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Fünftes Kapitel
DieTaboriten

1. Die große Kirchenspaltung

Das Aufkommen der Wiclifitischen Bewegung war für das Papsttum eine ernstliche Warnung. Fuhr es fort, ein Werkzeug Frankreichs zu sein, dann gefährdete es seine Stellung in ganz Europa. Die Päpste fingen daher an, sich aus Avignon, aus der französischen Gefangenschaft hinwegzusehnen nach Rom, wo sie dem französischen Einfluß mehr entrückt waren.

Die Wiclifitische Bewegung zeigte aber auch den Päpsten, wie gefährdet ihre Stellung als Kirchenfürsten war. Sie wies sie darauf hin, eine sichere Stütze in der weltlichen Herrschaft zu suchen. Je mehr in England, in Frankreich und in Spanien (Kastilien und Aragonien) die Kirche der Beherrschung und Ausbeutung durch die Päpste entzogen und der durch die Fürsten unterworfen wurde, desto, wichtiger wurde neben der Beherrschung der Welt für die Päpste die Beherrschung ihres weltlichen Staates, des Kirchenstaates. Auch das machte ihre Anwesenheit in Rom dringend nötig.

Hatten die Päpste alle Ursache, sich nach Rom zu sehnen, so fingen auch die Italiener an, sich nach den Päpsten zu sehnen. Die »Babylonische Gefangenschaft«, wie sie sich ausdrückten, der Päpste in Avignon, hatte ihnen deutlich bewiesen, wie wichtig die Anwesenheit der Päpste in Italien für dieses Land sei, welchen Schaden es durch ihre Abwesenheit erleide. Namentlich Rom war stark zurückgegangen.

Das leidenschaftliche Verlangen nach der Rückkehr der Päpste hat seinen großartigsten Ausdruck gefunden in Petrarca. Mit glühenden Farben schilderte er in seinen Gedichten und Briefen, wie seit der Verlegung des Heiligen Stuhles die Paläste der Päpste und die Altäre der Heiligen in Rom in Armut und Schmutz versunken seien, wie die ewige Stadt verkomme, gleich einer Frau, die ihr Gatte im Stiche gelassen, wie aber die Wolke, die über den sieben Flügeln schwebe, durch die Anwesenheit des rechtmäßigen Herrschers zerstreut würde. Ewiger Ruhm des Papstes, das Glück Roms und der Friede Italiens wären die Folge, wenn ein Papst es wagte, sich der französischen Gefangenschaft zu entziehen. In Avignon dagegen müsse das Papsttum naturnotwendig in Üppigkeit und Laster ersticken und dem Hasse und der Verachtung der ganzen Welt anheimfallen.

Petrarca kannte das Lasterleben des päpstlichen Hofes sehr genau, denn er hatte sich fünfzehn Jahre (zwischen 1326 und 1353) in Avignon aufgehalten. Seinen Haß gegen die Stadt bezeugt unter anderem folgendes seiner Sonette Übersetzt von L. Geiger, Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland, S. 40. Berlin 1882., das Avignon gewidmet ist:

»Des Himmels Blitz fall auf dein Haupt voll Trug!
Du, sonst vom Quell genährt und Eichelfrucht,
Die jetzt von andrer Armut Reichtum sucht,
Durch so viel Missetaten reich genug.

Verräternest, zu brüten jeden Fluch,
Mit dessen Gift die Welt von heut verflucht,
Voll Saufen, Fressen, voll von schnöder Zucht
Und jeder Wollust höchstem Schandversuch.

Durch deine Hallen rast der Hexenreigen
Von alt und jung; Beelzebub tanzt vornen
Mit Blasebalg, mit Spiegeln und mit Flammen.

Jetzt willst du nur in üpp'ger Pracht dich zeigen,
Sonst nackt und barfuß gingst du unter Dornen;
Zum Himmel stinkst du, mag dich Gott verdammen.«

Niemand hat das Papsttum schärfer gegeißelt als Petrarca, aber er wollte es damit nicht schwächen oder gar verderben, sondern nach Italien treiben. Seiner Ansicht nach rührte die Verworfenheit der päpstlichen Kurie nicht daher, daß sie die Welt aufs schamloseste ausbeutete, sondern daher, daß sie die Früchte der Ausbeutung in Avignon verzehrte, statt in Rom. Das Klima von Avignon zerstörte die moralische Gesundheit des Papsttums. Nach Rom zurückgekehrt, mußte es sofort gesunden.

Außer den ökonomischen Gründen, welche die Italiener damals an das Papsttum fesselten (wir haben diese Gründe bereits oben kennengelernt), waren auch politische in gleichem Sinne tätig.

Das Erwachen des nationalen Bewußtseins hängt auf das engste mit der Entwicklung der Warenproduktion zusammen. Ist sie auf jene Höhe gediehen, auf der sie anfängt kapitalistisch zu werden, dann erfordern ihre Interessen, und vor allem die Interessen der Kapitalisten, einen nationalen, möglichst zentralisierten Staat, der den Kapitalisten den inneren, nationalen Markt sichert und ihnen genügend Platz und Bewegungsfreiheit auf dem Weltmarkt erobert. Mit voller Klarheit ist das erst im siebzehnten Jahrhundert zutage getreten, aber die Anfänge des modernen nationalen-Bewußtseins reichen bis ins vierzehnte Jahrhundert zurück, wo es allerdings nur dann auftrat, wenn besondere Umstände es erweckten, wo es noch lange nicht die Stärke eines selbstverständlichen Instinktes erlangt hatte.

In Italien, das so hoch entwickelt war, äußerte sich das nationale Bewußtsein zuerst. Im vierzehnten Jahrhundert bedurfte dies Land auf das dringendste einer Einigung, einer Zusammenfassung seiner Kräfte unter einer Regierung, sollten die ewigen Kriege der kleinen Städtlein untereinander aufhören, sollten Ruhe und Ordnung, die Grundlagen bürgerlichen Wohlstandes, herrschen, sollte das Land nicht eine Beute der Fremden werden, die es denn auch tatsächlich geworden und bis ins neunzehnte Jahrhundert geblieben ist.

Die einzige Macht aber, die imstande schien, Italien seine Einheit zu geben und die Obermacht über die verschiedenen Souveräne zu erlangen, war das Papsttum. Um so dringender wurde für jeden weiterschauenden italienischen Patrioten die Rückkehr des Papstes aus Avignon.

Zu alledem gesellte sich nun noch der Niedergang Frankreichs im Kriege mit England, der des ersteren Gegnerschaft immer weniger furchtbar erscheinen ließ.

So begann man seit dem Auftauchen der Wiclifitischen Bewegung in den päpstlichen Kreisen die Rückkehr nach Rom ernstlich zu erwägen. Den ersten Versuch, von Avignon zu fliehen, machte Urban V. Trotz der Proteste Karls V. von Frankreich und der Kardinäle, die zumeist französische Kreaturen waren, schiffte er sich im Mai 1367 in Marseille ein und ging über Genua nach Rom, wo er mit Jubel empfangen wurde. Aber schon 1370 bekamen, die französischen Kardinäle wieder die Oberhand, die sich in Avignon besser amüsierten (Gibbon behauptet, es sei ihnen hauptsächlich um den Burgunderwein zu tun gewesen, den sie in Italien nicht bekamen), und er kehrte nach Avignon zurück.

Den zweiten Versuch machte Gregor XI. 1376. Er blieb in Rom bis zu seinem Tode (1378). Das Volk von Rom fürchtete, daß nun die französischen Kardinäle abermals einen Franzosenfreund zum Papst wählen würden. Es erhob sich in Waffen, umringte das Konklave und zwang unter dem Rufe: »Tod oder ein italienischer Papst!« die Kardinäle, einen Italiener zu wählen, Urban VI. Aber sobald sie konnten, entfernten sich die französischen Kardinäle aus Rom, erklärten die Wahl für erpreßt und ungültig und wählten einen neuen Papst, Klemens VII.

Dies die Entstehung der großen Kirchenspaltung, deren Gründe wir so ausführlich behandelt haben, weil sie wichtig ist für die Geschichte des Papsttums, damit aber auch für die der ketzerischen Sekten.

Zwei Päpste auf einmal waren nichts Unerhörtes. Aber neu war es, daß beide Päpste nun einen nationalen Charakter annahmen. Der eine Papst wurde unterstützt von Frankreich und Spanien, der andere, der italienische, von Deutschland und England. Später tauchte neben diesen beiden noch ein dritter auf, den fast nur die Spanier anerkannten. Der Zerfall der katholischen Christenheit in Nationalkirchen fand also in jener Kirchenspaltung schon ein Vorspiel. Nicht um Dogmen, auch nicht um rein persönliche Bestrebungen handelte es sich hier, sondern um nationale, um politische Gegensätze.

Ein wütender Kampf der feindlichen Päpste untereinander folgte, in dem keiner derselben oder ihrer Nachfolger die Oberhand gewann. Die ganze Kirche ging aus den Fugen, damit drohte aber auch die Gesellschaft aus den Fugen zu gehen, die gerade damals durch die schärfsten Gegensätze bedroht war, wie die Jacquerie in Frankreich und die Erhebung der Bauern in England gezeigt hatten. Es galt also, dem Unfug ein Ende zu machen, die Kirche neu zu organisieren, oder, wie man sagte, sie »an Haupt und Gliedern zu reformieren«. Da das Papsttum völlig unfähig dazu geworden war, mußten andere Mächte das besorgen. Eine Reihe internationaler Kongresse wurde abgehalten, sogenannte Kirchenversammlungen, auf denen aber die Delegierten der weltlichen Fürsten ebensoviel zu sagen hatten wie die Delegierten der verschiedenen kirchlichen Organisationen.

Auf dem Konzil zu Konstanz wurde 1417 der Papst Martin V., der an Stelle der verschiedenen anderen Päpste trat und mit dessen Wahl die Kirchenspaltung endete, nicht bloß von den Kardinälen gewählt, sondern von einem Kollegium, in dem neben 23 Kardinälen 30 Delegierte der fünf Nationen der Christenheit, Italiener, Deutsche, Franzosen, Spanier und Engländer saßen.

Das Papsttum, das aus diesen Konzilen hervorging, stand tief unter dem, welches einst die Hohenstaufen besiegt hatte. Die Päpste waren von da an freilich weniger dem Einfluß einer einzelnen Nation ausgesetzt, als die von Avignon, aber es war auch ihr Einfluß auf jede einzelne Nation geringer geworden. Nationalkirchen hatten sich gebildet, die den Landesfürsten unterstanden. Mit diesen mußte der Papst hinfort Herrschaft und Ausbeutung teilen, wenn er sie nicht ganz verlieren wollte; sein Anteil daran war ein begrenzter und genau bestimmt durch besondere Staatsverträge (Konkordate oder pragmatische Sanktionen).

Dies war der Fall in Frankreich, in England, in Spanien. In Italien war die römische Kirche von vornherein die Nationalkirche.

Nur das Deutsche Reich kam im Zeitalter der Konzile zu keiner Nationalkirche. Seine Zerklüftung war zu groß, als daß es die Kraft erlangt hätte, die Beherrschung und Ausbeutung der Kirche Deutschlands durch den Papst zu regeln und einzuengen. Deutschland wurde von da an vollends das Hauptobjekt für die päpstliche Herrschsucht und Habsucht und sollte es noch für ein Jahrhundert bleiben.

Ein Glied des Deutschen Reiches machte davon jedoch eine Ausnahme: das Königreich Böhmen.

2. Die sozialen Verhältnisse Böhmens vor den Hussitenkriegen

Außer England hat vielleicht kein anderes Land im vierzehnten Jahrhundert eine so rasche ökonomische Entwicklung aufzuweisen wie Böhmen. In England wurde diese namentlich gefördert durch den Wollhandel und die glücklichen Raubzüge nach Frankreich; in Böhmen durch dessen Silberbergwerke, unter denen vor allen das Kuttenberger hervorragte, das 1237 erschlossen wurde und von da an bis ins fünfzehnte Jahrhundert das bei weitem reichste Silberbergwerk Europas sein sollte. Zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts betrug der Jahresertrag ungefähr 100 000 Mark Silber (1 Mark = ½ Pfund). Auch Goldwäschereien gab es in Böhmen in verschiedenen Flüssen, so der Moldau und der Luznic, dem Flusse, an dem Tabor liegt. Äneas Sylvius Piccolomini de Ortu et Historia Bohemorum, Opera omnia, Basel 1551, S. 109. Auf diesen Bergwerken beruhte in erster Linie die rasche Machtentwicklung Böhmens in jener Zeit, auf ihr der Glanz der Regierung Ottokars II. (1253 bis 1278), des mächtigen Gegners Rudolfs von Habsburg, und Karls I. (als deutscher Kaiser Karl IV., 1346 bis 1378). Wenn dieser auf den Kaiserthron gelangte, so verdankte er es neben der päpstlichen Unterstützung hauptsächlich den Kuttenberger Silbergruben, die ihm die nötigen Mittel zum Kauf der Kurstimmen lieferten. Auf demselben, damals nicht weniger als ungewöhnlichen Wege kam die Wahl seines Sohnes Wenzel zum deutschen Kaiser zustande. Nach Äneas Sylvius hätte Karl damals jedem Kurfürsten 100 000 Gulden zugesagt. Diese Angabe wird bestritten. Sicher ist es, daß die Kurfürsten von Köln und Trier jeder mindestens 40 000 Gulden erhielten. Die Quittung des letzteren vom 12. Juli 1376 ist erhalten. Die Leute waren damals noch nicht so vorsichtig wie die Hüter des Welfenfonds. Was uns jene Zeit so barbarisch erscheinen läßt, ist überhaupt der Umstand, daß sie die Laster der Zivilisation so offen übte. Die herrschenden Klassen besaßen noch zu viel Selbstbewußtsein, als daß das Heucheln bei ihnen hätte in die Mode kommen können, öffentlich wurden nicht nur Kurstimmen, sondern auch kirchliche Würden verkauft; der Gegner oder Konkurrent wurde auf offenem Markte niedergeschlagen, nicht etwa durch friedliche und gesetzliche Finanzspekulationen zum Ruin und Selbstmord getrieben, und die geistlichen und weltlichen Herren Lebten offen mit ihren Konkubinen (Alice Parrers, die Geliebte Eduards III. von England, nahm sogar an den Verhandlungen der Obergerichte teil); besuchte ein Landesherr eine seiner »guten und getreuen Städte«, dann wurden ihm die Prostituierten der Stadt entgegengeschickt, ihn feierlich zu empfangen und zu erfreuen. Das war bei unseren »ehrbaren und züchtigen Altvordern« so der Brauch.

Dank den Erträgnissen Kuttenbergs gediehen Handel und Industrie, Künste und Wissenschaften in Böhmen, namentlich in Prag, das damals zum »goldenen Prag« wurde, das sich mit glänzenden Bauten bedeckte und wo die erste Universität innerhalb des deutschen Reichsgebiets erstand (1348). Aber auch die Kirche ging nicht leer aus. Sie hat bekanntlich einen guten Magen und auch eine feine Nase. Sie weiß, wo etwas zu holen ist, und sie weiß auch, wie sie es holen soll. Klöster und Kirchen wurden in Böhmen besonders reich, namentlich unter Kaiser Karl IV., den wir ja schon als »Pfaffenkaiser« kennengelernt haben.

Die Erzbischöfe von Prag »besaßen 17 große Herrschaften in Böhmen, außerdem die Herrschaft Kojetein in Mähren, Lühe in Bayern und kleinere Güter in Menge. Ihr Hofstaat wetteiferte oft mit dem königlichen an Glanz, und ein Heer von Vasallen stand ihnen zu Diensten stets bereit.« Das Domkapitel von St. Veit in Prag umfaßte allein 300 Kleriker, »und mehr als hundert Dörfer waren entweder ganz oder zum Teil ihnen zu Benefizien angewiesen. Der Dompropst war für sich allein im Besitz der ganzen Herrschaft Wollin und von etwa zwölf kleineren Gütern« usw. (Palacky, Geschichte von Böhmen, III, 2, S. 41.) Äneas Sylvius, der nachmalige Papst Pius II., der sich auf Kirchenreichtum wohl verstand, schreibt in seiner »Geschichte der Böhmen«: »Ich glaube, zu unserer Zeit gab es in ganz Europa kein Land, in dem so viele, so großartige, so reich geschmückte Gotteshäuser zu finden waren wie in Böhmen. Himmelanstrebend waren die Kirchen, ... Die hohen Altäre belastet mit Gold und Silber, das die Reliquien der Heiligen einschloß, die Priestergewänder mit Perlen gestickt, die ganze Ausschmückung reich, das Geräte aufs kostbarste ... Und nicht nur in Städten und Märkten konnte man derlei bewundern, sondern selbst auf Dörfern.«

Je reicher aber die Kirche Böhmens, desto größer ihre Ausbeutung durch den Papst.

Neben der Kirche und dem König mit seinen Höflingen zogen die Gewerken von Kuttenberg die größten Gewinne aus dem Lande; im vierzehnten Jahrhundert nicht mehr einfache Bergarbeiter, sondern Prager und Kuttenberger Kaufleute, Kapitalisten, welche die Knappen für sich arbeiten ließen, und welche durch den Bergsegen zu Reichtum und Ansehen gelangten.

Die Entwicklung der Warenproduktion und des Warenhandels mußte natürlich in Böhmen dieselben Erscheinungen hervorrufen wie anderswo; neben dem großen Gegensatz zwischen der päpstlichen Kirche und der Masse der Bevölkerung erstanden die Gegensätze zwischen Händlern und Konsumenten, zwischen Meistern und Gesellen, zwischen Kapitalisten und Hausindustriellen. Der Gegensatz zwischen Grundherren und Hintersassen mußte sich immer mehr verschärfen. Dazu steht nicht im Widerspruch die Tatsache, daß auch in Böhmen die allgemeine Tendenz jener Zeit auf Erhebung der Bauern aus der Leibeigenschaft und deren Ersetzung durch bloße Zinspflichtigkeit zu finden ist, eine Erscheinung, deren Gründe und Charakter wir bereits mehrfach auseinandergesetzt haben (vergleiche namentlich S. 213 ff.). Um die Wende des vierzehnten zum fünfzehnten Jahrhundert hatte die Leibeigenschaft in Böhmen tatsächlich aufgehört. Aber wie in England fehlte es auch in Böhmen nicht an Versuchen der Grundherren, die Leibeigenschaft wieder einzuführen, und deren Drängen dahin wurde eine mächtige Quelle sozialer Unzufriedenheit. Palacky, a. a. O., II, I, S. 34 ff.; II, 2, S. 30; III, 2, S. 38.

Am größten aber dürfte die Unzufriedenheit unter den Mitgliedern des niederen Adels gewesen sein, die, selbst nicht viel mehr als höhere Bauern, nur geringe Einnahmequellen und nicht die Macht der großen Barone besaßen, um aus ihren Bauern etwas Erhebliches herauszupressen, die aber mit dem Erstehen des Warenhandels und der Warenproduktion ihre altbäuerliche Bedürfnislosigkeit rasch verloren und an dem Vorbild der reichen Kaufleute und Barone ihre Ideen von »standesgemäßem Leben« bildeten. Diese Klasse verkam rasch zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Die königliche Gewalt war bereits zu stark, als daß sich ein Raubrittertum hätte entwickeln können, obwohl es mitunter an recht weitgehenden Versuchen nicht fehlte. Die Zugehörigkeit Böhmens zum Deutschen Reiche hinderte einen profitablen nationalen Krieg, und so war das böhmische Rittertum zur Deckung seiner Defizite fast ausschließlich auf den Söldnerdienst angewiesen.

Auch die böhmische Bauernschaft, wie die der meisten anderen Länder damals, lieferte zahlreiche Söldner.

Die Entwicklung des Silberbergbaus war nicht nur ein mächtiges Mittel, die Warenproduktion und den Warenhandel und damit das Aufkommen der eben erwähnten Gegensätze zu fördern, sie mußte auch eine Folge haben, welche diese Gegensätze besonders verschärfte: eine Preisrevolution.

Der Preis einer Ware ist die Menge Edelmetall – Gold oder Silber –, gegen die man sie austauschen kann. Diese Menge wird unter sonst gleichen Verhältnissen um so größer sein, je geringer der Wert des Edelmetalls, je weniger Arbeit dessen Produzierung kostet. Die Auffindung und Ausbeutung der reichen Silbergruben Böhmens muß daher für dieses Land ebenso eine Preisrevolution, ein Steigen aller Warenpreise hervorgerufen haben, wie dies zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts durch den Bergsegen von Sachsen und Tirol für Deutschland und von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an durch die Entdeckung und Ausbeutung der Gold- und Silberschätze Amerikas für ganz Europa gewirkt wurde. Es ist uns nicht gelungen, Zeugnisse dafür in der böhmischen Geschichte aufzufinden, aber wir können nicht daran zweifeln, daß Böhmen im vierzehnten Jahrhundert eine Preisrevolution durchzumachen hatte, wenn anders der Satz, daß unter gleichen Verhältnissen gleiche Ursachen gleiche Wirkungen erzeugen, seine Richtigkeit hat.

Die verschiedenen Klassen mußten auf verschiedene Weise dadurch berührt werden; die einen wurden geschädigt, die anderen gefördert; die einen wurden davon nur gestreift, andere aufs tiefste erschüttert. Aber in jedem gesellschaftlichen Verhältnis, das durch eine Geldzahlung vermittelt wurde, mußte der soziale Gegensatz, den es enthielt, durch die Preissteigerung verschärft werden. Am meisten mußten jene Klassen darunter leiden, die auf Geldeinkommen angewiesen waren, ohne die Kraft zu besitzen, eine entsprechende Erhöhung derselben zu erzwingen; in den Städten die niederen Schichten der lohnarbeitenden Bevölkerung, auf dem Lande der kleine Adel.

Über allen diesen sozialen Gegensätzen stand aber ein großer Gegensatz: der nationale, und wie in England floß er auch in Böhmen zusammen mit dem kirchlichen.

Im dreizehnten Jahrhundert stand Böhmen ökonomisch noch sehr weit zurück. Seine westlichen deutschen Nachbarn wären ihm in der gesellschaftlichen Entwicklung weit vorausgeeilt. Der glänzende Aufschwung, den Industrie und Handel, Kunst und Wissenschaft seit der Entwicklung der Kuttenberger Gruben in Böhmen nahmen, wurde nur dadurch möglich, daß die böhmischen Fürsten deutsche Einwanderer heranzogen. Gerade die beiden Lieblingsmonarchen der böhmischen Patrioten, Ottokar II. und Karl I. (bzw. IV.), haben in dieser Beziehung am meisten geleistet, deutsche Bauern, deutsche Handwerker und Kaufleute, deutsche Künstler und Gelehrte zur Einwanderung veranlaßt.

Vor allem Kuttenberg war eine rein deutsche Stadt – ebenso andere Bergstädte, zum Beispiel Deutschbrod und Iglau. Seitdem das alte Bergwerk in Iglau durch Deutsche neu gehoben und das von Kuttenberg entdeckt worden war, »nahmen«, wie ein alter Chronist erzählt, »in Böhmen die Deutschen zu. Durch sie erlangte der König (Ottokar II.) ungeheure Schätze aus den Gold- und Silbergruben – ganze Türme voll Gold und Silber soll er gesammelt haben«. (Bei Palacky, a. a. O., II, 1, S. 158.) Daneben aber wurden zahlreiche andere Städte von Deutschen entweder neu gegründet oder so stark besetzt, daß überall der Rat in ihre Hände geriet, um so mehr, als sie die wohlhabenden Schichten, Kaufleute und vornehmere Handwerke, repräsentierten. Die geringeren Handwerker und die Masse der Tagelöhner und des sonstigen niederen Volkes in den Städten waren eingeborene Tschechen. Palacky nennt uns die vornehmsten Bürgerfamilien Prags aus jener Zeit; sie waren, wie ihre Namen verraten, fast lauter Deutsche: Stuck, Wolflin, Wolfram, Tausendmark, zu den Hähnen, vom Stein, Pirkner, Tafelrung, Kornbühl, Oertel usw. A. a. O., II, 2, S. 24.

Auch die Prager Universität befand sich in den Händen der Deutschen. Nach dem Muster der Pariser Universität eingerichtet, zerfiel sie in vier Nationen. Die Universität bildete eine sich selbst verwaltende Genossenschaft, und jede der Nationen hatte bei ihrer Verwaltung eine Stimme. Aber während in Paris die Franzosen tatsächlich drei Stimmen besaßen, denn die vier Nationen waren die französische, die picardische, die normannische und die englische, besaßen in Prag die Böhmen nur eine Stimme; die Universität zerfiel in die böhmische, bayerische, sächsische und polnische Nation, welch letztere auch meistens aus Deutschen (Schlesiern usw.) bestand. Das war aber nicht ohne Bedeutung. Eine Universität war in jenen Zeiten eine wissenschaftliche und politische Macht ersten Ranges, von gleicher Bedeutung wie heute Presse und Hochschulen zusammengenommen. Konst. Höfler, der Geschichtsschreiber der Päpste von Avignon, sagte einmal, die Universität von Paris sei zeitweise mächtiger gewesen als der König von Frankreich. Auf dieser ihrer Macht beruhte es, daß sie gelegentlich mit Papst und König in Konflikte kommen und diese glücklich ausfechten konnte, und nicht auf einem mittelalterlichen Prinzip der »Freiheit der Wissenschaft«, wie Lassalle meint. (Die Wissenschaft und die Arbeiter, Lassalles Reden und Schriften, Ausgabe von Bernstein, II, S. 65 ff.) Von dieser »Freiheit der Wissenschaft« war schon auf den mittelalterlichen Universitäten nichts zu merken. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben war die Ketzerriecherei. Auch äußerlich war sie eine mächtige Organisation. Die Universitätsgebäude mit den Wohnungen der Professoren und Schüler bildeten in Prag wie in Paris einen eigenen Stadtteil, der wahrscheinlich sogar eine besondere Ummauerung besaß, Maurer, Städteverfassung, II, S. 37. und die Zahl der Studierenden belief sich noch zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts auf viele Tausende.

Nach Angaben aus dem Jahre 1408 befanden sich in Prag 200 Doktoren und Magister, 500 Bakkalare und 36 000 Studenten. Soviel davon Übertreibung sein mag, auf jeden Fall bildeten die Studenten eine ansehnliche Zahl. Als 1409 die deutschen Studenten Prag verließen, da wanderten, wie Äneas Sylvius in seiner »Geschichte der Böhmen« berichtet, an einem Tage 2000 aus. 3000 folgten einige Tage später und gründeten die Universität Leipzig. Als sicher kann man annehmen, daß die Gesamtzahl der Studierenden an der Universität damals nicht unter 10 000 betrug. Manche Autoren geben geradezu unglaubliche Zahlen an. So berichtet Falkenstein in seiner »Historie von Erffurth«, S. 290 (zitiert bei Ulimann, Reformatoren usw., I, S. 246): »Da zogen 40 000 Studenten (von Prag) weg und kamen auf einmal 20 000 in Leibzügen (Leipzig) an.«

Mit der Universität waren aber auch zahlreiche Stiftungen verbunden, Schenkungen an Gütern und Gebäuden zur Nutznießung der Professoren und ärmeren Studenten – staatliche Gehalte und Stipendien gab es damals nicht. All der Reichtum, alle die Macht der Universität war in den Händen der Deutschen. Bitter klagten die tschechischen Magister, daß sie als Landschulmeister hungern müßten, indes ihre deutschen Kollegen alle fetten Posten an der Universität einnähmen; und wenn die Interessen der tschechischen Nation mit denen der deutschen kollidierten, stand die Universität stets auf Seite der letzteren.

Und zu dem allen kam noch, daß auch die Kirche ein Ausbeutungsinstitut zugunsten der Deutschen geworden war. Die ärmlichen Pfarrstellen freilich überließ man den Tschechen. Aber die Klöster waren vornehmlich in den Händen der Deutschen und ebenso die höheren Stellen der Weltgeistlichkeit. Die Prager Domherren zum Beispiel, von denen wir oben gesprochen, waren meist Deutsche. Der Prager Erzbischof, unter dem die Hussitische Rebellion losbrach, Konrad von Vechta, war »ein fanatischer Deutscher aus dem finstersten Winkel des Münsterlandes«. (Schlosser.)

So traf die Masse der Nation – die niederen Klassen der Städte, der niedere Klerus, die ganze Landbevölkerung, Bauern, Ritter und Herren – überall auf den Deutschen als Ausbeuter oder als Konkurrenten in der Ausbeutung. Der Kampf gegen die kirchliche Ausbeutung auf der einen Seite, das Verlangen nach den Kirchengütern auf der anderen Seite floß zusammen mit dem Kampf gegen die deutsche Ausbeutung, mit dem Verfangen nach den Reichtümern der Deutschen.

Auch in Böhmen erstand daher im vierzehnten Jahrhundert ein nationales Empfinden. Aber in seinen Anfängen nimmt dies Empfinden in jedem Lande, je nach den besonderen Verhältnissen, die es hervorgerufen, die verschiedensten Formen an; in Italien und Deutschland entsprang es vor allem dem Sehnen nach staatlicher Einigung der Nation, es führte bei den Patrioten in jenem Lande zum Kultus des Papsttums, in diesem zur Schwärmerei für ein starkes Kaisertum; in Frankreich und England war das nationale Empfinden vornehmlich Haß gegen die feindliche Nation; in Böhmen dagegen trat es auf als eine besondere Art des Klassenhasses.

Seinen drastischsten Ausdruck hat dieser vielleicht in einer Druckschrift erhalten, die wohl erst nach dem Hussitenkrieg erschien (1437), die aber den Geist, der in der Hussitischen Bewegung waltete, treu anzeigt, »Kratké sebráni Kronik èeskych k wvstraze wìrnich Èechùw« (Kurze Zusammenfassung der böhmischen Chroniken zur Warnung treuer Böhmen.) »Die Böhmen«, heißt es da, »sollten sehr auf ihrer Hut sein und mit allem Eifer vorsorgen, daß sie nicht unter die Herrschaft der Deutschen kämen; denn wie die böhmischen Chroniken dartun, ist jene Nation die furchtbarste Gegnerin der Böhmen und Slawen.« Dies wird nun mit Berufung auf die tschechischen Chroniken weiter ausgeführt. Auch Kaiser Karl IV. hat »wohl Böhmen gehoben, die Stadt Prag erweitert und die Wissenschaft und anderes dort verbreitet, aber auch überall im Lande die Deutschen begünstigt. Wer waren in allen königlichen Städten Böhmens die Bürgermeister und Ratsherren? Deutsche. Wer die Richter? Deutsche. Wo predigte man den Deutschen? In den Hauptkirchen. Wo den Böhmen? Auf den Kirchhöfen und in Häusern. Und dies ist ein sicherer Beweis, daß er mit Deutschen, von denen er selbst abstammte, Böhmen besetzen und die Böhmen allmählich ausrotten wollte, so wie man unter ihm anfing, die Klagen auf den Rathäusern nicht in böhmischer, sondern in deutscher Sprache anhören zu wollen« usw. Bei Palacky, a. a. O., III, 3, S. 292, 293.

In welcher Weise dieser nationale Gegensatz mit dem kirchlichen zusammenfloß, ist nach dem Gesagten einleuchtend. Die Deutschen besaßen die beste Anwartschaft auf die fetten Posten im Weltklerus, in den Klöstern, auf der Universität, damals einer wesentlich theologischen Anstalt. Hatten die Tschechen alle Ursache, der Ausbeutung durch die Kirche einen Damm entgegenzusetzen und nach den Gütern der Kirche zu begehren, so hatten die Deutschen alle Ursache, derartigen Bestrebungen entgegenzutreten. Die Bestrebungen nach einer Kirchenreformation, die im vierzehnten Jahrhundert überall auftauchten, mußten bei den Tschechen einen fruchtbaren Boden finden; um so entschiedener mußten sie von den Deutschböhmen zurückgewiesen werden.

Das ist die Atmosphäre, in der jene dem Papst und den Deutschen feindliche Bewegung erwuchs, die nach dem Namen ihres vornehmsten literarischen Vertreters, Johannes Hus, die Hussitische genannt worden ist.

3. Beginn der Hussitischen Bewegung

Die wichtigsten ihrer Argumentationen und Forderungen hat die Hussitische Bewegung in ihren Anfängen der Wiclifitischen entlehnt. Sobald die Lehren des englischen Reformators nach Böhmen gelangten, wurden sie mit Eifer ergriffen und verbreitet. Hus lehnte sich eng an Wiclif an. Es ist jedoch sehr übertrieben, wenn man behauptet, die Wiclifitische Lehre habe die Hussitische Bewegung erzeugt. Sie hat dieser höchst verwendbare Argumente geliefert, hat die Formulierung der Forderungen, die letztere aufstellte, beeinflußt, aber Grund, Kraft und Ziel der Bewegung wurzelten tief in den Verhältnissen; sie war keine importierte, sondern eine ganz ursprüngliche. Sie fand Ausdruck schon unter Karl IV., in Miliè von Kremsier und Matthias von Janow, ehe noch die Wiclifitischen Schriften nach Böhmen gekommen waren, was erst in den letzten Lebensjahren des Pfarrers von Lutterworth (um 1380) der Fall war.

Karl IV. Sohn Wenzel (als böhmischer König der vierte seines Namens, regierte 1378 bis 1419) suchte soviel als möglich zwischen den Gegensätzen zu vermitteln. Da ihm die deutsche Krone sehr gleichgültig, ja wegen ihrer Machtlosigkeit fast widerlich war, brauchte er nicht ein Pfaffenkaiser zu sein wie sein Vater. Er suchte die Kirche seiner Botmäßigkeit zu unterwerfen, und darin berührte er sich mit den Bestrebungen der tschechischen Patrioten und Kirchenreformer. Aber er mußte auch erkennen, daß auf den Deutschen die ökonomische Blüte Böhmens und damit zum großen Teil seine eigene Macht beruhte. Er begünstigte die tschechischen Bestrebungen, aber er wünschte nicht, daß die Deutschen dadurch geschädigt würden. Dieser widerspruchsvollen Situation ist zum großen Teil das Schwankende der Wenzelschen Regierung zuzuschreiben, die heute die Tschechen und die Reformfreunde begünstigte, zum Beispiel in der Frage der Universität, um sie morgen wieder zurückzudrängen, was ihm freilich nicht immer gelang.

Das Deutschtum nahm unter ihm an Macht und Ansehen stetig ab, aber seiner schwankenden und widerspruchsvollen, oft launenhaften Politik gelang es doch, fast bis zu seinem Lebensende ein gewaltsames Aufeinanderplatzen der Gegensätze zu hindern.

Zur gewaltsamen Explosion kam es erst, als auswärtige Mächte in die böhmischen Verhältnisse eingriffen, die an Stelle der Schaukelpolitik und der Kompromisse die Politik der starken Hand bevorzugten und durch den Versuch, den Brand mit einem kräftigen Fußtritt auszutreten, das ganze Haus in hellen Flammen aufgehen ließen.

Der vornehmste literarische Repräsentant der antipäpstlichen und antideutschen Bewegung, Johannes Hus, seit 1398 Professor an der Prager Universität, später, seit 1402, Pfarrer an der Bethlehemskapelle, erfreute sich der Gunst Wenzels, der ihn zum Beichtvater der Königin Sophie machte. Die Universität, in den Händen der Deutschen, wandte sich zuerst gegen Hus und Wiclif, dessen Lehren Hus verbreitete. Sie bezeichnete 45 Wiclifitische Sätze als Ketzerei. Der Universitätsstreit wurde immer mehr zu einem nationalen, in dem die Tschechen und Reformfreunde majorisiert wurden. Schließlich griff Wenzel ein, 1409, und gab der böhmischen Nation an der Universität drei Stimmen, den übrigen zusammen nur eine. Daraufhin wanderte die Mehrheit der deutschen Professoren und Studenten aus. Die Universität jedoch erklärte sich nun für Hus und machte ihn zu ihrem Rektor.

Aber jetzt bekam es dieser mit dem Erzbischof von Prag, ja schließlich mit dem Papst selbst zu tun. Der Kampf wurde immer heftiger, die Kluft zwischen Hus und der Kirche immer größer. Besonders akut wurde der Konflikt, als der Papst Johann XXIII. 1411 wieder einmal einen Ablaßhandel veranstaltete, da er Geld brauchte. 1412 wurde der Ablaß auch in Prag feilgeboten. Auf das heftigste wendete sich Hus dagegen und gegen den ausbeutenden Papst, den er als den Antichrist denunzierte. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen in Prag zwischen den hussitischen Tschechen, welche die päpstlichen Bullen verbrannten und die Geistlichkeit bedrohten, und den katholischen Deutschen.

Schon damals schien es, als sollten sich die schroffen Gegensätze in offenem Kampfe messen. Indessen wußte Wenzel mit brutaler Neutralität noch einmal den Frieden zu bewahren. Er wies Hus aus Prag aus (Dezember 1412), bald darauf aber bereitete er vier päpstlich gesinnten Theologen das gleiche Schicksal. Und gleichzeitig brach er die Vorherrschaft der Deutschen in Prag, indem er bestimmte (21. Oktober 1413), daß künftig die Hälfte der Ratsherren aus Tschechen zu bestehen habe.

Im Jahre 1414 trat in Konstanz die große Kirchenversammlung zusammen, von der wir schon gesprochen haben. Ihre Aufgabe war, die päpstliche Kirche neu zu einigen und zu organisieren. Dazu gehörte nicht bloß die Beseitigung der bestehenden drei Päpste und die Einsetzung eines neuen, sondern auch die Unterdrückung der böhmischen Ketzerei. Sigismund, Wenzels Bruder, seit 1410 deutscher Kaiser (Wenzel war schon 1400 von den deutschen Kurfürsten abgesetzt worden) und voraussichtlicher Erbe Wenzels in Böhmen, hatte an der Unterdrückung des Hussitismus besonderes Interesse, denn dieser drohte mit dem Abfall Böhmens nicht bloß von der Kirche, sondern auch vom Reich.

Hus wurde vor das Konzil geladen. Voller Zuversicht trat er die Reise nach Konstanz an (Oktober 1414). Er vertraute nicht auf den Geleitsbrief, den König Sigismund ihm ausstellte, sondern vor allem auf seine gute Sache. Wie so viele Ideologen vor ihm und nach ihm sah er nur Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse, wo tiefe unüberbrückbare Gegensätze vorhanden waren. Waren die Mißverständnisse aufgehellt, die irrigen Meinungen widerlegt, dann mußte sich die siegreiche Kraft seiner Ideen offenbaren. Aber es gelang ihm nicht, die frommen Väter zu überzeugen, weder von der Notwendigkeit der apostolischen Armut für die Nachfolger Christi, noch auch davon, daß ein geistlicher oder weltlicher Herrscher, selbst ein Papst oder ein König, aufhöre, rechtmäßig zu sein, wenn er sich einer Todsünde schuldig mache.

Dieser demokratische Grundsatz verschnupfte auch Sigismund gewaltig.

Daß die Böhmen sich mit Macht für Hus erhoben, vor allem der Adel, bezeugte nur die Gefährlichkeit des Mannes, für den sie eintraten, und war für das Konzil ein Grund mehr, ihn unschädlich zu machen. Nachdem es vergeblich versucht hatte, Hus durch lange Kerkerhaft und Drohungen zum Widerruf zu bewegen, verdammte es am 6. Juli 1415 ihn und seine Lehren und übergab ihn dem weltlichen Richter. Sigismund war charakterlos genug, sein Wort zu brechen und Hus, trotz des gegebenen freien Geleits, dem Flammentode zu übergeben.

Damit waren die Böhmen vor die Alternative gestellt: Rebellion oder Unterwerfung. Sie wählten erstere.

Schon während des Prozesses gegen Hus waren einige entschiedenere seiner Anhänger darangegangen, sich offen von der Kirche loszusagen. Sie nahmen die Forderung, die schon Matthias von Janow gestellt hatte, wieder auf, man solle das heilige Abendmahl dem Volke unter beiderlei Gestalten erteilen. In der katholischen Kirche war es Gebrauch geworden, den Laien beim Abendmahl nicht Brot und Wein, sondern bloß Brot darzureichen. Der Gebrauch des Kelches wurde den Priestern vorbehalten. Es entsprach ganz einer Lehre, welche die Privilegien der Priesterschaft aufheben wollte, daß sie sich auch gegen das äußere Zeichen dieser privilegierten Stellung aussprach. Der Kelch, der Laienkelch, wurde von da an das Symbol der Hussiten. Nach der herkömmlichen populären Geschichtsdarstellung hätte es sich in dem riesenhaften Ringen der Hussitenkriege im wesentlichen um nichts anderes gehandelt als um die Frage, ob das Abendmahl unter beider Gestalten zu genießen sei oder nicht, und die »aufgeklärten Köpfe« unterlassen nicht, in diesem Zusammenhang mit Genugtuung darauf hinzuweisen, wie beschränkt doch die Leute zu jener Zeit gewesen seien und wie helle dagegen die Freidenker unserer Zeit.

Aber diese Darstellung der Hussitischen Bewegungen ist ungefähr ebenso weise und begründet, als es eine geschichtliche Darstellung in einem der späteren Jahrhunderte über die Revolutionskämpfe unserer Zeit wäre, in welcher ausgeführt würde, die Menschen seien im neunzehnten Jahrhundert noch so unwissend gewesen, gewissen Farben eine abergläubische Bedeutung beizulegen, so daß die blutigsten Kämpfe darüber entstanden seien, ob die Farben Frankreichs weiß oder blauweißrot oder rot sein sollten, die Ungarns schwarzgelb oder rotweißgrün, daß in Deutschland eine Zeitlang jeder Träger eines schwarzrotgoldenen Bandes zu schweren Kerkerstrafen verurteilt worden sei usw.

Was die verschiedenen Flaggen heutzutage für die verschiedenen Nationen und Parteien, das war der Kelch für die Hussiten: ihr Feldzeichen, um das sie sich scharten, das sie bis zum äußersten verteidigten, aber nicht ihr Kampfobjekt.

Und nicht anders steht es mit den verschiedenen Formen des Abendmahls, die in der Reformation des sechzehnten Jahrhunderts zutage getreten sind.

Nachdem Johannes Hus hingerichtet worden; griff in Böhmen die Lossagung vom katholischen Kirchenverband, deren Symbol die Annahme des Laienkelchs war, rasch um sich. Das Eis war gebrochen, und bald zog man auch die praktischen Konsequenzen der Lossagung, jene Konsequenzen, denen im Grunde der ganze Konflikt galt. In Prag begannen sich zeitweise die Massen des niederen Volkes zu erheben, nicht immer zu bloßen Demonstrationen, mitunter auch zur Verjagung von Weltgeistlichen und Mönchen, zur Plünderung von Kirchen und Klöstern. Am besten aber nutzten die Adligen die Gelegenheit aus. Nicht umsonst waren sie die eifrigsten Bekenner der Hussitischen Lehre geworden. Um Hussens Tod zu rächen, sandten sie nun – natürlich aus purem Glaubenseifer – Bischöfen und Klöstern ihre Fehdebriefe und fingen an, sich die Kirchengüter anzueignen, wo sie nur konnten.

Wenzel stand dem Sturm machtlos gegenüber. Vergebens suchten ihn der Papst und Sigismund zu energischem Vorgehen gegen die Rebellen anzustacheln. Wenzel hielt es für das Klügste, zu tun, als merke er nichts. Schließlich kam es so weit, daß Sigismund seinen Bruder mit Krieg bedrohte, wenn dieser gegen den Hussitischen Unfug nicht einschreite. Diese Drohung wirkte. Wenzel wandte sich gegen die Hussiten und versuchte die vertriebenen Geistlichen wieder zurückzuführen. Darüber kam es in Prag zu einem Aufruhr, in dem die niederen Volkmassen, geführt von Johann Žižka (sprich Schischka, das Sch weich), die Stadt eroberten (30. Juli 1419).

Als Wenzel, der sich vor dem drohenden Sturme auf seine Burg Wenzelstein geflüchtet hatte, die Nachricht davon erhielt, geriet er in grenzenlose Wut. Diese soll die Veranlassung des Schlagflusses gewesen sein, der ihn damals traf und an dem er wenige Tage später starb.

Böhmen war ohne König der Hussitischen Ketzerei preisgegeben.

4. Die Parteien innerhalb der Hussitischen Bewegung

Solange die Ketzerei in Böhmen eine unterdrückte Lehre gewesen, waren nur ihre nationalen und kirchlichen Seiten zum Vorschein gekommen; der nationale und kirchliche Gegner war für die verschiedenen Klassen der Masse der Bevölkerung derselbe gewesen; die gemeinsame Feindschaft hatte sie vereinigt.

Nun war der gemeinsame Feind im Lande zurückgedrängt, »das reine Wort Gottes« war siegreich, und da zeigte sich's, daß dieses Wort, obwohl es für alle gleich lautete, doch von den verschiedenen Klassen, ihren verschiedenen Interessen gemäß, gar verschieden und sehr gegensätzlich aufgefaßt wurde.

Im allgemeinen bildeten sich zwei große Richtungen im Hussitismus. Jede derselben fand ihren Mittelpunkt in einer Stadt, und ebenso auch die spärlichen Reste des Katholizismus in Böhmen. Diese drei Städte waren Prag, Tabor und Kuttenberg.

Die deutschen Gewerken und Bergleute von Kuttenberg, damals nächst Prag der größten und mächtigsten Stadt Böhmens, hatten alle Ursache, katholisch zu bleiben. Niemand hatte bei einem Siege der Hussiten mehr zu verlieren als sie. Dementsprechend äußerte sich damals der Katholizismus nirgends so fanatisch wie unter ihnen. Jeden Hussiten, der in ihre Gewalt geriet, ließen sie hinrichten, und sie bekamen ihrer genug. Die Böhmen behaupteten sogar, die Kuttenberger hätten ein Fanggeld auf Hussiten ausgesetzt, ein Schock Prager Groschen für einen gewöhnlichen Ketzer und fünf Schock für einen ketzerischen Priester.

Außer Kuttenberg gab es noch einige wenige Städte, in denen es den Deutschen gelang, sich zu behaupten, die daher der katholischen Sache treu blieben. Die meisten dieser Städte fielen im Verlauf der Hussitenkriege in die Hände der Hussiten und wurden von diesen tschechisiert, ebenso auch Kuttenberg selbst. Nachdem dies für die katholische Sache endgültig verlorengegangen war (1422), ging der Schwerpunkt der katholischen Partei auf Pilsen über.

Neben diesen paar Städten blieb noch ein kleiner Teil des Adels dem alten Glauben treu, teils weil er an einem königlichen Hofe bessere Geschäfte zu machen hoffte, teils aus Abneigung vor der demokratischen Richtung, die sich im Hussitismus entwickelte.

Die Mehrzahl der Adligen hielt aber fest zu der Hussitischen Sache; die Kirchengüter, die sie verschluckt, zwangen sie dazu. Ihr Ideal, namentlich das des hohen Adels, war eine aristokratische Republik mit einem Schattenkönig an der Spitze. Da Sigismund dazu nicht zu gebrauchen war, suchten sie einen Ersatzmann in Polen und Litauen. Doch hatte kein angesehener Fürst Lust, sich in das Wespennest zu setzen.

Auf Seite der aristokratischen Partei standen meist auch die Prager. Wohl hatten dort in einer Reihe von Aufständen die niederen Volksklassen das Heft in die Hände bekommen, nachdem sie die deutschen Geistlichen und Patrizier vertrieben hatten. Neben den Rat trat jetzt die Versammlung der großen Gemeinde, in der jeder das Stimmrecht hatte, der in der Stadt einen selbständigen Nahrungszweig betrieb. Die Ratsherren wurden wahrscheinlich von ihr gewählt.

Aber bald bildete sich ein neues, höheres Bürgertum in Prag. Diese mächtige Stadt hatte natürlich die Gelegenheit benutzt, ebenso wie die Adligen Kirchengut an sich zu reißen. Der Raub war so bedeutend, daß er längere Zeit ein großes Zankobjekt zwischen den beiden Gemeinden bildete, aus denen Prag bestand, der Alt- und Neustadt. Dergleichen konfisziertes Gut, das verkauft, verteilt, verschleudert wurde, dazu die Beute aus den Kirchen und Klöstern, wurde für spekulative Köpfe jedenfalls eine gute Grundlage, sich aus der Masse emporzuschwingen. Nach der Eroberung Kuttenbergs fiel die Ausbeutung seiner Bergwerke den Pragern zu, deren Haupteinnahmequelle sie wurden. Auch das mußte das Aufkommen schlauer Spekulanten begünstigen. So bildete sich ein neues, tschechisches Patriziat, das bald wieder mit dem Adel sympathisierte und die Herrschaft der »großen Gemeinde« ungern ertrug.

Aber auch unter den Handwerkern und selbst in den niedersten Volksklassen Prags mußten bald aristokratische Sympathien erstehen. Denn diese Stadt war Luxusstadt. Ihre Industrie und ihr Handel gediehen, weil der Hof und die hohen Herren dort verpraßten, was sie dem ganzen Lande ausgesaugt. So wie die Römer sich immer wieder nach einem Papste sehnten, auch wenn sie ihn selbst vertrieben hatten, so begannen die Prager ein Königtum und einen ausbeutenden Adel für höchst notwendige Erfordernisse der Gesellschaft zu halten. Die demokratischen Elemente in der Gemeinde wurden immer schwächer, die aristokratischen stärker. Aufstände, Intrigen, auswärtiges Eingreifen verstärkten einmal das eine, einmal das andere dieser Elemente, aber Prag war stets als Freundin der Demokraten eine unzuverlässige Freundin, als deren Feindin eine sehr entschiedene Feindin, und in den letzten Hussitenkriegen war es ausschließlich letzteres.

Die Prager und der Hussitische Adel – vornehmlich der hohe – bildeten zusammen die »gemäßigte Partei« – wahrscheinlich so genannt, weil sie am maßlosesten Kirchengut konfisziert hatten –, die Partei der Calixtiner oder Utraquisten. Calixtiner, vom lateinischen Calix, der Kelch; Utraquisten, weil sie das Abendmahl unter beiderlei Gestalten, lateinisch sub utraque specie, einnahmen.

Ihnen trat eine andere Richtung entgegen, die man ihrer Zusammensetzung und ihren allgemeinen Tendenzen nach wohl als eine demokratische bezeichnen kann.

Ihre zahlreichsten Anhänger fand sie unter den Bauern. Die Bauernschaft war bei weitem die größte Volksklasse im Lande.

Die hussitische Revolution brachte den Gegensatz zwischen ihr und den Grundherren zum hellen Ausbruch. Den Adligen nutzte das konfiszierte Kirchenland nichts ohne die Kirchenleute, die ihnen zinsten und frondeten. Diese aber hatten sich nicht gegen die Kirche erhoben, um den einen Herrn mit einem anderen, noch strengeren zu vertauschen. Freie Bauern, freie Eigentümer wollten sie sein. Und wie sie, auch die anderen Bauern. Die Revolution von oben mußte die von unten wachrufen. Alle Schranken waren weggerissen, die bisher noch einigermaßen den gewaltsamen Zusammenstoß der feindlichen Klassen gehindert hatten; das Herkommen war über den Haufen geworfen, das Ausbeuter und Ausgebeutete festen Regeln unterworfen; das Königtum beseitigt, das Barone und Bauern einigermaßen gebändigt hatte. Die Bauern fühlten es, wenn es ihnen jetzt nicht gelang, ein Regiment des Adels unmöglich zu machen, seine Macht völlig zu brechen, dann verfielen sie seiner unbeschränkten Herrschaft. Sie hatten jetzt nur die Wahl zwischen völliger Freiheit und völliger Leibeigenschaft.

Mit den Bauern zusammen gingen die Kleinbürger und Proletarier, zum Teil in Prag, wie wir gesehen, namentlich aber in jenen Kleinstädten, in denen es ihnen gelang, mit der deutschen »Ehrbarkeit«, dem höheren Bürgertum aufzuräumen. Jede dieser Städte stand hinter Prag weit an Macht zurück. Sie waren nicht wie die Hauptstadt imstande, sich vereinzelt der Übermacht der Barone zu erwehren, deren Ausbeutungsgier keine Grenzen kannte. So wie die Ohnmacht des Königtums in Deutschland die Städte schon früher gezwungen hatte, sich in Bündnissen zu vereinigen, um sich des räuberischen Adels zu erwehren, so taten es jetzt die böhmischen Kleinstädte – mit Ausnahme der wenigen, die katholisch blieben.

Der niedere Adel, der ökonomisch eine Mittelstellung zwischen den Bauern und dem höheren Adel einnahm, ähnlich wie heute das Kleinbürgertum zwischen der Kapitalistenklasse und dem Proletariat steht, benahm sich ebenso schwankend und unzuverlässig wie heute die Masse des Kleinbürgertums. Die niederen Adligen, kaum mehr als größere freie Bauern, hatten auf jeder Seite etwas zu verlieren, etwas zu gewinnen. Die Befreiung der Bauern drohte ihnen mit weiterer Schmälerung ihrer Einkommen aus Zinsen und Fronden; aber die Niederschlagung des hohen Adels befreite sie von gefährlichen Konkurrenten und Gegnern, die sie immer mehr herabdrückten; eine Plünderung des hohen Adels mußte den Rittern ebenso erwünscht sein wie den Bauern. Ein Teil des niederen Adels schloß sich der aristokratischen Partei an, ein Teil der demokratischen, der größte Teil schwankte hin und her und neigte sich dorthin, wo im Moment Sieg und Beute lockte.

Unter den Rittern, die der demokratischen Partei unverbrüchlich treu blieben, ragt vor allem hervor der schon genannte Žižka von Trocnow (sprich Trotznow), der als Söldner gegen die Polen, die Türken und, im englischen Dienste, gegen die Franzosen gekämpft hatte. Er stellte seine Kriegserfahrungen den Demokraten zur Verfügung und wurde ihr bekanntester und gefürchtetster Führer. Aber so fest er auch zu ihnen hielt, er stand zu ihnen als Soldat, weil sie eine Armee bildeten, die ihresgleichen nicht hatte – wir kommen gleich darauf zu sprechen –, nicht als Politiker. Als Politiker nahm er eine Mittelstellung zwischen ihnen und den Calixtinern ein, wie viele andere Ritter und ein großer Teil des Prager Kleinbürgertums.

Nach seinem Tode trennten sich seine besonderen Anhänger von den Demokraten und bildeten eine eigene Mittelpartei, die der »Waisen« – so nannten sie sich, weil sie ihren Vater Žižka verloren hatten.

Die Demokraten dagegen hießen die Taboriten, nach ihrem politischen und militärischen Mittelpunkt, der kommunistischen Stadt Tabor. Die Kommunisten wurden die Vorkämpfer der demokratischen Bewegung.

5. Die Kommunisten in Tabor

Wie anderswo mußten sich auch in Böhmen mit der Entwicklung der Warenproduktion und des Warenhandels kommunistische Ideen bilden. Die Ausbreitung der Wollenweberei im vierzehnten Jahrhundert, die in den böhmischen Landen zuerst in Prag, Iglau und Pilsen auftritt, dürfte die Bildung und Verbreitung dieser Ideen besonders gefördert haben.

Schon 1337 finden wir in Prag Tuchknappen, die selbständig ganze Tuche verfertigen. Es müssen also schon größere Unternehmer bestanden haben, die Gesellen als Hausindustrielle beschäftigten. (Hildebrand, Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie, a. a. O., S. 104.)

Auch Einwirkungen von außen im Sinne der kommunistischen Ideen fehlten nicht. Begharden fanden sich in Böhmen ein (dort Picarden genannt). Die Einwanderung deutscher Handwerker, die durch die böhmischen Könige begünstigt wurde, dürfte nicht ohne Einfluß auf das Eindringen des Beghardentums gewesen sein.

Waldenser sollen schon zur Zeit der ersten Verfolgungen aus Südfrankreich nach Böhmen geflohen sein und dort eine Zufluchtsstätte gefunden haben, wo sie sich verborgen hielten und ihre Lehre verbreiteten. F. Bender, Geschichte der Waldenser, S. 46 ff.

Als der Gegensatz zwischen Böhmen und der päpstlichen Kirche sich entwickelte und Gegner der letzteren in Böhmen nicht nur geduldet, sondern sogar begünstigt wurden, da erhob natürlich auch die kommunistische Ketzerei ihr Haupt, und die verfolgten Kommunisten aus den umliegenden Ländern suchten in Böhmen ihr Heil. Der Kommunismus konnte sich um so leichter entwickeln, als er sich in den Argumentationen, ja vielfach auch in den Forderungen äußerlich mit den anderen ketzerischen Richtungen begegnete: sie alle wollten die Rückkehr zum Urchristentum, die Wiederherstellung der reinen Lehre; über deren Auslegung fing man erst später zu streiten an.

Die Kriegserklärung von Kirche und Reich an Böhmen durch die Verbrennung des Johannes Hus führte zum Umsturz der überkommenen Eigentums- und Gesellschaftsordnung durch Konfiskation und Plünderung der Kirchengüter. Das war die richtige Zeit für die kommunistischen Sekten. Offen erhoben sie nun ihr Haupt. Geheim und wenig erkannt hatten diese Sekten bis dahin ihr Dasein gefristet, und nur von Zeit zu Zeit hatte der Verrat eines Genossen der Welt von ihrer Existenz Kunde gegeben. Aus den Tälern Piemonts, wo Waldensergemeinden sich noch behaupteten, kamen gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts (Bender, Geschichte der Waldenser, S. 47, dem wir die Mitteilung entnehmen, gibt kein näheres Datum an, aber es war wohl noch unter Karl IV.) zwei Prediger nach Böhmen zu den Waldensern dieses Landes. Die beiden Italiener erwiesen sich als Verräter, sie entdeckten der katholischen Geistlichkeit die Orte, wo die Waldenser sich zu versammeln pflegten, und veranlaßten dadurch eine schwere Verfolgung ihrer Genossen. Aber welche verhältnismäßig große Ausdehnung sie gewonnen hatten, zeigte sich jetzt, als sie offen auftreten konnten.

In Prag freilich waren die Kommunisten zu schwach oder ihre Gegner zu stark, als daß jene sich hätten frei entfalten können. Anders dagegen in den kleineren Städten.

Das tausendjährige Reich Christi sei nun gekommen, verkündeten die kommunistischen Prediger; Prag werde wie Sodom von Himmelsflammen verzehrt werden, aber in einer Reihe anderer Städte würden die Gerechten Schutz und Heil finden. Christus werde in seiner Herrlichkeit niedersteigen und ein Reich gründen, in dem es weder Herren noch Knechte, weder Sünde noch Not, auch keine anderen Gesetze als die des freien Geistes geben werde. Die dann Überlebenden, in den Stand paradiesischer Unschuld zurückversetzt, würden keine körperlichen Leiden und Bedürfnisse mehr kennen, auch der Kirchensakramente zu ihrer Heiligung nicht bedürfen. Palacky, a. a. O., III, 2, S. 81. Die Hauptquelle, aus der Palacky seine Mitteilungen über den taboritischen Kommunismus schöpfte, ist J. Pøibrams leider nur im Manuskript vorhandene Streitschrift gegen die Taboritenpriester: »Proti knìžim Táborským« vom Jahre 1429.

In verschiedenen Städten kam es zur Konstituierung kommunistischer Organisationen. Über kommunistische Gründungen auf dem Lande haben wir keine Mitteilungen gefunden. Alles weist darauf hin, daß es nur in den Städten zu einer Verwirklichung der kommunistischen Ideen gekommen ist. Unter diesen Städten werden namentlich genannt Pisek, Wodnian und Tabor. In letzterer Stadt gelangten die Kommunisten zur ausschließlichen Herrschaft.

Tabor wurde damals gegründet in der Nähe des Städtchens Austi an der Lužnic, die, wie wir wissen, wegen ihrer Goldwäschereien berühmt war. Der Goldreichtum mag wohl auf die Entwicklung des Handels und der Industrie und der damit verbundenen Gegensätze in Austi besonders eingewirkt haben; sicher ist, daß die kommunistischen Agitatoren dort seit 1415 Schutz und Schirm fanden, wie es heißt, hauptsächlich durch den reichen Tuchmacher und Tuchhändler Pytel – was auf eine starke Weberbevölkerung schließen läßt. Auch die späteren Bewohner Tabors waren vornehmlich Weber, wie Äneas Sylvius in einem Briefe mitteilt, auf den wir noch zu sprechen kommen. 1419 während des kurzen Reaktionsversuches unter Wenzel wurden diese Agitatoren aus Austi vertrieben, wo es eine starke katholische Partei gab. Sie ließen sich in der Nähe auf einem breiten Hügel an der Lužnic nieder, der eine Halbinsel mit steilem Abfall bildete, die nur durch eine schmale Landzunge mit dem festen Lande zusammenhing. Diesen schwer einnehmbaren Platz erkoren sie zu ihrer Festung und nannten ihn den Berg Tabor in der Sprache des Alten Testamentes, die sie gleich den späteren Wiedertäufern und Puritanern mit Vorliebe gebrauchten.

Von allen Seiten strömten die Kommunisten dahin, um dort ungestört ihre Versammlungen abzuhalten. An der einen derselben, vom 22. Juli 1419, sollen 42 000 Personen aus ganz Böhmen und Mähren teilgenommen haben. Das bezeugt eine erhebliche Verbreitung kommunistischer Ideen.

»Der ganze Vorgang wurde selbst von den Gegnern als ein großes, Geist und Herz erhebendes, religiös-idyllisches Volksfest geschildert; es ging in schönster Ruhe und Ordnung vor sich. Den von allen Seiten prozessionsweise mit Fahnen unter Vorantragung des heiligen Sakramentes heranrückenden Pilgerscharen gingen die am Ort Anwesenden ebenso feierlich entgegen, empfingen sie jubelnd und wiesen ihnen ihre Plätze auf dem Berge an. Jeder, der kam, war ›Bruder‹ und ›Schwester‹; Standesunterschiede wurden nicht berücksichtigt. Die Geistlichen teilten die Arbeit untereinander: die einen predigten an bestimmten Orten, Männern und Frauen abgesondert; die anderen hörten Beichte; die dritten kommunizierten unter beiden Gestalten. Das währte so bis Mittag. Dann ging man an das gemeinschaftliche Verzehren der von den Gästen mitgebrachten und unter sie verteilten Lebensmittel; dem Mangel der einen half der Überfluß der anderen ab; den Unterschied des Mein und Dein kannten die Brüder und Schwestern des Berges Tabor nicht. Da die Gemüter der ganzen Versammlung von religiöser Bewegung ergriffen waren, so wurde strenge Zucht und Sitte in keiner Weise verletzt; an Musik, Tanz und Spiel durfte man nicht denken. Der Rest des Tages verging unter Gesprächen und Reden, womit man sich zur Eintracht, Liebe und fester Anhänglichkeit an die Sache des ›geheiligten‹ Kelches wechselseitig aufmunterte. An Klagen und Beschuldigungen der Gegenpartei, an überspanntem Eifern, an Plänen, wie man ›dem Worte Gottes‹ im Lande wieder Freiheit verschaffen sollte, konnte es unter solchen Umständen nicht fehlen. Die Versammlung ging endlich ruhig auseinander, nachdem selbst die Eigentümer der Felder, welche an diesem Tage gelitten hatten, durch eine Kollekte reichlich entschädigt worden waren.« Palacky, a. a. O., III, 1, S. 417 ff.

Acht Tage nach dieser Versammlung kam es zum Prager Aufruhr, der der katholischen Reaktion ein Ende machte, König Wenzel den Tod brachte und den Hussitenkrieg einleitete. Nun blieb man bei bloßen Demonstrationen, bei kommunistischen Picknicks, nicht stehen. Man organisierte kommunistische Gemeinden.

Die Grundsätze der Taboriten sind übersichtlich zusammengefaßt in einer Schrift, welche die Prager Universität aufgesetzt hat. Der Gegensatz zwischen Pragern und Taboriten sollte nach der damaligen Mode durch eine Disputation beseitigt werden (10. Dezember 1420). Zu diesem Behufe hatten die Professoren der Prager Universität ein Verzeichnis von nicht weniger als 76 Punkten aufgesetzt, in denen nach ihrer Meinung die taboritischen Lehren ketzerisch oder mindestens irrig waren. Die Mehrzahl dieser Punkte war natürlich, dem Geschmack der Herren Professoren und den Denkformen jener Zeit entsprechend, theologischer Natur. Aber zwei Punkte enthalten auch den Vorwurf des Republikanismus und Kommunismus. Es lehrten die Taboriten:

»In dieser Zeit wird auf Erden kein König oder Herrscher, noch ein Untertan sein, und alle Abgaben und Steuern werden aufhören, keiner wird den anderen zu etwas zwingen, denn alle werden gleiche Brüder und Schwestern sein.

Wie in der Stadt Tabor kein Mein und Dein, sondern alles gemeinschaftlich ist, so soll immer alles allen gemeinschaftlich sein und keiner ein Sondereigentum haben, und wer ein solches hat, begeht eine Todsünde.«

Daraus zogen sie die Konsequenz, daß es sich nicht mehr gezieme, einen König zu haben, noch einen sich zu wählen, sondern daß nun Gott selbst König über die Menschen sein wolle und die Regierung dem Volke solle anheimgegeben werden; daß alle Herren, Edle und Ritter wie Unkraut niedergemacht und vertilgt werden sollten, daß nun Abgaben, Steuern und Zahlungen aufzuhören hätten, daß alle Fürsten- und Landes- und Stadt- und Bauernrechte, als Erfindungen der Menschen und nicht Gottes, aufgehoben seien usw.

Die rein kirchlichen Punkte betreffen unter anderen die Aufforderung, alle Kirchen niederzureißen, das Verbot, Gott in einer Kirche zu verehren, das Verbot, Heiligenbilder zu machen oder zu verehren, die Verwerfung des Glaubens an ein Fegefeuer usw. Auch gegen die Gelehrsamkeit (oder, wenn man will, die Wissenschaft) wendeten sich die Taboriten: »Nichts soll von Christen geglaubt oder gehalten werden, was nicht ausdrücklich in der Bibel gesagt und geschrieben steht, und außer der Bibel soll keine Schrift heiliger Doktoren oder welcher Magister (Professoren) und Weltweisen immer gelesen oder gelehrt oder verkündet werden, denn es sind Menschen, die da irren könnten; wer daher den sieben Künsten obliegt oder die Magisterschaft in ihnen annimmt, oder sich einen Magister derselben nennen läßt, der ahmt die Heiden nach, ist ein eitler Mensch und begeht eine Todsünde.« Diese Lehre wird die Herren Professoren besonders geschmerzt haben. Die Gegnerschaft der christlichen Kommunisten gegen die Wissenschaft, ebenso wie ihren Asketismus haben wir oben schon in einem anderen Zusammenhang behandelt und erklärt. (S. 176 ff.)

Verwirklicht wurde der Kommunismus natürlich in den Formen, die das Urchristentum geliefert hat und die dem damaligen Stande der Produktion noch gut entsprachen.

Jede Gemeinde hatte ihre gemeinschaftliche Kasse, »Kufe« (Kadì) genannt, in die jeder gab, was er sein Eigen nannte. Drei solcher Kassen werden genannt, eine in Tabor, eine in Pisek, eine in Wodnian. Die Brüder und Schwestern verkauften all ihr Hab und Gut und legten den Erlös zu den Füßen der Kufenverwalter nieder.

Der schon erwähnte Pøibram schreibt in seiner antitaboritischen Schrift von 1429: »Und einen anderen Schachertrug erfanden sie (die Taboritenpriester), indem sie dem zu ihnen auf die Berge herbeigelaufenen Volke in der Stadt Pisek befahlen und bestimmten, daß alle Brüder alles insgesamt zusammenbringen sollten, worauf sie eine oder zwei Kufen aufstellten, die ihnen die Gemeinde beinahe ganz anfüllte. Beamter bei dieser Kasse war der ehrlose Matthias Lauda von Pisek, und er und andere Besorger dieser Kufe samt den Priestern kamen bei der Kufe nicht zu Schaden. In diesem garstigen Vorgang zeigt sich, wie schmählich sie das Volk seines Besitzes und Verdienstes beraubten und sich selbst dabei bereicherten und mästeten.« Bei Palacky, a. a. O., III, 2, S. 297.

Palacky selbst muß zugeben, daß dieser Vorwurf eine elende Verleumdung war.

Man sieht, die großen Ausbeuter und deren Verteidiger, zu denen auch der biedere Pøibram gehörte, verstanden es schon vor einem halben Jahrtausend, geradeso gut wie heute, über die Vorkämpfer der Ausgebeuteten die Lüge zu verbreiten, sie »mästeten sich von Arbeitergroschen«, und sie, die Ausbeuter, die wirklich Gemästeten, wußten sich damals wie heute über nichts mehr zu entrüsten, als über ein derartiges Mästen.

Indes, wie ehrliche und selbstlose Leute auch die Kassenverwalter sein mochten, diese Art Kommunismus war auf die Dauer nicht durchführbar. Er konnte sich bei den Taboriten noch weniger behaupten als bei den ersten Christen, da jene nicht, wie der Kern dieser, Proletarier mit Bettlergesinnung waren, sondern Arbeiter, die nicht von Almosen der Reichen, sondern von der eigenen Arbeit lebten und leben wollten. Das Arbeiten wurde aber damals, auf der Stufe des Handwerks und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, unmöglich, wenn jeder seine Produktionsmittel verkaufte und das Geld in die gemeinsame Kasse legte, damit Konsumtionsmittel für alle daraus gekauft würden. Wir glauben nicht, daß dieses Vorgehen unter den kommunistischen Taboriten jemals allgemein war. Sicher wurde es bald aufgegeben. Praktisch gestaltete sich der Kommunismus schließlich so wie bei den ersten Christen: jede Familie arbeitete für sich und lieferte bloß den Überschuß, den sie erzielte, an die gemeinsame Kasse ab.

Das geschah jedoch nicht ohne heftigen Protest der eifrigeren und entschiedeneren Kommunisten. Das bloße Gemeineigentum an Konsumtionsmitteln ließ sich allerdings unter den damaligen Verhältnissen in anderer Form dauernd nicht verwirklichen. Darum verlangten die extremeren Kommunisten die Einführung des vollen Kommunismus und die Aufhebung der Familie. Diese ist in zwei Formen möglich: durch das Zölibat oder durch Aufhebung der festen Einzelehe, durch die sogenannte Weibergemeinschaft. Die strengen Kommunisten unter den Taboriten wählten um so mehr die letztere Form, als ihre entschiedene Gegnerschaft gegen die katholische Kirche und das Mönchtum auch zu einer Verwerfung des Priesterzölibats führte.

Diese Konsequenz des Kommunismus jener Stufe ist uns nichts Neues; wir haben sie im Urchristentum schon gefunden, bei der Darstellung des Mönchwesens haben wir sie eingehender behandelt und gezeigt, daß die Weibergemeinschaft ebensowenig wie das Zölibat der Mönche und Nonnen eine »Verirrung« des menschlichen Geistes, vielmehr die notwendige Folge bestimmter, gegebener gesellschaftlicher Verhältnisse ist.

Ihren klarsten und entschiedensten Ausdruck fanden die Bestrebungen der strengeren Kommunisten in der Sekte der Brüder und Schwestern des freien Geistes, die wir schon kennengelernt haben. Sie hatten auch in Böhmen Eingang gefunden, und wenn dort von Pikarden (Begharden) gesprochen wurde, verstand man fast ausschließlich sie darunter. Nach dem Bauern Niklas, der der Hauptverkündiger ihrer Lehre wurde, nannte man die Hussitische Abart der Brüder und Schwestern des freien Geistes auch Nikolaiten, aber am bekanntesten wurden sie unter dem Namen der Adamiten; denn den adamitischen Zustand – den Naturzustand, hätte man im achtzehnten Jahrhundert gesagt – betrachteten sie als den sündloser Unschuld. In ihren Versammlungslokalen, Paradiese genannt, sollen sie nackt zusammengekommen sein. Ob diese Nachricht nicht auf bloßem Klatsch oder gar böswilliger Verleumdung beruht, können wir nicht entscheiden.

Die Adamiten bewohnten eine Insel im Flusse Luznic, erzählt uns Äneas Sylvius. Sie gingen nackt. Leider vergißt er zu sagen, ob stets oder nur bei besonderen Gelegenheiten. »Sie lebten in Weibergemeinschaft (connubia eis promiscua fuere), es war jedoch verboten, ohne Gestattung ihres Vorstehers Adam ein Weib zu erkennen. Aber wenn einer von Begierde ergriffen gegen eine andere entbrannte, dann nahm er sie bei der Hand und ging zum Vorsteher, dem er sagte: ›Für sie ist mein Geist in Liebe erglüht.‹ erwiderte ihm der Vorsteher: ›Gehet, wachset und vermehret euch und erfüllet die Erde.‹« Äneas Sylvius, De ortu et historia Bohemorum. Opera omnia, S. 109.

Diese Ehelosigkeit widersprach zu sehr den sittlichen Anschauungen ihrer Zeit, in der die Einzelehe und Einzelfamilie, eine von alters her überkommene und im Volksbewußtsein tief eingewurzelte Einrichtung, auch durch die Bedürfnisse der bestehenden Produktionsweise und der bestehenden Gesellschaft aufs gebieterischste gefordert wurde. Die Ausschließung der Ehe war wohl eine logische Konsequenz des damaligen Kommunismus, aber gerade sie bewies auch, daß dieser selbst keinen Halt in der Gesellschaft hatte, die der Einzelehe bedurfte; gerade sie bewies, daß der Kommunismus jener Zeit verurteilt war, auf kleine Korporationen und Gemeinden beschränkt zu bleiben. Die Masse der Taboriten wendete sich auf das entschiedenste gegen die Bestrebungen des strengeren Kommunismus.

Schon im Frühjahr 1421 kam es zum offenen Konflikt zwischen beiden Richtungen. Der Priester Martinek Hauska, einer der Hauptvertreter der weitergehenden Schwärmerei, Unter anderem suchte er die Agapen, die gemeinsamen Liebesmahle, nach der Art der ersten Kirche wieder einzuführen. (Palacky, a. a. O., IV, 1, S. 471). war am 29. Januar von einem Ritter gefangengenommen, aber auf die Fürsprache vieler Freunde wieder freigelassen worden. Um so eifriger predigte er seine Lehre, und sein Anhang wurde so bedrohlich, daß der Taboritenbischof Niklas sich nach Prag um Hilfe wandte. Auch dort hatte die kommunistische Ketzerei Boden gefunden. Der Rat befahl sofort ein strenges Vorgehen dagegen, und es wurden auch zwei Prager Bürger ihretwegen nach der angenehmen Sitte jener Zeit zum Tode verurteilt und verbrannt. In Tabor kam es gleichzeitig (im März) zum Bruch zwischen beiden Richtungen; die strengeren Kommunisten, die in der Minderzahl waren, wurden vertrieben und zogen, 300 Personen stark, in die Wälder am Flusse Lužnic.

Der Priester Martinek ließ sich breitschlagen und widerrief, seine »Ketzereien«. Seine Genossen aber blieben fest. Gegen sie wandte sich Žižka, der ja im Herzen zu den Pragern neigte, und dem die »Pikardische Ketzerei«, die schon den Taboriten verhaßt war, vollends ein Greuel sein mußte. Er überfiel sie in den Wäldern und nahm eine Anzahl von ihnen gefangen. Als sie jeden Widerruf verweigerten, wurden sie, fünfzig an der Zahl, auf Žižkas Befehl verbrannt. Lachend gingen sie in den Tod.

Martinek, der sich unter den Taboriten nicht mehr wohl fühlte, beschloß, sich nach Mähren zu begeben. Er wurde aber unterwegs mit seinem Begleiter, Prokop, dem Einäugigen, in Chrudim gefangengenommen und dem Erzbischof Konrad in Raudnitz übergeben. Žižka verlangte von den Pragern, sie sollten die beiden gefährlichen Leute nach Prag kommen lassen und dort zum warnenden Beispiel lebendig verbrennen. Aber die Prager Ratsherren fürchteten sich vor dem niederen Volke, unter dem die Richtung Martineks stark vertreten war. Sie sandten einen Scharfrichter nach Raudnitz, der die beiden Gefangenen so lange folterte, bis sie die Namen einiger Genossen in Prag verrieten. Darauf wurden sie in Fässer gesteckt und verbrannt (21. August 1421).

Aber noch war die Pikardische Ketzerei nicht völlig unterdrückt. Auf einer Insel des Flusses Nežarka, der in die Lužnic fließt, hatte sich eine Schar Adamiten festgesetzt. Žižka sandte 400 Bewaffnete gegen sie ab, mit dem Auftrag, sie gänzlich zu vertilgen. Die Überfallenen wehrten sich verzweifelt und erschlugen eine Menge ihrer Feinde. Aber sie erlagen schließlich der Übermacht. Wen das Schwert verschont hatte, den tötete das Feuer (21. Oktober 1421).

Damit war die strengere Richtung des Kommunismus völlig niedergeschlagen. Die Streitkräfte, mit denen sie überwunden wurde, bezeugen, daß sie keine allzu starke Verbreitung gewonnen hatte. In der Tat, nur wenige besonders kühne oder auch besonders einseitig im Kommunismus befangene Menschen konnten damals die Schranken ihrer Zeit so weit übersteigen. Sie sind interessant für die Geschichte des kommunistischen Gedankens; eine historische Bedeutung haben sie jedoch nicht erlangt.

Die Adamiten waren überwunden und zur Ohnmacht verurteilt, aber es war Žižka, der sie mit besonderem Hasse verfolgte, nicht gelungen, sie völlig auszurotten. Reste der Sekte fristeten ein kümmerliches Dasein unter den Taboriten. In den letzten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts tauchen sie wieder auf und versuchen, sich mit Böhmischen Brüdern zu verschmelzen, von denen wir noch handeln werden.

Nach der Niederschlagung der Adamiten ist kein Versuch mehr bemerkbar, die strengere Form des Kommunismus durchzuführen. Die mildere Form – allerdings Kommunismus mehr der Absicht als der Wirklichkeit nach – erhielt sich dagegen fast ein Menschenalter lang in Tabor.

Wozu aber verwendete man die Einkünfte der gemeinschaftlichen Kasse oder, besser gesagt, des gemeinschaftlichen Vorratshauses? Denn die Beiträge an die Gemeinschaft bestanden vorzüglich in Naturalien.

In den ersten Christengemeinden hatte der Überfluß der einen dazu gedient, der Armut der anderen abzuhelfen. Dazu war in Tabor keine Veranlassung. Dort bestand, wenn auch nicht vollständige, so doch nahezu vollständige Gleichheit der Lebensbedingungen für alle Mitglieder der Gemeinde. Diese war um so leichter herzustellen, als die Beute, zunächst aus den Kirchengütern, dann aber auch aus den Gütern feindlicher Herren und Städte hinreichte, jedem eine wohlständige Wirtschaft einzurichten. Sogar aus dem aristokratischen Prag sind Mitteilungen darüber erhalten, daß die große Gemeinde, also die Volksversammlung, Häuser, Weingärten und anderes von Gegnern konfiszierte und Anhängern der guten Sache verlieh. Der »ehrbare« Rat nahm sie diesen freilich öfters wieder weg. (Vergleiche Palacky, a. a. O., III, 2, S. 281.)

Für Armenpflege brauchten die Taboriten nichts auszugeben. Wohl aber mußten sie für ihre Priester sorgen. Sie hatten keine priesterliche Aristokratie, die ihre eigenen Güter besessen hätte. Jeder Laie konnte Priester werden; diese wurden von der Gemeinde gewählt, sie wählten wieder ihre Bischöfe, ökonomisch blieben sie von der Gemeinde abhängig, die sie erhielt. Ihre Funktionen entsprachen, wie die der mittelalterlichen Geistlichkeit überhaupt, im ganzen und großen denen der heutigen Staats- und Gemeindebeamten und Lehrer; sie richteten, verwalteten Gemeindeämter und vermittelten den Zusammenhang der Gemeinden untereinander, sowie ihre Beziehungen zur Außenwelt. Eine ihrer Hauptaufgaben war der Unterricht, den sie den Kindern erteilten. Auf eine allgemeine gute Volksbildung legten die Taboriten großen Wert. Es war dies eine Erscheinung, die bei ihnen besonders auffiel und in keiner anderen Nation damals gefunden wurde. Höchstens die »Brüder des gemeinsamen Lebens« könnte man mit ihnen vergleichen. Aber deren mönchisch-katholische Tendenzen gaben ihrer Wirksamkeit einen ganz anderen Charakter. Natürlich muß man die taboritische Bildung mit dem Maße ihrer Zeit messen. Sie war vorwiegend theologisch.

Äneas Sylvius sagt einmal: »Die italienischen Priester mögen sich schämen; es ist sicher, daß keiner von ihnen auch nur einmal das Neue Testament gelesen hat. Bei den Taboriten dagegen findest du kaum ein Weiblein, das nicht im Alten und im Neuen Testament wohl Bescheid wüßte.« Und an einer anderen Stelle bemerkt er: »Jenes tückische Geschlecht von Menschen hat nur ein Gutes, es liebt die Bildung (literas).«

Diese Sorge um die Volksbildung scheint im Widerspruch zu stehen zu der Abneigung der Taboriten gegen die Wissenschaft, die außer durch die früher schon erwähnten Tatsachen dadurch bezeugt wird, daß sie die studierten Leute, die sich ihnen anschlössen, veranlaßten, ein Handwerk zu ergreifen. Aber dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Was die Taboriten haßten, war die vom niederen Volk losgelöste, ihm feindlich gegenüberstehende Gelehrsamkeit, die ein Werkzeug der Ausbeuter, ein Privilegium der oberen Klassen geworden war, und die bei dem damaligen Standpunkt der Produktion unverträglich war mit allgemeiner Gleichheit. Die kleinbäuerliche und handwerksmäßige Produktion nimmt zu ausschließlich die Kräfte und die Zeit ihrer Arbeiter in Anspruch, als daß es diesen möglich wäre, höhere Gelehrsamkeit zu erwerben, ohne aus ihrer Klasse herauszutreten. Dagegen aber war es gerade ein Gebot der Gleichheit, jenes Maß von Bildung, das allen zugänglich gemacht werden konnte, auch allen zugänglich zu machen.

Der Haß der Taboriten gegen die Gelehrsamkeit entsprang der ökonomischen Rückständigkeit ihrer Zeit. Ihr Bildungseifer entsprang ihrem Kommunismus. Es ist wohl kein Zufall, daß der Vater der modernen Schulpädagogik, der vielgefeierte Comenius, ein Bischof der Böhmischen Brüder war, der Nachfolger der Taboriten.

Noch wichtiger als das Schulwesen wurde aber für die Taboriten das Kriegswesen. Diese kleine Gemeinschaft, die so kühn der ganzen bestehenden Gesellschaft den Krieg erklärte, konnte sich nur behaupten, solange sie im Felde unbesiegt blieb. Und für sie gab es keinen Frieden, nicht einmal einen Waffenstillstand. Ihr Gemeinwesen war zu unvereinbar mit den Interessen der herrschenden Mächte. Aber auch einen entscheidenden Sieg konnten sie nicht erfechten. Sie konnten ihre Feinde besiegen, aber nicht überwinden, denn diese wurzelten in den bestehenden Produktionsverhältnissen. Der taboritische Kommunismus war ein diesen Verhältnissen künstlich aufgepfropftes Gewächs, er konnte nie zur allgemeinen Form der Gesellschaft seiner Zeit werden.

Ewiger Krieg war das Schicksal der Taboriten, war ihr Ruhm, aber auch ihr Verhängnis.

Auf den Krieg spitzte sich die ganze Organisation der Taboriten zu. Sie teilten sich in zwei Arten von Gemeinden Feld(Kriegs) gemeinden und Hausgemeinden. Diese blieben zu Hause und arbeiteten für sich und für die Feldgemeinden. Letztere hatten sich ausschließlich mit dem Kriegswesen zu beschäftigen. Stets standen sie unter Waffen. Mit Weib und Kind rückten sie dem Feinde entgegen, gleich den alten Germanen, mit denen sie auch an barbarischer Wildheit und barbarischem Ungestüm wetteiferten. Die verschiedenen Gemeinden wechselten wahrscheinlich miteinander ab, die aus dem Felde Zurückkehrenden setzten sich zum Handwerk, die bisherigen Handwerker traten an ihre Stelle, – wahrscheinlich, denn hier wie in anderen Fragen über die Taboriten sind wir leider auf Konjekturen angewiesen. So gut wir über die Kriegstaten der Taboriten unterrichtet sind, so wenig ist über ihre inneren Einrichtungen erhalten geblieben.

Die Einrichtung dieser Feldgemeinden ist kriegsgeschichtlich von der größten Bedeutung geworden. Man führt in der Regel den Ursprung der stehenden Heere im ausgehenden Mittelalter auf Karl VII. von Frankreich zurück, der um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts eine beständige Militärmacht von fünfzehn Söldnerkompanien schuf. Aber tatsächlich bildeten die taboritischen Feldgemeinden das erste stehende Heer, und sie hatten noch den Vorzug vor der französischen Einrichtung, daß sie auf der allgemeinen Wehrpflicht, nicht auf der Anwerbung von (in Frankreich noch dazu meist landesfremden, schweizerischen und deutschen) Söldnern beruhten.

Aus dieser Einrichtung ging die große militärische Überlegenheit der Taboriten über ihre Gegner hervor.

Disziplin und Manövrierfähigkeit gingen den Heeren jener Zeit völlig ab. Wo sollten diese Eigenschaften auch herkommen in jenen zuchtlosen Haufen von Vasallen und Söldnern, die heute zusammengerufen wurden und morgen wieder auseinanderliefen, wenn der Sold ausblieb oder sonst etwas ihr Mißvergnügen erregte?

Das taboritische Heer war das erste seit dem Untergang des alten römischen Reiches, das einen Organismus bildete, nicht einen bloßen Haufen, der den Feind anrannte. Es war in verschiedene Glieder mit verschiedenen Bewaffnungen geteilt, die alle in künstlichen Manövern, in Schwenkungen und Wendungen während der Schlacht wohlgeübt waren, die alle von einem Zentrum aus planmäßig bewegt wurden und in ihren Bewegungen systematisch ineinandergriffen. Sie waren auch die ersten, welche die Artillerie in der Feldschlacht zweckmäßig zu verwenden wußten, und endlich die ersten, welche die Kunst des Marschierens ausbildeten. Ihre Eilmärsche allein haben ihnen manchen Sieg über die schwerfälligen Heere ihrer Gegner verschafft.

In allen diesen Punkten erweisen sie sich als die Schöpfer des neueren Heerwesens gegenüber dem mittelalterlichen.

Man kann vielleicht sagen, daß wie auf anderen Gebieten so auch auf dem militärischen jeder große Fortschritt durch eine soziale Revolution bewirkt wurde, und daß die größten Feldherren der letzten fünfhundert Jahre jene waren, die sich dieser revolutionären Fortschritte zu bemächtigen und am besten zu bedienen verstanden: Žižka, Cromwell, Napoleon.

Ihre militärische Tüchtigkeit erhöhten die Taboriten noch durch ihre Begeisterung und ihren Todesmut: für sie gab es keinen Kompromiß, kein Innehalten auf der betretenen Bahn. Für sie gab es keine Wahl, als siegen oder sterben. So wurden sie die gefürchtetsten Krieger Europas, so haben sie durch ihren kriegerischen Terrorismus die Hussitische Revolution gerettet, ähnlich wie 1793 die Sansculotten durch ihren Terrorismus die bürgerliche Revolution von 1789 retteten.

6. Der Untergang Tabors

Nach dem Tode Wenzels hatten die Calixtiner – der Hussitische Adel und die Prager – sich in Verhandlungen mit Sigismund eingelassen. Es war ihnen doch nicht recht geheuer bei dem Gedanken, daß sie gegen Kaiser und Papst, im Grunde gegen ganz Europa den Kampf aufnehmen sollten. Sie waren zu einem Kompromiß um so geneigter gewesen, als das Taboritentum zu einer bedrohlichen Stärke anwuchs. Hätte sich's nur um den Laienkelch gehandelt, so wäre es wohl zu einem Kompromiß gekommen. Aber es handelte sich um mehr, um Geld und Gut der Kirche, und darüber konnte man sich nicht einigen. Die Kirche und ihr Knecht Sigismund zeigten sich auf der einen Seite ebenso unversöhnlich, wie auf der anderen die Taboriten. Es kam zu einem Kampfe auf Tod und Leben, in dem die Calixtiner, die Kirchenräuber, notgedrungen, aber nur mit halbem Herzen mit den Taboriten zusammenkämpften.

Es ist hier nicht der Ort, eine Geschichte der Hussitenkriege zu geben. Wir können nicht eingehender erzählen, wie sich, nachdem der Papst Martin V. in der Bulle »Omnium plasmatoris domini« am 1. März 1420 die gesamte Christenheit zum Kreuzzug gegen die Hussiten aufgerufen, ein beutelustiges Kreuzheer nach dem anderen bildete, um die Ketzerei niederzuschlagen; wie in jedem der fünf Kreuzzüge von 1420 bis 1431 das Heer der Kreuzfahrer elend geschlagen wurde, wie der Ruf der Unbesiegbarkeit der taboritischen Scharen immer weiter um sich griff, so daß schließlich, wie im vierten Kreuzzug bei Mies (1427) und im fünften bei Taus (1431), ganze große Heere bereits auf die bloße Nachricht vom Nahen der Hussiten von panischem Schrecken ergriffen auseinanderstoben, ohne den Feind auch nur gesehen zu haben. Wir können auch nicht die inneren Kämpfe der Calixtiner mit den Taboriten verfolgen, die während der Pausen zwischen den Kriegen der Hussiten gegen die Kreuzheere ausgefochten wurden.

Nach dem großen Tage bei Taus schien es keinen Feind mehr zu geben, der den Taboriten widerstehen konnte. Kein Heer wagte es mehr, von außen gegen sie zu ziehen. Im Innern war die Macht ihrer Gegner, des Adels und einiger Städte, mehr und mehr im Schwinden. Die Fortdauer des taboritischen Terrorismus bedrohte sie mit völligem Untergang.

Aber es zeigte sich damals, wie wenig militärische Siege vermögen, wenn die Ziele der Sieger im Widerspruch stehen zu den Zielen der ökonomischen Entwicklung. Einer entscheidenden militärischen Niederlage der Taboriten wäre natürlich ihre Ausrottung gefolgt. Aber auch ihre Siege entwickelten Elemente, die zu ihrem Untergang führten. Aus ihrem höchsten Triumph folgte unmittelbar ihr Fall.

Je siegreicher die Taboriten waren, desto unerträglicher gestaltete sich selbstverständlich die Lage ihrer Gegner in Böhmen, der Calixtiner – von den Katholiken gar nicht zu reden. Der Adel war zur Bedeutungslosigkeit herabgedrückt und hätte längst schon gern seinen Frieden mit der Kirche gemacht, wenn er, der Räuber des Kirchenguts, nicht deren Habsucht und Rachsucht gefürchtet hätte. Nach dem Siege von Taus zeigte er sich besonders entgegenkommend. Inzwischen waren aber auch Papst und Kaiser samt ihrem Anhang an kirchlichen und weltlichen Fürsten gerade durch die großen hussitischen Siege mürbe geworden. Die Intrigen und Verhandlungen zwischen ihnen und den Calixtinern hatten nie völlig aufgehört; nach dem Siege bei Taus wurden sie eifriger betrieben als je, und schließlich kam man zu einer Einigung, nachdem die päpstliche Kirche in Gestalt von Gesandten des Basler Konzils sogar eingewilligt hatte, den Besitz von Kirchengütern nicht als Kirchenraub zu betrachten (1433). Statt zu nehmen, gab sogar die Kirche den Böhmen. Sie schickte Agenten mit reichen Geldmitteln dahin, die es den neuen Bundesgenossen, den Calixtinern, ermöglichen sollten, Kraft gegenüber den Taboriten zu gewinnen. Der Adel, der »schon seit einigen Jahren vom Schauplatz gleichsam verschwunden war« ( Palacky), fing jetzt, wo er den Kaiser und namentlich die Kirche und deren Reichtümer hinter sich fühlte, wieder an, Courage zu kriegen, Zusammenkünfte zu halten und sich zu organisieren, um die verlorene Macht mit Hilfe der Prager und der kirchlichen (aber dabei sehr weltlichen) Mittel des Katholizismus wieder zu erobern.

Die Situation wird gut geschildert in des Äneas Sylvius' böhmischer Geschichte, wobei nur zu bemerken ist, daß die Rolle, die dieser Prokop zuschreibt, der nach Žižkas Tod der bedeutendste der Taboritenführer war, ganz ungerechtfertigt ist; Prokop hat nie die unumschränkte Gewalt besessen, die Äneas Sylvius ihm zuschreibt. Richtiger würde es sein, überall, wo im folgenden von der Schreckensherrschaft Prokops die Rede ist, darunter die Schreckensherrschaft der Taboriten zu verstehen. Äneas erzählt: »Die böhmischen Barone kamen oft zusammen, erkannten ihren Irrtum und fühlten ihre Not, daß sie die Herrschaft ihres Königs verworfen hatten und das schwere Joch Prokops tragen mußten. Sie erwogen unter sich, wie er allein Herr sei, mit dem Lande nach seiner Willkür schalte und walte, Zölle erhebe, Gaben und Steuern auflege, Volk zum Kriege werbe, Truppen führe, wohin er wolle, raube und morde, keinen Widerstand gegen sich und seine Befehle dulde und Hohe wie Niedrige als seine Sklaven und Knechte behandle. Sie erwogen auch dies, daß es kein unglücklicheres Volk unter dem Himmel gebe als die Böhmen, die unaufhörlich im Felde seien, Sommer und Winter in Zelten wohnen, auf harter Erde liegen und sich jederzeit mit den Waffen beschäftigen müßten, indem sie teils durch einheimische, teils durch auswärtige Kriege aufgerieben würden und immerwährend entweder kämpften oder mit Angst Kämpfe gewärtigten. Sie fügten hinzu, es sei einmal Zeit, daß sie das Joch des grausamen Tyrannen abschüttelten und, nachdem sie andere Völker überwältigt, nicht selbst einem Manne, Prokop, zu dienen gezwungen würden. Sie beschlossen, die Herren, Ritter und Städte zu einem allgemeinen Landtag zu berufen, auf dem über eine zweckmäßige Verwaltung des ganzen Königreichs beraten werden sollte. Als sie sich auf dem Landtag versammelten, stellte ihnen Herr Meinhard vor, wie jenes Königreich glücklich sei, wo das Volk weder dem Müßiggang nachhänge, noch durch Krieg aufgerieben werde; wie aber die Böhmen bisher keine Ruhe gehabt hätten, und wie ihr Königreich, von unaufhörlichen Kriegen verwüstet, bald zugrunde gehen müsse, wenn nicht beizeiten Abhilfe getroffen werde; das unbebaute Feld liege brach, Vieh und Menschen stürben an einzelnen Orten vor Hunger dahin« usw. usw., welchen Übeln natürlich nur dadurch ein Ende gemacht werden könne, daß der Adel wieder zur Herrschaft komme.

Während die verschiedenen Gegner der Taboriten ihre Interessengegensätze über dem gemeinsamen Gegensatz zum Taboritismus vergaßen und sich zu einer »reaktionären Masse«, zu einer Koalition gegen ihn zusammenschlössen, gingen gleichzeitig im Innern der taboritischen Partei Veränderungen vor, die sie noch mehr bedrohten als die Intrigen und Verschwörungen ihrer Gegner.

Die Kommunisten aus Tabor hatten stets nur einen Bruchteil der demokratischen Partei gebildet, die man taboritische nannte. Sie waren ihr energischster, unversöhnlichster, in jeder Beziehung am weitesten gehender und militärisch bei weitem tüchtigster Bestandteil. Aber die Massen, welche dieser Partei angehörten, das waren städtische Kleinbürger und Bauern, denen das kommunistische Programm ziemlich gleichgültig war. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr litten diese Elemente darunter.

Waren die Böhmen auch siegreich, so waren sie doch anfänglich zu schwach, um den Feind von ihrem Lande fernzuhalten. Sie siegten in der Defensive. Erst verhältnismäßig spät (1427) kamen sie dahin, die Verheerungen ins Ausland zu tragen, welche die damalige Kriegführung mit sich brachte, deren wesentlichsten Teil das Plündern und Zerstören bildete – ungefähr in der Weise, wie heute die europäische Zivilisation in Afrika verbreitet wird. Aber auch die Offensive sicherte Böhmen keineswegs vor Plünderungen feindlicher Nachbarn. Und dabei gingen die Bürgerkriege im Innern fort. Böhmen wurde von Jahr zu Jahr mehr erschöpft. Nicht bloß der Handel litt, sondern auch Handwerk und Ackerbau. Nicht nur der Adel und die reichen Prager Bürger, nein, auch Kleinbürger und Bauern aller Orten verkamen immer mehr. Eine tiefe Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht entstand in allen Klassen der Gesellschaft, und je mehr die unversöhnlichen Taboriten als das einzige Hindernis des Friedens erschienen, desto rascher schrumpfte ihr Anhang im Lande zusammen, desto mehr wendete sich die Volksstimmung gegen sie; und um so schärfer mußten die Mittel sein, durch die das kleine Häuflein der Taboriten seine Machtstellung im Lande behauptete. Immer schroffer wurde der Gegensatz zwischen ihnen und der Masse der Bevölkerung. Wo sich der Adel gegen die Taboriten erhob, fand er meist die Zustimmung des Volkes.

Aber auch die Taboriten im engeren Sinne waren nicht mehr die alten.

Das Schicksal Tabors ist für uns von größtem Interesse. Es zeigt uns, welches das Schicksal der Münzerschen Richtung in Mühlhausen und der Wiedertäufer in Münster gewesen wäre, wenn sie militärisch unbesiegt geblieben wären.

Der Kommunismus Tabors beruhte einzig auf den Bedürfnissen der Armen, nicht auf denen der Produktionsweise. Die heutige Sozialdemokratie schöpft ihre Siegesgewißheit daraus, daß die Bedürfnisse der Produktion und die Bedürfnisse des Proletariats in der gleichen Richtung liegen; daher ist heute das Proletariat der Träger der geschichtlichen Entwicklung. Anders im fünfzehnten Jahrhundert. Die Bedürfnisse der Armen erzeugten das Streben nach Kommunismus, die Bedürfnisse der Produktion erheischten das Sondereigentum. Der Kommunismus konnte also damals nie allgemeine Form der Gesellschaft werden, und unter den Armen mußte das Bedürfnis nach Kommunismus aufhören, sobald sie den Kommunismus erreicht hatten, das heißt, sobald sie aufhörten, Arme zu sein. Mit dem Bedürfnis danach mußte aber früher oder später auch der Kommunismus selbst wieder aufhören, namentlich wenn man auf das einzige Mittel verzichtete, das dieser Art Kommunismus wenigstens für kleine Gesellschaften eine längere Dauer ermöglichte: die Aufhebung der Einzelfamilie, der Einzelehe. Das hatten die Taboriten getan, wie wir gesehen haben; sie hatten die Adamiten so gut wie vertilgt und damit dem Privateigentum den Weg in ihr Gemeinwesen wieder erschlossen. Es verdrängte mit der ihm eigentümlichen Denkweise, mit Habgier und Neid, um so eher den Kommunismus und seine Brüderlichkeit, je rascher Wohlstand, ja Reichtum unter den Taboriten wuchsen, eine Frucht der unendlichen Beute, die sie machten. Die Gleichheit der Existenzbedingungen begann aufzuhören, man begann in Tabor Ärmere und Reichere zu finden, und diese waren immer weniger bereitwillig, jenen von ihrem Überfluß mitzuteilen.

Dieser Prozeß wurde beschleunigt durch das Eindringen fremder Elemente. Wer sich einer Idee so völlig hingegeben hat, daß er bereit ist, sein Leben, seine Existenz für sie zu wagen, der wird ihr nicht so leicht mehr untreu, auch wenn er in Bedingungen kommt, die ihrem Gedeihen nicht förderlich sind. Die alten Taboriten werden wohl fest an ihrem Glauben gehangen haben, um deswillen sie ehedem so viele Verfolgungen und Fährlichkeiten erduldet hatten.

Aber die vielen Kriegsjahre, deren Last vorzugsweise auf den Taboriten lag, müssen in deren Reihen furchtbar aufgeräumt haben. Militärisch wurde das nicht merkbar, denn der Abgang ergänzte sich rasch. Tabor wurde das Mekka der kommunistischen Schwärmer von weit und breit. Selbst die entferntesten Nationen, zum Beispiel Engländer, finden wir in Tabor vertreten. Mit der Aufnahme scheint man keine großen Schwierigkeiten gemacht zu haben. Äneas Sylvius, der Tabor besuchte, wunderte sich über die Menge verschiedener Sekten, die friedlich dort zusammenlebten. »Es sind nicht alle im Glauben einig«, erzählt er, »jeder kann in Tabor glauben, was ihm beliebt. Es gibt dort auch Nikolaiten, Arianer, Manichäer, Armenier, Nestorianer, Berengarier und Arme von Lyon; besonders geachtet aber sind die Waldenser, die Hauptfeinde des Römischen Stuhles.«

Bedenklicher war ein anderer Zuwachs, den Tabor erhielt. Sein Kriegsglück zog viel abenteuerlustiges Volk an, dem die taboritischen Ideale höchst gleichgültig waren, das nur nach Ruhm und noch mehr nach Beute verlangte. »Es gebrach«, sagt Palacky von den hussitischen Heeren im allgemeinen, »je weiter, um desto mehr, an einheimischen Kräften zum Kriege; die Landleute und die Handwerker in den kleineren Städten verbargen sich schon häufig, sobald sie zu den Waffen gerufen wurden, und wurden sie dennoch zusammengetrieben, so stahlen sie sich wieder aus dem Heere. Dafür kam den böhmischen Kriegern freilich von selbst reicher Ersatz aus der Fremde. Nicht nur die Polen und Russinen strömten schon seit einigen Jahren zahlreich in die böhmischen Lager, sondern sogar unter den Deutschen suchte mancher, dem Abenteuer über die Glaubensartikel gingen und den nicht nach der Heimat verlangte, dahinzuziehen, wo das Kriegsglück blühte. Besonders die Heere der Taboriten und Waisen bestanden zu dieser Zeit (1430) schon in großer Zahl aus einer solchen ›Büberei‹ und ›Hefe aller Völker‹. Dadurch verlor sich bei ihnen freilich immer mehr und mehr jener Charakter, an dem einst Žižka besonders viel gelegen war, indem er wollte, daß alle seine Krieger wahrhafte ›Krieger Gottes‹ seien, ganz und aufrichtig, weder lau noch zweifelhaft in ihrem Glauben.« Palacky, a. a. O., III, 2, S. 500.

An Kriegstüchtigkeit würden die Heere der Taboriten dadurch wohl zunächst nicht erheblich gelitten haben, wenn auch die Elemente der Begeisterung und der Hingabe, der freiwilligen Disziplin allmählich schwinden mußten. Aber erheblich mußten sie verlieren an Zuverlässigkeit. Aus den gleichen Gründen wie diese Söldner hatte sich der bankrotte Adel in ihre Dienste gestellt, die Grundherren hatten sich nur dadurch noch etwas behaupten können, daß sie gewissermaßen die Vasallen der Taboriten geworden waren, denen sie Abgaben entrichten, mit denen sie kämpfen mußten – man vergleiche darüber die oben zitierten Klagen der böhmischen Barone über Prokops Tyrannei, die Äneas Sylvius wiedergibt.

Sobald sich der Adel gegen die Taboriten erhob, sobald er anfing, Söldner um sich zu scharen, denen er, dank den Reichtümern der katholischen Kirche, bessere augenblickliche Bedingungen bieten konnte, brach daher in den taboritischen Heeresteilen an allen Ecken und Enden der Verrat aus.

So ist es begreiflich, daß, als es nochmals zum Bürgerkrieg kam und die Calixtiner und Taboriten sich in entscheidendem Kampfe maßen, diese, verlassen von Bauern und Bürgern, verraten von einem Teile der eigenen Truppen, den Gegnern erlagen, die ihrer inneren Feindschaften vergessend, eine übermächtige Allianz gegen jene Reste der demokratischen Partei geschlossen hatten, die der einen kommunistischen – nur mehr in der Einbildung, nicht mehr in Wirklichkeit kommunistischen – Gemeinde noch treu geblieben waren, meist mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe.

In der Nähe von Böhmisch Brod, bei dem Dorfe Lipan, kam es zur entscheidenden Schlacht, am 30. Mai 1434. Die Adelspartei hatte die Übermacht; sie zählte 25 000 Bewaffnete, gegen 18 000 Taboriten. Lange schwankte der Kampf unentschieden hin und her, endlich neigte sich der Sieg auf Seite der Adligen, wohl weniger infolge ihrer Kriegskunst und Tapferkeit, als infolge des Verrats des taboritischen Heerführers Johann Èapek, des Befehlshabers der Reiterei, der mitten im Kampfe, statt einzuhauen, mit seinen Leuten ausriß. Ein furchtbares Morden begann, kein Pardon wurde gegeben; 13 000 der taboritischen Krieger (von 18 000!) sollen niedergemetzelt worden sein. Durch diese furchtbare Niederlage war die Kraft der Taboriten für immer gebrochen.

Tabor hörte auf, Böhmen zu beherrschen. Die Demokratie war unterlegen, und der Adel im Verein mit der Prager Ehrbarkeit konnte darangehen, die Ausbeutung des Landes von neuem einzurichten. Nach endlosen Verhandlungen zwischen dem König und seinen »treuen Untertanen«, wobei jeder Teil fürchtete, und mit Recht, daß der andere nur darauf sinne, ihn zu betrügen, wurde Sigismund endlich als König anerkannt (1436), nachdem er sich zu einer allgemeinen Amnestie verstanden hatte und in betreff des zerstörten und geraubten Kirchengutes jedem Herren und jeder Gemeinde anheimgestellt worden war, darüber zu entscheiden, wie ihnen gutdünke.

Die Macht der Taboriten war in der Schlacht bei Lipan gebrochen, aber nicht völlig vernichtet. Sie führten den Kampf noch eine Weile fort, jedoch immer matter und erfolgloser, und 1436 waren sie froh, von Sigismund einen Vertrag zu erlangen, der wenigstens die Selbständigkeit ihrer Stadt sicherstellte.

In diesem Zustand blieb Tabor bis zum Anfang der fünfziger Jahre. Damals besuchte Äneas Sylvius die Stadt und berichtete darüber in einem Brief an den Kardinal Carvajal. Es ist dies eine der wenigen Mitteilungen von Augenzeugen über die inneren Zustände der Taboriten, die uns erhalten geblieben sind. Einige bezeichnende Stellen daraus seien hier wiedergegeben. Sie charakterisieren sehr gut das taboritische Gemeinwesen: Die Häuser in Tabor, sagt Äneas, sind von Holz oder Lehm und stehen ohne jede Ordnung durcheinander. »Jene Leute besitzen zahlreichen und kostbaren Hausrat und ungemein große Reichtümer. Denn in dem einen Ort haben sie die Beute vieler Völker zusammengetragen. Sie wollten einst in allen Dingen nach der Art der Kirche leben und hielten alles gemeinsam: sie nannten sich gegenseitig Brüder, und was dem einen fehlte, das erhielt er von dem anderen. Jetzt aber lebt jeder für sich, und die einen hungern, indes die anderen schwelgen (alius quidem esurit, alius autem ebrius est). Kurz war das Feuer der Nächstenliebe, kurz die Nachahmung (der Apostelgemeinde) ... Die Taboriten raubten fremdes Eigentum, und was sie mit Gewalt errafft hatten, das wurde alles Gemeingut (haec tantum in commune dederunt). Aber sie konnten das nicht aufrechterhalten. Die Natur gewann die Oberhand, und bereits sind alle der Habsucht ergeben. Und da sie nicht mehr rauben können wie ehedem, denn sie sind erschlafft und fürchten ihre Nachbarn, so schnappen sie nach Handelsprofiten (lucris inhiant mercaturae) und ergeben sich niederem Erwerb. Es leben in der Stadt 4000 Männer, die das Schwert führen könnten, aber sie sind zu Handwerkern geworden und leben zum größten Teil von der Wollenweberei (lana ac tela ex magna parte victum quaerentes), so daß sie als untauglich zum Kriege gelten.« Äneas Sylvius Piccolomini, Opera omnia, S. 662.

Es ist bemerkenswert, daß die Mehrzahl der Taboriten Wollenweber waren.

Äneas Sylvius besuchte Tabor 1451. Die kriegerische Macht der Stadt war nach seiner Schilderung völlig dahin und ebenso ihr Kommunismus. Aber selbst die Trümmer ihrer revolutionären Vergangenheit erschienen den Machthabern Böhmens noch gefährlich. Ein Jahr nach des Äneas Sylvius Besuch zog der Landesverweser von Böhmen, Georg von Podiebrad, vor Tabor und verlangte die Auslieferung sämtlicher Taboritenpriester. Schon nach drei Tagen ergab sich Tabor und lieferte seine Priester aus, die, soweit sie sich nicht »bekehrten«, bis zu ihrem Tode in Gefangenschaft blieben. Mit der Sonderstellung und jeder Selbständigkeit der Republik Tabor war es zu Ende.

Angesichts dieses jämmerlichen Ausganges des einst so stolzen kommunistischen Gemeinwesens, vor dem halb Europa zitterte, kann man kaum den Wunsch unterdrücken, Tabor wäre gleich Münster im Glänze seiner kommunistischen Jugend gefallen und nicht in der Erbärmlichkeit bürgerlicher Altersschwäche dahingesiecht.

Mit der Niederschlagung Tabors war die letzte Freistatt der Demokratie in Böhmen beseitigt.

Das Schicksal der Taboriten, das in manchen Beziehungen Analogien mit dem der Jakobiner aufweist, ähnelt diesem auch darin, daß sie es waren, die durch ihren rücksichtslosen Heroismus die Revolution retteten, aber nicht für sich, sondern für die großen Ausbeuter der Revolution; in Frankreich an der Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts für die Großkapitalisten und die großen Industrieritter, im Böhmen des fünfzehnten Jahrhunderts für den hohen Adel, dem in Staat und Gesellschaft eine fast unumschränkte Herrschaft zufiel. Der kleine Adel gewann nichts in den Hussitenkriegen, diese hielten seinen Niedergang nicht auf, sie förderten ihn vielmehr. Der hohe Adel, dem der Löwenanteil an den Kirchengütern zugefallen war, bereicherte sich auch auf Kosten des niederen Adels, dessen Sitze er zusammenkaufte.

Vor allem aber waren es die Bauern und Kleinstädter, die unter den Folgen der Kriege litten. Die Erschöpfung des Landes und die Verringerung der Menschenzahl, welche die Widerstandskraft der Bauern und Kleinstädter aufs tiefste herabdrückten, wurden gleichzeitig für die Grundherren ein Reizmittel, ihre Anforderungen an die zinspflichtigen Kleinstädter, denen man auch ihre Vertretung auf den Landtagen zu schmälern suchte, namentlich aber an die Bauernschaft aufs höchste zu steigern. Immer mehr stiegen die Lasten, die man ihr aufbürdete, die schwachen Versuche des Widerstandes und der Empörung, welche die mißhandelten Bauern hie und da wagten, wurden mit Leichtigkeit niedergeschlagen. Wo aber trotz aller Steigerung der Anforderungen an den Bauern dessen Arbeitskräfte nicht ausreichen wollten, da halfen sich die Latifundienbesitzer dadurch, daß sie an Stelle des Ackerbaus einen anderen Betriebszweig setzten, der nur unbedeutende menschliche Arbeitskräfte erforderte und dessen Ausdehnung hie und da sogar dahin führte, nicht nur den Mangel an Bauern zu überwinden, sondern Bauern geradezu von ihren Sitzen zu vertreiben. In England gab der Arbeitermangel, der allerdings aus anderen Gründen herstammte als in Böhmen, einen bedeutenden Anstoß zur Entwicklung der Weidewirtschaft, der Schafzucht, die schließlich solche Ausdehnung annahm, daß sie das Hauptmittel in England wurde, die Bauern zu expropriieren und ein Massenproletariat zu schaffen. Eine ähnliche, wenngleich nicht so wichtige, Rolle spielten in manchen Gegenden Böhmens die Fischteiche, welche die Latifundienbesitzer anlegten. Wurden in England die Bauern von den Schafen gefressen, so in Böhmen von den Karpfen.

Palacky führt ein bemerkenswertes Zeugnis für die Entwicklung der ritterschaftlichen und bäuerlichen Verhältnisse in Böhmen während der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts an, Mitteilungen eines gewissen Wšehrd, von 1493 bis 1497 Vizelandschreiber des Königreichs, der »neun Bücher von den Rechten und Gerichten und der Landtafel Böhmens« herausgegeben hat. Da heißt es unter anderem: »Es gab einst in alter und undenklicher Vorzeit in allen Bezirken Geleitsmänner, nicht Kämmerlinge, denen alle Sitze der Herren, Zemane (Ritter) und Landsassen bekannt waren. Und weil das Land noch dicht und wohl bevölkert war, weil man die Sitze der Zemanen noch nicht zusammenzukaufen und zu zerstören pflegte, daher ihre Festen und Schlösser der Erde nicht gleichgemacht, noch durch Anlegung von Teichen die Dörfer, Äcker und Wiesen verschwunden waren, so gab es bei der großen, unzähligen Menge von Zemanen und Dörfern solche Geleitsmänner, die nicht etwa die Bestimmung hatten, jemand vor Gericht zu laden, sondern den Kämmerlingen die Sitze derjenigen zu zeigen, die vor Gericht geladen werden sollten, und die Kämmerlinge dahin zu leiten, weshalb sie auch Geleitsmänner hießen. Als aber dann beinahe der dritte Teil des Landes durch Kriege und Seuchen verheert, und in allen Bezirken eine ungeheure Menge von Zemanensitzen vertilgt und zerstört, und was Schwert, Feuer und Seuche verschont hatten, größerenteils durch angelegte Teiche verödet worden war, da waren keine Geleitsmänner mehr nötig« usw. (Bei Palacky, a. a. O., IV, 1, S. 528, 529.)

Zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts war die Leibeigenschaft in Böhmen so gut wie völlig verschwunden gewesen. Zu Ende des Jahrhunderts war sie bereits wieder der allgemeine Zustand der Bauernschaft.

Es ist lächerlich, dafür die Hussitenkriege verantwortlich zu machen. Die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung hängt nicht davon ab, ob sie sich in friedlicher Weise, ob unter gewaltsamen Kämpfen vollzieht. Sie wird durch den Gang und die Bedürfnisse der Produktionsweise naturnotwendig bestimmt. Wenn einmal der Ausgang gewaltsamer revolutionärer Kämpfe nicht den Absichten der revolutionären Kämpfer entspricht, so beweist dies nur, daß diese Absichten im Widerspruch standen zu den Bedürfnissen der Produktionsweise. Gewaltsame revolutionäre Kämpfe können nie die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmen, sie können nur unter bestimmten Umständen deren Tempo beschleunigen, damit aber auch freilich deren Übel für die Unterliegenden verschärfen. Und das haben auch die Hussitenkriege getan, in ganz Europa beginnt vom fünfzehnten Jahrhundert an, in dem einen Lande früher, in dem anderen später, eine Verschlechterung der bäuerlichen Verhältnisse. Daß Böhmen trotz seiner ökonomischen Rückständigkeit zu den ersten Ländern zählt, in denen diese Erscheinung auftritt, und daß sich dort der Prozeß am raschesten vollzieht, das allerdings ist die Frucht der Hussitenkriege. Ohne sie wäre die entscheidende Wendung vielleicht erst um ein Jahrhundert später, nach dem deutschen Bauernkrieg, eingetreten.


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