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Auf Java

Ich reiste von Singapur nach Batavia mit dem holländischen Dampfer »Geldern«, einem großen, modernen Schiff mit elektrischem Betrieb und allen Bequemlichkeiten. Wie eine Mauer ragte er am Kai von Tanjong Pagar auf, eine ganze Straße oder eine Ecke von einer Stadt, mit weißgekleideten Einwohnern, die sich hoch, hoch oben übers Promenadendeck lehnten und herunterguckten, ein Stockwerk und ein Kajütengrad überm andern, und am allerhöchsten eine Tressenmütze auf der Kommandobrücke. Unbegreiflich, daß so ein Riesenkasten, der einem ganzen Berg gleicht, sich bewegen kann und daß die Wellen ihn meistern können. Das Orchester spielt, die unvermeidliche Schiffsmusik, die mich immer an Begräbnis und die Titanic erinnert, und mit spärlichem Taschentücherschwenken lösen wir uns vom Kai ab, wo Weiße und Farbige durcheinander dicht gedrängt bis an den Rand des Bollwerks stehen.

Ein Januarabend war es, in der Regenzeit, Windstille nach dem Regen und neue Wolken über der Wasserstraße. In der nassen, warmen Luft fühlte man sich feucht wie ein Baby und seufzte nach etwas Kühlung. Bald nachdem wir abgefahren waren und die Forts und Inseln hinter uns gelassen hatten, war es Nacht.

Die Boys an Bord waren Malaien, Javaner, im Gegensatz zu der chinesischen Bedienung in Singapur und den Hindus auf englischen Dampfern; ein Boy wird übrigens in Holländisch-Indien Jonge genannt. Sie tragen ein Tuch um den Kopf, sind ziemlich schmächtig, aber machen keinen so femininen Eindruck wie die Chinesen; sie bedienen im Salon mit nackten Füßen und nehmen gelegentlich ein Messer, das auf die Erde fällt, mit den Zehen auf.

Beim Mittagessen entdeckte ich, daß ich in eine Gesellschaft geraten war, die sich sehr intim miteinander eingelebt hatte, wahrscheinlich war man schon fast einen Monat seit der Abfahrt von Holland zusammen an Bord gewesen. Der Ton war ganz anders als der, den man auf englischen Dampfern gewöhnt ist. Holländer sind mir im übrigen ganz unbekannt; in gewissen Beziehungen erinnern sie mich an Skandinavier; ich wechselte mit keinem ein Wort während der ganzen Reise.

Der Salon glich, wie immer auf großen Dampfern, einem Restaurant, wo man in der Juwelenbeleuchtung vieler elektrischer Flammen und Spiegel an kleinen Tischen speist, beim ununterbrochenen Schnurren der elektrischen Windflügel, und dann natürlich bei Orchestermusik.

Mir gegenüber am Tisch saß eine Mannsperson, die mit Gemütsruhe große Stücke warme, abscheuliche Wurst verzehrte und rauchenden Kohl nachschaufelte. Wenn der Teller leer war, drückte er mit der flachen Hand seinen Schnurrbart in den Mund und saugte ihn ab, winkte darauf dem Jonge und bekam eine neue Portion Wurst. Alle weitern Gerichte musterte er abfällig und versah sich reichlich; erst nachdem er eine Weile gegessen hatte, hob er seinen Kopf vom Trog und begann an dem, was um ihn herum vorging, teilzunehmen. Durch das Tropenkostüm wird es einem erschwert, Menschen zu taxieren, ich hielt ihn für einen Schulreiter; er war ein großer, gutgewachsener Kerl, mit einem hübschen Gesicht, aber einem eigentümlich versteckten, rohen Aug an der Nase. Die Verpflegung war holländisch, der Nachtisch bestand aus frischen Tropenfrüchten, die man in Singapur eingenommen hatte.

Rings an den Tischen wurde Champagner getrunken. Es war der Abschied, der sich näherte, in einigen Tagen würde die Gesellschaft in Batavia an Land gehen und sich in die verschiedenen Himmelsrichtungen von Java verstreuen. Viele holländische Damen waren dabei, mehrere sogar jung und reizend, in mondänen, luftigen Toiletten, sie nahmen Toaste entgegen, traten sehr natürlich auf und gossen den Wein in einen lächelnden Mund; die ganze Gesellschaft schien sich gut zu kennen. Eine leichte Erotik lag in der Luft, ohne Nervosität. Die Paare schienen sich gefunden zu haben, mochte es während der Reise oder schon vorher geschehen sein.

Einige Plätze weiter unten, an der andern Seite des Tisches, bemerkte ich ein großes, blondes, junges Mädchen von ausgeprägt flämischem Typ. Die Gesichtszüge, ihr ganzer Ausdruck waren auffallend nordisch. Als sie einmal aufstand, sah ich, daß sie schlank in der Taille war, mit breiten, vollen Hüften, ein üppiger, gesunder und solider Mensch. Die Hände, groß und tüchtig, und etwas Selbständiges in ihrer Haltung, ließen mich vermuten, daß sie Krankenpflegerin sei; sie hatte etwas vorstehende Zähne, das Haar war rot und, wie es bisweilen bei kräftigen Frauen vorkommt, nicht sehr reich. Sie floß über von Weiblichkeit. Wenn sie lachte, schlossen die Augen sich zu einer schmalen Spalte, und es blitzte darin von verdichtetem Licht, es war, als ob ein vitales Fluidum, eine Wärme von innen sich der Atmosphäre um sie herum mitteilte; nur nordische Frauen, denen alles Blut bis in die dünne Haut hinaus pocht, können so lachen und strahlen. Rothaarige Frauen haben bisweilen, solange sie jung sind, etwas geradezu Übernatürliches an sich, man betrachtet sie nicht wie andere Frauen, man wird von ihnen geblendet. Die zarte, durchsichtige Haut steht nicht wie ein Stoff in der Luft, sondern wie etwas Leuchtendes. Das Haar, die Augen, das Lächeln leuchten, sie sind lauter Licht, sie sind eins mit Luft und Sonne, sie sind Luft und Sonne. Leuchtende Nerven haben sie, man sieht das Blut in ihnen brennen, sie können die Hitze der Schöpfung nicht verbergen, sie leben und leuchten in einem Äther von Liebe. Sie sollen und müssen verbrennen.

Solch ein Anblick war sie, und ich sah, daß die Glut entfacht war. Sie glühte von Wein, Keckheit und Süße loderten in ihren Augen, ich sah, wie der Mädchenübermut in ihr wuchs, und ließ unwillkürlich meine Augen herumwandern, um ausfindig zu machen, für wen sie heimlich erglühte ...

Wie sie mich an ein Frühjahr in Holland erinnert, kalte Ostertage, als ich das Land durchreiste, knospende Weiden auf den Dämmen und neugeborene Lämmer auf den niedrigen Wiesen. Das Wasser lächelte und blitzte und hüpfte in kleinen Frühlingswellen durch die Kanäle. Ich sah Bekassinen und Wolken von Lerchenscharen in der Luft, hinter denen der Kiebitz herschimpfte, Vieh und Stare im Marschland, und dann all die Hyazinthen, ganze Areale, wie vom Himmel gefallene Farben, knallblaue, gelbe, rosa und purpurrote Hyazinthen und Tulpen, man spürte ihren Duft ganz bis in den Zug hinein, saß wie in einem kühlen Blumenbecher, einem Duft von Sonnenfeuer, der sich mit dem frischen, kühlen Wind vermengte, gegen den die Radfahrer draußen auf steingepflasterten, ebenen Wegen ankämpften und den die Windmühlen mit offenen Armen auffingen; reingefegter Himmel – wie kalt, wie lockend, am liebsten hätte man sich aus dem Kupeefenster gestürzt und in all der Frische begraben! Welch ein Unterschied gegen die Tropen! So sah die junge Holländerin aus, wie ein Osterwind, meergekühlt, mit einem Duft von Sonnenfeuer. Wenn sie sich nur nicht zu weit von ihren Quellen entfernt hatte!

 

Das Mittagessen endete halb bacchantisch, obgleich immer noch in einem bürgerlichen Ton, man war ja unter Holländern. Später versammelte man sich auf dem Promenadendeck, unterm Sonnensegel, das sich jetzt wie eine Zimmerdecke von der Tropennacht abhob. Seitwärts gähnte eine sammetschwarze Dunkelheit, und von dort kam eine ganz schwache Brise, durch die Fahrt des Schiffes hervorgerufen. Nur ein fernes Sausen unten aus der Dunkelheit gemahnte daran, daß wir fuhren. Einige Kinder durften noch auf Deck Luft schnappen, bevor sie nach unten und zu Bett mußten; sie trugen nur ein dünnes, leinenes Kleidungsstück, Hemd und Hose in eines, sowohl Knaben wie Mädchen, übrigens die gewohnte Tracht für holländische Kinder im Osten, tags und nachts dieselbe. Die Gesellschaft verstreute sich in Liegestühle, hier und dort ein Paar dicht beieinander, jemand spielte Gitarre, und einige sangen im Chor ein kleines holländisches Lied dazu, anspruchslos, zu ihrem eigenen Vergnügen. Eine Wolke entlud sich, prasselte aufs Sonnensegel, und einige Tropfen wurden sichtbar, indem sie von der Seite in den Lichtkreis des elektrischen Lichtes drangen. Das schien niemanden zu stören; die Luft wurde feuchter, aber nicht sonderlich kühler. Man tanzte und amüsierte sich, immer in einem Stil, der etwas Selbstverständliches hatte, ohne das geringste Sichzurschaustellen.

Ich suchte meine Kabine auf, eine Zelle tief unten im Innern des Schiffes, und sah, daß die Koje nur mit einem Laken über der Matratze winkte, weiter nichts, es sei denn, daß man den Wind von dem elektrischen Ventilator, der in der Ecke flüsterte und einem großen rotierenden Auge glich, als Bettdecke betrachten wollte. Ja, da war auch noch the dutch wife, der lange Pfühl mit dem Überzug, den man zwischen die Knie legt, um weniger unter der Wärme zu leiden. Ich drehte das Licht aus und lag im Grabesdunkeln. Langsam sammelte der Schweiß sich zu Tropfen, die einer nach dem andern über die Flanken herunterrollten, wie bei einem Braten überm Rost. Das war die Strafe für meine Sünden und ich ertrug sie mit Fassung. Was mir aber wirklich naheging – und hier drehte ich mich einmal am Spieß um – war, daß ich abends auf Deck im Dunkeln, hinter einigen Rettungsbooten, zwei weiße Gestalten gesehen hatte, die auseinanderglitten, als ich sie unvermutet überraschte: das große verwegene Mädchen und mein Gegenüber vom Mittagstisch, mit den Reiterbeinen und dem halbverborgenen, schmutzigen Zug an der Nase.

Aber man denkt an andere Dinge, wenn man von Bord geht, und die Reise mit der geschlossenen Gesellschaft wird zu einer Episode. Noch in Batavia stieß ich auf mehrere meiner Mitreisenden von der »Geldern«, aber verstreut und gleichsam davon geprägt, daß sie jetzt verschiedenen Kreisen angehörten. Und auch später in der Eisenbahn, die mich durchs Land trug, sah ich ab und zu eine Physiognomie, die mir bekannt erschien, aha, ein Passagier von der Überfahrt, bis die Gesellschaft von der »Geldern« mir auf die Weise entschwand, wie Menschen, die man gekannt hat, aus unserm Leben verschwinden; erst kreuzt man ihre Bahnen mit immer größer werdenden Zwischenräumen und schließlich weiß man nicht einmal, daß man sie vergessen hat, und geht seinen Weg allein weiter.

 

Java ist eine Welt für sich; im Laufe einiger Wochen nahm ich davon auf, was von selbst hängen blieb, und verließ die Insel, bevor ich gegen ihre Eindrücke abstumpfte. Später aber habe ich nicht recht gewußt, was ich aus Java machen sollte. Es ist eine prachtvolle Insel, aber seelenlos. Die wildwachsende Kraft der Tropen, die Dschungeln, sind hier von einer Agrikultur abgelöst, die Insel ist vom Strand bis zum Gipfel der Vulkane hinauf bebaut; dagegen läßt sich nichts sagen, man plündert das Klima, nimmt, was es gibt, aber ein altes, edles Bauernland ist es nicht. Eine ungeheure Masse Eingeborene gibt es dort, dreißig bis vierzig Millionen, die weder Wilde noch Zivilisierte sind; schwache und fleißige Javaner, liebenswürdig, ohne daß man sich ihrer recht erinnert. Und die Holländer? Die Welt hat sich seit Menschenaltern damit begnügt, sie als phlegmatisch zu charakterisieren. Sollte ich etwas anführen, was sie unbedingt von andern Menschen unterscheidet, so ist es, daß ihre Türdrücker in Holland nach unten zeigen, während sie in allen andern Ländern seitwärts stehen; das ist eigentlich die Summe meiner Erfahrung. Um etwas von einem Land, einer Nation oder einer Rasse zu wissen, muß man mit einer ihrer Frauen gelebt haben.

Man klettert mit einer Eisenbahn auf Java hinauf und befindet sich dann auf einem Plateau, wo die Wärme gar nicht so schlimm ist; unten an der Küste, in Batavia, Semarang oder Surabaya ist es heiß, glühendheiß. Tag und Nacht, das ganze Jahr. Oben im Innern ist die Temperatur durchschnittlich wie an den heißesten Hundstagen in Europa, einigermaßen zum aushalten, wenn man in Pyjamas herumgeht oder im Automobil fährt und Luft bekommt. Die javanischen Eisenbahnwagen sind mit mehreren Fach-Fenstern im Kupee, mit Glasscheiben, Fliegennetzen und Sprossen ausgestattet und zerfallen auf natürliche Weise in drei Klassen: I, wo die Weißen reisen, II, wo die Mischblutklasse es sich behaglich zu machen versucht, III, offene Viehwagen für die Eingeborenen.

So reist man denn und bekommt die trockenen Vorstellungen, die man von Landkarten und Reisebüchern hat, gegen die ungeheuren Bilder der Wirklichkeit eingetauscht. Gewaltig ist Java, eine Insel, die die Erde für ihre Schornsteine bestimmt zu haben scheint, denn am Horizont dämmert ein himmelstrebender Vulkan neben dem andern, hohe, vollkommen regelmäßige Pyramiden, deren Spitzen sich in den Tropenwolken verflüchtigen und ebenso schön sind wie der japanische Nationalberg Fujiyama. Wenn eine kräftige Rasse auf der Insel lebte, würde sie in Sage und Kunst viel berühmter sein als das in Wirklichkeit von der Natur stiefmütterlich behandelte Japan. Japan aber lebt, während in Java eine zahllose Bevölkerung wie Schatten von sich selbst umherschleicht. Bezeichnend hierfür ist das javanische Wajang, die einzige nationale Kunst, eine Schattenkunst, wo die Silhouetten einer vergessenen Götterwelt über die weiße Leinwand spuken, eine Nachtkunst. Ich sah sie, während der Kegel des Berges Sumbing seinen rauchatmenden Krater vom Vollmond abhob, und die zarten, unendlich verfeinerten Harmonien des Gamelangs unter den Tropenbäumen erklangen, primitiv einförmig, aber zu den allerausgesuchtesten Klängen und Bruchteilen von Tönen herabgedämpft, die Musik einer wilden, aber bereits alten Rasse.

Das war in Magelang, der Stadt, deren Name allein wie Musik klingt, Magelang, wo ich jeden Morgen zeitig eine seltsam zarte und flüchtige Musik hoch oben in der Luft hörte, die aus den Wolken zu kommen schien oder vom Sumbing, der seinen rauchenden Kopf vom Tiefland durch Dunst in eine schwindelnde Morgenklarheit emporhob -, war es möglich, daß der Sumbing einen Harfenlaut von sich gab? Dort oben wehte es ja beständig und pfiff vielleicht im Krater; eine Erklärung für diese mystische Musik mußte es doch geben. Später erfuhr ich, daß es Tauben seien, denen die Javaner Bambusflöten unter die Flügel binden, so daß es wie kleine Wolkenorgeln von ihnen herabtönt. Magelangs Tauben und Sumbings narbiger Krater über den Wolken aber werden stets mit demselben Ton in meiner Erinnerung haften bleiben. Übrigens hört man dieselbe luftige Musik in Peking, wo die Chinesen ihre Tauben auch mit kleinen Bambusflöten versehen, die beim Fliegen klingen. Offenbar eine alte mongolische Liebhaberei, die so entfernt voneinander liegende Orte wie Peking und Java gemeinsam haben, eine uralte panische und unschuldige Freude an der »Sphärenmusik«.

Über Sukabumi und Bandung – klingt das nicht wie ein Griff in ein Musikinstrument? – kam ich nach Garut, wo ich aus irgendeinem Grunde blieb. Ich kehrte in dem alten schnurrigen Hotel Papandajang ein, einer Mischung von holländischem und malaiischem Stil, es war, als ob mehrere große Spankörbe in einem Palmenhain verstreut waren, düstere Zimmer, der Kühle wegen aber mit großen, offenen Veranden davor. In Batavia gab es natürlich elektrisches Licht, in Buitenzorg war man bereits zu Gas herabgesunken, in Garut aber setzten sie einem alte holländische Petroleumlampen auf den Tisch. Große, schwarze Käfer, die wie Kontrabasse brummten, kamen angeflogen und bumsten gegen die Kuppel. Zahlreiche Geckos gabs hier, und zwar von der großen beredten Sorte, die über die Wand hinter einen Schrank rennen und Djek sagen. Große, widerliche Fangheuschrecken kamen hereingeflogen und setzten sich auf die Wand, wo es zwischen ihnen und den Geckos zum Duell kam. Der Gecko, das kleine Krokodil, das eine Farbe wie durchsichtiges Feuer hat und darum im Licht fast unsichtbar wird, versucht die Fangheuschrecke zu überlisten, während sie in Gebet versunken dasitzt; das vier bis fünf Zoll lange Insekt aber dreht sich wie ein Blitz um, und jedesmal, wenn der Gecko seinen Mund bereits weit aufgerissen hat, zeigt es seine gespreizten, häßlichen Giftzangen, und der Gecko zieht sich vorsichtig auf seinen Saugbeinen zurück, ein Spiel, das kein Ende findet. In den großen Kübeln mit Tropenbüschen vor der Veranda finde ich viertelmeterlange, fette Tausendfüßler zusammengerollt, und im Badezimmer humpelt eine große, warzige Kröte aus der Abflußrinne, als ich mich zeige. Hierzu kommen noch allerlei Mücken. Im übrigen bin ich allein. Die Abendluft ist mit der ganzen Süße der Tropen gesättigt, dem starken, dicken Blumenduft, der hier immer in der Luft liegt und wie der leibhaftige ewige Sommer ist.

Mein Pavillon geht zu einem Seitenweg hinaus, der von Gärten beschattet ist. Die dünnen, peitschenförmigen Äste eines Pompelmusenbaumes werden von den Früchten, die grünen Männerköpfen gleichen, ganz niedergedrückt. Über einem geflochtenen Staket breitet sich ein reifer Pisang; die gewaltige Pflanze ist an der Wurzel von einem Kranz junger Bananen über dem andern besetzt, wie von einer Unmenge von Drüsen, und unten endet der lange Stengel in einer großen, blauen und roten Blumenknospe -, unwillkürlich muß man an die Dichter des achtzehnten Jahrhunderts denken, mit ihren wandernden Bäumen und den Hengsten, die Menschenverstand hatten. Wie eine verzauberte Welt ist es hier, aber etwas reichlich warm.

Indessen scheint man die Hitze als etwas Natürliches hinzunehmen, auf dem Wege vor meiner Veranda ist ein spärlicher Verkehr, ungefähr wie in einer Provinzstadt, Leute kommen und gehen. Eingeborene im Sarong, auf bloßen, lautlosen Füßen, mit einem Sieb auf dem Kopf, von einigen Ziegen begleitet, die im Staub hinterdrein trippeln; hin und wieder ein weißgekleideter Holländer mit Tropenhelm zu Rad oder zu Wagen. Letztere Beförderung lenkt die Gedanken zu andern fremden Planeten, denn die Pferde auf Java gehören zu einer seltsamen Zwergrasse, noch kleiner und feiner gebaut als die Shetlandsponys, mit kleinen Hirschbeinen, wie eine Attrappe für die Uhrkette; sie laufen vor kleinen Jumben, bei denen der Sitz nach hinten gekehrt ist, so daß man dem Gespann den Rücken zuwendet, wahrscheinlich weil man sich seiner schämt; es klingt wie eine Taschenuhr, wenn ein Gespann Pferde auf den winzigkleinen Beinen angetickt kommt.

Nachmittags regnet es, ein warmer, einschmeichelnder Regen, der anfangs stark aufweicht; die Malaien wandern mit Pisangblättern überm Kopf, paradiesisch und ganz praktisch, sie bekommen keinen Regentropfen. Es blitzt ein paarmal, einige kurze, drohende Donnerschläge folgen, es ist der Papandajang, der nahe Vulkan, der über den Regenwolken brummt. Später wird es ein stiller anhaltender Regen, wie eine milde Wasserkannenbrause über einem Treibhaus, und ich mache einen Spaziergang durch die Stadt.

Die Straßen münden auf einen öden Marktplatz mit einer Moschee, einem Regierungsgebäude und einer Schule; sonst stille Wege mit Gärten und verborgenen Häusern, hier und dort eine dieser großartigen Königspalmen, die großen, lebenden Wesen gleichen, Rambutanbäume, voll von Früchten, Bambus, das vornehmste und verbreitetste Gewächs des Ostens, das man zu bewundern nie müde wird und das an Grazie und Zähigkeit an die Birke im Norden erinnert.

Die Stadt ist still. Die Leute bleiben in ihren Häusern, ich sehe Malaienkinder in den Türen; irgendwo sitzt ein Mann im Sarong mit gekreuzten Beinen auf einer Matte und näht emsig Maschine. Zwei Malaiinnen kommen über den nassen, roten Kies mit Holzklötzen an den nackten Füßen, sie sind sehr fein, mit zwiebelfarbigen Zügen, die Lippen geschminkt, jede mit einem europäischen Schirm überm Kopf, sie scheinen etwas Besonderes vorzuhaben, es bedeutet etwas, daß sie mit ihren kleinen, langsamen, verzärtelten Körpern im Regenwetter unterwegs sind.

Garut ist nach allen Seiten von Reisfeldern umgeben; die Stille in der Stadt wird noch stiller dadurch, daß es immer von den Überschwemmungen, deren Wasser von einem Feld zum andern geleitet wird, rieselt und sickert und plätschert. Tief unterm Berge aber fließt ein unsichtbarer Fluß, der braust und braust. Und so regnet, rieselt und braust es in Garut immerfort.

 

Eines Morgens früh miete ich mir ein Pferd und reite zur Stadt hinaus, durch eine Landschaft, die mit gewaltigem Schwung nach links aufsteigt, die Schulter des Papandajang, alles ausgedehnte Plantagen. Die Landstraßen auf Java sind vorzüglich, und hier draußen auf dem offenen Land zwischen den Reisfeldern begegnet man vormittags einer Menge javanischer Bauern, die paarweise Gummi über einem Joch tragen, oder Matten mit Gemüse und Reis, die auf dem Markt verkauft werden sollen; andere befördern Zimmerholz, indem sie die Balken mit Hilfe von zwei Bambusstangen wie eine Trommel den langen, langen Weg vor sich herrollen. In den Reisfeldern sieht man die pyramidenförmigen Hüte von andern Zahllosen, die in der stillen Sonnenglut arbeiten; man kommt an einer Hauskarre vorbei, einem jener altmodischen, geflochtenen Kastelle auf Rädern mit einem Dach darüber, von schwarzen Büffeln gezogen; das Ganze bewegt sich mit planetarischer Langsamkeit vorwärts, dafür aber kann man hin und wieder einen Malaien libellenglitzernd auf einem Rad, die bloßen Füße auf den Pedalen, vorbeisausen sehen.

Die Reisfelder verschwinden mit ihrer Sonnenglut; in einem Tal brütende Wasserspiegel in der Windstille, ringsherum der Blick auf gewaltige Berge, deren Mitte von schneeweißen Dampfwolken verdeckt sind, während die Gipfel in die dünne, blaue Luft hinaufragen. Ein Eisvogel sitzt auf einem Pfahl und spiegelt sich mitsamt Reis, Bergen und Himmel in dem warmen, glitzernden Wasser.

Die Bauern grüßen mich mit aller Ehrerbietung, die einem berittenen Holländer zukommt; die jüngeren entblößen den Kopf auf gewohnte Weise, die alten gesitteten Bauern aber wissen besser was sich schickt, sie sind nicht so frech zu grüßen oder gar einen Gruß zu erwarten. Schon von weitem nehmen sie verstohlen den Hut ab und passieren mit entblößtem Kopf, ohne aufzusehen. Ihre Höflichkeit besteht darin, daß man gar nicht auf den Gedanken kommen soll, daß sie überhaupt einen Hut besitzen, denn sie verbergen ihn auf der Seite, die vom Reiter abgekehrt ist, ja, man soll gar nicht auf den Gedanken kommen, daß sie überhaupt da sind. Eine ähnliche Art von Gesittetheit kenne ich von alten Bauern in Europa. Einige alte Malaien steigen ganz in den Graben hinunter, um mir auszuweichen, sie begeben sich jedes Rechts auf die Landstraße, solange ich darauf reite -, so sind Leute in Europas Mittelalter vor Karl dem Fünften zur Seite gewichen. Ein sehr alter Mann, der meiner zu spät gewahr wird, kann den Hut nicht mehr abnehmen, deutet aber, indem er die Hand zum Knoten führt, mit gebrechlicher Geistesgegenwart an, daß der Hut festgebunden ist, und als ich Großvater zunicke, knixt er wie ein kleines Mädchen, mit einem reizenden alten Lächeln. O, Java! Aber da sind auch einige junge Burschen, die gar nicht grüßen, ein anderes Java; und ein Haufe Lümmel, die sich durch ihre Menge stark fühlen, erlauben sich sogar, laut über die elende Mähre, die ich reite, zu lachen; es ist ein alter Hotelgaul, der zu Bergbesteigungen verwandt wird und dessen Beine vom Waten in den Lavafeldern blutige Schrammen haben. Es war gefühllos von dem jungen Java, sich über mein gichtbrüchiges Pferd lustig zu machen, auf dem ich englisch zu reiten versuchte. Mein Ausflug hatte seinen Reiz verloren, und da der vierbeinige Jammer unter mir auch Zeichen von Heimweh zu erkennen gab, machte ich kehrt, ohne oben auf dem Vulkan gewesen zu sein. Wenn Java nur nicht eines Tages hinter die Holländer kommt, wie man hinter mich kam.

Nach dem Reiseführer sollte es in dem hochgelegenen Garut kühl sein; ich fand es lauwarm; wenn man irgendwo unbeweglich saß, selbst bei Regenwetter – und es regnete mit ziemlicher Regelmäßigkeit jeden Nachmittag – , kam man ins Kochen. Trotzdem blieb ich, aus Mangel an Initiative. Die Jongen waren ländlich unverdorben und gaben sich alle erdenkliche Mühe, dem Reisenden das Leben angenehm zu machen, ich sah sie in den Ecken stehen und flüstern und beratschlagen, um meine Wünsche, wenn möglich, zu erraten. Die Guten machten unbewußt essende Bewegungen mit den Lippen, wenn sie mir servierten, sie schmatzten in der Hoffnung, daß es mir schmeckte. Und das Essen war auch ganz annehmbar, die malaiisch-holländische »Rijstafel«, die ja immerhin füllt; mageres Geflügel; auf Java spazieren die Hühner fast ohne Federn herum, bei lebendigem Leibe gerupft, die Wärme macht sie wieder zu Reptilien; ferner schreckliches Büffelfleisch, so hart, daß es vom Teller sprang, wenn man es schneiden wollte; es entfernte sich, und dagegen hatte man nichts einzuwenden; zum Schluß ausgezeichnete lokale Früchte. Ich sah nicht ein, weshalb ich dort nicht bleiben sollte. Da es zu heiß war, um sich zu bewegen, streckte ich mich auf meiner offenen Veranda und stellte eine Dose Tabak neben mich -, jetzt mochte Garut zu mir kommen.

Und es kam. In quadratisch zunehmendem Umfang, je mehr das Gerücht meiner Anwesenheit sich verbreitete, begann Garut sich vor meiner Veranda einzufinden, erst mehrere Händler, gewöhnliche Turistenhaifische, die Strohhüte und schlechte »Erinnerungen« in Form von Federhaltern mit Wajangfiguren verkaufen wollten; weg mit diesen Wajanghäßlichkeiten, Teelöffeln, Nachtkleidern, die ich in einem Laden kaufen konnte; all dies Pack jagte ich zum Teufel.

Ein altes Mütterchen, kaum zwei Fuß hoch, mit einem unendlich furchtsamen und sanften Wesen, nähert sich mit Mangustinen in einem Tuch und will sie verkaufen, wagt es aber nicht. Ich locke sie wie einen Sperling mit Krumen zu meinem Stuhl, sie flüstert und steht die ganze Zeit auf dem Sprung, während wir handeln. Sie soll einige Kupfermünzen bekommen, als ich ihr aber eine Silbermünze gebe und nichts davon zurückhaben will, begreift sie nicht, steht dumm da, mit dem Geld in ihrer offenen Hand; verschiedene Eingeborene eilen herzu, Gott mag wissen, woher sie kommen, und wollen ihr ihr Glück begreiflich machen, lachen laut in ihrem Interesse, und als die Alte ihr Glück immer noch nicht begreift, führen sie sie im Triumph fort, mitsamt dem Rest der Mangustinen und dem schweren Geld.

Inzwischen beginnt sich eine recht gute Stimmung in der Umgebung der Veranda breitzumachen, mehrere braune Jungen, die ich schon blitzartig zwischen den Pflanzenkübeln gesehen hatte, kommen ganz zum Vorschein, mit merkwürdigen Bambusapparaten in den Händen, die mich neugierig machen, und ehe ich es mich versehe, haben sie sich in einer Reihe aufgestellt und ein großes Orchesterstück begonnen, denn es zeigt sich, daß es Musikinstrumente sind. Sie bestehen aus einem harfenförmigen Bambusrahmen, in dem zwei hohle Rohre lose hängen, die einen Klang geben, wenn man den Rahmen schüttelt. Jedes Instrument ist auf einen einzelnen Ton gestimmt, und die Skala ist auf die Musikanten verteilt, wie bei gewissen Clownnummern. Es klang gar nicht übel, und amüsant war es zu sehen, wie die Jungen rhythmisch von einem Paroxysmus ergriffen wurden, wenn die Reihe an sie kam; schließlich schüttelten sie ihre Instrumente alle auf einmal in einem großen, mächtigen Schlußakkord.

Eine neue Nummer wird zum besten gegeben, und jetzt ist eine Tänzerin aufgetaucht, die vor dem Orchester eine Attitüde einnimmt, ein kleines Mädchen von höchstens acht Jahren, die mit parodistischer Genauigkeit den javanischen Tanz nachahmt, sie spreizt die Beine tapfer und mit Grazie, strammt sich hinten und agiert Geschmeidigkeit; übrigens rührt sie sich nicht vom Fleck, sondern tanzt mit den Händen, indem sie sie stark nach oben beugt und in mehreren vorteilhaften Stellungen zeigt. Tatsächlich haben die richtigen javanischen Tänzerinnen auch nicht mehr Tricks; es sind die Reste der alten vergessenen Hindukultur, die Bajadere, die zeigen will, daß sie dünn in der Taille und schmiegsam in den Gelenken ist. Viele Zuschauer sammeln sich nach und nach, ein ganzes Theater, schließlich sehe ich mich gezwungen, den Vorhang fallen zu lassen, indem ich mich in meine inneren Gemächer zurückziehe.

Als ich nach einer Weile wieder herauskomme, ist alles ruhig, nur eine Javanerin steht geduldig draußen auf dem Kies, mit einem Bündel zu ihren Füßen, und wartet. Als sie mich sieht, blitzen ihre Augen auf, und sie hält mir geschwind ein Stück Stoff entgegen, einen Sarong mit Batikmuster ... »Tuan!« ruft sie gedämpft und kommt näher; da ich ihr nicht abwinke, lächelt sie mit betelroten, abgenutzten Zähnen, eine nicht mehr ganz junge, schlanke und etwas dürre Malaiin, aber mit schönen, schlauen Augen.

Den Sarong kann ich nicht gebrauchen, gut, gut, weil wir nun aber einmal Freunde geworden sind, ob ich da nicht den haben will, den sie selbst trägt? Wie beliebt? Sie sieht sich um wie ein Vogel, kommt noch einen Schritt näher und zeigt auf ihre Brust, na-a, versteh ich sie noch immer nicht? Aber der tuan, mit dem sie es zu tun hat, ist etwas schwer von Begriff, er will keinem Mitmenschen den Sarong vom Leibe wegkaufen; statt eines Handels biete ich ihr Tabak an. Sie aber ist Philosophin, schüttelt den Kopf mit unbeschreiblich weiblichem Humor, »tuan tida mau malay«, sagt sie halb zu sich selbst, sieht mir schelmisch in die Augen und zeigt mit einer mißbilligenden Geste auf ihre Person, worauf wir beide lachen. Sie füllt sich den Mund mit Tabak. Darauf streicht sie sich liebkosend über die Wange, wie man tut, wenn es eine recht weiche Backe ist, ei, und geht. Diese letzte Pantomime verstand ich nicht recht. Aber einige Minuten später ...

Ich hatte mir ein Buch genommen und mich zum Lesen hingelegt, mit brennender Haut, es regnete, und man war mit seinem überhitzten Blut in der Feuchtigkeit eingesperrt, nicht einmal schwitzen konnte ich. Es war gegen Abend, die Zikaden hatten angefangen die Geigen zu dem gewohnten Dämmerkonzert zu stimmen; ein schlammiger Geruch von Regen und Erde drang auf die Veranda. Da hörte ich jemand auf dem Kies und sah von meinem Buch auf ... es ist eine junge Javanerin mit einem Gesicht wie mattes Gold, auf das Mondlicht fällt, und mit wunderschönen, dunkeln Tieraugen; jetzt steht sie ganz still ... tuan!

Gleich darauf verschwindet sie wieder, nachdem sie ein paarmal mit furchtsamer Stimme gerufen hat, ein gedämpfter Mädchenlaut, und ich sehe den schmalen Rücken im Sarong, indem sie sich entfernt. Ein eigener, weicher Gang, wie ein wiegender Strohhalm, sie hat nie etwas an den Füßen getragen. Das war der reine javanische Typ, ein ganz flaches Gesicht, der Kopf rund wie eine Kugel, schwache, schöne Arme, ein zarter und ganz fehlerfreier Torso, der Mund und der niedrige, offene Nasenflügel wie die Blätter einer Orchidee. Ich hätte ihren kleinen Sarong leicht kaufen können, war aber so sehr in eine interessante Stelle meines Buches vertieft, daß ich mich nicht stören lassen konnte, und darum verließ Javas Tochter mich wieder.

 

Tags darauf traf etwas Unangenehmes ein, das mich veranlaßte, Garut zu verlassen. Ich aß gerade Frühstück an der Table d'hote, wo ich allein zu sein pflegte, ausgenommen zwei merkwürdige Kinder, die im Hotel wohnten, Geschwister von zwölf und dreizehn Jahren, Mischlinge, offenbar von reicher Familie, Pflanzerkinder; sie saßen lautlos da und aßen, wechselten hin und wieder ein paar Worte auf malaiisch. Sie ähnelten einander sehr, der Junge hatte ebenso runde, volle Glieder wie das Mädchen und dieselben märchenschönen Augen, nur war er kurzgeschoren, während das kleine Mädchen eine schwere, braunkohlenfarbige Mähne über den Rücken trug. Sie sahen merkwürdig verschlafen aus, mit verwischtem Mund, keinen wirklichen Zügen, obgleich sie sehr schön waren; sie glichen chloroformierten Engeln.

Da höre ich, wie ein Automobil sich durch die Stadt tutet und vorm Hotel hält, und einen Augenblick später kommen zwei Europäer, unter dem Gerenne des ganzen Personals, sogar des Wirts, in den Speisesaal, die eine ein großes, prachtvolles Mädchen im Staubmantel, ohne Hut, einen Autoschleier über dem roten Haar, – die Flamländerin von der »Geldern«! Ja, sie ist es, sie kommt angesaust wie der kalte Osterwind in Holland, ihre Augen blinken wie ein Frühlingswasser, sie brennt und ist zugleich kühl wie gelbe Tulpen, wie ein Wetter von nordischer Kraft und Süße kommt sie herein ... und hinter ihr, mit der Chauffeurbrille auf der Stirn, den Mund vom Bart verdeckt, der Schulreiter oder was er sonst war ...

Sie gehen an meinem Tisch vorbei, sie wird meiner gewahr und errötet so tief, daß die Sommersprossen und Augenbrauen ganz weiß in dem kochenden Gesicht wirken, sie nimmt sich zusammen, lächelt mit heißen Augen, und als sie vorbei ist, legt sie den Kopf in den Nacken mit einem gebrochenen Ausdruck, schuldig, trotzig und verloren.

Wie war sie ausdrucksvoll, als sie hereinkam, mit leichten Schritten, die die Fußbodenbretter zum beben brachten, mit nervösen, beweglichen Nasenflügeln, und als sie sich dann in die Lippen biß und in der ganzen Haltung zusammengefallen nach einem Stuhl griff, den sie gegen die Erde stieß, bevor sie sich setzte. Phlegmatisch war sie nun eben nicht. Ich war mit meinem Frühstück fertig, hatte nichts mehr im Speisesaal zu tun, erhob mich und ging hinaus. Die beiden Tropenkinder hatten sich an ihrem Tisch umgedreht und starrten das neuangekommene rote Wunder mit großen, dunkeln Augen sprachlos an.

 

Wenn man mit der Eisenbahn von Batavia nach Surabaya fährt, sieht man auf der ganzen Strecke zwei Unkrautpflanzen, eine mit lachsfarbenen und eine mit lavendelblauen Blumen, die immer zusammen wachsen und ganze Büsche miteinander bilden, eine Art Blumenfreundschaft, auch überall in Hochjava sieht man sie. Etwas Näheres weiß ich nicht von ihnen, aber sie sind in meiner Erinnerung haftengeblieben, sie passen so gut in der Farbe zueinander, ein intimes javanisches Lokalkolorit. Noch jetzt, zwei Jahre später, muß ich an sie denken, sobald Java vor mir auftaucht, ebenso wie ich Dänemark in dem Löwenzahn, Knöterich und Bienensaug wiedererkenne. Ich werde nie mehr nach Java kommen, werde nie mehr die Zwillingsvulkane Sumbing und Sindoro wiedersehen oder die Morgenmusik der Tauben in Magelang hören.

Bisweilen streift der Gedanke mein Gehirn, was die Tropen wohl aus der großen, rücksichtslosen Flamländerin gemacht haben, der ich durch einen Zufall just in der schicksalsschwangeren Periode begegnete, als die Tropen den Frühling allzuzeitig in ihrem nordischen Blut hervorgelockt hatten. Während eines kurzen Besuchs in Surakarta, an einem der letzten Tage, die ich auf Java verbrachte, ging ich in ein holländisches Hotel, um zu Mittag zu essen, und bevor ich der eingeborenen Bedienung übergeben wurde, kam mir der Oberkellner, oder war es der Wirt selbst, mit einer kaltblütig servilen Verbeugung entgegen, um mir einen Platz anzuweisen; es war der Mensch von der »Geldern« mit dem Reiterkorpus und dem pöbelhaften Zug, der halb unterm Schnurrbart verborgen war.

Das war das Letzte, was ich von dem Roman sah, der an Bord der »Geldern« begonnen hatte. Der Schluß ist mir unbekannt.


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