Immanuel Kant
Kritik der reinen Vernunft - 1. Auflage
Immanuel Kant

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Dritter Paralogism der Personalität

Was sich der numerischen Identität seiner Selbst in verschiedenen Zeiten bewußt ist, ist sofern eine Person:

Nun ist die Seele usw.

Also sie ist eine Person.

Kritik des dritten Paralogisms der transzendentalen Psychologie

Wenn ich die numerische Identität eines äußeren Gegenstandes durch Erfahrung erkennen will, so werde ich auf das Beharrliche derjenigen Erscheinung, worauf, als Subjekt, sich alles übrige als Bestimmung bezieht, achthaben und die Identität von jenem in der Zeit, da dieses wechselt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenstand des inneren Sinnes und alle Zeit ist bloß die Form des inneren Sinnes. Folglich beziehe ich alle und jede meiner sukzessiven Bestimmungen auf das numerisch-identische Selbst, in aller Zeit, d. i. in der Form der inneren Anschauung meiner selbst. Auf diesen Fuß müßte die Persönlichkeit der Seele nicht einmal als geschlossen, sondern als ein völlig identischer Satz des Selbstbewußtseins in der Zeit angesehen werden, und das ist auch die Ursache, weswegen er a priori gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr, als in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt, und es ist einerlei, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in Mir, als individueller Einheit, oder ich bin, mit numerischer Identität, in aller dieser Zeit befindlich.

Die Identität der Person ist also in meinem eigenen Bewußtsein unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte eines andern (als Gegenstand seiner äußeren Anschauung) betrachte, so erwägt dieser äußere Beobachter mich allererst in der Zeit, denn in der Apperzeption ist die Zeit eigentlich nur in mir vorgestellt. Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit in meinem Bewußtsein, und zwar mit völliger Identität, begleitet, ob er es gleich einräumt, doch noch nicht auf die objektive Beharrlichkeit meiner selbst schließen. Denn da alsdann die Zeit, in welche der Beobachter mich setzt, nicht diejenige ist, die in meiner eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist die Identität, die mit meinem Bewußtsein notwendig verbunden ist, nicht darum mit dem seinigen, d. i. mit der äußeren Anschauung meines Subjekts verbunden.

Es ist also die Identität des Bewußtseins Meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine normale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweist aber gar nicht die numerische Identität meines Subjekts, in welchem, ohnerachtet der logischen Identität des Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen sein kann, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beizubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzuteilen, welches in jedem andern Zustande, selbst der Umwandlung des Subjekts, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subjekts aufbehalten und so auch dem folgenden überliefern könnteEine elastische Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung stößt, teilt dieser ihre ganze Bewegung, mithin ihren ganzen Zustand (wenn man bloß auf die Stellen im Raume sieht) mit. Nehmt nun, nach der Analogie mit dergleichen Körpern, Substanzen an, deren die eine der andere Vorstellungen, samt deren Bewußtsein einflößte, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewußtsein, der zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der dritten und diese ebenso die Zustände aller vorigen, samt ihrem eigenen und deren Bewußtsein, mitteilte. Die letzte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewußt sein, weil jene zusamt dem Bewußtsein in sie übertragen worden, und demunerachtet, würde sie doch nicht ebendieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen sein. .

Wenngleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles fließend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend sei, nicht stattfinden kann, sobald man Substanzen annimmt, so ist er doch nicht durch die Einheit des Selbstbewußtseins widerlegt. Denn wir selbst können aus unserem Bewußtsein darüber nicht urteilen, ob wir als Seele beharrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasjenige zählen, dessen wir uns bewußt sind, und so allerdings notwendig urteilen müssen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewußt sind, ebendieselbe sind. In dem Standpunkte eines Fremden aber können wir dieses darum noch nicht für gültig erklären, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen, als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknüpft, so können wir niemals ausmachen, ob dieses Ich (ein bloßer Gedanke) nicht ebensowohl fließe, als die übrigen Gedanken, die dadurch aneinander gekettet werden.

Es ist aber merkwürdig, daß die Persönlichkeit und deren Voraussetzung, die Beharrlichkeit, mithin die Substanzialität der Seele jetzt allererst bewiesen werden muß. Denn könnten wir diese voraussetzen, so würde zwar daraus noch nicht die Fortdauer des Bewußtseins, aber doch die Möglichkeit eines fortwährenden Bewußtseins in einem bleibenden Subjekt folgen, welches zu der Persönlichkeit schon hinreichend ist, die dadurch, daß ihre Wirkung etwa eine Zeit hindurch unterbrochen wird, selbst nicht sofort aufhört. Aber diese Beharrlichkeit ist uns vor der numerischen Identität unserer Selbst, die wir aus der identischen Apperzeption folgern, durch nichts gegeben, sondern wird daraus allererst gefolgert, (und auf diese müßte, wenn es recht zuginge, allererst der Begriff der Substanz folgen, der allein empirisch brauchbar ist.) Da nun diese Identität der Person aus der Identität des Ich, in dem Bewußtsein aller Zeit, darin ich mich erkenne, keineswegs folgt: so hat auch oben die Substanzialität der Seele darauf nicht gegründet werden können.

Indessen kann, so wie der Begriff der Substanz und des Einfachen, ebenso auch der Begriff der Persönlichkeit (sofern er bloß transzendental ist, d. i. Einheit des Subjekts, das uns übrigens unbekannt ist, in dessen Bestimmungen aber eine durchgängige Verknüpfung durch Apperzeption ist) bleiben, und sofern ist dieser Begriff auch zum praktischen Gebrauche nötig und hinreichend, aber auf ihn, als Erweiterung unserer Selbsterkenntnis durch reine Vernunft, welche uns eine ununterbrochene Fortdauer des Subjekts aus dem bloßen Begriffe des identischen Selbst vorspiegelt, können wir nimmermehr Staat machen, da dieser Begriff sich immer um sich selbst herumdreht, und uns in Ansehung keiner einzigen Frage, welche auf synthetische Erkenntnis angelegt ist, weiterbringt. Was Materie für ein Ding an sich selbst (transzendentales Objekt) sei, ist uns zwar gänzlich unbekannt; gleichwohl kann doch die Beharrlichkeit derselben als Erscheinung, dieweil sie als etwas Äußerliches vorgestellt wird, beobachtet werden. Da ich aber, wenn ich das bloße Ich bei dem Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, kein ander Korrelatum meiner Vergleichungen habe, als wiederum Mich selbst, mit den allgemeinen Bedingungen meines Bewußtseins, so kann ich keine andere, als tautologische Beantwortungen auf alle Fragen geben, indem ich nämlich meinen Begriff und dessen Einheit den Eigenschaften, die mir selbst als Objekt zukommen, unterschiebe, und das voraussetze, was man zu wissen verlangte.


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