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3. Kapitel

Der Kunstschütze Bill Tott.

Was ich von Beatrix hielt, mochte ich selbst Harald nicht mitteilen. Meine Vermutungen konnten falsch sein. Niemand blamiert sich gern.

Wir kamen auch gar nicht dazu, das Geschehene zu erörtern, da Harst eine fabelhafte Rührigkeit an den Tag legte.

»Umziehen!«, befahl er in seinem Zimmer. »Fred bleibt hier ... Fred, Sie erzählen Frau Tompson, Schraut und ich wären nach der Oase Darka hinübergeritten und kämen erst morgen zurück ...«

Um vier Uhr – der Morgen graute bereits – schlichen wir durch den üppigen Vorgarten davon und schlugen den Weg nach der Stadt ein.

Im Orient ist es nicht schwer, sich so gründlich zu verwandeln, daß man sich selbst kaum wiedererkennt. Unsere Kostüme waren goldecht und mittelmäßig schäbig, dabei unauffällig ... Nicht einmal die Herren Polizisten schenkten uns einen Blick. Braune Kerle mit Traglasten liefen hier zu Tausenden umher. Am Hafen mieteten wir ein Maultierwägelchen, dessen uralter Besitzer durch den Anblick der vielen Geldstücke vor Freuden ganz aus dem Häuschen geriet und uns aufs Wort glaubte, wir seien Amerikaner, die in ihrer Verkleidung das Leben und Treiben in den Wüstendörfern draußen recht gründlich studieren wollten. Er schwor bei Allah und sämtlichen Propheten, uns nicht zu verraten und uns nach Kräften beizustehen. Geld ist noch immer das einzig prompt wirkende Verständigungsmittel.

Der Maultierkarren gondelte dieselbe Straße hinab, die vor Stunden das Lastauto benutzt hatte. Harst hatte eine Karte von Chartum und Umgebung auf den Knien, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß niemand hinter uns her war (er gab zu, daß er hierbei an Beatrix Neugold dachte), hatte er nur noch Augen für die Umgebung und für die verschiedenen Motorradler, die offenbar noch immer auf höheren Befehl nach Spuren suchten. Diese Radler waren sämtlich gut gekleidete Eingeborene.

Als wir uns der Stelle näherten, wo rechts vom Wege die Ruinen des Außenforts auf dem Hügel im Frühsonnenschein von blutigen Kämpfen träumten – General Gordon hatte Chartum vom März l884 bis Januar 1885 tapfer verteidigt und fand selbst den Tod –, sahen wir ein kleines Auto vor uns halten und neben den Ruinen einen Europäer, der tief gebückt unsere Fährten verfolgte.

Harst zog schnell sein Glas unter dem fleckigen Kittel hervor und musterte den Europäer scharf.

Ich sah, wie seine Augenbrauen sich erstaunt hoben.

»Es ist Bill Tott, mein Alter«, flüsterte er schnell. »Der Kunstschütze, der Liebling aller entnervten Weiber ... Wir haben ihn zweimal auf der Bühne bewundert. Was tut er hier?!«

Inzwischen war der Cowboy in den Ruinen verschwunden. Das leere kleine Privatauto war sein Eigentum. Wir erkannten es schon an der protzigen Reklamemalereien auf den Wagentüren.

Harst befahl unserem alten Kutscher, in ein Gebüsch neben der Straße einzubiegen.

Wir waren hier gut gedeckt, wir blieben im Wagen sitzen und warteten. Bill Tott erschien nicht wieder. Nur fünf fragwürdige Burschen schlüpften plötzlich aus den Ruinen ins Freie und verschwanden nach Süden zu, wo die neuen Plantagen unweit des Ufers des Weißen Nil mit zum Teil recht imposanten Gebäuden die Eintönigkeit des Landschaftsbildes angenehm belebten.

Harst hatte sich auf den Wagensitz gestellt und verfolgte die fünf mit dem Glase. Endlose Minuten verstrichen wieder. Unser Karrenbesitzer war eingeschlafen und schnarchte fürchterlich.

»Warte hier!«, rief Harald leise.

Er sprang hinaus und lief tief gebückt davon.

Ich ahnte bereits, daß dort in den Ruinen irgendwie eine neue Verwicklung eingetreten sei. Diesmal gehorchte ich nicht, ich ließ Harst einigen Vorsprung und eilte dann hinterdrein.

Als ich über den Ziegelschutt und durch die Dornen der Ruinen kletterte, gewahrte ich eine bekannte Gestalt, duckte mich und ließ die sich leise Davonschleichende dicht heran.

Es war Beatrix Neugold, die noch dieselbe Verkleidung trug. Sie hatte Gesicht und Hände braun gefärbt, und als ich sie packte, hielt sie mir plötzlich eine Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer vor die Nase.

»Lassen Sie mich los!«, zischte sie.

Sie hatte mich doch erkannt, sie hatte deutsch gesprochen.

Ich hielt fest.

»Was treiben Sie hier, Fräulein Neugold?!«

Ihre Augen sprühten vor Erregung.

»Das geht Sie gar nichts an ...! Lassen Sie mich los ...!«

Urplötzlich stand Harst neben uns.

»Ah – unsere Pensionsfreundin!! Sie auch hier?! Weshalb haben Sie Bill Totts Stricke nicht zerschnitten, Fräulein Neugold? Man hat den Kunstschützen niedergeschlagen, und Sie wissen das. Er liegt in demselben alten Keller, in den Sie uns vor Stunden geleiteten, was sehr liebenswürdig von Ihnen war, – – oder sehr schlau – – oder sehr töricht, wie man's auffassen will. Reden Sie! Weshalb befreiten Sie Tott nicht?!«

Das Mädchen lächelte plötzlich. »Ich wollte Hilfe herbeiholen, Herr Harst ... Legen Sie mir doch nicht jede Kleinigkeit zum Schlechten aus ...«

Harst schwieg, kehrte um und verschwand wieder in der halb verschütteten Oeffnung. Dann erschien er mit dem bewußtlosen Tott auf dem Rücken und sagte schroffen Tones zu Beatrix Neugold:

»Sie werden Tott in seinem Auto nach der Bar bringen, – oder nein, er wohnt ja im Hotel Elite der Madame Clairon. Dort liefern Sie ihn ab. Sie werden erklären, er sei zufällig gestürzt ... Kommen Sie mit!«

Beatrix warf den Kopf in den Nacken. »Und wenn ich mich weigere?!«

Harst blickte sie kalt an. »Dann wird Major Ali Mansur sich für Sie sehr lebhaft interessieren und Ihnen Freiquartier gewähren! Glauben Sie nicht, daß Sie aus Chartum entwischen können. Ali Mansur ist hinter einem gewissen geheimnisvollen Wohltäter her, der Blansery genannt wird, – das wissen Sie ... Es sollte mich nicht wundern, wenn Blansery ... ein Weib wäre ... Der verrückte Name Blansery ist vielleicht ...« er sprach ganz langsam – »nur eine Verhunzung der beiden Worte Blanche Serpent, Weiße Schlange...! – Ah, – wirkt das so stark auf Sie, Fräulein Neugold?!« Sie war aschfahl geworden, und ebenso jäh schlug sie beide Hände vor das Gesicht und wollte uns ihre Tränen nicht sehen lassen, wandte sich zur Seite und hauchte nur tonlos:

»Ich ... werde ... gehorchen ...«

Wir schritten dem Gebüsch zu, wo unser Karren stand.

Zum Glück achtete niemand auf uns. Wir waren auch durch Bäume einigermaßen geschützt. Bill Tott, der über seinem Cowboykostüm einen ganz leichten Staubmantel trug, kam wieder zu sich, als wir den Karren fast erreicht hatten. Unser Kutscher schlief noch.

Der Kunstschütze, der quer über dem Kopfe eine blutrünstige dicke Schwellung hatte, war ein Kerl mit eisernen Nerven.

Er schaute uns drei zunächst fragend an, dann sagte er nur: »Die Schufte kamen von hinten! Von vorn traut sich so leicht niemand an mich heran ... Ich werde in die Stadt zurückfahren. Ich danke Ihnen, meine Herren ... Sie sind zweifellos verkleidete Polizisten ... Aber ich kann Ihnen nichts weiter angeben, als daß ich mir die Ruinen dort aus der Nähe beschauen wollte ... Von meinen Angreifern habe ich nichts gesehen. Leben Sie wohl, und machen Sie von der Sache weiter kein Aufhebens ...«

Stramm und eilig entfernte er sich. Er war ein besonderer Typ von Mann ... Er mußte eine Pferdenatur haben.

Sein Auto wendete und verschwand in einer Staubwolke nach Chartum zu. Es war inzwischen völlig hell geworden, und nur gerade das war dunkel geblieben, was ich so gern festgestellt hätte: Ob Beatrix Neugold irgendwie mit Blanche Serpent etwas zu tun hätte.

Harald schien für das Mädchen sehr wenig Sympathie zu besitzen. In demselben schroffen Tone befahl er ihr, vorläufig im Pensionat zu bleiben.

»Ihr Motorrad werden Sie wohl in der Nähe versteckt haben ... Ich warne Sie!! Die Geheimpolizei ist hier sehr rücksichtslos, und den Gedanken an Flucht geben Sie auf. Wir sprechen uns noch!«

Wortlos ging sie in der Richtung der Ruinen davon.

Einige Minuten später sauste sie auf ihrer schweren Maschine zur Stadt. Harst behielt sie mit dem Fernglas im Auge, bis sie hinter den ersten Häuserreihen verschwunden war.


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