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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Forellen-Angler.

 

Sieh' noch so scharf, du hast den Staar,
Bis du verstehst, das Bild zu lesen;
Doch dann erscheint's dir wunderbar,
Daß du so lange blind gewesen.

 

Wann Herr Mottwitz während der drei ersten Wochen seines Sommerurlaubs eine genügende Anzahl von Spiritusfläschchen mit Käfern gefüllt hatte, um sich in seinen reichlichen Mußestunden den ganzen Winter hindurch mit ihrer Bestimmung und Einreihung zu beschäftigen, dann pflegte er die vierte Woche seiner Nebenpassion, dem Forellenfang zu widmen. Heuer hatte er sich zu diesem Behuf einquartiert in Kaltenborn, einem ärmlichen Dorf im obersten Hochthal des Gebirges. In dem unweit des Orts aus einem kleinen Bergsee entspringenden fischreichen Bache durfte er gegen mäßige Vergütung angeln. So nahm er denn vorlieb mit der kümmerlichen, nur durch die selbstgefangene leckere Beute zur Erträglichkeit ergänzten Verpflegung in dem unsauberen und bis zur Athemschwierigkeit von Fliegen wimmelnden Wirtshause.

Eines Tages war er thalwärts fischend mit schon ziemlich gefülltem Umhängkorbe hinuntergelangt bis an eine Wassermühle unweit des Pfarrdorfs Tannkirch. Am Fuß eines mit dunkeln Edeltannen bestandenen Höhenzuges, der das Thal richt vor ihm abschloß und den Bach zu rechtwinkliger Wendung nach Norden zwang, sah er die weißgetünchte kleine Kirche mit schiefergedecktem Spitzthurm zwischen den Wipfeln zweier alten Linden lauschig hervorlugen. Kaum zweihundert Schritt jenseits der Mühle, links am Eingange des Dorfes, winkte über der Thür eines niedrigen Holzhauses mit grünen Fensterläden eine quer in die Straße hinaushängende große Blechtafel. Auf deren ihm zugekehrter Seite sah er einen auf hochbeinigem Bock liegenden Baumstamm gemalt, den zwei Männer in Hemdärmeln, einer obenauf, der andere darunter stehend, mit langer, breitblattiger Säge zu Planken zerschnitten. In diesem Wirthshause »Zum Brettschneider« wollte sich Mottwitz einmal erquicken mit besserer Zukost zu seinen Forellen, als er sie fliegengewürzt in Kaltenborn vorgesetzt bekam.

Der ziemlich langen Strecke Stauwasser oberhalb der Mühle schritt er schnell vorüber, ohne einen doch voraussichtlich fruchtlosen Wurf mit seiner künstlichen Mücke zu versuchen. Beuteverheißend hingegen sah der tiefe Edder aus, in dem sich der brausend von seiner drehenden Treppe heruntergesprungene Bach langsam kreiselnd ausruhte von der Tretradarbeit. Mitten hinein gedacht' er eben den täuschenden Köder flattern zu lassen, als ein anmuthig Bildchen auf der andern Seite seine Aufmerksamkeit gefangen nahm.

Auf dem Ufersande, wenige Schritt unterhalb des Mühlenauslaufs, stand ein allerliebster Knabe mit hellbraunem Lockenkopf, die Schuhe benetzt vom seichten Randwasser und weit vorgebückt. Nur Kopf, Haar und Haltung machten sein Geschlecht erkennbar; denn er trug noch nicht Jacke und Höschen, sondern ein kurzes Kleid von geblümtem Kattun, wie es auch für Mädchen üblich ist. Mottwitz fiel das um so mehr auf, als er ihn der Leibeshöhe nach fast fünfjährig zu schätzen geneigt gewesen wäre, wenn ihn nicht sein Scharfblick und seine Kinderkunde gelehrt hätten, aus den Gesichtszügen auf höchstens vier Jahre zu schließen.

Auch das Bübchen fischte, aber nicht mit einer Angel, sondern mit der hohlgebogenen Hand, und nicht nach Forellen, sondern nach den rasch vergänglichen, vom oberschlächtigen Mühlrade her niederschwimmenden Schaumflocken. Dicht hinter ihm hielt ein sehr einfach, aber sauber gekleidetes Mädchen von etwa sechzehn Jahren den rechten Arm vorsorglich ausgestreckt, um das Brüderchen nicht etwa in den Bach hinein tappen oder gar fallen zu lassen. In der Linken hielt sie ein aus weißem Leder geflochtenes Peitschchen und ein grell blau und roth angestrichenes Steckenpferd.

Mehrmals gelang es dem Knaben, eine der weißen Flocken aufzuschöpfen. Wann er sich aber eben umwenden wollte, um die erhaschte Beute zu zeigen, sah er den luftigen Schneeball wie zu nichts zerflossen. Sein hübsches, den Beschauer geheimnißvoll fesselndes Gesichtchen verzog sich ärgerlich, als das auch zum vierten Male wieder geschehen war. Dann machte er Kehrt, zog achselzuckend den Kopf tiefer zwischen die Schultern, streckte der Begleiterin die leere Hand entgegen und rief, indem er die Finger bald wie greifend zuklappte, bald ausspreizte, um zu zeigen, daß er nichts erhascht, mit glockenheller Stimme:

»Witsch weg wie Papa Lauga Linga!«

Nicht lange blieben die beiden letzten Worte dem Lauscher unverständlich. Auch als eifriger Kinderfreund fröhnte Mottwitz dem wissenschaftlichen Sammeltriebe. Wie er sich von jedem jungen Menschlein seiner Bekanntschaft seine Beobachtungen aufzuschreiben und aus ihnen eine Charakterprognose abzuleiten pflegte, die sich nach Jahren fast immer als zutreffend erwies, so hatte er sich auch ein vergleichendes Lexikon der Kindersprache angelegt und auf diese Weise schon manches feste Gesetz erkannt für die Lautvertauschung, mittelst deren sich das noch ungeübte Organ Worte mit schwierigen Konsonanten mundgerecht macht. Als eine der allergewöhnlichsten kannte er die Stellvertretung des immer zuletzt erlernten R durch L. »Rauga Ringa« murmelte er für sich, und wußte nun sogleich, was der Knabe gemeint: die Schaumstocken ließen sich ebensowenig greifen, als die Rauchringe, die sein Vater aus der Tabakspfeife in die Luft blase. Uebrigens stellte er nach seinen Erfahrungen der Zukunft dieses Bürschchens keineswegs ein ungünstiges Horoskop auf Grund dieser bei ungefähr vier Jahren und im Gegensatz zu seiner leiblichen Entwicklung in der That sehr auffälligen Rückständigkeit der Sprache.

Jetzt ergriff das Bübchen die Peitsche, schürzte das hinderliche Kleid hosenartig auf und nahm das Steckenpferd zwischen die Schenkel. Mit jubelndem »Hottahi« hinter sich peitschend und die Galoppbewegung für ein Zweibeingeschöpf erkennbar genug nachahmend, sprang er auf der Fläche des feuchtfesten Ufersandes in fast zirkelgerechtem Kreise herum. Als aber Mottwitz, der ihm über einen Weidenstrauch hinweg zuschaute, weiter nach unten vortrat, ließ der kleine Steckenreiter die Peitsche und das hölzerne Rößlein fallen, blieb regungslos stehen und starrte verwundert hinüber. Der große Fischkorb an ledernem Tragbande, die fast bis an die Hüfte reichenden Wasserstiefel, die lange englische Angelruthe mit der Haspel von Messing und zumal deren eben beginnende Anwendung fesselten seine Neugier.

So sehr auch den Domsekretär die sprudelnde Lebenslust dieses Kinderspiels ergötzte, ja, zur Bewunderung der Kraft und Gelenkigkeit hinriß, mit der dies verheißungsvolle Menschenknöspchen erstaunlich gewandte und anmuthsvolle Sprünge von oft kaum glaublicher Weite für sein Alter ausführte; so geeignet, ihn zu zerstreuen und für alles Andere blind zu machen auch sein vergebliches Nachgrübeln war, welche Erinnerung aus längst vergangener Zeit wohl in ihm aufdämmerte beim Anblick dieses Kindes, ohne erkennbar und nennbar zu werden: – dem erprobten Fischer war es dabei dennoch nicht entgangen, daß nahe dem unteren Rande jenes Edders eben ein Wellenkreis aufgequollen, wie er entsteht, wann eine Forelle vom Grunde zur Oberfläche aufschießt, um ein hineingefallenes Insekt zu erschnappen. Leise schlich er etliche Schritte bachabwärts und gab der Angelruthe den meisterlich bemessenen Schwung, der die Leine drei Klafter weit ausstreckte, so daß die farbenbunte Fliege von Fasanenfedern und Goldzwirn genau dort niedersank, wo der zerflossene Schwellzirkel seinen Mittelpunkt gehabt hatte. Im Nu schäumte das Wasser auf. Hakenfest gebannt durch den unfehlbaren Anhieb hastete eine pfundige Forelle so rasend schnell stromabwärts, daß der Angler, mit dem Daumen der Rechten am Kurbelchen, mit der Linken an der Leine, der laut schnarrenden Messinghaspel nachhelfen mußte, rasch an die zehn Ellen Schnur ablaufend auszugeben.

Wohl eine Viertelstunde dauerte der Kampf zwischen dem Angler und den Rettungsanstrengungen der allmälig ermüdenden Forelle. Jetzt versuchte sie die Flucht stromauf bis dicht an den Erguß des Radfließes. Auch von dort zurückgehaspelt, schoß sie abermals zu Thal und erzwang wieder den Nachlaß etlicher Klafter Leine. Dann aber, nochmals umkehrend und querüber zu entkommen bemüht, gerieth sie dicht am jenseitigen Ufer in so seichtes Wasser, daß sie zappelnd und plätschernd mit dem Rücken herausragte.

Da machte von drüben der Knabe einen verwegenen Sprung und lag zwei Schritt vom Gestade über der Forelle auf dem Bauch im Wasser. Seine junge Hüterin kreischte und wollte nachspringen. Schon aber hatte er sich aufgerafft. Triefend, die immer noch an der Schnur feste Forelle mit den kleinen Händen kräftig umklammernd, watete er zurück und zeigte dem Mädchen triumphirend die Beute seiner Heldenthat.

Derweil hatte Mottwitz unterhalb des Edders den Bach gefurtet. Nun trat er zu den Beiden und streckte die Hand nach dem Fisch, um seine Fliege auszuhaken. Das Knäbchen aber entzog sich den Bemühungen der Begleiterin, ihm mit dem Taschentuch den Sand und Schlamm vom Kleide zu wischen, sprang aufwärts empor, drückte die fast verendete Forelle mit beiden Händen an die Brust und rief mit funkelnden Augen:

»Loa Bisch geif'n, Loa Bisch aben, Loa Bisch Mama bingn!«

Mottwitz konnte nicht zweifeln, daß der Knirps mit Loa sich selbst meine und sagen wolle, er habe den Fisch gegriffen, wolle ihn behalten und der Mutter bringen.

»Ja, mein Jüngelchen,« sagte er freundlich und mit dem liebevollen Blick, mit dem er so schnell als unfehlbar jedes Kinderherz zu erobern verstand, »den Fisch sollst Du behalten und mit noch einigen dazu von diesen der Mama bringen.« Dabei klappte er, sich bückend, den Korbdeckel auf und ließ Loa hineinschauen. »Laß mich nur den Haken aus seinem Maule losmachen, sonst kann ich meine Schnur nicht aufhaspeln.«

Nun gab der Knabe die Forelle willig her, sah aufmerksam zu, wie Mottwitz die Fliege aushakte, beschaute und befühlte dieselbe neugierig und sagte endlich kopfschüttelnd:

»Bisch dumm!«

Dann gab er, während das Mädchen fortfuhr, ihn zu säubern und das Wasser aus seinem Kleidchen zu winden, unverwandt Acht, wie Mottwitz mit der Sorgfalt einer Spinnerin die Schnur auf die Haspel rollte, die gespleißte Bambusspitze und die drei Hickoryglieder der Angelruthe aus den Messingzwingen schrob und in das graue Leinwandfutteral steckte. Als aber der alte Graukopf die Forelle nebst noch vier oder fünf anderen, weit kleineren einwickelte in das eben zum Abtrocknen des jungen Wagehalses benutzte Taschentuch und sie dem Mädchen hinreichte, da drängte Loa sich eifersüchtig zu, langte nach dem Päckchen und rief:

»Loa tagen, nich Betta!«

«Nein, lieb Kind,« sagte Mottwitz, »überlaß die Fische Deiner Schwester Bertha. Du mußt wieder die Peitsche nehmen und recht flink reiten, sonst erkältest Du Dich in Deinen nassen Kleidern. Vor der Hausthür bekommst Du die Fische, um sie der Mama zu geben. Nimm Deinen Gaul zwischen die Beine. Wer hat Dir das prachtvolle Thier geschenkt? Wohl Papa zum Jahrmarkt?«

»Tatpapa Loa Berd ßick,« versetzte der Kleine. Die Augen zukneifend und zugleich den Kopf schüttelnd fügte er hinzu: »Loa Tatpapa sehn ganich.« Dann sprengte er peitschend und »Hihi« rufend so rasch voran, daß ihn Mottwitz und Bertha, obwohl sie tüchtig zuschritten, eine Weile nicht einholen konnten.

»Er ist nicht mein Bruder,« nahm jetzt Bertha das Wort, »nur ein Pflegekind meiner Eltern. Sein Stadtpapa, meint er, den er noch nie zu sehen bekommen, habe ihm das Steckenpferd geschickt. Der Ueberbringer muß ihm das gesagt haben. Den hat von uns Niemand zu Gesicht bekommen. Loa war, obwohl ihm das verboten ist, aus unserem Garten allein vor das Dorf hinausgelaufen. Da ist ihm denn ein Fremder begegnet und hat ihm das Spielzeug geschenkt. Trotz der Gabe nennt er den Unbekannten immer nur den Aeßlima, das ist: den häßlichen Mann, und legt, um ihn zu beschreiben seine Hände hinter die Ohren.«

Mottwitz stutzte. Die geschilderte und von Bertha nachgemachte Geste rief ihm einen wohlbekannten Kopf in die Vorstellung.

»Wie heißt denn der Kleine? Vermuthlich Louis?«

»Nein, Lothar.«

Mottwitz blieb wie angewurzelt stehen. Der aus dem Taufregister und Ulrich's Nachträgen ihm wohlbekannte Name wirkte wie ein grell aufleuchtender Blitz. Jetzt wußte er sicher, welches fast erloschene Erinnerungsbild das Gesicht dieses Knaben aus unerreichbarer Traumtiefe bis zu schwachem Aufschimmern der Oberfläche genähert hatte, ohne es völlig wachrufen zu können. Was ihn räthselhaft angezogen, war die Aehnlichkeit Lothar's mit der beinahe ganz vergessenen Jugenderscheinung Ulrich's. Den hatte er zwar schon in seinem sechsten Jahre gesehen, aber erst als zwölfjährigen Knaben wöchentlich mehrere Stunden unterrichtet. Wie die Knabengestalt Ulrich's in seinem Gedächtniß die Kindergestalt zugedeckt, so hatte noch mehr auslöschend das Bild des reifen Mannes das des Knaben verwischt. Jetzt aber, nach dem Sonnenaufgang des Wissens, fand er sogar die Aehnlichkeit zwischen diesem Kinde Lothar und dem jetzigen Ulrich Sebald so augenspringend, daß er kaum begriff, was ihn für diese Wahrnehmung bisher so blind gemacht. Die Folgerung daraus erklärte die auffällige, im Taufregister bekundete Vormundschaft und schien ihm unabweislich. So wenig sie stimmte zu seiner bisherigen Ueberzeugung von der strengen Ehrbarkeit seines Vorgesetzten und so sehr sein Gefühl sich sträubte gegen die Verunreinigung, nun dennoch einmal gleicher Meinung zu sein mit einem verächtlichen Menschen: – der Augenschein war zu zwingend, um nicht in diesem Fall dem spürenden Heimtücker beizupflichten, der ihm offenbar zuvorgekommen war mit dem Verdacht einer nicht folgenlosen Liebschaft zwischen dem Hauptpastor der Sebalduskirche und einer Kunstreiterin.

Durch einen Zuruf bewog er den weit vorangesprungenen Knaben, Halt zu machen, und frug, als er ihn erreicht hatte:

»Wer hat Dir das schöne Pferdchen geschenkt?«

»Aeßlima,« versetzte Loa. »Aeßlima elßälen von Tatpapa, Tatpapa Berd ßicken. Aeßlima sagen Papa Mama – Loa hop hop adalaufen. Berd ßön, Aeßlima – fi! Ole Muhkuh.«

Dabei hielt er die Händchen vergrößernd hinter beide Ohrmuscheln und klappte die an einander gepreßten Finger in schneller Bewegung vor- und rückwärts. Die Nachäffung der zuckenden »Muhkuhohren« des Küsters Spitzer war so treffend, als unzweifelhaft.

Aus dem ernsten Nachsinnen über diese Entdeckung weckte ihn Loa. Seine Wasserstiefel berührend frug er:

»Donnel – tiefl!?«

Mottwitz blickte rathlos fragend auf die hell auflachende Bertha, und diese erklärte, während Loa wieder voraufsprang:

»Wer ihn so kauderwälsch pappeln hört, kann ihm seine Nachdenklichkeit kaum zutrauen. Tagelang stumm grübelnd, sucht er sich Alles, was er sieht oder hört, auf seine Manier zurecht zu legen, und meistens mit ganz kuriosen Einfällen. Wir saßen eines Tages im Speisezimmer beim Mittagessen. Mein Vater sprach eben das Tischgebet, als ein arges Gedröhn auf der Treppe vom Flur zum Dachboden ihm das Amen übertäubend abschnitt. ›Wer,‹ frug er, ›erlaubt sich das abscheuliche Donnergepolter?‹ – ›Der Schweineschlächter,‹ antwortete die eben eintretende Magd, ›war beschäftigt, die Schinken in der Räucherkammer aufzuhängen, als ihn der plötzlich eindringende Qualm beinah' erstickt hätte, weil die Köchin unten, ohne an ihn zu denken, die Schornsteinklappe aufgezogen. Da ist er denn hustend und fluchend die Stiege heruntergetrampelt. Mit den dick benagelten Sohlen seiner plumpen Stiefel hat er so gedonnert.‹ – Loa sagte keine Silbe, begleitete aber nachher den Metzgergesellen in die Räucherkammer, um dessen Stiefel auf das Genaueste zu besehen und zu befühlen. – Mindestens acht Tage später aßen wir in der Gartenlaube. Ein Gewitter war unuersehens heraufgezogen. Auf einen hellen Blitz folgte nach wenigen Augenblicken ein gewaltiger Krach und ein lang anhaltendes Geratter. Alle fuhren entsetzt von den Bänken auf, nur Loa blieb ungerührt sitzen. Als auch wir uns beruhigt, frug er die Mutter, ob auch der liebe Gott Stiefel anhabe. Er scheint sich also das Werkzeug zum Donnergetrampel auf einer Himmelstreppe Ihren Wasserstiefeln ähnlich vorzustellen.«

Mottwitz schrieb sich sogleich einige Stichworte von dieser Erklärung in seine Brieftasche. Seine Schätzung der Anlagen Loa's steigerte sich um ein Bedeutendes.

Unweit des Dorfs erklärte er, umkehren zu müssen. Die Pfarrerstochter lud ihn ein, in ihr Elternhaus mitzukommen, und Loa, der den freundlichen und freigebigen alten Herrn rasch lieb gewonnen, versuchte ihn am Rockzipfel mitzuziehen. Er lehnte jedoch entschieden ab, hob das Bübchen zum Abschiedskuß empor, schenkte ihm ein zierlich gedrechseltes, noch ungebrauchtes Kästchen von gemasertem Birkenholz, das er zum Einthun von Heuschrecken und anderem lebenden Köder mitgenommen, und trat mit raschen Schritten den Rückweg an, aber nur bis an die Wassermühle. Dort wartete er, bis Lothar und seine Begleiterin hinter der Kirche verschwanden. Dann erst ging er, nochmals umkehrend, nach dem Wirthshause »Zum Brettschneider«. Er wollte nicht nach dem Pfarrhause geholt werden und fürchtete, daß es geschehen würde, wenn man ihn in der Dorfschenke wisse. So sehr er sich gefreut an dem hübschen und tapfern Knäbchen, so drückend war es ihm, das bedenkliche Geheimniß Ulrich's rein zufällig entdeckt zu haben. Ein Besuch bei Lothar's Pflegeeltern konnte ihn in den Schein bringen, in Spitzer's Fußstapfen treten und noch mehr davon aufspüren zu wollen, wovon er für seine Ruhe und seine bisher ungetrübte hohe Meinung von Ulrich schon viel zu viel zu wissen wähnte.

Einige Tage später wanderte er heim, fest entschlossen, von seiner Entdeckung Niemand, am wenigsten den Pastor etwas merken zu lassen. Doch man lud bereits die Mine, deren Abschuß auch diesen Vorsatz erschüttern sollte.


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