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Siebzehntes Kapitel

Es war alles geschehen, wie die schnell hintereinanderfolgenden Meldungen es überbracht. Schon lange hatte die Willkür und Grausamkeit des burgundischen Statthalters Peter von Hagenbach düsteres Murren unter den Bürgern Breisachs geregt, doch eiserne Faust hielt sie, jede Auflehnung mit Folter und Rad bedrohend, ohnmächtig gebändigt, bis sie den übermächtigen Herrn ihres Bedrückers selbst jetzt von allen Seiten bedrängt gesehen. Heimlich war ihnen von den eidgenössischen Städten und ihrer Nachbarschaft Mülhausen Beihülfe zugesagt worden, allein sie zauderten, so lange Karl der Kühne noch immer in Lothringen sogar gegen das deutsche und fränkische Reich den Sieg vor sich hertrug. Da hatte unbereitet ein Funke die Mine entzündet: offene, freche Gewalttat des Landvogts an einer schönen Frau aus altedlem Breisacher Geschlecht. Eine Anzahl im Dienste des Statthalters befindliche deutsche Söldner ward von der lodernden Empörung ihrer Landesgenossen mit erfaßt, bewaffneter Aufstand hob sich und überwältigte die welsche Besatzung der Felsenfeste. Nach kurzem Gericht wurde über Peter von Hagenbach das Todesurteil gefällt und sofort vollzogen; die Nachbarstädte des Elsaß' und der Schweiz sicherten den Rächern ihren Schutz und Beistand, doch es schien, als ob Breisach desselben nicht mehr gegen den demnächst unvermeidlich von erdrückender Überzahl bezwungenen Herzog bedürfen könne.

Aber urplötzlich änderte sich mit einem jähen Schlage alles um. Unanzweifelbar hallte auch die zweite Botschaft durch alle Lande; treulos-wankelmütig hatten der Kaiser Friedrich und König Ludwig ihre Bundesgenossen verlassen, ohne jedes Vorwissen derselben über Nacht mit Burgund Frieden geschlossen, Lothringen, die Schweizer Städte und das Elsaß allein dem ungeheuren Rachedurst Karls des Kühnen preisgegeben. Ein starres Entsetzen fiel lähmend überall nieder, wohin die unglaubliche Schreckenskunde flog. Jede Stadt rief eilig ihre Reisigen, die draußen umgeschweift, zurück und verrammelte ihre Tore; wer es konnte, drängte aus den Dörfern hinter die Sicherung der Mauern nach, fast menschenverödet lag weithin das Land umher. Jähester Umschwung hatte alles verwandelt; die Soldknechte des Ritters von Egisheim, welche schon seit Monden vor den Städtischen selbst Schutz hinter den Türmen und Gräben der »Drei Exen« suchen gemußt, brachen hervor und schalteten plündernd, raubend und brennend als Herren im Sundgau. Wie eine schütternd rollende schwarze Wetterwolke tief an den Bergwänden auf die Talsohle niederhängt, so lag dumpf harrende Angst vor dem Grimmesausbruch des Herzogs über Stadt und Land vom Schwarzwald und Wasichin bis zu den weißen Alpenzacken; niemand wußte, wohin der erste tödlich-knatternde Blitz herabschießen werde.

Dergestalt konnte es geschehen, daß der junge Ritter Guy Loder mit nur geringem Geleit ohne Gefährdung durch feindlichen Überfall von Nancy bis ins Elsaß hinüberzureiten vermochte. Er zog am Moselfluß stromauf, lange Stunden zur Linken zu den Gipfeln des Wasichin begleitet, auf deren anderer Seite sein Wegziel lag. Doch nur der Blick konnte in der Richtung desselben vorausschweifen, kaum ein schwer auffindbarer Fußpfad führte da und dort einmal über den Kamm des menschenleeren, zumeist wild verwachsenen Gebirges, nirgendwo wäre ein Pferd im Stande gewesen, das Dickicht zu durchbrechen oder an den steilen Felsenhängen hinanzuklettern. So mußten die Reiter weit durch die Grafschaft Pfirt umbiegen, bis sie zwischen der tronenden Bergfeste der Grafen von Beffort und der Stadt Mömpelgard das alte Völkertor erreichten, das im Gange von anderthalb Jahrtausenden die eisernen Legionen Cäsars, die Heuschreckenhorden der Hunnen König Etzels und das prangende Gefolge des Kaisers Friedrich des Rotbarts durch die weit erkennbare Felsenlücke ins deutsche Burgunderland dahinziehen gewahrt hatte. Dann wandte Guy Loder sich ostwärts und, die Türme der geängstigten Stadt Mülhausen zur Rechten lassend, auf alter wohlbekannter Straße unter den Bergen gen Nord.

Gar vertraut blickte alles ihn an, denn oftmals war er hier mit Velten Stacher gewandert, und doch schiens ihm wieder fremd, wohin er sah. So still lags um ihn, das schöne, ehemals so fröhliche Land schaute lautlos traurig auf. Zwar ging der Sommer zur Neige und in Wald und Busch war der Vogelgesang nach Brauch der Jahreszeit verstummt, aber auch sonst tönte kein Lied, schritt kein Pfeifer mehr mit Flöte und Zinke, Horn und Geige wanderfreudig auf Weg und Steg. Rauher Sturm hatte trotz der lachenden Septemberbeginnssonne die heitere Kunst von Straßen und Toren fortgewirbelt; droben auf den weltab entlegenen, unzugänglichen Gebirgshöhen mochte noch ein Schäfer sorglos auf der Rohrpfeife und Schalmei in den Wind blasen, hier unten hatte wilder pfeifendes Erz aufgespielt und die Hörer angstvoll und jammernd auseinander gestiebt. Verwüstete Äcker und Rebgelände, Trümmer und rauchende Schutthaufen zerstörter Dörfer gaben überall schweigsames Zeugnis dafür; ringsum außerhalb der sicher ummauerten Städte war alles verödet und verlassen.

Manchmal schmerzte den jungen Ritter wohl der trostlose Anblick, und wie mit gespenstisch leeren Augenhöhlen sah die altbekannte Landschaft ihm ins Gesicht. Doch es waren Schatten, die rasch von ihm abfielen; die Schlachtfelder Lothringens hatten ihn an solche Schau gewöhnt und er gelernt, so war's in der Welt, wenn man von droben aus der Stille in die Täler herabkam; überall redete das kalte Wort Karls des Kühnen die Wahrheit: solche Früchte trug der Kriegsbaum. Und daß er selbst an diesem Unheil mitschaffte, dachte Guy Loder nicht. Es war Ritterwerk und -Pflicht, für seinen Fürsten die Waffen zu führen, zu kämpfen und zu siegen; gegen wen, sprach des Feldherrn Gebot, und der Einzelne hatte nach keinem Grund dafür zu fragen. So heischten Mut und Tapferkeit ritterlichen Mutes es seit Jahrhunderten, und Guy war's, als habe solches von jeher in ihm geklopft und sei ihm nicht erst vor wenig Tagen durch die holde Huld des Herzogs mit der Schwertleite verliehen worden.

Berauschend und sinnbefangen aber mußte es für den neuen und wohl jugendlichsten Ritter seiner Zeit sein, wie das Glück ihn aufwärts getragen und wie anders er, der Bauernsohn und ausgestoßene Pfeifer, hierher in sein Heimatland zurückritt, als er vor nicht Jahresfrist noch in Nacht und Nebel, bangend an die Mähne seines Pferdes geklammert, auf diesem Wege davongezogen. Kaum zu fassen schien's, einem Wundertraum gleich, und daß er daraus nicht jählings aufwachte, in Wirklichkeit so hier im hellen Mittag der leuchtenden Sonne hinzog, das alles dankte er nur der Zuneigung seines vielgehaßten, vielgefürchteten, übermächtigen Herrn; und ob die Welt vor diesem schaudernd zitterte, Guy Loders Herz besaß einzig feurigen Schlag der Bewunderung, des Dankes, der Treue, und unbeirrbarer Liebe für ihn. Stolz fühlte er sich als Sendbote des Gewaltigen, und stolz gab er jetzt, vor dem Tore der Drei Exen haltend, auf die Frage des Wächters, wer Einlaß begehre, Antwort: »Der Ritter Guy Loder von Nancy, Abgesandter des Herzogs von Burgund.«

Er ward in die Halle geführt, wo er damals zaghaft gestanden: jetzt befiel ihn kein Schreck, als er den Ritter von Egisheim durch die Tür hereintreten sah, nur ein wunderliches, wohl begreifbares Gefühl konnte er beim Wiederanblick desselben nicht überwinden. Der Burgherr war gealtert, als ob nicht ein Jahr, sondern eher ein Jahrzehnt zwischen ihrer letzten Begegnung gelegen; er kam langsamen Schrittes und sprach, dem Wartenden ins Gesicht blickend: »Man hat Euch falsch gemeldet, einen Ritter des Herzogs.« Ein höhnisches Geflimmer aus den Lidern begleitete die Worte, doch Guy erwiderte mit ruhiger Sicherheit: »Dann gab man Euch richtige Meldung, Herr Ritter, denn mein Herr, der Herzog von Burgund, hat mir ehgestern auf dem Schlachtfelde von Nancy Sporen und Schild verliehen.« In den Antlitzmuskeln Bertulfs von Egisheim spielte ein kurzes Zucken, und heiserstimmig versetzte er: »Da wünsch ich Euch Glück: Ihr schaut nicht aus, als ob Ihr bereits die Jahre für den Ritterhelm besäßet, werdet's aber bei der Helmschau und Ahnenprobe sicherlich aus den Urkunden Eurer Burg nachweisen können.« Es lag nur ein halb verborgener, galliger Hohn in den Worten, welche die unüberschreitbare Rangkluft zwischen edler Geburt und neuzeitlichem, durch höfische Gunst erlangtem Ritterstand fühlbar machten; allein der Jüngling entgegnete gleichmütig:

»Ich kann nichts nachweisen als meines Feldherrn Schwertstreich, der tönt weit durch die Lande, und ich hoffe, mein Ritterschwert aus seiner Hand soll ihm nicht Unehre bereiten. Solches erwartet er auch von Euch, Herr Ritter, darum steh ich in seinem Auftrag hier, nicht aus eigener Lust.«

Gelassen war's gesprochen, doch so festes Selbstbewußtsein der Stellung des jungen Ritters als Vertreter Karls des Kühnen erklang daraus, daß der Burgherr, die vorherige Verdrossenheit und stachelnde Tobsucht seines Tones beherrschend, rasch antwortete:

»Und was erwartet der Herr Herzog von mir?«

Guy, teilte unter kurzem Bericht das Gebot Karls mit, und es glimmerte begierig in der Augentiefe Bertulfs von Egisheim. Doch dann zuckte er die Achseln und erwiderte: »Man nimmt feste Städte nur mit wehrhaften Haufen ein, und viel Knechte begehren viel Sold. Hat der Herzog Euren Sack mit Gold für mich angefüllt, so willfahr' ich ihm gern.«

Das ging freilich über die bisherige kriegerische Erfahrungsweisheit des jungen Ritters hinaus, seine Tasche war leer, und er wußte diesem Einwand mit keiner hülfreichen Weisung zu begegnen. Seine Ratlosigkeit durchschoß nur ein Wort Karls des Kühnen, das er im Gedächtnis bewahrt:

»Schafft Euch das Gold, es liegt auf der Straße!«

Die nachdrücklich hervorgestoßene Antwort umzog zum ersten Mal die Mundwinkel des Burgherrn mit einem schattenhaften Lachreiz. Er versetzte: »Wir haben schon gesucht, doch auf den Straßen der Dörfer nicht mehr gefunden, als der Hunger für den nächsten Tag braucht. Ihr redet sicherlich nach der Wahrheit, daß in den Städten das Gold auf den Gassen blinkt, ich wär' Euch sehr zu Dank, wenn Eure Klugheit meiner Einfalt beihülfe, auf welcherlei Art wir dasselbe an uns bringen, ohne zuvor die Mauern übersteigen zu müssen.«

Guy errötete und schwieg; er fühlte beschämt, daß die unbedachtsame Einfalt auf seiner Seite gelegen und ihm eine Blöße gegeben, in welche der Hohn des Ritters hineinzustechen vermocht. Doch hatte das Gesicht Bertulfs von Egisheim schnell den befriedigt spöttischen Anflug wieder abgelegt und in nachdenklichen Ernst umgewandelt. Er schritt jetzt an eine Tür und rief hinaus; nach wenigen Augenblicken trat Welf Siebald herein, und der Schloßherr sprach mit kaum merkbarem hämischen Nachdruck: »Der Ritter Guy Loder von Nancy, Sendbote des Herzogs von Burgund – mein Sohn Welf; ich glaube, die edlen Herren sind sich von früher her bekannt.«

Es war eine erste Begrüßung, die auf beiden Seiten keine übergroße Zuneigung verriet. Der Blick Welf Siebalds flog blitzschnell auf die Füße seines ehemaligen Wandergenossen hinunter; der goldene Sporenglanz an denselben belehrte ihn über die Richtigkeit der unglaublichen Standesankündigung, und das Blut floß ihm einen Moment jäh aus weißverfärbtem Gesicht zurück. Doch dann trat er rasch gegen Guy heran, und dieser tat das Gleiche; ihm überwog's mit einem Gefühl der Dankespflicht, daß Welf Siebald der erste Urheber seines Glückes gewesen, ihn in hülfloser Verlassenheit auf den Weg zu seinem immer hoffnungsfreudiger winkenden Ziel geführt habe. Das trug die Oberhand über ein unwillkürliches Widerstreben davon, und so begegneten sich Beide gleichzeitig mit begrüßender Darreichung der Hände. Rasch aber nun sprach der Burgherr gegen seinen Sohn gewandt: »Der Herzog erteilt mir Auftrag, Mülhausen und Breisach zu züchtigen; er selbst rückt mit seinem Heere von Lothringen herauf. Sein Gebot muß vollzogen sein, bevor er kommt; sinn' auf schleunigen Rat und schaffe Geld, Welf! Du weißt, es gilt dein Wohl wie mein's; eh der Abend einbricht, will ich dich hören. Ich empfehle unseren edlen Gast, so lange er bei uns verweilt, deiner alten Freundschaft, Welf; lasset Euch die Dürftigkeit meiner Burg nachsichtig gefallen, Herr Ritter!«


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