Rudolf von Ihering
Der Kampf um's Recht
Rudolf von Ihering

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Doch genug der gelehrten Thorheit und Verkehrtheit! Welch tiefe Beschämung muss es in uns hervorrufen, wahrzunehmen, wie jener einfache Gedanke des gesunden Rechtsgefühls, dass in jedem Recht, sei der Gegenstand auch nur eine Uhr, die Person selber mit ihrem ganzen Recht und ihrer ganzen Persönlichkeit angegriffen und verletzt erscheint, der Wissenschaft in einer Weise abhanden kommen konnte, dass sie die Preisgabe des eigenen Rechts, die feige Flucht vor dem Unrecht zur Rechtspflicht erheben konnte! Kann es Wunder nehmen, wenn in einer Zeit, in der solche Ansichten sich in der Wissenschaft an's Tageslicht wagen durften, der Geist der Feigheit und apathischen Erduldung des Unrechts auch die Geschicke der Nation bestimmte? Wohl uns, dass wir erlebt haben, dass die Zeit eine andere geworden, – solche Ansichten sind jetzt geradezu eine Unmöglichkeit geworden, sie konnten nur gedeihen in dem Sumpf eines politisch und rechtlich gleich verkommenen nationalen Lebens.

Mit der soeben entwickelten Theorie der Feigheit, der Verpflichtung zur Preisgabe des bedrohten Rechts habe ich den äussersten wissenschaftlichen Gegensatz zu der von mir vertheidigten Ansicht berührt, welche letztere umgekehrt den Kampf um's Recht zur Pflicht erhebt. Nicht ganz so tief, aber immer tief genug unter der Höhe des gesunden Rechtsgefühls liegt das Niveau der Ansicht eines neuern Philosophen, Herbart, über den letzten Grund des Rechts. Er erblickt denselben in einem, man kann nicht anders sagen, ästhetischen Motiv: dem Missfallen am Streit. Es ist hier nicht der Ort, die völlige Unhaltbarkeit dieser Ansicht darzulegen, ich befinde mich in der glücklichen Lage, dafür auf die Ausführungen eines Freundes Bezug nehmen zu können.Jul. Glaser, Gesammelte kleinere Schriften über Strafrecht, Civil- und Strafprocess. Wien 1868, B. I, S. 202 f. Wäre der ästhetische Standpunkt bei der Würdigung des Rechts ein berechtigter, ich wüsste nicht, ob ich das ästhetisch Schöne beim Recht anstatt darein, dass es den Kampf ausschliesst, nicht vielmehr gerade darein setzen sollte, dass es den Kampf in sich schliesst. Wer den Kampf als solchen ästhetisch unschön findet, wobei ja die ethische Berechtigung desselben ganz ausser Frage gelassen wird, der möge nur die ganze Literatur und Kunst von Homers Ilias und den Bildnerarbeiten der Griechen an bis auf unsere heutige Zeit streichen, denn es gibt kaum einen Stoff, der für sie eine so hohe Anziehungskraft bewährt hätte als der Kampf in allen seinen verschiedenen Formen, und denjenigen soll man noch erst suchen, dem das Schauspiel der höchsten Anspannung menschlicher Kraft, das die bildende Kunst und die Dichtkunst in beiden verherrlicht haben, statt des Gefühls ästhetischer Befriedigung das des ästhetischen Missfallens einflösste. Das höchste und wirksamste Problem für die Kunst und Literatur bleibt stets das Eintreten des Menschen für die Idee, heisse die Idee Recht, Vaterland, Glaube, Wahrheit. Dieses Eintreten aber ist stets ein Kampf.

Allein nicht die Aesthetik, sondern die Ethik hat uns Aufschluss darüber zu geben, was dem Wesen des Rechts entspricht oder widerspricht. Die Ethik aber, weit entfernt, den Kampf um's Recht zu verwerfen, zeichnet ihn den Individuen wie den Völkern da, wo die von mir in dieser Schrift entwickelten Bedingungen vorliegen, als Pflicht vor. Das Element des Kampfes, das Herbart aus dem Rechtsbegriff eliminiren will, ist sein ureigenes, ihm ewig immanentes – der Kampf ist die ewige Arbeit des Rechts. Ohne Kampf kein Recht, wie ohne Arbeit kein Eigenthum. Dem Satz: »Im Schweisse Deines Angesichts sollst Du Dein Brod essen«, steht mit gleicher Wahrheit der andere gegenüber: »Im Kampfe sollst Du Dein Recht finden.« Von dem Moment an, wo das Recht seine Kampfbereitschaft aufgibt, gibt es sich selber auf, – auch vom Recht gilt der Spruch des Dichters:

Das ist der Weisheit letzter Schluss:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muss.


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