Jean Paul
Das Kampaner Tal
Jean Paul

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IX.
Holzplatte des neunten Gebots

Löwe der Justiz – schwache Seite des Revisors

Frankfurter Meßleute haben mirs erzählt, daß einmal auf dem Theater der Reichsstadt ein Löwe, von dem in Frankfurt kein Original-Exemplar zu haben war, ungemein gut und täuschend durch ein Paar Jungen repräsentiert und kopiert wurde, die sich in einen Löwenbalg begaben und wovon der eine die Vorderbeine des mimischen Leuen vorstellte und beseelte, der andere die Hinterbeine. Mit diesem Gefüllsel und Reichsvikariat ist ein Bühnen-Löwe zu machen. Aber wenn der königliche Löwe der Justiz in Bewegung und Atem gesetzt und bemannet werden soll: welches Heer von Administratoren und Konklavisten muß in die Haut des großen Tiers zusammenkommen, damit es gehörig schreite, wedle und brülle! Ich kann die Sache oft stundenlang berechnen und weiß am Ende so wenig wie zuvor. Ich lasse mich hier nicht auf die drei Seelen des Leuen ein, auf die plastische, auf die sensitive und die vernünftige, die unter dem Namen der drei Instanzen bekannter sind; sondern ich richte die Aufmerksamkeit der Denker bloß auf das Personale von Kuratoren, die in den verschiednen Gliedmaßen des Raub- und Säugtieres arbeiten: – den Schwanz desselben muß eine besondere Kommission bewohnen und bewegen – den Magen besetzt ein ganzes Kammerkollegium und besorgt Magensaft und peristaltische Bewegung – wie viele Regierungsräte gehören nicht zu den vier Tatzen, samt unzähligen Federmessern und Rabenkielen zu den Zähnen – und doch würd' es dem Landtier an einer Kehle mankieren, kröche nicht als Schwester Rednerin, als Spiritus rector eine Frau (etwan eine Konsulentin, eine Rätin, eine Präsidentin) in den Balg und – dekretierte.

Dieser Fall war auf der vorigen Platte: Regina machte die Kehle.

Wollt' ich jetzt noch auseinandersetzen, wie Pitt den britischen Löwen ausbälgt und dann metallisch und spirituös ausspritzt: so würde mich das zu weit abführen, wenigstens von der 9ten Platte.

Weshalb soll ichs verstecken, daß mich hier unser Künstler viel weniger zufriedenstellt, als er sonst pflegt? Das Publikum und die chalkographische Gesellschaft werden entscheiden – Krönlein ist nämlich wider alles Vermuten imstande, in eine solche Shakespeare-Gallery seines dramatischen Lebens, mit der er auf die Nachwelt kommen will, eine Szene aufzunehmen, worin er nichts Bessers vorschnitzt und vorzeigt als den Lautenisten samt Hammeln. Diese Platte stellt nämlich, nach Aussagen des rechten Arms – nicht des meinigen, sondern des Krönleinschen im Konterfei –, bloß den Altisten in der Pönitenzpfarre einer Schäferei im Erzgebirge vor, wo er zugleich eine Darmsaiten-Dreherei nicht bloß für seine Laute und für Silluks Kapelle, sondern auch für dessen Spitzharfe treiben soll. Eine ganze Jury von Hammeln (nämlich 12 solche Patriarchen) müssen ihr Gedärm zu einer Violoncellsaite zusammenschießen. Hier füttert und füllet er ihnen die Darmsaiten, eh er sie zwirnt. Im Stande, im Kniebug, im Wamsschwung zeigt sich der arkadische alte Schalk wie stets – Krönlein würde sich, wenn man ihn im zweiten Leben über diese Platte zur Rede stellte, so verantworten: »Aus bloßem Erstaunen über den sanften Bischof öffnete ich dem Schäfer und seinen Hammeln die Platte; ich dachte, es sei nichts als Menschenliebe, warum der Landstand seinem Verleumder das gab, was eigentlich dieser jenem hätte geben müssen, nämlich die Mistgabel.Einem Tagewerker in Sachsen wurden sonst für eine ihm zugefügte Injurie zwei wollene Handschuhe und eine Mistgabel vom Beleidiger gegeben. Döplers Schauplatz der Leib- und Lebensstrafen etc. I. T. p. 827. Aber die Ewigkeit hat mich belehrt, daß die Absolution mir eine verstecktere Rache war und die Gabe ein Raub.« Und das hätt' er schon auf der Erde wissen können, hätt' er nur ein Kirchenjahr lang mit Spitzbuben Umgang gepflogen.

Wenn aber solche Künstler fallen, wie wollen kleinere stehen? Der Revisor glitt aus, weil er in das ewige Wintergrün der Kunst die Küchenkräuter des persönlichen Lebens einflocht. Der große Künstler muß in der Stunde, wo er seine Mosis-Decke aufhebt und auf seinem Berge die ewigen Gesetze der Kunst empfängt, sein tieferes Leben und Genießen und Leiden vergessen; und indem er gen Himmel steigt, muß unter ihm die Erde mit ihren kleinen Reichen zusammenkriechen und unter der letzten Wolke verschwinden. –

Inzwischen müßten die Bibliothek der schönen Wissenschaften und Herr Ramdohr mich zur Rede setzen, wenn ich nun die Schönheiten verschwiege, die gleichwohl dem Holzschnitte in jedem Betrachte noch bleiben. Aristoteles befiehlt epischen Dichtern, alle Schmuckkästchen der Diktion für den untätigen paralytischen Teil der Fabel auszuleeren und ihre lahmen Glieder damit anzuputzen. Krönlein verfährt hier nicht anders: ich glaube, niemand weniger als ich braucht von der schönwissenschaftlichen Bibliothek und von Herrn Ramdohr darauf gebracht zu werden, daß Deutschland hier auf einem Raum, den eine auseinandergebrochene Schokolade- oder Fleischbrühtafel decken könnte, nichts Geringeres beisammen habe als 1) einen Ruysdael, 2) einen Wilhelm Van der Velde, 3) einen Van der Meer und 4) einen Sachtleben zugleich. Wenn ich zuweilen die Partien dieser Landschaft einzeln kopierte und Kennern zeigte: so wurde meistens der Wasserfall aus dem Granit der ersten Nummer zugeschrieben (dem Ruysdael) – das stille Wasser der zweiten – die Hammel der dritten – die Alpe der letzten. Allein ich lächelte innerlich und sagte: »Zu Ostern 97 werden vielleicht in Schwortz einige Notizen vom Meister und dessen Werken gedruckt und zugleich bewiesen, daß es nur einer gemacht« – und dann zeigt' ich den Kennern den neunten Stempel.

So weit der Kommentar darüber. – Obgleich der Probierstein der Kritik den indischen Amethysten gleicht, die man sonst auf Gelagen an sich trug, um nüchtern zu bleiben: so soll sie uns doch den Gaumen und die Geschmackswarzen für das spirituöse Getränk nicht nehmen. Leuten, die mich fragen: mit welchem Rechte wirfst du dich zum Cicerone und Ramdohr von Kunstwerken auf, ohne je selber einen Stock geschnitten zu haben? geh' ich aus Verachtung keine Antwort als die von Correggio: »Auch ich bin ein – Formschneider.« – Ich forme freilich nicht mit dem Formmesser, aber doch mit dem Federmesser, und gegenwärtiger Kommentar ist mein Werk.

Was die Künstler und Dichter anlangt, die vor oder hinter ihren Werken von ihrer darauf verwandten unsäglichen Kritik, d. h. hinter ihren Glasflüssen und böhmischen Steinen von ihrem Demantport und ihren Schleifscheiben sprechen, so vergleicht sie die Welt stets mit den Fliegen, die noch immer, wenn man ihnen den Kopf abgedrückt, die Vorderfüße vorstrecken, um die Augen zu säubern.


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