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Erster Abschnitt
Die Grundlagen des Kommunismus im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation

Erstes Kapitel
Der platonische und der urchristliche Kommunismus

1. Plato und seine Zeit

Eines der hervorstechendsten Merkmale der modernen, auf der Anwendung der Naturwissenschaft und des Maschinenwesens beruhenden Produktionsweise und damit der modernen Gesellschaft ist ihr ruheloses Hasten nach neuen Erfindungen und Entdeckungen. In ständigem Umwälzungsprozeß begriffen, läßt sie das heute Errungene morgen schon als überholt, als »veraltet« erscheinen, gilt ihr alles Alte als unbrauchbar, als schlecht, nur das Allerneueste als annehmbar, jedoch nicht für die Dauer, sondern in Erwartung eines morgen auftauchenden Besseren.

Anders die früheren Produktionsweisen. Nur langsam entwickelten sie sich; namentlich die Grundlage aller Ökonomie, die Landwirtschaft, verharrte oft jahrhunderte-, selbst jahrtausendelang bei denselben Methoden. Das Alte war da das Erprobte, das Bewährte, das Ehrwürdige. Die Neuerung ein leichtsinniges Wagnis, das den schwersten Bedenken begegnete. Das galt natürlich vor allem von der Produktion und auch da wieder am meisten von der Landwirtschaft. Aber die gleiche Auffassung durchdrang die ganze Gesellschaft, auch ihre Kunst, ihre Wissenschaft, ihre Politik.

Heute gilt es als eine besondere Empfehlung für ein Kunstwerk, eine Theorie, eine Parteibildung, wenn man von ihnen sagen kann, sie schlügen ganz neue, völlig unerhörte Bahnen ein. Ehedem dagegen suchte jedermann für seine Bestrebungen nach Vorgängern, auf deren Vorbild er sich berufen konnte. Mochte sein Wirken noch so sehr durch besondere, völlig neue Verhältnisse hervorgerufen werden, wichtiger als der Hinweis auf diese erschien die Stützung auf anerkannte Autoritäten der Vorzeit.

Dies gilt auch von den Wiedertäufern und anderen Sozialisten des Zeitalters der Reformation. Nicht als kühne Neuerer fühlten sie sich, sondern als Wiedererwecker des viele Jahrhunderte alten Urchristentums, wie es ihnen aus der Apostelgeschichte bekannt war. Und daneben war es hin und wieder auch die Autorität des noch älteren Plato, auf die sie sich beriefen.

Sie konnten das um so leichter, als die Produktionsweise, in der sie lebten, von der des Höhepunktes der hellenisch-römischen Welt nicht allzu verschieden war. Landwirtschaft, Handwerk, Handel der beiden Zeitalter hatten vieles miteinander gemein. Von der Höhe, die das Altertum in der Zeit zwischen Plato und den Anfängen des Christentums erreicht hatte, war es nach und nach herabgesunken, bis es in der Zeit der Völkerwanderung fast völlig in Barbarei untergegangen war, aus der sich die europäische Gesellschaft nur langsam emporarbeitete. Erst im Zeitalter der Reformation war sie wieder auf die alte Höhe gekommen und im Begriff, sie zu überschreiten.

Freilich darf man sich nicht vorstellen, daß die Verhältnisse im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert einfach eine Wiederholung der Verhältnisse des perikleischen Athen und des kaiserlichen Rom darstellten. Zwischen hier und dort besteht, vor allem der tiefgehende Unterschied, daß im Altertum die Sklaverei bestand, die in der Völkerwanderung für Europa immer mehr aufhörte. Die Sklaverei hindert aber überall die Entwicklung der Produktivkräfte, sie führt die Gesellschaft in eine Sackgasse, aus der sie nicht mehr heraus kann. Daher endete das Altertum in allgemeiner Verarmung und gänzlichem Niedergang von Kunst und Wissenschaft. Dagegen bedeutete die Zeit der Reformation die Zeit eines gewaltigen ökonomischen Aufschwunges, in der die Grundlagen für den riesenhaften Kapitalismus von heute gelegt wurden.

Aber diese Entwicklung war noch im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert erst in ihren Anfängen. Noch erschienen auf allen Gebieten der Künste, der Wissenschaften, der Politik, des sozialen Lebens die großen Kulturvölker des Altertums als die Lehrer der Jetztzeit, und war der Einfluß des Christentums ungebrochen, das weit mehr noch als die Philosophen und Dichter der Griechen und Römer das ganze geistige Leben beherrschte. Die Kommunisten jener Zeit folgten nur dem allgemeinen Brauche der Welt, wenn sie aus den christlichen wie den heidnischen Schriften der Vorzeit Autoritäten heraussuchten, auf die sie ihre Forderungen begründeten. Nicht Plato, nicht das Urchristentum hat diese Forderungen des Mittelalters und der Reformationszeit hervorgerufen. Sie entsprangen sozialen Bedürfnissen dieser Zeit. Aber die Kommunisten des Mittelalters fanden im Urchristentum, die der Reformation daneben auch in Plato eine kraftvolle Stütze, an die sie sich lehnten, die ihr Selbstgefühl erhöhte, ihnen in manchen Punkten auch das Auffinden von Beweisgründen und Aufstellen von Forderungen erleichterte.

Zum vollen Verständnis der kommunistischen Sekten des Mittelalters und der Reformationszeit ist es also unerläßlich, den platonischen und den christlichen Kommunismus heranzuziehen.

Nur diese beiden Arten des Kommunismus im Altertum kommen hier für uns in Betracht, weil nur sie eine literarische Wirkung auf die Kommunisten der Reformationszeit übten. Sie waren aber keineswegs die einzigen Erscheinungsformen des Kommunismus ihrer Zeit.

Nichts irriger als die Anschauung, der Kommunismus widerspreche dem Wesen des Menschen, der Menschennatur. Der Mensch ist vielmehr ein soziales Wesen und fühlt sich zum Kommunismus leicht hingezogen, wo dieser nur einigermaßen durch die Verhältnisse der Produktion möglich gemacht wird. Es gibt kaum ein Zeitalter ohne Formen eines wirklichen oder doch eines angestrebten Kommunismus. An der Wiege der Menschheit stand der Kommunismus, und er ist noch bis zu unserer Zeit die gesellschaftliche Grundlage der meisten Völker des Erdballs gewesen.

Weit entfernt, unvereinbar zu sein mit dem Gesetz des Kampfes ums Dasein, bildete er vielmehr die wichtigste Waffe der Menschheit in diesem Kampfe. Nur durch die innigste Zusammenschließung zu kleineren oder größeren Gemeinschaften konnten die nackten, waffenlosen Menschen der Vorzeit sich in den Wildnissen gegenüber ihren furchtbaren Feinden behaupten. Der primitive Mensch lebte nur in und mit seinem Gemeinwesen; seine Persönlichkeit hatte noch nicht die Nabelschnur zerrissen, die sie damit verband. In Gemeinschaft erwarben die Menschen ihren Lebensunterhalt – gemeinsam jagten sie, gemeinsam fischten sie –, in Gemeinschaft wohnten sie, gemeinsam verteidigten sie das gemeinsame Haus, den gemeinsamen Grund und Boden.

Freilich änderte sich das mit den Fortschritten der Produktion. Sie erzeugten neben dem Gemeineigentum das Privateigentum. Ursprünglich umfaßte dies nur einige geringfügige Gegenstände des persönlichen Gebrauchs, die meist ihr Träger auch selbst verfertigt hatte, Schmuck, Waffen und dergleichen, Gegenstände, die so mit ihrem Urheber und Träger verwachsen schienen, daß man sie ihm oft nach seinem Ableben mit ins Grab gab.

Aber allmählich nahm das Privateigentum an Umfang und Bedeutung zu; es entwickelte sich neben der Produktion für den Selbstgebrauch der Austausch von Produkten zunächst zwischen verschiedenen Stämmen, die verschiedenes produzierten, dann aber auch zwischen einzelnen Produzenten. So erstand die Warenproduktion, das heißt die Produktion für den Verkauf. Lange freilich nur in der Form, daß jeder Wirtschaftsbetrieb in erster Linie für den eigenen Gebrauch produziert und nur seine Überschüsse verkauft. In der bäuerlichen Wirtschaft ist das heute noch der Fall. Diese Warenproduktion setzt voraus, daß der Produzent über seine Produktionsmittel und seine Produkte frei verfügt, daß sie sein Privateigentum bilden. Die Warenproduktion bildet sich erst, wenn das Privateigentum eine gewisse Höhe erlangt hat. Andererseits treibt die Entwicklung der Warenproduktion dahin, immer mehr Produktionsmittel und Produkte in Privateigentum zu verwandeln. Schließlich ergriff es sogar das wichtigste Produktionsmittel, die Grundlage alles Seins, das am längsten Gemeinbesitz bleibt, den Grund und Boden.

Die Entwicklung der städtischen Industrie und des Handels bedingt von vornherein das Privateigentum an den Produktionsmitteln und Produkten.

Aber nicht nur der Bereich des Privateigentums dehnt sich immer mehr aus, es verliert auch eine seiner Schranken nach der anderen, die immer lästiger werden, je mehr der Handelsverkehr und die das Privateigentum erheischenden Produktionsweisen sich entwickeln.

Es wurde aus einem rein persönlichen Eigentum, das nach dem Tode des Besitzers mit ihm vernichtet wurde oder an die Gemeinschaft zurückfiel, ein auf andere Personen vererbliches Eigentum.

Die ursprüngliche Gleichheit verschwand, das Privateigentum wurde zu einer gesellschaftlichen Macht, die Gesellschaft spaltete sich in Eigentümer, die herrschten, und Eigentumslose, die in Abhängigkeit waren, das Erwerben von Privateigentum wurde zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit. Das Aufkommen des Geldes endlich verwandelte die Erwerbslust in einen maßlosen Drang.

Das Bedürfnis nach Gebrauchsgütern ist stets ein beschränktes. Solange der Reichtum nur in Gebrauchsgütern besteht, verlangt man nicht mehr davon, als was zu einem bequemen, angenehmen Leben nötig ist. Geld dagegen kann man nie genug haben, denn Geld ist die Ware, mit der man alle anderen kaufen kann, eine Ware, die nicht verdirbt, die stets verwendbar ist. Das Aufhäufen von Schätzen, von großen Vermögen weit über das eigene Bedürfnis hinaus wird nun zu einer Lebensaufgabe der Besitzenden. Der Gegensatz zwischen reich und arm kann von nun an ein unermeßlicher werden, und er wird es überall, wo die Bedingungen dazu sich bilden.

Die Verhältnisse der Menschen zueinander und ihr ganzes Denken und Sein verändern sich damit. Die Hingabe für das Gemeinwesen, die Selbstaufopferung war ehedem die Haupttugend des Menschen gewesen. Sie schwindet nun immer mehr dahin. Jeder ist sich selbst der Nächste. Die Gemeinwesen zerfallen in Klassen, die einander auf das erbittertste bekämpfen, sie zerfallen in Individuen, von denen jedes nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat, von denen jedes dem Gemeinwesen möglichst wenig gibt und möglichst viel nimmt. Immer lockerer werden die Bande, die den einzelnen an sein Gemeinwesen fesseln und dieses zusammenhalten; es verkommt oder wird die Beute eines Volkes, das, in seiner Entwicklung zurückgeblieben, noch kommunistische Tugend und kommunistische Kraft besitzt.

Das ist die Geschichte aller Nationen und Staaten im Altertum.

Vielleicht am schnellsten und auffallendsten vollzog sich dieser Entwicklungsgang in Athen. Der Zeitraum von der Beendigung der Perserkriege bis zur Unterjochung Griechenlands durch Philipp von Mazedonien umfaßt kaum anderthalb Jahrhunderte (479 bis 338 vor Beginn unserer Zeitrechnung). Am Beginn desselben finden wir (auch abgesehen von den Sklaven, die ja nicht zum Gemeinwesen gehörten) wohl schon Klassenunterschiede und Klassengegensätze, bevorrechtete Aristokraten und rechtlose Volksschichten, Reiche und Arme, aber noch waren diese Gegensätze nicht so weit gediehen, um das gemeinsame Interesse am Staatswesen in der freien Bevölkerung zu ersticken. Im letzten Drittel dieses Zeitraumes gab es in Attika neben einer Menge Sklaven nur noch sehr Reiche und Arme.

»In früherer Zeit«, rief der damals lebende Redner Demosthenes in einer seiner Gerichtsreden, »war es anders als jetzt. Damals war alles, was dem Staate angehörte, reich und glänzend, unter den einzelnen Bürgern aber zeichnete sich äußerlich keiner vor dem anderen aus. Noch jetzt kann jeder von euch sich durch eigenen Anblick überzeugen, daß die Wohnungen eines Themistokles, eines Miltiades und aller übrigen großen Männer der Vorzeit durchaus nicht schöner und ansehnlicher waren als die ihrer Mitbürger. Dagegen sind die zu ihrer Zeit errichteten öffentlichen Gebäude und Denkmale so großartig und prachtvoll, daß sie ewig unübertrefflich bleiben werden; ich meine die Propyläen, die Arsenale, die Säulengänge, die Hafenbauten des Piräus und andere öffentliche Werke unserer Stadt. Jetzt aber gibt es Staatsmänner, deren Privatwohnungen viele öffentliche Gebäude an Pracht überbieten, und welche so große Landgüter zusammengekauft haben, daß die Felder von euch allen, die ihr hier als Richter versammelt seid, an Ausdehnung denselben nicht gleichkommen. Die Gerichtshöfe (Dikasterien) in Athen waren Schwurgerichtshöfe; jeder derselben bestand aus fünfhundert Geschworenen (Heliasten). Was dagegen jetzt von Staats wegen gebaut wird, das ist so unbedeutend und ärmlich, daß man sich schämen muß, davon zu reden.«

In ganz Griechenland konnte man diese Erscheinung beobachten, aber am auffallendsten zeigte sie sich in Athen, denn dieses war durch die Perserkriege der mächtigste Staat in Griechenland geworden, und es hatte die griechische Freiheit vor dem Perserjoch nur gerettet, um den Griechen sein eigenes Joch aufzulegen. Fast die ganze Bevölkerung der Inseln und Küsten des Ägäischen Meeres (und noch manche Küstenstadt und Insel außerhalb desselben) wurde ihm untertan und zinspflichtig, neben der Sklavenarbeit und den Profiten eines mächtig aufblühenden Handels wurden Kriegsbeute und Tribute Unterworfener stete Einkommensquellen der Bevölkerung Athens, Mittel, die Reichen noch reicher zu machen und die übrigen Freien, die aus den großen Staatseinnahmen Nutzen zogen, der Arbeit zu entwöhnen, sie ins Lumpenproletariat hinabzudrücken, die ganze Bevölkerung zu korrumpieren und zu entnerven. Sie wurden aber auch Mittel, Athen in ganz Griechenland aufs äußerste verhaßt zu machen.

Schließlich kam es zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen dem sich stetig ausbreitenden Athen und den noch nicht von ihm unterworfenen Staaten des Peloponnes unter der Führung Spartas. Dieser Kampf war aber nicht nur ein Krieg gegen die Oberherrschaft Athens, er war auch ein Krieg der Aristokratie gegen die Demokratie. Athen war der demokratischste Staat Griechenlands, Sparta der aristokratischste. In allen Athen unterworfenen Staaten mußten vornehmlich die Aristokraten die Zeche zahlen; sie wurden in erster Linie geplündert, nicht das Volk. In Athen selbst wälzte das Volk die Staatslasten soviel als möglich auf die Aristokraten und Reichen ab. Athen wurde daher allenthalben von den Aristokraten und Reichen besonders bitter gehaßt; in diesem Staate selbst war die soziale Zersetzung, waren die Gegensätze zwischen arm und reich so weit gediehen, daß die Aristokraten und Reichen Athens mit Sparta, mit dem Landesfeind, liebäugelten und konspirierten. Ein Sieg Spartas erschien ihnen als das beste Mittel, die Herrschaft des Volkes zu stürzen.

Der entscheidende Kampf zwischen Athen und Sparta, der sogenannte Peloponnesische Krieg, dauerte fast dreißig Jahre (431 bis 404) und endete mit der völligen Vernichtung der athenischen Macht. Athen wurde auf Attika beschränkt und von Sparta abhängig. An Stelle der Demokratie trat ein Regiment charakterloser Kreaturen Spartas.

Das war eine Situation, die besonders aufforderte, Einkehr zu halten, über die Ursachen des Gedeihens und Verfallens der Staaten nachzudenken. Die Frage nach der besten Staatsverfassung war damals allgemein.

Unter diesen historischen Verhältnissen erwuchs Plato.

Er wurde wenige Jahre nach dem Beginn des Peloponnesischen Krieges, zwischen 429 und 427 vor unserer Zeitrechnung, zu Athen geboren als Sohn eines alten aristokratischen Hauses. Er hat auch seine aristokratische Abkunft nie verleugnet und stets eine Abneigung gegen die Demokratie bewahrt. In angenehmen Vermögensumständen, konnte er ganz der Entwicklung seines Geistes leben und fing früh an, sich mit Dichtkunst und Philosophie zu beschäftigen. Seine Bekanntschaft mit Sokrates – wahrscheinlich in seinem 20. Lebensjahr – wurde für ihn entscheidend. Er widmete sich von nun an völlig der Philosophie und wurde des Sokrates bedeutendster Schüler. Aber er erweiterte den Sokratischen Ideenkreis durch selbständige Studien und eine Reihe von Reisen, die er nach dem Tode seines Freundes und Meisters unternahm, Reisen, die ihn nach Ägypten, Cyrene, Süditalien und Sizilien führten.

Von seinen Reisen zurückgekehrt, trat er in Athen öffentlich als Lehrer auf. Aber noch zweimal unterbrach er seine Lehrtätigkeit, um längere Reisen nach Sizilien auszuführen.

Die Ursache davon ist bezeichnend für den Verfall des politischen Lebens zu Platos Zeit. Dieser hatte ein System besonderer politischer Grundsätze entwickelt, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, aber es fiel ihm nicht ein, auch nur das geringste zu tun, um seinen Überzeugungen und Anschauungen durch Teilnahme am politischen Leben Geltung zu verschaffen.

Damit ist jedoch nicht gesagt, daß seine Ideen über Staat und Gesellschaft nicht praktisch gemeint waren, daß sie bloße Phantasien bleiben sollten.

368 starb der ältere Dionysius, Tyrann (Alleinherrscher) von Syrakus. Sein Sohn, Dionysius der Jüngere, hatte einige philosophische Allüren an den Tag gelegt und galt für einen Reformer, wie das bei Kronprinzen seit jeher der Brauch gewesen zu sein scheint. Dion, Platos Freund und des Dionysius Schwager, hofften diesen für ihre gemeinsamen Bestrebungen zu gewinnen, und Plato selbst reiste auf diese Aussicht hin nach Syrakus, um durch den Tyrannen zu erreichen, wofür er in der Demokratie keinen Finger rührte: die Verwirklichung seiner politischen Ideale.

Natürlich erlebte er eine arge Enttäuschung. Dionysius hatte es ganz gern, wenn die Philosophen sich an seinen Hof drängten und dessen Glanz vermehrten, aber sie durften ihn nicht bei den Freuden stören, die Wein, Weib und Gesang bereiten konnten. Als ihm die Philosophen unbequem wurden, ließ sie der »Philosoph auf dem Thron« einfach hinauswerfen – verbannen. Als Plato, dadurch nicht gewitzigt, einige Jahre später eine zweite Reise an den Hof von Syrakus unternahm, zog er sich die Feindschaft des Tyrannen in einem solchen Grade zu, daß er froh sein mußte, sein Leben zu retten und mit einem blauen Auge davon zu kommen.

Damit endigte die politische Tätigkeit unseres Philosophen. Seine Lehrtätigkeit setzte er dagegen bis zu seinem Tode fort, der in seinem 81. Jahre eintrat.

2. Das Buch vom Staate

Von den Schriften Platos kommt für uns hier nur eine in Betracht, die erste philosophische, systematische Verteidigung des Kommunismus, die auf uns gekommen ist: die » Politeia«, das Buch vom Staate. Wie die Platonischen Abhandlungen überhaupt, hat auch diese die Form eines Gesprächs, in dem Sokrates als der Hauptsprecher und Vertreter der Ideen Platos auftritt.

Den wesentlichen Inhalt dieses Buches bildet die Untersuchung der Frage: Welches ist die beste Staats- und Gesellschaftsverfassung?

Daß die bestehenden Staats- und Gesellschaftsformen schlecht sind, unterliegt für Plato keinem Zweifel.

Das Privateigentum, sagt er, der Gegensatz zwischen reich und arm führt zum Untergang der Staaten. »Verhalten sich nicht Tugend und Reichtum so, daß, läge jedes von ihnen auf der Schale einer Waage, eines absteigen müßte, wenn das andere aufsteigt? ... Werden also der Reichtum und die Reichen in einem Staate geehrt, so werden die Tugend und die Guten minder geachtet ... Ein solcher Staat ist notwendig nicht einer, sondern zwei: den einen bilden die Armen, den anderen die Reichen, welche beide zusammenwohnen, einer dem anderen Böses sinnend (ἐπιβουλεύοντες) Das Wort von den zwei Nationen, die im Staate wohnen, hat, wie man sieht, nicht Disraeli erfunden; es ist um mehr als zwei Jahrtausende älter. ... Und am Ende sind sie (die herrschenden Reichen) außerstande, einen Krieg zu führen, weil sie sich entweder der Menge bedienen müssen, vor welcher sie sich dann, wenn sie bewaffnet ist, mehr fürchten als vor den Feinden; oder wenn sie sich ihrer nicht bedienen, so erscheinen sie dann im Gefecht nur als eine geringe Streitmacht, und überdies wollen sie keine Steuern zahlen, weil sie das Geld so sehr lieben.«

Die Armen aber, die Proletarier, vergleicht Plato mit Drohnen – ein bezeichnender Vergleich, der uns deutlich den Unterschied zwischen dem antiken und dem modernen Proletariat zeigt. Die freien Besitzlosen waren vielfach Lumpenproletarier. Heute lebt die Gesellschaft von den Proletariern, damals lebten die Proletarier zum großen Teil von der Gesellschaft. Sie lebten von der Ausbeutung des Staates und der Reichen, die aus Sklavenarbeit und Erpressungen Unterworfener ihre Einnahmen zogen. Aber, meint Plato weiter, die zweibeinigen Drohnen unterscheiden sich von den geflügelten: nicht alle unter ihnen sind stachellos. »Aus den Stachellosen werden Bettler auf ihr Alter, aus den mit Stacheln bewehrten alles Gaunervolk ... Diebe und Beutelschneider und Tempelräuber und Verüber ähnlicher Schandtaten.« (8. Buch, 6. und 7. Kapitel.)

Ein Staat, in dem zwei derartige Staaten miteinander in Zwietracht leben, ist dem Untergang geweiht, mögen nun die Reichen herrschen (Oligarchie) oder die Armen (Demokratie).

Welche Staatsverfassung schlägt aber Plato an Stelle dieser »schlechten Verfassungen« vor?

Nur der Kommunismus, meint er, kann die Zwietracht bannen.

Aber er ist viel zu sehr Aristokrat, um die Klassenunterschiede aufheben zu wollen. Der Kommunismus soll zum staatserhaltenden, konservativen Element gemacht werden, jedoch nur als Kommunismus der herrschenden Klasse. Wird das Privateigentum für die herrschende Klasse aufgehoben, dann, sagt er, hört jede Versuchung für diese auf, das arbeitende Volk auszubeuten und zu bedrücken, dann werden die Herrschenden nicht mehr Wölfe sein, sondern treue Wachhunde, die einzig nur ihrer Aufgabe leben, das Volk zu schützen und zu seinem Besten Zu führen.

Für die arbeitenden Klassen, die Bauern und Handwerker, besteht im Staate Platos das Privateigentum fort, ebenso für die Krämer und Großhändler. Und in der Tat, die Aufhebung des Privateigentums für sie widersprach den Bedürfnissen der damaligen Produktionsweise. Denn noch war die Grundlage der Produktion der Kleinbetrieb in Ackerbau und Handwerk. Dieser bedingt aber mit Naturnotwendigkeit das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Wohl kannte man auch schon größere Betriebe, aber nur mit Sklaven. Die Technik in Ackerbau und Industrie war noch nicht so weit entwickelt, daß sie gesellschaftliche Produktion verlangt hätte. Wo nicht äußerer Zwang die Arbeiter zusammentrieb, wo diese freie Männer waren, da arbeiteten sie jeder für sich. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln für freie Arbeiter abschaffen wollen, wäre zu Platos Zeit ein Unding gewesen. Sein Sozialismus war demnach ein von dem modernen grundverschiedener.

Die herrschende Klasse im platonischen Idealstaat produziert nicht. Sie wird erhalten durch die Beiträge der arbeitenden Klassen. Ihr Kommunismus ist nicht ein Kommunismus der Produktionsmittel, sondern der Genußmittel, dies Wort im weitesten Sinne genommen, ein Kommunismus des Konsums.

Die herrschende Klasse, das sind die Wächter des Staates. Sie werden mit besonderer Sorgfalt ausgewählt aus den Besten und Tüchtigsten. Die Kinder der Wächter haben wohl bessere Aussichten als die anderen Kinder im Staate, dieser Klasse eingereiht zu werden, weil der Apfel nicht weit vom Stamme fällt. Aber wenn einer der Nachkommen der Wächter seinem Posten nicht gewachsen ist, dann soll er ohne Mitleid aus deren Klasse ausgeschlossen werden; umgekehrt sollen sie, wenn unter den Handwerkern und Ackerbauern einer aufwüchse, in dem sich edle Eigenschaften zeigten, »einen solchen in Ehren halten und unter die Herrscher erheben«.

Die Aristokratie im platonischen Staate beruht also nicht auf einem Geburtsadel.

Der zur Aufnahme in die Klasse der Wächter bestimmte Nachwuchs wird einer besonderen, sorgfältigen Erziehung unterworfen, die Plato ausführlich beschreibt, auf die hier einzugehen jedoch nicht der Ort ist.

»Außer dieser Erziehung nun«, fährt Plato fort, oder vielmehr Sokrates, »möchte wohl ein Vernünftiger sagen, müßten auch ihre Wohnungen und ihre ganze übrige Habe so eingerichtet sein, daß dadurch die Wächter wider davon abgebracht werden, die Besten zu sein, noch auch gereizt, gegen die anderen Bürger zu freveln.«

»Sehr wahr«, sagt er (Glaukon).

»Sieh also zu«, erwiderte ich (Sokrates), »ob sie etwa auf folgende Weise leben und wohnen müssen, wenn sie derartig werden sollen. Vor allem soll keiner etwas zu eigen besitzen, wenn es irgend zu vermeiden ist; keine besondere Wohnung soll er haben, noch eine Vorratskammer, wohin nicht jeder könnte, der Lust hat. Das Notwendige aber, dessen ebenso tapfere wie mäßige Krieger bedürfen, sollen sie der Reihe nach von den anderen Bürgern als Lohn für ihren Schutz in solchen Mengen empfangen, daß sie keinen Mangel haben, daß ihnen aber auch nichts für das nächste Jahr übrig bleibt. Gemeinsam sollen sie leben und wie im Felde Stehende gemeinsame Mahlzeiten (Syssitien) abhalten. Gold und Silber aber, muß man ihnen sagen, haben sie von den Göttern als Göttliches immer in der Seele, daher bedürfen sie nicht des Goldes und Silbers der Menschen. Es sei ihnen auch gar nicht gestattet, den Besitz des göttlichen Goldes durch den des sterblichen zu verunreinigen, da gar vieles und Unheiliges mit dieser gemeinen Münze vorgefallen ist, indes das Gold in ihrer Seele lauter sei. Ihnen allein im Staate sei es verboten, mit Gold und Silber sich abzugeben, es zu berühren, es in der Wohnung oder an der Kleidung zu haben oder daraus zu trinken. Besäßen sie selbst eigenes Land und Wohnungen und Gold, so würden sie Hauswirte und Landwirte sein und nicht Wächter, harte Gebieter und nicht Genossen der anderen Bürger; sie würden dann hassend und gehaßt, belauernd und belauert ihr ganzes Leben hinbringen, weit mehr den inneren Feind fürchtend als den äußeren, und dem Verderben entgegenrennen, sie und die ganze Stadt.« (3. Buch, 22. Kapitel.)

Aber Plato verlangt für seine »Wächter« nicht nur die Gemeinschaft der Güter. Alles, was Privatinteressen bei ihnen erzeugen, Zank und Zwietracht unter ihnen säen könnte, soll ausgeschlossen sein. Daher verlangt er für sie die Aufhebung der Einzelfamilie, die Gemeinschaft der Weiber und Kinder.

Was unsere heutigen Sozialistenfresser als Beweis für die viehische Verkommenheit der Sozialdemokraten hinstellen, die Forderung der Aufhebung der Familie und Ehe, das können sie bei jenem Philosophen des Altertums finden, den heute die offiziellen Hüter von Zucht und Sitte, den namentlich unsere Geistlichen am meisten erheben, besonders um seiner »fast christlichen« Ethik willen.

»Mit dem ganzen Vorhergegangenen«, läßt Plato Sokrates sagen, »hängt meiner Meinung nach folgende Einrichtung zusammen.« – »Welche?«

»Daß die Weiber alle den Männern gemein seien, keine aber mit irgendeinem besonders zusammenlebe. Und auch die Kinder sollen gemein sein, so daß weder ein Vater sein Kind kenne, noch ein Kind seinen Vater.« (5. Buch, 7. Kapitel.)

Damit meint jedoch Plato nicht gänzlich regellosen Geschlechtsverkehr. Aber dieser soll nur von einem Prinzip beherrscht werden: dem der geschlechtlichen Zuchtwahl. Die Frauen dürfen nur vom 20. bis zum 40. Jahre »dem Staate gebären«, die Männer nur vom 30. bis zum 55. Jahre »dem Staate zeugen«. Wer vor oder nach diesem Alter Kinder zeugt oder gebärt, macht sich eines Vergehens schuldig. Dergleichen Kinder soll man beseitigen durch eine künstliche Fehlgeburt oder durch Aussetzung. Aufgezogen dürfen sie nicht werden. Die innerhalb dieser Altersgrenzen Stehenden sollen aber von den Regenten möglichst so gepaart werden, daß »die Tüchtigsten den Tüchtigsten am meisten beiwohnen und die Untauglichsten den Untauglichsten; und die Kinder der ersteren sollen aufgezogen werden, die Kinder der letzteren aber nicht, wenn die Herde tadellos bleiben soll; und dies alles (die Regelung der Paarung) muß völlig unbekannt bleiben, außer den Oberen selbst, damit die Schar der Wächter stets möglichst von Zwietracht frei bleibe.«

Diejenigen aber, die über das vorgeschriebene Zeugungsalter hinaus sind, mögen sich vermischen nach Herzenslust und Gutdünken innerhalb ihrer Altersschicht.

»Die neugeborenen Kinder nehmen die dazu bestimmten Behörden an sich, die aus Männern oder Frauen oder beiden bestehen, denn die Ämter sind ja Männern und Frauen gleich zugänglich.«

»Gut.«

»Die Kinder der Tüchtigen nun, denke ich, tragen sie in das Säugehaus zu Wärterinnen, die in einem besonderen Teile der Stadt wohnen, die der Untauglichen aber und ebenso die mißgestaltet Geborenen werden sie, wie es sich gehört, an einem unzugänglichen und unbekannten Orte verbergen.«

»Sicher«, sagte er, »wenn das Geschlecht der Wächter edel bleiben soll.«

»Diese Behörden werden auch für die Ernährung der Säuglinge sorgen, indem sie die Mütter, wenn sie von Milch strotzen, in das Säugehaus führen, wobei sie jedoch möglichst darauf bedacht sind, daß keine ihr Kind erkenne, und indem sie, wenn jene nicht hinreichen, noch andere Säugende herbeischaffen.« (5. Buch, 9. Kapitel.)

Alles das erscheint für unser Empfinden seltsam, ja abstoßend. Nicht so für die Griechen der Zeit Platos. Wohl herrschte unter ihnen die Einehe, aber diese war, wie sie selbst offen erklärten, nur eine Einrichtung zur Erzielung legitimer Kinder, zur Sicherung des Erbrechtes. Die Ehen wurden nicht im Himmel der Liebenden geschlossen, sondern von den Familienhäuptern verabredet, wobei nicht die Neigungen der Beteiligten, sondern ihre Vermögensverhältnisse in Betracht kamen. Ein junger Mann hatte in der Regel gar keine Gelegenheit, ein Mädchen aus gutem Hause vor seiner Verlobung mit ihr kennen zu lernen.

Man sieht, es ist falsch, wenn man der kapitalistischen Produktionsweise die Schuld gibt, daß die Ehe ein Geldgeschäft geworden sei. Die gesetzlich geschützte Einehe ist es von jeher gewesen. Sie ist ein Kind des Privateigentums und des Erbrechtes. Die kapitalistische Produktionsweise hat vielmehr Verhältnisse geschaffen, unter denen die individuelle Geschlechtsliebe – das leidenschaftliche Bedürfnis, einer bestimmten Person des anderen Geschlechtes anzugehören und keiner anderen, dieser aber für immer – zu einem anerkannten Faktor im gesellschaftlichen Leben werden konnte. Für die Moral der heutigen Gesellschaft ist dadurch eine Ehe, die ein bloßes Geldgeschäft ist, zu einem unsittlichen Verhältnis geworden. Da aber die kapitalistische Produktionsweise die ökonomischen Wurzeln des Ehegeschäftes bestehen läßt, ja verstärkt, bewirkt jene moralische Anschauung nicht, daß die Ehe aufhört, ein Geldgeschäft zu sein, sondern nur, daß man sich bemüht, diesen Charakter zu verbergen, daß die Eheschließenden gezwungen sind, so zu tun, als sei es wirklich die Liebe, die sie zu ihrem Bunde dränge. An Stelle der heidnischen Offenherzigkeit ist christliche Heuchelei getreten. Natürlich gilt das vornehmlich für die Ehen der Besitzenden.

Neben der Sorge um die Vermehrung und Vererbung des Vermögens war bei den Eheschließungen auch die für Erzielung einer kräftigen Nachkommenschaft sehr maßgebend. In Sparta, wo die Vermögensverhältnisse eine geringere Rolle spielten, dagegen die Kriegstüchtigkeit der Spartiaten in erster Linie stand, waren bei den Eheschließungen die Rücksichten der geschlechtlichen Zuchtwahl von großer Bedeutung. So stark wirkten sie, daß unter Umständen ein Gatte seine ehelichen Rechte einem anderen abtrat, weil dieser kräftiger war, bessere Kinder zu zeugen versprach. Plutarch verglich in der Tat die spartanische Ehe mit einem Gestüt, in dem es sich nur um die Erzeugung einer möglichst edlen Rasse handle.

Angesichts dessen war die Regelung der Paarung durch die Obrigkeit nach den Regeln der Zuchtwahl für die Zeitgenossen Platos weder etwas Widersinniges noch etwas Widerliches.

Die Aufhebung der Familie, der geschlechtliche Kommunismus, war aber die logische Konsequenz des Kommunismus der Genüsse. In der Tat, wo alle Genüsse gemeinsam sein sollen, war es höchst inkonsequent, einen so machtvollen, das gesellschaftliche Leben so tief beeinflussenden Genuß wie den geschlechtlichen dem Bereich der Gemeinsamkeit zu entziehen.

Dagegen steht die Weibergemeinschaft, der geschlechtliche Kommunismus, nicht im geringsten logischen Zusammenhang mit der Forderung des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln, die der moderne Sozialismus erhebt, man müßte denn die Frau zu den Produktionsmitteln rechnen. So sagt auch das Kommunistische Manifest: »Der Bourgeois sieht in seiner Frau ein bloßes Produktionsinstrument. Er hört, daß die Produktionsinstrumente gemeinsam ausgebeutet werden sollen, und kann sich natürlich nichts anderes denken, als daß das Los der Gemeinschaftlichkeit die Weiber gleichfalls treffen soll.«

In einem anderen Punkte berührt sich jedoch das platonische Ideal mit einer Forderung der heutigen Sozialdemokratie. So wie diese verlangt Plato die Gleichstellung von Mann und Weib, die Zulassung der letzteren zu allen Ämtern (freilich nur innerhalb der Klasse der Wächter). Sogar in den Krieg sollen die Frauen mitziehen. Sie sollen auch dieselbe Erziehung erhalten wie die männlichen Wächter.

»Von allen Beschäftigungen, durch die der Staat besteht, gibt es keine, die dem Weibe als Weib oder dem Manne als Mann zukommt; die natürlichen Anlagen sind in beiden auf ähnliche Weise verteilt, und die Frau kann ihrer Natur nach ebenso wie der Mann an allen Beschäftigungen teilnehmen; in allem aber ist das Weib schwächer als der Mann ... Mögen sich also immer die Frauen unserer Wächter entkleiden (um Leibesübungen vorzunehmen wie die Männer), da sie ja Tugend statt des Gewandes überwerfen werden, und mögen sie teilnehmen am Kriege und an der Regierung des Staates und mögen anderes nicht verrichten. Hiervon aber wollen wir das Leichtere den Weibern zuteilen vor den Männern, wegen der Schwäche ihres Geschlechtes.« (5. Buch, 5. und 6. Kapitel.)

Die Grundlage der gesellschaftlichen und politischen Gleichstellung der Frau mit dem Manne bildet ihre Befreiung von den Arbeiten des Haushaltes. Im platonischen Staat geschieht es dadurch, daß diese Arbeiten den arbeitenden Klassen zugewiesen werden. Solange es nicht möglich war, zum mindesten die schwersten dieser Arbeiten von der Maschine besorgen zu lassen, konnte eine Emanzipation der Frau auf anderer Grundlage nicht erreicht werden.

So kühn alle diese Ideen Platos sind, sie sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern haben eine reale Grundlage. Wir haben dies schon bei einer seiner kühnsten Ideen, der Einführung planmäßiger Zuchtwahl in den Geschlechtsverkehr, gesehen. Das Vorbild, das ihn dort leitete, hat seinen ganzen Ideengang beeinflußt. Dieses Vorbild war Sparta, der aristokratischste Staat Griechenlands, der sich daher stets der besonderen Sympathien der athenischen Aristokratie erfreute. Die Sympathien waren so stark, daß sie mit beigetragen haben zu der Niederwerfung Athens durch Sparta im Peloponnesischen Kriege. Sie äußerten sich durch Verschwörungen, Landesverrat, ja durch die meuchlerische Ermordung hervorragender Demokraten und Feldherren.

Die spartanischen Sympathien, die Plato als Aristokrat hegte, wurden jedenfalls nicht vermindert durch den Einfluß, den die antidemokratischen Tendenzen des Sokrates auf ihn übten.

Von den Schülern des Sokrates haben mehrere der hervorragendsten und bekanntesten sich spartanerfreundlich gezeigt. Xenophon, der Busenfreund des spartanischen Königs Agesilaos, hat in spartanischen Diensten mehrere Feldzüge mitgemacht; er scheute sich sogar nicht, in der Schlacht bei Koronea (394) im Gefolge des spartanischen Feldherrn gegen seine Mitbürger, die Athener, zu fechten. Grund genug, daß er aus seiner Vaterstadt verbannt wurde. Alkibiades hatte es im Peloponnesischen Kriege noch besser getrieben. Er ging als athenischer Feldherr zu den Spartanern über, wurde gewissermaßen deren Generalstabschef, teilte ihnen alle schwächen Seiten Athens mit und führte so eine Reihe großer Niederlagen für dieses herbei, die tatsächlich den Krieg entschieden, wenn derselbe auch noch lange fortgeschleppt wurde. Und als Athen unterlegen war, wurde es eine Beute der »dreißig Tyrannen«, einer Bande aristokratischer Gesinnungslumpen, die das siegreiche Sparta dem athenischen Volk als Regenten aufdrängte. An der Spitze dieser Bande, die sich durch ein wüstes Schreckensregiment bereicherte und das niedergeworfene Athen vollends ruinierte, stand Kritias, ebenfalls ein Schüler des Sokrates.

Man muß das im Auge behalten, wenn man den Prozeß des Sokrates richtig verstehen will.

Angesichts alles dessen dürfen wir uns nicht wundern, daß der spartanische Staat die Grundlage war, auf die sich Plato beim Aufbau seines Idealstaates stützte. Es läßt sich das in einer Reihe von Punkten nachweisen, doch ist hier nicht der Ort, diesen Nachweis zu führen.

Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß Plato den spartanischen Staat bloß abgeschrieben hat. Dazu war er denn doch zu sehr Philosoph, und dazu sah er die Schäden zu genau, an denen dieser Staat zu seiner Zeit schon krankte. Die Macht und der Reichtum, die Sparta durch den Peloponnesischen Krieg und nach ihm erlangte, korrumpierten es ebenso schnell, wie Athen durch seine Siege in den Perserkriegen und deren Konsequenzen korrumpiert wurde. Die Reste eines urwüchsigen Kommunismus, die sich in Sparta noch erhalten hatten, boten ebensowenig Schutz dagegen, als die Ruinen einer Ritterburg Schutz vor der modernen Artillerie gewähren. Sie sanken zu bloßen Formen herab. Ihre größte Wichtigkeit zu Platos Zeit bestand vielleicht in der Anregung, die sie dem Geiste des Forschers und Denkers gaben, kommunistische Zustände für möglich und wünschenswert zu halten und aus den Gedankenkeimen, die sie boten, das konsequent durchgeführte System eines Kommunismus zu entwickeln, der zu seiner Zeit wenigstens ideell möglich war.

Allerdings nur ideell. Plato war Aristokrat, aber seine aristokratische Gesinnung betätigte sich, nur in der Abneigung gegenüber dem niederen Volke, nicht in dem Zutrauen zu seinen Standesgenossen. Er zweifelte an diesen ebenso wie an jenen. Der rohe spartanische Militarismus und die rücksichtslose spartanische Ausbeutungswirtschaft behagten ihm ebensowenig wie die athenische Volksherrschaft.

Darum teilte er in seinem Idealstaat die obere Klasse, die der Wächter, in zwei Unterabteilungen: die Krieger und die Regenten. Nur die letzteren sollen den Staat regieren, sie aber sollen Philosophen sein. Die Herrschaft des Kriegsadels war in seinen Augen ebenso verderblich wie die des Volkes, das zu seiner Zeit bereits zum großen Teil aus Lumpenproletariern bestand. Bloß die Herrschaft der Philosophen kann eine vernünftige Staatsleitung verbürgen. »Ehe nicht das Geschlecht der Philosophen Herr im Staate wird (ἐγκρατὲς γένηται), wird weder für den Staat noch für die Bürger ein Ende des Unglücks sein, noch wird die Verfassung; die wir ersonnen haben, in Erfüllung gehen.« (6. Buch, 13. Kapitel. Vergleiche j. Buch, 18. Kapitel.)

Wie aber sollen die Philosophen im Staate zur Herrschaft gelangen? Nicht durch Anteilnahme an den politischen Kämpfen des Volkes, sondern dadurch, daß sie einen Alleinherrscher für sich gewinnen. (6. Buch, 14. Kapitel.) Eine verblüffende Entdeckung hat der jüngste Forscher über den platonischen Kommunismus gemacht, der Herr Professor Robert Pöhlmann. Den philosophischen Absolutismus, den Plato gefordert, erklärt er für verwirklicht im – Deutschen Reich: »Erscheint diese Forderung nicht geradezu wie ein prophetischer Hinweis auf eine wahrhaft staatliche Monarchie, wie sie vor allem der deutsche Staat verwirklicht hat?« Wer aber sind die Staatsphilosophen, die über den Klasseninteressen der Besitzenden sowohl wie der Besitzlosen stehen? Es sind »unsere heutigen Staats- und Kommunalbeamten, Geistliche, Lehrer, Offiziere usw., in der Mehrzahl Leute, denen ohne oder doch ohne großen Besitz die höchste Bildung zugänglich ist« usw. »Eben dies, die Schaffung einer so gestellten und so gesinnten Gesellschaftsschicht, wie sie der moderne Staat besitzt und der damalige entbehrte, ist von Plato mit genialem Scharfblick als eine Haupt- und Grundfrage aller Politik erkannt worden.« (Geschichte des antiken Kommunismus und Sozialismus, I, S. 427 ff.) Die Auffassung, daß die ganze weltgeschichtliche Entwicklung seit dem Mittelalter kein anderes Ziel gehabt habe, als die alles überstrahlende Herrlichkeit der Hohenzollernschen Dynastie und ihres Staates zu offenbaren, ist bei einem deutschen Geschichtsprofessor etwas Selbstverständliches. Aber zu diesem Zwecke bis ins graue Altertum zurückzugehen und Plato zum Vorkämpfer der Herrschaft des preußischen Junker- und Bürokratentums zu machen – das hat vor Herrn Pöhlmann doch niemand gewagt.
Daß ein deutscher Gelehrter mit der feierlichsten Miene von der Welt dem griechischen Philosophen die Pickelhaube aufsetzen kann, ohne von einem Sturme von Hohngelächter begraben zu werden, ist bezeichnend für die heutige deutsche Geschichtswissenschaft und ihr Publikum.

Wir wissen bereits, welche Erfahrungen Plato mit seinem Versuch machte, einen Alleinherrscher für seine Ideen zu interessieren.

Sein Schicksal war das Schicksal aller Utopisten nach ihm, das heißt aller derjenigen, die eine Erneuerung von Staat und Gesellschaft anstrebten, ohne in dieser selbst die dazu nötigen Faktoren zu finden; sie mußten auf einen Akt großmütiger Willkür eines politischen oder finanziellen Alleinherrschers hoffen, eines philosophischen Königs oder eines philosophischen Millionärs.

Zu Platos Zeit gab es in den Staaten, die er kannte, keine Volksschicht mehr, von der er eine Regeneration des Staates hätte erwarten können. Alles war angefault und zerfressen, und bereits spukte die Idee einer Alleinherrschaft als letzte Rettung des Staates auch in den Köpfen von Republikanern. Xenophon, der Mitschüler Platos, schrieb einen Staatsroman, die »Kyropädie«, in dem der Segen der Herrschaft eines wohlerzogenen Königs gepriesen wird.

Bald nach Plato fingen die Philosophen an, in der Alleinherrschaft nicht mehr ein Mittel zu sehen, sie zur Herrschaft im Staate zu bringen, sondern nur noch ein Mittel, sie der lästigen Sorge um Staatsangelegenheiten zu entheben. Die Auflösung des Staates vollzieht sich auch im allgemeinen Bewußtsein. Es ist nicht mehr das Gemeinwesen, was die Philosophen beschäftigt, sondern das liebe Ich. Nicht nach der besten Staatsverfassung suchen sie mehr, sondern nach der besten Methode für den einzelnen, auf eigene Faust glückselig zu werden.

Es entwickelt sich allmählich die Atmosphäre, der das Christentum entspringt.

3. Die Wurzeln des urchristlichen Kommunismus

Wir haben bereits gesagt, daß die Entwicklung, die wir im Eingang des vorigen Kapitels geschildert und durch das Beispiel Athens belegt haben, das Schicksal aller Nationen und Staaten im Altertum gewesen ist.

Auch das weltbeherrschende Rom blieb davon nicht verschont. Es war schon weit in seinem inneren Niedergang fortgeschritten, als es auf der Höhe seiner äußeren Macht anlangte. Sein Reich, welches alle Länder um das Mittelmeer herum umfaßte, bildete ein Gemenge von Staaten, die alle auf derselben Bahn wandelten; die einen, im Osten und Süden des Mittelmeers gelegen, waren Rom vorausgeeilt, die anderen, im Westen und Norden, waren hinter ihm zurückgeblieben; aber sie waren eifrig bestrebt, dieselbe Höhe zu erreichen wie die Hauptstadt und mit ihr dahin zu gelangen, wo Griechenland und die Länder des Orients bereits standen: bei der völligen sozialen Auflösung.

Wir haben gesehen, wie die athenische Volksfreiheit verfiel und die Republik reif wurde für den Übergang zur Alleinherrschaft. Ebenso ging es auch in den anderen Demokratien, ebenso auch in Rom. In dieselbe Zeit, in die man die Geburt Christi setzt, fallen die letzten Zuckungen der römischen Republik und die Anfänge des Cäsarismus.

Die Aristokratie und die Demokratie zeigten sich damals in gleicher Weise bankrott. Der Kern des Volkes, die freie Bauernschaft, war im römischen Reiche verkümmert, in vielen Gegenden völlig verschwunden, in anderen zu Pächtern großer Grundbesitzer herabgedrückt. Größe und Ruhm des Staates erwuchsen aus dem Ruin der Bauern. Die ewigen Kriege, durch bäuerliche Milizheere geführt, brachten es dahin, daß die Wirtschaft des Bauern verkam, indes die Wirtschaft des größeren Grundbesitzers, der mit Sklaven wirtschaftete, nicht litt. Im Gegenteil, gerade die Kriege lieferten ihm ungemein billiges Sklavenmaterial. Kein Wunder, daß die Sklaven Wirtschaft rasch überhand nahm und die Wirtschaft des freien Bauern verdrängte. Wie Schnee vor der Sonne schmolz die freie, kräftige Bauernschaft dahin, zum Teil verkrüppelte sie, zum größten Teil aber ging sie im städtischen Proletariat unter, Lastträgern, Hausierern, Heimarbeitern, Bettlern. Die besitzlosen Bauern drängten in die Großstädte, wo sie zusammen mit freigelassenen Sklaven die unterste Schicht der freien Bevölkerung bildeten.

Aber solange noch die demokratische Republik bestand, bedeutete die Massenarmut nicht notwendigerweise das Massenelend. Die Massen freier Bürger besaßen, wenn nichts anderes, so doch die politische Macht, und sie wußten von dieser sehr wohl zu leben, sie in den mannigfachsten Formen zur Schröpfung der Reichen und der zinspflichtigen unterworfenen Gebiete auszunützen.

Nicht nur Brot und Spiele verschaffte ihnen ihre politische Macht, sondern mitunter auch die Zuwendung von Produktionsmitteln, von Grundeigentum. Durch die letzten Jahrhunderte der römischen Republik ziehen sich ununterbrochen die Versuche hin, durch Verteilung von Bauerngütern an Proletarier eine neue Bauernschaft zu gründen. Indessen alle diese Versuche, das Rad der ökonomischen Entwicklung zurückzudrehen, waren vergeblich. Sie scheiterten an der politischen und ökonomischen Übermacht der Großgrundbesitzer, welche die Durchführung dieser Versuche hinderten, wo sie konnten, und welche, wo es trotzdem gelang, freie Bauern zu schaffen, diese rasch wieder unterdrückten und auskauften. Sie scheiterten aber auch an der Verkommenheit des Lumpenproletariats, das vielfach nicht mehr arbeiten wollte und es vorzog, sich in der Großstadt zu amüsieren, statt auf dem Lande das dürftige, arbeits- und sorgenvolle Dasein eines Kleinbauern zu führen. Die Proletarier hinderten oft die Sozialreformen, die zu ihren Gunsten dienen sollten, dadurch, daß sie die ihnen zugewiesenen Güter ohne weiteres wieder verschleuderten; sie hinderten sie aber auch oft dadurch, daß sie ihre politische Macht den reichen Großgrundbesitzern verkauften und sie gegen die Sozialreformer wendeten.

Die großartigsten dieser Versuche einer Sozialreform wurden veranlaßt und geleitet von den beiden Gracchen, Tiberius Sempronius Gracchus (geb. 163, von seinen aristokratischen Gegnern erschlagen 133 vor unserer Zeitrechnung) und dem entschiedeneren und weitergehenden Gajus Sempronius Gracchus, geb. 153, der das Werk seines älteren Bruders fortsetzte, aber so wie dieser der Wut der Latifundienbesitzer erlag (121). Man hat die beiden Gracchen Kommunisten genannt, das waren sie jedoch in keiner Weise. Was sie anstrebten, war nicht eine Aufhebung des Privateigentums, sondern die Schaffung neuer Eigentümer, die Wiederherstellung einer kräftigen Bauernschaft, der festesten Grundlage des Privateigentums.

Sie handelten darin ganz im Sinne der ökonomischen Verhältnisse ihrer Zeit. Wohl verdrängte damals nicht bloß der Großgrundbesitz den Kleingrundbesitz, sondern vielfach auch der Großbetrieb den Kleinbetrieb. Aber dies war nicht die Folge der technischen und ökonomischen Überlegenheit des ersteren, sondern die Folge der enormen Billigkeit seiner Arbeitskräfte, der Sklaven.

Die ewigen Kriege brachten zahlreiche Kriegsgefangene als Sklaven auf den Markt. Gar mancher Krieg der Römer war bloß durch das Bedürfnis der Großgrundbesitzer nach billigen Sklaven hervorgerufen, die reine Sklavenjagd.

Ungeheure Sklavenmassen kamen zusammen; kein Wunder, daß ihre Preise ungemein sanken. Schon in Athen hatte die Sklaverei infolge ähnlicher Verhältnisse sich stark entwickelt. Im römischen Weltreich wurde das Sklavenunwesen noch ärger. Der römische Feldherr Lucullus verkaufte (in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung) Kriegsgefangene, das Stück zu drei Mark (in unserem Gelde gerechnet), als Sklaven!

Jetzt wurde es unter Umständen rentabel, große Sklavenherden zusammenzukaufen – reiche Römer besaßen Tausende von Sklaven – und zusammen an die Arbeit zu setzen. Aber diese Großbetriebe waren den Kleinbetrieben keineswegs technisch überlegen. Die Sklavenarbeit zeigte sich vielmehr, namentlich in der Landwirtschaft, so roh und unökonomisch als nur möglich; der einzelne Sklave in diesen Großbetrieben leistete viel weniger als ein freier Arbeiter in einem Kleinbetrieb.

Marx bemerkt in seinem »Kapital« in einer Note über die Sklavenarbeit: »Der Arbeiter soll sich hier (in der Sklaverei) nach dem treffenden Ausdruck der Alten nur als instrumentum vocale (sprachbegabtes Werkzeug) von dem Tier als instrumentum semivocale (stimmbegabtes Werkzeug) und dem toten Arbeitszeug als instrumentum mutum (stummes Werkzeug) unterscheiden. Er selbst aber läßt Tier und Arbeitszeug fühlen, daß er nicht ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefühl seines Unterschiedes von ihnen, indem er sie mißhandelt und con amore verwüstet. Es gilt daher als ökonomisches Prinzip in dieser Produktionsweise, nur die rohesten, schwerfälligsten, aber gerade wegen ihrer unbehilflichen Plumpheit schwer zu ruinierenden Arbeitsinstrumente anzuwenden.« (K. Marx, Das Kapital, I, Volksausgabe. JHW Dietz Verlag, Berlin 1947. S. 205.)

Man vergleiche damit folgende Ausführung, die wir in Sismondis »Études sur l'économie politique« (Paris 1837) gefunden haben. Er gibt da einen längeren Auszug aus einem Werke von Ch. Comte über die Sklaverei und sagt unter anderem: »Die Sklaven unserer Tage sind unfähig für jede Arbeit, die Intelligenz, Geschmack, Sorgfalt erfordert. Es ist wahrscheinlich, daß die schönen Arbeiten des römischen Altertums von Leuten verrichtet wurden, die ihre industrielle Geschicklichkeit als Freie erlangt hatten und die erst der Krieg zu Sklaven gemacht hatte. Denn sobald die Römer einmal alle industriellen Nationen unterjocht hatten, so daß sie nur noch unter den Barbaren Sklaven machen konnten, verkamen die Künste und alle Arten der Industrie ungemein rasch, und sie selbst verfielen in Barbarei.

Aber die Sklaverei korrumpiert nicht bloß die Versklavten, sondern auch die Freien, denn sie züchtet jene Verachtung der industriellen Arbeit, welche die Beschäftigung der ärmeren Freien mit der Industrie immer mehr zurückdrängt. Der Zustand der Proletarier in der römischen Republik, die von jeder Arbeit zurückgehalten wurden, teils durch die Verachtung der Arbeit, teils durch die Konkurrenz der Sklaven, ist ein bemerkenswertes und erschütterndes Beispiel der Degradation und des Elendes, in die die Sklaverei jenen Teil des Volkes stürzt, der weder zu den Herren noch zu den Knechten zählt.« (I, S. 382 bis 393.)

Wenn der Sklave im Großbetrieb trotzdem billiger produzierte, so nur deswegen, weil er selbst fast nichts kostete und wegen der Billigkeit und Massenhaftigkeit des Sklavenmaterials auch nicht geschont und ausreichend genährt und bekleidet zu werden brauchte. Mochten sie verkommen, man fand genug andere an ihrer Stelle.

Man sieht, die Verdrängung des Kleinbetriebs durch den Großbetrieb im römischen Reiche beruhte auf ganz anderen Bedingungen als die heutige gleichartige Erscheinung. Die Vorbedingungen zu einer höheren Produktionsweise, als der Kleinbetrieb (im Ackerbau und auch im Handwerk) bedeutet, zu einer genossenschaftlichen Produktion, waren nicht gegeben. Wenn die Gracchen also als Vertreter der Interessen des Proletariats nichts weniger als Kommunisten waren, so entsprach dies vollständig den ökonomischen Verhältnissen, die sie vorfanden.

Was für die Gracchen gilt, kann auch von Catilina (geb. 108 v. u. Z.) gesagt werden, dem Führer einer Verschwörung gegen das römische Grundbesitzerregiment, der, nachdem alle anderen Versuche seiner Partei, die politische Macht zu erobern, gescheitert waren, mit seinen Genossen zu gewaltsamer Erhebung getrieben wurde und der Übermacht seiner Gegner in heldenmütigem Kampfe erlag (62 v. u. Z.). Auch ihn hat man zum Kommunisten gestempelt – Mommsen zum »Anarchisten« –, aber ohne jede Berechtigung. Ebensowenig wie bei den Gracchen handelte es sich bei Catilina um die Aufhebung des Privateigentums, um die Einführung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Er strebte die Eroberung der politischen Macht durch die Besitzlosen an, um diese zu Besitzenden zu machen.

Eine andere Richtung erhielt das Denken der Proletarier und ihrer Freunde, als das politische Leben abstarb, als die Besitzlosen moralisch und politisch ebenso verkommen waren wie die Besitzenden, die Demokratie ebenso haltlos wurde wie die Aristokratie und der Boden geebnet war für das Auftreten eines Alleinherrschers, eines Kaisers, des Herrn eines Söldnerheeres und der Anfänge einer Bürokratie.

Mit der politischen Macht versiegte die wichtigste, ja fast die einzige Erwerbsquelle des antiken Proletariers. Arm sein hieß jetzt auch elend sein. Die Besitzlosigkeit der Massen entwickelte in der römischen Gesellschaft grauenhafte Zustände, die ehedem unbekannt gewesen waren. Der Pauperismus, die Massenarmut und das Massenelend wurden nun zur wichtigsten sozialen Frage, einer Frage, die immer dringender ihre Lösung heischte, denn die gesellschaftliche Entwicklung ging ihren Gang, die Mittelschichten verfielen immer mehr, die Reichen wurden immer reicher, die Zahl der Besitzlosen wuchs.

Dies war jedoch nicht die einzige soziale Frage, welche die Gesellschaft des römischen Weltreiches bewegte. Der Verfall der freien Bauernschaft, der zum cäsaristischen Absolutismus führte, bildete den Vorläufer des ökonomischen Verfalls der ganzen Gesellschaft.

Schon ehe die römische Gesellschaft politisch abgedankt hatte, hatte sie militärisch abgedankt. Mit den Bauern waren die Krieger des Milizheeres verschwunden. An Stelle desselben trat ein Söldnerheer, die kräftigste Stütze des Despotismus. Aber dieses Heer, unwiderstehlich nach innen, hatte bald Mühe, den auswärtigen Feind abzuwehren, namentlich die Germanen, die immer kraftvoller andrängten, indes das römische Heerwesen zusehends verfiel.

Dies zeitigte sehr wichtige ökonomische Folgen. Die Eroberungskriege wurden seltener; der ewige Krieg, der an den Grenzen tobte, gestaltete sich immer mehr zum reinen Verteidigungskrieg, der mehr Verluste an Kriegern brachte, als er an Kriegsgefangenen lieferte. Die Zufuhr von Sklaven wurde nach und nach immer spärlicher. Mit dem Aufhören der reichlichen Sklavenzufuhr brach aber die Grundlage der Sklaverei, namentlich in der Landwirtschaft, zusammen. Die Sklaverei selbst hörte nicht völlig auf, aber sie wurde immer mehr bloße Luxussklaverei.

Dies bedeutete jedoch nicht den Aufschwung einer freien Bauernschaft und eines freien Handwerkes. Hand in Hand mit der Verringerung der Sklavenzufuhr geht weniger das Aufkommen eines freien, kräftigen Handwerkes, als vielmehr der Rückgang und Verfall der Industrie. Nicht viel besser ging es in der Landwirtschaft. Die freien Bauern waren von der Sklavenwirtschaft verkrüppelt und erschlagen worden, und wo sie einmal im Römerreich verschwunden waren, da konnte die Bauernwirtschaft sich nicht wieder einwurzeln. Denn wenn auch die Sklavenwirtschaft immer unrentabler wurde, der Großgrundbesitz blieb, ja er dehnte sich auch jetzt noch mehr aus, denn den Erpressungen der kaiserlichen Beamten und den Verheerungen, die namentlich unglückliche Kriege über viele Landschaften brachten, konnte er immer noch besser widerstehen als die kleineren Grundbesitzer.

Aber den Betrieb der Landwirtschaft durch Sklaven konnte er schließlich nicht mehr aufrechterhalten. Derselbe wurde immer mehr eingeschränkt, und neben ihm entwickelte sich das System, die großen Güter ganz oder zum Teil zu parzellieren und die kleinen Gütchen gegen bestimmte Lieferungen und Leistungen zu verpachten, an sogenannte Kolonen, die man namentlich in den späteren Jahrhunderten der Kaiserzeit so eng als möglich an die Scholle zu fesseln suchte – die Vorgänger der mittelalterlichen Hörigen.

Die Ursache dieser Fesselung war die rapide Abnahme an Arbeitskräften im Reiche, die aus der allgemeinen Verarmung hervorging. Die zahlreichen unglücklichen Kriege vermehrten noch das Defizit an Menschen. Die Bevölkerung verminderte sich zusehends. Um Kolonen und Soldaten zu bekommen, mußten die herrschenden Klassen Roms immer mehr Ausländer, Barbaren, ins Reich ziehen, dessen Wehrstand und Nährstand schließlich vornehmlich von diesen eingewanderten Fremdlingen und ihren Nachkommen gebildet wurde.

Aber das genügte nicht, den Abgang an Menschen zu ersetzen, und es waren immer rohere, tiefer stehende Elemente, die man heranziehen mußte.

Die römische Kultur hatte ihre Höhe nur erreichen können durch den Überfluß an Arbeitskräften, der ihr zu Gebot gestanden hatte und den sie rücksichtslos hatte verschwenden dürfen. Mit dem Überfluß an Arbeitskräften hörte auch der Überfluß an Produkten auf, Landwirtschaft und Industrie gingen zurück, wurden immer roher und barbarischer. Und mit ihnen verkamen Kunst und Wissenschaft.

Dieser gesellschaftliche Niedergang nahm einen langen Zeitraum in Anspruch. Es dauerte mehrere Jahrhunderte, bis das römische Weltreich von der stolzen Höhe, die es unter Augustus und seinen ersten Nachfolgern einnahm, zu dem erbärmlichen Tiefstand herabgesunken war, den es zu Beginn der Völkerwanderung erreicht hatte. Aber die Richtung dieses Niederganges war bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung gegeben und in manchen Punkten klar erkennbar. Mit ihm und durch ihn ist jene neue gesellschaftliche Macht erwachsen, die in dem allgemeinen Verfall rettete, was noch zu retten war, und die schließlich die Reste der römischen Kultur den Germanen übermittelte, wo sie eine neue, höhere Kultur anbahnte. Diese Macht war das Christentum.

4. Das Wesen des urchristlichen Kommunismus

Wie zur Zeit des Verfalls Griechenlands, mußten auch jetzt in der römischen Kaiserzeit alle denkenden und mit ihren leidenden Brüdern empfindenden Menschen sich gedrängt fühlen, nach einem Ausweg aus den furchtbaren Zuständen zu suchen.

Auf die Frage nach diesem Ausweg wurden die verschiedensten Antworten gegeben. Auch das platonische Ideal wurde wieder neu belebt, aber es konnte jetzt noch weniger Einfluß üben als zur Zeit seines Ursprunges. Der Neuplatoniker Plotin (im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung) gewann zwar die Gunst der höheren Stände, ja des Kaisers Gallienus und der Kaiserin Salonina in so hohem, Grade, daß er daran denken konnte, mit deren Hilfe eine Stadt nach dem Muster des platonischen Gemeinwesens zu gründen. Aber dieser Salonkommunismus des Modephilosophen bildete nur eine der zahlreichen Spielereien, mit denen die Obersten der Nichtstuer die Zeit vertändelten. Es wurde nicht einmal ein Versuch zur Ausführung des Planes gemacht, wenn man nicht die Erfindung eines Namens für die Kolonie – Platonopolis, Platostadt – als solchen betrachten will.

Die Staatsgewalt begegnete allgemeinem Mißtrauen und allgemeiner Gleichgültigkeit, und die Verwesung des Gesellschaftskörpers war eine so hochgradige, daß man von keinem Sterblichen, und wäre er der mächtigste der Cäsaren gewesen, erwarten durfte, es könnte ihm gelingen, demselben neues Leben einzuhauchen. Nur eine übermenschliche Macht, nur ein Wunder konnte dies bewirken.

Wer es nicht für möglich hielt, daß noch Wunder geschähen, versank in trübsinnigen Pessimismus oder betäubte sich in gedankenlosem Genuß. Unter den sanguinischen Enthusiasten aber, denen das eine wie das andere gleich unmöglich war, begannen manche an das Wunder zu glauben.

Namentlich war dies der Fall bei den Enthusiasten der untersten Schichten des Volkes, die den allgemeinen. Niedergang am drückendsten empfanden und die weder die Mittel besaßen, sich in Vergnügungen zu berauschen, noch den Katzenjammer fühlten, der auf solchen Rausch gern folgt und der so leicht den Pessimismus erzeugt. Aus ihren Reihen vornehmlich ersproß die Idee, daß ein Erlöser vom Himmel in nächster Zeit kommen werde, um ein herrliches Reich auf Erden zu errichten, in dem es keinen Krieg gibt und keine Armut, in dem Freude, Friede und Überfluß herrschen und unendliche Seligkeit. Dieser Erlöser war der Gesalbte des Herrn – Christus. christos, griechisch = gesalbt.

War man einmal so weit, das Wunder für möglich zu halten, dann waren alle Schranken der Phantasie niedergerissen, und jeder der Gläubigen durfte sich das kommende Reich so überschwenglich als möglich vorstellen. Nicht nur die Gesellschaft, die ganze Natur sollte sich ändern, alle Schädlichkeiten sollten aus ihr verschwinden, alle Genüsse, die sie bietet, maßlos vergrößert, die Menschen erfreuen. Corrodi hat in seiner »Kritischen Geschichte des Chiliasmus« (Frankfurt 1781) die sonderbaren Blasen, welche diese Phantasien warfen, eingehend beschrieben, ja sogar – kritisiert!

Eine bekannte christliche Schrift, in der derartige Erwartungen ausgesprochen wurden, bildet die sogenannte » Offenbarung Johannis«, die Apokalypse, die wahrscheinlich bald nach Neros Tode geschrieben wurde und die verkündigt, es werde baldigst ein furchtbarer Kampf sich entspinnen zwischen dem wiederkehrenden Nero, dem Antichrist, und dem wiederkehrenden Christus, ein Kampf, den die gesamte Natur mitkämpft. Christus werde siegreich aus diesem Kampfe hervorgehen und ein tausendjähriges Reich begründen, in welchem die Frommen mit Christus regieren werden, ohne daß der Tod eine Macht über sie hat. Aber nicht genug damit, wird nach Ablauf dieses Reiches ein neuer Himmel und eine neue Erde erstehen und auf dieser Erde ein neues Jerusalem, ein Sitz der Seligkeit.

Das tausendjährige Reich – das ist der Zukunftsstaat des Urchristentums; nach ihm werden alle überschwenglichen Erwartungen des Kommens einer neuen Gesellschaft, die in christlichen Sekten auftauchen, als chiliastische Chilias, griechisch = die Zahl Tausend. bezeichnet.

Anknüpfend an die Apokalypse haben zahlreiche christliche Lehrer in den ersten Jahrhunderten des Christentums chiliastische Erwartungen geäußert und mitunter, wie Irenäus (im zweiten Jahrhundert) und noch Lactantius (um 320 unserer Zeitrechnung), das kommende Paradies auf Erden sehr eingehend und in den glühendsten sinnlichen Farben beschrieben. Eine große Rolle spielen in dem kommenden christlichen Reiche der Wein und die Liebe. Irenäus lehrte: »Es wird die Zeit kommen, da die Weinstöcke wachsen, jeder mit zehntausend Reben, jede Rebe mit zehntausend großen Zweigen, jeder große Zweig mit zehntausend kleinen Zweigen, jeder kleine Zweig mit zehntausend Trauben, jede Traube mit zehntausend Beeren und jede Beere mit Saft für zwanzig Maß Wein.« Hoffentlich wächst der Durst in dem tausendjährigen Reiche in demselben Verhältnis. Irenäus stellt aber noch zartere Freuden in Aussicht: »Die jungen Mädchen werden sich da in Gesellschaft der Jünglinge ergötzen; die Greise werden dieselben Vorrechte genießen, und ihr Kummer wird sich in Vergnügen auflösen.« Namentlich letztere Aussicht muß für die jüngeren und älteren Greise der römischen fin de siècle-Gesellschaft sehr verlockend gewesen sein. Aber je mehr das Christentum aufhörte, bloß der Glaube der Unglücklichen und Unterdrückten, der Proletarier und Sklaven und ihrer Freunde zu sein, je mehr es auch der Glaube der Mächtigen und Reichen wurde, desto mehr geriet der Chiliasmus in Mißgunst bei der offiziellen Kirche, denn er hatte immer einen revolutionären Beigeschmack, war immer eine Prophezeiung des kommenden Umsturzes der bestehenden Gesellschaft.

Die chiliastischen Erwartungen sind eines der hervorragendsten Merkmale des urchristlichen Geisteslebens. Aber nicht minder wichtig sind seine Tendenzen eines praktischen Kommunismus.

Gleich der Sozialdemokratie ist auch das Urchristentum für die Machthaber seiner Zeit dadurch unüberwindlich geworden, daß es für die Masse der Bevölkerung unentbehrlich wurde. Sein praktisches Wirken, nicht bloß seine frommen Schwärmereien haben ihm zum Siege verholfen.

Dies praktische Wirken wollen wir jetzt betrachten.

Der Pauperismus war, wie wir gesehen, die große soziale Frage der Kaiserzeit. Alle Versuche des Staates, ihm entgegenzuwirken, erwiesen sich als vergebens. Manche Kaiser, und auch Private, suchten ihm durch milde Stiftungen zu steuern. Aber das geschah in höchst unzureichendem Maße; es waren Tropfen auf einen heißen Stein, und die habgierige römische Bürokratie bildete nicht den besten Verwalter derartiger Einrichtungen.

Die Pessimisten und die Genußmenschen taten dem Pauperismus gegenüber, was sie auch den anderen Übeln im Staate und der Gesellschaft gegenüber taten, nämlich nichts. Sie erklärten, es sei sehr traurig, daß derartige Zustände beständen, aber diese, seien unabwendbar, und Philosophen dürften gegen das Unabwendbare nicht ankämpfen.

Anders die sanguinischen Enthusiasten und die Proletarier, auf denen das Elend lastete. Sie konnten es unmöglich ruhig mit ansehen, sie mußten danach trachten, ihm ein Ende zu bereiten. Mit den überschwenglichen Träumen von der Glückseligkeit, die der Messias aus den Wolken herabbringen werde, war den Entbehrenden nicht geholfen. Denselben Kreisen, denen der Chiliasmus entstammte, entsprangen auch tatkräftige Versuche, dem bestehenden Elend zu Leibe zu rücken.

Diese Versuche mußten ganz anderer Art sein, als die der Gracchen gewesen waren. Diese hatten an den Staat appelliert; sie wollten, daß das Proletariat die politische Macht erobere und sich dienstbar mache. Jetzt hatte jede politische Bewegung aufgehört, und die Staatsgewalt war in allgemeinen Mißkredit geraten. Nicht durch den Staat, sondern hinter seinem Rücken, durch besondere, von ihm völlig unabhängige Organisationen wollten die neuen Sozialreformer die Gesellschaft umgestalten.

Noch wichtiger zeigte sich ein anderer Unterschied. Die gracchische Bewegung war eine halb ländliche; sie stützte sich nicht bloß auf die städtischen Proletarier, sondern auch auf die verkommenden Bauern. Und sie wollte jene auch zu Bauern machen. Das städtische Proletariat wurzelte eben mit einem Fuße noch in der Bauernschaft.

In der Kaiserzeit waren Stadt und Land bereits völlig getrennt. Die städtische und die ländliche Bevölkerung bildeten zwei Nationen, die einander nicht mehr verstanden. Die christliche Bewegung war in ihren Anfängen eine rein großstädtische – so sehr, daß Landmann und Nichtchrist gleichbedeutende Begriffe wurden. Das Wort Paganus (lateinisch = Dorfbewohner) gebrauchten die späteren Christen zur Bezeichnung der »Heiden«.

Damit hängt aufs engste der entscheidende Unterschied zwischen der gracchischen und der christlichen Sozialreform zusammen. Jene wollte die Plantagen- und Weidewirtschaft durch die Bauernwirtschaft verdrängen; wenn sie die bestehende Verteilung des Eigentums antastete, so geschah das, um eine Reform der Produktionsweise anzubahnen. Aber eben deswegen mußte sie notwendigerweise, wie wir gesehen haben, das Privateigentum (an den Produktionsmitteln) anerkennen.

Für das Christentum in seinen Anfängen war die maßgebende Klasse ein großstädtisches Proletariat, das sich zum großen Teil der Arbeit entwöhnt hatte. Das Produzieren erschien diesen Elementen als eine ziemlich gleichgültige Sache; ihr Vorbild waren die Lilien auf dem Felde, die nicht säen und nicht spinnen und doch gedeihen. Wenn sie eine andere Verteilung des Eigentums anstrebten, so hatten sie nicht die Produktionsmittel im Auge, sondern die Genußmittel. Ein Kommunismus des Konsumierens war aber für die Proletarier jener Zeit nichts Unerhörtes. Zeitweise öffentliche Speisungen großer Massen Bedürftiger oder Verteilungen von Lebensmitteln an sie waren in den letzten Zeiten der römischen Republik Regel gewesen und fanden auch in der Kaiserzeit anfänglich noch statt: was lag näher, als diese Speisungen und Verteilungen in ein System zu bringen, einen regelmäßigen Kommunismus der vorhandenen Genußmittel – teils durch gleichmäßige Verteilung, teils durch gemeinsame Verwendung derselben – anzustreben?

Es entstanden kommunistische Ideen, bald auch kommunistische Gemeinden zu ihrer Durchführung. Die ersten bildeten sich im Orient, der ökonomisch am weitesten vorgeschritten war, namentlich unter den Juden, die auch vor den Christen schon apokalyptische Erwartungen entwickelt hatten, und unter denen wir bereits um das Jahr 100 vor unserer Zeitrechnung einen kommunistischen Bund, den der Essener finden.

»Den Reichtum halten sie für nichts«, berichtet von diesen Josephus, »hingegen rühmen sie sehr die Gemeinschaft der Güter, und man findet keinen unter ihnen, der reicher wäre als der andere. Sie haben das Gesetz, daß alle, die in ihren Orden eintreten wollen, ihre Güter zum gemeinsamen Gebrauch darreichen müssen, daher man bei ihnen weder Mangel noch Überfluß merkt, sondern sie haben alles gemein wie Brüder ... Sie wohnen nicht in einer Stadt zusammen, sondern haben in allen Städten ihre besonderen Häuser, und wenn Leute, die ihres Ordens sind, anderswoher zu ihnen kommen, teilen sie mit denselben ihren Besitz, und diese können ihn wie ihr eigenes Gut gebrauchen. Sie kehren ohne weiteres beieinander ein, auch wenn sie einander nie gesehen haben, und tun, als ob sie ihr Leben lang in vertrautem Verkehr gewesen wären. Wenn sie über Land reisen, nehmen sie nichts mit sich als eine Waffe gegen die Räuber. In jeder Stadt haben sie einen Gastmeister, der den Fremden Kleider und Lebensmittel austeilt ... Sie treiben keinen Handel miteinander, sondern wenn jemand einem, der Mangel hat, etwas gibt, so empfängt er hingegen wieder von ihm, was er bedarf. Und wenn er auch nichts dafür bieten kann, so mag er doch ohne Scheu, von wem er will, begehren, was er braucht.« Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges, 2. Buch, 8, 3, 4.

Anfangs strebten auch die Christen vielfach nach der Einführung eines völligen Kommunismus. Jesus spricht im Evangelium Matthäi (19, 21) zum reichen Jüngling: »Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast und gib es den Armen.« Vergleiche Markus 10, 21; Lukas 12, 33; 18, 21. In der Apostelgeschichte (4, 32, 34) wird die erste Gemeinde zu Jerusalem folgendermaßen beschrieben: »Keiner sagte von seinen Gütern, daß sie seine wären, sondern es war ihnen alles gemein ... Es war aber auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn jene, die da Äcker und Häuser besaßen, verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Gutes und legten es zu der Apostel Füßen; und man gab einem jeglichen, was ihm not war.« Ananias und Sapphira, die etwas von ihrem Gelde der Gemeinde vorenthielten, wurden bekanntlich dafür von Gott mit dem Tode bestraft. Wichtig ist auch die Stelle Apostelgeschichte 2, 44, 45.

Praktisch lief jedoch diese Art Kommunismus darauf hinaus, daß alle Produktionsmittel in Genußmittel verwandelt und dieselben an die Armen verteilt werden sollten: das bedeutete, wenn allgemein durchgeführt, das Ende aller Produktion. So wenig die ersten Christen sich als echte Bettlerphilosophen um das Produzieren kümmern mochten, eine dauernde größere Gesellschaft konnte auf dieser Grundlage nicht aufgebaut werden.

Der damalige Stand der Produktion verlangte das Privateigentum an den Produktionsmitteln, und die Christen konnten darüber nicht hinauskommen. Sie mußten also danach trachten, Privateigentum und Kommunismus miteinander zu vereinigen. Sie konnten es jedoch nicht in der Weise Platos tun, der den Kommunismus zum Privilegium einer Aristokratie machte und das Privateigentum für die Volksmasse bestehen ließ. Gerade diese bedurfte jetzt des Kommunismus.

Die Vereinigung von Privateigentum und Kommunismus geschah in der Weise, daß man einem jeden sein Eigentum, namentlich an Produktionsmitteln, ließ und bloß den Kommunismus des Genießens und Gebrauchens – namentlich der Lebensmittel – forderte.

Natürlich ergab sich diese Unterscheidung nicht in der Theorie, so scharf unterschied man damals nicht in ökonomischen Dingen. Aber die Praxis lief immer mehr darauf hinaus.

Die Besitzenden sollten ihre Produktionsmittel behalten und ausbeuten, vor allem ihren Grund und Boden; aber was sie an Konsumtionsmitteln besaßen und erwarben – Nahrungsmittel, Kleider, Wohnungen und Geld, um derlei zu kaufen –, das sollte der christlichen Gemeinde zur Verfügung gestellt sein. »Es war also die Gemeinschaft der Güter nur eine Gemeinschaft des Gebrauchs. Ein jeder Christ hatte nach der brüderlichen Verbindung ein Recht zu den Gütern aller Mitglieder der ganzen Gemeinde und konnte im Falle der Not fordern, daß die begüterten Mitglieder ihm so viel von ihrem Vermögen mitteilten, als zu seiner Notdurft erforderlich ward. Ein jeder Christ konnte sich der Güter seiner Brüder bedienen, und die Christen, die etwas hatten, konnten ihren dürftigen Brüdern die Benutzung und den Gebrauch derselben nicht versagen. Ein Christ zum Beispiel, der kein Haus hatte, konnte von einem anderen Christen, der zwei oder drei Häuser hatte, begehren, daß er ihm eine Wohnung gebe; deswegen blieb dieser doch Herr der Häuser. Wegen der Gemeinschaft des Gebrauchs aber mußte die eine Wohnung dem anderen zum Gebrauch überlassen werden.« J. L. Vogel, Altertümer der ersten und ältesten Christen, S. 47. Hamburg 1780.

Die transportablen Lebensmittel sowie Geld wurden zusammengebracht und eigene Gemeindebeamte gewählt, welche die Austeilung dieser Gaben zu leiten hatten.

Der volle Kommunismus, den das Christentum in seinen Anfängen anstrebte, war mit der, wenn auch nur teilweisen Anerkennung des Privateigentums durchbrochen. Er sollte aber noch eine weitere Abschwächung erfahren.

Der Kommunismus des Konsumierens hängt, wie wir bereits bei der Betrachtung des platonischen Staates gesehen haben, aufs engste zusammen mit der Aufhebung der Familie und Einzelehe. Man kann dies auf zwei Wegen erreichen: durch Gemeinschaft der Frauen und der Kinder oder durch den Verzicht auf den geschlechtlichen Verkehr, durch das Zölibat. Plato wählte den ersteren Weg, die Essener den letzteren. Sie huldigten der Ehelosigkeit. In seinen radikal-kommunistischen Anfängen suchte das Christentum ebenfalls der Familie und Ehe zu Leibe zu gehen, meist in der asketischen Form, die der katzenjämmerlichen Stimmung jener Zeit am besten entsprach; es hat aber auch christliche Sekten gegeben, zum Beispiel die Adamiten, eine gnostische Sekte aus dem zweiten Jahrhundert, welche die lebenslustigere Form der Aufhebung von Familie und Ehe lehrten und praktizierten.

Das Evangelium Matthäi läßt Christum sagen (19, 29): »Wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Acker um meines Namens willen, der wird hundertfältigen Lohn ernten und das ewige Leben erwerben.« Und im Evangelium Lucä ruft Christus aus: »So jemand zu mir kommt und hasset nicht Vater und Mutter, Weib und Kinder, Brüder und Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger seinVergleiche auch Matth. 10, 37; 12, 46 ff. Mark. 3, 31 ff.; 10, 29. Luk. 8, 20; 18, 29.

Sämtlichen urchristlichen Gemeinden ist das Streben eigentümlich, das Familienleben wenigstens bis zu einem gewissen Grade aufzuheben. Daher finden wir bei ihnen die Einrichtung, daß die täglichen Mahlzeiten gemeinsam waren. (Vergleiche Apostelgeschichte 2, 46.) Diese Liebesmahle, Agapen, entsprechen den gemeinsamen Mahlzeiten, Syssitien, der Spartaner und des platonischen Staates. Allerdings, wenn wir Daumer glauben dürften (Die Geheimnisse des christlichen Altertums. Hamburg 1847), so wären diese Mahlzeiten nicht Liebesmahlzeiten gewesen, sondern – Menschenfressereien. Sie waren die natürliche Konsequenz des Kommunismus der Genußmittel.

Indes, wie schon gesagt, das Christentum konnte den Kleinbetrieb und das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht überwinden. Damit ist aber notwendig die Einzelfamilie verbunden, nicht bloß als Form des Zusammenlebens von Mann und Weib, von Eltern und Kindern, sondern auch als wirtschaftliche Einheit. Da das Christentum nicht eine neue Produktionsweise bringen konnte, mußte es auch die überkommene Familienform bestehen lassen, so sehr sie dem Kommunismus des Konsumierens widersprach. Nicht die Art und Weise, wie die Menschen genießen, sondern wie sie produzieren, entscheidet in letzter Linie über den Charakter der Gesellschaft. Wie der volle Kommunismus, war auch die angestrebte Aufhebung der Familie und Ehe unverträglich mit der Ausbreitung des Christentums in der Gesellschaft. Sie ist stets auf einzelne Sekten und Korporationen beschränkt geblieben. Es gelang ihr nicht, allgemeine Gültigkeit zu erlangen.

Es zeigte sich wieder einmal, daß die materiellen Verhältnisse stärker sind als die Ideen, und diese von jenen beherrscht werden. Unwiderstehlich wurde die Kirche getrieben, ihre Lehre den durch ihre Ausdehnung veränderten Verhältnissen anzupassen. Da man die kommunistische Überlieferung nicht vernichten konnte, suchte man sie wegzudeuten und durch eine Reihe von Spitzfindigkeiten, wie sie der damaligen, mehr klügelnden als forschenden Philosophie nahe lagen, mit der Wirklichkeit zu versöhnen.

In seiner späteren Entwicklung verzichtet das Christentum darauf, das Problem der Armut zu lösen, den Unterschied zwischen reich und arm aufzuheben. Hatten die ersten Christen noch behauptet, kein Reicher könne des Himmelreichs teilhaftig werden, das heißt in ihre Gemeinschaft aufgenommen werden, der nicht alles Hab und Gut den Armen spende und selbst arm werde, nur die Armen könnten selig werden, so wurden jetzt diese rein materiellen Verhältnisse in geistige Beziehungen umgedeutet.

»Die Kirche«, sagt Ratzinger in seiner Geschichte der kirchlichen Armenpflege (Freiburg i. B. 1860) bei seiner Charakterisierung des Gedankenganges der ersten Kirchenlehrer über das Eigentum, »war bloß für die Armen bestimmt, die Reichen waren davon ausgeschlossen. Diese Entäußerung vom Besitz braucht kein völliger Verzicht darauf zu sein, es genügt, wenn er (der Reiche) sich des übermäßigen Genusses am Besitz, der Lust an demselben, kurz, der Habsucht entschlägt ... Auch der Reiche mußte sein Herz von allem irdischen Besitz trennen; er durfte, sich als Haushalter Gottes betrachtend, nur so besitzen, als besäße er nicht, er sollte nur das Nötigste zu seinem Unterhalt verwenden, alles übrige aber als treuer Verwalter Gottes für die Armen verwenden.« Aber ebensowenig als der Reiche darf der Arme nach irdischem Besitz streben; er muß mit seinem Los zufrieden sein und dankbar die Brosamen hinnehmen, die ihm der Reiche vorwirft. (S. 9, 10.)

Welch niedlicher Eiertanz! Nicht mehr sich, nur noch sein Herz braucht der Reiche vom irdischen Besitz zu trennen; er soll besitzen, als besäße er nicht! So wußte sich das Christentum mit seinem kommunistischen Ursprung abzufinden.

Aber auch in dieser seiner abgeschwächten Form hat das Christentum noch jahrhundertelang Bedeutendes in der Bekämpfung des Pauperismus geleistet. Hat es ihn auch nicht beseitigt, so war es doch diejenige Organisation, die bei weitem am wirksamsten sich erwies, in ihrem Bereich das Elend, das aus der Massenarmut erwuchs, zu lindern. Und darin liegt vielleicht der wichtigste Hebel seines Erfolges.

Indes je mächtiger es wurde, desto ohnmächtiger dem sozialen Problem seiner Zeit gegenüber, aus dem es seine Kraft gezogen. Nicht nur, daß das Christentum sich unfähig erwies, den Klassenunterschieden ein Ende zu machen, die es vorfand, es selbst erzeugte mit der Zunahme seiner Macht und seines Reichtums einen neuen Klassengegensatz: es bildete sich in der Kirche eine herrschende Klasse, der Klerus, welchem die Masse, das Laientum, Vom griechischen Laos, das Volk. botmäßig war.

Ursprünglich herrschte in den christlichen Gemeinden volle Selbstverwaltung. Die Vertrauensmänner an ihrer Spitze, die Bischöfe und Presbyter, wurden von den Gemeindegenossen aus ihren eigenen Kreisen gewählt, waren ihnen Rechenschaft schuldig. Sie zogen keine Vorteile aus ihrem Amte.

Sobald jedoch die einzelnen Gemeinden größer und reicher wurden, wuchsen die Aufgaben, die den Vorstehern zufielen, so sehr, daß sie nicht nebenher, neben einem bürgerlichen Beruf betrieben werden konnten. Es trat eine Arbeitsteilung ein, die Ämter in den christlichen Gemeinden wurden besondere Berufe, die ganze Leute erforderten. Das Kirchengut konnte nun nicht mehr ausschließlich der Unterstützung der Armen zugewendet werden; man mußte auch die Kosten seiner Verwaltung daraus bestreiten, die Kosten für die Versammlungsgebäude und die Erhaltung der Gemeindebeamten.

Wer aber bildete die Masse der Gemeinde? Lumpenproletarier oder arbeitende Proletarier, deren soziale Lage und daher auch deren Geistesverfassung sie dem Lumpenproletariat sehr näherte. Solche Elemente sind nie imstande gewesen, die Macht, welche ihnen eine demokratische Verfassung verlieh, zu, bewahren. Sie konnten es in der Kirche ebensowenig wie in der Republik. Sie verkauften und verloren sie in jener an den Bischof, wie sie sie in dieser an den Cäsar verloren hatten.

Der Bischof hatte das Vermögen seiner Kirche, das heißt seiner Gemeinde zu verwalten und zu bestimmen, in welcher Art die Einkünfte der Kirche zu verwenden seien. Dadurch wurde dem Lumpenproletariat gegenüber eine ungeheure Macht in seine Hände gelegt, die immer mehr wuchs, je größere Reichtümer die Kirche ansammelte. Die Bischöfe wurden immer unabhängiger von ihren Wählern, diese wurden immer abhängiger von ihnen.

Hand in Hand mit dieser Entwicklung ging eine immer engere Zusammenschließung der einzelnen Gemeinden, die ursprünglich völlig selbständig gewesen waren, zu einem großen Verein, der Gesamtkirche. Gleiche Anschauungen, gleiche Ziele, gleiche Verfolgungen veranlaßten schon früh einzelne Gemeinden, durch Sendschreiben und Abgeordnete in Verkehr miteinander zu treten; gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts war die Verbindung vieler Kirchen in Griechenland und Asien schon so eng, daß die Kirchen einzelner Provinzen festere Vereinigungen bildeten, deren oberste Instanzen Kongresse der Vertrauensmänner waren, Synoden der Bischöfe. Ihnen gegenüber schrumpfte die Selbstverwaltung der einzelnen Gemeinden sehr zusammen, die Erhebung der Bischöfe über ihre Gemeindegenossen aber wurde dadurch begünstigt.

Schließlich kam es zu einer Zusammenfassung aller christlichen Gemeinden des Reiches in einer einzigen Vereinigung, und im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung finden wir bereits Reichssynoden (die erste 325 zu Nicäa).

Innerhalb der Synoden selbst aber dominierten jene Bischöfe, welche die reichsten und mächtigsten Gemeinden vertraten. So kam schließlich der Bischof von Rom an die Spitze der abendländischen Christenheit.

Diese ganze Entwicklung ging nicht ohne große Kämpfe vor sich, Kämpfe gegen die Staatsgewalt, die den neuen Staat im Staate nicht aufkommen lassen wollte, Kämpfe zwischen den einzelnen Organisationen und innerhalb der Organisationen, Kämpfe zwischen Volk und Klerus, in denen ersteres in der Regel den kürzeren zog. Schon im dritten Jahrhundert besaß das Volk fast überall nur noch das Bestätigungsrecht der Kirchenbeamten; diese hatten sich zu einer geschlossenen Körperschaft organisiert, die sich selbst ergänzte und über das Kirchenvermögen nach ihrem Gutdünken verfügte.

Von nun an war die Kirche diejenige Organisation im römischen Reiche, die einem strebsamen Kopfe die beste Karriere bot. Die politische Karriere hatte aufgehört, seitdem das politische Leben erloschen war; der Kriegsdienst war fast völlig an gemietete Barbaren überlassen worden, Kunst und Wissenschaft fristeten nur noch mühselig ihr Dasein, und die Staatsverwaltung verknöcherte und verfiel immer mehr. Nur in der Kirche herrschte noch Leben und Bewegung; dort konnte man noch am ehesten zu einer gesellschaftlichen Macht emporsteigen. Fast alles, was die heidnische Welt noch an Tatkraft und Intelligenz aufzuweisen hatte, wandte sich nun dem Christentum und in diesem der kirchlichen Laufbahn zu; die Kirche, die sich als unbesiegbar erwiesen hatte im Kampfe mit der Staatsgewalt, begann diese selbst sich dienstbar zu machen.

Zu Beginn des vierten Jahrhunderts fand bereits ein schlauer Thronprätendent, Konstantin, heraus, daß der Sieg demjenigen winke, der den Christengott sich günstig stimme, das heißt, der sich mit dem christlichen Klerus auf guten Fuß stelle. Durch ihn wurde das Christentum zur herrschenden, bald darauf zur einzigen Religion im römischen Reiche.

Von da an ging die Mehrung des Kirchengutes erst recht schnell vor sich. Kaiser und Private wetteiferten miteinander, die Gunst der neuen Macht durch Geschenke zu erkaufen. Andererseits sahen die Kaiser sich immer mehr veranlaßt, der kirchlichen Bürokratie die Besorgung einer Reihe staatlicher und munizipaler Aufgaben zuzuweisen, zu denen die verkommene staatliche Bürokratie nicht ausreichte. Auch dazu mußten sie der Kirche bestimmte Einnahmequellen eröffnen.

Vordem waren die Gaben der Gemeindegenossen an die Kirche rein freiwillige gewesen. Seitdem diese sich des Schutzes der Staatsgewalt erfreute, fing sie an, auf regelmäßige Abgaben zu sinnen. Der Zehnte wurde eingeführt, anfangs nur durch moralische Mittel eingetrieben, schließlich aber auch durch Zwang. Das zweite Konzil von Tours (567) verlangt von den Gläubigen, sie sollten unter anderem auch von den Leibeigenen den Zehnten geben.

Die Kirche wurde nun enorm reich, und gleichzeitig wurde ihr Klerus völlig unabhängig von der Laienschaft. Kein Wunder, daß sie in dem Maße, als ihr Reichtum wuchs, immer mehr aufhörte, ihr Vermögen im Interesse der Armen zu verwalten! Der Klerus verwendete es für sich, Habsucht und Verschwendung rissen in der Kirche ein, namentlich bei den reichen Gemeinden, in Rom, Konstantinopel, Alexandrien usw. Aus einer kommunistischen Anstalt wurde sie die riesenhafteste Ausbeutungsmaschine, welche die Welt gesehen. Bereits im fünften Jahrhundert finden wir die Teilung des kirchlichen Einkommens in vier Teile als stehende Einrichtung der römischen Kirche. Ein Teil gehörte dem Bischof, ein Teil seinem Klerus, ein Teil diente den Kultusbedürfnissen (Bau und Erhaltung der Kirchen und dergleichen) und nur ein Teil den Armen. Diese zusammen erhielten nur noch so viel als der Bischof allein!

Und dabei ist diese Vierteilung höchst wahrscheinlich nicht einmal eingeführt worden, um die Armen zu benachteiligen, sondern um sie zu schützen, damit die Herren Seelenhirten nicht das ganze Kirchengut für sich allein verpraßten.

Jedoch der kommunistische Ideengehalt des Christentums ließ sich nicht ersticken, solange die sozialen Zustände währten, die ihn geboren. Solange das römische Reich dauerte, und bis in die Zeit der Völkerwanderung hinein, galt das Kirchengut als Eigentum der Armen (patrimonium pauperum), und keinem Kirchenlehrer, keinem Konzil wäre es eingefallen, das leugnen zu wollen. Freilich die Verwaltungskosten dieses Gutes waren recht hohe geworden, sie fraßen zeitweise das ganze Einkommen auf, aber das ist eine Eigentümlichkeit der meisten Wohltätigkeitsinstitute. Deswegen hätte es doch niemand gewagt, zu behaupten, daß die Verwalter die Eigentümer des Vermögens seien.

Dieser letzte Schritt, der den kommunistischen Ursprung der Kirche völlig verwischen sollte, konnte erst geschehen, nachdem die einbrechenden Germanen die römische Welt und damit auch die Kirche auf völlig neue gesellschaftliche Grundlagen gestellt hatten.

5. Das Kirchengut im Mittelalter

Das Christentum war nicht imstande und konnte nicht imstande sein, eine neue Produktionsweise zu begründen, eine soziale Revolution herbeizuführen. Darum war es auch nicht imstande, das römische Reich vor dem Untergang zu retten. Wenn dieses trotz aller sozialen Verkommenheit seine Existenz durch Jahrhunderte hindurchzuschleppen vermochte, so verdankte es dies nicht dem Christentum, sondern den heidnischen Barbaren, den Germanen. Diese wurden als Söldner und einwandernde Bauern die Stützen der sinkenden Gesellschaft.

Aber Söldnertum und Kolonisation genügten nicht, die andrängenden Germanen zu befriedigen. Diese Einrichtungen zeigten ihnen bloß die Schwäche des Reiches und machten sie mit Genüssen bekannt, die nur im Römerreich zu befriedigen waren; sie verstärkten den Drang nach dem Süden. Schließlich überfluteten die Germanenscharen das Reich und nahmen davon Besitz, eine Schar die andere verdrängend und vordrängend, bis allmählich wieder Ruhe in das Chaos kam, die einzelnen Völker seßhaft wurden und neue Staaten sich bildeten, eine neue gesellschaftliche Ordnung sich entwickelte.

Die Germanen standen in der Zeit der Völkerwanderung noch auf der Stufe des urwüchsigen Agrarkommunismus. Die einzelnen Stämme, Gaue und Gemeinden bildeten Genossenschaften, Markgenossenschaften, mit Gemeineigentum an Grund und Boden. Haus und Hof waren allerdings schon Privateigentum der einzelnen Familien geworden; das Ackerland wurde unter diese zur Sondernutzung verteilt, aber das Eigentumsrecht daran stand der Genossenschaft zu; Weide, Wald und Wasser blieben in der Nutzung der Gemeinschaft.

Die Armut, die Besitzlosigkeit, die in der verfallenden Gesellschaft der römischen Kaiserzeit zu einer Massenerscheinung geworden war, hörte als solche seit der Völkerwanderung auf. Wohl tritt im Mittelalter nicht selten Massenelend auf, aber es rührt von Mißwachs her oder Kriegsnot oder Seuchen, nicht aber von Besitzlosigkeit. Und es war stets ein vorübergehendes Elend, kein Elend für Lebenszeit. Wo sich aber Bedürftige fanden, da standen sie nicht verlassen da: die Genossenschaft, zu der sie gehörten, bot ihnen Schutz und Hilfe.

Die Wohltätigkeit der Kirche hörte auf, ein für den Bestand der Gesellschaft notwendiger Faktor zu sein. Die kirchliche Organisation selbst erhielt sich in den Stürmen jener Zeit, aber nur dadurch, daß sie sich den neuen Verhältnissen anpaßte, daß sie ihren Charakter völlig veränderte. Aus einer Wohltätigkeitsanstalt wurde sie eine politische Einrichtung. Ihre politischen Funktionen wurden neben ihrem Reichtum die Hauptquelle ihrer Macht im Mittelalter. Ihren Reichtum rettete die Kirche in den Stürmen der Völkerwanderung aus der alten in die neue Gesellschaft. Wieviel sie auch davon verlieren mochte, ebensoviel oder noch mehr wußte sie neu zu erwerben. Die Kirche wurde in allen christlich-germanischen Staaten der größte Grundeigentümer, ein Drittel des Landes gehörte in der Regel ihr, in manchen Gegenden noch mehr.

Dies reiche Kirchengut hörte nun völlig auf, Armengut zu sein. Karl der Große wollte noch, wie manche andere Einrichtung des Römerreiches, so auch die Vierteilung des Kirchenvermögens in das Frankenreich übertragen. Aber wie die meisten anderen seiner »Reformen« blieb auch diese auf dem Papier – oder Pergament. Wenige Jahre nach Karls Tode schon erschienen die isidorischen Dekretalien, eine Sammlung frech erfundener und gefälschter Dokumente, welche die Ansprüche des Papsttums rechtfertigen sollten und die juristische Grundlage seiner Politik wurden. In bezug auf das Kirchenvermögen behaupten diese Dekretalien, daß unter den Armen, deren Vermögen es bilde, bloß die Geistlichen zu verstehen seien, die das Gelübde der Armut abgelegt haben. Diese Theorie wurde allgemein zur Geltung gebracht, von da an wurden die Kirchengüter als Güter des Klerus betrachtet. Im zwölften Jahrhundert fand diese Theorie ihre folgerichtige Ausbildung durch die Behauptung, alles Kirchenvermögen gehöre dem Papste, der darüber nach Belieben verfügen könne.

Das war eine Anschauung, die ganz den tatsächlichen Verhältnissen entsprach, der Herrschaft, welche die Kirche in Staat und Gesellschaft, welche das Papsttum in der Kirche übte.

Diese Veränderung im Charakter des Kirchenguts hatte eine wichtige Folge. Sie drängte zur Durchführung des Zölibates, der Ehelosigkeit der Geistlichkeit. Aus ideologischen Gründen hatten verschiedene Richtungen in der Kirche seit jeher die Ehelosigkeit der Geistlichen gewünscht, mitunter auch angeordnet, aber es war ihnen nicht gelungen, damit durchzudringen. Diese Bestrebungen hatten erst Erfolg, als sich ein materielles Interesse damit verknüpfte, die Sorge um das Kirchengut. Solange dies als Gut der Gemeinden galt, welches die Bischöfe bloß zu verwalten hatten, wurde es in seinem Bestand durch die Familien der Geistlichen nicht sehr bedroht. Das änderte sich, als das Kirchengut das Gut des Klerus selbst wurde. Nun suchte jeder Kleriker, der Kinder hatte, diesen vom Kirchengut möglichst viel mitzuteilen. »Man erlebte täglich, daß die Priestersöhne nicht allein das Erbgut ihrer Väter erhielten, sondern auch das Kirchengut, dessen Nießbrauch jene gehabt, als ihr Erbteil in Anspruch nahmen!« (Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, II, S. 406.) Gar rührend sind die Klagen, die zum Beispiel Benedikt VIII. auf dem Tessiner Konzil (zwischen 1014 und 1024) darüber anstimmte: »Große Grundstücke, große Güter, was immer sie können, erwerben die niederträchtigen Väter (die verheirateten Geistlichen) ihren niederträchtigen Söhnen aus dem Kirchenschatz – denn etwas anderes besitzen sie nicht« usw. (Bei Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bonn 1831, I, S. 282. Durch Gieseler wurden wir auf den Zusammenhang zwischen Kirchengut und Zölibat der Geistlichkeit aufmerksam gemacht.) Aber der Verschleuderung des Kirchenguts an die Kinder der Kleriker konnte wirksam erst Einhalt getan werden, als in der Kirche die Alleinherrschaft des Papsttums fest begründet worden war. Eine der ersten Aufgaben der päpstlichen Gewalt war nun die Bekämpfung der Priesterehe. Leo IX. (1048 bis 1054) begann damit, der energische Gregor VII. (1073 bis 1085) führte das Verbot der Priesterehe am entschiedensten durch. Indessen dauerte es nördlich der Alpen lange, bis es allgemein anerkannt wurde. In Lüttich finden wir noch um 1220 und in Zürich noch um 1230 verheiratete Geistliche in Amt und Würden. (Gieseler, a. a. O., S. 290.)

Als in der Reformation das Kirchengut verweltlicht, von den Fürsten an sich gerissen wurde und die Geistlichen sich in Beamte des Staates verwandelten, die von ihrem Solde lebten, verschwand natürlich jedes Interesse an der Aufrechterhaltung des Zölibats der Geistlichkeit. Der protestantische Geistliche kann Kinder haben, so viel er will, er findet kein Kirchengut, das er ihnen zuschanzen könnte.

Im Mittelalter hatte das Kirchengut, wie wir gesehen, aufgehört, Armengut zu sein. Damit ist nicht gesagt, daß im Mittelalter von Seiten der kirchlichen Organisationen gar nichts für die Armen geschehen sei, soweit es Arme damals überhaupt gab. Wenn auch kein Proletariat in unserem Sinne in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters bestand – einige Städte vielleicht ausgenommen –, so gab es doch zeitweise nicht wenige Bedürftige, wie wir schon oben erwähnt, in Zeiten von Mißwachs Hungernde, in Zeiten von Seuchen Kranke und Witwen und Waisen, denen eine Familie fehlte, die sie aufnahm, in Kriegszeiten sogar landlose Leute aus der Nachbarschaft oder von fernher, die der einbrechende Feind vertrieben hatte.

Solche Bedürftige zu unterstützen, galt im Mittelalter als die Pflicht eines jeden Besitzenden, vor allem jedes Grundbesitzers, also auch des größten Grundbesitzers, der Kirche. Diese Pflicht erfüllte sie nicht, weil sie eine besondere Wohltätigkeitsanstalt gewesen wäre, sondern weil sie zu den Besitzenden gehörte; diese Pflichterfüllung war nicht der Ausfluß eines besonderen christlichen, sondern eines allgemeinen, wenn man will, heidnischen Prinzips, eines Prinzips, welches allen Völkern gemein ist, die auf niederer Kulturstufe stehen: der Gastfreundschaft.

Die Freude am Teilen, am Mitteilen, ist allen Völkern eigen, bei denen der urwüchsige Kommunismus oder mindestens noch dessen Überlieferungen herrschen. Und der Fremde ist eben dort eine so seltene, so auffallende Erscheinung, daß man ihm gegenüber unmöglich gleichgültig bleiben kann; je nach seinem Herkommen und Benehmen bekämpft man ihn als Feind, oder ehrt ihn als Gastfreund, als ein geschätztes Mitglied der Familie; man spaltet ihm den Schädel, oder stellt ihm Haus und Hof, Küche und Keller zur Verfügung, mitunter auch das Ehebett.

Die Freude an der Mitteilung des Überschusses, den die eigene Wirtschaft über die Bedürfnisse der Familie hinaus erzeugt, erhält sich, solange die sogenannte Naturalwirtschaft besteht, solange nicht für den Markt oder den Kunden, nicht für den Verkauf produziert wird, sondern für den Selbstgebrauch. Diese Produktionsweise herrschte während des Mittelalters, wenigstens in der Landwirtschaft, und dieser Produktionszweig war damals für das gesellschaftliche Leben weitaus der entscheidende.

Je mehr die Produktion sich entwickelte, desto größer wurde der Überschuß, den jedes Landgut erzielte. Namentlich in den Händen der großen Grundherren, der Könige, der hohen Adligen, der Bischöfe, der Klöster häuften sich enorme Überschüsse von Lebensmitteln an, die sie nicht verkaufen konnten. Sie konnten sie nur – verfüttern. Sie benutzten sie, um zahlreiche Kriegsleute zu halten, Handwerker und Künstler, sowie um die freigebigste Gastfreundschaft zu üben. Es hätte damals für höchst unanständig gegolten, wenn ein Bemittelter einem friedfertigen Familienfremden Speise und Trank und ein Obdach versagt hätte, sobald dieser darum ansprach.

Wenn Bischöfe und Klöster die Hungrigen speisten, die Nackten kleideten und die Obdachlosen beherbergten, taten sie nichts, was nicht jeder andere Besitzende im Mittelalter auch tat. Der Unterschied war höchstens der, daß sie, als die Reichsten, den anderen Besitzenden darin voraus sein konnten.

Aber die Sitte der Gastfreundschaft nimmt rasch ein Ende, sobald die Warenproduktion beginnt, das Produzieren zum Verkauf, sobald ein Markt für die verschiedenen Produkte sich auftut. Die einzelnen Wirtschaften kommen nun in die Lage, ihre Überschüsse gegen Geld umzutauschen, jenen großen Erzeuger von Macht, von dem man nie zuviel haben kann, der nicht verdirbt, der sich aufhäufen läßt. An Stelle der Freude des Mitteilens vom Überschuß tritt die Freude am Aufspeichern von Schätzen, die Freigebigkeit wird getötet durch die Habsucht.

Je mehr die sogenannte Geldwirtschaft die Naturalwirtschaft zurückdrängt, ein Vorgang, der von Italien und Südfrankreich aus seit dem dreizehnten Jahrhundert sich rasch über das übrige Europa verbreitet, desto mehr schränken die Besitzenden ihre Gastfreundschaft und Freigebigkeit ein.

Aber in demselben Maße, in dem die Freigebigkeit schwand, vermehrte sich die Zahl der Armen. Die Entwicklung der Warenproduktion erzeugte ein Proletariat, das rasch anwuchs und in manchen Gegenden eine bedeutende Ausdehnung erreichte.

Es schien, als sollte sich die Entwicklung wiederholen, die im Altertum so manchen Staat zuerst hochgehoben, dann aber zersetzt und zum Untergang geführt hatte.

Daß es dazu nicht kam, verdankte die mittelalterliche Gesellschaft dem Verschwinden der Sklaverei aus dem Produktionsprozeß.

6. Das Verschwinden der Sklaverei

Es ist eine weitverbreitete Ansicht, daß das Christentum die Sklaverei abgeschafft habe. Nichts irriger als das. Möglich, daß es in seinen kommunistischen Anfängen die Sklaverei prinzipiell verwarf: erhalten ist uns kein Zeugnis davon. In den ältesten Literaturdenkmälern des Christentums, die auf uns gekommen sind, wird aber die Sklaverei, soweit sie Erwähnung findet, anerkannt, ja der Sklave zum Gehorsam und freudiger Unterwerfung gegenüber seinem Herrn ermahnt.

Der Schein, als habe das Christentum die Sklaverei beseitigt, rührt daher, daß sie in demselben Maße im Römerreich zurückgeht, in dem die christliche Lehre dort Boden gewinnt. Aber die Ursache des Rückganges der Sklaverei haben wir schon kennengelernt. Es war der Rückgang der militärischen Kraft, eine Folge der Verarmung und Entvölkerung des Reiches, die selbst wieder aus der Sklavenwirtschaft hervorgingen, was bewirkte, daß mit dem Kriegsglück auch die Zahl der Kriegsgefangenen und damit die Sklavenzufuhr schwand. So wurde der Sklave immer mehr ein kostbarer Luxusartikel, er hörte auf, ein profitables Ausbeutungsobjekt zu sein.

Die Sklaverei hatte im Römerreich so ziemlich aufgehört, als die Germanen in der Völkerwanderung dies Reich überschwemmten und besetzten. Die Germanen nahmen einen Teil des eroberten Bodens für sich in Anspruch, sie wurden seßhaft, und ihre ungebrochene bäuerliche Kraft verjüngte den Staat oder vielmehr die Staaten, die sich auf den Trümmern des römischen Weltreiches erhoben.

Diese neue Kraft sollte diesmal aber nicht wieder eine neue Sklavenwirtschaft begründen. Kaum waren die germanischen Stämme seßhaft und christlich, das heißt mit den Überresten der römischen Kultur und ihrer Produktionsweise einigermaßen vertraut geworden, als von allen Seiten Horden von unsteten, leichtbeweglichen Völkern auf sie eindrangen, Reitervölker und Seevölker: Awaren und Magyaren von Osten, Normannen von Norden, Araber und Sarazenen von Süden und Osten her. Vom achten bis zum elften Jahrhundert wurde die Christenheit des Abendlandes durch ununterbrochene Raubzüge dieser Eindringlinge gepeinigt, oft in ihrem Bestand bedroht. Weit entfernt, Sklaven zu erbeuten, wurde sie selbst ein ergiebiges Objekt für Sklavenjäger und Sklavenhändler. Christensklaven gab es eine Menge unter den »Heiden«, dagegen wurden heidnische Sklaven immer seltener und teurer unter den Christen.

Ganz verschwanden sie nicht von den Märkten der Christenheit. Noch aus dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert werden Beispiele von Sklavenhandel aus Italien berichtet. Amadeus VI. von Savoyen kaufte 1307 zu Konstantinopel zwei Sklavinnen. In Genua kostete 1384 eine tatarische Sklavin »frei von allen geheimen Krankheiten (magagnis)«, 1049 Lire, eine andere 1389 1312 Lire. Die Sklavenhändler bezogen ihre Ware meist aus Kaffa. In den städtischen Gesetzbüchern dieser Zeit findet man noch zahlreiche Bestimmungen über die Sklaven. (Jul. Krone, Fra Dolcino und die Patarener, historische Episode aus den piemontesischen Religionskriegen, Leipzig 1844, S. 16.)

Diese Sklaven waren nur noch Luxussklaven. Dagegen wurde es unmöglich, die Produktion auf die Sklaverei zu begründen. Die neue Produktionsweise, die sich in den germanischen Staaten aus der überkommenen römischen entwickelte, mußte sich von vornherein darauf einrichten, ohne Sklaven auszukommen.

Daß es nicht Gewissensskrupel, durch das Christentum erzeugt, waren, was der Sklaverei ein Ende machte, sondern nur die Not, der Mangel an Sklavenmaterial, ersieht man daraus, daß, als die Christenheit so weit erstarkt war, wieder die Offensive gegen die »Ungläubigen« zu ergreifen, gerade die Vorkämpfer der Christenheit die ersten sind, die sich daran machen, Sklaven zu erbeuten und zu verschachern. Die Kreuzfahrer ebenso wie später die Spanier und Portugiesen in Afrika betrieben beides auf das schwunghafteste. Die Bulle Papst Nikolaus' V. vom 8. Januar 1454 erklärte es ausdrücklich für erlaubt, »alle Sarazenen, Heiden und andere Feinde Christi in ewige Sklaverei zu bringen«, und Klemens V. (1523 bis 1534) dehnte dies »Recht« auch auf alle Ketzer aus. (Ludwig Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien, Leipzig 1885, S. 480.) Aber die Entwicklung der Produktionsweise hatte damals eine Richtung genommen, welche die Sklavenarbeit für Europa überflüssig machte.

Der Sklave blieb ein Luxusartikel; das änderte sich erst, als die europäischen Mächte überseeische Kolonien eroberten und begründeten; dort fanden sie nicht die Vorbedingungen für die europäische Produktionsweise, dort konnte die Sklavenarbeit mit Vorteil angewandt werden. Von da an spielten Sklavenjagd, Sklavenhandel und Sklavenschinderei wieder eine wichtige Rolle im Erwerbsleben der europäischen Christenheit, und weder die römische noch eine der großen protestantischen Kirchen hat daran Anstoß genommen.

In den christlich-germanischen Reichen, die sich nach der Völkerwanderung bildeten, war die Produktion durch Sklaven ebenso unmöglich, wie sie im römischen Kaiserreich unmöglich geworden war; und wie dort in der Landwirtschaft das Kolonat an deren Stelle getreten war, so entstand auch jetzt eine ähnliche Einrichtung, mitunter wohl unter direkter Anlehnung an das römische Vorbild.

Die Bauern von ihren Stellen zu vertreiben, wäre damals eine große Torheit gewesen. Nicht an Land fehlte es, sondern an Leuten. Die Reichen und Vornehmen in den christlich-germanischen Staaten, die Bischöfe und Äbte, die Könige und Herzöge mit ihren Gefolgen und Günstlingen, trachteten nicht danach, an Stelle der Bauernwirtschaften Sklavenwirtschaften zu setzen; sie suchten vielmehr die Not des Bauern dadurch auszubeuten, daß sie ihn von sich abhängig, zins- und dienstpflichtig machten. Dafür mußten sie aber auch dem Bauern diejenigen Lasten abnehmen, denen er erlag, die eine ordentliche Bauernwirtschaft unmöglich machten, vor allem den Kriegsdienst.

Ein Bauer nach dem anderen begab sich unter den Schutz eines der Mächtigen und verpflichtete sich, ihm jahraus jahrein eine bestimmte Anzahl von Produkten seiner Wirtschaft zu liefern und eine bestimmte Zahl von Arbeitstagen zu leisten. Dafür wurde ihm der Kriegsdienst abgenommen, den sein Schutz- und Grundherr an seiner Stelle mit seinen Gefolgen und Knechten leistete.

Eine andere Form, Zinsbauern zu schaffen, war folgende: Aus der Römerzeit hatten sich in den christlich-germanischen Reichen mancherlei Latifundien (Großgrundbesitztümer) erhalten, namentlich die der Kirche, die stets ihre Interessen trefflich zu wahren wußte. Neuer Großgrundbesitz wurde durch Schenkungen der Könige geschaffen. Die steten Kriege schufen viel herrenloses Land; die Fortschritte der Landwirtschaft machten auch viel Land verfügbar. Eine bestimmte Bevölkerung bedarf einer viel kleineren Bodenfläche zu ihrer Ernährung, wenn sie vom Ackerbau, als wenn sie von der Viehzucht oder gar der Jagd lebt. Die ungeheuren Forste, die ehedem der Ernährung des Volkes gedient hatten, waren Gemeineigentum bestimmter Markgenossenschaften. Sie verloren jetzt für diese an Wert und wurden von den Königen in Anspruch genommen, ebenso wie anderes wüstes Land, und an Günstlinge und Vornehme, namentlich an Bischöfe und Klöster geschenkt oder verliehen. Der neue Grundherr suchte dann, um seinen Besitz nutzbar zu machen, Bauern als Kolonisten heranzulocken, denen er Bauernstellen verlieh – natürlich mit gemeiner Weide und gemeinem Wald, ohne die eine bäuerliche Wirtschaft unmöglich gewesen wäre – gegen bestimmte Lieferungen und Leistungen.

Suchte jeder Grundherr soviel neue Bauern als möglich anzulocken, so trachtete er noch mehr danach, daß ihm seine Bauern nicht abgelockt würden. Alle Mittel, die ihm zu Gebote standen, moralische und unmoralische, rechtliche und widerrechtliche, bot er auf, um sie an die Scholle zu fesseln. Die bis dahin freien Bauern wurden nicht nur zinspflichtig, sie wurden auch hörig.

Aber wie tief auch die Bauern herabgedrückt werden mochten, stets standen sie hoch über dem Sklaven. Der Sklave, ein Fremder im Lande, ein Fremder seinen Mitsklaven gegenüber, ist rechtlos, eine bloße Sache, er hat nicht die mindeste Grundlage, auf der er fußen könnte, um einen dauernden Klassenkampf zur Emanzipation seiner Klasse zu führen. Wir wissen wohl von Sklavenaufständen, aber derartige vorübergehende Explosionen konnten im besten Falle den Teilnehmern daran die Freiheit verschaffen, auf die Institution der Sklaverei selbst blieben sie ohne Einfluß. Sie waren Versuche, nicht die Sklaverei abzuschaffen, sondern ihr zu entfliehen. Die Abschaffung der Sklaverei ist nirgends das Werk eines ausdauernden Klassenkampfes von Sklaven gewesen.

Anders als mit den Sklaven stand es mit den Hörigen des Mittelalters. Sie waren nicht rechtlos, ihre Leistungen und Lieferungen waren bestimmt abgegrenzt, und jedes Mehr oder Minder konnte ihnen nicht willkürlich auferlegt, mußte ihnen aufgedrungen oder abgefeilscht werden. Und der Hörige stand dem Grundherrn nicht vereinzelt gegenüber. Jeder Bauer, ob hörig oder frei, gehörte einer Markgenossenschaft an, die mit ihm solidarisch war, wie er mit ihr. In dieser Organisation fand er stets einen mächtigen Rückhalt. Auf dieser Grundlage konnte der Bauer dem Grundherrn ganz gehörigen Widerstand leisten, und er hat es oft genug getan. Das ganze Mittelalter ist eine Zeit von Klassenkämpfen zwischen Grundherren und ihren Bauern, und diese Kämpfe führten schließlich unter günstigen Umständen oft wieder zur Befreiung der Bauern, nicht nur von der Hörigkeit, sondern auch von der Tributpflichtigkeit, zur Beseitigung der Grundherrschaft.

Und besser noch als den Bauern ging es den Handwerkern in den Städten. Sie haben schließlich überall die Hörigkeit und Grundherrlichkeit abgeschüttelt.

Dank ihrer Freiheit entwickelten die Handwerker des christlichen Kulturkreises, sobald dieser sich seiner Feinde erwehrt hatte, vom zwölften Jahrhundert an, rasch eine Technik, die über die des Altertums hinausging und ihnen Wohlstand und Ansehen brachte, woraus sie wieder neue Kraft schöpften, die Unfreiheit abzuwehren.

So blieb den christlichen Staaten in Europa die Sklaverei erspart, jenes Element, das den Fortschritt der alten Gesellschaft stets nur bis zu einem gewissen Punkte gestattet und von dort an in Rückschritt verwandelt hatte.

Damit gewannen auch die proletarischen und kommunistischen Bewegungen einen anderen Charakter als im Altertum. Damals war das Proletariat nicht die unterste aller Klassen gewesen. Es hatte noch die Sklaven unter sich gesehen und oft gesucht, auf deren Kosten, das heißt durch deren Arbeit, nicht durch eigene Arbeit zu leben. Auch soweit die Proletarier des Altertums nicht Lumpenproletarier, sondern Arbeiter, Handwerker waren, zeigten sie sich von dieser lumpenproletarischen Gesinnung angesteckt. Das Lumpenproletariat, das eine Schmarotzerexistenz in der Gesellschaft führt, von ihr lebt, bestimmt im Altertum den Charakter des gesamten Proletariats.

Anders im Mittelalter. Das Proletariat wird jetzt zur untersten aller Klassen. Es findet keine Klasse mehr unter sich, von deren Ausbeutung es leben könnte. Schon das bewirkt, daß sein schmarotzerhafter Teil, das Lumpenproletariat, nicht jene verhältnismäßig große Ausdehnung erlangen kann, wie zu manchen Zeiten und in manchen städtischen Zentren im Altertum. Es hat keine Aussicht, zu einer Macht im Staate zu werden, wie etwa das Lumpenproletariat im alten Rom, aber auch keine Aussicht, durch seine Macht ein so sorgenloses Dasein zu gewinnen, wie zuweilen ein großer Teil dieses Proletariats. Eine jämmerliche Bettlerexistenz ist alles, was es unter diesen Umständen erlangen kann.

War aber das Lumpenproletariat im Mittelalter viel weniger zahlreich und viel schwächer und elender als im alten Rom, so war über ihm ein Stand freier Handwerker und Lohnarbeiter erstanden, der weit mehr Kraft und Einfluß in der Gesellschaft besaß als seine Vorfahren im Altertum. Aus der Arbeit zog er seine Kraft und sein Ansehen, die Arbeit war sein Lebenselement. Nicht aus der Arbeit anderer, aus eigener Arbeit suchte er sein Wohlergehen zu gewinnen. In diesen Kreisen mochten sich manche ganz proletarische Schichten finden, deren wirtschaftliche Lage sie einem Kommunismus geneigt machte, ähnlich dem des Urchristentums, einem Kommunismus des Genießens, nicht des Produzierens. Aber so sehr dieser Kommunismus sich auf das Urchristentum berufen und so sehr er diesem äußerlich ähneln mochte, je weiter das Mittelalter fortschritt, je mehr sich das Handwerk entwickelte und auch die Lohnarbeiterschaft an Kraft gewann, desto mehr wurde der Kommunismus der proletarischen Elemente, wenn er auch noch ein Kommunismus des Genießens war, doch schon ein Kommunismus, der sein Einkommen aus der Arbeit zog, aus der Arbeit der Genossen. In den Städten, wo der Kleinbetrieb des Handwerkes herrschte, konnte dieser Kommunismus des Genießens nicht auch schon kommunistische Produktion nach sich ziehen. Wohl aber war das der Fall auf dem flachen Lande, in der Landwirtschaft, wo der Haushalt und die Produktion noch nicht getrennt waren, wo der Kommunismus des Haushaltes auch den Kommunismus des Betriebes nach sich zog und wo ein Großbetrieb, der Landwirtschaft und Industrie vereinigte, seit langem eine stark verbreitete Produktionsform war.

Das war die Grundlage, auf der der klösterliche Kommunismus entstand.

War der urchristliche Kommunismus eine großstädtische Erscheinung, so bildete sich der klösterliche ebenso wie ehedem bei den alten Juden der essenische Kommunismus zuerst auf dem flachen Lande.

Aber wie groß die Unterschiede des mittelalterlichen Kommunismus in Stadt und Land sein mochten, in der Regel war er ein Kommunismus, der auf der Arbeit beruhte. Dadurch unterscheidet er sich vom urchristlichen Kommunismus. Vom modernen unterscheidet er sich aber noch dadurch, daß er ebenso wie der urchristliche seinen Ausgangspunkt vom gemeinsamen Besitz und der gemeinsamen Benutzung nicht der Produktionsmittel, sondern der Konsumtionsmittel nimmt.


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