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Das goldene Grün bei Goethe und Schiller

«Blätter für literarische Unterhaltung», Brockhaus, Nr. 20, 17. Mai 1855

(1855)

Wenn die Weisen und Schriftgelehrten die aufmerksame Jugend vor der Zusammenstellung unpassender Bilder in der Poesie warnen wollen, so führen sie gewöhnlich die zwei bekannten Beispiele aus Schiller und Goethe an, von der «goldnen Zeit der jungen Liebe, die ewig grünen möge», und von dem «Grün an des Lebens goldnem Baum», als schauerliche Mahnung, wie selbst Heroen straucheln können, wenn sie nicht hübsch aufmerksam und fleißig sind. Alle Jahre wenigstens ein- oder zweimal sieht man irgend einen der höhern Kritik beflissenen, literarhistorischen oder ästhetischen Schullehrer sich an besagten beiden Leckerbissen delektieren, und zuletzt wurden sie richtig wieder aufgetischt in einer für dies ganze Genre charakteristischen kleinen Mahlzeit: «Ästhetische Studien», von F. Th. Bratranek. «In der Tat», sagt er in seinen «Betrachtungen über die lyrische Poesie», «kann der dichterischen Halbheit nichts leichter als ein solcher süßlicher Schwulst gelingen. Schon die gewöhnliche Sprechweise kann dazu verführen, nicht Zusammengehöriges in einem Bilde zusammenzustellen; wie es denn selbst wirklichen Genien begegnet ist, daß sie (wie Schiller im ‹Lied von der Glocke›) von einer ‹goldnen Zeit›, die ‹ewig grünen› möge, oder (wie Goethe im ‹Faust›) von dem Grün des goldenen Lebensbaums sprechen, was freilich zu jenen Verstößen gehört, die von Horaz auch an Homer entschuldigt werden» usw. Horaz hat aber hier gar nichts zu entschuldigen, und zum Schrecken aller Trivialen sei hier das noch Trivialere getan und feierlich erklärt: jene beiden verrufenen Stellen seien nichts weniger als Verstöße, sondern ganz in der Ordnung sich befindende, ebenso ausdrucksvolle als ansprechende poetische Bilder! Ich weiß nicht, ob dies von irgend einem oder mehreren Vernünftigen schon einmal ausgesprochen worden ist; da aber die vermeintlichen Sünder immer aufs neue wieder angeklagt werden, so mag auch die Verteidigung noch einmal stattfinden; vielleicht trägt sie dazu bei, den zwei Unglücksstellen endlich zu ihrer Würdigung wie zu ihrer Ruhe zu verhelfen.

Allerdings hat die «gewöhnliche Sprechweise», wie Bratranek sich ausdrückt, nämlich die uralte Volkssprache der Deutschen, unsere beiden unsterblichen Dichterlinge verleitet, grün und golden zusammenzustellen, unerhörterweise in einem Bilde! Sie haben es getan in Erwägung, daß, wenn der wackere deutsche Sprachgeist z. B. von einem goldenen Liebchen spreche, er damit durchaus nicht ein gelbes Liebchen «andeuten» wolle, sondern ein kostbares, glänzendes, tugendsames, gediegenes, glückseligmachendes, goldwertes Liebchen darunter verstanden wünsche; in Erwägung ferner, daß, wenn dies goldene Liebchen seinen Liebhaber volkstümlicherweise einlade, sich Zu nähern und an seiner grünen Seite zu sitzen, um zu kosen, damit nicht im mindesten gemeint sei, die eine Seite des guten Mädchens sei grün angestrichen, sondern ihre nahe Gegenwart sei frühlingsgrün, hoffnungsgrün, jugendfrisch, sommerlich freudig für den glücklichen Erwählten; in Erwägung schließlich, daß ein goldenes, das heißt köstliches Liebchen und seine frohe, gleichsam wie ein grüner Baum selig überschattende Nähe gar wohl etwa in einem Vers unterzubringen oder «anzudeuten» wären, wie: «Goldnes Lieb, an deiner grünen Seite».

Eigentlich hat nur Schiller so erwägt, indem er die Verwegenheit hatte, zwei in der deutschen Sprache seit Urzeiten fix und fertig vorhandene blühende Ausdrücke, denjenigen von einer goldenen Zeit und den vom immer grünenden, immer jungen Gegenwärtigen, kurz vom Immergrün zusammenzubinden, das heißt ein Zusammengesetztes Bild zu fabrizieren. Dabei kommt freilich der Übelstand vor, daß die Farben Gold und Grün in unserer Vorstellung durcheinanderschimmern und -wirtschaften, was ordentlichen, gesetzten und bescheidenen Leuten unangenehm sein mag. Hätte Schiller noch von einer immergrünenden Rosenzeit der jungen Liebe gesprochen, so hätte man doch wenigstens an die grünen Blätter der Rosen denken können, obgleich diese selbst, als die Hauptsache, auch eine rotgefärbte Vorstellung erwecken.

Goethe aber, der immer der Unverschämtere ist, hat geradezu die Verwegenheit gehabt, auch im sinnlichsten, augenscheinlichsten und trivialsten Sinne wahr zu sein, indem er das Leben erst mit einem goldenen Baume in obigem gediegenen und schätzbaren Sinne verglich und dann erst noch das Gleichnis eines Baums dahin ausbeutete, an einen grünen, von der Sonne durchstrahlten, vergoldeten Baum zu denken. Hat man noch nie von dem grünen, vom Sonnengold durchschienenen Laubdach einer Buche gehört! von dem grünlichen Goldfeuer der Waldeswipfel? oder einen grünen Goldkäfer, eine spanische Fliege usw. gesehen? Und wie steht es mit dem roten Golde der Nibelungen? Ich glaube kaum, daß jemand prosaisch genug wäre, dasselbe auszustreichen und überall gelbes Gold hinzusetzen.

Überhaupt ist in beiden Stellen vom Grün die Rede, und zwar nicht vom Schweinfurtergrün, sondern vom Grün der Vegetation als dem Symbole des Wachsens, Werdens, Seins. Mit der Vorstellung des vegetativen Grüns ist aber unzertrennlich diejenige der Sonne verbunden, welche als Gold zu denken ziemlich gang und gäbe ist. pflanze und Sonne, Grün und Gold, leben und weben durcheinander, und dies Durcheinander ist es, was in den beiden fraglichen Stellen geradezu den sinnlichen beabsichtigten Reiz hervorbringt; denn man malt nicht nur direkt, sondern auch indirekt und ist vorzüglich bei der Malerei, welche durch das Gehör gesehen werden muß, darauf angewiesen. Die Sache ist nun die, daß merkwürdigerweise dies Zusammenkoppeln von zwei Farben gerade nur in diesem Falle, wo die eine durch Gold ausgedrückt wird, möglich war, weil einerseits das Gold einen sonstigen allgemeinen Sinn hat und es andererseits seiner metallischen Natur nach geeignet ist, mit allen andern Farben, um deren erhöhten Glanz oder ein gewisses Schimmern auszudrücken, verbunden werden kann, wie man denn auch in Wirklichkeit über Vergoldungen durchscheinende Farbenlagen anbringt. Von Goethe kann man versichert sein, daß er sehr wohl wußte, was er tat, als er jenen Vers schrieb, und wenn Bratranek hinzusetzt, der «Verstoß» reihe sich füglich an andere, z. B. metrische Fehler, wo Goethe einen Versfuß zuviel machte, so ist dies, fast hätte ich gesagt – eine ungeheuere Dummheit. Im Punkte der Färberei muß er Goethe nicht kommen.


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