Immanuel Kant
Kritik der reinen Vernunft - 1. Auflage
Immanuel Kant

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Zweiter Paralogism der Simplizität

Dasjenige Ding, dessen Handlung niemals als die Konkurrenz vieler handelnden Dinge angesehen werden kann, ist einfach.

Nun ist die Seele, oder das denkende Ich, ein solches: Also usw.

Kritik des zweiten Paralogisms der transzendentalen Psychologie

Dies ist der Achilles aller dialektischen Schlüsse der reinen Seelenlehre, nicht etwa bloß ein sophistisches Spiel, welches ein Dogmatiker erkünstelt, um seinen Behauptungen einen flüchtigen Schein zu geben, sondern ein Schluß, der sogar die schärfste Prüfung und die größte Bedenklichkeit des Nachforschens auszuhalten scheint. Hier ist er.

Eine jede zusammengesetzte Substanz ist ein Aggregat vieler, und die Handlung eines Zusammengesetzten, oder das, was ihm, als einem solchen, inhäriert, ist ein Aggregat vieler Handlungen oder Akzidenzen, welche unter der Menge der Substanzen verteilt sind. Nun ist zwar eine Wirkung, die aus der Konkurrenz vieler handelnden Substanzen entspringt, möglich, wenn diese Wirkung bloß äußerlich ist (wie z. B. die Bewegung eines Körpers die vereinigte Bewegung aller seiner Teile ist). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Wesen gehörigen Akzidenzen, ist es anders beschaffen. Denn, setzt, das Zusammengesetzte dächte: so würde ein jeder Teil desselben einen Teil des Gedankens, alle aber zusammengenommen allererst den ganzen Gedanken enthalten. Nun ist dieses aber widersprechend. Denn, weil die Vorstellungen, die unter verschiedenen Wesen verteilt sind, (z. B. die einzelnen Wörter eines Verses) niemals einen ganzen Gedanken (einen Vers) ausmachen: so kann der Gedanke nicht einem Zusammengesetzten, als einem solchen, inhärieren. Er ist also nur in einer Substanz möglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin schlechterdings einfach istEs ist sehr leicht, diesem Beweise die gewöhnliche schulgerechte Abgemessenheit der Einkleidung zu geben. Allein, es ist zu meinem Zwecke schon hinreichend, den bloßen Beweisgrund, allenfalls auf populäre Art, vor Augen zu legen. .

Der sogenannte nervus probandi dieses Argumente liegt in dem Satze: daß viele Vorstellungen in der absoluten Einheit des denkenden Subjekts enthalten sein müssen, um einen Gedanken auszumachen. Diesen Satz aber kann niemand aus Begriffen beweisen. Denn, wie wollte er es wohl anfangen, um dies zu leisten? Der Satz: Ein Gedanke kann nur die Wirkung der absoluten Einheit des denkenden Wesens sein, kann nicht als analytisch behandelt werden. Denn die Einheit des Gedankens, der aus vielen Vorstellungen besteht, ist kollektiv und kann sich, den bloßen Begriffen nach, ebensowohl auf die kollektive Einheit der daran mitwirkenden Substanzen beziehen, (wie die Bewegung eines Körpers die zusammengesetzte Bewegung aller Teile desselben ist) als auf die absolute Einheit des Subjekts. Nach der Regel der Identität kann also die Notwendigkeit der Voraussetzung einer einfachen Substanz, bei einem zusammengesetzten Gedanken, nicht eingesehen werden. Daß aber ebenderselbe Satz synthetisch und völlig a priori aus lauter Begriffen erkannt werden solle, das wird sich niemand zu verantworten getrauen, der den Grund der Möglichkeit synthetischer Sätze a priori, so wie wir ihn oben dargestellt haben, einsieht.

Nun ist es aber auch unmöglich, diese notwendige Einheit des Subjekts, als die Bedingung der Möglichkeit eines jeden Gedankens, aus der Erfahrung abzuleiten. Denn diese gibt keine Notwendigkeit zu erkennen, geschweige, daß der Begriff der absoluten Einheit weit über ihre Sphäre ist. Woher nehmen wir denn diesen Satz, worauf sich der ganze psychologische Vernunftschluß stützt?

Es ist offenbar: daß, wenn man sich ein denkend Wesen vorstellen will, man sich selbst an seine Stelle setzen, und also dem Objekte, welches man erwägen wollte, sein eigenes Subjekt unterschieben müsse, (welches in keiner anderen Art der Nachforschung der Fall ist) und daß wir nur darum absolute Einheit des Subjekts zu einem Gedanken erfordern, weil sonst nicht gesagt werden könnte: Ich denke (das Mannigfaltige in einer Vorstellung). Denn obgleich das Ganze des Gedankens geteilt und unter viele Subjekte verteilt werden könnte, so kann doch das subjektive Ich nicht geteilt und verteilt werden, und dieses setzen wir doch bei allem Denken voraus.

Also bleibt ebenso hier, wie in dem vorigen Paralogism, der formale Satz der Apperzeption: Ich denke, der ganze Grund, auf welchen die rationale Psychologie die Erweiterung ihrer Erkenntnisse wagt, welcher Satz zwar freilich keine Erfahrung ist, sondern die Form der Apperzeption, die jeder Erfahrung anhängt und ihr vorgeht, gleichwohl aber nur immer in Ansehung einer möglichen Erkenntnis überhaupt, als bloß subjektive Bedingung derselben, angesehen werden muß, die wir mit Unrecht zur Bedingung der Möglichkeit einer Erkenntnis der Gegenstände, nämlich zu einem Begriffe vom denkenden Wesen überhaupt machen, weil wir dieses uns nicht vorstellen können, ohne uns selbst mit der Formel unseres Bewußtseins an die Stelle jedes anderen intelligenten Wesens zu setzen.

Aber die Einfachheit meiner selbst (als Seele) wird auch wirklich nicht aus dem Satze: Ich denke, geschlossen, sondern der erstere liegt schon in jedem Gedanken selbst. Der Satz: Ich bin einfach, muß als ein unmittelbarer Ausdruck der Apperzeption angesehen werden, so wie der vermeintliche kartesianische Schluß, cogito, ergo sum, in der Tat tautologisch ist, indem das cogito (sum cogitans) die Wirklichkeit unmittelbar aussagt. Ich bin einfach, bedeutet aber nichts mehr, als daß diese Vorstellung: Ich, nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich lasse, und daß sie absolute (obzwar bloß logische) Einheit sei.

Also ist der so berühmte psychologische Beweis lediglich auf der unteilbaren Einheit einer Vorstellung, die nur das Verbum in Ansehung einer Person dirigiert, gegründet. Es ist aber offenbar: daß das Subjekt der Inhärenz durch das dem Gedanken angehängte Ich nur transzendental bezeichnet werde, ohne die mindeste Eigenschaft desselben zu bemerken, oder überhaupt etwas von ihm zu kennen, oder zu wissen. Es bedeutet ein Etwas überhaupt (transzendentales Subjekt), dessen Vorstellung allerdings einfach sein muß, eben darum, weil man gar nichts an ihm bestimmt, wie denn gewiß nichts einfacher vorgestellt werden kann, als durch den Begriff von einem bloßen Etwas. Die Einfachheit aber der Vorstellung von einem Subjekt ist darum nicht eine Erkenntnis von der Einfachheit des Subjekts selbst, denn von dessen Eigenschaften wird gänzlich abstrahiert, wenn es lediglich durch den an Inhalt gänzlich leeren Ausdruck Ich, (welchen ich auf jedes denkende Subjekt anwenden kann), bezeichnet wird.

Soviel ist gewiß: daß ich mir durch das Ich jederzeit eine absolute, aber logische Einheit des Subjekts (Einfachheit) gedenke, aber nicht, daß ich dadurch die wirkliche Einfachheit meines Subjekts erkenne. So wie der Satz: ich bin Substanz, nichts als die reine Kategorie bedeutete, von der ich in concreto keinen Gebrauch (empirischen) machen kann: so ist es mir auch erlaubt zu sagen: Ich bin eine einfache Substanz, d. i. deren Vorstellung niemals eine Synthesis des Mannigfaltigen enthält, aber dieser Begriff, oder auch dieser Satz, lehrt uns nicht das mindeste in Ansehung meiner selbst als eines Gegenstandes der Erfahrung, weil der Begriff der Substanz selbst nur als Funktion der Synthesis, ohne unterlegte Anschauung, mithin ohne Objekt gebraucht wird, und nur von der Bedingung unserer Erkenntnis, aber nicht von irgendeinem anzugebenden Gegenstande gilt. Wir wollen über die vermeintliche Brauchbarkeit dieses Satzes einen Versuch anstellen.

Jedermann muß gestehen: daß die Behauptung von der einfachen Natur der Seele nur sofern von einigem Werte sei, als ich dadurch dieses Subjekt von aller Materie zu unterscheiden und sie folglich von der Hinfälligkeit ausnehmen kann, der diese jederzeit unterworfen ist. Auf diesen Gebrauch ist obiger Satz auch ganz eigentlich angelegt, daher er auch mehrerenteils so ausgedrückt wird: die Seele ist nicht körperlich. Wenn ich nun zeigen kann: daß, ob man gleich diesem Kardinalsatze der rationalen Seelenlehre, in der reinen Bedeutung eines bloßen Vernunftsurteils, (aus reinen Kategorien), alle objektive Gültigkeit einräumt, (alles, was denkt, ist einfache Substanz), dennoch nicht der mindeste Gebrauch von diesem Satze, in Ansehung der Ungleichartigkeit, oder Verwandtschaft derselben mit der Materie, gemacht werden könne: so wird dieses ebensoviel sein, als ob ich diese vermeintliche psychologische Einsicht in das Feld bloßer Ideen verwiesen hätte, denen es an Realität des objektiven Gebrauchs mangelt.

Wir haben in der transzendentalen Ästhetik unleugbar bewiesen: daß Körper bloße Erscheinungen unseres äußeren Sinnes, und nicht Dinge an sich selbst sind. Diesem gemäß können wir mit Recht sagen: daß unser denkendes Subjekt nicht körperlich sei, das heißt: daß, da es als Gegenstand des inneren Sinnes von uns vorgestellt wird, es, insofern als es denkt, kein Gegenstand äußerer Sinne, d. i. keine Erscheinung im Raume sein könne. Dieses will nun so viel sagen: es können uns niemals unter äußeren Erscheinungen denkende Wesen, als solche, vorkommen, oder, wir können ihre Gedanken, ihr Bewußtsein, ihre Begierden usw. nicht äußerlich anschauen; denn dieses gehört alles vor den inneren Sinn. In der Tat scheint dieses Argument auch das natürliche und populäre, worauf selbst der gemeinste Verstand von jeher gefallen zu sein scheint, und dadurch schon sehr früh Seelen, als von den Körpern ganz unterschiedene Wesen, zu betrachten angefangen hat.

Ob nun aber gleich die Ausdehnung, die Undurchdringlichkeit, Zusammenhang und Bewegung, kurz alles, was uns äußere Sinne nur liefern können, nicht Gedanken, Gefühl, Neigung oder Entschließung sein, oder solche enthalten werden, als die überall keine Gegenstände äußerer Anschauung sind, so konnte doch wohl dasjenige Etwas, welches den äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt, was unseren Sinn so affiziert, daß er die Vorstellungen von Raum, Materie, Gestalt usw. bekommt, dieses Etwas, als Noumenon (oder besser, als transzendentaler Gegenstand) betrachtet, könnte doch auch zugleich das Subjekt der Gedanken sein, wiewohl wir durch die Art, wie unser äußerer Sinn dadurch affiziert wird, keine Anschauung von Vorstellungen, Willen usw., sondern bloß vom Raum und dessen Bestimmungen bekommen. Dieses Etwas aber ist nicht ausgedehnt, nicht undurchdringlich, nicht zusammengesetzt, weil alle diese Prädikate nur die Sinnlichkeit und deren Anschauung angehen, sofern wir von dergleichen (uns übrigens unbekannten) Objekten affiziert werden. Diese Ausdrücke aber geben gar nicht zu erkennen, was für ein Gegenstand es sei, sondern nur: daß ihm, als einem solchen, der ohne Beziehung auf äußere Sinne an sich selbst betrachtet wird, diese Prädikate äußerer Erscheinungen nicht beigelegt werden können. Allein die Prädikate des innern Sinnes, Vorstellungen und Denken, widersprechen ihm nicht. Demnach ist selbst durch die eingeräumte Einfachheit der Natur die menschliche Seele von der Materie, wenn man sie (wie man soll) bloß als Erscheinung betrachtet, in Ansehung des Substrati derselben gar nicht hinreichend unterschieden.

Wäre Materie ein Ding an sich selbst, so würde sie als ein zusammengesetztes Wesen von der Seele, als einem einfachen, sich ganz und gar unterscheiden. Nun ist sie aber bloß äußere Erscheinung, deren Substratum durch gar keine anzugebende Prädikate erkannt wird; mithin kann ich von diesem wohl annehmen, daß es an sich einfach sei, ob es zwar in der Art, wie es unsere Sinne affiziert, in uns die Anschauung des Ausgedehnten und mithin Zusammengesetzten hervorbringt, und daß also der Substanz, der in Ansehung unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden können. Auf solche Weise würde ebendasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer andere zugleich ein denkend Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung, anschauen können. Dadurch würde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken; es würde vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken, d. i. ebendasselbe, was, als äußere Erscheinung, ausgedehnt ist, innerlich (an sich selbst) ein Subjekt sei, was nicht zusammengesetzt, sondern einfach ist und denkt.

Aber, ohne dergleichen Hypothesen zu erlauben, kann man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein denkend Wesen an sich verstehe, die Frage an sich schon unschicklich sei: ob sie nämlich mit der Materie (die gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Art Vorstellungen in uns ist) von gleicher Art sei, oder nicht, denn das versteht sich schon von selbst, daß ein Ding an sich selbst von anderer Natur sei, als die Bestimmungen, die bloß seinen Zustand ausmachen.

Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der Materie, sondern mit dem Intelligiblen, welches der äußeren Erscheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde liegt: so können wir, weil wir vom letzteren gar nichts wissen, auch nicht sagen: daß die Seele sich von diesem irgend worin innerlich unterscheide.

So ist demnach das einfache Bewußtsein keine Kenntnis der einfachen Natur unseres Subjekts, insofern, als dieses dadurch von der Materie, als einem zusammengesetzten Wesen, unterschieden werden soll.

Wenn dieser Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in dem einzigen Falle, da er brauchbar ist, nämlich in der Vergleichung meiner selbst mit Gegenständen äußerer Erfahrung, das Eigentümliche und Unterscheidende seiner Natur zu bestimmen, so mag man immer zu wissen vorgeben: das denkende Ich, die Seele, (ein Name für den transzendentalen Gegenstand des inneren Sinnes) sei einfach; dieser Ausdruck hat deshalb doch gar keinen auf wirkliche Gegenstände sich erstreckenden Gebrauch und kann daher unsere Erkenntnis nicht im mindesten erweitern.

So fällt demnach die ganze rationale Psychologie mit ihrer Hauptstütze, und wir können so wenig hier, wie sonst jemals, hoffen, durch bloße Begriffe, (noch weniger aber durch die bloße subjektive Form aller unserer Begriffe, das Bewußtsein,) ohne Beziehung auf mögliche Erfahrung, Einsichten auszubreiten, zumalen, da selbst der Fundamentalbegriff einer einfachen Natur von der Art ist, daß er überall in keiner Erfahrung angetroffen werden kann, und es mithin gar keinen Weg gibt, zu demselben, als einem objektivgültigen Begriffe, zu gelangen.


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