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5. Kapitel

Die Plantage Ganderlay.

Die hohen, dichten Schilfstengel deckten uns. Harst wischte sich ein paar Blutstropfen vom Ohrläppchen ...

»Halbe Zivilisation, mein Alter ... In Chartum Prunkpaläste, hier offenes Brigantentum! Kerle mit Pistolen mit modernstem Schalldämpfer, Spione überall, – wie sollen wir entwischen?! In einer Stunde werden uns die Krokodile zum Frühstück verzehren ... Wenn nur ein Dampfer oder ein Motorboot käme! Aber der Fluß ist leer, und die Fahrrinne läuft am anderen Ufer entlang ...«

Was hier auf unserer Uferseite geschah, konnten wir nicht sehen.

Wir hörten vereinzelte Rufe, dann ganz fern das Knattern eines Bootsmotors, – – eines zweiten ...

»Treibjagd!!«, meinte Harald bitter. »Viele Hunde sind hier der Wölfe Tod! – – Hallo, – – was soll das?! Ist das Hinterlist? Dort – – quer über den Strom schießt ein kleines Boot ... Der Araber winkt. Ein ganz alter weißbärtiger Kerl ... Wie kommt der zu einem so flinken Flitzer ...?! – Vorsicht? ... Ich traue dem Frieden nicht ...«

Mehrmals winkte der Weißbart ...

And dann hob er plötzlich einen Karabiner empor, steuerte nur noch mit der linken Hand, feuerte im Fahren – nur mit einer Hand, jedoch nicht auf uns ...

»Plomp – plomp – plomp«, kam der Knall der Schüsse leise wie Trommelschläge auf ein Stück Eisenblech herüber ...

Hinter uns irgendwo am Ufer ein paar wilde Schreie ...

Dann war das Boot neben uns. Der Weißbart winkte wieder ...

Wir kletterten hinüber, warfen unsere Traglasten hinein.

Es war ein Stahlboot, offen, aber mit riesenstarkem Motor.

Wir duckten uns ...

Bleierne Geschosse klatschten gegen die Bordwände, und der alte Araber rutschte gleichfalls tiefer, kniete halb, fingerte am Motor, – ein paar Vergaserexplosionen, und das Boot tat einen förmlichen Sprung ... Es raste stromab, die Stadt Ondurman, die einst als Ersatz für das zerstörte Chartum angelegt worden, kam in Sicht, das Boot schoß ins Schilf, und der Araber winkte herrisch ...

Wir sollten aussteigen ...

Wir befanden uns hier hinter einer bewaldeten Halbinsel, und eine bescheidene, felsige Hügelkette zog sich von hier weit in die bebauten Felder der verdächtigen Plantage hinein.

Kaum waren wir beide an Land, und unsere echt nubischen Tragkörbe aus Nilweidengeflecht hinter uns her in ein Gestrüpp geflogen, als der Weißbart mit seinem Stahlboot wieder davonraste. Der Aufenthalt hier hinter der Halbinsel hatte keine zwei Minuten gedauert. Ich war überhaupt nicht recht zur Besinnung gekommen, ich hatte nicht einmal den Bootsbesitzer genau ins Auge fassen können, ich hatte jetzt erst recht keine Zeit, mir über diesen stummen Retter Gedanken zu machen, denn Harald packte schon sein Ledersäckchen und verschwand zwischen den großen Steinen der Hügelkette. Er trabte, und mir blieb nichts anderes übrig, als auch selbst im Geschwindigkeitsschritt ihm zu folgen.

Wir fanden nach Minuten ein Gestrüpp, in dem mein schweigsamer Freund, dem sicherlich dieselben Fragen wie mir durch den Kopf gingen, eiligst mit einem vollkommenen Wechsel seiner bisherigen Maske begann, wobei er die allergrößte Sorgfalt auf Kleinigkeiten verwandte.

Da wir wie immer alles Nötige mit uns trugen, konnten wir. selbst für mißtrauische Augen durchaus echt wirkend, nach Verlauf einer Stunde als bettelnde heilige Marabuts (mohammedanische Einsiedler) von denen in Chartum und Ondurman übergenug zu sehen waren, einzeln den Weg nach den Plantagengebäuden einschlagen, jetzt nur mit dem üblichen Ledersäckchen auf dem Rücken und einem frisch geschnittenen Stecken in der Hand, denen wir in Wasserpfützen die nötige Alterspatina oder Schmutzkruste verliehen hatten.

Es war wieder einmal überaus kennzeichnend für Harald, daß er erst kurz bevor wir uns trennten, beiläufig bemerkte:

»Unser Retter war natürlich Bill Tott ... Der Mann stellt demselben Wilde nach wie wir, nur mit kostspieligeren Mitteln. Wir gehen einen schweren Gang, Max Schraut, dennoch nehme ich dieses Risiko auf mich ... Bleibe eine halbe Stunde hinter mir, sollte mir etwas zustoßen, so werde ich hoffentlich noch Zeit finden, das vereinbarte Warnungssignal zu geben. Dann mußt du schleunigst Ali Mansur benachrichtigen. Im übrigen rechne ich schlimmsten Falles noch mit anderer Hilfe.«

Dann schritt er davon. – –

Die Plantage Ganderlay, vielleicht die größte, modernste und bestverwaltetste bei Chartum, war Eigentum der Witwe eines englischen Obersten Edward Gauderlay, der sehr bald nach dem Wiederaufbau Chartums mit zäher Energie weite Strecken unfruchtbaren Wüstenbodens dem Anbau von Getreide. Dattelpalmen und sogar Kaffeesträuchern erschlossen hatte. Das gesamte Gelände lag tiefer als der Weiße Nil, hohe Dämme mit Schleusen ließen gerade nur soviel Feuchtigkeit in die Bewässerungsgräben, daß selbst die größte Hitze den als fruchtbare Schicht aufgetragenen Nilschlamm, der durch Bagger gehoben wurde, nicht verkrusten konnte. Wir hatten diese Musterwirtschaft bereits vor Tagen ohne jeden Nebengedanken besucht, und uns war bekannt, daß Frau Mildred Ganderlay, heute eine hohe Siebzigerin, die nur noch im Rollstuhl gefahren wurde, die Aufsicht über ihren Besitz einem jungen, sehe tatkräftigen Neffen, den sie adoptiert hatte, überlassen mußte. Dieser Allan Ganderlay ließ sich in Chartum sehr selten sehen, er sollt in seiner Arbeit so völlig aufgehen, daß er für nichts anderes Interesse zeigte. Wir hatten ihn einmal zu Gesicht bekommen: Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit tief gebräuntem Gesicht und schwarzem Haar, bartlos, scharfe Züge, Alter unbestimmbar.

An diesem Vormittag saßen auf der überdachten Veranda des Wohngebäudes, die nach Norden zu unter hohen Palmen lag, Tante und Neffe nebeneinander beim zweiten Imbiß. Die weißhaarige, krankhaft bleiche Matrone mit dem faltendurchfurchten Gesicht, dem verschüchterten Ausdruck in den unnatürlich glänzenden Augen und der nervösen Zerfahrenheit eines siechen Körpers bildete zu ihres Neffen strotzender, fast brutaler Kraftfülle einen wehmütigen Kontrast.

Die Greisin rührte die Speisen kaum an. Als die beiden aufwartenden Diener sich entfernt hatten, richtete Frau Ganderley die merkwürdig schillernden Augen flehend auf ihren Neffen.

»Allan, bitte ... bitte ...« hauchte sie nur ...

Der junge Mann blickte über den tadellos gepflegten Garten hin und nagte finster die Unterlippe.

Ueber den beiden surrten zwei Ventilatoren ...

Aus den Feldern tönte der Lärm eines Motorpfluges herüber.

»Allan, – – sei barmherzig ...!« bat die Greisin nochmals.

Der Garten lag tot und still da, ebenso der benachbarte Wirtschaftshof ... Die Hunde hatten sich in ihre Hütten verkrochen, nur zu Füßen Allans hatte sich ein muskulöser echter Terrier mit dreifarbigem Fell soeben schnuppernd aufrecht gesetzt.

Das kluge Tier führte den ungewöhnlichen Namen Minz.

Allan beobachtete ihn. Minz war vor drei Jahren mit seinem Herrn nach Chartum gekommen, und der energische Allan wurde nie ohne diesen bissigen Begleiter und dessen intimsten Freund, den zahmen Pavian »Mister« gesehen. Der Affe Mister hockte oben auf einem Balken unter dem Verandadach.

»Was hast du, Minz?!«

Allans Augen überflogen den Garten. Drei Fontänen rauschten dort ganz sanft ...

Die Greisin streckte die zitternde Hand aus.

»Allan, du bist grausam ...«

In den beiden Zimmern, deren Fenster und Türen auf die Veranda hinausgingen, glitten zwei Schatten über die bunten feinen Bastteppiche. Nur ein Fenster stand offen.

Harald hatte mich entgegen unserer ursprünglichen Verabredung erwartet gehabt und das Terrain bereits sorgfältig erkundet. Wir hatten unbemerkt eine Seitentreppe erklommen und befanden uns nun mitten in der Höhle des Löwen.

»Ich habe nichts mehr«, sagte Allan mit seiner tiefen schroffen Stimme, die stets etwas heiser klang.

Die alte Frau in dem kostbaren Seidenkleid richtete sich in ihrem Krankenstuhl ein wenig auf.

»Du willst nicht!«, stieß sie zornig hervor ...

»Nein, – ich will nicht.«

»Und weshalb nicht?!«

»Weil ich es nicht länger verantworten kann, – deshalb!«

Der Terrier schnupperte noch immer mit vorgereckter Nase, schoß dann plötzlich in eine Ecke der Veranda hinter ein Büchergestell, – ein jämmerliches Quieken folgte und eine der übergroßen Wasserratten bezahlte ihre Keckheit mit dem Leben.

Allan lachte. »Brav so, Minz«, lobte er.

Sein braunes Gesicht wurde sofort wieder streng und finster. Er beobachtete die Greisin aus verkniffenen Augen und schob ihr dann wortlos ein Papierstückchen hin.

»Da, – – aber halte Haus damit ...«

Die Plantagenbesitzerin, dieses bemitleidenswerte Menschenwrack, griff mit gichtverkrümmten Fingern wie ein Habicht nach dem Papiertütchen.

Harst zog mich von den Fenstervorhängen in die Dämmerung des Zimmers zurück und strebte dem Ausgang zu. Die Treppe führte in den Wirtschaftshof. Der Hof war leer wie vorhin, und wir schlichen davon, die ersten Bäume deckten uns, und hier trennten wir uns, da in den Feldern gearbeitet wurde.

Eine Viertelstunde später trafen wir uns in den kahlen Hügeln, wollten nun unsere Tragkörbe aus dem Versteck hervorholen und drangen in das dornige Gestrüpp ein.

Die Tragkorbe standen noch da, aber die Gestalt, die urplötzlich aus dem Boden wuchs, mißfiel uns.

Bill Tott, in jeder Hand eine seine berühmten Pistolen, trug noch die Verkleidung von vorhin. Auf den Mündungen der Waffen steckten seltsame Zylinder, die Bill auch auf der Buhne benutzte, wenn er auf zwanzig Meter mit achtzehn Schüssen achtzehn kleine Möweneier wegputzte.

Jetzt ließ er die Maske fallen.

»Setzen Sie sich ...! So geht das nicht weiter, Mr. Harst. Wir müssen so oder so zu einer Verständigung gelangen. Sie beide und Ihr Jüngling Fred sind mir hier im Wege ... Ich habe nicht deshalb mein halbes Vermögen geopfert, um mir von Ihnen nun das Messer aus der Hand winden zu lassen! Geben Sie sich keiner Täuschung hin: Meine zynische Brutalität und mein Gewaltmenschentum sind nicht vorgetäuscht. Ich gehe über Leichen ... Ich habe allen Grund dazu, so zu sein, wie ich bin ...«


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