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VII. Zukunftsmusik.

Die ungeheuren Erfolge des Pennyportos und des Weltpostvereins einerseits und die belebenden Wirkungen des ungarischen wie des österreichischen Zonentarifs anderseits haben den bekannten Wiener Tarifpolitiker Dr. Julius Wilhelm zur Vorbringung seiner umfassenden Reformvorschläge veranlaßt, welche er im Jahre 1900 in seinem fesselnden Buche » Frachtporto« niederlegte und welche, wenn man ihnen auch nicht in allen Richtungen folgen kann, jedenfalls die eingehendste Beachtung verdienen. Im wesentlichen schlägt unser Autor vor: Verstaatlichung allen Frachtverkehrs, Besorgung desselben durch die Postverwaltung, Verbindung des Transports mit dem Clearingwesen des Postsparkassenamtes, Schaffung eines postalischen Warrantsystems. Es sind dies keine geringen Forderungen, und sie würden so durchgreifende Änderungen mancher bestehenden Verhältnisse erheischen, daß der Leser im ersten Augenblick nicht wenig verblüfft ist über die scheinbare Kühnheit des Verfassers; aber dieser weiß alles so plausibel zu machen und rollt eine solche Reihe von geistvollen, praktischen und wirklich durchführbaren Ideen vor unseren erstaunten Blicken auf, daß wir uns nicht nur gerne von der Richtigkeit seines Planes überzeugen lassen, sondern nach kurzem Nachdenken aufhören, den letzteren für »kühn«, d. h. utopisch oder illusorisch zu halten.

Warum waren die einstigen Posttarife uneinträglich und warum gilt das gleiche von den Personentarifen vieler Bahnen? Weil sie zu hoch waren bzw. sind. Und ganz derselbe Grund erklärt die Nichtrentabilität zahlreicher Frachttarife. Überall dort, wo die Postporti und die Personenbeförderung Ermäßigungen erfahren haben, hat sich eine Steigerung des Verkehrs und der Rentabilität ergeben, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine liberale Tarifpolitik im Güterverkehre, d. h. eine Vereinfachung und Verbilligung der Frachtenbeförderung, gleichartige Wirkungen nach sich ziehen würde – Ursache genug, um den billigen, einheitlichen Briefpostsätzen und dem Personenporto das »Frachtporto« folgen zu lassen.

Zu diesem Zwecke macht der Verfasser eine Reihe von wertvollen Vorschlägen, welche er am Schlusse seiner Schrift folgendermaßen zusammenfaßt:

  1. Der Staat erkennt es als seine Pflicht an, den gesamten Güterverkehr einheitlich zu leiten, und setzt sich daher mit allen Transportanstalten ins Einvernehmen, um den Verkehr gegen ein entsprechendes Entgelt durch seine Beamten vorzunehmen. Eine Verstaatlichung der Transportanstalten ist nicht nötig, vereinfacht aber die Sache.
  2. Jede Postanstalt erhält ein Magazin, wo gegen billige Vergütung die Waren eingelagert und nach Belastung des Fakturenbetrages auf dem Konto des Empfängers und Gutschrift auf dem Konto des Absenders belehnt werden können.
  3. Der Staat als Generalverfrächter versendet nach zwei Systemen: a) mit der Briefpost, wo es hauptsächlich auf Schnelligkeit ankommt, und b) in Sammelladungen, wo es hauptsächlich auf Billigkeit ankommt.
  4. Die Höhe der Tarife wird von einer aus unabhängigen, nur der Volksvertretung verantwortlichen Männern bestehenden Körperschaft alljährlich bestimmt und den Bedürfnissen des Verkehrs und den Fortschritten der Technik angepaßt.

Heute unterscheidet man folgende Bahn-Frachttarife: Gewöhnliche, ermäßigte und besonders ermäßigte Eilgüter; I. und II. Klasse; ermäßigte Wagenladungen A, B und C; Spezialtarife 1, 2 und 3; sperrige Güter; Passagiergepäck. Als die ersten Bahnen gebaut wurden, nahm man sich ein Muster an den Tarifen der früheren Lastenfuhrherren; da dieser Zustand auf die Dauer unhaltbar war, erwirkte die Handelswelt allmählich ganz bedeutende Ermäßigungen; dafür aber hat jetzt fast jede Linie andere Tarife, jede Warengattung andere Sätze, und so ist im Laufe der Zeit das Tarifwesen so lächerlich und verwickelt geworden, daß fast niemand mehr in demselben genau Bescheid weiß. Unser Reformator räumt mit diesem veralteten Unsinn auf, indem er vorschlägt (vgl. oben Punkte 1 und 3): 1. Ein Gewichtsporto (Kilogramm-Anderthalbpfennig-Porto) mit schneller Beförderung in Postzügen (Züge, welche nur die Post befördern); 2. Sammelladungen mit wenigen Zonen. Danach würden im »Weltpostporto« 100 Kilogr. 1,70 Mk., dann jedes weitere Kilogramm 1½ Pf. kosten und die »Sammelfracht« würde so aussehen:

Minimalgebühr 40 Pf.
  bis 40 km
I. Zone
bis 100 km
II. Zone
bis 200 km
III. Zone
bis 400 km
IV. Zone
über 400
km V. Zone
Für 100 kg 25 Pf. 50 Pf. 75 Pf. 1.– M. 1.25 M.
Für Waggon 17.– M. 34.– M. 51.–M. 68.– M. 85.– M.

Alle Tarife gelten von Postamt zu Postamt; die Spedition ist Sache der Post. Die Post hätte mit den Bahnen zu verhandeln, um bei den billigen Tarifen ihr Auslangen zu finden; es wäre Sache der Post, die Anlage der notwendigen abkürzenden Bahnlinien und der Kanäle zu veranlassen, technische Fortschritte auszunützen usw.

Zu Punkt 2 des Wilhelmschen Reformplanes wäre zu bemerken, daß es – da eine sicherere Kreditgewährung als gegen Faustpfand nicht denkbar ist – in Ländern mit Postsparkassen eine des Staates würdige Ausgabe sein würde, die Postsparkasseneinlagen im Interesse der Produktion und des Handels durch Belehnung der Waren und Schöpfung eines großartigen Warrantsystems bei Anstellung kaufmännisch gebildeter Beamten zu verwerten. Er würde »durch die Gebühren für Lagerung und Kreditgewährung eines recht anständigen Gewinnes gewiß« sein.

Was Punkt 1 betrifft, so besteht das Geheimnis der Möglichkeit zunächst in einer voraussichtlich ungeheuren Zunahme des Verkehrs, sodann in dem Wegfall – oder vielmehr der allgemeinsten Verallgemeinerung – der gegenwärtig den Spediteuren gewährten erheblichen Ermäßigungen, der Refaktien u. dergl. (jetzt ist das Publikum eben wegen dieser Ermäßigungen gezwungen, sich der Spediteure zu bedienen, unter dem Walten der Wilhelmschen Reform würde dieser Zwang wegfallen), endlich darin, daß viele Produkte, die heute an Ort und Stelle handelspolitisch wertlos sind, weil sie wegen Mangels an Verkehrsmitteln oder wegen zu hoher bestehender Frachtsätze nicht in entferntere Gegenden gebracht werden können, in lohnender Weise würden im ganzen Lande verschickt werden können.

Kein Kenner der Geschichte des Tarifwesens wird an der Einträglichkeit solcher Reformen für den Staat zweifeln. Die Steigerung des Verkehrs hat trotz der Niedrigkeit der ermäßigten Sätze in allen Fällen höhere Einnahmen; aber »selbst unter der Voraussetzung, daß der Staat bei der Post anfänglich daraufzahlen müßte, würde er durch direkte und indirekte Steuern reichlich Ersatz finden ... Seien wir Pessimisten und nehmen wir an, der Staat opfere jährlich Millionen zur Beflügelung des Verkehrs, so kommt dieses Opfer nicht in Betracht, denn die Leute werden mehr ... konsumieren; kurz, die Steuereingänge werden im Verhältnis des Arbeitslohnzuwachses steigen.« Wilhelm stellt übrigens auch ziffermäßige Rentabilitätsberechnungen an, die mehr als beweiskräftig sind, und weist auf das naheliegende Beispiel Ungarns hin, wo »schon sehr bemerkenswerte Anfänge zur Verwirklichung ... gemacht worden sind. Die Erfolge werden glänzende sein, wie denn bereits die bisherigen die Erwartungen der Optimisten übertroffen haben: Steigerung des Verkehrs, der Produktion, des Arbeitslohnes, des Konsums, daher des Nationalreichtums, der Bodenernte und aller Steuereingänge«.

Hinsichtlich der Durchführung der Reform schreibt deren Urheber: »Nur dann, wenn man glaubt, den gestiegenen Anforderungen mit dem alten Personal genügen zu können, wäre die Sache allerdings sehr bedenklich; es ist aber nicht anzunehmen, daß die Staatsverwaltung den gleichen Fehler, welcher bei Einführung der ermäßigten Personentarife gemacht wurde, wiederholen sollte ... Mir scheint nur eine, allerdings sehr große Schwierigkeit zu bestehen, und die ist, daß die Post im Anfang infolge der primitiven Einrichtungen den Verkehr nicht wird bewältigen können. Deswegen wäre es vielleicht gut, die Reform allmählich durchzuführen.«

Zunächst würde es schon von großem Vorteil sein, wenn die maßgebenden Kreise nur erst die Augen öffnen und beachten wollten, daß »es nicht genügt, Eisenbahnen zu haben, sie vielmehr auch rationell betrieben werden müssen«. Und daß die Welt der Handelspolitik auf die Wilhelmschen Anregungen früher oder später zurückgreifen wird, halten wir für sicher; ein so weittragender Plan mag ihr jetzt kühn erscheinen, allein noch im 19. Jahrhundert wurden auch Ideen wie das Pennyporto oder die erste Eisenbahn für sehr kühn, ja für verrückt erklärt und kamen dennoch zur Verwirklichung!

Fig. 23. Briefkasten zu Ende des 17. Jahrh.

 

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