefel, selbst die Augenwimpern fielen ihm aus, und sein Schwanz wurde wie ein Aal. Da war es vor einem Jahre im Frühling, als ich den Gaul an meinem Wägele diese Straße hinfuhr, daß mir dieser Jäger Nast begegnete und den Gaul ansah; da schwatzte er mir vor, wie viel ich gewinnen könnte, würd ich mit diesem Pferde unter seinem Schutze auf die Frankfurter Messe ziehen; denn da wollte er es dann mit seinen andern Tieren ums Geld sehen lassen, aber verschweigen müsse ich, daß es ein gewöhnlicher Gaul sei; man müsse es als eine ganz neue Tiergattung aus einem fremden Weltteile ausposaunen, und dafür solle ich nur ihn sorgen lassen. Unter solchem Zureden verfolgte er mich bis in den Gasthof zum Adler, wo ich meinen Gaul einstellte, setzte sich mit mir an den Wirtstisch und trank mir weidlich zu. Noch war an demselben Tische so ein junger Student von Heilbronn, der dem Nast wohlwollte, der mischte sich auch in unser Gespräch und redete mir sehr zu, doch mit dem Nast und dem Gaule nach Frankfurt zu ziehen; auch gab er den Rat, das Tier dort für ein amerikanisches Nilpferd auszugeben, dann werde es Schaulustige genug finden, und krepiere es dort, werde es von den Herren Gelehrten in die Sammlung ausgestopfter seltner Tiere, die man dort habe, gewiß um schweres Geld erstanden.

Nach solchen Reden willigte ich ein, und nach ein paar Tagen waren wir in Frankfurt mit dem Gaul und den Tieren. Der Nast ritt dort auf seinem Hirsche umher und verkündigte: daß er neben einem trommelschlagenden Hasen und einem wahrsagenden Esel auch ein lebendiges amerikanisches Nilpferd besitze, was derzeit in Europa noch nicht gesehen worden sei. Der Zulauf war sehr groß, und Nast sagte mir den dritten Teil der Einnahme zu. Aber nach wenigen Tagen wurden wir uneins; Nast schien meiner Person überdrüssig zu werden, doch nicht des Nilpferdes, und als ich seinem wahrsagenden Esel, der nach mir geschlagen, einen Tritt versetzte, so zog er seinen Hirschfänger vom Leder und gab mir eine Fuchtel auf den Rücken, was mir zu grob war. Kurz, wir trennten uns, und ich verkaufte das Pferd ganz ehrlich als ein altes haarloses Pferd an einen vornehmen Herrn, der mit Löwen und einem Elefanten reiste, um ein gutes Stück Geld, doch unter dem Versprechen, das Herkommen des Tieres wenigstens ein Jahr lang zu verschweigen.

Nun ist das Jahr vorüber, und ich kann es nicht länger verschweigen, dem Nast zum Possen, der mir die Fuchtel gab.« – »Man soll es erfahren, und dafür laßt mich sorgen, lieber Vetter!« versetzte Matthias mit innerer Freude über den Spuk dieser zweien. »Es sind wohl viele Heilbrunner da oben, da will ich es erzählen.« Nun wünschten sich Matthias und sein Vetter baldiges Wiedersehen. Der Fuhrmann fuhr die Straße nach Weinsberg hin, und wir lenkten links gegen den Wartberg ein.

Ein wunderlicher Tänzer

Während wir den weinbekränzten Berg hinanstiegen, begegneten uns viele schöngeputzte Damen und Herren, man sagte uns, es sei der Wochentag, an welchem auf diesem Berge große Konversation und Tanzbelustigung in dem weiten Saale des obenstehenden Gebäudes stattfinde. Als wir in den Saal traten, fanden wir ihn auch von Tanzenden erfüllt. Auf einmal stand alles still; eine hohe Mannsgestalt, den Leib nachlässig und malerisch nur mit einem Tuch umschlungen und auch das Haupt zur Hälfte in ein Tuch gehüllt, war eingetreten. Dieser Mann war ein Wahnsinniger, wie man mir in späterer Zeit erklärte, man hieß ihn den »Salzburger«, auch den »Josephle«. Über seinem Herkommen und Schicksale lag ein Schleier, und man wußte nur so viel aus seinen irren Reden, daß er einmal eine hohe Stelle zu Salzburg oder im Salzburgischen bekleidete, daß er dort widrige Schicksale erfahren, namentlich Freundestreubruch, unglückliche Liebe, und daß er geisteszerrüttet nach Schwaben und in die Wälder des württembergischen Unterlandes geriet, in welchen er sich nun in einem irren halbwilden Zustande umhertrieb. Nachts und zur Winterzeit kam er in die Dörfer, wo er oftmals in den Backöfen, die vor den Ortschaften standen, übernachtete.

Hie und da ging er in ein Pfarrhaus, nahm aber nie Geldgeschenke, sondern notdürftig Nahrungsmittel an. Mit den Geistlichen sprach er lateinisch und griechisch und spielte auf dem Klavier wunderliche Phantasien. Sein Gang zeigte Grazie und Würde, so auch die Art, mit der er Haupt und Körper mit geschenkten Tüchern umhüllte und auch oft sich mit Blumen bekränzte. Wollte man ihn fragen über sein Herkommen, seine Schicksale, so wurde er einsilbig oder sprach in irren unverständlichen Reden. Ungezogene Knaben eines Dorfes, die ihn einmal verfolgten, hatten ihm ein Auge ausgeworfen, was er mit einem turbanartig um den Kopf gewundenen Tuche verdeckte.

Er suchte immer die tiefste Waldnacht, aus der ihn nur Hunger oder auch Musik, hörte er sie aus der Ferne, locken konnten.

Es war auf diesem Berge eine Warte, ein hoher Turm mit einem Knopfe aus Eisenblech, in den man durch Treppen und ein Türchen eingehen konnte, und dieser Knopf war so groß, daß, wie man sagte, sieben Schneider in ihm ungehindert arbeiten konnten. Sonst hatte der Turm kein Gemach und keine Bewohner. Schon seit mehreren Nächten hatte der Wahnsinnige in diesem Turmknopfe seine Schlafstätte genommen. Die Musik, die von dem Berge in den nahen Wald tönte, hatte ihn aus demselben gelockt. Er war in den Saal getreten in dem beschriebenen Aufzuge, den man schon an ihm gewohnt war. Alles hielt zu tanzen inne, er aber hatte sich einem sehr lieblich scheinenden Mädchen in blauem Kleide genähert, soll still vor sich hingesagt haben: »Ja! ja! ein solches Kleid trug sie!« bot ihr den Arm zum Tanze, sie sträubte sich nicht, man kannte ihn schon, da tanzte er mit ihr voll Grazie und Rhythmus, während die ganze Gesellschaft das Paar umstand, ein paarmal auf und nieder, führte sie zur Mutter, von der er sie genommen, Dank murmelnd, und verschwand dann wieder so unerwartet und schnell aus dem Saale, als er hereingekommen war.

Der Magnetiseur Gmelin

Mir als Knaben kam durch dieses Mannes Aufzug mein Robinson in den Sinn, und ich wäre ihm gern bis in den Wald nachgegangen, hätte mich nicht Matthias festgehalten und in ein Nebenzimmer des Saales geführt, wo ihm ein Herr, wie er sagte, einen Schoppen eingeschenkt, weil er ihm die Geschichte vom Nastischen Nilpferd erzählte und meine Krankheitsgeschichte.

»Er kennt Ihren Herrn Vater«, sagte er, »und verlangt Sie zu sehen, es ist ein ›gemeiner‹ Herr und Sie dürfen sich nicht fürchten.« Inzwischen war auch der Jäger Nast hereingekommen, der hier den Wirt machte. Er hatte der Gesellschaft ein Buch gebracht, das aus lauter Zeugnissen von hohen Herrschaften bestand, die die Künste seiner Tiere mit Befriedigung gesehen hatten; auch fanden sich in ihm die Tiere in Abbildungen. Er erzählte, wie er erst kürzlich den Hirsch, der jetzt in der Brunft sei, wo sich kein Mensch ihm zu nähern wagen dürfe, nur mit Blicken, als er gerade auf ihn mit seinen Geweihen wie rasend zurennen wollte, zum Stehen und Gehorsam gebracht, sich auf ihn geschwungen und ihn geritten habe, während der Hase dazu einen Marsch getrommelt, »und der Esel«, versetzte der Bekannte meines Vaters (der mich zu sich gerufen hatte), »die Trompete blies, und das amerikanische Nilpferd! ha! ha! Herr Nast!« – »Ach!« fuhr ihm Nast in die Rede, »schweigen Sie doch von diesem Tiere; ich habe es ja nicht mehr, es war ja nie mein Eigentum«, und damit entfernte er sich mit dem Buche schnell aus dem Saal. Der Herr, der mich an der Hand hielt und ein Bekannter meines Vaters war, war der als Arzt und Magnetiseur damals sehr berühmte Hofrat Dr. Gmelin von Heilbronn. Er sah mich immer sehr mitleidsvoll und liebreich an, und ich faßte ein großes Vertrauen zu ihm; aber noch schien ihn Matthias' Erzählung vom Nastischen Nilpferd sehr zu beschäftigen; Matthias mußte die Aussage seines Vetters wiederholen und tat das auf eine sehr possierliche Weise, daß alles in lautes Gelächter ausbrach.

»So geht es doch oft mit uns Gelehrten«, versetzte Gmelin, »Blumenbach hielt eine Vorlesung über dieses Tier und erklärte es für keinen Betrug, sondern für eine höchst merkwürdige, bisher noch unbekannt gewesene Pferderasse; und erst kürzlich las ich in einem Berliner Blatte, daß das Tier dort um einen bedeutenden Preis verkauft wurde und alle Naturforscher sich die Köpfe zerbrachen, was sie aus ihm machen sollten, und das seltsamste Zeug darüber aushecken.«

Einer der Herren hatte den Nast wieder herbeigerufen; da foppten sie ihn alle gar gewaltig mit dem amerikanischen Nilpferd. Er leugnete aber die Sache nicht, sondern erzählte sie ganz gemütlich fast ganz so, wie der Bauer und Matthias sie erzählt hatten. »Nun ja«, sagte er zu Gmelin, »ich foppte damit nur etwas die Herren Gelehrten, und nun mögen sie mich auch foppen, sie foppen sich selbst damit; wie manchen foppten die Herrn Ärzte schon mit Mitteln, die sie für Heilmittel ausgaben und die es nicht waren!« – »Ja, ja«, versetzte Gmelin, »da sage ich nichts dagegen!« Bei diesen Worten sah er mich inniger an und sagte dann leise zu mir: »Ja, liebes Kind, auch du wurdest von Ärzten schon sehr gefoppt! Komm mit mir einmal, ich schütte dir keine Arznei ein.« Er führte mich nun eine Treppe empor in ein kleines Zimmerchen von Nast, das an den Wänden mit vielen ausgestopften Vögeln verziert war, hieß mich auf einen Stuhl setzen, sah mir mit seinen schwarzen Augen fest ins Auge und fing mich mit seinen ausgereckten Händen vom Kopf bis in die Magengegend zu bestreichen an; er behauchte mir auch mehrmals die Herzgrube. Ich wurde ganz schläfrig und wußte endlich nichts mehr von mir. Ich mag lange schlafend gesessen sein, als ich erwachte und den Matthias vor mir sah; der Herr aber war nicht mehr da, und ich sah ihn in meinem Leben nicht mehr. Auch Matthias wußte nicht, was der Herr eigentlich mit mir getan; er hatte ihm nur im Weggehen gesagt, er hoffe, daß es sich mit meinem Leiden bessern werde, nur solle man mir keine Arzneien mehr geben. Dies erzählte mir Matthias, und ich merkte es mir gar wohl für die Zukunft.

In spätem Jahren begriff ich, daß mich der Herr magnetisiert hatte. Nast war so gutmütig, daß er dem Matthias die Erzählung vom amerikanischen Nilpferde wohl verzieh, oder hatte er vielleicht nicht gehört, daß solcher sie gemacht; denn er nahm uns noch sehr freundlich zu seinen Tieren mit, nur den Hirsch, der gerade in der Brunft war, bekamen wir nicht zu sehen; dagegen trommelte uns der Hase und schoß eine Kanone los, der Esel kratzte auf Matthias Frage: »Wie lange lebe ich noch?« nur einmal mit dem Fuße, was dem Matthias ein Jahr lang große Unruhe machte. War dies eine geflissentliche Veranstaltung Nasts, oder witterte der Esel in Matthias einen Verwandten jenes Frachtbauern, der in Frankfurt seinen Rücken bläute, und wollte er durch die Prophezeiung, daß Matthias nur noch ein Jahr lebte, an ihm Rache nehmen? Wir müssen es unentschieden lassen.

Das Rosengärtchen am Kirchhofe

Auf dem Rückwege mußten wir ziemlich eilen, denn es zog ein starkes Gewitter am Himmel auf. Matthias schleppte mich durch enge Gängchen zwischen zwei Kirchhöfen hindurch, aus deren einem ein hohes Kreuz von Stein ragte, an das vom Sturme hin und her getriebene Trauerweiden schlugen. In seiner Nähe außer der Mauer setzte ich mich schlaftrunken auf einen Stein. Matthias fürchtete sich vor Gewittern und sagte im Scherze, er wolle mich da sitzen lassen; das brachte mich wieder auf die Beine. Wir waren an einem Gartentore vorübergegangen, über dasselbe war eine Rose, der die Blätter abfielen, eingegraben, und unten waren in lateinischer Sprache die Worte eingehauen: »Schaue mich an und denke dein!« In spätem Zeiten wurden diese Kirchhöfe vereinigt, und es verschwanden die Gängchen zwischen ihnen. Dagegen sah man an ihrem Ende ein gar liebes Gärtchen, das ein Blumenfreund angelegt und vorzüglich mit Rosen aller Art bepflanzt hatte. Der Flieder an der Kirchhofmauer und die Rosen des Gärtchens an ihr bogen ihre Häupter zueinander. Mitten im Gärtchen aber, versenkt unter den Rosen, war ein Bauer, in dem immer eine Amsel die Melodie sang: »Pflücket die Rosen, eh sie verblühn!« – Ich hörte manchmal, wie die Melodie dieses Vogels sich mit dem Trauergesange über der Mauer vermischte.

Unter Blitzen, Donnerschlägen und strömendem Regen kehrten wir wieder zu den Frauen zurück.

Die magnetischen Träume und die allmählige Genesung

Die Frauen hatten nichts Eiligeres zu tun, als mich auskleiden und ins Bett bringen zu lassen, wo man mir, noch ehe man mich allein ließ, ein paar Tassen Hopelpopel anzwang. Mein Bett stand nächst einem Fenster, das zu der schönen alten Kirche am Markte und ihrem künstlich erbauten vielfach durchbrochenen Turme, auf dessen Spitze ein Ritterbild stand, sah. Der Sturm hausete besonders von diesem Turme her in den sonderbarsten schauerlichsten Tönen; denn an verschiedenen Seiten des Turmes waren Schallöcher angebracht, die, wenn der Sturm in sie blies, schauerliche Töne stoßweise über die ganze Stadt verbreiteten. Von Blitzen erleuchtet standen Turm und Kirche bald in Feuer, wie auf Goldgrund mit ihren schwarzen Umrissen; bald verschwanden sie wieder in die finsterste Nacht. Als aber die Wolken sich entleert hatten, trat der Mond an den reinen Himmel, und Kirche und Turm standen in einer Schönheit vor mir, wie ich Gebäude der Art noch nie sah. Lange verweilte mein Blick auf ihr und spielte meine Phantasie mit den schönen Umrissen des Turmes mit seinen Steingebilden, grotesken Köpfen von Tieren und Menschenfratzen, die als Köpfe von Rinnen aus ihm ragten, und mit seiner künstlich durchbrochenen Wendeltreppe, die sich um ihn fast bis zu seiner Spitze mit dem auf ihm stehenden Ritterbilde schlang. Die vom Monde erhellten Kirchenfenster malte ich mir in Gedanken selbst mit den buntesten Bildern aus. Nach und nach gingen aber alle diese Bilder mit mir in Schlummer und Traum über. (Und nun sei mir erlaubt, hier das erstemal in diesen Blättern Dichtung mit Wahrheit zu verbinden und den Traum, den ich da von dem auf dem Turme stehenden altdeutschen Bilde, von meinem Bruder Georg und von den Bildern auf den Fenstern der Kirche hatte, und der mir in völliger Klarheit nicht mehr erinnerlich ist, so wieder zu träumen.)

Mir träumte: ich stand an der vor mir liegenden Kirche. Es war Mondschein, alles stumm und tot. Ich sah an dem Turm empor; da sah ich, wie das Steinbild, das auf seiner Spitze steht, sich bewegte, ja wie es endlich einen Fuß über den Turm hinausstreckte, wie einst Kaiser Maximilian auf dem Kranze des Ulmer Münsters. Aber noch mehr erstaunte ich, als das Steinbild die durchbrochen daliegende Wendeltreppe des Turmes sichtbar und hörbar hinabstieg, immer näher nach unten kam, bis ich endlich seinen Gang durch die Kirche hörte. Die Türe der Kirche öffnete sich und da stand das Bild vor mir, war aber kein Steinbild mehr, nicht mehr der Ritter (ich hielt dieses Bild für den Ritter St. Georg), diesen sah ich wieder oben stehen, sondern es stand mein Bruder Georg vor mir, der noch lebte und sagte: »Siehe da auf die Uhr, die Böcke stoßen sich zwölfmal, der Hahn kräht, und der Engel posaunet, da war meine Zeit um.«

(Mein Bruder Georg starb im Jahre 1812. Der Traum, der mir ihn auf der Spitze des Turmes in der Gestalt jenes Steinbildes, das den Fuß noch über den Turm hinausstreckte, figurierte, wollte wohl mit sein Leben andeuten, in dem er so oft Wagnisse begann und auf schwindelnder Höhe über Abgründen stand.)

Der Traum ging aber noch weiter. Ich trat in die Kirche; sie war hell vom Monde beleuchtet, und besonders brannten die Glasgemälde ihrer Fenster in nie gesehener Farbenpracht. Die Bilder in den Gemälden, die ich auf ihnen erblickte, waren aber völlig lebend und bewegten sich. Wie Bilder einer Laterna Magica kamen sie, je nachdem der Mond schien, mir völlig nahe und traten dann in Lebensgröße wie von den Fenstern heraus in die Kirche, bald schwebten sie wieder zurück und wurden klein, doch je kleiner, je heller, lebendiger und beweglicher. Es waren aber diese Bilder keine Bilder von Heiligen, sondern von Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, die aber in spätem Jahren meines Lebens und besonders in dieser Stadt mir vorkamen und tief in mein Leben eingriffen, was ich freilich jetzt noch nicht ahnte und nicht zu deuten wußte, was mir aber später in völliger Klarheit vor Augen trat. Oft gruppierten sich diese Bilder, und ich erblickte mich immer selbst unter ihnen, zu Darstellungen, die immer wieder wechselten, und später erkannte ich, daß diese Szenen aus meinem damals noch kommenden Leben gewesen.

Auf all den Fenstern und in all den Darstellungen erblickte ich unter andern Frauen- und Männergestalten immer eine Gestalt wieder, und diese leuchtete mir aus allen klar heraus, und schien sie mir zu verschwinden, wandelte mich eine Angst an, und ich suchte sie, bis ich sie wieder sah. Nachher erkannte ich in der treuen Gefährtin meines Lebens diese damals auf diesem Kirchenfenster im Traume gesehene Gestalt wieder. – Nach und nach verwandelten sich in diesem Traume Bilder, Kirche und Turm zu andern Gestalten, ich sah meinen Matthias und den bucklichten Geheimerat im roten Bordenrocke miteinander auf dem Hirsche des Jägers Nast auf dem Marktplatze reiten und ihnen den Professor Mayer auf dem amerikanischen Nilpferde nachjagen. Sie jagten immer in einem Kreise umher, wie von einem Wirbelwinde getrieben, der sie auch endlich, sie immer herumwirbelnd, hoch in die Lüfte hob, bis sie unter Wolken verschwanden, und ich mit einem Erbrechen des aufgedrungenen Hopelpopels erwachte.

So weit Dichtung mit Wahrheit – aber reine Wahrheit ist, daß ich von dieser Zeit an durch mein ganzes Leben voraussagende Träume behielt, die mir zu einer wahren Qual im Leben wurden, eine Qual, die ich keinem wünsche und die mich gleichsam praktisch kennenlehrte, welch ein Unglück es für den Menschen wäre, hätte ihm Gottes weise Hand die Zukunft nicht verschlossen. Diese voraussagenden Träume finden bei mir gegen Morgen statt, besonders wenn eine schlaflose Nacht mich erst gegen Morgen ruhen und in Schlaf sinken läßt. Sie kamen immer unter Bildern und symbolisch vor. Erscheinen von Licht bedeutet kommende Freude (ach! es erscheint mir solches in meinem Alter immer seltner!)

Nachdem mich diese Lichtträume lange als frohe Vorbedeutung durchs Leben begleitet, träumte mir einmal (es war im vorgeschrittenen Alter), ich sehe an den vier Ecken meines Hauses eine leuchtende Glut, die aber einer mit einem Zweispitz herauszuhauen trachtete. Ich konnte mir wachend den Traum nicht sogleich deuten, hoffte noch auf eine kommende Freude, aber später erkannte ich, daß mir durch diesen Traum symbolisch angedeutet wurde, es solle fortan mit jenen Lichterscheinungen (Freuden) aus sein, sie sollen gleichsam aus meinem Hause herausgehauen werden: denn von dort an hatte ich keinen Traum von Licht mehr und kam auch keine wahre Freude mehr in mich. Seit damals scheint mich auch meine Grundzahl verlassen zu haben, die Zahl Sieben, in der mir immer etwas Freudiges wurde, während sie jetzt im Gegenteil immer nur Trauer bringt.

Zu den lichten Erscheinungen, als Freude bedeutend, gehört noch: daß mein verstorbener Tochtermann Dr. Niethammer zu Heilbronn sehr oft, wenn er wegen irgend eines Vorfalles in Kummer wachend im Bette lag, vor sich einen Stern im Zimmer sah, was ihm immer bedeutete, daß ihm bald wieder Freude werden würde, aber in seiner letzten, fast ein Jahr lang andauernden Krankheit, von der er nicht mehr genas, geschah das nicht, er sah nie den Stern mehr. Wasser bedeutet bei mir Verdruß und Betrübnis; springendes Wasser keine Betrübnis, mehr Freude; Kot wüste Händel; Schnee und Eis Krankheit; so auch Essen von Trauben, schwarzen Beeren, auch andern Beeren, Krankheiten, letzteres besonders Krankheiten von Kindern; Blut bedeutet Verdruß mit Verwandten; Fliegen im Traume deutet auf Kummer, den man gerade hat. Merkwürdig ist, und noch einer Erklärung wartend, daß nicht nur ich, sondern auch andere, die Bemerkung machten: daß, wenn sie von einem Zimmer träumten, welches das ihre sein sollte, es nie dasselbe war, es immer ganz anders gestaltet und möbliert war.

Diese voraussagenden Träume entstehen völlig von der Herzgrube, den Solarnervengeflechten aus, und kommen beim Erwachen einem zur Erinnerung nur solange das völlig wach gewordene Gehirn noch nicht das Übergewicht über jenes erhielt. Will man erwacht mit dem Gehirn darüber nachdenken, so entstehen oft in der Herzgrube (dem Solargeflechte) Schmerzen, und man muß mit dem Gehirn zu denken aufhören.

Da ich auf das Eintreffen solcher voraussagenden Träume gewiß rechnen kann, so sind sie mir eine wahre Pein im Leben, besonders da ihre Erfüllung oft erst nach drei Tagen stattfindet, doch meistens am gleichen Tage des Erwachens aus ihnen.

Bei meinem damals ohnedies vorherrschenden Gemütsleben hatte jene magnetische Manipulation, so kurz sie auch war, ein magnetisches Leben in mir erweckt, das mir von dort an jene voraussagenden Träume und Ahnungen gab und in mir später selbst eine Vorliebe für die Erscheinungen des Nachtlebens der Natur, für Magnetismus und Pneumatologie schuf. Von da an schien auch wirklich eine Abnahme meines körperlichen Leidens sich einzustellen. Ich wurde zwar sehr geplagt, die Vorschriften des Herrn Geheimerats Weickardt getreu zu befolgen; aber ich tat es nicht, nahm zwar dessen Arzneien von meinen Eltern ein, aber brach sie geflissentlich sogleich wieder; denn ich hatte das innere Gefühl, daß sie nur schaden würden. Darauf verschonte man mich mit denselben, und das Übel verschwand nach und nach, auch mit Aufhören des schnellen Wachstums. Bis ins höhere Alter blieb mir aber die Eigenheit, daß in mir die der willkürlichen Bewegung sonst nicht unterworfenen Muskeln des Magens ganz meinem Willen sich unterordneten, daß ich ohne vorausgegangenes Wehsein, nach meinem Willen, was in den Magen gekommen, wieder aus demselben, wie aus einer Hand, werfen konnte. Auch die Bewegung der Regenbogenhaut meiner Augen (der Iris) blieb meinem Willen unterworfen, ich konnte ohne Einfluß des Lichts, bloß mit meinem Willen, das Sehloch meiner Augen erweitern oder verengen. Kanzler von Autenrieth und der alte Professor Plouquet in Tübingen stellten mit mir darüber bestätigende Versuche an. Dem zuletzt gebrauchten Arzte blieb der Sieg und Ruhm über die vielen früher gebrauchten, und meine gute Mutter konnte jedem Kranken die Wunder des Hopelpopels und der Pfefferkörner des Herrn Geheimerats Weickardt nicht genug anpreisen.


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