Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Weiteres Leben um jene Zeit

Meine drei Brüder, die sich nun alle auswärts befanden, sah ich wenig mehr, dagegen war meine jüngste Schwester Wilhelmine, die aber auch einige Jahre älter war als ich, meine Gespielin und Teilnehmerin an meinem Unterricht. Den Unterricht in der deutschen Sprache gab uns ein langer alter Schullehrer. Er hieß Wetzel und erteilte auch damals unserm jetzigen König und seinem Bruder, dem Herzog Paul, den ersten Unterricht im Lesen und Schreiben.

Ich erinnere mich noch lebhaft seines schwarzlackierten hohen Stockes mit silbernem Knopfe und langer schwarzer Quaste, und von dem Weine, den man ihm jede Stunde in einem mit Brot bedeckten Glase auf den Tisch stellte, habe ich noch jetzt den Geruch, wie aber der Geist seines Unterrichts war, weiß ich nicht mehr.

Ein alter Oberforstmeister von Stetinkh bewohnte in einem, eine halbe Stunde von Ludwigsburg gelegenen Lustwalde, dem sogenannten Osterholze, ein Forsthaus.

Dahin machten wir öfters in Begleitung meiner Eltern Spaziergänge. Er hatte eine Tochter vom gleichen Alter meiner jüngsten Schwester, die mit ihr innige Freundschaft hielt. Da sie keine Mutter mehr hatte (dieselbe lebte getrennt von ihrem Manne), blieb sie oft wochenlang bei uns. Von diesem Osterholze ist mir noch eine Begebenheit erinnerlich, die ich meinen Vater öfters erzählen hörte:

Ein Oberst von Dedell war unser Nachbar und pflegte oft mit meinem Vater Spaziergänge zu machen.

Einmal ging er mit ihm in Begleitung jenes Forstmeisters im Osterholze spazieren, der Forstmeister wollte ihnen eine besonders schöne Buche zeigen, die tags darauf gefällt werden sollte. Bedeutungsvoll blickte Herr von Dedell an dem Baume auf und nieder und sprach mit einem besondern Ausdruck: »Schade, daß dieser Baum fallen muß!«

Der Forstmeister und mein Vater vertieften sich hierauf im Weitergehen in ein Gespräch und vermißten ihren Begleiter nicht, bis sie einen Schuß vernahmen. Er hatte sich ohnweit jenes Baumes im Dickicht des Waldes eine Kugel vor den Kopf geschossen. Sein Anblick war herzzerreißend. Der Grund seines Selbstmordes soll hauptsächlich Vermögenszerrüttung gewesen sein.

Sooft ich mit meiner Schwester und dem Fräulein vom Osterholze (so nannte man die Tochter des Oberforstmeisters) in jenem Walde spielte oder Blumen suchte, gingen wir mit Schauder schnell an jener Stelle vorüber, wo der Unglückliche den Tod fand, die ein Baum, in den ein Kreuz geschnitten war, bezeichnete.

Es hatte aber auch diese Waldanlage ohnedies etwas Unheimliches, Schauderhaftes. Mitten in ihr, in großer Verlassenheit, steht ein Schlößchen, das schon damals in seinem Innern sehr öde und zerfallen war. Wir öffneten seine Türen stets mit Schauern. Gemeiniglich von Fledermäusen und Eulen zurückgeschreckt, verließen wir es schnell wieder und befürchteten, es folge uns etwas Gespenstisches aus ihm nach.

Von dem Osterholze aus besuchte ich auch oft mit meinem Vater und meinen Schwestern die Feste Asperg.

Das Merkwürdigste war mir daselbst des Dichters Schubart Gefängnis. Es stand auf dem höchsten Punkte dieses Berges, elfhundertachtundzwanzig Fuß über der Meeresfläche, und heißt das Belvedere, denn die Aussicht auf ihm ist prachtvoll. Der größte Teil Württembergs, besonders die Gefilde des untern Neckars mit ihren Städten, Dörfern und Burgen liegen hier im schönsten Lichte ausgebreitet. Der arme Sänger saß tief unten in einem kleinen Gewölbe, wo nur wenig Licht und Luft, jedenfalls keine Aussicht ins Freie war.

Welche Tantalusqual müssen für ihn die Ausbrüche von Bewunderung und Freude der Besucher dieses Belvederes über ihm beim Anblick dieser schönen Natur gewesen sein, drangen sie zu ihm hinab in den dunkeln verlassenen Kerker, in welchem er so viele Jahre lang saß.

Der nachherige König Friedrich (damaliger Erbprinz) bewohnte ein eigenes Palais in Ludwigsburg, das nun das Museums-Gebäude ist. Seine zwei Söhne, Wilhelm und Paul, wurden bei und von ihm erzogen, und er schien gegen sie ein so strenger Vater gewesen zu sein, als der meinige gegen meine ältern Brüder war.

Meinen Vater schätzte er als Mensch und Beamten sehr, und ich wurde öfters als Gespiele zu den Prinzen in den Garten an ihrem Palais gerufen. Ich erinnere mich, daß ich im Spiele mit ihnen öfters, wie sie auch, bald den Kutscher bald das Pferd machte.

Das von Mauclersche Haus und das meiner Eltern stand damals auch in Freundschaft miteinander. Der ältere Sohn war schon bei Errichtung der jungen Landmiliz manchmal mein Exerziermeister gewesen. Lange konnte ich nicht begreifen, was rechts und links sei, bis er mir, um es mir recht ins Gedächtnis zu prägen, von meinen Spielsachen ein Dächlein auf den rechten Arm und ein Häuschen auf den linken band.

Es war dies der nachmalige Minister-Präsident. Seinen jüngern Bruder traf ich zu Tübingen wieder. Er hielt sich damals als junger Forstbeamter zu Bebenhausen auf, war ein gemütlicher herzlicher Mensch, dessen trauriges Verhängnis und Tod mir große Schmerzen machte.

Wie es eines besondern Mittels bedurfte, mir einzuprägen, was links und rechts sei, so war auch alles Lernen für mich in früherer Jugend sehr schwer, und immer überwog das Gemütsleben das Intellektuelle in mir. Auch sonderbare Vorurteile, die der Verstand leicht hätte bezwingen können, prägten sich mir oft lange und fest ein. So hatte ich einen Kameraden, den ich herzlich liebte; er war der Sohn eines Malers Perneaux aus der herzoglichen Porzellanfabrik. Ich kam oft in seine Wohnung, die nächst der Oberamtei war. Die Verfertigung der nachher so berühmt gewordenen Porzellanfigürchen, mit deren Modellierung und Malerei sein Vater und seine Brüder sich beschäftigten, bannte mich oft tagelang in sein Zimmer; aber hätte ich daselbst auch den größten Hunger und Durst erlitten: ehe ich etwas aus diesem Hause getrunken oder gegessen hätte, wäre ich lieber gestorben; denn ich wußte, daß die Leute katholisch waren, worunter ich mir etwas ganz besonderes dachte, ohne daß ich von meinen Eltern je gelernt hätte, ein solches Vorurteil zu hegen. Und doch war mir nichts anziehender als die katholische Kirche im Schlosse, die ich oft besuchte und es immer darauf einzurichten wußte, daß mich der Geistliche im Vorübergehen gewiß mit dem Wasser des Weihwedels besprengte, obgleich ich das Wasser in jenem katholischen Hause nicht trinken wollte.

Einen langen alten Sprach- und Fechtmeister, einen katholischen Franzosen, namens Martel, der in der Stadt kein Fortkommen mehr fand, hatte mein Vater mit Sack und Pack ins Haus aufgenommen. Er war einst Leibgardist unter Ludwig XV. Meinen Brüdern erteilte er in den Vakanzen Unterricht im Fechten und in der französischen Sprache. Er wurde bald sehr elend und altersschwach. Nächtlich verfiel er oft in Träume aus seiner vergangenen Zeit, stand als schlafwach auf, kleidete sich an, nahm seinen Degen und postierte sich mit solchem, im grauen Schlafrocke, hoher Zipfelkappe, eine lange, abgezehrte, graubärtige Gestalt, wachestehend vor die Türe seines Zimmers; wie er es in vergangener Zeit im Schlosse zu Versailles tun mußte, und so fand man ihn eines Morgens, mit dem Degen in der Hand, vor der Türe tot.

Mein Vater ließ auf seinen Sarg seinen Degen und zwei Lilien aus unserm Garten legen, und wohl erinnere ich mich seines Leichenbegängnisses nach damaliger Weise, bei der Nacht mit Fackeln.

An den Lehrern der lateinischen Sprache, die damals in Ludwigsburg waren, konnte man wenig Lust haben, sie waren höchst pedantische Menschen, mit schmutzigen baumwollenen Kappen und langen Haselnußstöcken, deren Bemeisterung ich durch Lug und Trug zu entgehen suchte. Dabei wurde natürlich wenig gelernt. Mein Vater wußte das wohl, aber seine Strenge schien sich an meinen Brüdern gebrochen zu haben, er übte gegen mich keine mehr, liebkoste mich und seufzte. An den Abenden, wo uns das Christgeschenk zuteil wurde, das oft sehr reichlich in seiner hellen Beleuchtung ausfiel, wo alles sich der Freude hingab, setzte sich mein Vater gemeiniglich im einsamen Zimmer in seinen Lehnstuhl und war sehr traurig. Es ist eigen, daß mich das gleiche Gefühl an den Freuden desselben Abends durch mein ganzes Leben immer auch befiel. Mein Vater war Freimaurer und hielt auf diese Verbrüderung. Es war in unserem Hause ein eigenes Zimmer, das zur Freimaurer-Loge bestimmt war, man hielt es vor uns Kindern immer sehr verschlossen. Ich merkte aber bald eine Heimlichkeit und sah oft durch das Schlüsselloch und die Spalten der Türe; da sah ich Möblen, wie wir sie sonst nicht im Hause hatten. Es waren weißlackierte Sessel mit Armen, sie waren mit himmelblauer Seide gepolstert und hatten goldne Borten und Fransen. In der Mitte des Zimmers stand ein runder weißer Tisch mit schwarzer Marmorplatte, worauf ein Totenkopf und ein Winkelmaß lag, auch einen besondern Sitz, ebenfalls himmelblau, über den eine himmelblaue Draperie mit goldnen Fransen hing, bemerkte ich. An der Wand sah ich ein Schurzfell von weißem Leder, worauf allerlei schwarze Zeichen gemalt waren.

So mysteriös, wie dieses Zimmer, doch ganz feenartig und wunderbar, kam mir als Kind das damals noch stehende, aber ganz verlassene und verschlossene ungeheure Opernhaus vor, das Herzog Karl mit unsäglichen Kosten und in ungeheurer Eile zu seinen großen Opern und Festzügen, in welchen ganze Regimenter zu Pferd über die Bühne zogen, dahin erbauen ließ, wo in den sogenannten Anlagen hinter dem Schlosse jetzt der Spielplatz ist. Es ist bekannt, daß dieses wohl das größte Opernhaus in Deutschland war. Es war in seinem ganzen Innern völlig mit Spiegelgläsern ausgekleidet, alle Wände, alle Logen mit ihren Säulen waren von Spiegelgläsern. Man kann sich den Effekt eines solchen Hauses im Glanze der vielen hundert Lichter wohl kaum denken. Ich sah es natürlich nie in seiner Beleuchtung, sondern geradezu immer nur bei verschlossenen Türen und Läden, wo aber seine Wirkung für die Phantasie eines Knaben gewiß noch viel wunderbarer und zauberhafter war.

Trat man hinein, so sah man sich, wenn auch im Dämmerlichte, viel hundertmal wieder und man glaubte auf einmal das ganze Theater von seinem eigenen Ich bevölkert zu sehen. Oft drang nach dem Zuge der Wolken von außen wieder ein heller Sonnenstrahl durch die Ritzen und Spalten der Türen und Läden; dann widerstrahlte das Haus oft in Farben des Regenbogens oder entstand sonst eine magische Beleuchtung.

Dabei standen noch aus alter Zeit halbzertrümmerte Bilder von Ritterrossen, Elefanten und Löwen umher. Oft flohen wir, durch all diese Erscheinungen im Innern dieses Zauberhauses fast zur Verwirrung gebracht, schnell hinaus an den hellen klaren Tag. – Ich glaube, daß es das Jahr 1800 war, wo dieses Riesengebäude seiner Größe und Baufälligkeit wegen völlig abgebrochen wurde und später die jetzigen Anlagen (königliche Schloßgärten) seine Stelle einnahmen.

Mein Vater war ein großer Freund der Baumzucht. Abends nach des Tages Mühe und Last eilte er meistens in seine Gärten. Ein kleiner Garten war hinter der Oberamtei, in welchem ich auch ein Plätzchen zum Anbau bekam. Ich erinnere mich aber nicht, daß ich es mit Blumen bepflanzte, sondern immer mit Salat. Einen großen Garten als Eigentum besaß mein Vater eine Viertelstunde vor der Stadt, vor dem Tore, das auf die Solitude führt, in dem sogenannten Lerchenholze. Dahin wanderte ich oft abends zwischen den herzoglichen Gewächshäusern und dem See hin und hielt mich da oft, während der Vater vorausging, nach den Orangebäumen und Blüten durch die Fenster schauend, zurück, oder sah ich dem in dem See schwimmenden Geflügel zu.

Der Garten war mit einer großen Mauer umgeben und enthielt Baumschulen und Bienenhäuser. Sobald mein Vater da ankam, legte er Hut und Stock in dem kleinen Gartenhause nieder, zog seinen Rock aus und eilte mit Messer und Säge versehen zu seiner lieben Baumpflanzung. Hier wurde nun alles aufs genaueste in Ordnung gebracht, gebunden und mit großer Strenge beschnitten. Bäume, die im Wachstum sich krümmen wollten, waren ihm ein Greuel, alles mußte aufrecht und in gerader Linie stehen. Man sah in diesem Tun und Lassen, in diesen Pflanzungen ganz seine Liebe zur Ordnung und strengen Zucht. Durch Inokulation und Impfung veredelte er die wilden Stämme, die er meistens selbst aus den Kernen zog, und führte über alles Kataloge. Ich habe auch kein üppigeres Obst mehr gesehen als ich damals sah. Pfirsiche, Kirschen, Birnen und Äpfel waren in den seltensten größten Arten vorhanden. Kirschen hatte er vom Mai bis in den September, und nie sah ich die sauern Weichsel mehr in dieser Größe und Vollkommenheit wieder. Es wurden, besonders mit letzteren, an Freunde und an die Tafel des Herzogs öfters Geschenke gemacht.

Man pflegte Kirsche um Kirsche mit etwas abgeschnittenem Stiele, der nach innen gekehrt sein mußte, in einen großen blechernen Trichter zu legen, den man, war er bis zum Rande gefüllt, auf einen mit Weinlaub bedeckten Teller umstürzte, worauf auf dem Teller eine Pyramide von Kirschen stand. Solche Teller wurden dann zur Kirschenzeit in Menge in befreundete Häuser geschickt, denn es waren Sorten, die sonst selten zu finden waren. Auch der schwarze Maulbeer war ein Lieblingsbaum meines Vaters, und vom Gemüsegarten pflegte er besonders die Artischocken und Spargeln. Außer meinem Vater war auch damals in Ludwigsburg sein Neffe, der Amtsschreiber Heuglin, ein großer Beförderer der Obstzucht, und diesen zwei Männern verdankt Ludwigsburg noch heute seinen Ruhm von ausgezeichnetem Obste. Auch der Vater Schillers arbeitete in Ludwigsburg schon in noch früherer Zeit für die Baumkultur.

Die Mutter meines Vaters lebte längere Zeit als Witwe in einem besondern Hause der Stadt. Das Alter vermochte nicht in ihren Zügen das Bild weiblicher Hoheit zu tilgen. Sie wurde blind und unterwarf sich einer Operation ohne Erfolg. Was von ihr erzählt wurde, spricht von einem ungewöhnlichen Geiste.

In der Nacht ihres Blindseins hatte sich ihr Ahnungsvermögen aufs äußerste geschärft, sie hatte voraussagende Träume und soll, besonders was die nach Jahren folgende französische Revolution betrifft, vieles überraschend vorausgesagt haben. Sie setzte einen großen Genuß darein, Familienfreuden zu bereiten, und bei ihrem ausgezeichneten Verstande und vielseitiger Erfahrung wurde sie nicht nur als das Orakel in der Familie verehrt, sondern in mancherlei Angelegenheiten von einem großen Teil des Publikums in und bei Ludwigsburg konsultiert. Ich hatte sie nicht mehr kennengelernt. Ihr zweiter Sohn, jünger als mein Vater, lebte ebenfalls in Ludwigsburg, zuerst als Advokat, nachher als Bürgermeister der Stadt und zuletzt als Landschaftskonsulent in Stuttgart. Sein Eifer für die Rechte des Volks und die Bewachung der Verfassung sind bekannt. Kaum vor Auflösung derselben starb er mitten in der Versammlung der Landstände und wurde tot aus ihrem Saale getragen. Neben diesem Bruder wohnten noch zwei Schwestern meines Vaters in Ludwigsburg, wovon die eine den Diakonus Mutschier daselbst zum Gatten hatte. Sie war eine sehr verständige aber mit ganz sonderbaren Eigenheiten und Glauben begabte Frau. So gab sie zum Beispiel nie zu, daß in Krankheiten ein Arzt in ihrem Hause zu Rat gezogen wurde, und selbst bei ihren Enkelkindern suchte sie dies auf alle Weise zu verhüten. Ich weiß aus späteren Zeiten von ihr, daß, als einmal einer ihrer Enkel in einem Erziehungshause am Scharlachfieber erkrankte, sie eilend dahin abreiste und Tag und Nacht an seinem Bette sitzen blieb, bloß um zu verhüten, daß keine Medikamente ihm gereicht würden, nur Wasser; das war schon vierzig Jahre und länger, bevor der Gräfenberger Wasserarzt sich erhob. Es war aber auch wirklich, daß nur durch ihre Pflege und Wasser Kinder und Enkel von ihr in sehr harten Krankheiten genasen. Eine zweite Schwester meines Vaters war mit einem herzoglichen Stallmeister, namens Müller, verheiratet. Diese Ehe war nicht ganz glücklich; die Frau starb in Melancholie und hinterließ vier Töchter, von denen zwei ebenfalls in Ludwigsburg verheiratet waren, die eine an den Amtsschreiber Heuglin, ausgezeichnet durch Gemüt und Verstand, die andere an den Stadtschreiber Schönleber. Sie muß in ihrer Jugend von hoher Schönheit gewesen sein. Ihr Charakter war edel und streng. Sie trug die Bürde des Lebens mit Mut und starb in einem hohen Alter. Die dritte war an den zu Lustnau verstorbenen Dekan Mayer, früher Professor zu Maulbronn, verehelicht, und ihrer wird in diesen Blättern später mehr erwähnt. Die jüngste hatte den Dekan Uhland von Brackenheim (den Oheim des Dichters) zum Gatten.

Und nun komme ich wieder auf den Garten, von dem ich früher sprach. Hinter dem Rathaus in Ludwigsburg, das der Stadtschreiber Schönleber, Neffe meines Vaters, bewohnte, war ein sehr großer Hof, in dessen Mitte zwei prachtvolle alte Nußbäume standen. Hier war gar oft der Platz unserer Spiele.

Nach diesem Hofe des Stadtschreibers kam man in seinen für Kinderaugen ungeheuer großen Garten, der mit den prächtigsten Obstbäumen aller Art besetzt war. Hier gab es im Herbste wahre Lustgelage für die Jugend – die Bäume standen meistens in großen Grasplätzen und bogen ihre früchteschweren Äste in manchem Herbste tief zu den Blumen des Grases nieder. Welche Lust, auf einen solchen Baum steigen, das lachende Obst brechen zu dürfen! Welche Freude, an einem andern zu schütteln, bis er ringsherum das Gras mit seinen duftenden Früchten bedeckt hatte. An diesen Garten stieß der Garten, der zu dem Palais des Prinzen Friedrich (nachherigen Königs) gehörte. Die Bäume, deren Äste über die diese Gärten trennende Mauer ragten, ließen oft ihre Früchte in den prinzlichen Garten fallen. Als wir einmal so einen Baum mit Mostbirnen geschüttelt hatten, tat es dem Stadtschreiber sehr leid um die in den prinzlichen Garten gefallenen Birnen und er konnte nicht umhin, seinen Schreiber zum Hausmeister des Prinzen zu senden, sich die Erlaubnis, diese Birnen holen lassen zu dürfen, auszuwirken; da begegnete aber der Prinz selbst dem Schreiber unter dem Tore des Palais und fragte ihn, was er begehre. Darob kam der Schreiber in großen Schrecken und stotterte heraus: »Der Herr Stadtschreiber läßt fragen ob er nicht die in den Garten gefallenen Birnen dürfe untertänigst auflesen?« Der Prinz lächelte und sprach: »Ja! ja! er soll sie nur gnädigst nehmen.« – Zur Osterzeit legte in dem angebauten Teile dieses Gartens in den mit Buchsbaum umgebenen Blumenländern der Hase ein, worin die bunten Eier den Kindern zum Suchen versteckt waren, ja, diese Freude erstreckte sich noch in einen benachbarten Garten des schon früher berührten Dekans Zilling. Dieser Dekan Zilling gehörte unter die damaligen Originale Ludwigsburgs, daher wohl von ihm noch einiges angeführt werden darf.

Er war ein Freund der Kinder und hatte auch der kleinen Landmiliz zu einer Fahne verholfen; er war aber ein strenger Eiferer auf der Kanzel, auf die er auch Privatverhältnisse brachte und sich dadurch manche Feinde zuzog, worunter, wie bekannt ist, auch Schubart gehörte, den er besonders verfolgte, weil dessen Orgelspiel lieber gehört wurde als seine Predigten.

Der Geist seiner Predigten ist aus folgendem wörtlichen Eingange einer derselben, mit dem er ihren Inhalt ankündigte, zu entnehmen.

»Geliebte in Ihme! Adam und Eva unsere ersten Eltern im Paradiese. Die Arglist der Schlange. Die Bosheit der Schlange. Die Verführungskunst der Schlange. Der Baum mit der verbotenen Frucht im Paradies. Der Genuß der Frucht vom verbotenen Baum. Der erste Sündenfall. Der Engel mit dem Racheschwert im Paradies. Marsch, 'naus zum Paradies, marsch! marsch! marsch!«

Gegen den Prinzen Friedrich übte er in den Predigten diesem mißfallende Schmeicheleien aus, er verbeugte sich zum Exempel tief gegen ihn von der Kanzel mitten in der Predigt und sagte: »Ja! Ludwigsburg verehrt wirklich was Großes in seinen Mauern!« Der Prinz ärgerte sich darüber und besuchte die Kirche von dort an selten mehr, wie er denn auch das Abendmahl nicht mehr von Zilling, sondern von dem Pfarrer in Schwieberdingen nahm.

Mit dem Militär, gegen dessen Sitten er oft in Predigten zu Felde zog, lag er immer im Kriege, und die damaligen jungen Offiziere spielten ihm manchen Streich, von denen einer so derb war, daß er nicht wiederzuerzählen ist. Er nahm seine Rache an ihnen aber auch, wo und wie er konnte, oft auf der Straße ohne Rückhalt.

Sein Bruder war der Mesner (Küster) der Kirche, und mußte ihm jeden Sonntag mit Bekomplimentierungen den Kirchenrock anziehen. Herren, die ohne schwarzen Mantel zum Abendmahl kamen, wie zum Beispiel der Amtsschreiber Heuglin und der Chemiker Staudenmayer, wies er vor der ganzen Gemeinde vom Altar zurück.

Als er einmal während der Predigt einen Hund in der Kirche bemerkte, rief er von der Kanzel herab: »Mesner, bring Er diesen Hund hinaus! Wer diesen Hund in die Kirche gebracht, ist unvernünftiger als dieses unvernünftige Tier.« Auf diese Rede sah man einen Hofrat sich erheben und aus der Kirche gehen, dem nun natürlich alles nachsah.

Auf der andern Seite hatte er aber doch auch wieder vielen kindlichen Sinn und liebte die Kinder, wie ich schon bemerkte. Viele seiner Schwachheiten konnte man auch wohl auf Rechnung seines Alters schreiben. Den Konfirmationsunterricht erteilte er den Kindern auf eine allerdings mehr kindische als kindliche Weise und verirrte sich dabei oft in die Erd- und Himmelskunde, zum Exempel (ganz nach seinen Worten):

»Unsere Erde glaubet er, se steh auf steinerne Pfeiler, oder se sei an einer langa eiserna Kette, daß se nit runter fallt, und was glaubet er von dem blauen Himmel, wenn er ihn so sehat? Glaubet er, das sei a großes blaues Tuch, das da ausgekramt sei, und die Sternle seiet silberne Nägele mit dems angenagelt sei, daß nit runter fall?«

Der Kapellmeister Poli

Ein italienischer Musiker aus der Kapelle des Herzogs Karl, namens Poli, hatte auch seine Wohnung in den Arkaden des Marktplatzes in Ludwigsburg. Er verstand die deutsche Sprache nur wenig und stellte sich Fremden mit den Worten vor: »Ik bin die große Poli, Kapellmeister vom Herzog Karle.« Ich sah ihn oft in einem roten Rocke, mit einem Haarbeutel, kleinem dreieckigen Hütchen, einen Hängkorb am Arme, auf den Gemüsemarkt gehen und in seinem gebrochenen Deutsch mit den Hökerweibern um Kraut handeln. Er hatte eine durchaus nicht schöne Frau, auch aus der Musikschule des Herzogs. Aus Eifersucht hatte er sie immer ins Zimmer verschlossen, und sie kam nur selten ins Freie.

Dieses Original war besonders auch von uns Kindern sehr gefürchtet; denn, wie der andere Italiener, wurde auch er oft, ging er in seinem roten Röcklein und Bordenhute auf dem Markte umher, von uns bösen Buben geneckt und war daher immer mit einem großen spanischen Rohre gegen uns zum Schlage gerüstet. Es war auch wirklich kein kleines Wagestück, den Zorn eines solchen Italieners herauszufordern, der keine Rücksichten nahm und sich leicht der tollsten Wut und Rache überließ. Dieser Italiener wurde einmal von Kolikschmerzen gequält, in welchen er immer ausrief: lo speciale! lo speciale! – Die deutsche Magd, die nicht anders glaubte, als ihr Herr begehre noch vor dem Tode den Geistlichen, den Spezial, hatte nichts Schnelleres zu tun, als zu dem Spezial Zilling zu springen und ihm zu sagen, ihr sterbender Herr rufe immerdar nach ihm, sie bitte ihn um Gottes Willen eilig zu kommen. Zilling war schnell bereit; denn er glaubte, der Italiener habe einen lutherischen Geistlichen nur darum begehrt, um sich vor seinem Tode noch in den Schoß dieser Kirche zu begeben. Aber wie erstaunte er, als ihm, vor seinem Bette angekommen, der Italiener einen gewissen Teil seines Körpers zum Klistieren hinstreckte, von Gebet und Bekehrung aber nichts wissen wollte. Die Irrung kam daher, daß im Italienischen lo speciale der Apotheker heißt, und daß in Italien die Apotheker das Geschäft: des Klistierens, wie bei uns die Chirurgen, über sich nehmen. Es ist dies eine Anekdote, die auch sonst oft erzählt wird, die aber die hier genannten Personen wirklich betraf und ihren Ursprung einzig in Ludwigsburg hat.

Der Bürgermeister Kommerell

Nächst der Oberamtei wohnte auch ein alter Bürgermeister namens Kommerell. Es war ein Mann noch dicker als mein Vater, er trug gewöhnlich eine gepuderte Perücke, hinten mit einem breiten Haarbeutel mit großen schwarzen Maschen, und auf den Seiten über die Ohren hatte die Perücke Bouclén von Horn. Kam er vom Rathaus zurück, so legte er die Perücke ab. Haarbeutel und Bouclén wurden abgeschnallt, und letztere dienten mir oft zum Spiele; ja, ich lernte sogar nach und nach Töne wie aus einer Pfeife aus ihnen hervorbringen. Ob er gleich ein gestrenger Herr und gegen Bürger und Bauern sehr grob war, so mußte er doch meinem Vater untergeben sein, und so durfte auch ich bisweilen auf seinen Sammethosen reiten, und oft trug er mich noch auf den Armen, wenn er schon den roten Rock und die weiße seidene Pattenweste anhatte, um auf das Rathaus zur versammelten Bürgerschaft zu gehen. Zu diesem Gange drückte er gemeiniglich ein kleines dreieckiges Hütchen, in welchem auch ich manchmal herumstolzierte, während ich auf seinem spanischen Rohre mit goldenem Knopfe ritt, tief in die Stirne herein. Am lebendigsten steht er mir noch vor Augen, wenn er, auf der großen steinernen Treppe des Rathauses stehend, bei Huldigungen oder sonstigen festlichen Anlässen eine Rede an die Bürger hielt und an dem Schlüsse derselben mit dem Rufe: »Vivat unser allerdurchlauchtigster Herzog und Herr!« das Hütchen dreimal in die Luft warf und dreimal wieder geschickt mit den Händen auffing. Das war ein Jubel für uns Kinder, und des Bürgermeister Kommerells Hütchen steht gewiß noch im Gedächtnis manches Ludwigsburgers von meinem Alter.

Als General Dumouriez mit dem nachherigen König Philipp im Gasthofe zur Kanne in Ludwigsburg angekommen war, warf sich der Bürgermeister Kommerell auch in seinen Amtsstaat, dem vornehmen Herrn die Aufwartung zu machen, aber als sie ihn ansprachen, verstand er nicht zu antworten. Da schrie er zum Fenster der Kanne hinaus mit brüllender Amtsstimme nach dem Stadtpatrouillanten Eberle, er solle sogleich seine Tochter holen, die Rike, die Französisch verstehe. Diese zog der Vater an den Haaren herbei. Der Herr Bürgermeister befahl ihr Französisch zu sprechen, sie brachte aber nichts heraus als: Oui, Monsieur Général, je suis été – – welche Worte der Bürgermeister nachsprach, womit er lange gefoppt wurde.

Der Rathausdiener Michel

Einen Kontrast gegen diesen Bürgermeister machte sein Stadtdiener, der mit der Blechkapsel unter dem Arme jeden Morgen aus- und einging, auch den Herrn Bürgermeister bei seinem Gange auf das Rathaus, in geziemender Entfernung, die Akten in der Kapsel tragend, begleitete. Dies war eine ganz kleine zwergartige Gestalt, mit einem fast zu einem Rade gebogenen Rücken, über welchen von dem sehr haarlosen Kopfe ein mehrere Ellen langer dünner Haarzopf in Wellenlinien sich herabbog. Das Männlein mit gutmütigem Blicke, etwas dicker aufgestülpter Nase, sehr großem Munde und ganz feinem Stimmlein, war die Demut und Dienstfertigkeit selbst, so daß es, wie der Herr Bürgermeister auf Stock und Sammethosen, mich oftmals unter den Arkaden auf seinem Rücken reiten ließ, wobei ich mich seines langen Haarzopfes als Leitseil und Peitsche bediente.

Der Oberamtsdiener Vogel

Die amtliche Bedienung meines Vaters war ein alter, gewesener Tambourmajor, der ein Alter von mindestens 90 Jahren erreicht haben muß. Er hatte im Siebenjährigen Kriege zuerst eine Schanze bestiegen und dadurch diesen Ehrendienst erlangt. Er hieß Vogel und war eine hagere hohe Gestalt mit langem Zopfe und sehr aufrechter militärischer Haltung. Er bediente zugleich auch meines Vaters Rappen, der meinen Vater und mich oft nach Neckarweihingen an den Neckar zum Bade führte. Dieses Reit- und Chaisenpferd gehörte eigentlich auch ganz zur Familie. Wir liebten es alle wegen seiner Zahmheit und Kraft. Wenn mein Vater des Nachts von Stuttgart zurückkehrte, hing er gemeiniglich um zu schlafen das Leitseil über den Arm, und das treue Tier geleitete ihn sicher, allen andern Gefährten von selbst ausweichend, bis vor das Ludwigsburger Tor. Auch meine Mutter fuhr oft ganz allein mit ihm, ohne Kutscher. Mein Vater ließ es oftmals abmalen.

Jener alte Amtsdiener hatte den Tag über meistens seinen Sitz in den Arkaden auf einer grünen Bank vor der Türe der Oberamtei. Nachmittags fand man ihn da oftmals ganz aufrecht schlafend sitzen und im Schlafe auf seinen gelben, ledernen Hosen trommeln, dann mit einem Pfiffe erwachen und verwundert um sich schauen; denn er vermeinte sich im Traume noch bei seinen Trommlern. Wenn wir ihn so schlafend dasitzen sahen und das Trommeln seiner Finger auf den Hosen anfing, so holten wir Knaben einander oft leise herbei, sahen ihm lange zu und weckten ihn endlich durch einen Zug am langen Zopfe, von dem er dann erwacht, uns Hiebe austeilte.

Sonst ergötzte er uns Kinder besonders durch seine Kunst, in Holz zu schnitzeln, und wir quälten ihn um manches Kunststück von seiner Hand. Vortrefflich verstand er die Kunst, Pfeile zu schnitzen und Bögen dazu zu verfertigen, die wir dann auf dem Marktplatze in die Höhe und in die Weite schössen, ja, sogar manchmal damit die schwarzen Lederhosen verletzten, die der Turmwächter Faber, der zugleich Seckler war, an dem eisernen Geländer des gelben Stadtkirchenturms, seiner Wohnung, zum Trocknen aufgehängt hatte.

Die Rakete auf dem Küchenherde

Ein gefährlicheres Spiel war für mich das Feuerwerk. Meine alte Kindsmagd hatte einen Feuerwerker geheiratet, in dessen Stube ich oft stundenlang zubrachte; er lehrte mich das Füllen und Stampfen von Patronen zu Schwärmern und Raketen, bei deren Abbrennung in den Gärten ich meine Mutter oft in Sorge und Angst versetzte. Ja, einmal als mein Vater sich auf einem Amtsorte in Geschäften befand, legte ich um die Mittagszeit in der Küche eine Rakete geradezu zwischen die Fleischtöpfe ins Feuer, welche auch alsbald ihren Zug durchs Kamin nahm, so daß über demselben noch die Funken in die Luft stoben, und Bürgermeister Kommereil in Begleitung seiner Frau und des hinter ihm nachschießenden Amtsdieners, ohne Perücke und Stock, in die Oberamtei sprang.

Ein Brandunglück war nicht geschehen, wie die Nachbarn vermuteten, aber das Mittagessen war für die Skribenten, die, wenn mein Vater nicht bei Tische war, mit besonderem Appetit aßen, verdorben. Die größte Sorge meiner Mutter war nun, diesen Vorfall meinem Vater zu verbergen, um mir eine Strafe zu ersparen; aber es konnte nicht geschehen, die Frau Bürgermeisterin verriet es. Meine Strafe war, daß ich einige Stunden in Arrest in einen ziemlich engen Raum mußte, welchen eine Türe mit einer von ihr ungefähr eine Elle abstehenden andern Türe bildete. In meinen größten Schmerzen erblickte ich in diesem Dunkel auf einmal eine mir ganz wunderbare Erscheinung, die ich nie gesehen hatte. Auf der vor mir stehenden Türe sah ich mit Verwundern in kleiner Figur die Fenster und Vorhänge des Zimmers, die Blumenstöcke, die auf den Simsen standen, und die Menschen, die im Zimmer hin und her gingen; aber alles verkehrt. Meine Einsperrung ward mir nun zu großer Unterhaltung; ich fühlte mehr Freude als Schmerz und wünschte nimmer aus Langweile heraus, sondern nur, um bald untersuchen zu können, wie und was das sei.

Nach meiner Befreiung, wo der Vater wieder liebreicher war, mußte auch er sich hineinsperren lassen, um diese Erscheinung zu sehen; auch die Mutter und die Schwestern.

Das Ganze war nichts, als daß ein Löchlein, ich weiß nicht zu welchem Zwecke, durch die erste Türe gebohrt war und die zweite Türe zufällig in der Entfernung stand, daß gerade das Licht so auf sie einfallen konnte, daß sich hier die Gegenstände des innern Zimmers als in einer Camera obscura abbildeten.

Von dieser Zeit an gab ich mich immer mit den optischen Erscheinungen einer Camera obscura ab. In allen Wohnungen, wo ich längere Zeit mich aufhielt, machte ich in den Zimmern eine Camera obscura zur Betrachtung der Vorübergehenden und der Gegend; und in Tübingen im Jahr 1805, als ich bei Kielmayer die Vorlesungen über Chemie hörte, gab ich mir alle Mühe vermittelst Hornsilber die aufs Papier gefallenen Lichtbilder zu fixieren, wie in späterer Zeit Daguerre durch das Jodin mit glücklicherem Erfolg tat.

Die Frau Bürgermeisterin dachte ich ihres Verrates wegen doch auch mit etwas zu beschweren, wobei ich zugleich auch auf die Wehen, die sie mir verursacht, einen Genuß hätte. Nach ein paar Tagen ging ich morgens zu ihr und sagte: da sie so gute Zwiebelkuchen backe, so habe meine Mutter geäußert, mir werde sie es wohl zulieb tun, wenn ich ihr sagen würde, daß sie so sehr wünsche, sie möchte meinem Vater ein paar Zwiebelkuchen backen; aber sie solle ja nichts davon sagen, daß die Mutter das gewünscht habe; denn sie wisse ja, daß er oft recht zornig werden könne. Die Bürgermeisterin, und noch mehr der Herr Bürgermeister, waren sehr erfreut die Ehre zu haben, dem Herrn Regierungsrat und Oberamtmann Kuchen backen zu dürfen; und am andern Morgen erschienen auch wirklich zwei, durch die ganzen Arkaden duftende vortreffliche Zwiebelkuchen, die mein Vater, um nicht ungefällig zu sein, annehmen mußte und von welchen auch ich mein gutes Stück erhielt. Aber die Frau Bürgermeisterin konnte meine fingierte Botschaft nur ein paar Tage lang auf dem Herzen behalten, sie erzählte dem Vater, der sie etwas mit der Zwiebelsendung aufzog, wie sie nicht gewagt hätte, das zu tun, wäre sie nicht dazu aufgefordert worden.

Ich wurde von ihm ins Verhör genommen und bekannte alles, meinem Vater aber mochten die Zwiebelkuchen zu gut geschmeckt haben, ich erhielt bloß den Titel eines infamen Buben.

Des Vaters Humor

Obgleich mein Vater im Durchschnitt und besonders wo es sein Amt galt, einen strengen und ernsthaften Charakter hatte, so war er doch wieder ein großer Freund vom Scherze, besonders mit Frauen, in deren Gesellschaft er immer am aufgeheitertsten war.

In Ludwigsburg lebte ein Hauptmann, namens Seyffertiz, der eine Frau von schon ziemlich vorgeschrittenem Alter und eine ganze Sammlung von alten Jungfern, Schwägerinnen und Basen bei sich hatte. Mit diesen wurde oftmals Scherz getrieben, mein Vater schickte ihnen komische Verse zu, lud sie zum Tarockspiele ein, führte sie in seinem Chaischen mit dem alten Rappen in seinen Garten, und einstmals, als er von einem Amtsorte hereinritt und die alte Frau Hauptmännin ihm vor dem Tore begegnete, lud er sie ein, sich zu ihm auf den Gaul zu setzen; nur einige Schritte solle sie es versuchen, bis zum Tore. Sie ließ es sich gefallen, aber mit den Worten: »Aber das sag ich Ihm, am Tor muß Er mich absetzen.« (Sie pflegten sich immer scherzhaft per Er und Sie anzusprechen.) »Das glaub Sie«, versetzte er; aber am Tore angekommen, gab er dem Pferde die Sporen und ritt mit ihr durch die ganze Stadt bis an die Oberamtei. Dies konnte dazumal, ohne Spektakel zu erregen, ein Oberamtmann tun; man denke sich aber einen Auftritt der Art in jetziger Zeit.

Auch bei der Unterhaltung meines Vaters mit jüngern Frauen kam in das gute, ihm ganz ergebene Herz meiner Mutter nie das Gefühl der Eifersucht; sie erschwerte ihm keinen Besuch, keine Einladung. Oft wurden im Hause kleine Feste gegeben, die schon seine amtliche Stellung, sein vieler Umgang mit Militär und Adel, erforderten. Das Tarockspiel liebte er, und es fanden sich dazu kleine Spieltische im Hause; auch ein Billard war vorhanden, welches Spiel mein Vater meisterhaft verstand, und fast täglich nach dem Mittagessen mit dem Hauptmann Seyffertiz, dem Oberforstmeister Stettink, oder dem Franzosen Martel übte. Meine Mutter, die immer in Zittern und Furcht lebte, hatte einmal große Sorge, als mein Vater eine Reise auf vierzehn Tage nach Erlangen machen mußte. »Gott«, sagte sie, »da kannst du umkommen, und ich erhalt keine Nachricht von dir!« – »O«, versetzte er, »heilig versprech ich dir, alle Tage sollst du pünktlich einen Brief von mir erhalten.« Vor seiner Abreise setzte er sich noch eine Stunde hin und schrieb vierzehn Briefe voll der erfreulichsten Nachrichten von ihm, diese übergab er dem Postmeister, der alle Tage einen an die erfreute Mutter sandte. Mit großem Vergnügen wies sie der Frau Bürgermeisterin und anderen Frauen die Briefe des Getreuen. Als er nach vierzehn Tagen wiederkam und sie sogleich ihre Freude über die vielen Briefe äußerte, sagte er: »Weil ich nun glücklich wieder da bin, so muß ich dir gestehen, daß ich die Briefe alle vorher geschrieben; aber ich denke, sie hat mir mein guter Genius alle vorher diktiert, der wohl wußte, wie es mit mir gehen würde, und mein Versprechen, daß du bestimmt jeden Tag einen Brief bekommen werdest, habe ich ja getreulich gelöst.« Diese Täuschung machte die gute Mutter nicht böse; sie war nur erfreut, ihren Geliebten wieder glücklich bei sich zu sehen.

Die Öde Ludwigsburgs nach dem Tode Herzog Ludwigs

Schon nach dem Tode Herzog Karls und noch mehr nach dem Herzog Ludwigs wurde Ludwigsburg durch Abzug des Hofes und eines Teils vom Militär sehr verödet – Bevölkerung und Gewerbe waren ohnedies klein, und desto auffallender die Menschenleere in den langen, weitgebauten Straßen. Ich erinnere mich noch mancher Sonntage, wo nachmittags der große Marktplatz vor unserm Hause so still war, daß man auf demselben fast die Perpendikel der benachbarten Turmuhr gehen hörte. In den Arkaden waren oft die einzige Bevölkerung die Hühner des Italieners Menoni, und nur das Krähen derselben unterbrach die Stille, die oft ringsherum herrschte. Eine auf die Hauptwache ziehende Schildwache, ein in der Ferne durch die Straßen eilender Perückenmacher waren oft stundenlang die einzigen Figuren, die man von den Fenstern der Oberamtei in dem großen Räume erblickte, außer der stehenden steinernen Figur des Herzogs Eberhard Ludwig, des Erbauers dieser Stadt, die mitten auf dem Markte auf dem Brunnen stand.

Besondere Gefühle von Verlassenheit und Trauer wandelten einen in den vielen langen und menschenleeren Alleen der Stadt an. So hatten auch die großen verlassenen Räume des Schlosses und namentlich die Gegend des Corps de Logis etwas Unheimliches, Gespensterhaftes. Im Corps de Logis war das Gemach, in welchem Herzog Carl Alexander starb, von dessen Tode allerlei unheimliche Sagen gingen. Hier war es auch, wo in späteren Jahren die Schildwachen in der Nachtzeit mehrmals wie von einer unsichtbaren gewaltigen Hand gepackt und über die Balustrade am Schlosse geworfen wurden. Auch waren mehrmals diese Wachen genötigt, die Posten zu verlassen, um auf der Schloßwache Anzeige zu machen von Lärmen und Tönen, als gingen Menschen die Treppen und Gänge auf und ab, wobei sie Schlüssel rasseln und Türen auf und zu gehen hörten. Es wurden mir diese Vorfälle von einem damals wachhabenden Offiziere, der im Augenblick in Begleitung seiner ganzen Mannschaft Untersuchung darüber anstellte, selbst erzählt und versichert, daß er weder einen Betrug gefunden, noch eine natürliche Ursache erforscht habe, woher das von ihm angehörte nächtliche Unwesen hatte kommen können. Einen Soldaten, der auf seinem Posten dort einmal nächtlich gepackt und über die Balustrade gegen die Gruft hinabgeworfen wurde, sprach ich selbst einmal über diesen Vorfall. In diesen gespenstisch gewesenen Teil des Schlosses wurden in späterer Zeit die Geschäftszimmer aufgeklärter Regierungsherren verlegt, wo wohl bald sieghaft deren Geist diesen abergläubischen Spuk zum Wohle der Aufklärung vertrieb.

In Ludwigsburg war um diese Zeit kein Stadt- und kein Landleben mehr; ja, es hatte durch das, was noch vom Hofe und Militär übriggeblieben, noch mehr Drückendes, besonders für den Beamten. Der Aufwand für einen solchen war auch in Ludwigsburg größer als in einer Landstadt, obgleich das Einkommen der Oberamtei Ludwigsburg sehr klein war. Mein Vater, überdies ein großer Freund der Natur, wünschte sehr, eine Stelle zu erhalten, die, wenn sie ihn auch mit größeren Arbeiten belastete, ihm doch eine freiere Bewegung, als die Stelle in einer Residenz, gab.

Als nun die wohl dotierte Oberamtei Maulbronn im Jahr 1795 frei wurde, meldete er sich um dieselbe und erhielt sie auch, trotz des Widerstrebens der Bürger der Stadt und des Amtes von Ludwigsburg, die ihn aufs herzlichste liebten und ehrten und ihn um keinen Preis von sich scheiden lassen wollten. Während seiner Amtsführung hatte er in Stadt und Land das Gemeindewesen in die beste Ordnung gebracht, und viele Einrichtungen, die er traf, sind noch jetzt ein Muster für andere.

Abschied von Ludwigsburg und Zug nach Maulbronn im Jahre 1795

Es wurde nun von Ludwigsburg Abschied genommen. Wie jedem Knaben Veränderung und Lärmen im Haus Freude macht, so war es auch bei mir. Es wurden von meinen Eltern in einem Stadtwagen, in welchen auch ich einsteigen durfte, von Haus zu Haus Abschiedsbesuche gemacht. Als es aber an das wirkliche Abziehen ging, brach mir trotz der Freuden, die ich mir im künftigen Aufenthalte vorspiegelte, doch das Herz. Als ich von meinen Kameraden Abschied nahm, zerfloß ich in Tränen; auch konnte ich sie lange nicht vergessen, ja eigentlich nie; während ich doch bald Beweise hatte, daß sie sich um mich weiter gar nicht bekümmerten und mich bald ganz vergaßen. Dies war meine erste trübe Erfahrung auf dem Felde der Freundschaft, die ich in meinem späteren Leben leider sehr oft wieder machen mußte.

Der Zug ging nun in mehreren Wagen dem neuen Bestimmungsorte zu; ich erinnere mich von demselben nichts Bestimmtes mehr, als daß in dem ersten Orte des Oberamtsbezirkes Maulbronn, Lienzingen, ein ehrwürdiger freundlicher Pfarrer, namens Siegel, meinen Vater mit dem Magistrate des Orts und vielen Bürgern empfing und ihm auf grünes Papier geschriebene Verse übergab, während ihm die Kinder des Pfarrers Blumen streuten.


 << zurück weiter >>