Rudolf von Ihering
Der Kampf um's Recht
Rudolf von Ihering

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Vorrede.

Im Frühjahr 1872 hielt ich in der juristischen Gesellschaft in Wien einen Vortrag, den ich im Sommer desselben Jahres in wesentlich erweiterter und auf das grössere Lesepublikum berechneter Gestalt unter dem Titel: ›Der Kampf um's Recht‹ der Oeffentlichkeit übergab. Der Zweck, der mich bei Ausarbeitung und Veröffentlichung der Schrift leitete, war von Haus aus weniger ein theoretischer als ein ethisch-praktischer, weniger darauf gerichtet, die wissenschaftliche Erkenntniss des Rechts, als diejenige Gesinnung zu fördern, aus der dasselbe seine letzte Kraft schöpfen muss: die der muthigen und standhaften Bethätigung des Rechtsgefühls.

Schon zwei Monate nach dem Erscheinen der ersten Auflage ward eine zweite nöthig, im folgenden Jahre eine dritte, im darauf folgenden eine vierte. In Bezug auf letztere machte mir die Verlagshandlung, um die Verbreitung der Schrift in weiteren Kreisen ihrerseits möglichst zu fördern, den Vorschlag einer billigen Volksausgabe zu bedeutend ermässigtem Preise (einem Drittel des früheren Ladenpreises), was buchhändlerisch nur durch vereinfachte Ausstattung und eine ungewöhnliche Stärke der Auflage zu erzielen war. Da auch bereits die vorhergehenden Ausgaben das gewöhnliche Maass überschritten hatten, und der Markt im Auslande durch die in reicher Zahl erscheinenden Uebersetzungen mehr und mehr verschlossen ward, so wagte ich nicht mehr zu hoffen, dass noch eine spätere Auflage nöthig werden würde. Wenn es doch dazu gekommen ist, so gilt mir dies als Beweis, dass die Schrift die Erfolge bei ihrem ersten Erscheinen nicht dem Reiz der Neuheit verdankt hat, sondern der Ueberzeugung des grösseren Publikums von der Richtigkeit der in ihr verfochtenen Grundansicht. Darin bestärkt mich auch das Zeugniss des Auslandes, das sich in der überaus grossen Zahl von Uebersetzungen der Schrift kundgibt.

Im Jahre 1874 erschienen an Uebersetzungen:

  1. eine ungarische von G. Wenzel, Pest;
  2. eine russische in einer in Moskau erscheinenden juristischen Zeitschrift von einem Ungenannten;
  3. eine zweite russische Uebersetzung von Wolkoff, Moskau;
  4. eine neugriechische von M. A. Lappas, Athen;
  5. eine holländische von G. A. van Hamel, Leyden;
  6. eine rumänische in der in Bukarest erscheinenden Zeitung Romanulu (24. Juni u. ff.);
  7. eine serbische von Christic, Belgrad.

Im Jahre 1875 kamen dazu:

  1. eine französische von A. F. Meydieu, Wien und Paris;
  2. eine italienische von Raffaele Mariano, Mailand und Neapel;
  3. eine dänische von C. G. Graebe, Kopenhagen;
  4. eine czechische von einem Ungenannten, Brünn;
  5. eine polnische von A. Matakiewicz, Lemberg;
  6. eine croatische von H. Hinkovic, zuerst in der Zeitschrift Pravo, dann selbstständig erschienen, Agram.

Im Jahre 1879 sind erschienen:

  1. eine schwedische Uebersetzung von Ivar Afzelius, Upsala;
  2. eine englische von John J. Lalor in Chicago, wovon inzwischen eine zweite Auflage veranstaltet sein soll;
  3. eine schwedische von Ivar Afzelius, Upsala.

Dazu kommen noch:

  1. eine spanische Uebersetzung von Adolfo Poseda y Biasca, Madrid 1881;
  2. eine zweite spanische von Alfonso de Pando y Gomez, Madrid 1883;
  3. eine zweite englische von Philip A. Asworth. London 1883.

In den späteren Ausgaben und so auch in der gegenwärtigen habe ich in stylistischer Beziehung manches geändert und den früheren Anfang der Schrift gänzlich fortgelassen, da er einen Gedanken aussprach, der bei dem knappen Raum, der ihm hier gegönnt war, weder für den Laien recht verständlich, noch für den Juristen sonderlich förderlich war. Ob ich nicht bei der Verbreitung, welche die Schrift in Laienkreisen gefunden hat, alle diejenigen Partieen hätte auslassen sollen, welche mehr den Juristen als den Laien im Auge haben, wie insbesondere den Schlussabschnitt über das römische Recht und die moderne Theorie desselben (S. 74 u. ff.), weiss ich nicht. Hätte ich die Popularität, welche dieser Schrift beschieden war, ahnen können, so würde ich ihr von vornherein eine andere Gestalt gegeben haben, allein hervorgegangen, wie sie war, aus einem Vortrage vor Juristen, ist sie ihrer ursprünglichen Anlage nach in erster Linie auf letztere berechnet worden, und ich glaubte daran nichts ändern zu sollen, da der Umstand sich der Verbreitung in Laienkreisen nicht hinderlich erwiesen hat.

In der Sache selbst habe ich in allen späteren Auflagen nichts geändert. Die Grundidee meiner Schrift betrachte ich nach wie vor für so zweifellos und unumstösslich, dass ich jedes Wort gegen diejenigen, welche dieselbe bestreiten, für ein verlorenes erachte. Wer nicht fühlt, dass, wenn sein Recht in schnöder Weise missachtet und mit Füssen getreten wird, nicht lediglich der Gegenstand desselben, sondern seine eigene Person auf dem Spiele steht, wer in einer solchen Lage den Drang, sich und sein gutes Recht zu behaupten, nicht empfindet, dem ist eben nicht zu helfen, und ich habe kein Interesse daran, ihn zu bekehren. Es ist ein Typus, den man einfach als Thatsache anerkennen muss, der des Rechtsphilisters, wie ich ihn taufen möchte; hausbackener Egoismus und Materialismus sind die Züge, welche ihn kennzeichnen. Er müsste nicht der Sancho Pancha des Rechts sein, wenn er nicht in Jedem, der bei der Behauptung seines Rechts Interessen anderer Art als die des Schnappsackes verfolgt, einen Don Quixote erblickte. Für ihn habe ich kein anderes Wort als das mir erst nach dem Erscheinen der Schrift bekannt gewordene von Kant: »wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füssen getreten wird.«Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, Aufl. 2. Kreuznach 1800, S. 133. An einer andern Stelle (S. 185 das.) nennt Kant dies »Wegwerfung seiner Rechte unter die Füsse Anderer, Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst«, und aus der »Pflicht in Beziehung auf die Würde der Menschheit in uns« entnimmt er die Maxime: »Lasst Euer Recht nicht ungeahndet von Andern mit Füssen treten.« Es ist derselbe Gedanke, den ich in meiner Schrift weiter ausgeführt habe; er ist allen kräftigen Individuen und Völkern in's Herz geschrieben und tausendfältig ausgesprochen. Das einzige Verdienst, welches ich beanspruchen kann, besteht darin, diesen Gedanken genauer begründet und weiter ausgeführt zu haben.

Einen interessanten Beitrag zu meiner Schrift hat geliefert Dr. A. Schmiedl, Die Lehre vom Kampf um's Recht im Verhältniss zu dem Judenthum und dem ältesten Christenthum. Wien 1875. Der Ausspruch der jüdischen Rechtslehrer, den er S. 15 anführt: »Ob das Rechtsobject ein Pfennig ist oder hundert Gulden, das sei gleich in Deinen Augen« stimmt mit dem, was ich S. 18 entwickelt habe, völlig überein. Eine dichterische Bearbeitung des Themas hat gegeben Carl Emil Franzos in seinem Roman: Der Kampf ums Recht, über den ich mich in der Schrift selber (S. 64) ausgesprochen habe. Der Besprechungen, welche meine Schrift in der Literatur des Inlandes wie des Auslandes gefunden hat, sind so ausserordentlich viele, dass ich von der Namhaftmachung derselben Abstand nehme.

 

Indem ich nun der Schrift selber es überlasse, den Leser von der Richtigkeit der Auffassung, die sie vertheidigt, zu überzeugen, beschränke ich mich hier darauf, diejenigen, welche sich berufen halten, mich zu widerlegen, um zweierlei zu bitten. Einmal darum, dass sie es nicht in der Weise thun, dass sie meine Ansichten vorher entstellen und verdrehen, mich dem Zank und Streit, der Process- und Rauflust das Wort reden lassen, während ich doch den Kampf um das Recht keineswegs bei jedem Streit, sondern nur da verlange, wo der Angriff auf das Recht zugleich eine Missachtung der Person enthält (S. 22, 23 der Schrift). Die Nachgiebigkeit und Versöhnlichkeit, die Milde und Friedfertigkeit, der Vergleich und der Verzicht auf Geltendmachung des Rechts finden auch in meiner Theorie vollauf den ihnen gebürenden Platz; wogegen sie sich erklärt, ist lediglich die unwürdige Erduldung des Unrechts aus Feigheit, Bequemlichkeit, Indolenz.

Das zweite, was ich begehre, ist dies, dass derjenige, dem es Ernst ist, sich über meine Theorie klar zu werden, den Versuch mache, der positiven Formel des praktischen Verhaltens, die sie entwickelt, seinerseits eine andere positive Formel gegenüberzustellen; er wird dann bald inne werden, wohin er gelangt. Was soll der Berechtigte thun, wenn sein Recht mit Füssen getreten wird? Wer darauf eine von der meinigen abweichende haltbare, d. h. mit dem Bestehen der Rechtsordnung und der Idee der Persönlichkeit verträgliche Antwort ertheilen kann, hat mich geschlagen; wer das nicht vermag, hat nur die Wahl, entweder sich zu mir zu bekennen oder sich mit jener Halbheit zu begnügen, die das Kennzeichen aller unklaren Geister bildet, bei der man es nur zum Missfallen und zur Negation, nicht aber zur eigenen Ansicht bringt. Bei rein wissenschaftlichen Fragen mag man sich bescheiden, einfach den Irrthum zu widerlegen, auch wenn man nicht im Stande ist, die positive Wahrheit dafür an die Stelle zu setzen, aber bei praktischen Fragen, wo feststeht, dass gehandelt werden muss, und wo es nur darauf ankommt, wie gehandelt werden soll, reicht es nicht aus, die von einem Andern gegebene positive Anweisung als unrichtig abzulehnen, sondern man muss sie durch eine andere ersetzen. Ich warte ab, ob dies in Bezug auf die von mir gegebene geschehen wird.

Nur über einen Nebenpunkt, der mit meiner Theorie als solcher gar nichts zu schaffen hat, verstatte man mir zum Schluss einige Worte, da er selbst von solchen beanstandet wird, mit denen ich mich im übrigen in Einklang befinde. Es ist meine Behauptung über das dem Shylok zugefügte Unrecht. (S. 58.)

Nicht das hatte ich behauptet, dass der Richter den Schein des Shylok hätte für gültig anerkennen sollen, sondern dass, wenn er es einmal gethan, er ihn hinterher bei der Verwirklichung des Richterspruchs nicht durch schnöde List wieder vereiteln durfte. Der Richter hatte die Wahl, den Schein für gültig oder für ungültig zu erklären. Er that ersteres, und Shakespeare stellt die Sache so dar, als ob diese Entscheidung dem Recht nach die einzig mögliche gewesen sei. Niemand in Venedig zweifelte an der Gültigkeit des Scheines; die Freunde des Antonio, Antonio selber, der Doge, das Gericht, alles war einverstanden, dass der Jude in seinem Recht sei.Akt III, Sc. 3. Antonio: Der Doge kann des Rechtes Lauf nicht hemmen. Denn u. s. w. Akt IV, Sc. 1. Doge: Es thut mir Leid um Dich. Antonio: – – weil kein gesetzlich Mittel seinem Hass mich kann entziehen. Portia: – – dass das Gesetz Venedigs Euch nicht anfechten kann. Es darf nicht sein. Kein Ansehn in Venedig vermag ein gültiges Gesetz zu ändern. – Des Gesetzes Inhalt und Bescheid hat volle Uebereinkunft mit der Busse, die hier im Schein als schuldig wird erkannt. – Ein Pfund von dieses Kaufmanns Fleisch ist dein. Der Hof erkennt es, und das Recht ertheilt es. – Also der Rechtssatz, dem zufolge der Schein volle Gültigkeit hat, das jus in thesi, ist nicht bloss durch allgemeine Zustimmung als völlig zweifellos anerkannt, sondern das Urtheil, das jus in hypothesi, ist bereits gesprochen, um dann – der Jurist würde sagen: in der Executionsinstanz – vom Richter selber durch schnöde Tücke vereitelt zu werden. Ebenso gut könnte ein Richter den Schuldner zur Zahlung verurtheilen und in der Executionsinstanz dem Gläubiger aufgeben, dass er das Geld mit den Händen aus einem Glühofen herausholen, oder wenn der Schuldner ein Dachdecker wäre, auf der Thurmspitze, wenn er ein Taucher wäre, auf dem Meeresgrund in Empfang nehmen müsse, da über den Ort der Zahlung im Schuldschein nichts ausgemacht sei! Und in diesem sichern Vertrauen auf sein allgemein anerkanntes Recht ruft Shylok die Hülfe des Gerichtes an, und der »weise Daniel«, nachdem er vorher vergebens den Versuch gemacht hat, den nach Rache lechzenden Gläubiger zum Verzicht auf sein Recht zu bestimmen, erkennt letzteres an. Und jetzt, nachdem der Richterspruch gefällt ist, nachdem jeder Zweifel über das Recht des Juden durch den Richter selbst beseitigt ist, kein Widerspruch gegen dasselbe mehr laut zu werden wagt, nachdem die ganze Versammlung, den Dogen mit inbegriffen, sich dem unabwendbaren Spruch des Rechts gefügt hat – jetzt, als der Sieger, seiner Sache vollkommen sicher, vornehmen will, wozu ihn das Urtheil ermächtigt, vereitelt ihm derselbe Richter, der sein Recht feierlich anerkannt hat, dasselbe durch einen Einwand, einen Kniff so elender und nichtiger Art, dass er gar keiner ernstlichen Widerlegung werth ist. Gibt es Fleisch ohne Blut? Der Richter, welcher dem Shylok das Recht zusprach, ein Pfund Fleisch aus dem Leibe des Antonio auszuschneiden, erkannte ihm damit auch das Blut zu, ohne welches das Fleisch nicht sein kann, und wer das Recht hat, ein Pfund zu schneiden, kann, wenn er will, auch weniger nehmen. Beides wird dem Juden versagt, er soll nur Fleisch nehmen ohne Blut und nur ein genaues Pfund ausschneiden, nicht mehr und nicht weniger. Habe ich zuviel gesagt, dass der Jude hier um sein Recht betrogen wird? Allerdings geschieht es im Interesse der Menschlichkeit, aber hört Unrecht, begangen im Interesse der Menschlichkeit, auf Unrecht zu sein? Und wenn einmal der Zweck das Mittel heiligen soll, warum nicht im, warum erst nach dem Richterspruch?

Dem Widerspruch gegen die hier und in der Schrift selber vertheidigte Ansicht, der schon seit dem ersten Erscheinen derselben mehrfältig laut geworden ist, haben seit dem Erscheinen der sechsten Auflage (1880) zwei Juristen in eigenen kleinen Schriften Worte geliehen. Die eine ist die von A. Pietscher, Landesgerichtspräsident: Jurist und Dichter, Versuch einer Studie über Ihering's Kampf um's Recht und Shakespeare's Kaufmann von Venedig. Dessau 1881. Ich gebe den Kern der Ansicht des Verfassers mit seinen eigenen Worten (S. 23) wieder: »Besiegung der List durch grössere List, der Schelm wird in seiner eigenen Schlinge gefangen.« Mit dem ersten Glied dieses Satzes gibt er nur meine eigene Ansicht wieder; ich hatte nichts anderes behauptet, als dass Shylok durch List um sein Recht betrogen werde, aber darf und soll das Recht zu einem solchen Mittel seine Zuflucht nehmen? Darauf ist der Verfasser die Antwort schuldig geblieben, und ich bezweifle, dass er als Richter dieselbe zur Anwendung bringen würde. Was den zweiten Theil des Satzes anbetrifft, so frage ich: wenn einmal das Gesetz Venedigs einen solchen Schein für gültig erklärte, ist der Jude darum ein Schelm, weil er es anruft, und wenn darin eine Schlinge zu erblicken, fällt die Verantwortlichkeit auf ihn oder auf das Gesetz? Mit einer solchen Deduction wird meine Ansicht nicht widerlegt, sondern bekräftigt. Einen andern Weg schlägt die zweite Schrift ein, sie ist von Jos. Kohler, Professor in Würzburg: Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz. Würzburg 1883. Ihm zufolge enthält die Gerichtsscene im Kaufmann von Venedig »die Quintessenz vom Wesen und Werden des Rechts in ihrem Schoosse und enthält eine tiefere Jurisprudenz als zehn Pandektenlehrbücher und eröffnet uns einen tieferen Blick in die Geschichte des Rechts als alle rechtshistorischen Werke von Savigny bis auf Ihering« (S. 6). Hoffen wir, dass von diesem phänomenalen Verdienst Shakespeares um die Jurisprudenz ein Theil auf den Columbus entfällt, der diese neue Welt des Rechts, von deren Dasein die ganze Jurisprudenz bisher keine Kunde hatte, zuerst entdeckt hat – nach den Regeln vom Finden des Schatzes würde ihm die Hälfte gebüren, ein Lohn, mit dem er bei dem unermesslichen Werth, den er demselben zuschreibt, schon zufrieden sein könnte. Ich muss es dem Leser überlassen, sich über »die Fülle von juristischen Ideen, die Shakespeare über das Stück ergossen hat« (S. 92), aus der Schrift selber zu belehren, wenn ich auch nicht gerade die Verantwortlichkeit übernehmen möchte, die rechtsbeflissene Jugend bei der Portia in die Schule zu schicken, bei der das neue Evangelium des Rechts zu holen ist. Aber im übrigen die Portia in allen Ehren! Ihr Spruch »ist der Sieg des geläuterten Rechtsbewusstseins über die finstere Nacht, welche auf dem bisherigen Rechtszustande lastete, es ist der Sieg, der sich hinter Scheingründen versteckt, der die Larve falscher Motivirung annimmt, weil sie nothwendig ist; aber es ist ein Sieg, ein grosser, ein gewaltiger Sieg: ein Sieg nicht etwa bloss in dem einzelnen Process, ein Sieg in der Rechtsgeschichte überhaupt, es ist die Sonne des Fortschrittes, die wieder einmal ihre erwärmenden Strahlen in die Gerichtsstätte geworfen hat, und das Reich Sarastros triumphirt über die Mächte der Nacht.« Der Portia und dem Sarastro, an deren Namen der Beginn der neuen durch unsern Verfasser inaugurirten Jurisprudenz sich knüpft, haben wir noch den Dogen hinzuzufügen, der, bis dahin noch in den Banden der »bisherigen Jurisprudenz« befangen und »den Mächten der Nacht« verfallen, durch das erlösende Wort der Portia befreit wird und zur Erkenntniss der »weltgeschichtlichen« Mission gelangt, die auch ihm beschieden ist. Er macht sein früheres Versäumniss gründlich wieder gut. Zuerst, indem er den Shylok des Tödtungsversuches für schuldig erklärt. »Wenn darin auch eine Ungerechtigkeit vorliegt, so ist doch eine solche Ungerechtigkeit welthistorisch vollkommen begründet, sie ist eine welthistorische Notwendigkeit, und in der Aufnahme dieses Elements hat Shakespeare als Rechtshistoriker sich selber übertroffen. – – Dass Shylok nicht nur abgewiesen, sondern auch bestraft wird, ist nöthig, um den Sieg zu krönen, mit dem die neue Rechtsidee verklärend eintritt« (S. 95). Sodann indem er den Juden verurtheilt, Christ zu werden. Auch »diese Forderung enthält eine universalhistorische Wahrheit. Die Forderung ist für unser Gefühl verwerflich und der Freiheit des Bekenntnisses widersprechend, allein sie entspricht dem Gange der Weltgeschichte, welche Tausende nicht mit dem milden Wort der Bekehrung, sondern mit dem Winke des Henkers in das Lager eines Bekenntnisses getrieben hat« (S. 96). Das sind die »erwärmenden Strahlen, welche die Sonne des Fortschritts in die Gerichtsstätte wirft« – die Juden und Ketzer haben ihre erwärmende Kraft einst auf den Scheiterhaufen des Torquemada kennen lernen! So triumphirt das Reich des Sarastro über die Mächte der Nacht. Eine Portia, welche als weiser Daniel das bisherige Recht über den Haufen stürzt, ein Doge, welcher ihren Spuren folgt, ein für die »tiefere Jurisprudenz und die Quintessenz vom Wesen und Werden des Rechts« empfänglicher Jurist, welcher mit der Formel »welthistorisch« ihre Sprüche rechtfertigt – und alles ist gemacht! Das ist das »Forum der Jurisprudenz«, vor das der Verfasser mich geladen hat. Er muss es sich schon gefallen lassen, wenn ich ihm dahin nicht folge, es steckt noch zu viel von der alten Jurisprudenz aus den »Pandektenlehrbüchern« in mir, um die neue Aera der Jurisprudenz, die er uns erschliesst, mitmachen zu können, und ich werde mich auch auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte in der Verfolgung meines bisherigen Weges durch die niederschmetternde Erfahrung nicht irre machen lassen, dass ich, wenn ich nur mit dem Scharfblick jenes Schriftstellers ausgerüstet gewesen wäre, dem Kaufmann von Venedig tiefere Blicke in das Werden des Rechts hätte entnehmen können, als allen Quellen des positiven Rechts und der ganzen rechtsgeschichtlichen Literatur unseres Jahrhunderts von Savigny bis auf die Gegenwart.

Eine Besprechung der in Chicago erschienenen englischen Uebersetzung meiner Schrift in dem amerikanischen Journal: Albany Law Journal vom 27. Dec. 1879 hat mich von der Thatsache in Kenntniss gesetzt, dass dieselbe Ansicht, die ich über das Urtheil der Portia in meiner Schrift verfochten habe, bereits vor mir in einem früheren Jahrgange dieser Zeitschrift von einem Mitarbeiter derselben ausgesprochen worden ist, und der Verfasser des Artikels weiss sich diese Uebereinstimmung nicht anders zu erklären, als durch Annahme eines Plagiats meinerseits (»gestohlen« drückt er sich in nicht eben verbindlicher Weise aus). Ich habe dem deutschen Publikum diese interessante Entdeckung nicht vorenthalten wollen, es ist das Aeusserste, was wohl je im Punkt der Plagiate geleistet worden ist, denn ich hatte zur Zeit, als ich das meinige verübte, die Zeitschrift weder gesehen, noch einmal von ihrer Existenz Kunde gehabt. Vielleicht erfahre ich später noch einmal, dass auch meine Schrift nicht von mir selber verfasst, sondern von mir aus der in Amerika erschienenen englischen Uebersetzung in's Deutsche übertragen worden ist. Die Redaction des Albany Journal hat übrigens auf eine Entgegnung meinerseits das Ganze in einer späteren Nummer (Nr. 9 am 28. Februar 1880) für einen Scherz erklärt – wunderliche Scherze, an denen man jenseits des Oceans sein Vergnügen findet.

Göttingen, 3. October 1883.

Dr. Rudolf von Ihering.



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