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Drittes Capitel.

Einige Minuten war die Wirkung, welche dies plötzliche Ereigniß auf die über den Marktplatz zerstreute Menge, die sich immer mehr durch Zuzug aus allen anliegenden Gassen vergrößerte, ausübte, nur eine verstummende. Der Schreck traf wie ein Blitz aus wolkenloser Luft und lähmte die Zungen, jeder starrte seinen Nachbar mit argwöhnischer Miene an und machte eine drohende, feindselige Bewegung gegen den, der zufällig das Unglück hatte, ihn mit seinem Körper zu berühren. Selbst der Inhaber des wunderthätigen, von der gefährlichen Aderlaß-Concurrenz befreiten Theriaks stand schweigsam, er bewegte nur seinen Schlangenstab wie einen Fächer abwehrend vor der Nase hin und her, und stierte auf die leblosen Ueberreste seines Collegen, der im Centrum seiner vis animalis keine Zuflucht vor dem Giftpfeil des sichertreffenden Schützen gefunden hatte.

Nur der junge Zimmermeister trat furchtlos auf Sybille zu, die, ohne auf das seltsame Verschwinden ihres lancettenbewehrten Gegners Acht zu geben, ruhig auf den Knieen liegen geblieben war und ihre Besprengung mit dem scharf duftenden Essig, die dem Kranken wohl zu thun schien, fortsetzte.

»Ihr seid unvorsichtig, Jungfer,« sagte er in etwas vorwurfsvoll-ärgerlichem Ton; »kennt Ihr den jungen Mann, daß Ihr das Leben, das Euch eben erhalten ist, schon wieder aufs Spiel setzt?«

Das Mädchen fuhr, ohne sich stören zu lassen, in ihrer Beschäftigung fort; sie wendete nur den Kopf ein wenig und entgegnete freundlich:

»Ich mache es wie Ihr, Meister, nur weniger edelmüthig, da Ihr mich nicht kanntet, als Ihr mir zu Hülfe kamt. Ich aber muß es schon aus Dankbarkeit thun, denn dieser hat mir ebenfalls einmal das Leben gerettet, grad' wie Ihr –« sie erröthete leicht, und ihre hübschen Augen glitten etwas verlegen aus denen des jungen Bürgers, der sie forschend anblickte – »es ist freilich schon lange her,« fügte sie langsamer bei, »doch ich habe es nicht vergessen.«

Sie bückte sich wieder über den Kranken, der schmerzlich aufstöhnte, allein die Volksmenge hatte sich jetzt von ihrem ersten, übermächtigen Entsetzen erholt und drängte laut durcheinanderschreiend dichter an die Bahre hinan. Einige Stimmführer waren unter ihnen, die sich entschlossener näherten.

»Er muß fort,« sagten sie, »was ist es für ein Mensch? Er hat schwarzes Haar, es ist ein Fremder. Werft ihn vor die Stadt –«

Ein Gemurmel lief durch den Haufen. »Sie haben ihn vor dem Ghetto gefunden,« schrie eine kreischende Stimme, »es ist ein Jude, den die Andern sterbend bei Nacht aus dem Thor geworfen, damit er die Pest über die Stadt weiter verbreite!«

Ein allgemeines Wuthgeheul folgte den Worten. »Brecht das Thor auf – tragt ihn in die Judengasse zurück – laßt die Hunde an ihrem eignen Gift sterben!« tobte Alles durcheinander.

Ein wilder Angstkrampf zog das Gesicht des Kranken, über dessen Schicksal entschieden wurde, zusammen. Man sah, daß er Alles vernahm, was um ihn her geschah und gesprochen ward, seine Augen waren weit geöffnet und starrten wie nachsuchend in das Antlitz des neben ihm knieenden Mädchens. Es lag eine irre Angst darin, die mehr und mehr bei dem Getöse der erregten Masse stieg, seine bleifarbenen Lippen bewegten sich und zuckten unter einer sichtbarlich verzweifelten Anstrengung. Mühsam lüftete er den Kopf und sah mit abgrundtiefem, flehendem Blick in die Augen Sybillens: »Ich bin kein Jude,« kam es matt von seiner Lippe und so leise, daß nur sie es vernehmen konnte – »nicht in die Judengasse – bei Allem was Dir lieb ist, ich beschwöre Dich, Mädchen – nicht in die –«

Sein Kopf sank erschöpft zurück, und die Lider fielen bewußtlos wieder zu. Sybille dachte flüchtig nach – »was soll er auch in der Judengasse, da die schöne Tharah nicht seine Schwester ist,« murmelte sie vor sich hin. »Ihr seid thöricht,« setzte sie aufstehend und sich gegen die fanatischen Gesichter, welche die Bahre zu fassen im Begriffe standen, umwendend laut hinzu: »Blickt den Kranken an und fragt Euch, ob ein Israelit so aussieht oder ein Christ? Sind Eure Züge anders? Hat niemand schwarzes Haar unter Euch? Tragt ihn ins Spital und ruft bessere Aerzte, denn diese sind Schwindler, die Euch und die Natur betrügen.«

Es war seltsam, wie der Aufruhr des rohen Haufens sich vor der ruhig-sicheren Weise des Mädchens legte. Die stämmige Figur des jungen Zimmermanns mochte allerdings mit dazu beitragen, der neben Sybille und der Bahre stand, und Miene machte, dem ersten, der sich den Anordnungen derselben thätlich widersetzen würde, seinen Ungehorsam auf das Fühlbarste zu verleiden. Mehrere der Verständigeren fanden sich bereit, sich der nothwendigen Aufgabe, die möglicherweise den Ausbruch des allgemeinen Verderbens von der Stadt abhalten konnte, zu unterziehen. Eine zweite Tragbahre ward aus einem der nächsten Häuser herbeigeholt und mit dem Körper des Arztes, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab, beladen, dann setzten sich die Träger eilig in Bewegung, während der Haufe auseinanderstob und zum Theil dem Besitzer des unbezahlbaren Theriaks in seine Wohnung nachdrängte, zum Theil mit der unheimlichen Schreckenspost die seinige aufsuchte und sich in ihr gegen die Außenwelt abschloß. – –

Das Ereigniß, von dem wir berichtet, das die hillige Stadt Cölln in der heutigen Morgenfrühe dergestalt in Aufregung versetzte, fand in den ersten Augusttagen des Jahres 1348 statt. Mannigfache Kunde war zuvor aus dem Süden heraufgedrungen, dunkle Berichte, die das Gerücht weiter verbreitete, von einer neuen, entsetzlichen Krankheit, die im Morgenlande unter fernen, unbekannten Steppenvölkern ausgebrochen, und von Schiffen aus Indien bereits im Jahre vorher an die Gestade des mittelländischen Meeres verpflanzt worden. Furchtbare, durch die Länge des Wegs ins Ungeheure entstellte Schilderungen cursirten im Volke; grausenhafte Einzelheiten wurden erzählt, für die niemand die Bürgschaft übernahm, da kein Augenzeuge von ihnen zu berichten vermochte. Man wußte nur, daß die Pest, der schwarze Tod, wie die betroffenen Völker sie nannten, langsam vom Süden vorrückte und von der Türkei bis an den atlantischen Ocean Europa gleichmäßig mit den Armen umklammerte. Geheimnißvolle Sagen von entvölkerten Inseln, von ausgestorbenen Schiffen, die ohne Mannschaft steuerlos das Meer durchirrten und das Verderben an die Küste brachten, auf welche die Welle sie auswarf, liefen umher. Naturerscheinungen traten hinzu und ängstigten bald die Gemüther der Einsichtigen, bald die der Thoren. Wolkenbrüche, auf die versengende Dürre folgte, erzeugten Ueberschwemmungen und riefen in den verschiedensten Ländern Einsturz gewaltiger Bergesmassen hervor. Der Aetna brach aus, Erdbeben unterwühlten den Boden und öffneten Abgründe mit schädlichem Dunst. Dazu kamen Winde, zu Orkanen verstärkt, und brachten dicke, riechende Nebel, welche die Brust als giftbeladen von sich stieß. Seltsame Lufterscheinungen, von denen nur die Reisenden des Orients märchenhafte Dinge früher erzählt, und rastlos in den Wolken spielende Flammen. Quellen rieselten plötzlich hervor, wo nie eine Wasseranhäufung stattgefunden, Insectenschwärme verwüsteten die Felder, und ihre verwesenden Körper erzeugten faulig ekelhaften Geruch. Die Farbe der Luft und des Himmels erschreckte die Augen, unheimliche Zeichen im täglichen Leben vermehrten die Furcht. Mißwachs und Hungersnoth drohten überall; es trübte sich der Wein in den Gefäßen, eine allgemeine Betäubung umhüllte die Sinne und erregte Kopfschmerz und Ohnmacht. Als verhängnißvollste Vorbedeutung für den Aberglauben erschien ein Komet mit langem, feurigem Schweif, häufige Meteorsteine fielen, eine glühende Dunstkugel strich, als Sendbote des nahenden Unheils, aus dem Osten in weitem Bogen über das Abendland, und eine riesenhafte Feuersäule senkte sich zu Avignon auf den Palast des Pabstes herab, wie eine Zornfackel des Himmels, die, den Anbruch des jüngsten Tages verkündend, die Sündhaftigkeit der Menschen warnte.

Und demgemäß wandelten sich die Gemüther derselben in den Orten, welche die Pest ergriff. Die Extreme erreichten ihre Geltung, fast jeder ward aus dem gewohnten Gleise des Lebens gerissen, und seine innerste Natur kam zum Vorschein. Die Besonnenen verloren ihren Halt; Ausgelassenheit trat an die Stelle der Schwermuth, und die drohende Gefahr vertauschte die Neigungen und Gewohnheiten. Die nie an den Himmel gedacht, beteten, und Lästerung kam aus dem Munde der Frommen. Die Wenigsten waren sich ihrer Absichten bewußt, der Instinct herrschte, der Trieb der Selbsterhaltung überwog jeden andren. Die heiligsten Verpflichtungen zerbrachen wie Halme in seinem Sturm; der Himmel schien die schützende Hand von der Menschheit abgezogen zu haben, und die Hand der Liebe, der Treue, der Menschlichkeit folgte seinem Beispiel. Erbarmen und Mitleid flohen vor der Furcht und entarteten in ihr Gegentheil. Stumpfsinn lag über der einen Hälfte der Menschheit, während die andere die Gelegenheit, die alle Zügel der Leidenschaft und gieriger Ausschweifung zerbrach, benutzte, des Kommenden ungewiß, kaum des genießenden Augenblicks versichert. Das Schreckenvollste des gewöhnlichen Lebens hatte seine Gewalt verloren; gleichgültig vernahm das Ohr die Gerüchte von lebendig Begrabenen; wie die Vögel und Raubthiere die Pestleichen, flohen die Menschen die Nähe der Lebendigen, die ihnen die nächsten, die liebsten, gewesen. Sie fürchteten sich vor dem Athem, vor der Stimme, vor den Augen, an denen sie gehangen. Sie irrten in die Wildniß, in die sie den tödtlichen Keim mit sich trugen, und einsam starben, wo kein Blick ihren Todeskampf sah, kein Ohr ihren Jammerruf vernahm. Keine Insel war so öde, kein Felsen so hoch, keine Flucht so geschwind, der Tod war schneller und erreichte sie.

Und die finstere Macht der Krankheit vermehrte noch der Wahnwitz der Menschen, den jene erzeugte, sich durch ihn zu verstärken. Wahrsager liefen schreiend durch die Gassen und prophezeihten den Untergang der Welt; dann sammelten sich Schaaren jeden Alters und jeden Geschlechts, die Bußlieder singend und ihren entblößten Rücken geißelnd von Stadt zu Stadt zogen. In ihren Reihen brachten sie die Pest mit sich und steckten noch unberührte Orte, die sie durchwanderten, an. Schnödes Blendwerk religiösen Trostes boten sie dar, und erfüllten die schwachen und abergläubischen Gemüther durch den Anblick ihrer blutbesprengten, zergeißelten Glieder und ihrer irrsinnig fanatischen Züge mit noch größerem, für die Pest empfänglichem Entsetzen. Tanzend und springend zogen sie von Thor zu Thor und erhöhten die Angst. Sie kamen wie Leichenraben, die sich plötzlich aus blauer Luft sammeln wo sie Verwesung wittern; so erstanden sie, wo das Verderben begann, und häuften sich in Schwärmen und brachten das »große Sterben« mit sich, wohin sie gelangten.

Fast überall indeß, wohin es noch nicht vorgedrungen, wiegte sich die Bevölkerung in goldener Sorglosigkeit. Die Masse glaubte nicht, was ihr Auge noch nicht gesehn, ihr Ohr nicht gehört, und lachte der Furcht der Weitsichtigeren, die im Voraus Maßregeln zu ergreifen trachteten. Schwierig war die Verbindung der Zeit mit den weiter entlegenen Orten; selten genaue und verbreitete Kunde von dort. Und kam sie, so hielt niemand in der hilligen Stadt für möglich, was in Marseille, in Lyon, in Paris, oder selbst auch in Frankfurt geschehn. Sie wußten nicht, daß die Pest wie eine Katze heranschlich und sich zum Sprunge zusammenkauerte – –

Sie wußten es so wenig, wie er selbst, als er am Abend zuvor das Thor durchschritten und die Straßen hinabwandelte, daß sie sich zum Sprunge in das lachende Antlitz hineingekauert, in die dargebotene Hand, in die blühenden Lippen – sie hätten nicht hineingeblickt, die Hand nicht genommen, sie hätten vielleicht die Lippen nicht geküßt – –

Jetzt wußten sie es – auch in der hilligen Stadt Cölln war der schwarze Tod, der keinen verschonte, war die Pest, vor deren Augen kein Winkel verbarg, und das »große Sterben« begann. – –

Sybille schritt neben den Trägern her, und der junge Bürger folgte ihr. In dem Blick, den er von Zeit zu Zeit aus seinen großen, gutmüthigen Augen auf sie warf, lag eine unverhüllte Bewunderung und Achtung vor der ruhigen Sicherheit ihres Wesens, das ihn um so mehr ansprechen mochte, als es seinem eignen zu entsprechen schien. In den mannigfachen Situationen, in denen das Mädchen sich seit etwa einer Stunde befunden, hatte sie keinen Moment die Besinnung verloren, weder ihr Körbchen, noch ihr Tuch, noch sonst etwas war ihr abhanden gekommen. Sie dachte an Alles, sie war furchtlos, wo die Männer sich wie Kinder gebehrdeten; was sie that, vollbrachte sie mit der entschiedenen Bestimmtheit, die unbefangene Ueberlegung verrieth. Das Einzige, was dem aufmerksamen Begleiter mißfiel, war die Sorgfalt, mit der sie sich des Pestbehafteten annahm, und doch mißfiel ihm auch dies nicht, denn es kennzeichnete die Theilnahme ihres Gemüths und die unbeirrte, furchtlose Ruhe ihres Charakters – sondern was ihm mißfiel, war, daß sie diese Fürsorge einem Manne zuwandte, den sie nicht weiter zu kennen schien, als dadurch, daß er ihr einmal zufällig das Leben zu retten vermocht hatte – und wie er nachgrübelte, war es auch das eigentlich nicht, was ihm mißfiel, sondern – er wußte selbst nicht was, und wie die Augen des Mädchens sich während seines Nachsinnens plötzlich auf ihn wandten, fühlte er verlegen, daß er roth bis an die Stirn wurde wie ein Knabe.

Sie gingen durch Gassen, die wie mit einem Zauberschlage leer geworden. Kaum ein Mensch war in ihnen zu sehen; wer ihnen begegnete, blieb von fern stehen und flüchtete sich in ein Haus oder bog eilig um die nächste Ecke ab. Aus den verschlossenen Häusern blickten scheue, unruhige Köpfe auf die Vorüberziehenden und schlugen bei ihrem Erscheinen hastig die Fenster zu; ein unheimlicher Rauch von Wachholder und ähnlichen starkharzigen Stauden drang überall hervor und durchwogte die verlassenen Straßen. Auch den Trägern begann der Muth zu sinken, der Angstschweiß tropfte von ihrer Stirn, sie liefen immer schneller. Glockengeläut und ein verhallender Gesang tönte ihnen entgegen: er ward lauter, als sie scharf um die Ecke auf einen freien Platz einbogen, in dessen Mitte massiv aufragend die Kirche Maria's zum Capitol stand. Davor wimmelte es von Menschen, die sich drängten und stießen, und von denen jeder zuerst den Eingang ins Innere zu erreichen suchte. Alte Weiber, Kinder, Männer, Alles durcheinander, alle mit verstörten Mienen, in der Bekleidung, die ihnen zunächst zur Hand gerathen, jeglicher rücksichtslos nur auf die Durchführung seiner Absicht bedacht. Wie hastiges Gewimmel von Ameisen, die durch einen mächtigen Feind aus ihrer Ruhe aufgestört worden, war es – plötzlich tönte ein Ruf aus der Mitte: »Sie kommen – rettet Euch – in die Kirche – zur Mutter Gottes,« und die Aufregung und das tolle Gedränge nahmen zu. Die Köpfe wandten sich nach rechts, nach links – sie gewahrten die Bahre, welche die erschöpften Träger auf einen Moment zu Boden gelassen hatten, und ein Zetergeschrei erhob sich in der Masse. Weiber wurden niedergeworfen, Kinder unter die Füße getreten – »Platz, Platz« – überdonnerte eine Stimme das wehklagende Geheul – »sie kommen, die Brüder kommen und bringen uns Rettung.« Wieder flogen alle Augen herum und starrten in die Richtung, aus der ein sonderbarer monotoner Gesang herüberkam, der sich nicht mit den aus dem Innern der Kirche dringenden Klängen mischte, sondern sie anfänglich scharf durchschnitt und, näher kommend, übertäubte. Man sah noch nichts, vielstimmig scholl er um die Biegung einer Straße, aber man vernahm deutlich die Worte, die wie ein Chor von hundert gleichtönenden Orgelpfeifen heranbrausten:

        »In korter vrist
        God tornich ist;
Jesus ward gelauet mid gallen,
Des sole wi an en cruce vallen.
Er heuet uch mit unsen armen:
Dat sic god ouer uns en barme –«

Dann bog es, fortsingend, um die Ecke und kam grade auf die Kirche und die davor versammelte Menge zu. Es war keine Procession zu nennen, denn sie zogen unordentlich und durcheinandergemischt daher; ein dichter Schwarm von Menschen in düstren Gewändern, das Haupt mit Kutten und Capuzen verhüllt, aus denen nur durch schmale Faltenöffnung unheimlich brennende Augen funkelten. Männer und Weiber, auch Nonnen unter ihnen in langer Klostertracht, auf Brust und Rücken mit rothen Kreuzen bedeckt, mit dicken, vielsträngigen Geißeln, in deren Enden eiserne Kreuzspitzen eingeknotet waren, in der Hand. Um sie her rauschte es von prangenden Fahnen, deren Goldstoff knitterte und im Sonnenschein blitzte, Heiligenbilder ragten über den Köpfen auf und brennende, von tanzenden Knaben getragene Kerzen umschweiften mit langzüngelnden Flammen die Masse, die sich rasch daherwälzte und sang:

»Jesus dorch dine namen dry
Nu make uns hir van sunde vry;
Jesus dor dine wunden rod
Behod uns vor den gehen dod –«

»Halt,« schrie jetzt eine machtvolle Stimme an der Spitze des Zuges, »auf die Kniee und thut Buße für Eure Sünden, ehe Ihr vor das Auge der Jungfrau eintretet in den Tempel.«

Es war der Anführer der Schaar, der es rief. Eine hohe, aufgereckte Gestalt, der die Kutte während der unausgesetzten Geißelhiebe, die er über seinen nackten, hageren Rücken, von dem das Blut strömte, vom Gesicht gefallen war und ihr über den zerfleischten Nacken herabhing. Gramzerfressene Züge, von tausend Falten durchwettert und verzerrt, kamen darunter zum Vorschein, um die eingefallenen Schläfen flog verwildertes, langsträhniges, greises Haar; Stirn und Wange waren mit Narben bedeckt und unmenschlich entstellt, aus den hohlen, tiefgesunkenen Augen loderte eine unheimliche, fanatische Gluth. Aber trotzdem war zu sehn, daß dies Antlitz einst edel, die Gestalt von majestätischem Eindruck gewesen; scharfgeschnitten trat noch immer das Profil mit der schön gebogenen Adlernase gegen das Licht, auf der hohen, vorgewölbten Stirn lag Stolz und unbändige, fessellose Leidenschaft. Er wandte sich jetzt zu der ängstlich vor der Kirchthür zusammengedrängten Menge, die mit staunenden Blicken das plötzlich vor ihnen entfaltete Schauspiel maß, und rief weithinschallend:

»Meine Brüder und Schwestern, thut wie wir, denn das Gericht Gottes kommt über Euch. Mit uns zieht es durch die Luft – werft Euch auf die Knie und betet, daß er es abwende von Eurer Stadt. Büßet und bekennet Eure Sünden im Staube, wie wir, jeder nach der Schuld, die auf ihm lastet. Entkleidet Euren Leib, daß ich Euch strafe und Euch Gnade erwerbe – der Meineidige lege sich auf die Seite und erhebe die Finger, mit gefalteten Händen harre der Lästerer der Peinigung, aufs Gesicht werfe sich der Ehebrecher –«

Er machte einen wilden Sprung bei den letzten Worten und schleuderte sich mit vorgestrecktem Kopf zu Boden, daß derselbe hart auf einen spitzen Kiesel traf, der ihm eine tiefe, blutende Wunde in die Stirn schlug. Dann erhob er die Geißel und zermarterte seinen Rücken; ohne einen Klagelaut auszustoßen, riß er mit den scharfen Nägeln der Peitsche Fleischfetzen von den blosgelegten Knochen – endlich sprang er auf und lief durch die Reihen der Brüder, die nach seinem Gebot sich ebenfalls in den mannichfaltigsten Stellungen zur Erde geworfen. Wild fuhr seine Geißel über die bis an die Hüften entblößten Körper und zerriß sie. Die Lippen der Getroffenen zuckten, ihre Gesichter verzerrten sich und dumpfes Wehgeheul brach aus der Brust. Sie wanden und krümmten die Glieder, doch keiner suchte sich der Marter zu entziehn. – »Eifriger Bruder Dominikus,« wimmerten manche, »daß ich zur Gnade gelange,« und der Anführer hieb erbarmungsloser auf sie ein. Allmälig schien der Geruch des Blutes ihn zu berauschen, seine Augen wurden stierer, er keuchte und seine Nüstern schnaubten wie die eines lechzenden Raubthieres – vor ihm wand sich stöhnend der zarte Leib eines Knaben, den seine Geißel zerfleischte. Das Kind flehte um Erbarmen und rang mit den Händen auf, doch Dominicus hörte nicht, sondern peitschte wie von dämonischer Lust gepackt fort über den weichen Hals, die Schultern, die Brust des verzweifelt sich am Boden Umherwälzenden. Der Knabe wollte aufspringen und entfliehen, er richtete sich auf schwankenden Füßen empor, doch die Geißel traf ihn auf die Stirn, seine Augen rollten brechend in den Höhlen und er griff mit den Händen in den Sand und fiel im Todeskampf verröchelnd zurück.

Ein Schrei des Entsetzens ertönte aus der gaffenden Menge, doch die büßenden Brüder übergellten ihn mit einem irrsinnig begeisterten Jubelruf:

»Er hat die Gnade, ihm ist die Barmherzigkeit widerfahren – preiset ihn und danket dem Herrn, der ihn von seinen Sünden erlöst durch die Marter des Heilands,« schrieen sie wild durcheinander. »Führe uns in die Kirche, Bruder Dominicus, den der Herr zum heiligen Werkzeug seiner Gnade erwählt!«

Doch dieser stand und starrte auf den entseelten Körper des Kindes, der jetzt regungslos unter seiner Geißel lag. »Sie alle können sterben, allen ist der Tod barmherzig,« murmelte er dumpf. Er sah besinnungslos umher, langsam wich der Blutrausch aus seinen irren Augen und er blickte über die noch immer um ihn am Boden ausgestreckte Schaar:

»Stant uf durch der reinen martel ere
Und hüt euch vor der Sünden mere.«

sagten seine Lippen mechanisch und die Büßer sprangen in die Höh, ordneten ihre Kleider und sangen, sich um ihn stellend:

»Were dusse bote nicht ge worden,
De christenheit were gar vorsunden.
De leyde duuel had se ge bunden,
Maria had lost unsen band –«

Damit drängten sie in die Kirche, an deren Eingang die Stadtbewohner, vor dem Andrang der fremden Schaar, zurückwichen. Doch ein neues Geschrei erhob sich unter denen, welche von dem Gewoge an den Rand des Platzes hinabgedrängt wurden, wo die Bahren mit dem Jüngling und der Leiche des Arztes standen, deren Träger sie verlassen und sich, froh ihres Amtes entledigt zu werden, unter die gaffende Menge gemischt. Sybille und der Zimmermann suchten sie vergeblich zurück zu halten und blieben wartend neben dem Kranken stehn.

»Die Pest, – da sind sie – flieht, flieht,« schrie jetzt der auf sie zugeschobene Haufen, indem er scheu vor ihnen zur Seite prallte, und seinen Versuch in die Kirche zu gelangen aufgehend, nach allen Richtungen auseinander stob. Der Anführer der Kreuzträger fuhr aus seinem dumpfen Hinstarren empor. Er horchte mit fiebernden Augen auf und warf mit gewaltsamem Ruck die neben ihm Stehenden zur Seite. Dann machte er einen Sprung in die Gegend, von woher die Angstrufe ertönten.

»Wo ist die Pest?« schrie er wild die Menge durchbrechend und mit gierigem Blick umhersuchend, bis er die Bahre fand, über der die beiden einsamen Gestalten wachten. Er stürzte auf sie zu, ein Gemurmel, »haltet ihn – er ist verrückt,« lief durch die Masse. Aber die Geißeler drängten ihm furchtlos nach.

»Er kann Todte auferwecken – Gott hat ihm Kraft gegeben – er ist selbst aus dem Grabe auferstanden und nichts hat Gewalt über ihn,« riefen sie begeistert.

»Du entfliehst vor mir,« stießen die gepreßten Lippen des riesigen Greises ächzend heraus, »aber ich verfolge dich und ich werde dich packen und du sollst mit mir ringen –«

Und wie er es sprach, schleuderte er den kraftvollen Arm des jungen Zimmermanns, der den irrsinnigen Alten von dem Erkrankten abzuhalten suchte, wie den eines Kindes zurück; er packte die Bahre und warf sich über den Körper des Jünglings und sich auf das regungslose Gesicht niederbeugend, sog er begierig den tödtlichen Hauch seiner Lippen.

Es war einen Augenblick still geworden; selbst die Flagellantenschaar, soweit sie noch nicht in der Kirche verschwunden, hielt, über die Kühnheit ihres Führers erschreckt, einige Schritte von ihm inne; dann brach sie plötzlich in ein betäubendes Gejauchz aus und heulte:

»Er lebt, – Dominicus hat den Tod auferweckt – Gott hat ihm die Kraft gegeben – er besiegt die Pest und sie krümmet sich unter seiner Hand!«

Die Furcht war von ihnen gewichen, Alle wogten begeistert heran und hefteten die Augen auf das anscheinende Wunder. Der leblos daliegende Jüngling hatte unter den Worten des Greises die falben Lider emporgehoben und blickte ihm mit weitgeöffneten Augen ins Gesicht. Das Leben kam, wie unter dem Ruf des Alten, und überfloß Hellem's entstellte Züge; wie eine Flamme, von Magierhand aus der Nacht beschworen, glänzte es auf und verschwand wieder in Nacht und erlosch.

Doch, als ob es ein Blitz gewesen, der die sonderbare Gestalt über ihm getroffen, so taumelte dieser vor dem hastigen Blick zurück. Das graue Haar richtete sich auf dem Scheitel des Anführers empor, er stierte auf die Bahre, als wollten seine Augen das mit Pestflecken verunstaltete Gesicht des jungen Mannes verschlingen, die Hände fielen gelähmt an seiner Seite herunter und die hohe Gestalt sank langsam in sich zusammen. Ihre Knie brachen, ihre Arme fielen über den Leib des Kranken, auf dessen Mund ihre Lippen sich neigten, während ein Thränenstrom aus den knöchernen Augenhöhlen stürzte und das Antlitz Hellem's mit warmer Fluth übergoß.

Voller erscholl aus der Kirche der Gesang der Kreuzträger, die Eintritt erlangt; Posaunenklänge mischten sich mit gellem Ruf darein und lauter schwollen die Töne und es hallte über die Menge:

»Wir wenen trene mit den oghen
Und hebben des so guden louen
Mit unsen sinnen unde mit hertzen –«

Der Greis, der schluchzend an der Bahre lag, richtete den Kopf auf. Das Wilde, Verstörte war seltsam aus seinem Gesicht gewichen; »wohin bringt Ihr den Kranken?« fragte er, die Zunächststehenden mit unruhvollnachdenklichen Augen anblickend.

»Wir hätten ihn längst ins Spital gebracht, wenn Ihr nicht mit Euerm verdammten Zug gekommen und uns unsere Träger weggelockt hättet,« antwortete der Zimmermann ärgerlich. »Jetzt könnt Ihr selbst mit anfassen, wenn's Euch Spaß macht und der junge Herr hier nicht durch Eure Schuld auf der Straße verrecken soll.«

Er platzte unwillig damit heraus, ohne sich darum zu kümmern, daß die Büßer um ihn her über die ihrem Führer und ihnen zugefügte Beleidigung eine drohende Miene annahmen. Die Kraft des sonderbaren Alten hatte er erprobt und ihn nachher ruhig gewähren lassen; doch die Ueberzahl fürchtete er nicht und stand im Begriff, ihr auf ihre Drohungen unbekümmert zu entgegnen. Aber er verstummte plötzlich, wie der ihn umgebende Haufe, denn jener erhob sich unter dem Klang der an ihn gerichteten Worte des jungen Bürgers, erfaßte die Tragbahre und sagte:

»Ich will nicht Schuld tragen an seinem Unglück, – Gott im Himmel, dieser Mann sagt, ich werde Schuld tragen an seinem Tod –«

Der Ausdruck seiner Züge war wieder irr und geistesabwesend geworden, allein er sammelte sich rasch und fuhr fort:

»Ich werde helfen den Mann ins Spital zu tragen; es ist Gott mehr wohlgefällig sich zu erbarmen über seine Mitmenschen, als sich aufzuerlegen Martern, welche Niemandem nützen.« Er glitt mit der Hand über die hohe Stirn, als ob er etwas mit ihr fortwische, das ihm über die Augen zu fallen drohe; die Geißeler murrten zu seinen Worten, doch er setzte ruhig hinzu: »Geht und helft denen, die bedrängt sind, denn es wird noth thun, und Eure Sünden Euch vergeben werden, wenn sie zu vergeben sind.«

Damit schritt er mit der Bahre, die der Zimmermann am hinteren Ende gefaßt hatte, vorwärts; neben ihm ging Sybille und wies ihm die Richtung, die er einzuschlagen hatte. Doch schien dies kaum nöthig, denn es war als ob der Fremde sie instinctiv treffe, so richtig bog er in die Gassen, die auf dem nächsten Wege zum Spital hinführten. Endlich erreichten sie dasselbe, ein hohes, düsteres Gebäude, das in einer engen Gasse unfreundlich und unschön versteckt lag. Die fast lichtlosen Räume machten einen traurigen Eindruck; Wärter mit ängstlichen Gesichtern liefen ab und zu und flüsterten. »Da kommt der Fünfte,« sagte Einer von ihnen schaudernd, doch ein Anderer unterbrach ihn lachend:

»Zählst Du noch, Jörg Hasenfuß? Der Spaß wird Dir bald vergehn; nur hinein mit ihm, frisch, immer mehr, es wird lustig –«

Er öffnete die Thür eines großen, dunklen Raumes, aus dem eine dumpfe, übelriechende Luft hervordrang.

»Gebt diesem ein eigenes Zimmer,« sagte Sybille vortretend, »er wird es bezahlen.«

Der Spitalswärter sah sie frech an. »Wird er?« fragte er hämisch; »nun, wird's nicht lange zu bezahlen haben, aber's kommt theuer und muß vorher berichtigt werden, eh' er uns abfährt. Ist vielleicht Ihr Schatz, Jungfer?«

Das Mädchen wurde roth bei den letzten Worten; doch sie nestelte ruhig eine kleine Goldkette, die sie am Hals trug, los und reichte sie dar. »Nehmt vor der Hand dies als Pfand für die Bezahlung,« sagte sie.

»Sie muß mir noch einen Kuß drauf geben, Jungfer,« antwortete der Wärter mit unverschämter Grimasse, indem er die Hand begierig nach der Kette ausstreckte, »vielleicht gefall' ich Ihr, wenn der Liebste crepirt ist –«

Doch er wurde von zwei Seiten unterbrochen; von dem Zimmermann, der ihm einen so gewichtigen Streich mit der flachen Hand ins Gesicht gab, daß er in ein lautes Klagegeheul ausbrach, während der Alte die goldene Kette seiner Faust entriß, die er dem Mädchen zurückgab, und jenem statt derselben ein paar Goldstücke, die er hastig aus einer verborgenen Tasche geholt, hineindrückte.

Die Schweinsaugen des Gestraften funkelten heimtückisch in das Gesicht des jungen Bürgers, derweil er antwortlos ein Nebengemach aufschloß und die Harrenden eintreten ließ. Es war eine enge, niedere Stube, in welche durch ein einziges, dicht mit Eisenstäben vergittertes Fenster falbes, unfreundliches Licht fiel.

»Es ist die Tobzelle,« sagte er widerwärtig grinsend, »die wird wohl für das Gelichter passen.«

Doch er hütete sich, es lauter zu sprechen, als daß höchstens Sybille es verstehen konnte; allein auch diese gab nicht Acht darauf. Bruder Dominicus stand neben dem Zimmermann; er hatte eine Frage auf den Lippen, die er schon öfter wieder zurückgeschluckt, endlich brachte er sie mit etwas abgewandtem Gesicht hervor.

»Kennt Ihr den jungen Mann, den das Unglück betroffen?« fragte er.

Der Zimmermann zuckte die Achseln. »Ich nicht, die Jungfer kennt ihn,« erwiederte er. »Ich dachte, auch Ihr,« fügte er, sich gegen den Alten richtend, bei, »da Ihr Euch seiner so fürsorglich annahmt.«

Der Greis wich dem forschenden Blick, den der Sprecher auf ihn heftete, aus. »Es ist die Pflicht der Brüderschaft, der ich angehöre,« versetzte er unsicher, »wie viel mehr kommt es mir zu, als Euch, der barmherzig war und sich der Gefahr blosgab, ohne jene Pflicht. Der Herr, der ewige Gott, lohn' es Euch –«

Er ergriff mit krampfhaftem Druck die Hand des Bürgers, der verwundert die Thränen sah, die über das pockennarbige Gesicht des Büßers herabfielen. Dieser drehte hastig den grauen Kopf:

»Ich meine, damit man den Angehörigen des Jünglings Nachricht ertheilen kann,« fuhr er zögernd fort, »wenn Ihr seinen Namen und seine Wohnung wißt, Jungfer? Und daß man einen guten Arzt fände, einen sehr guten Arzt, ob er auch verlangen möchte für die Behandlung was er wollte.«

»Ich gehe,« antwortete Sybille ruhig, »und werde Alles besorgen. Wollt Ihr bleiben und auf den Kranken achten, bis ich zurückkomme?«

Der Greis nickte zustimmend. »Ich werde bleiben,« entgegnete er; »wollt Ihr mir nicht zuvor sagen den Namen dieses jungen Mannes, damit ich könnte zu seinen Eltern schicken, wenn Ihr bekämet Verhindrung, Jungfrau?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Es wird mich nichts hindern,« entgegnete sie, »wartet.« Sie ging zur Thür, der Zimmermann folgte ihr nach. Die Augen des Alten rollten unruhvoll in ihren Höhlen, seine Lippen zitterten –

»Wollt Ihr mir nicht lieber sagen den Namen des jungen Mannes, eh' daß Ihr geht?« rief er noch einmal mit stockendem Athem, aber jene hörten nicht und verschwanden auf dem Flur.

»Sie wollen mir nicht sagen den Namen,« schluchzte der Greis, »und ich muß sehen, ob ich kann auferwecken den Tod.«

Er trat an das Bett, auf dem der Kranke ausgekleidet bewegungslos lag und neigte sich über sein Gesicht. Er betrachtete ihn und zauderte, endlich legte er die Lippen an sein Ohr und flüsterte rufend ein Wort hinein und stieß einen Freudenschrei aus, denn wieder hob der Jüngling die Wimper und sah ihn mit gläsernen Augen an, doch dabei, wie im Traum, glitt der Schimmer eines freundlichen Lächelns über das halb erstarrte Antlitz.

Die sehnigen Finger des Alten drückten sanft die Lider zur Ruh hinab. »Sie wollten mir nicht sagen den Namen,« murmelte er, »als ob mein Auge blind geworden und nicht mehr könnte sehen, wie vor zwanzig Jahren.«

Ein geisterhafter Zug lag in seinem Gesicht, er wiederholte immer ein Wort zwischen den Lippen und kauerte sich zu Häupten des Lagers nieder, den Mantel um seine hagere Gestalt geschlagen und den Kopf mit der Capuze verhüllt, daß nur die großen, unruhvoll harrenden Augen aus der Oeffnung hervorleuchteten. –

Draußen auf der Gasse trennte sich Sybille von ihrem Begleiter. »Ich muß allein gehen,« sagte sie bestimmt, als er Miene machte ihr auch jetzt zu folgen, »lebt wohl und habt Dank.« Sie reichte ihm freundlich ihre niedliche Hand zum Abschied, die er zart in seine starken schwielenbedeckten Finger nahm. Sie lächelte, als sie den Abstand gewahrte, »es ist das Handwerk, Jungfer,« sagte er verlegen.

Doch sie fiel ihm rasch ins Wort. »Das ist gut,« versetzte sie, »desto tüchtiger sind sie für die Arbeit, und Mädchen zu beschützen, die in ihrer Nähe in Gefahr gerathen,« fügte sie schelmisch hinzu.

Das große Kind erröthete bis über die Ohren. »Ich möchte nicht aufdringlich sein, Jungfer,« stotterte er, »und weiß nicht, ob ich es wäre, wenn ich auch die Frage an Euch richtete, die der Alte uns nachrief, das heißt« – er gerieth in Verwirrung und stockte, – »wenn Ihr wieder einmal des Schutzes bedürfen solltet, so heiße ich Franz Waldhofer und Ihr könnt am Rhein jedes Kind nach dem Schiffszimmermeister fragen –«

Das Mädchen knixte zierlich. »Ich heiße Sybille Reinbacher,« antwortete sie mit ernst-schelmischen Lippen, »und mein Vater ist Wächter am Frankfurter Thor und sieht alle Leute, die hinaus und herein passiren, und sein Töchterlein macht es wie er. Doch nun b'hüt Gott, Waldhofer, es hat Eil',« sie schüttelte ihm noch einmal freundlich die Hand und ging schnellen Schrittes die Gasse hinab und er sah ihr, auf dem Fleck stehen bleibend, nach, bis sie um die Ecke verschwand. Dann wanderte auch er, in entgegengesetzter Richtung, davon. Die Straßen waren nicht mehr so leblos wie zuvor; überall drängten sich die Geißeler, Bußpredigten improvisirend und Gesänge plärrend, umher, ab und zu sah man sie einen Todten oder Sterbenden umstehn, der auf der Gasse zusammengebrochen.

Seit wenig Stunden war die Pest in Cölln, aber wie ein Feuer, das über Reisig läuft, durchflog sie die Stadt. Sie kroch über die Dächer, drang durch die Ritzen, kam in der Luft, im Wasser, aus dem Erdboden herauf. Sie packte die Opfer, die sie sich ausersehen, mit unfehlbarer Hand, wohin sie vor ihr zu fliehen suchten, und schritt gleichgültig an denen vorüber, welche sie nicht erlesen, – hohnlachend stieß sie den Arm zurück, der nach ihr gehascht. – –

Franz Waldhofer wich ihr nicht aus, aber er suchte sie auch nicht mehr, und ging, ohne einen Blick auf die Opfer, welche sie gefaßt, zu werfen, durch die Gassen, bis er an den Rhein hinunter kam. Die Sonne stand jetzt hoch und glänzte wieder aus dem Fluß, der in langen spiegelnden Wellen ruhig seine Wasser zur See hinabwälzte.

Der junge Bürger blieb einige Minuten stehn und blickte träumerisch über den breiten Strom, in die sommerliche Ferne des gegenüberliegenden Ufers hinaus, dann trat er in das Häuschen, vor dem er stand, und kam mit vertauschter Kleidung wieder hervor, und mit einer mächtigen Axt bewaffnet, die er auf die am Gestade aufgethürmten Balken schwang, daß, wer nicht das vergnügte Lächeln sah, das seinen rothen Mund umspielte, glauben konnte, er zimmere einen Riesensarg für die hillige Stadt Cölln.

 

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