Ludwig Kalisch
Paris und London
Ludwig Kalisch

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Der Empfang des kaiserlich-königlich österreichischen Feldzeugmeisters Haynau in London

Die Bierbrauerei der Herren Barklay, Perkins u. Comp. läßt sich mit keinem andern Etablissement der Welt vergleichen. Sie ist einzig in ihrer Art, und was man dort sieht, ist so riesenhaft, daß man durch ein Vergrößerungsglas zu sehen glaubt.

In dieser Brauerei sind die Katzen so groß wie die Hunde, die Hunde so groß wie kleine Pferde, die Pferde so groß wie Elefanten und die Menschen so stark wie Nibelungenrecken.

Ich werde mich wohl hüten, diese Anstalt genau zu beschreiben; denn je genauer ich sie beschriebe, desto eher würde mich jeder Leser für einen Aufschneider halten. Wer würde mir glauben, wenn ich sagte, daß in dieser Anstalt Fässer sind, deren Inhalt nicht weniger als zehntausend Zentner wiegt? Wer würde es nicht für eine elende Münchhausiade halten, wenn ich behauptete, daß man mit dem hier vorrätig liegenden Biere alle stehenden Heere Europas (die bayerische Armee mitgerechnet) betrunken machen könnte? Wer würde nicht zweifelnd den Kopf schütteln, wenn ich versicherte, daß in der Bierbrauerei von Barklay und Perkins Fässer stehen, in denen der deutsche Bund in corpore über Deutschlands Wohl beraten könnte, wenn er es einmal müde ist, über Deutschlands Wehe zu beraten? Oder 288 wer würde nicht ungläubig lächeln, wenn ich beteuerte, daß der Betrag der Malzsteuer, welche die Firma Barklay, Perkins u. Comp. alljährlich dem Staate zahlt, gerade sechsmal soviel beträgt als die Summe des in Wien zirkulierenden baren Geldes? Und doch ist dies alles buchstäblich wahr; und ebenso buchstäblich wahr ist es, daß in dem Etablissement der Herren Barklay, Perkins u. Comp. fast ebensoviel Bier als in Deutschland Tinte gebraut wird. Der Unterschied besteht nur darin, daß das Gebräu der Firma Barklay, Perkins u. Comp. größtenteils exportiert wird, während die deutsche Tinte nicht ganz für den Bedarf unseres Vaterlands ausreicht, so daß mancher deutsche Diplomat seine Tinte von Rußland beziehen muß.

Doch kommen wir wieder auf die Fässer zurück!

Als ich auf einem jener Riesenfässer mit einem Engländer spazierenging, sagte er mir mit dem ganzen Stolze eines Engländers: »Ihr Deutschen tut euch soviel zugut auf euer Heidelberger Faß; nun, Sie befinden sich auf dem Deckel eines Fasses, das zwar bei weitem noch nicht zu den größten Fässern in dieser Brauerei gehört; aber dennoch könnte in diesem Fasse Ihr Heidelberger Weltwunder und der Rector magnificus der dortigen Universität ganz bequem herumschwimmen.«

Ich schlug beschämt die Augen nieder, so beschämt, wie sie der Deutsche oft niederschlagen muß, wenn er sich im Auslande befindet, wo man unserer Größen spottet und vor unseren philosophischen Talenten gar keinen Respekt hat. Aber bald verwandelte sich mein Schamgefühl in bitteren Groll, und ich sagte ihm, daß das Heidelberger Faß das einzig Große sei, das ein deutscher Fürst dem deutschen Vaterlande und der deutschen Poesie hinterlassen, und ich wolle es nicht 289 heruntersetzen lassen. »Das Heidelberger Faß«, sagte ich, »ist zwar hohl und hölzern wie so mancher Professor der ehrwürdigen Ruperto-Carolina und an einigen Stellen so durchlöchert wie der deutsche Rechtsboden; aber wir Deutsche achten alles, was von unseren Fürsten herrührt. Dieser Respekt wurzelt nicht nur in dem ›jedem Deutschen angeborenen Gehorsam‹, wie Hofrat Dahlmann behauptet, sondern in dem Gefühl der Dankbarkeit, das uns gegen unsere Fürsten, gegen unsere Väter unserer Vaterländer beseelt; denn unsere Fürsten haben uns immer wie die Kinder behandelt. Man hat die alten Römer ein Volk von Senatoren genannt; wir Deutsche sind ein Volk von Fürsten. Wir versehen ganz Europa mit gekrönten Häuptern, wie ihr Engländer ganz Europa mit Baumwollenwaren verseht. Ihr habt nur baumwollene Schlafmützen für europäische Köpfe; wir aber liefern die Köpfe für europäische Kronen. Wenn irgendeinem europäischen Volke die Herrscher ausgehen, wendet man sich an uns. Und so dürfen wir mit gerechtem Stolze sagen, daß wir in unseren Herrschern ganz Europa beherrschen.«

So sprach ich, und ich hatte die Genugtuung, daß der Engländer, von der Wahrheit und dem Gewichte meiner Worte niedergedrückt, seinerseits beschämt die Augen niederschlug. Dies geschah am 4. August in der weltberühmten Brauerei von Barklay, Perkins u. Comp. Wer hätte aber denken sollen, daß gerade einen Monat später diese Brauerei der Schauplatz einer Begebenheit sein werde, in welcher ein kaiserlich-königlich österreichischer Held eine Hauptrolle spielen würde?

Es war am 4. September des Jahres 1850, als der kaiserlich-königlich österreichische Feldzeugmeister von Haynau die weltberühmte Bierbrauerei von Barklay, 290 Perkins u. Comp. besuchte. Der unsterbliche Heros von Brescia war in England unter dem Volke wenig bekannt. Das englische Volk hatte wohl einige Male von seinen Heldentaten gelesen, aber es hatte seinen Namen wieder vergessen und wußte von ihm nicht viel mehr als von Schinderhannes oder irgendeinem andern deutschen hochnotpeinlichen Helden. Die in jener oft genannten Brauerei beschäftigten Arbeiter haben jedoch eine genauere Kenntnis der neuesten deutschen Geschichte, und es ist ziemlich bekannt, welche Aufnahme sie ihm bereiteten, als sie seinen Namen im Fremdenbuche sahen. Ich sage: es ist »ziemlich« bekannt; denn leider hat die Parteileidenschaft jene Empfangsfeierlichkeit hier und dort absichtlich verzerrt. So viel ist sicher, daß der kaiserlich-königliche Feldzeugmeister durch diesen unerwarteten Empfang überrascht wurde, daß er sich ihm, bescheiden wie er ist, durch die Flucht entziehen wollte und zum Teil auch entzog.

Der Held von Brescia hat zwar einige Wochen später in Wien behauptet, daß er sich tapfer gewehrt und mit seinem Stocke so gewaltig dreingeschlagen habe, daß er, der Stock nämlich, in Stücke ging. Aber das ist ein kleiner, leicht verzeihlicher Irrtum von seiten Seiner Exzellenz. Seine Exzellenz lief so gewaltig vor den Draymen, auf deutsch: vor den Brauknechten der Herren Barklay, Perkins u. Comp., als ob eine Schwadron ungarischer Husaren hinter ihr gewesen wäre. Feldzeugmeister Haynau lief so schnell, wie er immer zu laufen pflegte, wenn er nicht von einigen Dutzend russischer Regimenter unterstützt wurde; und er wäre vielleicht noch schneller gelaufen, wenn er nicht gerade an einer Unverdaulichkeit gelitten hätte, die er sich an der Tafel des preußischen Hofes, wo man ihn für seine 291 unsterblichen Taten in Italien und Ungarn so huldreich bewirtete, unglücklicherweise zugezogen hätte. Ja, er lief so schnell davon, als ob er auf dem Felde der Ehre gewesen wäre. In seiner blinden Eile rannte er mit dem Kopfe die Türe einer Bierschenke ein, und nachdem er auf diese Weise besagte Schenke erstürmt, schlug er sein Hauptquartier unter dem Bette der Wirtin auf.

Man hat es den Brauknechten der Herren Barklay, Perkins u. Comp. vorgeworfen, daß sie sich an dem kometenartigen Schnurrbart des Helden vergriffen; dies geschah aber nur, um ein teueres Angedenken von dem Helden zu haben, der als Mensch, als Christ und als General gleiche Hochachtung verdient und der die habsburgischen Aufträge auf eine so echt habsburgische Weise erfüllte.

Einige Tage nach dieser merkwürdigen Begebenheit kamen die Organe der guten deutschen Presse nach London. Sie waren sämtlich mit blutigen Tränen gedruckt. Sie behaupteten, indem sie von der Aufnahme des Feldzeugmeisters in London sprachen, daß so etwas nur in England stattfinden könne. Die englische Konstitution sei so schwach, daß sie keine Haynaus vertragen könne, und das deutsche Volk könne jetzt sehen, wie tief ein Volk sinke, wenn es keine stehenden Heere habe. Ein solches Volk wisse nie einen österreichischen General zu würdigen. Übrigens sei die ganze Katastrophe durch die europäische rote Demokratie hervorgerufen worden, die in dem unglückseligen England sich eingenistet. Die europäische rote Demokratie, die in dem unglückseligen England sich eingenistet, habe sich gegen die Ruhe, Ordnung, Sicherheit und Kultur des Kontinents verschworen und den harmlosen kaiserlich-königlich österreichischen Generalfeldzeugmeister, 292 Herrn von Haynau, durch geheime Kniffe von Wien nach der Bierbrauerei der Herren Barklay, Perkins u. Comp. gelockt, um dort durch die Fäuste englischer Bierbrauerknechte dem österreichischen Heldentume die verderblichsten Streiche zu versetzen.

So sprachen die gemäßigten Organe der deutschen Presse im allgemeinen. Was aber die »Augsburger Allgemeine« im besondern anlangt, so erschien sie mit einem schwarzen Rande und sagte in mehreren elegischen Artikeln, daß zwar jedes Volk, den Adel und die Beamten abgerechnet, Pöbel sei, daß aber das englische Volk zu dem allerpöbelhaftesten Pöbel gerechnet werden müsse. Das Ereignis in Bankside sei betrübend, empörend, greulich; aber wenn man nur mit der tiefsten Zerknirschung daran denken könne, so bleibe doch für jeden wahren Deutschen der süße Trost und das erhebende Bewußtsein, daß das deutsche Volk, trotz der unablässigen Bestrebungen der roten Wühler, noch nicht so tief gesunken sei. Das deutsche Volk, fuhr die »Augsburger Allgemeine« in schwungreichem Jeremias-Stile fort, hat noch Sinn für Anstand und Gefühl für Sittlichkeit. Das deutsche Volk hat mit beispielswürdiger Ruhe zugesehen, als die schwäbische schwere Kavallerie mit Säbelhieben die in Stuttgart tagende Reichsversammlung auseinander sprengte; das deutsche Volk hat ruhig zugesehen, als ein greises Mitglied jenes Reichstages von Pferdeshufen fast niedergetreten worden wäre, und das deutsche Volk hat sich auch nicht geregt, als an jenem glorreichen Tage sein ehrwürdiger Sänger Ludwig Uhland nur durch einen Zufall dem ihm von rohen Soldaten drohenden Tode entging. Das deutsche Volk hat noch gar andere Dinge ruhig zugesehen, sagte die »Augsburger Allgemeine«; was es aber 293 bereits ruhig zugesehen hat, ist noch gar nichts gegen das, was es noch ruhig zusehen wird. Und dieses ruhige Zusehen ist das Ergebnis der deutschen Volksbildung, ein Ergebnis der Erziehung, welche die deutschen Regierungen ihren Untertanen angedeihen lassen. Das englische Volk hat sich aber leider keiner solchen Erziehung von seiten seiner Regierung zu erfreuen, und daher kommt es auch, daß die Bierbrauerknechte der Herren Barklay, Perkins u. Comp. keine Achtung vor langen Schnurrbärten haben.

Während aber die gute deutsche Presse so sprach, war der kaiserlich-königlich österreichische Feldzeugmeister, Herr von Haynau, von London abgereist und hatte dort nichts zurückgelassen als einen Teil seiner Rockschöße, einen Teil seines Schnurrbartes und seinen Hut. Seine Ehre aber ließ er in London nicht zurück; diese war ihm unter den Trümmern Brescias abhanden gekommen.

Wer indessen zur Zeit, als jene Begebenheit vorfiel, sich in London befand, hatte Gelegenheit zu sehen, wie schnell ein Mensch populär werden kann, wenn das Glück ihm günstig ist. Haynau, dessen Namen am 3. September in London kaum erwähnt wurde, war dort einige Tage später im Munde aller. Man konnte keinen Schritt in dem unermeßlichen London tun, ohne die Epitheta »women-flogger«, »Austrian butcher«, »Austrian caitiff«, »barbarian Haynau« zu hören, und ich bin fest überzeugt, daß seit der Gründung Londons noch niemand dort so schnell und so allgemein bekannt worden ist wie er; wohin man sich auch wendete, hörte man Gespräche, deren Gegenstand er war.

Bald bemächtigte sich die Poesie des günstigen Stoffes, und wohin man ging, hörte man Lieder, in denen 294 der Held von Brescia und Bankside verherrlicht wurde. Kalliope hörte während eines ganzen Monats nicht auf, in die Trompete zu stoßen, und die Leierkasten wurden heiser unter der übergroßen Anstrengung. Vom frühesten Morgen bis zum spätesten Abend, in Regent Street und Piccadilly sowohl wie in Clerkenwell und Seven Dials sangen Kinder und Greise, Männer und Frauen das große Ereignis, das sich in Bankside zugetragen, und man konnte keine zehn Schritte zurücklegen, ohne daß einem ein fliegendes Blatt aufgenötigt wurde, in welchem Haynaus Empfang in der größten Bierbrauerei der Welt beschrieben war. Eines derselben war besonders lebendig und hieß: The culprit Haynau tried by a jury of British brewers, and found guilty of lacerating the delicate flesh of brave and noble women with bloody whips in the hands of a brutal soldiery. Sept. 4., 1850.

Dieses fliegende Blatt war in Knittelversen und so heftiger Art, daß, wenn ein deutscher Dichter so etwas in Deutschland verfaßte, er für jede Zeile wenigstens ein Jahr im Zuchthause spulen müßte. So was kann man nur in England schreiben – in England, wo man schreiben und sprechen darf, was man will, ohne in die Zuchthausjacke oder in schwere Eisen gesteckt zu werden; deshalb ist England auch nicht berufen, die Kultur nach Osten zu tragen. Dieser schöne Beruf bleibt ausschließlich den Habsburgern, wie Heinrich, der große Gagern, mit Recht behauptet hat.

Aber nicht nur die redenden, auch die zeichnenden Künste suchten den Empfang, der dem an deutschen so wie an andern russischen Höfen gefeierten Helden in Bankside geworden, der Vergessenheit zu entreißen. So vielfach ist noch kein Heros in wenig Tagen 295 illustriert worden. An jeder Ecke, in jedem Schaufenster der Zeitungs- und Bilderbogenhändler drängten sich dem Kunstfreunde Kompositionen auf, in denen der Feldzeugmeister die Hauptfigur war. Auf einem Blatte sah man ihn, wie einst Marius auf den Trümmern von Karthago, auf dem Misthaufen im Hofe der oft genannten Brauerei sitzen; auf einem andern war er und seine Adjutanten von Heugabeln und Besenstielen umgeben, und auf einem dritten Blatte sah man ihn auf den Knien liegen und um Gnade bitten. Ach, ich muß gestehen, der echte Kunstgeschmack wurde bei dem Anblicke dieser Bilder sehr beleidigt; aber das englische Volk hat wenig Kunstsinn und kaufte sie. So sah ich ein halbes Dutzend Illustrationen auf baumwollenen Schnupftüchern. Auf jedem Schnupftuche war eine andere Szene der Empfangsfeierlichkeit in Bankside dargestellt, so daß der Liebhaber bei der Qual der Wahl gezwungen wurde, das halbe Dutzend zugleich zu kaufen.

Während jener Tage strömten Tausende nach der Brauerei der Herren Barklay, Perkins u. Comp. und nach dem Wirtshause, »The George« genannt, allwo der kaiserlich-königlich österreichische Feldzeugmeister von Haynau von dem englischen Grund und Boden Besitz genommen.

Das Wirtshaus »The George« hat indessen seinen Namen abgelegt und heißt jetzt »Haynau's Refuge«; hier wird noch immer der Hut gezeigt, den der österreichische Held, der Held nach dem Herzen Habsburgs, im Drange der Verhältnisse zurückgelassen.

Die Engländer sind ein industrielles Volk, Handelsleute, die allen Dingen sogleich die rentabele Seite absehen; das hat man so recht deutlich an der Ausbeutung der Haynau-Schlacht in Bankside wahrnehmen können. 296 Haynau nämlich, der in Deutschland keinen Heller wert ist, hat hier zum Umsatz von manchem Hundert Pfund Sterling Veranlassung gegeben. Buch-, Kattun- und Steindrucker haben durch ihn Beschäftigung erhalten. Der Bänkelsänger-Heros ist ein gangbarer Artikel geworden. Noch nie aber ist ein österreichischer Feldherr mit solch geringem Aufwande von Taktik so gründlich geschlagen worden wie jener Haynau, den das englische Volk stets Hyena nennt. Es ist wahr, die Strafe war gemein, sehr gemein; aber sie war noch lange nicht gemein genug für einen Ritter solcher Art. Und wenn die Nemesis jemals einen glücklichen Einfall hatte, so hatte sie ihn am 4. September 1850 in der weltberühmten Brauerei der Herren Barklay, Perkins u. Comp.

 


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