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Thomas Campanella

Von Paul Lafargue

1. Campanellas Lebenslauf.

Kehren wir aus dem Norden wieder für einen Moment nach Italien zurück, der Heimat Joachims von Fiore, des heiligen Franz von Assisi und Dolcinos, und begeben wir uns nach der engeren Heimat des ersteren, nach Kalabrien, das, wie ganz Unteritalien, seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts unter dem harten Joche Spaniens seufzte.

Dort wurde der zweite der beiden ersten großen Utopisten geboren, Tommaso (Thomas) Campanella, am 5. September 1568. Sein Geburtsort ist der Ort Stilo in der heutigen Provinz Reggio.

Schon in der Kindheit machte er sich durch eine seltene frühzeitige Reife bemerkbar: im Alter von dreizehn Jahren konnte er über ein beliebiges ihm aufgegebenes Thema, gleichviel ob in Prosa oder in Versen, eine Rede aus dem Stegreif halten, und mit dieser im Mittelalter sehr geschätzten und sehr gepflegten Redegabe verband er eine leidenschaftliche Liebe für das Studium der Philosophie. Bereits damals vertiefte er sich in die Lektüre der »Summa« des heiligen Thomas von Aquino, die für seinen Beruf entscheidend werden sollte. Sein Vater, der ihn für das Richteramt bestimmt hatte, schickte ihn nach Neapel, damit er dort bei einem seiner Oheime, einem Professor der Rechte, die Rechtswissenschaft studiere, aber der junge Tommaso, der den Unterricht eines im Kloster zu Stilo Philosophie lehrenden Mönchs genossen hatte, trat im Alter von fünfzehn Jahren zu Cosenza in den geistlichen Orden der Dominikaner ein, den bereits Albertus Magnus, Thomas von Aquino und Savonarola berühmt gemacht hatten, und aus welchem die streitbarsten und unabhängigsten Mönche hervorgegangen sind.

Die Fähigkeit Campanellas, sich alle Wissenschaften anzueignen, sowie auch seine bemerkenswerte rednerische Begabung verursachten, daß er sich bald vor den Mönchen und vor seinen Lehrern hervortat, die sich bestrebten, seinen Scharfsinn zu entwickeln und ihn zu gewinnen. Die Klöster waren damals noch immer, wie im Mittelalter, eine Zufluchtsstätte für lernbegierige Geister, sie setzten ihren Stolz darein, Gelehrte, Philosophen und Redner zu besitzen, und der Dominikanerorden war durch die Zahl der berühmten Männer, die aus ihm hervorgegangen, einer der berühmtesten. Aber gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts begann die Gesellschaft Jesu, welche Ignaz von Loyola im Jahre 1537 zu dem Zweck gegründet hatte, die Ketzer zu bekämpfen und die Autorität des Papstes zu schützen, die anderen geistlichen Brüderschaften zu verdunkeln. Die Dominikaner, welche gegen diese bedrohliche Nebenbuhlerschaft ankämpften und ihr altes Ansehen wieder zu erobern suchten, hielten Campanella eifrig fest und begünstigten seinen Wissenseifer, da sie hofften, in ihm einen Kämpfer zu erhalten, dessen Talente mithelfen würden, den Glanz ihrer Körperschaft wieder aufzufrischen.

Und sehr bald hatte Campanella Gelegenheit, sich hervorzutun. Die Klöster bewahrten und unterhielten mit eifersüchtiger Sorgfalt die Liebhaberei scholastischer Diskussionen, sie forderten sich gegenseitig heraus, um in Redeturnieren, zu welchen das Publikum zugelassen wurde, ihre verschiedenen theologischen und philosophischen Lehrsätze zu verfechten. Der Professor der Philosophie zu San Giorgio, der von den Franziskanern in Cosenza eingeladen worden war, in einer öffentlichen Disputation die Meinungen seines Ordens zu vertreten, wurde im Augenblick der Abreise krank und bestimmte seinen Schüler Campanella zu seinem Stellvertreter. Als dieser zur anberaumten Versammlung erschien, erregte seine Jugend ziemliche Mißstimmung, denn man glaubte, daß der gelehrte Professor nur aus Geringschätzung an seiner Statt diesen unbärtigen Disputator geschickt habe. Als derselbe aber sprach, verwandelte sich die Mißstimmung in Bewunderung. Er führte seine Aufgabe so glänzend und mit solchem Scharfsinn durch, daß die Franziskaner selbst ihn als Sieger erklären mußten. »Das Genie des Telesius Telesius, geb. 1508 zu Cosenza, ein italienischer Naturphilosoph. Es ist weiter unten von ihm noch ausführlicher die Rede. lebt in ihm wieder auf«, sagten sie, wie Niceron berichtet.

Campanella begeisterte sich für diese Redekämpfe; zehn Jahre hindurch zog er in Italien von Stadt zu Stadt, um über theologische und philosophische Fragen, welche damals die Geister seiner Zeit beschäftigten, zu disputieren; überall errang er glänzende Erfolge, die ihn berauschten, die aber den Neid erregten und auf sein Haupt die Eifersucht und den Haß der anderen geistlichen Orden, namentlich der Gesellschaft Jesu, heraufbeschworen. Letzterer erklärte er geradezu den Krieg und forderte ihre Ausrottung, weil sie »die reine Lehre des Evangeliums fälsche, um sie dem Despotismus der Fürsten dienstbar zu machen«. Die Entrüstung aller aber zog er auf sich durch seine heftigen Angriffe gegen Aristoteles, dessen Ansehen in den Gelehrtenschulen kaum geringer war als dasjenige der Bibel; er war erst wenig über zwanzig Jahre alt, als er sein erstes, gegen den Philosophen von Stagira und dessen Verteidiger Marta gerichtetes Buch Philosophia sensibus demonstrata, Neapel 1590. veröffentlichte. Empfindlich kränkte er seine Widersacher durch die Geringschätzung, welche er für die Meinungen ihrer Lehrer und der früheren Philosophen bezeugte. Deshalb machten sich die Jesuiten die Erbitterung zunutze, welche er überall, wohin er kam, erregte, klagten ihn der Ketzerei und Zauberei an und erlangten vom Papst die Hemmung seiner rednerischen Laufbahn; er erhielt den Befehl, in das Kloster zu Stilo zurückzukehren, weil er, wie Pietro Gianonni mitteilt, in Rom Ärgernis erregt und Verwirrung angerichtet habe. Er gehorchte und suchte sich in seiner Zurückgezogenheit durch wissenschaftliche Studien und Poesie zu trösten, er machte sich an eine Tragödie, die den Tod der Maria Stuart behandelte. So wie Giordano Bruno, der gleich ihm Dominikaner war, wäre er aus dem Kloster geflüchtet, »diesem engen und düsteren Gefängnis, wo der Irrtum mich so lange in seinen Fesseln hielt«, wie der ungestüme Apostel des neuen Gedankens sagte, hätte er nicht ein Gebiet gefunden, auf dem er auch in der Abgeschlossenheit seinen heißen Tatendrang befriedigen konnte. Um zu begreifen, wie ein freier Geist wie Campanella im Kloster sich beengt fühlte, muß man das ironische Sonett Giordano Brunos: »Zum Lobe der Dummheit« lesen. Es lautet:
»O heilige und selige Dummheit, heilige Unwissenheit und heilige Albernheit, gesegnete Frömmigkeit, die allein die Seelen mehr zufriedenstellt, als alle Forschungen des Verstandes dies vermocht haben würden.
Kein beharrliches Nachtwachen, keine mühsame Arbeit, keine philosophische Betrachtung kann zu dem Himmel gelangen, wo du deine Wohnstätte aufgeschlagen hast.
Ihr forschenden Geister, was nutzt es euch, die Natur zu studieren und zu erforschen, ob die Gestirne aus Feuer, Erde oder Wasser geformt sind:
Die heilige und selige Dummheit verachtet dies alles, denn mit gefalteten Händen und auf den Knien erwartet sie ihr Heil nur von Gott.
Nichts betrübt sie, nichts beschäftigt sie, außer der Sorge um die ewige Ruhe, welche Gott nach dem Tode uns gnädig gewährt.«

Wir kommen jetzt zu dem Hauptereignis im Leben Campanellas, worüber wir indes nur unbestimmte Andeutungen besitzen; in seinen zahlreichen Schriften spricht er davon nicht, und auch seinen Freunden gegenüber scheint er, als seine lange, siebenundzwanzigjährige Gefangenschaft ihr Ende erreicht hatte, nicht mitteilsamer gewesen zu sein. Niceron, der ihn zu Paris kennenlernte, und der ihm in seinen »Memoiren zum Gedächtnis der Geschichte berühmter Männer« eine biographische Notiz widmet, geht hierüber hinweg. Und Naudaeus, mit dem Campanella eng verbunden war, sagt in seinen »Politischen Betrachtungen über die Staatsstreiche« ganz beiläufig, daß er versucht habe, sich zum König von Kalabrien ausrufen zu lassen. Pietro Giannoni ist der einzige, der in seiner »Bürgerlichen Geschichte des Königreichs Neapel« (Neapel 1723) mit Bestimmtheit von einer Verschwörung spricht, die Campanella zu dem Zweck, Kalabrien vom spanischen Joch zu befreien, angestiftet habe; derselbe behauptet, die von ihm mitgeteilten Einzelheiten aus den seither verschwundenen Aktenstücken seines Prozesses geschöpft zu haben.

Er sagt: »Campanella war nahe daran, Kalabrien umzustürzen, indem er dort neue Ideen verbreitete und republikanische Freiheitspläne entwarf. Er verstieg sich so weit, die Staaten reformieren, neue Gesetze, neue Systeme für die Regierung der Gesellschaft aufstellen zu wollen.« Ohne Zweifel hatte Campanella schon damals den Gedanken seines »Sonnenstaats« ( Civitas solis) erfaßt, den er erst später ausarbeiten und schreiben sollte, er suchte seinen politischen Aufstand auch zu einer sozialen Revolution zu machen, ähnlich wie viele Ketzer des Mittelalters ihrer Reform der Religion eine kommunistische Umgestaltung der Gesellschaft hinzufügten.

Campanella, der ebenso wie die hervorragendsten und positivsten Geister seiner Zeit, darunter die Päpste Paul V. und Urban VIII., Richelieu und selbst Bacon, an Astrologie glaubte, hatte aus den Gestirnen Zeichen herausgelesen, welche auf der Erde, und besonders im Königreich Neapel und in Kalabrien Revolutionen weissagten. Er bewog die Mönche seines Klosters, seinen Glauben zu teilen, und beredete sie, die Gelegenheit zu benutzen, um das spanische Joch abzuschütteln und an die Stelle der Monarchie eine theokratische Republik zu setzen, aus welcher die Jesuiten, die man im Notfall ausrotten würde, ausgeschlossen sein müßten. Er verkündigte, daß Gott ihn zu einem derartigen Unternehmen auserwählt habe; nach Angabe von Naudaeus behauptete er, ebenso wie Franz von Sales, häufige Unterredungen mit Gott zu haben, und ließ sich den Messias nennen. Großes mußte er geplant haben, und zwar durch Wort und Waffen; der Rede wußte er sich zu bedienen, um gegen die Tyrannei der Fürsten und Prälaten Freiheit zu predigen, und die Waffen der damals sehr zahlreichen Banditen und Verbannten gedachte er nutzbar zu machen, um das Werk der Rede zu vollenden. Er nahm sich vor, das Volk aufzuwiegeln, damit es die Tore der Gefängnisse zertrümmere und die Gefangenen befreie, deren Prozeßakten man verbrennen und die man in die Insurrektion einreihen würde. Er rechnete auf die Unterstützung des Wesirs Hassan Cicala, der die in den Gewässern von Guardavale vor Anker liegende türkische Flotte befehligte. Cicala war ein geborener Kalabrese, aber er hatte sein Heimatland verlassen, um der spanischen Herrschaft zu entfliehen, und war zum Islam übergetreten.

Verschiedene Umstände begünstigten Campanellas Vorhaben; in Kalabrien befand sich eine Menge von Verbannten, und übermäßige Steuern lasteten auf dem Volk. Der Pater Dionys Ponzio von Nicastro nahm die Verbreitung des Aufstandes in der Provinz Catanzaro auf sich, er löste seine Aufgabe mit Eifer und Beredsamkeit, er sprach von Campanella wie von einem Gesandten Gottes, der berufen sei, die Freiheit zu gründen und »das Volk von den Mißhandlungen der Minister des Königs von Spanien zu befreien, denen das menschliche Blut um Geld feil wäre, und welche die Armen und Schwachen zerträten«. Die Mönche dieses Landstrichs unterstützten ihn mit glühendem Eifer; allein in dem Kloster von Pizzoli waren ihrer fünfundzwanzig Beauftragte, die Verbannten anzuwerben, mehr als dreihundert Dominikaner, Augustiner und Franziskaner waren in die Bewegung verwickelt, im Augenblick des Losschlagens sollten zweihundert Prediger aufs Land ziehen, um die Empörung anzufachen, achtzehnhundert Verbannte waren kampfbereit, der Adel sollte die Bewegung unterstützen, und von den Zeugen wurden die Bischöfe von Nicastro, Gerace, Melito und Oppido als Teilnehmer des Komplotts genannt. Die Erhebung sollte gegen Ende des Jahres 1599 vor sich gehen, alles war bereit, als zwei Verräter die Verschwörung enthüllten.

Graf Lemos, der Vizekönig von Neapel, schickte unter dem Vorgeben, die Küsten gegen die Türken zu beschützen, Truppen ab, welche sich der unversehens überfallenen Verschworenen bemächtigten und dieselben nach Neapel einschifften. Um ein Exempel zu statuiren, ließ der Vizekönig zwei Verschworene lebend auf der Galeere, welche sie transportierte, vierteilen und vier andere an den Rahen aufhängen. Der Pater Dionys Ponzio wurde in der Verkleidung eines Laien verhaftet und getötet, Campanella in einer Schäferhütte, wo ihn sein Vater verborgen hatte, in dem Augenblick entdeckt, wo es ihm nach Unterhandlungen, die einen ganzen Tag beansprucht hatten, gelungen war, einen Schiffer zu gewinnen, der ihn auf ein türkisches Schiff bringen sollte; er wurde im Kastell dell'Ovo zu Neapel eingesperrt, in demselben Jahre 1600, in welchem Giordano Bruno in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

Campanella hatte erwartet, das Volk werde sich auf den ersten Ruf erheben. Denn konnte es wohl anders sein? Er brachte ihm die Freiheit, er wollte es ins gelobte Land führen. Wie traurig sollte sein Erwachen aus diesem entzückenden Traume sein, als er sich allein, von allen verlassen sah und mit einem Schiffer feilschen mußte, der ihm sein Boot zur Flucht verweigerte! Zweifellos zur Erinnerung an diese schmerzliche Enttäuschung schrieb er jenes so wahrhafte, jeder Illusion bare Sonett, worin sein tiefes Mitleid für das Volk durchbricht und worin er Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringt, welche die Revolutionäre aller Länder und aller Zeiten kennengelernt haben.

Das Volk. Poesie filosofice di Tommaso Campanella. In Italien zum erstenmal veröffentlicht durch Gaspare Orelli, Lugano 1834.

Das Volk ist ein wandelbares, unverständiges Tier, welches seine Kraft nicht kennt und die schwersten Schläge und Lasten mit Geduld erträgt; es läßt sich leiten durch ein schwaches Kind, welches es mit einem einzigen Stoß zu Boden werfen könnte.

Aber es fürchtet dasselbe und dient ihm in allen seinen Launen, es weiß nicht, wie sehr man es fürchtet, und daß seine Herren einen Zaubertrank bereiten, der es dumm macht.

Unerhörtes Schauspiel! Das Volk schlägt und fesselt sich mit eigenen Händen, es kämpft und stirbt für einen einzigen aller der Carlini Carlino war eine neapolitanische Scheidemünze. In einem den Schweizern, die als Söldlinge im Dienst der Könige standen, gewidmeten Sonett kommt Campanella auf den nämlichen Gedanken zurück:
»Wenn euch die Freiheit vom Himmel um so näher rückt, je höher eure Berge sind, ihr Felsen der Alpen, warum verwendet jeder Tyrann die Arme eurer Söhne, um die anderen Völker in der Sklaverei zu halten?
Für ein Stück Brot, ihr Schweizer, vergießt ihr euer Blut in Strömen ... Darum verachtet man eure Tapferkeit ... Alles gehört dem freien Mann. Man verweigert den Sklaven die Kleidung und Nahrung der Edelleute, sowie auch das weiße Kreuz. (Die Schweizer konnten keine Malteserritter werden.)
O werdet wieder frei, vereinigt euch mit den Helden und nehmt den Königen wieder, was euch gehört und was man trotzdem euch so teuer verkauft.«
, die es dem Könige gibt.

Alles, was zwischen Himmel und Erde sich befindet, gehört ihm, aber davon weiß es nichts, und wenn jemand ihm sein Recht enthüllt, so steinigt und tötet es ihn.

Mit einem langen und schweren Märtyrertum büßte Campanella seinen revolutionären Versuch und seine Angriffe auf die Gesellschaft Jesu. Denn es ist sehr wahrscheinlich, daß ohne den Haß der Jesuiten der Zorn der spanischen Regierung gegen einen leicht besiegten Verschwörer, den, obwohl der Ketzerei beschuldigt, doch die Päpste beschützten, nachgelassen haben würde.

In der Vorrede zu seinem » Atheismus triumphatus« Der im Jahre 1631 veröffentlichte » Atheismus triumphatus« (besiegte Atheismus) wurde gegen Campanella ausgebeutet; man behauptete, daß er die Atheisten nur scheinbar bekämpfe, in Wirklichkeit aber ihnen helfe, daß er ihnen Beweisgründe liefere, an die sie niemals gedacht hätten und auf die er nur sehr schwach erwidere; einer seiner Gegner sagte, daß man die Schrift besser Atheismus triumphans (der siegende Atheismus) hätte betiteln sollen. erzählt Campanella seine Leiden. »Ich bin in fünfzig verschiedenen Kerkern eingeschlossen gewesen und siebenmal der grausamsten Folterung unterzogen worden. Das letztemal dauerte diese Marter vierzig Stunden. Ich wurde gewürgt von straff angezogenen Stricken, die mir das Fleisch bis an die Knochen durchschnitten und, die Hände auf dem Rücken gebunden, über einem spitzen Pfahl aufgehängt, daß mein Blut überströmte. Nach Verlauf von vierzig Stunden hielt man mich für tot und machte meinen Martern ein Ende; die einen schmähten mich, und um meine Schmerzen zu steigern, schüttelten sie den Strick, an dem ich aufgehängt war, die anderen lobten ganz leise meinen Mut. Nichts hat mich wankend machen, und man hat mir nicht ein einziges Wort entreißen können. Campanella, der in allen seinen Schriften über die Begebenheiten, die seine Gefangenschaft herbeiführten, Stillschweigen beobachtet, spricht in seinem »Sonnenstaat« von den Martern, die er zu ertragen hatte. Stolz sagt er von sich: »Ein Philosoph konnte trotz der Martern, welche ihn seine Feinde vierzig Stunden lang haben aushalten lassen, nicht gezwungen werden, auch nur eine Silbe von dem zu enthüllen, was zu verschweigen er sich vorgenommen hatte.«
Ein anderer Zeitgenosse, Rossi, der unter dem Pseudonym J. N. Erythraeus schrieb, erzählt in seiner » Pinacotheca imaginum illustrum« (1643 bis 1648), Campanella sei fünfunddreißig Stunden lang einer so grausamen Tortur unterworfen worden, »daß, nachdem alle Venen und Arterien um seinen After herum gerissen waren, das aus den Wunden sich ergießende Blut nicht gestillt werden konnte, und daß er trotzdem diese Tortur mit größter Festigkeit aushielt und nicht ein einziges Mal ein eines Philosophen unwürdiges Wort sich entschlüpfen ließ«.
Nach sechsmonatiger Krankheit wunderbarerweise geheilt, warf man mich in eine Grube. Fünfzehnmal wurde ich vor Gericht gestellt. Das erstemal wurde ich gefragt: Woher weißt du, was du nicht gelernt hast? Hast du einen Dämon zu deiner Verfügung? Ich gab zur Antwort: Um das zu lernen, was ich weiß, habe ich mehr Öl gebraucht, als ihr Wein getrunken habt ... Man klagte mich an, das vor meiner Geburt erschienene Buch › De tribus ImpostoribusDieselbe Anschuldigung wurde gegen Postel erhoben, einen jener außerordentlichen, erleuchteten Schwärmer des sechzehnten Jahrhunderts, mit dem Campanella in geistiger Hinsicht manchen Zug gemeinsam hat. geschrieben zu haben, ein Anhänger der Lehre Demokrits zu sein, ... gegen die Kirche, sowohl hinsichtlich ihrer Lehre als auch ihrer Verfassung, verwerfliche Ansichten zu verbreiten und ein Ketzer zu sein. Endlich wurde ich nicht bloß der Ketzerei, sondern auch der Rebellion angeklagt, weil ich gegen Aristoteles, welcher der Welt eine ewige, unveränderliche Dauer zuschreibt, behauptet habe, daß an Sonne, Mond und Sternen Zeichen sich fänden, welche Revolutionen des Weltalls ankündigten.«

Volle 27 Jahre lang blieb er in den neapolitanischen Gefängnissen. In einem rührenden Gedicht fleht er Gott an, ihn zu erlösen:

»Möge aus Erbarmen die ewige Liebe von meinem Elend sich erweichen lassen, und möge die höchste Weisheit auf mich das Mitleid der göttlichen Allmacht herbeilenken; du siehst, o mein Gott, ohne daß ich es dir sage, die harte Marter meiner langen Pein. Schon zwölf Jahre leide ich und fühle Schmerz mit allen meinen Sinnen, meine Glieder sind siebenmal gemartert worden, die Unwissenden haben mich verwünscht und verhöhnt, das Sonnenlicht hat man mir entzogen, meine Muskeln sind zerrissen, meine Knochen sind gebrochen, mein Fleisch ist zerfetzt worden, ich schlafe auf hartem Boden, ich bin angekettet, mein Blut ist vergossen worden, ich bin den grausamsten Schrecknissen ausgesetzt worden, meine Nahrung ist ungenügend und verdorben. Ist das nicht hinreichend, o mein Gott! um mich hoffen zu lassen, daß du mich in Schutz nehmen wirst?

Die Mächtigen dieser Erde machen sich aus menschlichen Körpern einen Fußschemel und machen deren Seelen zu gefangenen Vögeln ..., aus ihren Schmerzen und ihren Tränen ein Spiel für ihre ruchlose Wut, aus ihren Gebeinen Griffe für die Marterwerkzeuge, mit denen sie uns peinigen, aus unseren zuckenden Gliedern Spione und falsche Zeugen, die verursachen, daß wir uns anklagen, auch wenn wir unschuldig sind ... Aber von deinem erhabenen Richterstuhl siehst du das besser wie ich, und wenn deine vergewaltigte Gerechtigkeit und das Schauspiel meiner Martern nicht genügen sollten, dich zu waffnen, dann, o Herr, möge wenigstens das allgemeine Elend dich in Wallung bringen, denn deine Vorsehung soll über uns wachen.«

Als Gott für seine Klagen taub blieb, wandte er sich an die Sonne, die er, ebenso wie Telesio, für beseelt und für die Schöpferin aller niederen Dinge, der Pflanzen, Tiere usw. hielt, während nur der Mensch aus den Händen Gottes hervorgegangen sei.

Hymne an die Frühlingssonne.

Da mein Gebet noch nicht erhört ist, wende ich mich an dich, o Phöbus!

Ich sehe dich im Zeichen des Widders strahlen und alle Dinge sich neu beleben.

Du rufst alle Dahinsiechenden und im Sterben begriffenen Wesen ins Leben zurück.

Erwecke aus Gnade auch mich wieder zum Leben, mich, der ich dich über alles liebe.

Wie kannst du in den feuchten und dunkeln Gefängnissen den lassen, der dich immer verherrlicht hat!

Laß mich das Gefängnis verlassen zu derselben Zeit, wo das grüne Gras aus der Erde hervorsprießt.

Du läßt den Saft in die Bäume steigen, du verwandelst ihn in Blüten, aus denen in der Folge Früchte werden ...

Du weckst aus ihrem langen Schlaf die Maulwürfe und die Dachse, und du verleihst Kraft und Bewegung dem geringsten Würmchen ...

O Sonne! Es haben sich Menschen gefunden, welche dir Verstand und Leben absprechen und hierdurch dich niedriger als die Insekten stellen.

Von diesen habe ich geschrieben, daß sie Ketzer seien, daß sie gegen dich sich undankbar und rebellisch erwiesen, und sie haben mich lebend begraben, weil ich dich verteidigt habe ...

Wenn ich unterliege, wer wird dann noch dich schätzen und dich nennen können einen lebendigen Tempel, das Standbild und ehrwürdige Antlitz des wahren Gottes, das höchste wohltuende Licht der Welt, den Vater der Natur und glückseligen Gebieter der Gestirne, das Leben, die Seele und das Empfinden aller niederen Wesen.

Erbarme dich meiner, o mein Gott! Du fruchtbare Quelle alles Lichts, damit dein Licht leuchte über mir.

Aber die Folterqualen lähmten Campanellas stoischen Geist nicht: »er überstand und besiegte die Martern,« sagt er. Da die Henker daran verzweifelten, ihm ein einziges Geständnis zu entreißen, überließen sie den Märtyrer der Einsamkeit einer endlosen Kerkerhaft. Er füllte diese aus mit seinen Träumen. In einem seiner Sonette sagt er:

»In Banden und doch frei, einsam, ohne einsam zu sein, seufzend und ergeben beschäme ich meine Feinde: in den Augen des gemeinen Volkes bin ich ein Narr, für die göttliche Einsicht ein Weiser.

Unterdrückt auf der Erde, schwinge ich mich empor zum Himmel, mit gebeugtem Körper und heiterer Seele, und wenn das Gewicht des Unglücks mich in den Abgrund hinabdrückt, erheben mich die Flügel des Geistes weit über die Welt.

... Auf meiner Stirn geprägt trage ich das Bild der Liebe zum Wahren, sicher, daß ich mit der Zeit dahin gelange, wo ich, ohne zu sprechen, stets verstanden werde.«

Seine Gefangenschaft wurde etwas gemildert, als der Herzog von Ossuna zum Vizekönig des Königreichs Neapel ernannt wurde. Auch dieser hatte unter den Verfolgungen des spanischen Hofes zu leiden gehabt, er schloß Freundschaft mit dem kalabresischen Verschwörer, dessen Genie er bewunderte, er besuchte ihn häufig und holte in Staatsangelegenheiten seinen Rat ein, er erlaubte ihm zu arbeiten, mit seinen Freunden zu korrespondieren und diese sogar in seinem Gefängnis zu empfangen. Aus der Tiefe seines Kerkers heraus füllte Campanella Europa mit seinem Ruhm. Päpste, Jakob I., König von England, und andere mächtige Persönlichkeiten zogen ihn zu Rate wegen seiner astrologischen Kenntnisse, Gassendi und andere große Geister tauschten mit ihm brieflich Erörterungen über philosophische und wissenschaftliche Fragen aus; zwei deutsche Gelehrte, Tobias Adami und Kaspar Schoppe ( Scioppius), welcher letztere der Hinrichtung Giordano Brunos beigewohnt hatte, nahmen seine Manuskripte in Empfang, die in Deutschland gedruckt und auch in Frankreich, England und Italien verbreitet wurden.

Der Herzog von Ossuna zog sich den Haß der Jesuiten zu, weil er sich geweigert hatte, die Inquisition im Königreich Neapel einzuführen. Unterstützt durch mächtige Feinde, die er am Hofe von Madrid hinterlassen hatte, intrigierten sie, um ihn aus seiner Stellung zu verdrängen, in der er sich durch seine glänzenden Erfolge gegen die Venetianer und durch die Umsicht und Gerechtigkeit seiner Verwaltung ausgezeichnet hatte. Lieber als sich absetzen zu lassen, beschloß er, sich von Spanien unabhängig zu machen und sich zum König von Neapel und Kalabrien ausrufen zu lassen. Es heißt, daß er hierbei von Campanella beraten und ermutigt wurde, der in ihm das Werkzeug gefunden zu haben glaubte, um seine politische und soziale Revolution auszuführen. Einer der Mitschuldigen Ossunas war Germino, der 37 Jahre später die Verschwörung Masaniellos leiten sollte; vielleicht stand Germino auch mit Campanella in Verbindung. Der Plan wurde verraten, Ossuna durch den Kardinal Borgia ersetzt und in das Schloß von Almeira eingesperrt, wo er 1621 starb. Die Gefangenschaft wurde wieder hart für Campanella.

Zwei Jahre nach dem Sturz Ossunas starb zu Rom sein Beschützer, der Papst Paul V., welcher vergebens seine Begnadigung von Philipp III. erbeten hatte. Diese Todesnachricht versetzte Campanella in tiefe Verzweiflung. »Nur wenn ich aus dem Leben scheide, werde ich aus dem Gefängnis scheiden,« rief er aus. Aber in Papst Urban VIII. fand er einen neuen Beschützer, der nach fünfjährigen Unterhandlungen, am 15. Mai 1626, seine Freilassung erwirkte, freilich nur unter dem Vorgeben, er wolle ihn als Ketzer durch das Heilige Offizium zu Rom richten lassen. Doch kaum in der Stadt der Päpste angekommen, wurde er in Freiheit gesetzt. Der Haß der Jesuiten indes verfolgte ihn auch hier. Sie wiegelten gegen ihn die Leidenschaften des Pöbels auf. »Es ist ein Skandal,« sagten sie, »daß der Papst den Campanella frei herumlaufen läßt. Dieser gottlose und ketzerische Mensch ist ein Umstürzler und ein Feind der Kirche. Was entrüstet man sich über Luther und Kalvin! Rom nährt an seinem Busen eine viel gefährlichere Schlange.« »Niemals sah man wegen eines armen, schwachen Mönches so viel Wut und Raserei,« sagt ein zeitgenössischer Schriftsteller. Um dem durch die Jesuiten aufgestachelten Haß des Pöbels zu entrinnen, verließ Campanella in Verkleidung und im Staatswagen des französischen Gesandten Rom (1634). Er begab sich nach Marseille, wo er gastfreundlich von Peiresc aufgenommen wurde, einem Parlamentsrat von Aix, den Bayle wegen seiner intelligenten und liberalen Beschützung der Wissenschaft und der Gelehrten als »Generalanwalt der Literatur« bezeichnet hat. Einen Monat lang lebte er dort in einer Glückseligkeit, die er seit mehr als dreißig Jahren nicht genossen hatte. Durch Richelieu nach Paris berufen, mußte er diesen Ruhesitz wieder verlassen und weinte, als er sich von Peiresc verabschiedete. »Die grausamsten Martern«, äußerte er dabei, »haben mir keine Tränen abpressen können, heute aber vergieße ich sie aus Rührung und Erkenntlichkeit.«

Er wurde bei Hofe empfangen. Ludwig XIII. ging dem berühmten, durch Alter und Leiden gebrochenen Greise entgegen und küßte ihn auf beide Wangen. Eine Weissagung, die in Erfüllung ging, steigerte die hohe Achtung, die man für seine astrologischen Kenntnisse hegte. Niceron berichtet, daß Richelieu, beunruhigt wegen der Kinderlosigkeit Ludwigs XIII., Campanella befragte, ob der Herzog von Orleans den Thron besteigen würde. Campanella erwiderte: » Imperium non gustabit in aeternum.« (Er wird niemals zur Regierung gelangen.) Und wirklich wurde einige Zeit danach die Königin von einem Knaben, dem späteren Ludwig XIV., entbunden, dem er das Horoskop stellte.

Richelieu fand Gefallen an Campanella wegen seines Hasses gegen die Spanier; als der Krieg zwischen Frankreich und Spanien ausbrach, wurde er in den Rat des Königs berufen, um in den Angelegenheiten Italiens seine Ansichten kundzugeben. Er zog sich in das Pariser Dominikanerkloster zurück, wo er, mit astrologischen, juristischen und philosophischen Studien beschäftigt, ruhig lebte.

Er hatte prophezeit, daß die am 1. Juni 1639 bevorstehende Sonnenfinsternis ihm verhängnisvoll sein würde. Er wollte die Gefahr beschwören, von der er sich bedroht glaubte, indem er alle astrologischen Vorschriften ausführte, die er in seinem »Sonnenstaat« gibt, und die seine Sonnenbewohner anwenden, um sich vor den »verpesteten Ausdünstungen des Himmels« zu schützen. Er schloß sich in eine Kammer mit weiß getünchten Wänden ein, die mit wohlriechenden Essenzen besprengt und durch sieben weithin duftende Wachsfackeln erleuchtet war, und suchte seine Besorgnisse durch die Klänge musikalischer Instrumente und durch Gespräche mit den Mönchen, die ihn für wahnsinnig hielten, zu zerstreuen.

Campanella starb im Alter von 71 Jahren am 21. Mai 1639, zehn Tage vor dem für die Finsternis angegebenen Zeitpunkt.


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