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2. Mores Biographen.

Die Mehrzahl der Biographien, die über Thomas More bisher geschrieben worden, leiden an einem anderen Fehler als dem, der den zeitgenössischen Darstellungen der Münzerschen und Münsterschen Bewegungen anhaftet. Sind diese einseitig nur Anklageschriften, mit der Feder des Staatsanwaltes, nicht des Historikers geschrieben, so sind die Biographien Mores, namentlich die aus den früheren Jahrhunderten, nur höchst einseitige Verherrlichungsschriften. Es haftet ihnen etwas Weihrauchduft an, »nicht der Duft des Weihrauchs, den die dankbare Nachwelt Männern spendet, die ihrer Ansicht nach die menschliche Entwicklung besonders gefördert haben, sondern des Weihrauchs, mit dem die katholische Kirche ihren Heiligen opfert, um die Sinne der Gläubigen zu benebeln«. Kautsky, Thomas More und seine Utopie, 4. Auflage, S. 97. More ist nämlich als katholischer Märtyrer gestorben. Die katholische Kirche hat aber seit der Reformation keinen solchen Überfluß an großen Denkern und Charakteren aufzuweisen, daß sie hätte müde werden können, zu ihrem eigenen Ruhme immer und immer wieder den Ruhm Mores zu singen. Jedoch bei weitem nicht alles, was More getan, war rühmlich im Sinne der katholischen Kirche, eine objektive, allseitige Darstellung seines Wirkens konnte daher ihren Zwecken nicht entsprechen. Und so sind seine Biographien recht einseitig ausgefallen.

Am unbefangensten ist noch die älteste seiner Biographien, die von seinem Schwiegersohn William Roper herrührt (wahrscheinlich aus dem Jahre 1557 » The life of Sir Thomas More, written by his son in law William Roper.«. Roper hatte sechzehn Jahre in Mores Haus gewohnt, er ist eine ehrliche Haut, einfach und nüchtern, und wir dürfen seiner Darstellung vollstes Vertrauen schenken. Aber Roper war viel zu beschränkt, Mores Bedeutung zu erfassen und die dafür charakteristischen Tatsachen mitzuteilen. Besäßen wir nur Ropers Biographie, dann wüßten wir zum Beispiel nicht einmal, daß More die »Utopia« geschrieben.

Intellektuell wird Roper überragt von dem nächsten Biographen Mores, Thomas Stapleton, einem englischen katholischen Geistlichen, der im Exil, in Douai, eine Biographie Mores schrieb, die 1588 erschienen ist. » Tres Thomae seu res gestae St. Thomae Apostolis, St. Thomae Archiepiscopi Cantuarensis et Martyris, Thomae Mori, Angliae quondam cancellarii. Autore Thoma Stapletono.« Wir haben die Kölner Ausgabe von 1612 benützt. Er ergänzt Roper, indem er auf die literarische Tätigkeit Mores näher eingeht, und ist besonders dadurch nützlich, daß er ein reiches Material gesammelt und veröffentlicht hat, namentlich aus Briefen Mores und seiner Zeitgenossen. Aber sein Werk ist kein Geschichtsbuch, sondern ein Erbauungsbuch, nicht eine historische Entwicklung wird uns gegeben, sondern ein Sammelsurium von Anekdoten, Legenden und Wundergeschichten.

Und diesen Charakter tragen alle katholischen Biographien Mores bis auf unsere Tage, soweit wir Einsicht in sie genommen haben. Als Ausnahme ist zu erwähnen die jüngste Schrift über More, des Reverend T. E. Bridgett » Life and Writings of Sir Thomas More« (London 1891), die wohl den katholischen Standpunkt sehr stark zur Geltung bringt und dem Humanisten und gar Sozialisten More in keiner Weise gerecht wird, aber doch mit dem Apparat der modernen Wissenschaft arbeitet und von Abgeschmacktheiten sich fernhält. Von einer unbefangenen historischen Darstellung ist jedoch auch bei dieser wissenschaftlichen Leistung des modernen Katholizismus keine Rede. Sie macht More zu einem ebenso engherzigen Katholiken, wie der Verfasser selbst ist.

Erhabener über konfessionelle Beschränktheit als Bridgett sind zwei andere Biographen aus dem vorigen Jahrhundert, die noch zu nennen sind, Rudhart und Seebohm. G. Th. Rudhart, Thomas Morus, Nürnberg 1829. F. Seebohm, Oxford Reformers, 2. Auflage, London 1869. Rudharts Arbeit ist gewissenhaft, fleißig und ehrlich, aber unbedeutend und kleinlich. Seebohm behandelt nur das Wirken Mores als Humanist bis zum Jahre 1519. Er ist kühner, aber auch phantastischer als Rudhart und gefällt sich in gewagten Hypothesen.

Und er ebensowenig als irgendein anderer der erwähnten Biographen Mores hat etwas mit der »Utopia« anzufangen gewußt. Da keiner dieser Herren auch nur die mindeste Ahnung vom Sozialismus hatte, konnten sie unmöglich die Bedeutung dieser Schrift für die Entwicklung der sozialistischen Ideenwelt erfassen; und ebensowenig konnte es ihnen in den Sinn kommen, zu untersuchen, in welchem Zusammenhang die »Utopia« mit dem sozialen Milieu steht, in dem sie entstand.

Der Schreiber vorliegender Seiten hat den Versuch gemacht, diese Aufgaben zu lösen in seiner bereits erwähnten Schrift »Thomas More und seine Utopie«. Dort wird von More und der Eigenart seines Sozialismus ausführlich gehandelt. Ich verweise auf diese Schrift jene unter meinen Lesern, die aus den hier gegebenen kurzen Mitteilungen den Wunsch schöpfen sollten, sich mit der so liebenswerten und bedeutenden Persönlichkeit des englischen Kanzlers, seinem Wirken und Denken näher bekannt zu machen.


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