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Die Siebenschläfer

Die jüngeren Burschen von Keldby trieben sich am Neujahrsabend im Dorfe umher und schlugen nach altem Brauch Töpfe an den Haustüren entzwei: An mehreren Türen hatten sie sich schon einfangen und traktieren lassen, so daß sie vielleicht schon etwas angeheitert waren, als sie auf den Gedanken verfielen, dem ›Oberhof‹ einen Besuch abzustatten. Die jütländischen Bauern geben bei dieser Gelegenheit Branntwein und Kuchen zum besten. (Anm. des Übers.)

Mit den Leuten dieses Bauernhofes jenseits des Sees hatten sie schon lange ein Hühnchen zu pflücken. Als sie nämlich im vergangenen Jahr auf dem Oberhof gewesen waren, um Neujahrsulk zu treiben, da hatte man sie schändlich behandelt. Sie waren damals allerdings mit einem groben Spaß gekommen, denn gerade als die Oberhofleute in weichster Heiligabendstimmung bei ihrem Abendbrot, der süßen Grütze, saßen, wurde die Küchentür aufgerissen und hinein flog ein riesiger Färbekessel voll trockener Asche und landete mitten auf dem Tische, wo er zersprang und seinen Inhalt in jeden Winkel der Stube wirbelte. Vor Husten und Empörung konnten die Oberhofleute erst gar nichts unterscheiden, sie tasteten sich in der Aschenwolke ängstlich vorwärts, bis sie endlich den Ausgang fanden, und da hatten sie wirklich gar kein Verlangen, den Burschen aufzuwarten, sie mit Speise und Trank zu bewirten, – sie bewaffneten sich vielmehr mit langen Peitschen, ein jeder nahm sich einen riesigen Dreschflegel dazu, und so setzten sie den Kerlen nach, die ja natürlich, sobald sie nur den Färbekessel in die Stube geschmissen hatten, eiligst davongerannt waren. Die Oberhofssöhne, die rascher zu Fuß waren, als die Burschen gedacht hatten, holten die Missetäter unten am See ein und bedrängten sie so hart, daß ihnen weiter nichts übrig blieb, als ein Stück ins Wasser hinauszuwaten. Nun waren die Burschen, die am Neujahrsabend auf alles mögliche gefaßt sein mußten, alle in ihren langen, ledernen Schaftstiefeln, oder in Holzschuhstiefeln, und die Oberhofssöhne waren nur in ihren Strumpfsocken und Holzpantoffeln, so daß sie die Burschen im See nicht erreichen konnten. Aber wie es so in ihrer Natur lag, ließen sich die Oberhofssöhne schön Zeit und blieben ein paar geschlagene Stunden am Rande des Sees stehen und richteten sich recht bequem fürs Warten ein. Es war eine bitterkalte Nacht, beinahe Frostwetter, so daß die Burschen arg zu frieren begannen da draußen, wo ihnen das Wasser hoch an den Stiefelschäften hinaufstand.

Die Oberhofssöhne, just als wollten sie sich ein wenig Zerstreuung schaffen und sich warm halten, verfielen auf die Idee, mit ihren Peitschen und Knüppeln auf die Oberfläche des Wassers zu schlagen und das Wasser zu trüben, und da der Wind vom Lande herkam, spritzte das Wasser an den Burschen hinauf und durchnäßte sie. Darüber wurden sie wütend und fluchten; aber statt Mitleid mit ihnen zu haben, holten die Oberhofssöhne große Steine und Erdklumpen, die sie, so weit es ging, ins Wasser hinauswarfen, und es dauerte nicht mehr lange, bis die armen, bis auf die Haut durchnäßten Burschen anfingen, sich zu beklagen. Die Oberhofssöhne hatten so schöne Zeit und konnten leicht bleiben, wo sie waren. Da müssen die anderen sich schon bequemen, um Vergleich zu betteln; seit diesen Feiertagen wurden sie dafür überall zum Narren gehalten. Nun wollten die Burschen sich aber rächen. In der ausgelassenen Stimmung, in der sie sich befanden, faßte einer von ihnen einen schändlichen Plan, dessen Ausführung sie alle miteinander in Angriff nahmen. Sie hatten eine solche Freude dran, daß sie vor Vergnügen krumme Buckel machten wie die Kater.

Aber um den Spaß zu verstehen, muß man etwas besser über den Oberhof und seine Leute Bescheid wissen. Der Oberhof war ein altes, altes Bauerngut, nördlich vom Keldby-See, das ganz einsam auf der Anhöhe lag. Auch in früheren Zeiten hatte es etwas abseits gelegen, als noch das alte Bauerndorf, das jetzt bis auf die Spuren der kleinen, eingefriedeten Grasanger, der Krautgartenraine mit den Hagedornbüschen und dem alten, verkrüppelten Blumengestrüpp fast verschwunden ist, sich weiter westwärts befand. Das heutige Keldby am östlichen Seeufer ist ein ganz neumodisches Dorf, das sich, seit die neue Landstraße angelegt wurde, immer mehr und mehr entwickelte. Die Leute auf dem Oberhof aber wollten die Erde ihrer Väter nicht verlassen, sie blieben auf dem uralten Wohnplatz sitzen und führten die alten Bräuche weiter bis in eine Zeit, die sie nicht mehr verstand. Sie hatten ja immer für sich gewohnt und fühlten sich weder durch die Unruhe auf der neuen Landstraße, noch durch die vielen verstiegenen Ideen des modernen Keldby in Versuchung geführt. Der Oberhofbauer war übrigens ein sehr wohlhabender Mann.

Die Schläfrigkeit der Leute und die unbeschreibliche Langsamkeit auf dem Oberhof war fast sprichwörtlich geworden. Wo nur irgend Gelegenheit zum Schlafen sich finden ließ, wurde sicher geschlafen. Da viele Söhne und Töchter in der Familie waren, wurde kein Gesinde gehalten; sie brauchten daher auch nur auf sich selbst Rücksicht zu nehmen. Das war ein ewiges Gähnen und schneckenhaftes Dahinschleichen, wenn etwas getan werden mußte. Unter der Mütze sah ihnen stets Bettstroh und Federflaum hervor; sie schüttelten sich zu jeder Zeit, als ob sie nicht ausgeschlafen wären und deshalb frören; ja sie taten's auch wenn sie gerade von ihrem letzten Nickerchen kamen. Sie krochen nur so über die Erde hin, so matt und schlaftrunken waren sie. Selbst im Stehen begannen sie mit den zusammengekniffenen Äuglein zu blinzeln; wenn man sie anredete, kitzelten sie sich an den Armen, als ob sie gerade aufgewacht wären und sich erst besinnen müßten, wo sie eigentlich wären. Während sie bei Tische saßen und ihre Mahlzeit schluckten, hätte man ihnen ruhig einen Finger in die Augen stecken können. Die Leute gingen wohl auch und pflügten und taten die übrigen Verrichtungen des Tages; aber 's war alles wie in einem langen, schweren Traum oder wie wenn sie der Alp drückte. Den Sommer über war der ganze Hof wie ausgestorben; da lagen die Leute rings umher im Freien und schlummerten, und ließen ihre Leiber vom Sonnenschein rösten. Dann lag der alte Bauer in seiner vollen Länge an der Hausmauer, ein Sohn in der Ecke beim Schleifstein, ein anderer auf dem Boden eines Wagens, ein dritter, als hätte er sich nicht weiter zu schleppen vermocht, quer über der Oberschwelle der Tenntüre; und so schliefen sie und drinnen im Hause lag die Frau mit den Töchtern und alle schliefen, obgleich ihnen haufenweise die Fliegen auf den Augenlidern herumkrabbelten. Man sagte, daß während des Sommers die Kleidung der Oberhofleute nur auf der einen Seite ausgeblaßt wäre, da die Faulenzer immer auf der andern drauf lägen. Sie sahen auch anders aus als andere Menschen, weil sie nie wach waren. Der Oberhofbauer selbst hatte hinter den Ohren große Gewächse wie Hummerscheren, die ihm im Schlaf gewachsen waren. Auch die Frau hatte eine große Fettgeschwulst auf der einen Backe. Das Fett dieser Menschen wanderte ja umher, während sie selbst wie tot dalagen und setzte sich an ihnen fest, wo es wollte. Alle Söhne waren auffallend behaart, an Stellen, wo andere Leute kein Haar haben, auf der Stirn und an den Ohren. Aber das soll ja Reichtum bedeuten, wenn anders es nicht davon kommt, daß einen, als sei man ein offenes Brachfeld das Unkraut im Schlaf überwächst. Die großen, starken Kerle boten einen wunderlichen Anblick, wenn sie sich bewegten, zum Beispiel wenn sie die Pferde anspannen wollten: eine Stunde konnte so was dauern. Wenn es dann getan war, hatten sie vielleicht vergessen, weshalb sie es taten und mußten wieder ausspannen und hingehn und es überschlafen. Das Kinn auf einem Schaufelstiel, konnten sie während eines Gewitters stehend einschlafen; sie hatten Schlupfwinkel rings auf dem Felde und zu dem nächstgelegenen nahmen sie ihre Zuflucht, wenn sie schläfrig wurden.

Waren nun die Oberhofleute selbst so rückständig und schwerfällig, so war das Gut und der Bestand nicht weniger altväterisch. Die Gebäude waren von recht vorgeschichtlicher Art, mit lehmverklebten Mauern und einem, fast auf die Erde reichenden Schirmdach. Holzpflüge und derartige alte Werkzeuge, die nirgends anders mehr verwendet wurden, hatte man hier noch im Gebrauch. In der letzten Zeit war jedoch statt der Sichel, die dem steifen Körper mit der Zeit allzuviel Beschwerden gemacht hatte, eine tüchtige Sense angeschafft worden; aber es war ein Jammer zu sehen, welche Talente da in der Führung des neuen Mähapparates entfaltet wurden. Wie alles andere auf dem Hof, war auch das Vieh von einer veralteten und schlechten Art, mit kleinen zottigen Köpfen, ohne Milchergiebigkeit; es fanden sich auch einige im Wachstum zurückgebliebene Mähren; die hatten den Speichelfluß, und an den Beinen alle möglichen Fehler. Den Oberhofleuten war jedoch das alles gut genug, denn die Lebensweise auf dem Hofe war ganz den Dingen entsprechend. Die Menschen da oben waren nicht anspruchsvoll. In dem großen Topfe, den die Hausfrau im offenen Schornstein an einem Haken hängen hatte, kochte selten etwas anderes als grauer Roggenbrei, jenes ewige Gericht, jenes Jahrhunderte alte Diätetikum unserer Vorväter, während eines in Armut und Knechtschaft an Ort und Stelle vertrödelten Lebens. Auf dem Oberhof war der Mehlbrei so dick und steif, daß die Hausfrau ihn an die Wände werfen konnte, wo er tatsächlich kleben blieb, die Männer knabberten dann daran, – wie man erzählte. Wer diesen Roggenbrei je gesehen, hätte schon begreifen können, weshalb man auf dem Oberhof schläfrig war, und weshalb man sich nicht nach dem morgigen Tag sehnte.

Der älteste Sohn war aber doch Soldat gewesen. Wie es ihm dabei ergangen war, das war eine ganze Geschichte. Er weinte salzige Tränen, als sie ihm bei der Aushebung das Hemd auszogen, und er war und blieb untröstlich von dem Tage an, wo er eintrat, bis man ihn heimschickte – riesenstark, wie er war – wegen unheilbarer Geistesabwesenheit und wegen Tränenüberlaufs. Die andern bebten, daß auch an sie die Reihe kommen könnten. Das einzige Mal, wo die Oberhofssöhne das Lachen auf ihrer Seite gehabt hatten, war die Julgeschichte vom Vorjahr, wo sie in ihrer Geduld so lange am Ufer standen und warteten, bis den Burschen draußen im See der Stolz eingefroren war. Das sollte nun ernsthaft gerochen werden.

Als die Burschen auf der anderen Seite des Sees angelangt waren, sahen sie im Oberhofe noch Licht, es war deshalb noch zu früh, um mit den Operationen zu beginnen. Sie kamen gerade an einem einzelnen Häuschen vorüber, wo eine alte Witwe wohnte, die Maren hieß; um sich die Wartezeit zu vertreiben, gaben sie der Alten ein Konzert mit Brummkreiseln und gespaltenen Schreibfedern. Das Weib war überglücklich, daß die Jugend sich ihrer so erinnerte, und kam hinaus, um zu danken und ihrerseits ›fröhliches Neujahr‹ zu wünschen, und die Jungen mußten dann durchaus bei ihr eintreten. Es war jedenfalls warm in dem Stübchen, wo auf dem Tische die spangenverzierte Bibel aufgeschlagen lag mit der Brille mitten darauf.

»Oh, meine lieben, jungen Leuteln, i hab halt rein gar nix zum Aufwarten,« jammerte Maren ganz zerknirscht, als sie alle hereingelassen hatte. »Das is aber do wirkli a Schand; rein aus is. Wo war mir aber a eing'fallen, daß wer zu mir außerkummen könnt und bei mir Neujahr feiern!«

»Mach' dir nix draus, Müetterl!« sagte der Anführer der Burschen. »Wir hab'n eh a Flasch'n Schnaps bei uns. Aber ... Wannst' a biss'l Germ bei der Hand hättst« ...

»Jesses na, ihr wollt's do nit epper die Germ in euern Schnaps einbrocken?«

»Ah, beileib nit. Aber brauchen tät'n wir sie do recht notwendig. So a recht a weiche Germ, de so recht picken tät!«

»Mir scheint, ihr seid's mir schöne Schlankl,« rief plötzlich Maren ganz triumphierend. »Mir scheint, ihr habt's an rechten Schabernack in Sinn. Ha, g'seg'n euch's Gott. Wann i a Germ find', nachher könnt's sie schon haben. Aber, was wollt's denn z'sammpicken und wen denn?« –

Das wollten die Burschen nicht sagen. Sie setzten würdige Mienen auf aus bloßer Heimlichkeitskrämerei. Die alte Maren fand wirklich Hefe auf dem Boden eines Spülnapfes liegen; es war gar keine so kleine Portion, aber sie war trocken und hatte eine geborstene Kruste.

»I kann ja Wasser draufschütten und das Zeug aufwärmen,« schlug Maren leuchtend vor Eifer vor. Das war ja ausgezeichnet, und während nun die Hefe im Ofenrohr aufgeweicht wurde, ließ man sich die geistigen Tropfen schmecken und stopfte die Pfeifen. –

»I waß nit, ob der Kaufmann jetzt noch offen hat,« sagte dann der Bursch, der das ganze leitete, und saß wie in Gedanken vertieft da.

»Ah woher denn,« erklärte Maren, der hat schon längst zug'sperrt.«

Der Bursch grübelt und sitzt zweifelnd da.

»Mir brauchten a Papier, hast kan's daham, Maren?«

»Wieviel braucht's denn, ihr schlechten Kerl? Mir scheint, i kann euch aber helfen!«

»Viel brauch'n mir, viel – aber nit zum Schreiben!«

»I, da schaut's amal her, was i all's hab,« rief Maren entzückt, und holte aus einer Schublade einen ganzen Haufen Papierfetzen hervor, es waren alte Umschläge von Streichholzschachteln, sorgfältig aufgeschnittene und aufgeplättete Düten und Blätter aus Schönschreibheften, und Maren opferte das ganze, strahlend vor Teilnahme an den Narrenstreichen, in die sie nicht eingeweiht werden durfte. Das Papier wurde untersucht und brauchbar gefunden, es schien auch auszureichen. Die Burschen hielten es fürs beste, die einzelnen Stücke zu größeren Stücken zusammen zu leimen, das wurde, sobald die Hefe tauglich war, mit großer Gründlichkeit ausgeführt. Maren stand dabei und schaute zu, äußerst interessiert; als sie nun sieht, wie groß die Papierlappen sein müssen, begreift sie plötzlich, wozu sie verwendet werden sollen. Sie sagte jedoch kein Wort, – dazu weiß sie doch zu gut einen Spaß zu genießen, – aber sie schrumpfte vor innerem Vergnügen geradezu in sich selbst zusammen, sie lachte, ohne einen Laut von sich zu geben, und die zahnlosen Gaumen schlugen zusammen, – so sehr weidete sie sich an dem allen. Und als sich ihre Heiterkeit endlich doch Luft machen mußte, verriet sie doch nicht, was sie erraten hatte, sondern ließ sich, laut aufquiekend vor Wonne, in einen Stuhl fallen.

Endlich waren die Burschen fertig und der eine, der draußen gewesen war, um nachzusehen, ob man im Oberhof die Lichter bereits ausgelöscht hätte, kam in die Stube zurück, und nickte den andern schweigend zu. Mit ernster Miene dankten sie der Alten und sagten ihr Gut-Nacht, und das alte Weiblein folgte ebenso verschwiegen bis an die Tür. Aber als die Taugenichte ein kleines Stück weiter weg waren, hörten sie auf einmal die alte Einsiedlerin hell aufkreischen vor Entzücken; gleich drauf fiel die Tür ins Schloß.

Der Oberhof lag still und dunkel, als die Burschen hinaufkamen. Die Leute drinnen schliefen jetzt wie Murmeltiere. Um sie zu wecken, hätte es mindestens eines Kanonenschusses bedurft. Nichtsdestoweniger gingen die Burschen mit größter Vorsicht zu Werk. Sie ließen sich schön Zeit dabei. Ein Fenster nach dem andern verdeckten sie mit Papier und taten's mit solchem Behagen, daß sie eine volle Stunde zur Ausführung ihrer Schandtat brauchten. Die Fenster des alten Wohnhauses waren nicht sehr groß und nicht zu zahlreich für die Ausführung des Planes: es waren nur zwei Fenster nach dem Hofe und ein Paar Gucklöcher auf den Krautgarten. Die Burschen ließen dem Lichte keine einzige Spalte übrig, sie verklebten jede erdenkliche Öffnung, bis zu den Schlüssellöchern in den Türen, und als das getan war, schlichen sie ganz stille wieder fort und keuchten vor unterdrücktem Lachen.

Infolge des Neujahrsabends waren die Oberhofleute später zur Ruhe gegangen als gewöhnlich. Es fiel ihnen deshalb nicht schwer, ohne Unterbrechung in den hellen Neujahrstag hinein zu schlafen, was sie ja ohnehin getan haben würden. Aber als sie einer nach dem andern am Nachmittag aufwachten und scheinbar ausgeschlafen hatten, war es um sie her dunkel wie im Grabe; da standen sie nicht auf, sondern legten sich auf die andere Seite, sehr verwundert darüber, wie sie doch mitten in der Nacht aufwachen konnten. Der Neujahrstag verging, und als sich der Abend näherte, wachte der Oberhofbauer wieder auf. Es war ihm, als hätte er länger geschlafen als gewöhnlich. Er rappelte sich deshalb auf und ging zur Tür, um nachzusehen, ob es nicht bald Tag werden wollte. Draußen war es bereits wieder dunkel geworden, so eine richtige, dicke Winterfinsternis, die gradeswegs in die Augäpfel hineindringt. Da begriff der Mann, daß er sich geirrt haben mußte und kroch wieder in die Schlafkammer zurück. Einer der Söhne schob die Tür des Alkovenbettes zurück und fragte gähnend wie viel Uhr es sei. Der Alte tastete nach den Zeigern; es war gut sieben vorbei, und in der Winterszeit kann man zu dieser Stunde den Morgen vom Abend nicht unterscheiden.

»Is no nit mehr?« jammerte der Sohn. »I bin aber so wach. I hab schier Angst, i bin krank. Jetzt lieg i schon die längste Zeit wach da, und mei Magen ziagt' sich a z'samm, als wann i hungrig war'!«

Der Alte brummte tröstend: »Leg di nur wieder hin und laß uns in Frieden. Wannst krank bist, nachher wer' mir schon für di sorgen, bals Tag wird!«

Damit kroch der Oberhofbauer wieder in sein Bett. Um die Wahrheit zu sagen, fühlte auch er ein ganz eigentümliches Rühren in der Magengegend, aber das mußte wohl Einbildung sein. Im Bett lag die Frau wach und gähnte, daß es nur so pfiff, reden tat sie aber nichts. Kurz darauf schlief das ganze Haus wieder.

Es traf sich, daß die Oberhofleute diese Nacht gerade Donnerkalb beherbergten. Er war gewöhnt dorthin zu kommen, er gab ja altertümlichen Stellen den Vorzug, und der Oberhofbauer erwies ihm immer Gastfreundschaft. Donnerkalb war am Neujahrsabend gekommen und nachdem er sein Abendbrot gegessen und die Rechnung mit einem Liede beglichen, hatte man ihm einen Platz auf der Bettbank zurecht gemacht. Er schlief getreulich mit den andern. Als der Oberhofbauer aufstand um die Uhr abzutasten, hörte er den alten Donnerkalb sich umwenden und dumpf im Schlafe brummeln. Als aber das Haus wieder stille war, schlief Donnerkalb mit den andern weiter, ohne zu mucksen.

Nun wäre es ja zuviel verlangt gewesen, daß sich auch das Vieh den ganzen Tag über ruhig hätte verhalten sollen. Aber für den Fall hatten die Schlingel schon gesorgt. Wenn Kurzweil getrieben werden soll, so muß es gründlich geschehen. Die Keldbyer Burschen hatten am Neujahrstage Ausschau gehalten und gesehen, daß auf dem Hofe der Schornstein nicht rauchte. Ihr Versuch war also gut ausgefallen. Da unternahmen es zwei von ihnen, bedächtig zum Hof hinaufzugehen und in aller Vorsicht die Tiere zu füttern, damit diese fürs erste nicht Spektakel machten.

Die Oberhofleute schliefen, ohne sich während der zweiten Nacht viel umzudrehen. Als sie jedoch wieder aufwachten, waren sie frisch, aber auch hungrig. Der Alte stand auf und befühlte die Zeiger, jetzt war es acht Uhr, dieses Mal ganz richtig am Morgen; aber sie glaubten es wäre nur eine Stunde verflossen, seit sie das letzte Mal aufgewacht waren. Die Söhne hatten endlich einmal soviel geschlafen, daß sie kaum noch zu halten waren, vor Unlust miauten sie in den höchsten Quietschtönen und begannen ohne irgend einen Grund zu lachen, und in dem stockfinsteren Alkoven Unfug zu treiben. Im andern Alkoven strampelten die Töchter und brummten leise wie junge Kühe. Auch in Donnerkalb war Leben gekommen, man hörte, wie er auf der Bettbank liegend schurrte und sich rieb wie ein großer zottiger Troll; auch hatte er zu summen begonnen, erst noch für sich selbst, dann lauter und mitteilsamer; bisweilen schnalzte und gluckste er vor Wohlbefinden mit der Zunge. Doch stand er noch so weit unter dem Einfluß der Nacht, daß er nicht ordentlich losschwatzen wollte, obgleich ihm die Oberhofsöhne aufmunternd zuriefen und ihn baten zu singen. Die langen Jungen wurden im Dunkeln dreister und dreister und hatten sogar lose Einfälle, die zum Lachen reizten.

»Könnt's ihr nit 's Maul halten?« schrie aus der Schlafkammertür heraus der Oberhofbauer. »Was is das für a Spektakel an ein hochheiligen Neujahrstag?«

Das junge Volk schwieg gehorsam. Aber kurze Zeit darauf vergaß selbst der Hausvater seine Würde und gab seiner Frau einen Stoß in die Seite.

»An Hunger hätt' i und an Durscht a!«

Diese Worte fanden lauten Widerhall in den Alkoven. Aber die Bäuerin war ›a g'setzte Frau‹ und glaubte, die andern hätten den Verstand verloren.

»Wann ihr bloß eure Mäuler halten tät's!"

Kurz darauf fuhr sie in ihrem Bette mit einem Ruck in die Höhe, voll Entsetzen. Sie hat etwas wie ein halb ersticktes Kauen vom Alkoven her gehört, in dem die Söhne lagen. Sollte es wirklich möglich sein, daß man sich an den eifersüchtig gehüteten Schlackwürsten und Schafschinken vergriffen habe, die über den Betten am Deckenbalken hingen? Ja, sie hatte sich leider nicht geirrt.

»Na, jetzt schamt's euch aber doch,« rief sie gekränkt und böse, »was treibt's denn da! Mir scheint, ihr liegt da und maust's bei meine Schinken ummeranand. Pfui, schamt's euch!«

Eine schämige Stille senkte sich über den Alkoven. Aber die Frau blieb aufrecht sitzen und besann sich. Ihr Magen war auch so eigentümlich leer und bedürftig. Und da der Bauer auch meint ... was ist denn Schlimmes bei ein' kleinen Vorfrühstück im Bett. Es ist ja doch ein Feiertag. Nach einer kurzen Beratung mit dem Ehemann steht sie auf und tastet sich in die Küche hinaus, wo sie eine ganze Menge Kuchen und Brot zusammenpackt. Sie zündet kein Licht an, denn sie ist gewöhnt, sich im Finstern da draußen zu bewegen. Dann füllt sie einen großen Krug mit Weihnachtsbier und geht in die Schlafstube zurück. Nötigung hat's keine große gebraucht. Während alle im Bette lagen und aßen und tranken, wurde das Gespräch ungemein lebhaft, es war ein Schwatzen und eine Munterkeit wie nie zuvor in einer Morgenstunde. Alle wunderten sich, wie lange so eine Neujahrsnacht dauerte, und unterhielten sich darüber. Sie dachten auch daran, sich gegenseitig ein fröhliches Neujahr zu wünschen. Dabei aßen sie jedoch immerfort, satt wurde aber keiner; so gab die Bäuerin jedem besonders Erlaubnis, in die Speisekammer hinauszugehen und sich nach Belieben zu versorgen. Nun begann ein leises Hin- und Herschleichen von nackten Füßen, jeder kam zurück mit einem großen Trumm Brot und Käse und Fleisch und alles wurde in den Betten verspeist. Der Kachelofen war so gründlich ausgegangen, daß die Faulenzer gottsjämmerlich froren. Eine der Töchter entschloß sich, aufzustehen und den Ofen zu heizen, von den andern aber wollte keiner aufstehen, so lange es so unmenschlich kalt war. Und da sie nun so gut gespeist und getrunken hatten, und da es lange dauern konnte, bis es in der Stube warm wurde, legte sich erst der eine und dann ein anderer wieder aufs Ohr, und so schliefen bald alle wieder bis zum Abend.

Aber als sie bei Anbruch der dritten Nacht aufwachten, konnten sie nicht mehr einschlafen. Die Söhne traten vor die offene Tür und spähten da in Kälte und Finsternis nach einem Tageszeichen, es schien ihnen, als hätten sie niemals eine so endlos lange Nacht erlebt. Der Oberhofbauer kroch in ein G'wand und ging hinaus, um dem Vieh etwas Futter zu geben. Die Tiere lagen da und kauten wieder und hatten es recht gut, als ob sie eben erst aus der Krippe gefressen hätten. Auch die Pferde waren ruhig und satt; aber der Inhalt der Häckselkiste war auffallend zusammengeschrumpft. Dem Bauer kam ein Gedanke, aber er ließ nichts davon verlauten. Es war sicher ein Kobold, der hier ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte; aber über so etwas ist nicht gut sprechen.

Da es Nacht war und blieb, hatten sie ja nichts anderes zu tun, als wieder hineinzugehen und sich ins Bett zu legen. Die Söhne waren ganz wach und baten Licht anzünden zu dürfen, sie wollten aufrecht in den Betten sitzen und Karten spielen – die Heiden – aber das verweigerte ihnen die Mutter doch. Warum sollten sie Licht anzünden, wenn kein ernster Grund vorlag?

Das junge Blut ließ ihnen aber keine Ruhe mehr. Das tanzte durch ihre Adern, sie lagen ganz lebendig mit weit offenen Augen in der kohlschwarzen Finsternis. Einer von ihnen begann mit wilder Todesverachtung ein Paar laute Schüsse aus seinem Achterteil abzufeuern, die andern sammelten all ihre Energie und sekundierten, jeder mit einem Donnerknall, worauf sie alle in Lachkrämpfe fielen. Die Alten warfen ihnen ihre Unanständigkeit vor, mußten aber selbst lachen und die Töchter bohrten sich in ihr Deckbett ein, von wo ihr Lachen klang, als wären sie tief in die Erde versunken. Die dunkle Stube hallte wieder von einem Gelächter, das sich nicht zurückhalten ließ; es war so eine richtige, sinnlose Lustigkeit, die nach der Ruhe wie ein Ausschlagen von Gesundheit wirkte. Unter schallendem Gelächter lagen sie da, sie gackerten und wälzten sich in den Deckbetten, ohne die gewaltigen Kräfte verwenden zu können, die sich in ihnen angesammelt hatten. Die Söhne begannen unter ungeheuren Lachsalven zu raufen wie Schulbuben. Die Mädchen kitzelten eine die andere, bis sie wie Schweine brüllten, die sich im Frühjahr draußen im Freien herumkugeln. Mittlerweile wurde man wieder durstig und füllte sich die Gurgel mit dem süßen, dicken Weihnachtsbier und ersann neuen Ulk, um die entsetzlich lange Nacht zu vertreiben.

Donnerkalb mußte herhalten, er war auch mehr denn je bereit, an der Munterkeit teilzunehmen. Er sang zuerst ein Lied, – es war eine seiner feinsten Nummern, eine von denen für deren Gesang er sonst einen »Tollschilling« Nicht mehr in Kurs befindliche Münze. (Anm. des Übers.) oder eine große Tüte Pfeifenruß haben mußte. Das Lied war eine starke, scharfe Nummer und eignete sich vorzüglich zum Singen in der Dunkelheit. Er hatte auch Erfolg, fast zuviel Erfolg. Die Söhne wieherten, so daß man kein Wort mehr verstehen konnte.

Danach erzählte Donnerkalb »Rätsel« und die waren gut, sie waren so klar, daß die Deutung immer nahe lag, ohne daß es jedoch jemand gewagt hätte, die Lösung laut auszusprechen. Dem alten Krüppel war ungeheuer wohl zumute, er lag rücklings auf der Bettbank und im Dunkeln krabbelten seine Arme hin und her, während er ununterbrochen die unmöglichsten Dinge erzählte, ohne selbst jemals zu lachen. Er erzählte so gut mit seiner dicken tiefen Stimme, es war ein so moosiger, gepolsterter Klang in seiner Stimme, wie wenn einer federnden Wiesengrund stampft, und sein krummer Buckel sang mit wie ein Resonanzboden, da holte er auch seine Baßtöne heraus und die Zunge lallte und gluckte so weich dazu in dem alten zahnlosen, zottigen Mund, wie die Quellen am Boden der klaren, sammetschwarzen Torfgräben.

Aber Donnerkalb merkte ja bald, daß hier alle guten Geistesgaben verschwendet wurden, niemand hörte zu vor Lachen und Unfug. Er schwieg und lag lange und pustete wie ein Blasebalg, dem die Luft ausgeht, während sich der Schmied zum Schlage anschickt. Bei diesen Leuten brauchte es derberes Geschütz als einen Spaß, der sich in Worte fassen läßt: Donnerkalb lag lange und grübelte, während die andern herumtollten bis sie an den alten Possenreißer vergaßen. Niemand dachte mehr an den Alten, keiner zerbrach sich den Kopf darüber, warum er wohl im Dunkeln umherschlich, oder was er wohl vorhaben könne, bis sie ihn wie einen Bock knurren und in das zärtlichste Geschmatze ausbrechen hörten. Donnerkalb, der seine Hände überall hatte, war über einen lebenden Grauspatz oben in einem Loch unter dem Vordach geraten und hatte ihn in seine großen Hände geschlossen; während er dem Vogel schmeichelnd zuredete und ganz gerührt tat, machte er hinterlistig einen langen Schritt durch das Zimmer und ließ den Spatz in das Bett der Mädchen fliegen.

Der Spatz flatterte und die Mädchen schrieen in Todesangst auf. Plötzlich fühlten sie einen Sprung auf die Bettdecke; die Katze war es, die lebendig wurde und im Dunkeln hinaufsprang und nun kommt es im Bett zur Spatzenjagd! Die Mädchen schreien und fallen in die Polster und schnellen wieder auf und lachen, der Spatz surrt wie eine Spindel von Ecke zu Ecke in dem grabesdunklen Alkovenbett und die Katze hinterdrein, bald hier, bald dort gegen die Bettwände stoßend und alle zehn Krallen herausgestreckt. Endlich fangen die Mädchen die Katze und erwürgen sie fast vor lauter Ausgelassenheit, sie drücken sie im Dunkeln unter die Bettdecke und liegen auf ihr und schmeicheln ihr so gewaltsam, daß »Mieze« in höchste Wut gerät und faucht und sprüht wie eine Pulvertonne. Bei alledem vergehen die jungen Leute vor Gelächter und heulen einstimmig aus vollem Halse, füllen die Lunge aufs neue und nehmen den Ton noch eine Saite höher, sie schreien zuletzt vor Wonne, wie man sonst im äußersten Schmerz schreit.

Donnerkalb hatte sich inzwischen wieder verkrochen, und liegend setzt er zu einem Konzert der tiefsten und wärmsten Vogeltöne an; er ruft wie der Kuckuck, der sich am tauigen Maiabend unter dem Laube versteckt und sein eigenes weiches Echo nachahmt, er ruft so süß und lind, daß er zuletzt selber ganz taumlig wird und schweigen muß, wie die Nacht, die sich über ihn niedersenkt. Und wieder erwacht Donnerkalb mit neuen langen Flötentönen, die von Morgenschläfrigkeit und der ersten Sonnenwärme erfüllt sind, er flötet, macht ›duck duck‹ und bettelt und beschwört, während er beständig in der Finsternis mit seinen langen Trollarmen hin und herfuchtelt. Er gedenkt seiner Jugend und da fängt es an zu quellen in der alten Sumpfbaumwurzel und quillt und quillt, und sein Sinn geht unter im Sausen und hallenden Geläute jenes großen Frühlings, der, wenn er auch schon lange dahin ist, in seinem Herzen ewiges Leben hat. Dann schweigt er und liegt da und wittert ins Dunkle und vergißt alles und alle um sich her. –

Als die andern das Vergnügen der Spatzengeschichte ausgekostet hatten, sannen sie auf neuen Zeitvertreib. Es bedurfte bei ihnen keiner großen Ursache um von neuem zu lachen; sie hatten sich niemals in der Lustigkeit geübt, waren drum dankbar für jede Äußerung der Lebensfreude, die sie sich glücklich verschafft hatten, war sie auch noch so platt und grob. Einer der Söhne hatte den Einfall, zu juchzen und wie ein Verrückter zu pfeifen und fand darin einen ungekannten tiefen Genuß. Wahrscheinlich war die haarfeine Pointe in der Sache, das Gefühl, daß er sich so zu benehmen vermochte, ohne in Wirklichkeit übergeschnappt zu sein. Der jüngste Sohn zeigte dieselbe Empfindungsgabe in anderer Weise, er kroch auf dem bloßen Fußboden herum und begann den Invaliden zu spielen; mit einer Schnur band er sich das eine Bein auf und humpelte im Dunkeln umher; ganz still und einsam in seinem Glück. Der Oberhofbauer erzählte im Bett großartige Geschichten von Betrügereien beim Viehhandel, auf die keine Seele hinhörte, über die er sich aber selbst vor Lachen wälzte. Alle seine bisherigen Lebenstage hatte er sein bestes Vergnügen darin gefunden, alle diese lichtscheuen Taten zu verschweigen und sie still bei sich zu behalten, aber jetzt fühlte er zum ersten Mal die Süßigkeit, sein allerdunkelstes und verschlagenstes Inneres aufzuschließen. Die einzige, die an der Orgie nicht teilnahm, war die Bäuerin. Es ist nun einmal über oder unter der Würde einer Hausfrau, sich in Familienstimmungen zu mischen. Aber wie sie so lag und aufpaßte, merkte sie eins und 's andere, sie wunderte sich. So eine Nacht hatte sie bisher nie erlebt. Sie kannte den Oberhofbauer nicht wieder und begriff ihre Kinder nicht: die waren ja auf einmal außer Rand und Band, sie taten alle was sie wollten. Nie hatte sie gehört, daß die Leute sich belustigen sollten. Und da gab man sich wirklich ganz frevellos dem Vergnügen hin; es war klar, sie fühlten sich alle ganz selig dabei. Und es paßte nicht einmal zu ihnen, denn sie hatten es niemals zuvor versucht, und deshalb liefen sie ganz wirr umher und hopsten und stolperten dabei, wie eckige Bälle. Die Alte war in keiner frohen Stimmung. Sie ahnte, daß hier ihre Macht auf dem Spiele stand. Man muß ja schweigen und aus der Schmach lernen, um später am Werkeltag allmählich wieder Oberwasser zu bekommen. Sie sah voraus, daß sie hier in künftigen Nächten viel weinen würde, ehe sie den Bauer wieder von den Zinnen seiner Sorglosigkeit herunter lockte und zog. Niemand dachte an die Schweigenden. Die Leute waren im siebenten Himmel.

Man lachte und tobte den Rest der Nacht hindurch. Die Oberhofleute gingen ins neue Jahr mit dem Lebensmut einer neuen Welt und mit einer aufgesparten Asenkraft, die Berge versetzen konnte.

Es war in der Tat Holger Danske, Entsprechend dem deutschen Barbarossa. (Anmerk. des. Übers.) der jenen Neujahrsmorgen erwacht war.

Aber es schien ihnen doch, als wären sie ziemlich spät aufgewacht; sie ahnten, daß sie hinter ihrer Zeit zurückgeblieben waren, als sie später am Vormittag sich angekleidet und sich auf den Weg zur Kirche gemacht hatten, ohne einen einzigen Menschen zu sehen. Die Kirche war auch verschlossen und verriegelt; sie konnten es nicht verstehen.

Einer von den Keldby-Burschen erschien, ein unvergleichlich diensteifriger Mensch, der erzählte ihnen, daß kein Gottesdienst wäre, dieweilen es der dritte Tag im neuen Jahr wäre und nicht der erste, wie sie zu glauben Grund haben könnten. Derselbe Bursche klärte sie darüber auf, daß man unten in Keldby sehr verwundert gewesen sei, weil man auf dem Oberhof zwei Tage lang gar keinen Rauch aus den Schornsteinen aufsteigen gesehen habe. Er hatte scheinbar auch Lust noch manche anderen Dinge zu erklären, aber die vom Oberhof sagten, sie müßten nach Hause. Sie vertrugen das Gesicht des Burschen nicht, sie konnten ihn nicht ansehen; sie empfahlen sich hastig und sputeten sich heim; sie waren sehr niedergeschlagen. Es muß sich einem ja auch alles um und um drehn, wenn man entdeckt, daß alle andern die Zeit, in der man lebt und die man für nagelneu hält, schon längst vertan haben. Von den Oberhofleuten war alle Heiterkeit gewichen. Sie fanden es nicht höflich von dem Burschen, daß er zu lachen begann, als sie den Rücken wandten.

Zu Hause angekommen, untersuchten sie die Fensterscheiben, fanden aber nichts Merkwürdiges daran, als einige schwache Spuren von Hefe und Papier. Schon am Morgen waren die Scheiben klar gewesen. Die Keldbyer Burschen hatten nämlich das Papier in der Nacht auf den dritten Neujahrstag davon entfernt. Es war ihnen fast ängstlich zumut geworden, als am ganzen zweiten Neujahrstage kein Lebenszeichen auf dem Hofe zu bemerken war. Gesetzt, die Leute verschliefen sich da drinnen völlig! So waren die Burschen am Abend hinaufgeschlichen, um den Sachverhalt auszukundschaften. Da hatten sie aber gehört, wie die Familie jubelte und in der Finsternis da drinnen brüllte, als ob sie einen großen Festschmaus hielt, und gedeckt von dem donnernden Festlärm hatten sie dann das Papier aufgeweicht und von den Fensterscheiben gekratzt.

Die Oberhofleute zeigten sich an den übrigen Feiertagen nicht im Dorf. Sie saßen an den stillen frostklaren Abenden daheim und hörten das dröhnende Gelächter weit über den See von Keldby zu ihnen heraufschallen.


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