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Schwarz und Weiß

Im Zirkus von Rouen fand ein großer Ring- und Boxerkampf statt; selbst in Frankreich hat dieser anscheinend so brutale, in Wirklichkeit aber hochkultivierte Sport Aufnahme gefunden. Unter andern trat Raoul le Boucher auf, der unvergleichliche Normanne, der natürlich nach einer langen Konkurrenz Sieger wurde: es hätte auch gerade gefehlt, daß es anders gewesen wäre, denn Rouen ist ja seine Vaterstadt. Glücklicherweise hatte er den Entscheidungskampf mit einem andern Franzosen auszukämpfen, sonst hätte die Ehre der Nation an einem Faden gehangen. Raoul le Boucher ist wirklich ein großer Ringkämpfer und sieht glänzend aus, mit hübschen, schlauen Zügen, nicht jener halb abnorme Ausdruck, der die meisten professionellen Ringkämpfer prägt. Er ist der einzige von den Normannen, die ich kenne, der wirklich wie ein Normanne aussieht; so, wie dieser kolossale, schlaue und willensstarke Mann, wenn auch ohne Geistesgaben im modernen Sinne, stelle ich mir die alten Wikinger Bue Digre oder Palnatoke vor.

Nach den Ringkämpfen traten mehrere unbekannte Boxerpaare auf und bearbeiteten sich gegenseitig wie ein passendes Horsd'oeuvre für die zweite große Nummer des Abends, der man mit Spannung entgegensah: dem Kampf zwischen dem berühmten Kalifornier Sam Mac Govern – um Gotteswillen nicht zu verwechseln mit Terry Mac Govern, einem Leichtgewichtsmenschen und Weißen, sondern dem Neger Sam Mac Govern! – und Jimmy Auburn, the iron hook genannt, ursprünglich ein Neufundlandfischer, woher auch wohl der Beiname. Der Kampf sollte unbegrenzte Gänge haben, bis zum Finish – von den anwesenden Franzosen mit Betonung auf der letzten Silbe ausgesprochen – das heißt, bis einer der Teilnehmer kampfunfähig war. Hier, wo keine, nationalen, geschweige lokalen Werte auf dem Spiel standen, konnte man sich ganz der Spannung hingeben. Man erwartete einen sehr scharfen und interessanten Kampf und wurde auch nicht enttäuscht. Der Neger schien Favorit zu sein.

Er führte sich vor Beginn der Vorstellung mit einigen imponierenden Vorführungen auf dem punching-ball ein und zeigte sich als ein herkulischer Wilder von ganz besonders unheilverkündender Rassenmischung: halb Afrikaner und halb Australneger, mit den langen Gliedern und der prachtvollen Muskulatur des Kongonegers und der eigentümlichen Hundeschnauze des Australiers, spiegelblank wie ein Ofen, von Jugend und animalischer Eitelkeit strotzend, ein fürchterliches Prachtexemplar von einem Kannibalen. Die Übungen, die er auf dem punching-ball zum Besten gab, waren reinste Kunst auf diesem Gebiet; eine solche Verbindung von Kraft und Behendigkeit konnte nur dort entstehen, wo die Fleischigkeit des Negers sich mit dem geübten Auge und der sichern Hand des bumerangwerfenden Australiers verband. Und er war sich seiner Fertigkeit bewußt, grinste dem Publikum kokett mit Zähnen zu, die einen Nagel durchbeißen konnten, kapriolierte und blitzte mit den kleinen kalkweißen Augen, die tief unter den Pavianbrauen lagen; er war entzückt von sich selbst und seiner öffentlichen Schaustellung. Einen bestimmten Punkt im Zuschauerraum aber suchten seine Augen mit Vorliebe; hier war jemand, vor dem er besonders glänzen und sich in seiner ganzen kannibalischen Pracht zeigen wollte. Es war eine Frau.

Sie war das einzige Wesen weiblichen Geschlechts im Zirkus. Das Publikum bestand im übrigen aus Leuten vom Hafen; auch eine besondere Klasse Eingeborene waren da, französische Sports, ein ganz eigenartiger, frischer und herausfordernder Typ. In dieser gemischten Gesellschaft saß sie ganz allein auf der vordersten Bank, ohne die geringste Notiz von ihrer Umgebung zu nehmen; ihre Aufmerksamkeit war unverwandt auf den Neger gerichtet. Es war leicht zu verstehen, daß die beiden zusammengehörten und daß sie mit ihm reiste.

Sie war weiß. Man beachte, daß man nur in der alten Welt ein solches Paar zusammensehen kann; in Amerika, sogar in Amerika, wäre es undenkbar, jedenfalls so öffentlich wie hier. Das, wozu sie sich hergab, war niedriger als die niedrigste Prostitution. Und dennoch sprach sie Englisch. Bei Gott, ich glaube, sie war Dänin! Sie war blond, mit Zügen, die mal skandinavisch gewesen sein konnten, ein ausgewandertes Dienstmädchen, das sich in der Fremde zur »Dame« heraufgearbeitet hatte. Welche Karriere, welches Schicksal! Auf ihrer harten, aber keineswegs schlechten Physiognomie stand zu lesen, was sie Schlimmes durchgemacht und wie unbarmherzig sie dafür ihrerseits andere beraubt hatte. Könnte man den Weg verfolgen, den sie in zwei Weltteilen zurückgelegt hatte, dann wüßte man, wie grausam und schmutzig der Kampf ums Dasein für eine alleinstehende Frau ist. Ein langes Leben ohne Pardon (denn sie war nicht mehr jung), ein roher und bitterer Lebenskampf, bei dem sie sich plündern ließ, um selbst zu plündern. Und doch hatte sie auf eine gewisse Weise triumphiert; denn das Ganze schien durchaus nicht gegen ihren Geschmack zu sein. Sie saß hochaufgerichtet und ruhig zwischen all diesen Mannsleuten, mit einer unbeschreiblichen Gefühllosigkeit, die in langjähriger häßlicher Erfahrung begründet und auf eine Weise nicht ohne Vornehmheit war. Sie war mit der amerikanischen Überladung gekleidet, die sowohl der Society wie der Unterwelt eigentümlich ist, und in dieser Verkleidung steckte die Befriedigung ihres Lebens. Sie war teuer erkauft und ganz echt war sie auch nicht: die vielen großen Ringe hinterließen schwarze Spuren auf den armen mageren Fingern, für die sie viel zu groß geworden waren. Die Frau war im vorletzten Stadium der Schwindsucht. Die Augen hatten den glasartigen Glanz, der Brustkranken eigen ist, und Fieberflecke drangen auf den scharfen Backenknochen durch die Schminke. Und vor diesem jämmerlichen Wrack eines ehemaligen Weibes stand der prachtvolle, schwarze Känguruhmensch auf den Hinterbeinen und machte seine Kunststücke.

Nachdem Sam durch seine affenartige Geschicklichkeit geglänzt, Applaus geerntet und voller Entzücken seine Zähne gezeigt hatte, kam der Kampf. Der Ring wurde geprüft und geräumt, verschiedene Personen in Sweaters, mit Hosenträgern darüber, enterten in ihre Ecken, mit Stühlen und Wassereimern.

Und jetzt trat Jimmy Auburn auf. The iron hook zeigte sich als ein großer, grober Mann vom Seemannstyp, derbgliedrig und kurzhalsig, aber anscheinend ohne besondere physische Überlegenheit. Er hatte einen häßlichen Blick, kam langsam näher und ging mit hochgeschobenem Rücken in seine Ecke, setzte sich und nahm seinen Gegner in Augenschein, während er seine Hände seitwärts ausstreckte und sich von zwei Männern die Handschuhe anziehen ließ. Der Neger grinste glücklich in seiner Ecke und tanzte bis zur Mitte des Ringes vor. Dann erhob Jimmy Auburn sich.

Der Kampf soll hier nicht in seinen Einzelheiten geschildert werden; obgleich er ungewöhnlich rücksichtslos und gewaltsam war, wich er doch im wesentlichen nicht von andern Boxerkämpfen ab. Das ist eben, was ich Kultur nenne, daß zwei so niedrigstehende und unregierliche Bestien, wie dieser farbige Bastard und ein boshafter, riesenstarker Matrose, während eines langen Kampfes auf Leben und Tod nicht ein einziges Mal die Spielregeln verletzen; das heißt doch den Naturmächten, die sonst keine Grenzen haben, Grenzen geben. Der Kampf nahm seinen Fortgang nach allen Regeln der Kunst und war nicht immer gemütlich anzusehen, aber die Regeln verletzte keiner der Kämpfenden. Soviel kann ein Neger lernen. Nach jedem Gang taumelten sie in ihre Ecken, blutig oder halbblind, je nachdem, und die Helfer fächelten ihnen mit dem Handtuch zu, nahmen einen Mund voll Wasser und überstäubten sie damit, redeten ihnen mit leiser Stimme zu, ja, küßten sie, wie es sich bei einem richtigen Boxerkampf gehört. Es war erstaunlich, wie schnell die Kräfte bei beiden ebbten, trotz ihrer tierischen Stärke. Aber niemand kann ja auch lange auf den Zehenspitzen stehen bleiben. Ein Boxerkampf erfordert die alleräußerste Kraftanspannung, es ist, als ob man einen Berg hinauflaufen will, gegen jemand an, der einen daran zu hindern sucht.

Gegen alle Erwartung wurde Sam Mac Govern der Unterliegende. Der Neger, der das einfachste Nervensystem und den dicksten Schädelkasten hat, ist dadurch meistens dem weißen Mann überlegen, wenn ihre Kräfte auch sonst gleich sind, hier aber genügte das nicht. Sam Mac Govern war anfangs der Überlegene, tanzte verschwenderisch, spielte mit seinem Gegner und schielte zum Publikum und nach »ihr«, um Beifall zu bekommen, aber es ging auf die Dauer nicht. All die schönen Finten und zusammengesetzten Kapriolen, mit denen er anfangs seine Arbeit geschmückt hatte, fielen von selbst weg, er schlug, um zu schlagen, merkte aber bald, daß auch das nicht genügte. Jimmy Auburn, der von Natur kurzhalsig war, zog seinen Kopf tief in die Schultern hinein, so daß nichts mehr zu treffen war; und am Körper empfing er die Hammerschläge des Negers, wie ein großes Schiff eine Sturzsee entgegennimmt, mit einem Dröhnen, aber ohne sich davon aufhalten zu lassen. Neben dem Farbigen sah der Amerikaner abstoßend fahlrosa und nackend aus, wie ein abgebrühtes Schwein; er gab keine Kunststücke zum besten, arbeitete aber mit kalter Energie. Als der Neger nach seiner Berechnung nachzulassen begann, fing er an zu schlagen, um zu schlagen. Der häßliche Kopf mit den boshaften blauen Augen kam zwischen den Schultern hervor, um besser zu sehen, wie bei der Schildkröte, wenn sie sich sicher fühlt, und jetzt bekam der Neger Schlag auf Schlag in die Rippen und auf den Schädel, so daß er schluckte; er wich zurück, wollte sich nicht ergeben, drang auf den Gegner ein, solange er konnte, er war in Verzweiflung, was er nicht verbarg, der Amerikaner aber verfolgte seinen Vorteil schonungslos, trieb den schwarzen Teufel durch den ganzen Ring, warf ihn nieder, prügelte ihn wieder in die Höhe, bis der Neger schließlich einen Stoß bekam, der ihn lähmte und zitternd zum Stillstehen brachte, halb bewußtlos und blind. Während er dastand und ohnmächtig miaute, ging der Amerikaner, den rechten Arm in die Seite gestemmt, auf ihn zu und gab ihm den Gnadenstoß, in Wahrheit the iron hook, eine blitzschnelle Bewegung mit dem gebogenen rechten Arm, die den Neger in die Luft hob und seinen Kopf fast vom Rumpf zu trennen schien; er fiel wie ein Stier, und der Kampf war zu Ende.

Fünf Minuten später war der Neger wieder auf den Beinen, was er nicht am wenigsten der fürsorglichen und kundigen Pflege seines Gegners, Jimmy Auburn zu verdanken hatte; er war etwas umnebelt, konnte aber doch wie vorher übers ganze Gesicht grinsen. Alles endigte in Liebe und Freundschaft, wie gewöhnlich bei einem Boxerkampf.

Die einsame Zuschauerin in der ersten Reihe aber, die Freundin des Wundernegers, hatte Qualen durchgemacht. Bei den ersten Gängen, während ihr Sam virtuosenhaft und sorglos mit seinem Opfer spielte, saß sie da und gab die große Dame, mit müden Augenlidern, an seine Siege gewöhnt – bis ihr plötzlich klar wurde, wie die Sache stand, und da fiel sie aus der Rolle. Eine kurze Weile sah sie zu als das, was sie war, ein gewöhnliches, verhärmtes Frauenzimmer, enttäuscht, die Nase vor Mißvergnügen rümpfend, mit gemeinen Worten auf der Zunge, nach und nach aber schrumpfte sie ein und wurde nichts weiter als ein armes Weib, das in tiefstem Elend die Leiden des Mannes verfolgte, an den sie sich nun mal gehängt hatte, mochte man es nun Prostitution oder etwas Tieferes nennen.

Es kam ein Augenblick, wo der Neger in seiner Not ihren Blick suchte, während ihm gleichzeitig ein Klagelaut entschlüpfte; und da ging ein Ruck durch sie, da glich sie plötzlich einem mütterlichen Wesen, die gläsernen Augen wurden noch heißer.

Während des übrigen Kampfes hielt sie ein Taschentuch mit der magern Hand, an der die unechten, zu groß gewordenen Ringe hingen, gegen die Lippen gepreßt. Als der Neger um den Gnadenstoß miaute, hustete sie trocken und bekam Blut in den Mund, das sie herunterschluckte. Sie war die einzige Weiße, die den Fall des Negers bedauerte.


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