Jean Paul
Das Kampaner Tal
Jean Paul

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506. Station

Einwürfe gegen die Unsterblichkeit – die Einkindschaft des äußern und innern Menschen

Wir brachen auf. Durch den Himmel weheten nur hohe dünne Flocken, gleichsam das aufgelöset um die Sonne fliegende Haar, das sie nicht verhüllte. Der Tag wurde schwüler und stummer. Aber unser Steig lief unter eine grünende Bedachung hinein, und ein Zweig um den andern spannte einen Sonnenschirm aus breiten Blättern aus.

Gione bat: »Wollen wir auch im Gehen unser voriges Gespräch behalten.« Ach deine Klotilde sollte sie kennen! Gione hat, die Reize ausgenommen, die halbe Seele von ihr – aus ihrer äußern, und innern Harmonie schreiet kein Ton vor, ihre ernste warme Seele gleicht der Palme, die weder Rinde noch Zweige, aber auf dem Gipfel breites Laub und lange Blüten trägt. »Gione,« sagte Nadine, »sie machen uns mehr irre als fest.« – »Es hat«, versetzte sie, »noch niemand seine Meinung ausgesagt; man habe immerhin die festeste Überzeugung: durch die schöne Übereinstimmung mit einer fremden wird sie doch noch fester.« – »So wie«, fügte Myrtill bei (das bin ich), »die Wasserpflanzen mitten in ihrem Wasser doch vom Regen ebensowohl erquicket werden als die Landpflanzen.«

»Unser Gespräch«, sagte Wilhelmi, als wir gerade in die Sommernacht einer von Eichenschatten und Kaskaden gekühlten Grotte kamen, »passete besser unter eine totale Sonnenfinsternis – ich wollte, ich erlebte eine, wo sich der Mond prächtig vor die Mittagssonne hängt, wo der lärmende Tag auf einmal verstummt, wo die Nachtigallen schlagen, die Blumen zufallen, und wo es schauerlich tauet und nebelt und kühlt.«

Phylax hatte jetzt seinen Kanapeestrunk oder Polster in eine rieselnde Quelle springen lassen; Nadine hatt' es gesehen; aber um ihn nicht unter dem Herausziehen der Teichdocke zu verwirren, trieb sie mit einer reizenden Wärme uns auf das vorige Gespräch zurück. Nur der Weltton hat ihr eine spielende leichte, immer heitere Oberfläche gegeben – Gionens Stil hingegen ist wie der höchste griechische, nach dem Maler-Ausdruck, etwas mager und karg –, und die Visitenzimmer hatten sie, wie Mahagony-Schränke die Kleider, desto angenehmer gemacht; aber ihre äußern Reize widersprachen oder schadeten ihren innern nicht.

Ich sagte also zu Karlson: »Ich bitte Sie, erweisen Sie uns einmal die geistige Sterblichkeit, diese eigentliche Seelen-Mitraillade.« – »Das braucht« (sagte der fatale arkadische Phylax, den die feuchte Walze ärgerte) »der Herr Rittmeister gar nicht: nur der Bejahende muß beweisen.«

»Gut, gut«! sagt' ich, »ich nenne die Beweise Einwürfe, aber deren bring' ich wahrlich nicht mehr als zwei heraus – erstlich der Beweis oder Einwurf aus der gleichzeitigen Abblüte und Hinfälligkeit des Körpers und Ichs, zweitens der aus der absoluten Unmöglichkeit, die Lebensweise eines künftigen Lebens zu erforschen oder, wie der Herr Hauskaplan sagen mußte, in die übersinnliche Welt hinüberzusehen aus einer sinnlichen. Richten Sie jetzt selber, Herr Rittmeister, Ihre zwei einwerfenden Bomben in den Winkel der größten Wurfweite, der nach Hennert der von 40 Graden ist, nach Bezout aber erst der von 43°.«

Er stellte seine Bomben gut. Er zeigte, wie die geistige Dryade mit der körperlichen Baumrinde grüne, zerberste und verfliege – wie die edelsten Bewegungen sich an das mit Erdenblei oder Bleierde ausgegossene Schwungrad des Körpers schließen – wie Gedächtnis, Phantasie und Wahnsinn bloß vom Eidotter des Gehirns zehren, wie Heldenmut und Sanftmut sich in einem so entgegengesetzten Verhältnis gegen das BlutMit dem Blute verloren Helden den Mut, wie bekannt. Juden essen keines, wie ebenfalls bekannt. befinden wie Blutigel und Juden – wie im Alter der innere und der äußere Mensch sich miteinander gegen die Grube krümmen, miteinander versanden und versteinern und gemeinschaftlich gleich Metallgüssen langsam erkalten und zuletzt gemeinschaftlich erstarren. Dann fragte Karlson, warum man denn, bei dieser immerwährenden Erfahrung, daß jede körperliche Einbiegung eine geistige Narbe grabe, und bei diesem unaufhörlichen Parallelismus des Körpers und der Seele, bloß nach dem letzten Riß und Bruch dieser alles wiedergeben wolle, was man mit jenem scheitern sah. Er sagte dann, was ich auch glaube, daß weder das Bonnetsche Unterziehkörperchen, noch das inkorporierte Platnerische Seelen-Schnür- Leibchen (das »zweite Seelen-Organ«) die Schwierigkeit der Frage mildere: denn da beide Seelen-Unterziehkleider oder Nachthosen und Kollets immer im Leben das gute und schlimme Schicksal des groben Körperüberrocks und Marterkittels teilten, und da an uns zweigehäusigen englischen Uhren das Gehwerk und das erste und zweite (Bonnetsche oder Platnersche) Gehäuse immer miteinander gelitten und gewonnen hätten: so sei es lächerlich, die Iliade der künftigen Welt in der engen Haselnuß des Reassekuranz-Körperchens aufzusuchen, das man vorher mit dem äußern groben Körper stehen und fallen sehen.

Ich bat ihn dann, die zweite einwerfende Bombe auch in den Winkel von 40° zu stellen. »Aber dann«, setzt' ich dazu, »wollt' ich mir wohl die Konzession einer langen Parlaments-Rede ausgebeten haben: nur lange Reden haben Lebens- und Reproduktionskraft, wie nach Reaumur nur lange Tiere sich am leichtesten nach Schnitten ergänzen.« Lange Menschen freilich, das fällt mir jetzt aus Unzer erst bei, leben kürzer als kurze.

Aber dazu, nämlich zum Beweise der Umhüllung der zweiten Welt, bedurfte Karlson wenig Zeit und Kraft: das Sonnenland hinter den Hügeln der Gottesäcker, hinter den Pestwolken des Todes liegt unter einer Totalfinsternis von zwölf Zollen oder von ebenso vielen heiligen Nächten bedeckt. Er tat nicht übel dar, welcher unendliche Sprung aus allen irdischen Analogien und Erfahrungen es sei, eine Welt zu hoffen – d. h. zu schaffen –, eine transzendente Schäferwelt, von der wir weder ein Ab- noch Urbild kennen, eine Welt, der nichts Geringers als Gestalt und Name und Atlas und Planiglob und ein Weltumsegler Vespucius Americus abgehe, für die uns weder Chemie noch Astronomie die Bestand- und Weltteile liefern wollen, ein Dunst-Universum, auf dem aus der entlaubten verdorrten Seele ein neuer Leib ausschlage, d. h. ein Nichts, auf dem sich ein Nichts beleibe...

O mein guter Karlson! wie konnte deine schöne Seele eine zweite Welt, die schon hienieden in die physische vererzet ist, wie lichte Kristalle in Gletscher, auslassen, nämlich die in unserem Geiste glühende Sonnenwelt der Tugend, Wahrheit und SchönheitSchönheit in jener Zusammensetzung nehm' ich allzeit in dem Sinn, den Schiller in seiner ästhetischen Kritik damit verknüpft, eine Preisschrift seines Genius über die Schönheit, der hier, wie Longin über das Erhabene, der Maler und der Gegenstand zugleich ist., deren Goldader auf eine unbegreifliche Art den dunkeln schmutzigen Klumpen der Sinnenwelt glänzend durchwächset! –

Ich gab nun meine Antwort: »Ich will Ihre zwei Schwierigkeiten mildern, und dann will ich meine unzähligen gegen Sie vorführen. Sie sind kein MaterialistWär' ers aber gewesen: so würd' ich ihm den 9ten Schalttag pag. 224 im 3. T. des Hesperus vorgelesen haben. ; Sie nehmen also an, daß die geistigen und die körperlichen Tätigkeiten nur einander begleiten und gegenseitig erwecken. Ja der Körper ist die Tastatur der innern Harmonika durch alle Glocken hindurch. Man hat bisher nur die körperlichen Ripienstimmen zu den Empfindungen aufgezeichnet, z. B. das schwellende Herz und das trägere Blut bei der Sehnsucht – die Gall-Ergießung bei dem Zorn und so fort. Aber das Flechtwerk, die Anastomosierung zwischen dem innern und äußern Menschen ist so lebendig und innig, daß zu jedem Bilde, zu jeder Idee eine Nerve, eine Fiber zucken muß: man sollte die körperlichen Nachklänge auch bei dichterischen, algebraischen, artistischen, numismatischen, anatomischen Ideen beobachten und auf die Noten der Sprache setzen. Aber der Resonanzboden des Körpers ist weder die geistige Tonleiter noch ihre Harmonie; die Betrübnis hat keine Ähnlichkeit mit der Träne, die Beschämung hat keine mit dem in die Wangen gesperrten Blute, der Witz keine mit dem Champagner, die Vorstellung von diesem Tal hat nicht die geringste mit dem Dosenstück davon auf der Retina. Der innere Mensch, dieser verhüllte Gott in der Statue, ist nicht selber von Stein wie diese, in den steinernen Gliedern wachsen und reifen seine lebendigen nach einer unbekannten Lebensweise. Wir geben zu wenig darauf acht, wie der innere Mensch sogar den äußern bändigt und formt, wie z. B. Grundsätze den zornfähigen Körper, der nach der Physiologie von Woche zu Woche heftiger brennen müßte, allmählich kühlen und löschen, wie schon der Schrecken, der Zorn die zerreißende, auseinandergeschobene Textur des Körpers mit geistigen Klammern hielt. Wenn das ganze Gehirn gleichsam paralytisch und jede Fiber eingerostet und verquollen ist und der Geist Fußblöcke schleppt: so braucht er nur zu wollen (welches er jede Minute kann), es braucht nur einen Brief, eine frappante Idee: so ist ohne körperliche Hülfe das Fibern-Gehwerk und das geistige Repetierwerk wieder im Gang.«

Wilhelmi sagte: »Der Geist ist also eine Uhr, die sich selber aufzieht.« – »Irgendein Perpetuum-Mobile muß es ohnehin geben, weil sich alles schon seit einer Ewigkeit bewegt« (sagt' ich) – »die Sache ist aber, der Geist läuft entweder nie ab, oder er ist der Uhrmacher. Ich kehre wieder zur Sache.

Wenn eine zertriebene Pulsader in der vierten Gehirnkammer des Sokrates das ganze Land seiner Ideen unter ein Blutbad setzt: so werden zwar alle seine Ideen und seine moralischen Neigungen vom Blutwasser überdeckt, aber nicht zerstört, weil nicht die ertränkten Gehirnkügelchen tugendhaft und weise waren, sondern sein Ich, und weil die Abhängigkeit des Uhrwerkes vom Gehäuse in Rücksicht des Bestäubens usw. ja nicht die Identität von beiden oder gar den Satz beweiset, die Uhr bestehe aus lauter Gehäusen. Da die geistigen Tätigkeiten keine körperlichen sind, sondern ihnen bloß entweder nach- oder vorgehen, und da jede geistige so gut im Geiste als im Körper Spuren lassen muß: sind denn, wenn der Schlagfluß oder Alter die körperlichen weglöscht, darum auch die geistigen verloren? Unterscheidet denn der Geist eines kindischen Greises sich in nichts von dem Geiste eines Kindes? Büßet Sokrates' Seele, in Borgias Körper wie in ein Schlammbad eingescheidet, ihre moralischen Kräfte ein, und tauschet sie auf einmal ihre tugendhaften Fertigkeiten gegen lasterhafte aus? – Oder soll in der Ehe zur linken Hand, die, wiewohl ohne Gütergemeinschaft, zwischen Leib und Geiste ist, die eine eheliche Hälfte mit der andern nur gewinnen, nicht auch verlieren? Soll der ablaktierte Geist nur den blühenden, nicht auch den welkenden Körper verspüren? Und sollt' ers, so mußte die um ihn geschlagene Erde ihm, wie der Lauf unserer Erde den obern Planeten, den Schein des Stockens und Zurückgangs erteilen. Sollten wir einmal enthülset werden, so mußte es die langsame Hand der Zeit, d. h. das raubende Alter tun; sollt' einmal unsere Rennbahn nicht auf einer Welt auslaufen, so mußte die Kluft vor der zweiten allemal wie ein Grab aussehen. Die kurze Unterbrechung unsers Ganges durch das Alter und die längere durch das Sterben heben diesen Gang so wenig auf wie die kürzere durch den Schlaf. Wir halten beklommen wie der erste Mensch die totale Sonnenfinsternis des Schlummers für die Nacht des Todes, und diese für den Jüngsten Tag einer Welt.«

»Welches eben noch zu erweisen ist, ob ichs gleich selber glaube«, versetzte Phylax.

Aber nun schlossen neue Schönheiten meine Antwort und die 506te Station.

 

N. S. Heute hat man mir gesagt, der Kaplan habe erklärt, er habe absichtlich auf eines und das andere nichts erwidert, er wünsche aber, ich erschiene einmal damit in Druck, dann hoff' er seine Meinung zu äußern. Das möchte aber wohl der gute Mann nicht erleben, daß dieser Brief gedruckt wird, und er wird passen müssen.


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