Ina Jens
Manuelitos Glücksfall
Ina Jens

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Der Glücksfall

Manuelito wohnte nun schon seit mehreren Wochen wieder bei seiner Madrina und hatte noch immer keine Anstellung gefunden, aber er machte sich nützlich, wo er nur konnte. Am Morgen fegte er die Stuben, und manchmal bediente er auch die Kunden in der Yerberia.

Langsam ging es auf Neujahr zu. Der Hochsommer begann, und in der stillen Stadt wurde es lebendig. Menschen kamen von überall her, um die heiße Jahreszeit in dem schönen Badeorte zu verleben. Alle wollten das Meer, die herrlichen Spaziergänge, die sonntäglichen Rennen und das elegante Kasino am Strande genießen.

Manuelito kannte dieses Kasino von außen, und daß es hinter den hohen Fenstern, die am Abend feenhaft erstrahlten und weit über Meer und Stadt leuchteten, fabelhaft zuging, hatte er auch gehört; aber daß sich sein eigenes Geschick einmal in diesem Märchenpalast erfüllen sollte . . . nein! das hätte er sich denn doch nicht träumen lassen!

Und doch war es so; denn das Schicksal geht immer eigene Wege, und es kommt ihm gar nicht darauf an, so ein armes Büblein, wie es der Manuelito López war, flugs von der Straße wegzuholen und in einen schimmernden Saal zu stellen.

Allerdings rauschte dieses Schicksal nicht so über Nacht daher, sondern es schickte ganz unvermerkt und behutsam erst seine Vorboten aus.

Es war an einem schönen Sommertag. Da trat eine fremde Dame in die Yerberia und wünschte Heilkräuter zu kaufen. Die Señora Rosa schwatzte in einem Nachbarhause, und Manuelito befand sich allein hinter dem Ladentisch. 120

»Ist die Señora Rosa nicht da?«

»Nein, aber ich kann auch bedienen.«

Die Dame sah ihn lächelnd an. Dann meinte sie: »Gut. Ich kenne die Kräuter ja auch.«

Sie verlangte dieses und jenes, und er pries die einzelnen Yerbas genau so, wie es seine Madrina tat.

Gerade als er das Paket zurechtgemacht hatte, erschien diese selbst, und die Frauen begrüßten sich wie alte Bekannte laut und herzlich.

»Oh! Die Señora Teresa! Wie geht es Ihnen? Wie lange habe ich Sie nicht gesehen!«

Manuelito fühlte sich überflüssig und verließ den Laden, ohne zu ahnen, daß im nächsten Augenblick bereits das erste Endchen von jenem Faden gesponnen wurde, der ihm nachher seinen ganzen Lebensweg vorzeichnen sollte.

Nachdem nämlich die Yerbatera die einzelnen Päckchen nachgesehen und die Rechnung aufgestellt hatte, fragte die Dame: »Was haben Sie denn da für einen reizenden Jungen im Haus?«

Die Señora Rosa, die nicht nur über ein gutes Herz, sondern auch über einen ausgezeichneten Geschäftssinn verfügte, erfaßte sofort die Gelegenheit: »Ach Gott! Das ist mein Patenkind. Die Mutter ist kürzlich erst gestorben, der Vater schon vor einigen Jahren. Der Junge ist ganz verlassen. Darum habe ich ihn bei mir aufgenommen. Hätten Sie nicht vielleicht eine kleine Anstellung für ihn? Sie wissen, ich habe genug zu tun, um mich selbst zu erhalten, und so ein Kind lebt auch nicht nur von der Luft.«

Die Señora Teresa dachte nach. »Ist der Knabe zuverlässig und ehrlich?«

»Oh, du meine Güte! Dem können Sie ruhig ihre Geldtasche 121 anvertrauen. Er ist das ehrlichste und bravste Kind, das ich je kennen gelernt habe. Nun, seine Eltern waren ja auch gute Leute.«

»Schön,« sagte die andere, »ich will gern ein wenig herumhorchen. Sie wissen, manchmal bietet sich ganz zufällig etwas.«

Sie verabschiedete sich und ließ die Señora Rosa in der denkbar besten Stimmung zurück.

»Manuelito!« rief sie. »Komm herein! . . . Weißt du, wer die Dame war, die eben wegging?«

»Nein. Ich habe sie noch nie gesehen.«

»Das ist die Frau vom Verwalter des Kasinos. Ihr Mann hat dort alles unter sich und kann anstellen, wen er will, und sie hat gesagt, sie wolle sich gern wegen dir umsehen.«

Manuelito wurde nachdenklich. Das herrliche Haus am Meer stieg vor ihm auf, und er fragte ein wenig ungläubig: »Und was meinst du, daß ich dort arbeiten soll, Madrina?«

»Das weiß ich nicht, aber verlaß dich nur auf die Señora Teresa! Die findet schon das Richtige.«

Und so war es. Die Señora Teresa hatte für den bildhübschen Jungen, wie sie ihn ihrem Manne gegenüber nannte, wirklich das Richtige gefunden.

Acht Tage nach jener kurzen Unterredung in der Yerberia stand Manuelito bereits in einer schmucken Uniform im Kasino als Groom. Er trug lange, dunkelblaue Hosen, eine feuerrote Jacke mit vergoldeten Knöpfen und Schnüren, und auf den schwarzen Locken eine kleine rote Mütze. Er war der jüngste und kleinste Angestellte in dem großen Haus, und mancher warf ihm so im Vorübergehen einen Blick des Wohlgefallens zu.

Die Arbeit in diesem gewaltigen Betrieb war einfach, aber 122 zu lachen gab es nichts. Wieviele Botengänge waren tagsüber zu erledigen! Und im Hause selbst andauernd hierhin und dorthin, treppauf und treppab! Oft schlief er abends vor Müdigkeit irgendwo an eine Wand gelehnt im Stehen ein.

Dafür tat sich ihm aber eine ganz neue und schöne Welt auf. Wie staunte er über die Pracht dieser Einrichtung, über die Hallen und Säle, über die herrlichen Gartenanlagen! Und dann die vielen, vielen Menschen, welche da ein- und ausgingen!

Das Allerschönste aber dünkte ihn doch eine Musikkapelle 123 zu sein, welche täglich zweimal ein feines Programm abspielte. Sie bestand aus lauter braunen Musikern und einem Neger, die alle meisterhaft die merkwürdigsten Instrumente spielten. Man nannte sie »Cubanos«, denn es hieß, sie seien von jener fernen Insel, von Kuba, gekommen. Der Direktor aber war ein Spanier und hieß Barero. Er galt als ein ausgezeichneter Musiker und Dirigent, und sein Orchester war in ganz Amerika berühmt.

Für Manuelito war Barero etwas unendlich Hohes. Er konnte gar nicht Bewunderung genug für ihn aufbringen, wenn er ihn in seinem schwarzen Anzug so ruhig und fein dirigieren sah. Und wenn es einmal geschah, daß Barero an ihm vorüberging, war er wie erstarrt und hatte das Gefühl, etwas Kaltes riesele ihm über den Rücken und in die Fingerspitzen hinein.

Oft hatte er Botengänge zu machen, wenn die Kapelle spielte. Hin und wieder aber war es ihm auch möglich, ein ganzes Programm mitanzuhören. Dann schwamm er in dieser fremdartigen Musik wie in einem erquickenden Bade. Ja, sein Gehör war so empfänglich, daß er in kürzester Zeit fast alle diese prickelnden Melodien in sich aufnahm, nicht zuletzt die Lieder, die der Neger Abend für Abend zum Ergötzen des Publikums sang.

Manchmal fanden sich für die Angestellten auch Stunden des Ausruhens. Dann standen sie irgendwo zusammen und unterhielten sich, und da kam es hin und wieder vor, daß Manuelito, wenn er gerade aufgelegt war, irgendeines von diesen Liedern zum besten gab und dabei den Neger so genau nachahmte, daß die andern sich vor Lachen krümmten.

Es dauerte nicht lange, so hatte er deswegen einen Übernamen. Sie nannten ihn »Pitito«, das heißt das »Pfeifchen«, 124 und er wurde rasch der Liebling von allen, sogar in der Küche, wo oft etwas besonders Gutes für ihn abfiel. Dafür wurde er aber auch immer wieder in einer Ruhepause geholt und mußte für die Unterhaltung sorgen. Ihm zuzuhören war eben ein königliches Vergnügen!

Und dann, an einem Tage, an dem das flutende Leben gerade ein wenig verebbt war, geschah das, was schon lange kommen mußte. –

Es war im zweiten Stock. Verschiedene Angestellte standen müßig herum, unter ihnen auch Manuelito. Einer hatte eine Mundharmonika gebracht, und bald war ein kleines Treppenkonzert im Gange.

Manuelito sang jenes mexikanische Lied, das damals gerade auf aller Lippen stand, und die andern fielen jedesmal begeistert, aber mit gedämpften Stimmen in den Refrain ein.

Niemand ahnte, daß ganz in der Nähe ein Herr aufmerksam lauschte. Plötzlich stand der Betreffende vor ihnen, warf 125 dem Sänger einen kurzen Blick zu und stieg die Treppe hinauf. Barero! Alle waren wie auf Kommando verstummt. Manuelito aber machte sich wie der Blitz aus dem Staube.

Barero jedoch ging geradewegs zum Verwalter des Kasinos. »Wissen Sie auch, daß Sie da unter den Angestellten ein musikalisches Genie haben?«

»Ach nein!« tat der andere überrascht. »Wen denn?«

»Der kleine Groom. Der mit dem spanischen Typ. Der singt! Ich sage Ihnen, das klingt wie eine Glocke.«

»So, so . . . ja, manchmal findet man hier unter dem Volke wirkliche Musikanten.«

»Würden Sie erlauben, daß ich den Kleinen während einiger Tage für eine Viertelstunde ein wenig vornehme? Ganz unauffällig.«

»Su casa, amigo! Su casa!« Das hieß genau so viel wie: »Das ganze Kasino steht ihnen mit Vergnügen zur Verfügung.«

Und so geschah es denn, daß am nächsten Tage der große Barero auf den kleinen Groom zutrat und fragte: »Willst du vier Treppen hoch im Ausstellungszimmer zur Linken auf mich warten?«

Manuelito blickte ihn sekundenlang aus erschrockenen Augen an, eilte aber dann dienstfertig davon.

Er trat in den schönen Raum mit den vielen Bildern an den Wänden. Was sollte er hier? Was wollte Barero von ihm?

Schon war er da, rasch und leise wie es seine Art war, ging ans Klavier, machte es auf und sagte: »Nicht wahr, du hast gestern abend auf der Treppe gesungen?«

Manuelito fuhr zusammen. Jetzt ging es ihm schlecht. Solche lauten Dinge waren den Angestellten im Kasino nicht erlaubt.

»Ja, Herr!« hauchte er.

»Komm einmal her ans Klavier! . . . So . . . Ein wenig 126 näher! . . . Ich tue dir nichts . . . So . . . Und jetzt, willst du mir auch etwas vorsingen? Ich denke, du kannst nicht nur diesen mexikanischen »Rancho«, sondern auch noch andere Lieder?«

Manuelito atmete tief auf, so tief, daß es ihm schier den Atem verschlug und hatte das Gefühl, als rutsche ihm ein ganzer Berg vom Herzen hinunter.

»Ich kann ganz viele Lieder, Señor.«

»Na, also!« Barero spielte ein paar Läufe und ließ ihn allerlei Tonreihen singen. »So, und nun ein Lied! Was kannst du denn zum Beispiel?«

»El trompo de siete colores . . .« (Der Kreisel mit sieben Farben . . .)

»Gut.« Barero begleitete leise und ließ auch den Jungen nur mit halblauter Stimme singen.

Dann fragte er: »Möchtest du wohl ein paar Tage hintereinander so wie heute mit mir hier oben ein wenig üben?«

In Manuelitos Augen trat ein glückliches Leuchten, und er nickte heftig.

»Und noch etwas! . . . Wie wäre es, wenn das nur zwischen uns beiden bliebe? Du sollst dabei auch nicht zu kurz wegkommen.«

Manuelito sah Barero unverwandt an. »Oh, Señor! Ich kann schweigen. Auf Ehre!«

Wie im Traume ging er aus dem Zimmer hinaus. Wie von Flügeln getragen eilte er über den langen, einsamen Flur. Dann aber warf er sich plötzlich mit einem unterdrückten Jauchzer der Länge nach hin und schlug zwei wunderbare Purzelbäume.

So etwas! Es war unglaublich, ungeheuerlich, großartig, nicht zum Ausdenken! Der Barero hatte mit ihm gesprochen! Und wie! Und ein Geheimnis hatten sie zusammen! Ihm 127 wirbelte es nur so im Kopf herum. Es war kaum zum Fassen, und alles nur wegen des bißchen Singens! Ah, was für eine Glückseligkeit!

Am nächsten Tage huschte er dann wieder von den andern weg vier Treppen hoch zur Linken, sang ein paar Übungen und ein oder zwei Lieder und wurde rasch entlassen. Von Tag zu Tag freute er sich mehr auf diese geheimen Zusammenkünfte. Nach etwa zwei Wochen aber geschah etwas, das alles Bisherige weit übertraf.

Barero fragte ihn: »Würdest du die beiden Liedchen, die wir da zuletzt miteinander probten, auch vor vielen Menschen singen können, zum Beispiel unten in dem großen Saal?«

»Warum nicht, Señor?« Manuelitos Augen strahlten wie Sterne.

»Oh . . .,« Barero lächelte. »Das ist nicht so einfach. Schon 128 mancher Sänger versagte, wenn er zum ersten Male an die Öffentlichkeit treten sollte.«

»Ich nicht,« behauptete Manuelito zuversichtlich.

»Gut. Dann also morgen abend! Und ohne daß jemand vorher etwas davon erfährt!«

Manuelito sauste davon. Eine ungeheure Aufregung kam über ihn. Was würden die Angestellten, die Musiker, der Neger und die vielen, vielen Herren und Damen, die alle in den Räumen unten saßen und zuhörten, sagen? Aber . . . er überlegte . . . hatte er nicht mindestens schon zwanzigmal vor andern Leuten gesungen? Und hatten seine Lieder nicht immer gefallen? Was war denn Großes dabei, den Mund aufzumachen? Die Töne kamen ja ganz von selbst! Seine Erregung flaute augenblicklich ab. Natürlich würde er singen! Es war überhaupt eine ganz feine Sache, daß er hier im Kasino singen sollte! Mit einem Male freute er sich mächtig auf diesen Abend.

Mit nicht ganz so ungeteilten Gefühlen ging am gleichen Tage Barero nach Hause. Er wohnte in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofes und legte die kurze Strecke dahin außergewöhnlich langsam zurück.

Zwar was das Können des Knaben betraf, war er seiner Sache sicher; aber das, was er sonst noch mit ihm vorhatte, schien ihm auf einmal mit Hindernissen verbunden zu sein. Er dachte an seine Frau.

Sie war Geigenspielerin, trat hin und wieder in Konzerten auf und hatte auf musikalischem Gebiete ein ausgezeichnetes Urteil. Er hätte ja den Jungen von ihr prüfen lassen können, aber aus einem besonderen Grunde wollte er mit der fertigen Tatsache vor sie hintreten und ihr die letzte Entscheidung überlassen. 129

Er begegnete ihr auf halbem Wege. Sie hatte Blumen und Früchte gekauft und sprach lebhaft davon. Es dauerte aber nicht lange, so merkte sie, daß ihren Mann etwas bedrückte.

»Was ist, Francisco? Hast du Ärger gehabt?«

»Nein, gar nicht. Warum?«

»Ich meinte nur. Du bist so merkwürdig.«

»Die Hitze . . . Das ist ja hier auf der Straße nicht zum Aushalten!«

»Gut . . . Gehn wir nach Hause!«

Sie drang nicht weiter in ihn; aber sie war überzeugt, daß etwas nicht stimmte. Im Wohnzimmer angelangt, holte sie eine Vase, füllte sie mit Wasser und ordnete die Blumen.

»Ich möchte nur wissen, wann man einen Augenblick ruhig mit dir sprechen kann,« begann er.

Über ihr Gesicht flog ein kaum merkliches Lächeln, und sie erwiderte: »Sprich nur! Ich bin bereit zuzuhören, sogar ein Unglück . . .«

»Na, ein Unglück ist es ja nicht. Im Gegenteil!« unterbrach er sie.

Sie horchte auf, und plötzlich glaubte sie zu verstehen. Sicher handelte es sich wieder um so etwas wie damals. Ach Gott! Das war ja dieses Mannes ewige Sehnsucht und endete nur mit Enttäuschungen. Doch, sie konnte sich auch irren. Vielleicht war es etwas ganz anderes, aber schon hörte sie es.

»Elvira, ich habe ein Genie entdeckt.«

Also doch! Aber dieses Mal war sie ganz entschieden dagegen.

»Pancho!« Immer wenn sie gegenteiliger Meinung war, nannte sie ihn mit dieser Abkürzung seines Namens. Er wußte das und ahnte den Widerstand. 130

»Hast du denn noch nicht genug Lehrgeld bezahlt mit dem, was wir in gleichen Fällen durchgemacht haben?«

»Dieses Mal ist es anders,« behauptete er.

Da fing sie an: »Muß ich dir wirklich alles wieder in die Erinnerung zurückrufen? Weißt du nicht mehr, wie es uns mit dem dreizehnjährigen Raúl Videla in Kolumbien ging? Ein Genie war er. Das mußte jeder Musiker zugeben; aber dann, nachdem wir soviel für ihn getan hatten! Was geschah, als wir nach San Francisco kamen? Weggelaufen ist er! Schmählich verlassen hat er dich, nur um in der andern Kapelle zu spielen! . . . Und dann der Carlos Miranda! Wieviel Geld haben wir für ihn geopfert, und wieviel Mühe hast du selbst dir mit ihm gegeben! Und dann, als er wirklich so weit war, da . . .,« ihre Stimme zitterte, »wurde er krank und starb, und wir waren um eine Enttäuschung reicher und um eine Hoffnung ärmer. Und so könnte ich dir noch allerlei erzählen.«

Barero wußte das alles, wußte auch, daß seine Frau mit derselben Liebe wie er sich manches musikalischen Kindes angenommen und genau wie er gelitten hatte. Trotzdem bat er: »Komm wenigstens morgen abend ins Kasino und sieh und höre ihn!«

Sie fuhr auf: »Was? Auftreten soll er auch schon? Was hast du denn an ihm entdeckt, und wer ist es?«

»Es ist ein Waisenkind ohne jeglichen Anhang, elf Jahre alt und sieht reizend aus. Der Knabe hat eine außergewöhnliche musikalische Auffassung und singt entzückend.«

Sie seufzte: »Ich kann dir im Augenblick nichts versprechen. Ich muß erst darüber nachdenken. Vielleicht höre ich mir das Wunderkind an, vielleicht auch nicht.«

Eine schöne Sommernacht lag über Viña del Mar. Das 131 Kasino strahlte wie ein verzauberter Palast in die dunklen Weiten hinaus. Sogar das silberne Licht des Mondes schien vor dem schimmernden Glanz auf Erden zu erblassen.

Unzählige Autos standen rund um die Gärten herum und setzten ihre Reihe längs des Strandes fort. Viele Menschen spazierten in den duftenden Gärten auf und ab oder füllten die lichterhellten Räume des Hauses.

In dem großen Saale spielten wie jeden Abend die Kubaner ihre fremdartigen Weisen. Plötzlich wandte sich Barero dem Publikum zu, dankte für den Beifall und verkündigte: »Señoras y Señores! Eine kleine Zwischennummer! Chilenische Folklore

Man klatschte. Man wartete. Die Lichter im Saale erloschen. Nur auf der Bühne blieb ein dämmeriges Halbdunkel.

Und dann kam ein Knabe herein, ein Kind der Straße, das abends von Haus zu Haus läuft und warme Brötchen verkauft, barfuß, in halblangen Hosen, weißem Hemd, einen Schal um den Hals geschlungen, im Arm den Korb, in der Hand die kleine Straßenlaterne.

Mitten auf der Bühne blieb er stehen und sang, vom Scheine der Laterne erhellt, das Lied vom Tortillero, sang von dem kleinen Verkäufer, der von Tür zu Tür eilt und mit flehender Stimme seine Tostaitas, seine warmen Brötchen, anbietet.

Jede Strophe schloß mit der Frage: »Quién compra mis tostaitas, tortillas buenas? Wer kauft meine Gerösteten, meine guten Brötchen?«

Die Stimme verhallte. Der Knabe zog ab. Die Lichter blitzten auf, und es war, als sei der niedliche Sänger samt seinem Liede nichts als ein Spuk gewesen.

Lebhafter Beifall dankte, doch der kleine Tortillero erschien nicht wieder. Barero trat auf, und das Orchester spielte 132 weiter. Nach einigen Musikstücken aber meldete er nochmals: »Señoras y Señores! Eine kleine Zwischennummer!«

Der Saal wurde dunkel. Nur die Bühne blieb hell. Ein winziger Huaso in der hübschen Tracht des chilenischen Bauern trat auf, in Ledergamaschen, mit dem farbigen Poncho über den Schultern, dem großen Strohhut auf dem Kopf und dem Lasso in der Hand. Während einer der Musiker auf der Guitarre begleitete, sang er von dem ländlichen Feste, dem Rodeo, sang von wilden, ungezähmten Pferden und von unvergleichlich kühnen Reitern. Aber keiner ist so verwegen wie der »Perquenco«, und kein Pferd ist so feurig und so schnell wie der »Pingo«, mit dem er jeden besiegt und wofür ihm in den schattigen Lauben ein großes Glas voll des besten Weines gereicht wird.

Das Lied war aus. Der kleine Huaso grüßte mit dem großen Strohhut und verschwand, und im Saale wurde es hell.

Begeistert wurde geklatscht, ja hier und dort bat einer um Wiederholung; aber Barero tat, als verstünde er nicht, verneigte sich dankend und ließ die Kubaner mit einer ihrer jubelndsten Melodien einfallen.

Auf der großen Terrasse traf eine Weile später Barero seine Frau. Sie schob ihren Arm unter seinen und behauptete: »Einfach großartig!« Nicht der leiseste Widerspruch wurde mehr von ihrer Seite laut, und sie war sofort mit dem, was ihr Mann beabsichtigte, einverstanden. Sie wollten den Versuch wagen, wollten sich dieses Knaben annehmen, der ihnen beiden so außerordentlich zusagte. Aber wie konnten sie etwas beschließen, da sie ja nicht einmal wußten, ob der Junge mit ihnen ziehen wollte, ob er sich in ein geordnetes Leben fügen und überhaupt vor allem, ob er Musik lernen mochte. Sie mußten doch in erster Linie mit ihm selber sprechen. 133

So gingen sie denn suchend durch das große Haus und fanden ihn auf der letzten Treppe im obersten Stock. Er hatte sich umgezogen und wollte an die Arbeit.

»Komm, Manuelito!« sagte Barero. »Wir möchten mit dir etwas besprechen . . . Sieh, das ist meine Frau.« Sie setzten sich. Auch Manuelito mußte Platz nehmen, und dann sagten sie ihm, was sie vorhatten.

»Du bist ein kleiner Musiker, und das gefällt uns. So ein Kind, wie du es bist, hätten wir immer schon gern ganz für uns gehabt. Möchtest du wohl eine große Reise mit uns machen? Im Sommer kommen wir dann wieder wie jedes Jahr nach Viña del Mar zurück.« 134

Das ernste Knabengesicht wurde hell, und die Augen waren, als ob sie Wunder sähen, auf den Mann gerichtet.

»Wohin?« fragte er verhalten.

»Oh, furchtbar weit!« lächelte Barero. »Vielleicht bis nach Honolulu, vielleicht auch noch weiter, aber natürlich wird nicht nur gereist, sondern auch gelernt.«

»Ich kann lesen und schreiben, Señor,« behauptete er ernsthaft.

»Das ist gut, aber so ein Kind wie du muß noch unendlich viel mehr lernen und vor allem Musik.«

»Singen?« Ein froher Schein flog über seine Züge.

»Sicher. Singen und auch ein Instrument spielen, und wenn wir uns gut verstehen, bleiben wir vielleicht immer beisammen. Also, was meinst du? Willst du weiter hier im Kasino arbeiten, oder möchtest du lieber mich und meine Kubaner begleiten?«

»Ich möchte schon mit Ihnen gehen, aber ich muß zuerst mit meiner Madrina sprechen.«

»Selbstverständlich. Weißt du was? Ich werde jetzt gleich veranlassen, daß der Verwalter dir erlaubt, sofort nach Hause zu gehen. Dann sprichst du mit deiner Madrina, und morgen vormittag kommen wir auch dorthin und machen das Weitere mit ihr ab.«

Manuelito ging wie in einem seligen Taumel davon. In großen Sätzen sprang er die Treppe hinunter und jagte in die Küche hinein. Dort empfing ihn ein lautes Hallo. Sie hoben ihn hoch, wollten ihn in einen Wasserkessel werfen, gaben ihm Püffe und Stöße und sagten, er sei ein großartiger Sänger, ein wirklicher Künstler, mindestens wie dieser Neger! So etwas hätten sie noch nie in ihrem Leben gehört, und ausgelassen sangen alle: »Quién compra mis tostaitas, 135 tortillas buenas?« Es gab einen richtigen Tumult und Spektakel.

Da wurde auch der Pitito übermütig, sprang auf einen Stuhl und rief: »Señores! Eine kleine Zwischennummer! . . . Chilenische Folklore!« Und er improvisierte eine lustige Melodie: »Ich fahre, ich fahre . . .« Er machte ein paar drollige Geräusche in die hohle Hand, »schuhu, schuhu-u-u! Ich fahre mit Barero nach Honolulu-u-u!« Sie klatschten und lachten, aber keiner erfaßte den Ernst dieser Worte. Da erzählte er ihnen alles, und nun wurden sie still und staunten und meinten bewundernd und neidlos: »Was für ein Glück der Pitito hat!«

Ein Weilchen später verließ er das Kasino. Auf der großen Brücke kamen schreckhafte Erinnerungen über ihn. Da stand am Wasser die Hütte, in welcher er mit dem Lagarto geschlafen hatte. Oh! Wie entsetzlich war das gewesen, als sie vor der Polizei hatten fliehen müssen! Und nachher! Er ging durch die Hauptstraße, wo alle Geschäfte schon geschlossen waren, und nur die hohen Straßenlampen noch brannten. Vor dem Theater standen wie jeden Abend die vielen, vielen Autos, und dazwischen spazierte ein einzelner Polizist auf und ab.

Er eilte über die Plaza, streifte im Vorübergehen den Baum, unter dem er jene erste Nacht verbracht hatte, kam an der Brücke vorbei, sah im Geiste das Loch des Abzugkanals, sah den Lagarto, wie er an jenem Morgen dort geschlafen hatte, die gestohlenen Sachen im Arm, und begann zu laufen, bis er fast atemlos an der Tür der Yerberia hielt.

»Madrina!« Er lehnte an der Mauer. Der Kopf tat ihm weh. Die übermächtige Aufregung des ganzen Abends hatte ihn verwirrt.

»Was ist denn geschehen?« Sie zog ihn hinein, führte ihn 136 in die Schlafstube und sagte beruhigend: »Lege dich hin! Ich mache dir gleich einen guten Tee. Du weißt, ich habe so etwas, das für alles hilft.« .

Er wehrte heftig ab. »Nein, nein! Ich brauche keinen Tee!« Aber dann warf er sich auf das Bett und wühlte den Kopf in die Kissen. Die Madrina war ratlos. Sie ahnte etwas Furchtbares.

»Haben sie dich entlassen? Manuelito! . . . Na, laß nur! Verhungern brauchst du deswegen bestimmt nicht.«

Da mußte er aber doch lachen und nahm sich zusammen. Er konnte doch seine Madrina nicht zum Narren halten! Langsam erzählte er vom Barero, von seinem Singen, von der Reise und daß Bareros morgen zu ihr kommen würden. Sie hörte mit Staunen zu und freute sich über die unverhoffte Wendung der Dinge.

»Was für ein Glück!« sagte sie. »Wenn das deine Mutter noch erlebt hätte! Und jetzt mache ich dir doch noch einen guten Tee, damit du ordentlich schläfst und ausruhst.«

Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung in der kleinen Yerberia. Die Madrina wußte nicht, wo sie die Herrschaften empfangen sollte. »Ich kann sie doch nicht in die Küche führen!«

»Nein, nein! Hier in der Yerberia ist es fein genug,« meinte Manuelito. »Da riecht es auch so schön, weißt du!« Sie putzten und fegten, rückten alle Päckchen zurecht, stellten zwei Stühle hin und warteten.

Die Zeit bis zur Ankunft des Besuches erschien der Madrina schrecklich lang, und sie dachte schon, der Junge habe sich alles nur so ausgedacht oder eingebildet. Aber dann mit einem Male waren sie da.

»Der Junge kann vielleicht ein Weilchen hinausgehen, bis 137 wir alles besprochen haben,« meinte Frau Barero, und dann erzählte sie, daß sie und ihr Mann immer gern ein fremdes Kind angenommen hätten, weil sie kein eigenes besaßen, und daß dieser Junge, nach ihren bisherigen Erfahrungen, ganz ihren Wünschen entspreche. Sie fragten auch nach seinen Eltern, nach der Art des Knaben, und schließlich legte Barero ein paar schöne Geldscheine auf den Tisch. »Das ist für Sie, Señora. Sie haben ja das Kind vor dem Verderben auf der Straße gerettet.«

Mit Tränen in den Augen dankte die Señora Rosa. Wirklich, ein solches Glück hatte sie nicht einmal mit ihren eigenen Kindern erlebt. Sie war tief gerührt.

Dann verabredeten sie alles Notwendige. Der Vertrag der Musiker im Kasino lief in acht Tagen ab. Sie wollten dann sofort aufbrechen. Manuelito sollte gar nicht mehr ins Kasino zurück, gab es doch noch allerlei für ihn zu besorgen. Er hatte ja nicht einmal einen ordentlichen Anzug, geschweige denn Wäsche!

Die wenigen Tage bis zum Abschied flogen nur so dahin. Im Hafen lag ein großes japanisches Schiff, mit dem sie fahren wollten. Das Gepäck war schon weg, und Manuelito wartete nur noch, bis man ihn rief.

Am vorletzten Tag fiel ihm auf einmal etwas ein. »Madrina, ich habe ja noch fünfzig Pesos auf der Sparkasse. Ich möchte sie holen.«

Aber die Madrina meinte: »Laß sie ruhig liegen! Man kann nie wissen, ob du sie nicht später brauchst. Du kommst ja wieder.«

Der Junge wollte nicht. »Ich möchte sie holen, Madrina. Ich habe noch ein paar Schulden zu bezahlen, weißt du!« Er sah sie groß an. 138

»Schulden?« fragte sie. »Du?« Aber nach einigem Hin- und Herreden gingen sie denn doch miteinander auf die Sparkasse.

Manuelito hielt die fünf braunen Scheine in der Hand und überlegte.

»Hier, Madrina! Zwanzig sind für dich, ich habe ja wieder bei dir gewohnt.«

Sie wollte nicht. Es war so etwas wie ein schlechtes Gewissen, das sie dabei empfand. Der Junge wußte ja nicht, daß Barero sie reichlich bezahlt hatte, aber dann nahm sie das Geld doch.

»Jetzt fahre ich noch rasch nach Valparaiso. Ich muß zur Señora Carmen. Sie war ja so gut zu mir damals.«

Er saß in der Elektrischen und blickte versonnen über die weite, blaue Meeresfläche. Nun würde er wirklich in einem großen Schiff auf das Meer hinausfahren! Genau wie sein Vater! Ach, es war doch großartig! Er freute sich mächtig auf die Reise.

In Valparaiso stieg er den Berg hinauf. Es waren altbekannte Wege: der schmale Fußsteig, die lange Treppe.

Die Señora Carmen stand gerade in dem kleinen Hof am Waschtrog.

»Señora Carmen!«

»Manuelito!« Die Freude des Wiedersehens war groß.

»Wie geht es dir?«

»Ein wenig besser, mein Junge! Mein Mann arbeitet jetzt in einer Fabrik und verdient mehr. Wenigstens reicht es zum Sattessen. Aber du? Was ist mit dir los? Du siehst ja so fein aus!«

Er wollte ihr gerade antworten, aber da stieß er einen jauchzenden Freudenschrei aus: »Palomita!!« 139

Aus der Hütte kam ein kleines, wüstes Etwas gelaufen. Das überstürzte und überkugelte sich in närrischer Freude.

»Die Palomita!!« Fast stiegen ihm Tränen in die Augen. »Wo kommt sie denn her?«

Die Señora Carmen berichtete: »Damals, als du weggingst, du weißt doch, da war das schreckliche Wetter. Du hast das Hündchen doch hier zurückgelassen. Mitten im Regen kam es plötzlich zu uns herein, und da haben wir es behalten.«

»Oh, Palomita!« Manuelito hielt das zitternde Tierchen im Arm. Ach, es war wie ein Gruß von der lieben Mutter. »Nicht wahr, Señora Carmen, ich darf es mitnehmen?«

»Aber natürlich! Das Hündchen gehört doch dir. »Und dann, während er die Palomita streichelte und an sich drückte, erzählte er: » . . . und morgen fahre ich nach Nordamerika.«

»Jesus und Maria! Was für ein Glück!« rief da die Señora Carmen genau wie es die Señora Rosa getan hatte. »Aber,« sie fuhr ihm übers Haar, »du verdienst es,« meinte sie. »Du bist ein guter Junge, Manuelito, und deine Eltern waren auch brave Menschen.«

Beim Abschied drückte er ihr alles, was ihm von dem Gelde noch geblieben war, in die Hand.

»Aber nein, mein Kind! Wofür denn?«

»Oh, für alles, alles!« meinte er, grüßte, winkte und eilte den Berg hinunter.

Bald kam er an der Plaza Viktoria vorbei. Dort war eine Musikkapelle und spielte gerade einen flotten Marsch. Er setzte sich auf eine Bank und hörte zu, und da fuhr ihm mit einem Male ein scharfer Stich durchs Herz. Etwas würgte ihn im Halse, trieb ihm das Blut ins Gesicht. Er wußte nicht, lief er jetzt davon, oder tat er so, als sehe er nichts?

Auf dem von Schatten und Sonne überrieselten Wege kam 140 zwischen den Bäumen ein Junge daher, zerfetzt, zerlumpt, barfuß, die Hände in den Hosentaschen vergraben und das Gesicht eingefallen und elend . . . Der Lagarto!

Manuelito starrte ihm entgegen. Der andere schlenderte dahin. Plötzlich aber kreuzten sich ihre Blicke . . . Ein blitzschnelles Erkennen stieg im Auge des andern auf . . . Er zog aber nur die Stirn kraus, spuckte im Vorbeigehen aus und verlor sich in der Menge.

Manuelito hatte vor Schrecken fast das Hündchen fallen lassen. Diese Begegnung war nicht so einfach, wie sie aussah. Oh nein! Da kamen Erinnerungen daher, und jede hatte ein anderes Gesicht und eine andere Sprache. Er hat mit dir sein Brot und sein Lager geteilt. Weißt du es noch? Er hat dich vor der Polizei geschützt. Er hat dich damals in jener schrecklichen Nacht aus dem Gefängnis geholt. Erinnerst du dich nicht mehr? . . . Aber . . . aber . . . er war auch ein Dieb. Ein frecher, schändlicher Dieb!

Manuelito stand auf. Er mochte nicht länger auf dieser Plaza sitzen. Irgend etwas hetzte ihn von dem Orte weg, wo er dieser armseligen Gestalt jeden Augenblick wieder begegnen konnte, und zu der es ihn hinzog, und von der es ihn gleichermaßen abstieß.

Er fuhr nach Viña del Mar zurück. Auf dem Bahnhof kamen ihm Bareros aufgeregt entgegen.

»Manuelito! Wir waren eben bei deiner Madrina und haben dich auch sonst überall gesucht. Unser Schiff fährt nämlich ganz unerwartet schon heute abend aus dem Hafen. Wir müssen also spätestens um acht Uhr in Valparaiso sein. Es ist jetzt sieben Uhr . . . Aber, um Gotteswillen, was hast du denn da für ein schreckliches Biest im Arm?« 141

Jetzt erst waren sie des Hündchens gewahr geworden. »Das ist meine Palomita. Meine Mutter hat sie mir vor zwei Jahren geschenkt. Nicht wahr, ich darf sie mitnehmen?«

»Selbstverständlich,« sagte Barero, »nimm mit, was du willst, wenn du nur in einer halben Stunde fertig zum Abfahren bist!«

»Ganz bestimmt! Ich laufe zur Madrina. Ich habe mich ja noch nicht von ihr verabschiedet.«

»Schön! Lauf, was du kannst! Wir werden hier so lange warten.«

Er jagte davon. »Madrina, ich muß gleich weg! Denke dir, das Schiff fährt schon um zehn Uhr aus dem Hafen.«

Damit stürmte er in die Yerberia hinein, und dann sprachen sie noch ein paar Minuten miteinander.

»Manuelito, nicht wahr, wenn du einmal ein großer Herr bist, vergißt du mich nicht?«

»Ein großer Herr werde ich wohl nie,« meinte er ernsthaft, »aber wenn ich einmal ordentlich Geld verdiene, brauchst du nicht mehr zu arbeiten.«

Plötzlich erschienen Bareros. Die Zeit des Wartens war ihnen zu lange geworden.

»Wir müssen uns wirklich beeilen und haben darum ein Auto gemietet. Es steht draußen auf der Straße. Bitte, spute dich!«

Der Abschied war kurz, aber von der Madrina mit Tränen reichlich benetzt.

Barero, seine Frau und der Junge in der Mitte schritten durch den Pasaje Nr. 4 hinaus. Die Señora Rosa begleitete sie bis auf die Straße.

Als sie im Auto saßen, beugte Manuelito sich noch einmal hinaus und rief: »Auf Wiedersehen, Madrina!« 142

»Auf Wiedersehen, Manuelito!« schluchzte sie, denn sie war ganz überwältigt von der Größe dieses unerhörten Glücksfalles ihres Patenkindes.

 


 


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