Immanuel Kant
Kritik der reinen Vernunft - 1. Auflage
Immanuel Kant

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Nun sind wir nach den gemeinen Begriffen unserer Vernunft in Ansehung der Gemeinschaft, darin unser denkendes Subjekt mit den Dingen außer uns steht, dogmatisch und sehen diese als wahrhafte unabhängig von uns bestehende Gegenstände an, nach einem gewissen transzendentalen Dualism, der jene äußeren Erscheinungen nicht als Vorstellungen zum Subjekte zählt, sondern sie, so wie sinnliche Anschauung sie uns liefert, außer uns als Objekte versetzt und sie von dem denkenden Subjekte gänzlich abtrennt. Diese Subreption ist nun die Grundlage aller Theorien über die Gemeinschaft zwischen Seele und Körper, und es wird niemals gefragt: ob denn diese objektive Realität der Erscheinungen so ganz richtig sei, sondern diese wird als zugestanden vorausgesetzt und nur über die Art vernünftelt, wie sie erklärt und begriffen werden müsse. Die gewöhnlichen drei hierüber erdachten und wirklich einzig möglichen Systeme sind die, des physischen Einflusses, der vorher bestimmten Harmonie und der übernatürlichen Assistenz.

Die zwei letzteren Erklärungsarten der Gemeinschaft der Seele mit der Materie sind auf Einwürfe gegen die erstere, welche die Vorstellung des gemeinen Verstandes ist, gegründet, daß nämlich dasjenige, was als Materie erscheint, durch seinen unmittelbaren Einfluß nicht die Ursache von Vorstellungen, als einer ganz heterogenen Art von Wirkungen, sein könne. Sie können aber alsdann mit dem, was sie unter dem Gegenstande äußerer Sinne verstehen, nicht den Begriff einer Materie verbinden, welche nichts als Erscheinung, mithin schon an sich selbst bloße Vorstellung, die durch irgendwelche äußeren Gegenstände gewirkt worden, denn sonst würden sie sagen; daß die Vorstellungen äußerer Gegenstände (die Erscheinungen) nicht äußere Ursachen der Vorstellungen in unserem Gemüte sein können, welches ein ganz sinnleerer Einwurf sein würde, weil es niemanden einfallen wird, das, was er einmal als bloße Vorstellung anerkannt hat, für eine äußere Ursache zu halten. Sie müssen also nach unseren Grundsätzen ihre Theorie darauf richten: daß dasjenige, was der wahre (transzendentale) Gegenstand unsrer äußeren Sinne ist, nicht die Ursache derjenigen Vorstellungen (Erscheinungen) sein könne, die wir unter dem Namen Materie verstehen. Da nun niemand mit Grund vorgeben kann, etwas von der transzendentalen Ursache unserer Vorstellungen äußerer Sinne zu kennen, so ist ihre Behauptung ganz grundlos. Wollten aber die vermeinten Verbesserer der Lehre vom physischen Einflusse, nach der gemeinen Vorstellungsart eines transzendentalen Dualism, die Materie, als solche, für ein Ding an sich selbst (und nicht als bloße Erscheinung eines unbekannten Dinges) ansehen und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: daß ein solcher äußerer Gegenstand, welcher keine andere Kausalität als die der Bewegungen an sich zeigt, nimmermehr die wirkende Ursache von Vorstellungen sein könne, sondern daß sich ein drittes Wesen deshalb ins Mittel schlagen müsse, um, wo nicht Wechselwirkung, doch wenigstens Korrespondenz und Harmonie zwischen beiden zu stiften: so würden sie ihre Widerlegung davon anfangen, das πρω̃τον ψευ̃δος des physischen Einflusses in ihrem Dualismus anzunehmen, und also durch ihren Einwurf nicht sowohl den natürlichen Einfluß, sondern ihre eigene dualistische Voraussetzung widerlegen. Denn alle Schwierigkeiten, welche die Verbindung der denkenden Natur mit der Materie treffen, entspringen ohne Ausnahme lediglich aus jener erschlichenen dualistischen Vorstellung: daß Materie, als solche, nicht Erscheinung, d. i. bloße Vorstellung des Gemüts, der ein unbekannter Gegenstand entspricht, sondern der Gegenstand an sich selbst sei, so wie er außer uns und unabhängig von aller Sinnlichkeit existiert.

Es kann also wider den gemein angenommenen physischen Einfluß kein dogmatischer Einwurf gemacht werden. Denn nimmt der Gegner an: daß Materie und ihre Bewegung bloße Erscheinungen und also selbst nur Vorstellungen seien, so kann er nur darin die Schwierigkeit setzen: daß der unbekannte Gegenstand unserer Sinnlichkeit nicht die Ursache der Vorstellungen in uns sein könne, welches aber vorzugeben ihn nicht das mindeste berechtigt, weil niemand von einem unbekannten Gegenstande ausmachen kann, was er tun oder nicht tun könne. Er muß aber, nach unseren obigen Beweisen, diesen transzendentalen Idealism notwendig einräumen, wofern er nicht offenbar Vorstellungen hypostasieren und sie, als wahre Dinge, außer sich versetzen will.

Gleichwohl kann wider die gemeine Lehrmeinung des physischen Einflusses ein gegründeter kritischer Einwurf gemacht werden. Eine solche vorgegebene Gemeinschaft zwischen zwei Arten von Substanzen, der denkenden und der ausgedehnten, legt einen groben Dualism zum Grunde und macht die letztere, die doch nichts als bloße Vorstellungen des denkenden Subjekts sind, zu Dingen, die für sich bestehen. Also kann der mißverstandene physische Einfluß dadurch völlig vereitelt werden, daß man den Beweisgrund desselben als nichtig und erschlichen aufdeckt.

Die berüchtigte Frage, wegen der Gemeinschaft des Denkenden und Ausgedehnten, würde also, wenn man alles Eingebildete absondert, lediglich darauf hinauslaufen: wie in einem denkenden Subjekt überhaupt, äußere Anschauung, nämlich die des Raumes (einer Erfüllung desselben Gestalt und Bewegung) möglich sei. Auf diese Frage aber ist es keinem Menschen möglich, eine Antwort zu finden, und man kann diese Lücke unseres Wissens niemals ausfüllen, sondern nur dadurch bezeichnen, daß man die äußeren Erscheinungen einem transzendentalen Gegenstande zuschreibt, welcher die Ursache dieser Art Vorstellungen ist, den wir aber gar nicht kennen, noch jemals einigen Begriff von ihm bekommen werden. In allen Aufgaben, die im Felde der Erfahrung vorkommen mögen, behandeln wir jene Erscheinungen als Gegenstände an sich selbst, ohne uns um den ersten Grund ihrer Möglichkeit (als Erscheinungen) zu bekümmern. Gehen wir aber über deren Grenze hinaus, so wird der Begriff eines transzendentalen Gegenstandes notwendig.

Von diesen Erinnerungen, über die Gemeinschaft zwischen dem denkenden und den ausgedehnten Wesen, ist die Entscheidung aller Streitigkeiten oder Einwürfe, welche den Zustand der denkenden Natur vor dieser Gemeinschaft (dem Leben), oder nach aufgehobener solchen Gemeinschaft (im Tode) betreffen, eine unmittelbare Folge. Die Meinung, daß das denkende Subjekt vor aller Gemeinschaft mit Körpern habe denken können, würde sich so ausdrücken: daß vor dem Anfange dieser Art der Sinnlichkeit, wodurch uns etwas im Raume erscheint, dieselben transzendentalen Gegenstände, welche im gegenwärtigen Zustande als Körper erscheinen, auf ganz andere Art haben angeschaut werden können. Die Meinung aber, daß die Seele, nach Aufhebung aller Gemeinschaft mit der körperlichen Welt, noch fortfahren könne zu denken, würde sich in dieser Form ankündigen: daß, wenn die Art der Sinnlichkeit, wodurch uns transzendentale und für jetzt ganz unbekannte Gegenstände als materielle Welt erscheinen, aufhören sollte: so sei darum noch nicht alle Anschauung derselben aufgehoben und es sei ganz wohl möglich, daß ebendieselben unbekannten Gegenstände fortführen, obzwar freilich nicht mehr in der Qualität der Körper, von dem denkenden Subjekt erkannt zu werden.

Nun kann zwar niemand den mindesten Grund zu einer solchen Behauptung aus spekulativen Prinzipien anführen, ja nicht einmal die Möglichkeit davon dartun, sondern nur voraussetzen; aber ebensowenig kann auch jemand irgendeinen gültigen dogmatischen Einwurf dagegen machen. Denn, wer er auch sei, so weiß er ebensowenig von der absoluten und inneren Ursache äußerer und körperlicher Erscheinungen, wie ich, oder jemand anders. Er kann also auch nicht mit Grund vorgeben, zu wissen, worauf die Wirklichkeit der äußeren Erscheinungen im jetzigen Zustande (im Leben) beruhe, mithin auch nicht: daß die Bedingung aller äußeren Anschauung, oder auch das denkende Subjekt selbst, nach demselben (im Tode) aufhören werde.

So ist denn also aller Streit über die Natur unseres denkenden Wesens und der Verknüpfung desselben mit der Körperwelt lediglich eine Folge davon, daß man in Ansehung dessen, wovon man nichts weiß, die Lücke durch Paralogismen der Vernunft ausfüllt, da man seine Gedanken zu Sachen macht und sie hypostasiert, woraus eingebildete Wissenschaft, sowohl in Ansehung dessen, der bejahend, als dessen, der verneinend behauptet, entspringt, indem ein jeder entweder von Gegenständen etwas zu wissen vermeint, davon kein Mensch einigen Begriff hat, oder seine eigenen Vorstellungen zu Gegenständen macht, und sich so in einem ewigen Zirkel von Zweideutigkeiten und Widersprüchen herumdreht. Nichts, als die Nüchternheit einer strengen, aber gerechten Kritik, kann von diesem dogmatischen Blendwerke, der so viele durch eingebildete Glückseligkeit, unter Theorien und Systemen hinhält, befreien, und alle unsere spekulativen Ansprüche bloß auf das Feld möglicher Erfahrung einschränken, nicht etwa durch schalen Spott über so oft fehlgeschlagene Versuche, oder fromme Seufzer über die Schranken unserer Vernunft, sondern vermittels einer nach sicheren Grundsätzen vollzogenen Grenzbestimmung derselben, welche ihr nihil ulterius mit größter Zuverlässigkeit an die herkulischen Säulen heftet, die die Natur selbst aufgestellt hat, um die Fahrt unserer Vernunft nur so weit, als die stetig fortlaufenden Küsten der Erfahrung reichen, fortzusetzen, die wir nicht verlassen können, ohne uns auf einen uferlosen Ozean zu wagen, der uns unter immer trüglichen Aussichten, am Ende nötigt, alle beschwerliche und langwierige Bemühung, als hoffnungslos aufzugeben.

Wir sind noch eine deutliche und allgemeine Erörterung des transzendentalen und doch natürlichen Scheins in den Paralogismen der reinen Vernunft, imgleichen die Rechtfertigung der systematischen und der Tafel der Kategorien parallel laufenden Anordnungen derselben, bisher schuldig geblieben. Wir hätten sie im Anfange dieses Abschnittes nicht übernehmen können, ohne in Gefahr der Dunkelheit zu geraten, oder uns unschicklicherweise selbst vorzugreifen. Jetzt wollen wir diese Obliegenheit zu erfüllen suchen.

Man kann allen Schein darin setzen. daß die subjektive Bedingung des Denkens für die Erkenntnis des Objekts gehalten wird. Ferner haben wir in der Einleitung in die transzendentale Dialektik gezeigt: daß reine Vernunft sich lediglich mit der Totalität der Synthesis der Bedingungen, zu einem gegebenen Bedingten, beschäftige. Da nun der dialektische Schein der reinen Vernunft kein empirischer Schein sein kann, der sich beim bestimmten empirischen Erkenntnisse vorfindet: so wird er das Allgemeine der Bedingungen des Denkens betreffen, und es wird nur drei Fälle des dialektischen Gebrauches der reinen Vernunft geben:

  1. Die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens überhaupt.
  2. Die Synthesis der Bedingungen des empirischen Denkens.
  3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens.

In allen diesen dreien Fällen beschäftigt sich die reine Vernunft bloß mit der absoluten Totalität dieser Synthesis, d. i. mit derjenigen Bedingung, die selbst unbedingt ist. Auf diese Einteilung gründet sich auch der dreifache transzendentale Schein, der zu drei Abschnitten der Dialektik Anlaß gibt, und zu ebensoviel scheinbaren Wissenschaften aus reiner Vernunft, der transzendentalen Psychologie, Kosmologie und Theologie, die Idee an die Hand gibt. Wir haben es hier nur mit der ersteren zu tun.


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