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Josef Kasteins Märchen »Michael und das Buch« in seinen Briefen aus Palästina an Shulamith Kastein

Haifa, 9. 5. 42

Mein Liebes, der Brief, den ich begann – am gleichen Tage, als dein Dezember-Brief Mitte FEBRUAR eintraf – wurde nicht beendet & nicht abgeschickt. Ich las noch einmal deine Worte: just try to get over these next months best you can – & da war es plötzlich wie ein Atemanhalten & wie der Gedanke, daß nach dieser langen Reise deines Briefes eigentlich etwas Entscheidendes unmittelbar folgen müßte. Und das war so stark, daß ich die Hände in den Schoß legte & weiter wartete. Und es war ein sehr langsames Aufwachen zu der Erkenntnis, daß ich dieses Bahnhofs-Dasein angesichts der Zustände in der Welt endlich aufgeben muß, daß ich meinen Alltag nicht nur auf den einen Gedanken einstellen darf, daß ich ja doch bald drüben & bei dir bin, & daß ich das alles für eine zeitlang einmal ausschalten muß, um nicht ganz in Unproduktivität & Abwarten zu versinken, & um den elenden materiellen Teil des Lebens nicht zu sehr zu vernachlässigen. Und so habe ich mich mit aller Energie & mit ganz klaren wirtschaftlichen Zielen wieder in die Arbeit gestürzt. Ich habe die Herausgabe meines Palästina-Buches forciert, & es ist jetzt im Vertrieb & verkauft sich gut. Es wird sogar trotz der hohen Herstellungskosten etwas für mich dabei übrig bleiben. Das Interesse ist groß. Ich schicke dir ein Expl., nur erfordern die »Formalitäten« hier offenbar endlose Zeit. Sodann habe ich eine neue Art von Vorträgen gestartet: nicht mehr öffentliche Vorträge, die kaum etwas einbringen, sondern 4 bis 5 mal denselben Vortrag in privaten Zirkeln mit ziemlich hohen Eintritts-Preisen, & so habe ich aus jedem derartigen Vortrag mindestens 10 LP statt 2. Meine hebräischen Kurse haben sich erweitert & sie bringen auch ganz gut. Zum ersten male, seit ich im Lande bin, verdiene ich aus dem Lande selbst etwas mehr, als ich zum Leben brauche. So komme ich zu etwas Reserven, die ich das Reisegeld von morgen nenne. Alles das hat mich ungeheure Anstrengung gekostet, zumal ich einen ganzen Monat lang mit 38,2 Fieber herumgelaufen bin & gearbeitet habe, & kein Arzt hat entdeckt, was es damit eigentlich auf sich hatte. Aber es ist dann eines Tages von selbst vorüber gegangen. Und jetzt, nach dem die ersten wirklich grausigen Chamsine vorüber sind, sitze ich in den wenigen freien Stunden und schreibe ein Märchenbuch für die jüdische Jugend. Es heißt: Michael & das Buch & erzählt eigentlich die Geschichte von der Shulamith & dem Hirten aus dem Hohen Lied. Der »Alte«, der Geist des großen Buches, hat diese beiden in der Galuth aufgefunden, & da er sah, daß sie dort in einer Welt ohne Liebe nicht leben konnten, hat er sie in ein Bild eingesperrt & sie nach hier gebracht. Aber jetzt kann er sie aus dem Bilde nicht wieder befreien, & er wendet sich an den kleinen Michael, ihm zu helfen. Und nach vielen Abenteuern mit Tieren & Gestalten aus der Bibel findet Michael den Weg, wie man Shulamith & ihren Hirten wieder aus dem Bilde heraus in das Leben hineinstellen kann, und dann singen sie, was sie schon vor mehr als 2000 Jahren gesungen haben: Denn stark wie der Tod ist die Liebe ... Gefällt dir das, Shulamith? Und du weißt doch, daß es für dich geschrieben ist? Ich habe eben eine primitive Art, mich indirekt auszudrücken ... Das Buch wird in der hebräischen Fassung bei Rothenberg erscheinen, du weißt doch, der das Palästina-Amt in Wien geleitet hat & hier einen Verlag aufgemacht hat. – Da ich gerade bei Büchern bin: gestern habe ich aus Buenos Aires den Vertrag über die spanische Ausgabe meiner »Geschichte« bekommen, & das wird wohl auch etwas einbringen. Außerdem ist der Verlag an der Novelle interessiert. – Merkwürdigerweise sind jetzt wieder die Orthodoxen hinter mir her & wollen, daß ich über gewisse Gestalten aus der Bibel schreibe. Es ist möglich, daß daraus etwas Positives wird, d. h. daß sie mir dazu die wirtschaftliche Möglichkeit geben. Es bleibt abzuwarten. – Letzten Monat habe ich hier 5 mal über ein sehr heikles Thema gesprochen & viel Staub aufgerührt: Das menschliche Problem in Palästina. Es ist so jammerschade, daß ich dir diese Sachen nicht schicken kann. Ich will es aber versuchen, zumal ich dich verschiedene prinzipielle Vorträge nochmals überarbeiten & abschreiben lassen will, um evtl. einen kleinen Sammelband »Gesellschaftliche Kritik« herauszugeben. Und wenn du wüßtest, wie oft ich dir alle diese Sachen vorlese, wenn ich dabei bin! Ich bin viel mehr bei dir, als du aus meinem Stillschweigen annehmen solltest. Aber jetzt ist diese Periode der Lähmung vorüber & ich werde öfter schreiben. – Was meinen Bruder anlangt: ich habe keinerlei aktives Gegengefühl für ihn. Was bislang mechanisch nachgewirkt hat, war das, was ich von meiner Familie damals erfahren habe, als ich Deutschland verließ. Aber das ist heute nicht mehr wichtig, & ich bin ganz froh darüber, daß du da Kontakt gefunden hast. Und was du tust, wird schon recht sein. Und ich werde mich an die Schwerarbeit machen, die débris wegzuräumen, die mir das Leben innen angehäuft hat. Vielleicht schaffen wir es zusammen, wenn ich es nicht alleine schaffe. Vielleicht kann ich dann auch einmal sagen, daß ich in Frieden mit mir selber sei. Aber die Leute sagen schon, ich sei zugänglicher & freundlicher geworden. Mag sein, daß ist der Beginn vom Anfang. – Und jetzt noch die Abbitte eines schlechten Gewissens: Nimmst du nachträglich noch Geburtstags-Wünsche entgegen? Ich schäme mich schrecklich. Mit einem Kuß & viel Liebe

Dein Josef.

26. 8. 42

[...]

Die Michael-Shulamith Geschichte sende ich dir jetzt ein. Ich weiß noch nicht, ob mein Geldbeutel Flugpost-Beförderung zuläßt. Sonst mußt du dich gedulden, bis es mit der ordentlichen Post kommt.

[...]

Haifa, Passover 1943

[...] Now the tide is up a little and I do rather well, both ways. And I finally got some things for you on the way, the Palestinian Novel and the manuscript of the Shulamith story. You will get them very soon. And other things are likely to follow. [...]

1. 9. 43

[...]

Hast du inzwischen die Novelle und das Märchen bekommen? Eigentlich ist es schade, daß man jetzt nichts mehr deutsch erscheinen lassen kann. Hier war bislang eine sehr gut gemachte Zeitung in deutsch, das Presse-Echo, in dem ich mancherlei veröffentlicht habe. Sie ist jetzt am Terror der Sprachfanatiker eingegangen. Das, was man in der eigenen Sprache stilistisch geben kann, kommt doch bei keiner Übersetzung heraus. Ich möchte, wenn ich jetzt – Phantast, der ich bin! – wieder zum Publizieren kommen sollte, die Übersetzungen sehr scharf kontrollieren, damit sie adäquat werden. Du siehst also, ich sitze schon irgendwo in der 175ten Straße und ärgere mich über die Übersetzer! Ob das je werden wird? Drück den Daumen!

[...]

15. 5. 44.

[...]

By the way: you never told me a word whether my Palestinian novel and the copy of the children-story have come to you. Did I tell you that I am about to translate the little story into Hebrew? And of course I shall do my very best in the coming months of rest to finish my Utopia.

[...]

5. 6. 44.

Darling,

your letter from April 28 arrived yesterday. When you sent it you could not have had my second letter, telling you that in the meantime the ‘lost!’ letter too has arrived. Nevertheless I am sure that at least one letter has gone astray, from both sides. I take it from your last letter that ‘in these last months’ you have been translating my ‘Michael’. This is the first time you mention the manuscript at all. I never knew whether you got it. But now it is allright. I suppose the ‘Palestinian Novel’ has arrived too, has it not? And speaking about ‘Michel’: I was just about to suggest the same thing, i. e, to add as second title ‘A Palestinian Story’. And I think you are right to say that I had better give some hints about the hints and let people know what it is all about with all the allusions. (Shame on you, Darling, that you do not know them!) (By the way: does Tommy know? Ask him, please.) And so I give you in a separate list some references and quotations, most of them from the official English version of the Bible. I am glad you did the translation in English, I myself have nearly finished the Hebrew translation. In a fortnight it will be done, and it has turned out quite nice. I am now nearly an expert in Hebrew. But really, I have made very good progress.–Do you think that Norbert Glatzer could be helpful in placing the book?

Now for the other book. I perfectly realize the difficulties, and when I said ‘it is up to you’ so the meaning in my ‘slang’ is simply the believe that you will do everything possible to place it. And now listen: don’t you think that a preface written by one of the ‘Big men’ will make a lot of a difference for the publisher and the chances of the book? Long ago I was pondering to write to Thomas Mann and ask him to do something for this book. But after the day’s work I was always too tired to make up my mind for writing. But now I shall do it. I add the letter. Read it and if you approve of it, send it to him. The people of that terrible ‘Aufbau’ are sure to give you the address of Mann, if you ring them up. And what about offering them as a sort of ‘Vorabdruck’ some items of the manuscript? It might pave the way. If you think it does not, leave it. It is just a suggestion.

And by the way: do not send me any money, whether you place one manuscript or both. I want you first of all to fill the gap in your funds. If it is filled up we can talk about the surplus, (if there will be any!). But at the moment I don’t need money. I earn quite a lot, and although life is awfully expensive here I manage to put aside 20 LP a month. And do not send food-parcels. You know I like to eat good things, but just now I could not use them, because to-day fortnight I am going to start my ‘Nachkur’. That means: I have to stop my work at the Technion and my lessons for at least 3 months and live a quiet life in something like a sanatorium. I shall spend the first month in a very good boarding-house in Achusa, the second probably on Mount Canaan (near Safed) and then make up my mind for the rest of the time. All I need now is much rest, good food and plenty of fresh air. My doctor (always repeating: Mensch, hast du Dusel gehabt!) is confident that after the elapse of these 3 month he can stop the Pneumothorax. And I hope he will be right. But that does not mean that I am going to lie idle all the time. I intend to finish my utopia, ‘Peace on Earth.’ The first part is almost done. But I shall have to write most of the second part all over again as it does not satisfy me. And then you will get another manuscript, as a poor ‘Ersatz’ for marital life. And I put much hope on it. And then it will be up to the doctor to decide whether I can venture to travel or not. And if he agrees the question of money for the fare will be answered. I can get it whenever I need it. But the more you tell me about the conditions of life and work there, the more I am sure that I must have a fundament beforehand. Your start was hard enough, and I am sorry I could not make it easier to you. So I have to look after myself in a way that will enable me to do something for you too. And at the moment I don’t see another way but establishing some sort of ‘literary reputation’. That means: I have to muster all my energy and write something ‘reasonable’.

By the way: I think that in a way Palestine will be a market too for the book, although none too big. But some 500 copies might be sold here.

Wee, Darling: let us keep on and try to come together. I’ll do my best to get fit again and get the illness over. All my love to you

Josef.

Here is the list:

pg. 8. In the beginning God created the heaven and the earth.

pg. 9. The Song of Solomon. Chapter 6.

pg. 11. Gen. 8, 8. Also he sent forth a dove from him, to see if the waters were abated from off the face of the ground. etc. 9-12.

11 unten: Song of Solomon: 8, 6: For love is strong as death ... the coals thereof are coals of fire, which has a most vehement flame. (What a terrible translation!)

pg. 12. Jonah, 1, 17: Now the LORD has prepared a great fish to swallow up Jonah. And Jonah was in the belly of the fish three days and three nights....

2, 10: And the LORD spake unto the fish, and it vomited out Jonah upon the dry land.

pg. 19-20. Judges, 13, 24. And the woman bare a son, and called his name Samson.

Then: chapters 14 till 16 with all the necessary references for page 18 till 22 of the manuscript.

pg. 24 (V.): unten. Garden Eden. Genesis 2, 8: And the LORD planted a garden eastward in Eden.

24: Gen. 3, 1: Now the serpent was more subtle than any beast of the field....

25: Gen. 2, 10: And a river went out of Eden to water the garden, and from thence it was parted, and became into four heads.

(By the way: page 21, «Honig macht helle Augen”, reference: Samuel, I, 14, 27: Jonathan ... put forth the end of the rod that was in his hand, and dipped it in a honeycomb, and put his hand to his mouth, and his eyes were enlightened.)

29: Shamir. The meaning of the word is: thorn, or: adamant. In the Aggadoth it is a legendary worm, used by King Solomon to cut the stones for the Temple. Cf. Exodus 20, 25: And if you wilt make me an altar of stone, thou shalt not build it of hewn stone, for if thou lift up thy tool upon it, thou hast polluted it.

30: En Dor. Samuel I, 28, 7. Then said Saul unto his servants, Seek me a woman that hath a familiar spirit (properly: mistress of necromancy), that I may go to her, and inquire of her. And his servants said to him, Behold, there is a woman that has a familiar spirit at En-Dor.

32: Adam and Eve. Genesis, 3, 17/18: Cursed is the ground for thy sake; in sorrow shall thou eat of it all the days of thy life. Thorns also and thistles shall it bring forth to thee....

And pg. 32 below: cf. Genesis, 3, 12: And the man said, The woman whom thou gaves to be with me, she gave me of the tree, and I did eat.

33. Asmodäus, in Hebrew: Ash’mo’dai. Called King of the Demons. In Talmud: Salomo bemächtigt sich dieses Geistes, um durch ihn in Besitz des Wurms Shamir zu gelangen. Außerdem will Salomo sich das geheime Wissen des Ashmodai aneignen, aber der befreit sich durch eine List, beseitigt Salomo zeitweilig & regiert an seiner Stelle. Bei Salomos Rückkehr von der Wanderschaft verschwindet er, aber Salomo fürchtet sich vor ihm & läßt sich nachts durch Helden bewachen.

pg. 36 unten: according to legends of the Talmud. (By the way: the legends on page 37 are Kastein-legends.)

39: seal of Solomon: well known pentagram.

pg. 40: the old one: writing Ecclesiastes, the middle one: writing Proverbs, & the young one: writing the Song of Songs.

pg. 41. Ecclesiastes, l, 2 & 3: All is vanity. What profit hath a man of all his labour which he taketh under the sun?

pg. 42. Proverbs, chapt. 6, 6: Go to the ant, thou sluggard; consider her ways, and be wise. (7) Which having no guide, overseer, or ruler. (8) Provideth her meat in the summer, and gathereth her food in the harvest. (9) How long wilt thou sleep, O sluggard? when wilt thou arise out of thy sleep? (10) Yet a little sleep, a little slumber....

pg. 42 middle: Solom. Song, 3, 7: Behold his bed, which is Solomon’s; threescore valiant men are about it.... (8) every man hath his sword upon his thigh.

44: Well, of course all of them quotations from the Song: 1, 7-1, 8–etc. By the way: couldn’t you try and make the translation of the main song chapt. 8, 6-7, a little more beautiful? The official English version is a barbarism. –


Franz Horch, Literaturgent, an Shulamith Kastein

June 7, 1944

Dear Mrs. Kastein:

your husband’s juvenile is a well written book and I wish to stress that I liked your translation very much.

On the other hand, this type of juvenile is by far too remote from this market’s requirements. I am almost sure of being unable to sell it for you.

In order not to disappoint you I hereby return the manuscript with repeated thanks for your confidence.

Sincerely,
Franz J. Horch


Behrman House an Shulamith Kastein

June 13, 1945

Dear Mrs. Kastein,

Just a line to let you know that your husband’s manuscript entitled MICHAEL AND THE BOOK was received in our office late last night.

Rabbi Emanuel Green, president of our new concern is taking the matter up and you will hear from us very shortly.

Sincerely,
BEHRMAN HOUSE, INC


Solomon Grayzel, The Jewish Publication Society of America, an Shulamith Kastein

June 21, 1944.

My dear Mrs. Kastein:

I acknowledge the receipt of the manuscript, «Michael and the Book,” which you were good enough to send to me on behalf of your husband. I assure you that anything written by him will receive our very earnest consideration. I hope you will hear from me in the very near future.

Sincerely yours,
SOLOMON GRAYZEL
Editor


Solomon Grayzel, The Jewish Publication Society of America, an Shulamith Kastein

August 8, 1944.

My dear Mrs. Kastein:

Very regretfully I find myself under the necessity of returning your manuscript. Despite the undoubted charm of the stories, we cannot fit the manuscript into our publications.

I want to urge you, at the same time, to continue to submit other material to us, whether such material is meant for children or for adults. We shall always be glad to hear from you.

With many thanks and good wishes, I remain,

Sincerely yours,
Solomon Grayzel.


Emanuel Green, Behrman House, an Shulamith Kastein

November 9, 1945

Dear Mrs. Kastein:

Pursuant to our recent conversation, I am hereby enclosing a check for $50.00 which is an advance against royalties on a book tentatively titled MICHAEL AND THE BOOK by Dr. Josef Kastein.

We reserve the right to submit this manuscript for certain stylistic improvements, the understanding being however, that such changes must have your final approval.

We shall have the book illustrated and shall bear all the expenses for same.

The retail selling price of the book will be determined once manufacture begins. Whatever it may be, you will receive a royalty of 10% of the retail price.

While we cannot promise a definite publication date, I am hopeful that we shall have the book published by March 1947.

Cordially yours,
Emanuel Green
BEHRMAN HOUSE, INC.


Haifa, 15. 12. 45.

Liebe Shula,

natürlich hattest du ein Recht darauf, eine Antwort von mir zu erwarten, aber dein Brief kam zu einer etwas ungünstigen Zeit. Aber es war zur Abwechslung wieder mal allerhand los. Zum Glück hatte es diesesmal mit dem Pneu nichts zu tun, doch habe ich es immerhin geschafft auf 57 kg. herunterzurutschen. Man hat mich daraufhin kurzerhand vor 5 Wochen ins Sanatorium verfrachtet, wo ich zwei Zwecken lebe: Gewicht ansetzen und weiter Material zu arbeiten. Ich habe jetzt 60 kg, worauf alle sehr stolz sind, und die Arbeit macht auch Fortschritte, wenn ich auch nur vormittags arbeiten kann. Nachmittags ist Liegekur. Kraftmäßig lebe ich noch etwas von der Hand in den Mund, aber es wird schon werden. Die Arbeit ist zu wichtig, als daß ich nachgeben könnte. Wenn ich bis März genügend Energie angesammelt habe, werde ich für den Keren ha’Kajemeth in die Schweiz gehen.

Dieses Leben am Rande der Energie und mit der äußersten Konzentration auf eine Arbeit, von der ich mir in jedem Sinne viel verspreche, macht es vielleicht zu einer egoistischen Haltung, wenn ich versuche, alles andere von mir abzuhalten. Du mußt es mir also verzeihen, wenn ich dir auf deinen ersten Brief noch nicht antworte, sondern erst einmal die sachlichen Dinge vorwegnehme, über die du mir jetzt geschrieben hast.

Was du von den Behrmann-Leuten schreibst, klingt eigentlich vielversprechend. Vielleicht kann man wirklich mit denen zu einem dauernden Kontakt kommen. Ich bin nun einmal an die europäischen Verhältnisse gewöhnt, daß man einen Verleger hat, der mit einem durch dick und dünn geht. Vielleicht kann man Behrmann dazu machen. Nun zu den Einzelheiten.

1) Michael. Natürlich habe ich die Übersetzung bekommen, aber da sie in einer Zeit kam, wo es mir nicht besonders ging, habe ich sie nicht ganz durchgelesen. Sobald ich wieder zuhause bin, werde ich das nachholen und dir meinen Kommentar geben. Da das Erscheinen für 1947 angesetzt ist, eilt es so sehr ja nicht damit. Die hebräische Fassung ist auch liegen geblieben. Ich kann sie aber jeden Tag verlegen. Nur im Moment ist es mir wichtiger, die Essays herauszubringen, deren hebräische Fassung ich beinahe fertig gestellt habe. Verkauft sind sie schon. (Sie werden hier übrigens auch auf Deutsch erscheinen.)

2) Geschichte. Natürlich bin ich sehr daran interessiert, daß das Buch wieder auf den Markt kommt. Es hat sich ja in Amerika sehr gut verkauft. So schwer es mir auch bei der Gebundenheit an den Stoff des neuen Buches fällt, wäre ich doch bereit, ein neues Schlußkapitel zu schreiben, um es up to date zu bringen. Das würde etwa zwei Monate Arbeit bedeuten. Da ist aber etwas, was mich erheblich stört: die jetzige englische Ausgabe ist nach der ersten deutschen Ausgabe gemacht. In der 4. Auflage habe ich aber eine wesentliche Änderung vorgenommen, die mit meinem Weggang aus Europa zusammenhing: ich habe die beiden Kapitel Jeshu von Nazareth und Schaul von Tarsus zusammengefaßt unter dem übergeordneten Begriff ‚Krise des Messianismus‘. Damit entfällt auch zugleich das wesentliche jener galuth-bedingten Aggressivität, die den beiden Kapiteln in der ursprünglichen Form anhaftete. Wenn es sich wirklich um eine revidierte Ausgabe handeln soll, so müßte sie nicht nur einen neuen Schluß, sondern auch diese wesentliche Änderung umfassen, die übrigens zugleich auch dem nicht-jüdischen Leser manches Unbehagen sparen würde, und diese Leser sind ja für dieses Buch nicht unwichtig. Behrmann sollte es also doch überlegen, ob es sich nicht lohnen würde, für dieses verhältnismäßig geringe Quantum des Buches den Satz neu anzufertigen. Das Buch würde dadurch wirklich ein anderes und vollkommeneres Gesicht bekommen. Vielleicht beeindruckt es Behrmanns, wenn du ihnen sagst, daß ich zur Zeit mit einem Verlag in Buenos Aires verhandle, (ohne mich bislang verpflichtet zu. haben) die Geschichte gemäß der 4. deutschen Auflage und mit einem entsprechenden Schlußkapitel neu herauszubringen. Mir wäre es natürlich lieber, wenn ich alles in einer Hand hätte.

3) Jeremias. Ich habe jetzt Aussicht, ein Expl. zu bekommen und werde es nach Erhalt umgehend abschicken.

4) On being a Jew. Hier Habe ich eine wesentliche Änderung vorgenommen: ich habe das 2. Kapitel, das etwas stark persönlich war, herausgenommen und durch ein etwas objektiveres ersetzt, das auch ein wenig kürzer ist. Ich werde es mir dieser Tage von zuhause holen und dir schicken. Ende des Monats erscheint es übrigens auf spanisch, herausgegeben vom Verein der Freunde der Universität Jerusalem in Venezuela.

5) Essays. Der deutsche Titel ist »Wege und Irrwege«, mit dem Untertitel: Drei Essays über die Kultur der Zeit. (Der hebräische Titel ist: Midoth w’arachim, = Masse und Werte.) Das erste über Zweig ist dir bekannt, das zweite ist betitelt: Das neue Pantheon, und behandelt die Frage, ob die neue jüdische Kultur eine kleine Inzucht-Angelegenheit zu bleiben gedenkt, oder ob sie wieder den Ehrgeiz entwickeln wird, ein Beitrag zur Weltkultur zu werden. Das dritte heißt: Die Verminderung der Größe, und befaßt sich mit dem Problem, ob die individuelle Kultur der Readers-Digest-Kultur geopfert werden darf. Künstlich verbinden lassen sich die drei Arbeiten nicht. So wie sie da sind, stellen sie nur ein kleines Bändchen dar, das zudem eine etwas anspruchsvolle Lektüre bedeutet. Ich habe mich mit Glatzer, der ja inzwischen Leiter des amerikanischen Schocken-Verlages geworden ist, deswegen in Verbindung gesetzt, habe aber noch keine Antwort. Natürlich kann so etwas kein best-seller werden. Es würde in eine Serie passen, die sich mit Kulturproblemen befaßt. Allerdings gäbe es die Möglichkeit, aus den Essays zusammen mit ‚Ketzer und Gläubige‘ einen kleinen Band zu machen, wobei man dann die Einleitung zu ‚Ketzer etc.‘ weglassen und dem letzten Kapitel: ‚Der Ketzer und der Gläubige von heute‘ einen viel generelleren Schluß geben müßte. Zu beidem wäre ich bereit. – Im Augenblick habe ich kein Expl. der beiden letzten Essays zur Hand. Aber du bekommst sie so bald als möglich.

Die Beträge, die von Behrmann eingehen, bitte ich dich, zunächst auf die Ausgaben zu verrechnen, die du für die Beschaffung der Einreiseerlaubnis verwendet hast. Was später mal darüber hinausgehen wird, wird sich schon unterbringen lassen.

Hier muß ich abbrechen. Der Medicus ist da und will mich aufpumpen. Das ist ein Shabbat-Vergnügen! Alles Gute, Shula!

Dein J.


Shulamith Kastein war in den späten 1960er oder den frühen 1970er Jahren in Kontakt zu dem bekannten Kinderbuch-Illustrator Fritz Siebel, eine mögliche Veröffentlichung des »Michael« bei HarperCollins betreffend. Dies war der letzte Versuch, das Manuskript zu publizieren.


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