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Sonntagmorgen

Wenn die Sonne aufgegangen ist, kommen die Lerchen vom Himmel herab, wo sie hoch droben gehangen sind, um nach dem ersten Sonnenstrahl zu spähen. Gleich daraus trompeten überall die vorlauten Hähne. In den Dörfern erwachen die Leute und sehen, daß es wieder weißer, frischer Tag geworden ist, während sie schliefen. Auf den Hofplätzen, die mit Steinchen gepflastert sind, beginnen Holzschuhe zu klappern. Meilenweit hört man von Gehöft zu Gehöft das zärtliche Ao-ao der pfeifenden Brunnenwinden und das Aneinanderschlagen der Blecheimer.

Eine Stunde später hat der lebendige Tag alle nahen und fernen Laute in seine Mühle zusammengeschüttet. Niemand hört mehr darauf.

Vor dem Hause des Tierarztes in Kjeldby hielt ein Knecht mit einem zweijährigen Hengstfüllen. Ein wenig nach ihm kam vom Viehweg her ein zweiter Knecht mit zwei kleinen Fohlen. Der stellte sich auch vor der Tür auf. Nun sahen beide Burschen einige Minuten lang einander unverwandt und nachdenklich an.

»Wo bist denn in Dienst?« fragte endlich der zuletzt Angekommene. Als er das gesagt hatte, sah er wieder erschlafft drein.

»I bin Knecht beim Graves in Svendsild,« antwortete in gedämpftem Ton der andere. Er wandte sich dem Füllen zu und strich ihm einmal über die gespaltene, feine Rundung des Kreuzes.

»Is das vielleicht sein's, und ...«

»Ja.«

Sie schwiegen lange. Der eine suchte mit seinen Fingern den weißlichen Flaum zu erwischen, der ihm auf den Backen wuchs. Eine Frage blieb zögernd in ihm stecken. Er betrachtete angelegentlich die Gummischlange der Pfeife, die dem andern aus der Brusttasche hervorlugte.

»Was soll die Pfeif'n kost'n?« fragte er endlich. Es war eine freundliche Annäherung.

»Is mir nit feil.« –

Nun wußten sie nichts weiter zu sagen, obgleich man beiden ansah, daß sie sich gern miteinander unterhalten hätten. Sie standen da und hielten die Tiere und traten von einem Bein auf das andere. Die Tiere taten dasselbe.

Eine kleine Weile später ging die Tür zum Zimmer des Tierarztes auf; sie knarrte lange, ehe sie zur Ruhe kam. Drinnen war's blau vor Tabakrauch; durch den Dunst schimmerten Bücherrücken auf einem Regal. Man hörte den Lärm von Holzschuhen, dann kamen zwei Bauersleute heraus; wie sie's von daheim gewohnt waren, bückten sie sich in der Tür, obwohl die reichlich hoch war. Es war Graves aus Svendsild und der alte Schmied Kren, beide Hofbauern. Sie sahen ganz aufgeweckt und behaglich aus.

»Nun müßten wir Wohl trachten, einige Leute zu bekommen,« sagte der Tierarzt Elle und schaute den Weg entlang. »Kai, lauf zu Schuster Anton, und Laust – wie viele sind wir? – schau auch Friedrich Just aufzutreiben!«

Kai lief; die Absatzeisen auf seinen Stiefeln blitzten in der Luft.

Graves hatte einen langen Strohhalm gefunden, den er durch die Pfeifenspitze zog; etwas fettig glänzender Tabaksaft kam heraus.

»Jetzt raucht sie,« sagte Graves vergnügt, als er die Pfeife wieder zusammengesetzt hatte. Kren, der Schmied, stand bei seinen Fohlen, sah den Weg entlang und dachte. Kai kam atemlos zurück und fing an, Taue und Ledergürtel aus dem Flur herbeizuschleppen. Zuletzt kam er mit dem Kasten, der die Zangen und Sägen enthielt; er wühlte mit kundiger Hand darin herum und tat seine Pflicht. Friedrich Just kam angeschlendert, er war noch ungewaschen und steckte in seinen geflickten Kleidern.

»No, sollen jetzt de dran glaub'n?« sagte er luftig und sah dabei die Fohlen an, die unruhig hin und her traten und das Weiße der Augen herauskehrten.

»Ja, jetz wird's wohl nimmer lang dauern,« meinte Graves gemütlich.

Kren, der Schmied lächelte still. Die beiden einjährigen Fohlen gehörten ihm.

»A verdammt schens Pferd!« rief Friedrich Just aus und sah prüfend Graves' rotes Füllen an.

Graves zog die Luft durch die Nase ein, sann nach – und spuckte vor sich hin.

»Hm ja, es taugt scho was.«

Schuster Anton tauchte auf in seinem Schurzfell, und mit pechigen Fingern.

»Mechtest's nit do liaber aufzücht'n?« fragte Friedrich Just ernsthaft.

Graves wußte nicht recht – – aber nun schien es ihm fast, als ob ...

Als Laust sich endlich zeigte, setzte man sich in Bewegung gegen einen kleinen, ausgetrockneten Teich am Ende des Weges. Kai ging voran, schwer und verantwortungsvoll beladen mit dem Pferdegeschirrs

Das eine Fohlen wurde zuerst vorgenommen, die beiden andern wurden auf den Äckern angebunden. Kai suchte auf dem Wiesengrund die Steine zusammen und warf sie dann weit fort. Die Männer legten die Pfeifen ins taufeuchte Gras.

»'s ist recht geduldig,« erklärte Schmied Kren, als der Tierarzt dem kleinen, zottigen Fohlen den Ledergürtel über den Rücken legte. Das Tier begann zu zittern.

»Ja, ja – es spreizt sich a bißl,« sagte Kren, der Schmied. – »Na, steh ruhig – es g'schicht ja nix – so steh!« – Beruhigend kraute er dem Fohlen das Maul mit den Knöcheln.

»Na ja, zum verwundern war's weiter nit,« meinte Friedrich Just. – »He, schaut's bloß, wie sich's spreizt. – Ja, ja, Freunderl – 's wert a nit lang dauern.«– –

Hi! Kren, der Schmied, fuhr sich mit der Handkante trocknend unter der Nase vorbei. Kai hopste mit einer Tauschlinge umher, um ein Bein des Fohlens hinein zu bekommen.

»Schau, daß d' weiter kommst! Also!« sagte Kren, der Schmied.

Endlich waren alle Taue und Schnallen in Ordnung. Tierarzt Elle richtete sich auf und rückte seine Brille zurecht.

Nun sollte ein starker Mann an den Kopf des Tieres.

Die Männer schauten auf den Boden; keiner rührte sich. Aber ihre Seelen kamen stillschweigend überein, und als es Zeit war, stand Graves aus Svendsild beim Kopf des Fohlens und faßte die Halfter.

Einer müsse den Schwanz fassen!

Das übernahm Schuster Anton. Die übrigen stellten sich zu den Tauen. Das Fohlen zitterte im Geschirr und schnaubte. Die Nasenlöcher blähten sich auf und schrumpften wieder ein.

»Nicht, bevor ich's sage!« Der Tierarzt hob den einen Vorderfuß beim Haarbüschel des Fesselgelenks in die Höh und zog das Seil an.

Zsssieh!

Die Männer zogen an, so daß sich die Holzschuhe tief in den Wiesengrund eintraten. Das Fohlen verlor den Halt und fiel um, es schwabberte in seinem eigenen Bauch und stöhnte schwer. Graves lag seiner ganzen Länge nach auf dem Boden und preßte mit der ganzen Schwere seines Oberkörpers den Kopf des Tieres nieder. Dann schnürte der Tierarzt die Taue fest. – Nachlassen! rasch! – – es war bald getan. Das Fohlen lag mit dem weißgelben Bauch nach oben, das feine Fell spannte sich ihm über den Beinen. Dann holte Kai mit geübter Geschäftigkeit den Kasten, und Tierarzt Elle zog das Messer aus der Westentasche.

Graves kniete am Kopfende und bückte sich vor um zuzusehn. Die anderen standen bei den Tauenden. Friedrich Just half mit Zange und Bindfaden.

Die muntere Laune hüpfte leis und klug von einem zum andern. Witze, die schon alle Rechte der Verjährung besaßen, wurden noch einmal gesagt. Kren, der Schmied, schneuzte sich vorsichtig und trocknete sich hinterher die Nase ab. –

»Hektor!« – Der Hund des Tierarztes saß hinter dessen Rücken und paßte auf; der Tierarzt winkte mit dem Kopf – und Hektor war da – glubs! – – »Der hat Übung,« sagte Graves.

»'s war halt sei Fruhstuck,« sagte Friedrich Just.

Graves lachte. Sein Lachen war ein lautloses Luftauspressen; ungefähr wie der krampfig gewordene Keuchhusten eines Kindes.

Oben am Weg kam ein Wagen vorbei; es waren Leute, die ins Dorf fuhren. Die dicken Mähren trabten bedächtig, hinter ihnen schwebte eine Staubwolke. Auf dem Feld begann Gravesens rotes Füllen zu tanzen, es hob den Kopf in die Höh, und drehte die großen, lustigen Augen; die Ohren bewegte es nach vorn. Dann machte es eine Drehung um sich selbst und wieherte mutig. Solang der Wagen in Sicht war, stand es da mit gestrecktem Hals und hoch erhobenem Kopf.

Tierarzt Elle war fertig. Kai stellte den Wassereimer neben ihn ins Gras; um das Fohlen herum wurde Ordnung gemacht, dann lockerten sie die Taue. Das Tier blieb liegen, alle Biere von sich gestreckt, und schnaubte.

»Hopla! willst vielleicht nit aufstehn?« Kren, der Schmied zog's am Schwanz und stieß ihm sachte mit dem Schnabel seines Holzschuhes ans Hüftbein.

»No also, jetzt kennt mar also ans Abschiedessen denken,« sagte Friedrich Just. Das war ein bekannter und altbewährter Witz, der seine Anerkennung fand.

Das Fohlen sprang endlich auf, schüttelte sich und wandte sofort den Kopf zur Stelle hin, wo's weh tat. Kren, der Schmied zog es einige Schritte vor; das Hinterteil war ein wenig steif.

»Schaut das jetzt verdunnert drein,« rief Friedrich Just triumphierend.

Das Fohlen mußte in Bewegung bleiben, es durfte sich nicht niederlegen. Kai hielt den ausgestreckten Arm vor und Kren, der Schmied, warf ihm das Geschirr drüber. Kai trollte damit ab; das aufgewundene Spannseil baumelte ihm an den kurzen Beinen herunter. Das Fohlen ließ den Kopf hängen und trabte hinterdrein.

Dann kam das zweite von Schmied Krens Fohlen an die Reihe und innerhalb einer Viertelstunde war auch das besorgt.

»De drei Kronen seint freilich leicht verdient,« sagte Graves, der Spitzbub. Das war ein Scherz, aber Kren, der Schmied, meinte doch mit einem Einwurf nicht zurückhalten zu müssen.

»Ja ... aber das Studieren,« sagte er ganz leise.

Man verschnaufte ein wenig, ehe das Rote vorgenommen wurde. Nördlich vom Teich schwärmten auf dem Weg kleine Kinder in rotkarierten Schürzen. Sie plapperten mit Kai. Die Glocke der nahen Kirche hatte zu läuten angefangen, sie wimmerte in einem kummervollen Ton. Von Süden her kamen zwei Weiber mit schwarzseidenen Kopftüchern. Die Sonne schien auf ihre Taschentücher, die sie um das Psalmenbuch gelegt in der Hand trugen. Es war ein stiller, herrlicher Morgen. Die Lust rührte sich kaum; sie glitt einem übers Gesicht, kühl von dem Tau, den die Äcker ausatmeten, und klar wie Wein.

Kai wurde das andre Fohlen anvertraut, und er schlenderte mit ihm über das Brachfeld. Das Tier schnupperte betrübt an den Grasbüscheln und schnappte mit der Unterlippe.

Jetzt kam das Rote an die Reihe, es folgte Graves in kurzem Trab zum Teich hinunter. Die beiden Wölbungen des Kreuzes gingen abwechselnd auf und nieder, die Mähne flog. Mit diesem Füllen war es schwer fertig zu werden. Graves stand beinah auf dem Kopf, so mühte er sich, um den Kopf des Tieres niederzuzwingen.

»Seltsam, daß der Jens Jürgensen bei seine zwa nix will machen lass'n,« sagte Graves nach einer langen Pause.

»Er will bis auf 'n Herbst wart'n,« pfiff der alte Schmied Kren mit seiner Fistelstimme. »Die Leut seint halt arm.«

»Merkwürdi; der Mann hat do Futter g'nue g'habt, der brauchet do nit so genau z' sein. Seine beiden Oxen hab i auf 'n Markt kauft.«

»Du hast sie kauft, auf 'n Markt? Der verkauft do sunst glei bei sich auf 'n Hof, der Jens – was will er denn eigentlich. Sei braun's Roß hat er gestern a verkauft – nach Alsted.« –

»Geh, was d' nit sagst. – No, i mecht a wiss'n, wann i mei Rote verkauf'n soll; i meine die Mutter von den da.« –

»Hast vielleicht dran denkt, das Viech herz'geb'n?« –

»Ja, jetz wo i die beid'n Zugochs'n hab.« –

Sie redeten nicht weiter. Der Tierarzt war fertig, und Kai konnte auch mit dem Roten abziehn. Schuster Anton raffte die Stricke zusammen, und Friedrich Just, der ihm half, machte in aller Stille eine Schlinge und warf sie ihm um den Hals.

»He Anton, du Steps'l, geh her da, mir wer'n di glei auf 'n Boden hab'n. Brauchst bei Tag nit allemal 's Maul so voll z' nehmen. Kummt's alle her, und schmeiß'n mar ihn hin.«

Laust zog den Mund breit und lachte laut auf, die beiden Hofbauern zwinkerten dem Spaßmacher lustig zu. Dem Anton war's nicht recht geheuer.

Nun wollte man ins Wirtshaus, um sich etwas gütlich zu tun.

»Er wert doch wohl aufpass'n, der Bursch,« fragte Graves und sah hinter Kai her.

»Ja, die Fohlen dürfen sich nicht hinlegen.« Auf dem Weg zum Wirtshaus erzählte Tierarzt Elle von einem Füllen, das sich hinlegte und sich mit den Zähnen so zurichten konnte, daß man's töten mußte.

»Je, je,« sagte der alte Schmied Kren erschüttert. »Was Sie nit sag'n. Ja, ja, das war freili a Unglück. Je, je!« –

Man gab dem Drange ins Wirtshaus nach, und das braune Bier wurde gebracht. Klink, klink, und dann trank man aus den Flaschen. Schuster Antons Adamsapfel ging auf und nieder, während er den Trunk in sich hineingurgelte. Nachdem sie getrunken hatten, setzten sie die Flaschen auf den Tisch, und einer nach dem andern rülpste. Die Pfeifen kamen zum Vorschein. Graves nahm die Hälfte des hölzernen Pfeifenkopfes in den Mund, um auf diese Weise dem Pfeifenzapfen mit dem Tabaksaft zu entgehen, während er die Asche auf die Erde pustete.

»No ja, so was is ja eigentlich ganz schen« ... sagte mit seiner feinen Stimme Kren, der Schmied, lange hinterher und sah drein, als ob er an ganz besondere und tiefe Dinge dächte.

Tierarzt Elle fuhr mit der breiten, weißen Hand über Mund und Bart.

Langsam ging das Schweigen durch die Stube. Unter dem Fußboden im Keller tropfte das Wasser aus einem der Hähne in einen Trog – pit, pit. Draußen auf dem Pflaster hüpften die Spatzen umher; einer wagte sich bis auf die Türschwelle.

Wwwit! und dann war er wieder weg.

»Na ja,« sagte Tierarzt Elle und stemmte die Hände gegen die Knie.

Schweigen.

Graves stopfte weiter an seiner Pfeife, sein weiter, glatt rasierter Mund lächelte breit – das Ganze mag schon so seine Richtigkeit haben, das Ganze – hm ja – was es nun sein mochte ...

Sie saßen alle in derselben Not, dem Drang nach Mitteilung und dem Mangel an der Fähigkeit dazu.

Endlich wendete sich Kren, der Schmied, mit einer Frage an Graves.

»Hast dein Hafer g'saet?« –

»Na, no nit.« –

»Steht nit schlecht der Rogg'n heuer,« sagte Schuster Anton laut und erleichtert.

Ja, äußerst gut!« stimmte Graves lebhaft bei. »I mein wirkli, mir krieg mal heuer a guets Kornjahr. Aber a paar Tröpfln Reg'n kunnten nit schad'n.« –

»Der Tau,« sagte Kren, der Schmied; »'s taut stark in der Nacht, sonst war die Erd'n ja bald ganz dürr wie a Rind'n.«

Draußen ging Kai vorüber mit den drei Fohlen. Sie waren traurig und ließen die Köpfe hängen. Hin und wieder zogen sie am Geschirr, um nach rückwärts zu sehn. Die Spatzen auf dem Steinpflaster flogen erschreckt in die Höh und flatterten übers Feld hin.

»'s a eigene Sach mit die Viecher – die seint g'scheit.« –

»Ja, dö seint g'scheit.« – Es war Friedrich Just, der sein Zutrauen zu den geistigen Fähigkeiten der Tiere ebenfalls aussprach.

»Dö wiss'n's ganz akkurat, wenn sie krank sein. Grad wie jetz vor an Jahr – muß i sag'n – die Stut'n, die i verlorn hab. Der Tierarzt hat wohl drauf umeranand doktert ...«

Graves kniff seine warmen Augen ein; sein breites Gesicht strahlte vor Freude.

»Sie hat nit mehr leben können. Im Jungviehstall is sie g'standn mit 'n Jungen, und man hat leicht mirk'n können, daß sie g'wußt hat, was gescheg'n is. Ja freilich. Sie hat so a seltsam's G'schau g'habt. So recht barmherzig hat sie 's junge Rös'l ang'schaut. Zwar g'want hat sie. War a gute Stut'n. Aber schließlich versichert war sie ja. – – Und wie sie g'schnauft hat beim Atemhol'n, wie a Mensch hat sie g'seufzt ...«

Graves saugte an der Pfeife und klappte den Deckel zu.

»Ja, ja – so was is gar nit unmöglich,« sagte Kren, der Schmied sehr gedämpft. »Mei Großvater selig hat von zwa Stut'n derzählt – na 's übrigns scho lang her – de sei Nachbar g'habt hat. De ham die Franzos'n g'stohl'n. Beide haben Junge g'habt. Der Mann war ganz zerrütt' wegen den Schad'n. Warn zwa verflucht guete Pferd. Zwa Tag drauf sein die Stut'n ganz gmüetlich wieder auf'n Hof kommen. Die Franzos'n ham halt wenig aufpaßt. Die Stut'n ham geschrien auf'n Hof, und die Jungen in Stall ham g'wiehert. – 's war a rechte Freud.« – –

Kren, der Schmied bückte den Kopf und spuckte dicht an der Tischkante vorbei.

»Habn aber denno a traurig's End g'habt, de zwa brav'n Viecher. Mei Großvater selig hat's a verzählt. Wie der Knecht is in die Schwemm gang'n mit ihnen, sein's wild worn – wahrscheinlich von die Brems'n. Oder leicht sein's a z'lang im Stall gewes'n. Sie ham nit mehr parier'n woll'n und sein immer weiter ins Wasser eini. War a recht sumpfigs Wasser, der Teich. Sein auf'n Grund steck'n blieb'n. – No und der Knecht – der is halt a dersoff'n. – Ja, ja, – war a böse G'schicht.« –

Kren, der Schmied, holte tief Atem und drehte den einen Daumen um den andern. Die blassen, alten Augen sahen starr vor sich hin ... in die Zeiten hinab, die vorbei waren.

Dann fiel sein Blick auf den Tierarzt, und Kren, der Schmied, holte einen Leinwandbeutel aus der Tasche.

Graves folgte seinem Beispiel und schweigend wurde die Zeche bezahlt. Bald darauf sagte Kren, der Schmied, so ganz nebenher:

»I hab a Kalb'n, das a bißl steif is – is nit viel dahinter – vielleicht könnt mar der Herr Tierarzt a Mittel verrat'n ...«

Kren, der Schmied, erfuhr das Mittel. Nachher wurde er unruhig, tastete auf der Flasche herum und räusperte sich.

»Ja, und die Preuß'n hab'n 's a scharf g'habt auf die Pferd,« sagte Graves. »I waß no ganz guet, wie 's kommen sein. War a klaner Bursch damals. I und mei Vater warn mar auf'n Krautgart'nzaun ob'n, und in Nord'n geg'n Alsgaard zu hab'n mar a ganz klans Stückl von der Aalborger Straß'n derseh'n können. Die is so über an Hügel gangen – war so a guete Meil'n bis hin. Auf amal in der Frueh sein die Preuß'n ang'ruckt kommen, a Ameis'nzug auf der Landstraß'n. Der Staub is aufg'flog'n und mir hab'n die Bajonett'n und die Sabel blitzen g'sehn. Mir hab'n bloß das klane Stückl von der Straß'n g'sehn, dort über die Höh drüben. G'hert hab'n mar aber gar nix. Aber die Soldat'n sein bis in späten Nachmittag drüber gezog'n – mir sein von Zeit zu Zeit auße schau'n gangen. Aber alleweil und alleweil sein neue kommen. So geg'n a viere steigt mei Vater von Zaun hinab und hat ang'fangt zum wanen. Mei ältester Bruder, der Per – no, voriges Jahr im Frühling is er g'storb'n – der is halt als Soldat in Vendsyssel g'stand'n – und die Preuß'n sein alle dorthin zog'n. Mir hab'n nimmer g'wußt, wo mar alle die Pferd hinbringen soll'n – haben uns a alle wegg'nommen. Mir hab'n nie mehr was g'hert davon.«

Graves lächelte gedankenvoll und spritzte den Tabaksaft auf den Fußboden.

»Aber die Viecher sein halt amal g'scheit,« sagte er zärtlich, 's war in vorig'n Herbst – ja, ja, das war wirklich seltsam. I bin auf die Mühl' nach Ejdrup gangen, 's is spät gewes'n, mir hab'n den ganzen Tag g'ackert und i hab' die Pferd' nit früher können hab'n. 's sein die zwa Braun g'wes'n – no, mir haben bloß a zwa Vierling Roggen hol'n woll'n. Wie mar hab'n müssen hamfahrn, war's schrecklich finster. I hab' so was no nit g'seg'n g'habt ... i mueß mir aber die Pfeif'n stopf'n.« –

Graves stopfte die Pfeife und sann nach – in seinem Gesicht arbeitete es – alle saßen erwartungsvoll da.

»Ja, es war nirgends a liechter Fleck. I hab mi a bißl versäumt g'habt in der Mühl' und wie i aufs Feld auße kommen bin, war 's stockfinstre Nacht. I hab mein Hand nit vor die Aug'n g'sehn. So schrecklich finster war's. No, i steig' also auf 'n Wagen, z'erst hab i nit amal die Pferd sehn können. Aber die beiden Braun hab'n guet Weg g'halt'n, i hab mi verlass'n dürf'n. Und die Augen g'wöhnen sich ja. Mit der Zeit hab i die nächsten Gegenstände do unterscheiden können. So weit war 's ganz gut. Ihr kennt's ja den Vilsomer Hügel. Is gar nit so wenig steil der Berg, den hab' i g'fürcht'. I hab die Zügel fest anzog'n, wie mar hinkommen sein, und meine zwa Braun hab'n a ganz vernünftig ausgriff'n.«

Graves hob die Stimme.

»Da auf amal, auf der Mitt'n von Berg, wie i schaun will – – na, ob ihr's jetzt glaubt's oder nit – da fahr mar auf amal rückwärts.«

»Je, je,« sagte traurig der alte Schmied Kren und sah mit seinen abgenutzten Augen auf.

Tierarzt Elle zupfte an der Brille und schärfte gleichsam den Blick.

»Ja, ja, 's scho wahr. Und i mueß sag'n, i hab a schreckliche Angst g'habt. Wie i in Wag'n aufstehn will, hab'n meine Knie ordentlich gezittert. I schau auf die Erden und siech nix; i schau auf die Pferd' – de gehn ganz schön im Takt und stoß'n die Schienenknie gegen die Deichsel, weil sie bremsen mußten – aber mir war's do, als ob mar rückwärtsfahr'n tät'n – aufi auf'n Berg. Mir is ganz kalt wor'n im G'sicht. Da wer'n mir auf amal die Pferd' unruhig – i hab's ganz genau spüren können – sie hab'n a bissl gezittert. Da bin i ganz verdonnert g'wes'n. No ja, i mueß ja sag'n, i bin a bissl a hitziges Mensch, und wann mar was dazwisch'n kommt – – no, und das hab' i ja wirklich nit begreifen können. I bin wild wor'n und hab' auf die Pferd' dreing'haut. I bin kerzengrad im Wagen g'stand'n, und mir sein bloß so über'n Berg abi g'saust. Die Säck hab'n zu rutschen ang'fangt und sein mar auf die Fers'n g'fall'n. Da hab i ganz die B'sinnung verlor'n, denn jetz sein mar in Galopp hing'flog'n – und alleweil rückwärts. Endlich, wie mar unten ang'langt war'n, hab i auf amal an stanernen Wegweiser g'sehn, der mit Kalk weiß ang'strichen war; der is uns bloß so entgegeng'flog'n kommen. I hab ihn nit deutlich sehn können – aber auf amal war alles wieder in der Ordnung, mir sein wieder vorwärts g'fahr'n, wie 's recht war. Da hab i ang'halt'n und bin von Wag'n g'stiegen. Meine Knie hab'n bloß so gezittert. Und die Schenkel von die beiden Braun hab'n a gezittert, und die beiden Viecher hab'n nur so g'schnauft. Das letzte Stückl hab i sie bei der Hand g'führt. No, war das etwan nit seltsam? I waß nit, was das is mit'n Z'ruckfahr'n – aber es gibt no mehr Leut, die a davon erzählt hab'n. Und i waß ganz g'wiß, daß die Pferd Angst g'habt hab'n, wie sie mei Unruh g'spürt hab'n – das is amal ganz sicher. Denn auf was Unnatürlichs kann i ja do nit glaub'n.« –

»Hm, hm,« murmelte Kren, der Schmied, wie einer, der sich sein Teil denkt.

Nun schwiegen sie wieder. Graves trank sein Bier aus und schüttete den letzten Rest auf den Fußboden.

»No, i mueß jetz schaun, daß i mit mein Roten ham kumm.« –

Kai stand vor dem Wirtshaus und hielt die Fohlen. Als er den Roten abgeliefert hatte, lächelte Graves wie die Sonne. Gleich darauf lächelte auch Kai; er hatte ein blankes Trinkgeld bekommen.

Dann zog Graves mit seinem Füllen ab. Kren, der Schmied, kam aus dem Stall und wollte auch fort. Kai übergab ihm das Geschirr und suchte Schmied Krens Augen festzuhalten. Aber der kleine, dürre Alte sah über Kai hinweg und weit in die Ferne, wo die Jemdrup-Kirche wie ein weißer Kalkpunkt mitten auf dem sonnigen, welligen Land lag.

»Dank dir halt recht schön!« –

Kren, der Schmied, stolperte mit den beiden zerzausten und steifbeinigen Fohlen den Weg entlang. Die Holzschuhe klapperten auf dem Steinschotter, der Tabaksrauch ringelte sich nach rückwärts über die verblichene Rockschulter.

Auf dem Weg gingen die Leute zur Kirche, sie bewegten sich langsam in ihren schwarzen Kleidern. Eine kleine Staubwolke flog auf, die Sonne glänzte und blendete.


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