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Eine Herbstnacht

Es war vor langen Jahren, an der Aalborger Straße, oben im Himmerland. Es war gegen zehn Uhr abends. In der Schenke saßen drei Gäste. Die Schenkstube war unfreundlich, durch die offne Tür sah man in die dicke Finsternis. Die drei Männer machten viel Lärm und schrieen laut und ließen die Krugdeckel klappern. Ihre Stimmen waren von Wind und Wetter rauh geworden. Drei starke, bärtige Kerle mit hohen Schaftstiefeln, Stoßdegen und Dolchen. Damals warb man die Kriegsleute an und hieß sie Landsknecht.

Die drei Männer wollten nach Aalborg zu dem Hauptmann, von dem sie Handgeld genommen hatten. Sie hatten bereits einen weiten Weg gemacht und sollten die ganze Nacht durch weitergehn. Drum ruhten sie in der Schenke aus und tranken Bier. Wahrscheinlich das dunkle Braunschweiger Bier, das Mumme heißt. Zwei waren alte Gesellen mit schimmeligem Bart, der dritte aber war jung und schlank und kraushaarig. Seine Stimme klang hell über dem Baß der Alten, und er lachte auch mehr. Auch aus seinen Flüchen schrie seine Jugend. Die andern zwei hatten eine einzige Gotteslästerung, er aber verschwendete aus einem reichen Vorrat. Die Landsknechte redeten unanständiges Zeug, und laut und lärmend. Das machte sie so erregt und eifrig, und drum fluchte der junge Landsknecht so eilig. Das Gespräch war unanständig. Nun ja, es drehte sich eben um die Weiber. War's in damaligen Tagen doch auch nicht anders als heut.

Der junge Landsknecht prahlte mit heißen Umarmungen und legte um blasse Erinnerungen leuchtende Lobeskränze. Und wob das seidene Band der Wehmut hinein und schnalzte herausfordernd mit der Zunge dazu. Die zwei Alten saßen an ihrer Tischkante und gaben ihre Zweifel durch breites Gelächter zu erkennen.

Als sie am lautesten schrieen, kam der Wirt herein und bat sie ergebenst, die Stimmen zu dämpfen.

»Nix für ungut – aber, i hab halt a Kind, a krank's Kind; das kann den Lärm nit vertrag'n.«

Er bat in aller Sanftmut, um die Gäste nicht aufzubringen.

»Was hat denn dein Kind?« fragte einer der Landsknechte leiser.

Der Wirt dachte an die heilige Schrift und sagte feierlich, das Kind habe die fallende Sucht.

»Au!« sagte der junge Landsknecht, schnalzte mit den Fingern und drehte sich auf den Fersen um.

Dann sprachen sie leiser. Gegen elf Uhr zahlten sie ihre Zeche und setzten ihren Marsch fort. Als sie hinauskamen, hatte der Regen aufgehört, und der Mond schien auf den feuchten, weichen Weg.

Der junge Landsknecht war der letzte. Als er an einem der Fenster des niedrigen Hauses vorbeikam, sah er, daß drinnen Licht war. Eine Tür ging auf und der Wirt trat mit einem Licht in der Hand in die Stube. Die war klein. Im Bett lag jemand – der Landsknecht sah ein längliches, blasses Gesicht'l mit dunklem Haar um zwei dunkle Augen – ein verkümmertes Mädchengesichtlein. Er schritt am Fenster vorüber.

›Wird wohl die Kranke sein,‹ dachte er bei sich und eilte den beiden andern nach.

Der Wirt war Witwer und hatte nur diese einzige Tochter. Sie hieß Lisbeth. Sie war krank und elend, schon seit dem Frühling. Sie war ja nie sehr gesund gewesen; jetzt war sie sechzehn Jahr alt. Älter wurde sie wohl kaum.

Nachdem der Vater sie ein Weilchen betrachtet hatte, entfernte er sich, legte die große Stange vors Tor und verriegelte Türen und Fenster. Dann ging er zu Bett.

Es war ganz stille im Haus und draußen im Freien; das Haus lag auch abseits an einer öden Stelle der Landstraße.

Lisbeth hörte nichts andres als den Wind. Der hatte sich hier und dort einen Spalt im Hause ausgesucht und sang und pfiff drin – unaufhörlich – und sang und pfiff. Langsam stieg der Ton und stieg auf zu einer dünn singenden Klage, fiel ab und koste allein mit sich selbst in heimlichen Tiefen und erhob sich wieder und riß sich mit einem wilden Ruck auf die höchste Höhe seines einsamen Jammers – und fiel und verklang – trostlos.

Der Wind zauste am Stroh, das auf dem Dachfirst aus dem Rasen hervorstach; und dann legte er sich wieder weich an die Fensterscheiben. In langen Pausen fielen vom Vordach einsame Regentropfen auf die Steine hinab.

Lisbeth lag und dachte an das große, wilde Gesicht, das durch die Scheibe zu ihr hineingeschaut. Sie hatte sich so sehr gefürchtet ...

Es war wohl einer von den Gästen gewesen, die in der Schenkstube den wüsten Lärm geschlagen hatten. Nun schritten sie draußen auf der einsamen Straße durchs nachtdunkle Land und waren wohl schon weit fort. Sie mußten ja in den Krieg.

Lisbeth richtete sich leise auf, beugte sich vor und schaute in die Nacht. Dunkle Wolken fegten über den Mond, der auf den feuchten Weg schien. Ein Stückchen weiter verschwamm die Erde in der Finsternis. Die Mondnacht war kalt und traurig. Lisbeth war's, als sähe sie den Wind über die nasse Heide hinfahren, weil sie sah, daß die Wolken von dannen trieben.

Das Kind fiel matt in die Kissen. Die Leere der Nacht umgab Lisbeth, und die Zeit war voll von dem kläglichen, wehen Pfeifen des Windes in den undichten Türen. Gedanken tauchten auf in ihrem Kopf wie Graskeime in unfruchtbarem Land, wie Blasen, die aus dem Munde eines zarten Kätzchens hervorrollen, wenn es hilflos schluckt. – – Lisbeth lag und sann – – hier hatte sie eines gehört, dort das andre aufgeschnappt – – von Nachbars Grete und in der Schenkstube.

Zwischen hinein dachte sie an den Kriegsmann, dessen großes Gesicht sie gesehn hatte. Und ihre Seele sproßte wie eine kranke schwache Lilie, nicht weiß, sondern bleichgrün.

Lisbeth wachte still und sah in die Nacht hinaus und atmete lautlos.

Der Wind pfiff unaufhörlich; sie hörte ihn nicht in ihren wirren, bangen Träumen.

Als die Nacht vorgerückt war, richtete sich Lisbeth lautlos auf, ganz vorsichtig und stützte sich auf den einen Arm. Sie horchte lange. Da alles totenstill blieb, glitt sie wieder zurück, strich zögernd die Decke zur Seite und lag nun da in dem schwachen Mondlicht – abgezehrt und ärmlich – fahl schimmernd wie eine weiße Rose, die halb geöffnet welkt und sich zur Erde beugt.

Lisbeth hustete, kroch wieder unter die Decke, lag still und starrte hinaus, bis der Mond verschwunden war und der morgende Tag durch die Wolken schimmerte.

 

Auf der Landstraße waren die drei Knechte rüstig gegen Norden marschiert.

Sie kamen bald an eine Furt und durchwateten mit ihren festen Stiefeln gemächlich das niedrige, plätschernde Wasser. Sie kamen in ein Tal und über eine Anhöhe. Immer weiter.

Als sie eine Meile Wegs von der Schenke entfernt waren, gerieten sie in Streit. Es mag wohl etwas gewesen sein, was für Landsknechte von Wichtigkeit ist. Einer der beiden Alten stritt mit dem Jungen. Der hieß Jörgen.

Sie schimpften brav und fluchten aus vollem Halse, daß es Schwefel und Gift regnete. Zuletzt zogen sie ihre Waffen und fielen übereinander her.

Sie fochten neben dem Weg im Heidekraut. Der dritte sah zu.

Jörgen war erbittert und fest entschlossen, den Gegner zu töten. Da faßte ihn ein grenzenlos unvernünftiges, naturwidriges Gefühl – er gab nach und sah sich plötzlich ungedeckt – er sah die verdammte Spitze – einen Augenblick dachte er mit Aufgebot all seines Willens an ein gnädiges Schicksal – in derselben Sekunde fühlte er die Spitze blitzschnell durch die Kleider dringen. Ein Stich, ein eisiges Schneiden, ein qualvoller Schmerz tief durch den ganzen Rücken – da wollte er sich zur Seite beugen, sein Wille wurde in dem Augenblicke frei. Aber in demselben Augenblicke verloren seine Beine alle Kraft, er stürzte zu Boden. Als der Alte die Klinge zurückzog, krümmte er sich und schrie kurz auf.

Die beiden andern zogen ihres Weges weiter gegen Nord und ließen den Verwundeten mit dem tödlichen Stich durch die Lunge liegen.

Jörgen verstand nicht recht, was geschehen war. Er sollte sich plötzlich mit dem fremdesten und unmöglichsten aller Gedanken vertraut machen. Als er sich seiner Lage klar bewußt wurde, fühlte er, wie eine große Veränderung sich in ihm vollzog. Er war wie umgeschaffen. Schnell hob er sich ein wenig – der Schmerz war unerträglich. Er schob die ganze Begebenheit von sich und starrte den beiden Gestalten nach, die in der Dunkelheit verschwanden. Mit offnem Munde saß er da. Es schien ihm alles völlig unglaublich.

Ja, gingen sie wirklich von ihm? ohne sich auch nur umzuwenden? – Jörgen raste vor Zorn – seine Augen waren wie geblendet.

Er fiel zurück ins Heidekraut und krümmte sich vor Schmerz. Der biß im Körper und tobte. Jörgen erhob sich wieder ein wenig. Da fühlte er, wie sich ihm die Kleider vom Leibe lösten, während sie vorher daran festgeklebt hatten. Zum Teufel – er war ja über und über blutig – pfui – wie das Blut ins Heidekraut rann. Er wollte sein Wams aufknöpfen – die Arme waren ihm steif wie vor Kälte. Da wurde er fast toll vor Schreck. Er sah wirr in der Finsternis umher – er konnte es nicht glauben.

Er lag am Fuß einer kleinen Anhöhe. Plötzlich war's ihm, als müßte er hinauf zur Spitze. Er kroch und kroch und gelangte endlich hinauf. Unterwegs wurde er demütig – so kraftlos war er.

Oben sank er ganz zusammen. Da wünschte er alles zum Teufel. Er lag ganz still auf dem Rücken. In seiner Brust tobte der gräßlichste Schmerz. Dabei empfand er, wie gut sein müdes Bein nun ruhte.

Jetzt, da er so still lag, begann er über die Dinge nachzudenken.

Er hörte den Wind, der über die Spitzen des Heidekrauts hinstrich, ein wenig die steifen Zweiglein schaukelte, von ihnen abfloß und zu Geflüster sich dämpfte. Die Wolken fegten am Mond vorbei, das war ja nichts Ungewöhnliches. In Jesu Namen – jetzt war es Ernst – jetzt ging's zu Ende.

Er wuchs auf zu einer einzigen jammernden Anklage.

Dann war er wieder vernünftig und dachte – eifrig, eilig – er mußte mit so vielem fertig werden. Aber in der Hast stolperte alles durcheinander – kleine Gedanken flogen herbei, kleine Erinnerungen, in hitziger Verwirrung. Ein Krampf packte die wunde Brust und verjagte die Gedanken. Jörgen ächzte leis.

Und grad hier sollte das Ende kommen – da war also alles andre nutzlos gewesen, dünkte ihm. Sein ganzes Leben ein Nichts im Vergleich zu dieser Stunde. Da lag er und hörte eine Ewigkeit lang den Wind über das Heidekraut hinrauschen und schnauben und seufzen.

In Rendsburg unten war er gestanden und hatte ein Glas Wein getrunken – da fiel ihm der Hut hintenüber – seine Tonpfeife ging auch in Stücke damals im Wirtshaus – wozu war denn das alles? Warum hatte er sich so geplagt bei dem Waffenschmied in Lübeck? Warum denn seinen Bart gepflegt und jeden Tag sehnlich gewünscht, er möchte doch länger werden. Wozu war denn das Blut in ihm, wenn es nun doch ausfließen sollte? Er hatte eine wahnsinnige Lust zu lachen – gerade so, als ob er einen tüchtig angeführt hätte, der sich seiner so recht angenommen – als ob er mit seinem Tod irgend einem ein Schnippchen schlagen würde. Und sogleich kam ihm dabei Gott in den Sinn, und er fing an zu flüstern und zu ihm zu beten.

Der Wind kam vorbei und trug sein Flüstern ein paar Schritte weit – wob es zusammen mit dem Rauschen des Heidekrautes und dem Ton der Nacht. Dann zerstreute er das ganze und fuhr weiter.

So starb Jörgen, der Landsknecht, einsam im Heidekraut. Der Mond schien auf sein weißes, starres Gesicht – sein rundes Lächeln antwortete dem Ausdruck fragender Angstrufe, dem Bild von Not und Verlassenheit.

Jörgen lag still auf dem Rücken. Wenn man nicht zu weit stand, konnte man ihn für einen länglichen, grauen Stein halten. Das Heidekraut deckte ihn nur halb, die struppigen Spitzen nickten und schaukelten. Die Wolken hatten fahlgelbe Ränder und trieben unterm Monde vorbei. Das Land lag öde und von Menschen fast verlassen – seine flachen Wölbungen waren mit ärmlichem Heidekraut bekleidet.

Auf seiner langen ziellosen Wanderung kam der Wind auch hierher und strich übers Land, schnupperte am Heidekraut, betastete das Haar des Landsknechts und fuhr dann weiter und suchte nach einer Türspalte. Drin sang und pfiff er dann.


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