Jean Paul
Das Kampaner Tal
Jean Paul

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XI.
Erster Freudenstock

Erklärung desselben – Brief eines Mannes von Welt

Hier steht der Bettmeister in seinem schönsten Tempel des Ruhms und in seiner Westmünsterabtei: er lässet taufen. Das Männchen rechter Hand, das mit aufgemachten Zirkel-Füßen und aufgezognem Flügel-Mantel hervorhorcht, ist der Kindes-Vater Krönlein. Man erkennt ihn hier schwer unter dieser Kopf-Wildschur und diesem Glatzen-Shawl, unter der Gala-Perücke. Er steht hinter seinem Gevatter, einem fetten und vornehmen Mann. Er bat nämlich Serenissimum selber, der Taufzeuge des Söhnleins zu sein – damals tat man das öfter als jetzt, wo man fast nach dem Gesetz der Talmudisten handelt, daß ein König und ein Brettspieler keine Zeugen sein können –; daher wurde vom Silluk gegenwärtiger Nutritor der Landes-Universität als Vize- und Vikariatsgevatter hergestellt. Wenige Nutritores von Universitäten werden gleich dem gegenwärtigen mit solchem Anstand unter einem solchen Grau- und Vorlegewerk der Perücke zu Gevatter stehen, in einer so niedlich zurückhängenden Mantille, mit einem solchen Winkelmaß von Pas; und nicht auf allen Nutritoren-Gesichtern schwimmen zwei solche Fett-Augen, und wenige zeigen diese aus Milch und Blut aufsteigende fette Sahne der Physiognomie und dieses mit Talg ausgesprützte Präparat von Leib, das den zugeknöpften Rock unten abbreviert.

Auf dem Baptisterium oder Tauf-Lavor finden wir über der Tauf-Bay das gebogne Minierräupchen und Essigälchen, das die erste Ölung bekommen muß. Der arme gekrümmte Wasserschößling wird in wenig Minuten vom Nutritor den Namen Gerg erhalten: ich hätte den künftigen Gerg auch eine Hyazinthe über dem Blumenglase voll Taufwasser nennen dürfen. In den frühern Zeiten war das Bad der Wiedergeburt nicht wie jetzt ein Sprützbad, sondern ein Plongierbad – und Baden und Taufen und Einsalben hörte damals nicht schon unterhalb der Glatze auf. Ein englischer Arzt gibt der Abschaffung dieses kanonischen HalsbadesNämlich der Abschaffung der völligen Eintauchung bei dem Taufen. die Zunahme der englischen Krankheit schuld; eine ähnliche Verkrüppelung und solche Doppeltglieder brechen am innern Menschen aus, wenn an ihm nichts ein Christ wird als der Kopf.

Wer der Täufer oder Jupiter pluvius ist, das kann uns nur der Flachmeißel sagen... Allein wer der Flachmeißel ist, das kann ich nur sagen: diesen Namen führt bei den Formschneidern sonst jeder Meißel, der die geraden Züge gräbt (die andern ründet der Hohlmeißel); hier aber meine ich den abgebildeten Flachmeißel, den das Krönleinsche Konterfei aus Weimar samt einem Formbrett in der Linken hat und womit er meiner Übersetzung dieses Taufstocks vorarbeitet. – Dem Meißel zufolge tauft hier der Landstand: er zieht ein ungemein flämisches Gesicht und stellt im Kopfe actionem de filiatione an und wünscht vielleicht statt dieses kleinen Badgastes den Intendant des lits et meubles selber so über dem vollen Lavor zu haben. Der Exorzist bedarf oft selber des Exorzismus; und mit Seelenärzten ists wie mit Körperärzten, die nach Hufeland schon ihres Metiers wegen nicht so gesund sein können wie ihre Patienten.

Neben dem grämischen Brunnenarzt steht ein fatales ausgeleertes Gesicht, das wahrscheinlich der Hebamme (denn hierüber schweigen alle Ausleger und selbst der Flachmeißel) zu inkorporieren ist: eine solche Brautführerin ins Leben ist noch öfter die Reichserbtürhüterin, die dem matten Zwerg die Pforte vor der Nase zuschlägt. Die Erztürhüterin macht einen Muff aus dem Taufkissen, in das nachher der kleine Senkreiser wieder eingeschlagen wird. Ich habe dieses Klatsch-Rosenmädchen vermutlich schon auf der 3ten Platte neben der Kanzel gesehen: ich bringe mich immer mehr gegen sie auf, je länger ich sie beschaue und beschreibe. Sie wird nicht einmal durch den Abstich mit dem schattigen Kammermohren hinter ihr verschönert, den ich wenig kenne. Ist der Mohr der Lautenist? Ist es der Teufel, der, aus dem Schneckengehäus des Täuflings, aus diesem Karten- und Sakramenthäuschen, ausgejagt, auf ein geräumigeres Arbeitszimmer, das noch keiner bezogen, in den Herzen dieser Kirchengemeinde wartet? Wenn es der Teufel nicht ist, soll es etwan eine zänkische Schwiegermutter sein? – Alle Ausleger und Flachmeißel und Formbretter schweigen darüber gänzlich.

Was über dem andern Schwarzen hängt, ist eine weiße Taube, die dasmal nicht unter, sondern über dem Geier schwebt. Fliegt sie tiefer auf die Zisterne, so wächset sie zum Taufengel aus. Wie in den mittlern Zeiten alle Edeldamen mit Sperbern auf der Hand gemalet wurden, ob sie gleich nicht auf die Vogelbeize ritten – jetzt stoßen umgekehrt die Raubvögel die Jägerinnen –, so breitet an jeder Kanzeldecke eine Taube die Flügel über die Bischöfe aus, ob sie gleich diese weder anbrüten noch inspirieren kann.

Weiter hab' ich nichts zu erklären: der Rest ist die Kirche. – –

Sobald ich im Katechismus unter Krönleins Ahnenbildern, deren räsonierenden Katalog ich in die Hände Deutschlands gebe, auf dieses eilfte kam, so sagt' ich: »Das ist der erste Freudenstock, oder es gibt keinen mehr. Wenn jetzt, da ein kleiner Gerg in der Wiege liegt, die Bettmeisterin nicht ihr Bestes tut und dem armen Narren es kommoder macht....« Ich brauchte den Perioden gar nicht zu vollenden: denn ein Kind veredelt (in den mittlern Ständen) das schlimmste Weib und stellet sich als Sperrkreuz und spanischer Reiter mitten auf ihre Irrwege und in ihre Maulwurfsgänge. So ists auch eine gemeine Bemerkung, daß die Zwiebel der Kaiserkrone ihren Gift ablegt, sobald sie nur ein einzigesmal getrieben hat. Die Mutterliebe durchgreift mit tausend Wurzelzweigen das ganze weibliche Herz, sie zieht alles Blut, sogar das verdorbene, in sich an und überwächset und verdrängt jede Nebenpflanze und blüht endlich ganz allein auf dem umflochtenen Boden. Die weibliche Brust, in der so viel Haß gegen so viele Mütter ist, wird doch liebend vom Anblicke der Kinder dieser Mütter bewegt, und je jünger, d. h. hilfloser, die kleinen Gestalten sind, desto lieber möchte jede sie an den Busen drücken, und desto leichter geht die Verwechslung mit nähern vonstatten. Ich seh' oft mit Vergnügen, daß keine Magd vor einer Kinderwärterin vorbeiläuft, ohne die kleinsten, aber schönsten Lippen (ich habe noch kein Kind mit ungestalten gesehen) mit einem kursorischen Flug-Kuß zu beschenken und zu schrecken. Nur Weiber, die männlicher denken, erhalten sich kalt gegen fremde Kinder.

Ich bekenn' es, bloß mein Vertrauen auf Reginens Mutterherz schloß mir unter der Taufhandlung, die sehr viel Bitterwasser dem Taufwasser zugoß, wieder eine und die andere heitere unbedeckte Allee in Krönleins Leben auf, und ich schwur, Regina entsündige sich künftig: sonst hätte mich der blinde Kindes-Vater zu sehr gedauert, besonders ein solcher! Ich meine, ein Krönlein, der, ob er gleich am Hofe lebt und eine wirkliche, keine Titular-Bettmeisterei versieht, doch rein und einfach verbleibt, dort weder schwillt noch kriecht, und den ganze Gassen von Lustschlössern nicht blenden und locken und krümmen, einen Bettmeister, der unter Witzigen geduldig und vernünftig bleibt, unter Pikanten unbewehrt, so wie über dem salzigen Meer nur süße Tau- und Regentropfen aufsteigen. Doch ist das wahr, daß einen Künstler unter allen Menschen am wenigsten seine Lagen beflecken, weil er die Lagen weniger braucht und weniger fühlt. –

Ein Weltmann, der mich eben in Voigtland besuchte (sein Hof errät ihn leicht) und dem ich beim Abschied in sein reiches Bilderkabinett gegenwärtigen Krönleinschen orbis pictus schenkte (ich schnitt bloß von den 10 Katechismus-Platten die 10 Gebote herab, die für einen Mann von Stande nicht passen), dieser feine Kenner der Werke der Kunst und des Teufels schrieb mir nach dem Abdruck der ersten Bogen dieses Werkleins zurück:

»Auf 10 Briefe sind Sie die Gegenbriefe schuldig. Die 11te Platte ist gut. Komposition, Ausdruck, Beiwerk, alles verdient Lob. Aber der Künstler ist (unter uns) ein Schaf wie Lafontaine oder wie unser jetziger Deckenmaler. Die gute Silberdienerin führt, wie man merkt, in ihrem Wappen so viele Herzen wie Hildesheim in dem seinigen, nämlich drei (das ihres Mannes kann nicht gerechnet werden): ich weiß nicht, wohin ihr Mann denkt! Es gibt Leute in der Welt, die dem berühmten Porträtmaler Kneller in London gleichen, der bloß die Physiognomie seiner artistischen Gebilde selber machte, der aber von dem ersten besten Unter-Maler die Perücke, von einem andern den Rock, von einem dritten die Knöpfe, von einem vierten die Spitzenmanschetten zu seinem Kinde malen ließ. Es gibt noch solche Kneller, die es andern anheimstellen, das zu kleiden, was sie bilden. Ihr lieber Bettmeister, – – aber aufrichtig, ich meine eigentlich viel nähere und vornehmere Leute um mich, die (wiewohl ohne das Vergeltungsrecht zu verschlafen) für ihre Familie nie etwas Nähers waren als grands maitres de garderobe, die ihre Familie, wie der Weltgeist nach guten Philosophen die Welt, nur ordneten und erhielten, nicht schufen. So sah ich sehr oft, daß Ambassadeurs, die etwas auf sich hielten, nicht weit von dem Hofe, wohin ihr Kreditiv lautete, sich mit allen den Leuten versorgten, zu denen sie schon die nötigen Livreen und Garderoben mitgenommen hatten, um glänzender einzuziehen. Der Unterschied ist kleiner, als man ihn macht: schon Boileau stellt den, der ein Gedicht vorzutragen weiß, sogleich neben den, der es machte etc.«

Der Himmel behüte und bewahre! Ich weiß nicht, wozu ich diesen Brand- und Steckbrief hereinsetze. – Ich kann nicht genug eilen zum zweiten Freudenstock, ob er gleich das Werklein beschließet....


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