Washington Irving
Gottfried Crayon's Skizzenbuch
Washington Irving

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Klein-Britanien.

(Das folgende Stückchen Ortsgeschichte ward mir neulich von einem seltsam aussehenden alten Herrn in einer kleinen braunen Perücke und einem schnupftabaksfarbenem Rocke eingehändigt. Ich ward mit dem Manne auf einem meiner Beobachtungsgänge in dem Mittelpunkt dieses großen Irrgartens, der City, bekannt. Ich gestehe, daß ich Anfangs nicht recht wußte, ob dieß nicht eine von den apocryphischen Erzählungen sei, welche forschenden Reisenden, wie ich, oft aufgehängt werden, und die unsere Wahrhaftigkeit so unverdienter Weise verdächtig gemacht haben. Bei gehörigen Erkundigungen erhielt ich jedoch die befriedigendsten Nachrichten über des Verfassers Zuverlässigkeit; und, in der That, man hat mich versichert, er sei in diesem Augenblicke mit einer ausführlichen und genauen Beschreibung der sehr anziehenden Gegend, worin er wohnt, beschäftigt, und man kann das Folgende bloß als einen Vorschmack dessen ansehen, was er zu leisten gedenkt.)

Was ich schreibe, ist ganz wahr. – Ich habe ein ganzes Buch voll Sachen neben mir, welche, wenn ich sie bekannt machte, einige ernsthafte alte Leute (innerhalb des Bereichs der Bow-Kirchglocke) gar sehr gegen mich aufbringen würden.
Rashe.

In dem Mittelpunkt der großen Stadt London befindet sich eine kleine Gegend, die aus einem Haufen enger Straßen und Höfe, und aus sehr ehrwürdigen und gebrechlichen Häusern bestehen, und den Namen Klein-Britanien führen. Die Schule von Christ-Church und das St. Bartholomäus-Hospital begrenzen sie gegen Westen, Smithfield und Long Lane gegen Norden, Aldersgate Street scheidet sie, wie ein Meeresarm, von dem östlichen Theile der City, während der gähnende Rachen von Bull- und Month-Street sie von Butcher Lane und den Gegenden von Newgate trennen. Auf dieses kleine so begrenzte und bezeichnete Gebiet blickt die große Kuppel der St. Paulskirche, die sich über die dazwischen liegenden Häuser in Paternoster Row, Amen Corner und Ave-Maria Lane erhebt, mit einer Art von mütterlichem Schutze herab.

Die Gegend hat davon ihren Namen, daß sie in alten Zeiten der Wohnsitz der Herzoge von Bretagne war. Als sich jedoch London vergrößerte, zogen Rang und Mode sich nach dem Westen zurück, und das Gewerbe, welches ihnen auf dem Fuße nachkroch, nahm ihre verlassenen Wohnungen in Besitz. Einige Zeit ward Klein-Britanien der große Markt der Gelehrsamkeit, und mit dem geschäftigen und fruchtbaren Geschlecht der Buchhändler bevölkert; auch diese verließen es allgemach, und über die große Meerenge von Newgate Street auswandernd, ließen sie sich in Paternoster Row und auf St. Pauls Kirchhofe nieder, wo sie noch bis auf den gegenwärtigen Tag fortfahren, sich zu vermehren und zu vervielfältigen.

Obgleich aber Klein-Britanien so verfallen ist, trägt es doch noch Spuren seines vorigen Glanzes an sich. Mehrere Häuser stehen dort, die im Begriff sind, zusammenzustürzen, deren Vorderseiten aber noch prachtvoll mit altem eichenen Schnitzwerk von scheußlichen Gesichtern, unbekannten Vögeln, Thieren und Fischen, Früchten und Blumen, die ein Naturforscher zu bestimmen gewiß Mühe haben würde, verziert sind. So gibt es auch in Alversgate Street einige Ueberbleibsel von ehemahligen geräumigen und stattlichen Häusern, welche indeß in neueren Zeiten in mehrere Behausungen getheilt worden sind. Hier findet man oft die Familie eines kleinen Krämers, mit ihren ärmlichen Möbeln, vergraben unter den Ueberbleibseln veralteter Pracht, in großen weitläufigen, von der Zeit geschwärzten Gemächern mit eingelegten Decken, vergoldeten Gesimsen und ungeheueren marmornen Kaminen. Auch enthalten die Seitengassen und Höfe mehrere kleinere Häuser, nicht auf einen so großen Fuß eingerichtet, aber, wie die weniger emporgekommenen unter den alten Geschlechtern, ihre Ansprüche auf ein eben so verjährtes Alterthum aufrecht erhaltend. Diese gehen mit der Giebelseite auf die Straße hinaus und haben große Fensterbogen, mit kleinen rautenförmigen, in Blei gefaßten Scheiben, abenteuerlichem Schnitzwerk und niedrigen gewölbten Thorwegen.Es ist augenscheinlich, daß der Verfasser dieser anziehenden Mittheilung unter dem allgemeinen Namen Klein-Britanien mehrere der kleinen Gassen und Höfe mitbegriffen hat, welche unmittelbar zu Cloth-Fair gehören. – Anm. des Herausg.

In diesem sehr ehrwürdigen, abgelegenen kleinen Neste habe ich mehrere ruhige Jahre meines Lebens hingebracht, und mich behaglich im zweiten Stockwerke eines der kleinsten, aber ältesten Häuser eingewohnt. Mein Wohnzimmer ist ein altes, getäfeltes Gemach, mit kleinen Rauten, in welchem sich ein bunter Möbelvorrath befindet. Ich habe eine besondere Ehrfurcht vor drei oder vier hochrückigen. klauenfüßigen Stühlen, mit verschossenem Brokat überzogen, welche Spuren an sich tragen, daß sie bessere Tage gesehen und ohne Zweifel in irgend einem von den alten Palästen Klein-Britaniens eine Rolle gespielt haben. Es kommt mir immer vor, als ob sie sich zusammennähmen, und mit großer Verachtung auf ihre Nachbarn mit ledernen Sitzen hinabblickten – so wie ich heruntergekommene Leute von Adel unter der plebejischen Gesellschaft, mit welcher sie zusammen leben mußten, den Kopf hoch tragen sah. Die ganze Vorderseite meines Wohnzimmers besteht aus einem Erkerfenster, an dessen Scheiben die Namen früherer Bewohner seit mehreren Geschlechtern zu lesen sind, und zwischen welchen sich Bruchstücke sehr unbedeutender, stattlicher Poesie finden, die, in kaum zu enträthselnden Schriftzügen, die Reizen mancher Schönheit von Klein-Britanien verherrlichen, die seitdem lange, lange geblüht hat, verwelkt und dahingegangen ist. Da ich ein müßiger Mensch, und ohne äußerliche Beschäftigung bin und meine Rechnung pünktlich jede Woche bezahle, so werde ich als der einzige vornehme Mann in der Gegend angesehen; und, da ich neugierig gewesen bin, den innern Zustand einer Gemeinde kennen zu lernen, die so ganz in sich abgeschlossen ist, habe ich es so einzuleiten gewußt, daß ich hinter alle die Angelegenheiten und Geheimnisse des Orts gekommen bin.

Klein-Britanien kann wahrhaft das Herzmark der City, das Bollwerk des wahren John-Bullismus genannt werden. Es ist ein Bruchstück von London, wie es in besseren Tagen mit seinen alterthümlichen Bewohnern und Moden war. Hier blühen, gut erhalten, viele von den Feiertagsspielen und den Sitten ehemaliger Zeit. Die Einwohner essen gewissenhaft ihren Pfannenkuchen am Fastendienstag, warme Kreuzkuchen am Charfreitag, braten eine Gans am St. Michaelistage, schicken sich Liebesbriefe am St. Valentinstage, verbrennen den Pabst am 5. November, und küssen zu Weihnachten alle Mädchen unter der Mistel. Roastbeef und Plump-Pudding werden auch noch in abergläubischer Verehrung gehalten, und Portwein und Sherry behaupten ihren Platz noch als die einzigen wahren englischen Weine; während alle andere für schlechte ausländische Getränke angesehen werden.

Klein-Britanien hat sein langes Verzeichniß von City-Wunderwerken, welche seine Bewohner als die Wunderwerke der Welt ansehen; die große Glocke der St. Paulskirche, bei deren Läuten alles Bier sauer wird; die Figuren, welche die Stunden an der Uhr der St. Dunstan's Kirche schlagen; das Monument; die Löwen im Tower; und die hölzernen Riesen in Guildhall. Sie glauben noch an Träume und Wahrsagerei, und eine alte Frau, welche in der Bull- und Mouth Street wohnt, erwirbt sich einen leidlichen Unterhalt dadurch, daß sie angibt, wo sich gestohlene Sachen finden, und den Mädchen gute Männer verspricht. Sie sind im Stande, sich von Kometen und Finsternissen beunruhigen zu lassen, und wenn ein Hund in der Nacht kläglich heult, so wird dieß als ein sicheres Zeichen angesehen, daß Jemand in der Nachbarschaft sterben werde. Hier sind sogar manche Geistergeschichten im Umlauf, namentlich was die alten Herren-Häuser betrifft, von denen manche in dem Rufe stehen, daß zuweilen sonderbare Erscheinungen darin gesehen werden. Lords und Ladies, die Ersteren in Allonge-Perücken, herabhangenden Aermeln und Degen, die Letzteren in Flügelkleidern, Schnürleibern, Reifröcken und Brokat, wurden in den großen öden Zimmern in mondhellen Nächten auf- und abgehend gesehen, und sollen die Schatten der alten Bewohner in ihren Hofkleidern sein.

Klein-Britanien hat gleicher Art seine Weisen und seine großen Leute. Einer der wichtigsten unter den ersteren ist ein großer, trockener, alter Herr, Namens Skryme, im Besitz eines kleinen Apothekerladens. Er hat ein leichenartiges Gesicht, voll Vertiefungen und Vorsprüngen, und braune Kreise um jedes seiner Augen, gleich einer Hornbrille. Er wird von den alten Frauen, die ihn als eine Art von Zauberer ansehen, weil er zwei oder drei ausgestopfte Alligator in seinem Laden hängen und mehrere Schlangen in Gläsern hat, sehr hoch gehalten. Er ist ein eifriger Leser von Kalendern und Zeitungen, und sehr erpicht, über entsetzlichen Erzählungen von Empörungen, Verschwörungen, Feuersbrünsten, Erdbeben und vulkanischen Ausbrüchen zu brüten, welche letztere Erscheinungen er als Zeichen der Zeit betrachtet. Er hat immer eine Unglückserzählung der Art bei der Hand, die er seinen Kunden als Zugabe zu ihrer Arzenei gibt, und so zu gleicher Zeit Seele und Leib in Aufruhr versetzt. Er glaubt fest an Vorzeichen und Weissagungen, und weiß Robert Niron's und Mutter Skipton's Prophezeihungen auswendig. Kein Mensch findet so viel in einer Sonnen- oder Monds-Finsterniß oder nur in einem ungewöhnlich dunklen Tage; auch schüttelte er den Schweif des letzten Kometen über den Häuptern seiner Kunden und Schüler, daß diese beinahe vor Schrecken von Verstand gekommen wären. Er hat neulich eine Volkssage oder Prophezeihung aufgejagt, über welche er ungewöhnlich beredt war. Es war nämlich unter den alten Sibyllen, welche dergleichen Sachen aufsammeln, eine Sage im Umlaufe, daß, wenn die Heuschrecke auf dem Thurme der Börse und der Drache oben auf der Spitze des Thurms der Bowkirche sich berührten, furchtbare Begebenheiten sich ereignen würden. Diese sonderbare Vereinigung ist, wie es scheint, eben so sonderbar zu Stande gekommen. Ein und derselbe Baumeister hat kürzlich die Ausbesserungen an der Kuppel der Börse und dem Thurm der Bowkirche übernommen, und, schrecklich zu erzählen, der Drache und die Heuschrecke liegen wirklich, Seite an Seite, auf dem Hofe seiner Werkstatt.

»Andere,« wie Herr Skryme zu sagen pflegt, »mögen nach den Sternen schauen und nach den Conjunctionen am Himmel sehen, hier aber ist eine Conjunction auf der Erde nahe zur Hand, und vor unseren eigenen Augen, welche alle Zeichen und Berechnungen der Astrologen übertrifft.« Seitdem diese ahnungsvollen Wetterfahnen ihre Köpfe so zusammen legten, haben sich bereits wunderbare Ereignisse zugetragen. Der gute alte König hat, ob er gleich beinahe zwei und achtzig Jahre gelebt, plötzlich seinen Geist aufgegeben; ein anderer König hat den Thron bestiegen; einer der königlichen Prinzen ist plötzlich gestorben; – ein anderer Prinz, in Frankreich, ist ermordet worden; es sind Versammlungen von Radikalen in allen Theilen des Königsreichs gehalten worden; die blutigen Auftritte in Manchester; die große Verschwörung in der Cato Straße – und, was mehr ist, die Königin ist nach England zurückgekehrt! Aber diese trüben Ereignisse werden von Herrn Skryme mit geheimnißvollem Blicke und einem bedeutsamen Kopfschütteln berichtet, und sie haben, zusammengenommen mit seinen Arzeneimitteln und mit den ausgestopften Seeungeheuern, Schlangen in Gläsern und seinem eignen Gesicht, welches ein Titelblatt übler Vorbedeutungen ist, eine große Düsterkeit über die Gemüther der Leute in Klein-Britanien verbreitet. Sie schütteln die Köpfe, wenn sie bei der Bowkirche vorübergehen, und bemerken dabei, daß sie nie etwas Gutes von dem Abtragen dieses Thurms erwartet hätten, der in alten Zeiten nichts als frohe Nachrichten verkündigte, wie die Geschichte von Whittington und seiner Katze es bezeugt.

Das mit diesem wetteifernde Orakel von Klein-Britanien ist ein solider Käsehändler, welcher in einem Bruchstück eines der alten Herrenhäuser lebt, und so prächtig wohnt, wie eine rundbäuchige Made in mitten eines seiner eigenen Cheshire-Käse. In der That, er ist ein Mann von nicht geringem Ansehn und Gewicht; und sein Ruf ist durch Huggin Lane und Lad Lane, und sogar bis nach Aldermanbury verbreitet. Seine Meinung wird bei Staatsangelegenheiten sehr angesprochen, da er seit beinahe einem halben Jahrhundert die Sonntagszeitungen, so wie das Gentleman's Magazine, Rapin's Geschichte von England und das Naval-Chronicle gelesen hat. Sein Kopf ist mit unschätzbaren Grundsätzen angefüllt, welche Jahrhunderte lang die Probe der Zeit und des Gebrauchs ausgehalten haben. Er ist der festen Meinung, daß es »moralisch unmöglich« sei, daß irgend etwas England, so lange es sich selbst treu bleibe, erschüttern könne; und er weiß viel über die Nationalschuld zu sagen, von der er auf irgend eine Art beweist, daß sie ein großes National-Bollwerk und ein mächtiger Segen sei. Er brachte den größern Theil seines Lebens in der Umgegend von Klein-Britanien zu, bis auf die letzten Jahre, wo er, nachdem er reich geworden und zu der Würde eines Sonntags-Rohres gelangt ist, sich ein Vergnügen zu machen und die Welt zu besehen anfängt. Er hat deßwegen mehrere Ausflüge nach Hampstead, Highgate und anderen benachbarten Städten gemacht, wo er ganze Nachmittage damit zubrachte, daß er durch ein Fernrohr auf die Hauptstadt zurück sah und sich bemühte, den Thurm von St. Bartholomäus zu erspähen. Kein Landkutschenfuhrmann aus der Bull- und Mouth-Street kömmt vorüber, der nicht an den Hut greift; denn er wird als eine Art von Beschützer des Landkutschenbureau's zur Gans und Rost, auf St. Paul's Kirchhofe, angesehen. Seine Familie hat sehr in ihn gedrungen, eine Fahrt nach Margate zu machen, allein er setzt große Zweifel in diese neue Spielwerke, die Dampfboote, und meint, er sei in der That in Jahren zu sehr vorgeschritten, um noch Seereisen zu machen.

Klein-Britanien hat zuweilen auch seine Factionen und Spaltungen, und der Parteigeist zeigte sich einmal sehr lebendig, als zwei Begräbnißgesellschaften hier errichtet wurden. Die eine hielt ihre Versammlungen im Schwan und Hufeisen, und wurde von dem Käsehändler begünstigt; die andere im Hahn und der Krone, unter dem Schutze des Apothekers; es ist unnöthig, zu sagen, daß die letztere die blühendste war. Ich bin einen oder zwei Abende in beiden gewesen, habe sehr schätzbare Belehrungen über die beste Art, sich begraben zu lassen, den verhältnißmäßigen Werth der Kirchhöfe, so wie auch mehrere Nachweisungen über die eisernen Patentsärge erhalten. Ich habe die Frage über die Gesetzlichkeit des Verbots der letzteren, ihrer Dauer wegen, nach allen Seiten erörtern gehört. Glücklicherweise haben die Streitigkeiten, zu welchen diese Gesellschaften Anlaß gegeben, kürzlich aufgehört; aber sie waren lange Zeit Hauptgegenstände des Streites, da die Bewohner von Klein-Britanien sehr auf die den Leichen zu erweisenden Ehren, und auf ein behagliches Liegen in ihren Gräbern halten.

Außer diesen zwei Sterbegesellschaften gibt es noch eine dritte von ganz verschiedener Art, welche dahin abzweckt, den Sonnenschein der guten Laune über die ganze Nachbarschaft zu verbreiten. Sie versammelt sich wöchentlich einmal in einem kleinen altfränkischen Hause, das ein lustiger Schenkwirth, Namens Wagstaff, hält, und welches einen glänzenden halben Mond, mit einer sehr verführerischen Weintraube darunter, zum Zeichen hat. Das ganze Gebäude ist mit Inschriften bedeckt, um das Auge des durstigen Wanderers anzuziehen, wie »Truman, Hanbury und Comp. Ganzbier,« – »Wein-, Rum- und Branntweinladen,« – »alter Tom, Rum und Liqueure« u. s. w. Dieß ist in der That seit undenklichen Zeiten ein Tempel des Bacchus und des Momus gewesen. Es ist immer in der Familie der Wagstaff's geblieben, so daß der jetzige Wirth dessen Geschichte ziemlich aufbewahrt hat. Es wurde von den vornehmen Herren und Cavalieren unter der Regierung der Königin Elisabeth häufig besucht, und die Witzlinge aus Karl's des Zweiten Tagen blickten dann und wann hinein. Worauf sich aber Wagstaff am meisten einbildet, ist, daß Heinrich der Achte, bei einer seiner nächtlichen Streifereien, einem seiner Vorfahren mit seinem berühmten Spazierstocke den Kopf zerschlagen hat. Dieß wird indeß als eine etwas zweifelhafte und eitele Prahlerei des Wirths angesehen.

Der Club, welcher jetzt seine wöchentlichen Versammlungen hier hält, führt den Namen der »brüllenden Bursche von Klein-Britanien.« Sie wissen eine Menge alter Lieder und Sänge und treffliche Geschichten, welche an diesem Orte von einem Geschlecht auf das andere übergegangen sind, und die man in keinem andern Theile der Hauptstadt findet. Hier ist ein toller Leichencommissarius, der unnachahmlich in lustigen Liedern ist; aber die Seele des Clubs und, in der That, der erste Witzbold in Klein-Britanien ist der lustige Wagstaff selbst. Seine Vorfahren waren alle lose Schelme gewesen, und er hat mit dem Wirthshause eine Menge von Liedern und Späßen geerbt, welche als Erbstücke mit demselben von Geschlecht zu Geschlecht gehen. Er ist ein lebendiger kleiner Kerl mit krummen Beinen und einem runden Bauche, einem rothen Gesichte mit einem feuchten, listigen Auge, und einem kleinen Schopfe grauen Haares hinten. Bei der Eröffnung einer jeden Clubversammlung wird er hereingerufen, um sein »Glaubensbekenntniß« zu singen, oder das berühmte alte Trinklied auf Base Gurton's Nadel. Er singt es allerdings mit mancherlei Abänderungen, wie er es von seinem Vater gehört hat; denn es ist, seitdem es geschrieben worden, ein Lieblingslied im Halb-Mond und Trauben gewesen; ja er behauptet, daß seine Vorfahren oft die Ehre gehabt hätten es bei Weihnachts-Mummereien vor dem Adel und dem hohen Publikum zu singen, als Klein-Britanien noch in all seiner Glorie war.Da das Glaubensbekenntniß eines Wirthes vom Halbmonde dem größern Theile meiner Leser unbekannt sein mag und man es für eine Probe des ganzen Liederkreises von Klein-Britanien ansehen kann, so füge ich es hier bei. Ich muß bemerken, daß der ganze Club immer mit einem furchtbaren Klopfen auf den Tisch und dem Geklapper der zinnernen Kannen in den Chor einstimmt.

Ein klein Gericht, sonst ess' ich nicht,
    Mein Magen ist nicht gut,
Doch gilt's Trinken, werd' ich nicht sinken,
    Wie groß auch einer thut.
Geh' ich gleich bloß, acht' ich's nicht groß,
    Ich bin ja nimmer kalt,
Ich stopf' den Bauch, wie einen Schlauch
    Mit Ale, das gut und alt.
Chorus. Ripp' und Rück, geht bloß, geht bloß,
    Fuß und Hand seid kalt,
Doch dir, Bauch, send' Gott Ale genug,
    Sei's jung nun oder alt.
Braten thut Noth, nicht geröstet Brod,
    Und 'n Apfel in der Asche,
Für alle Noth ist 'n Bissen Brod,
    Viel hab' ich nie in der Tasche.
Kein Frost. kein Schnee, kein Sturmwind je
    Berührt mich mit Gewalt,
Denn mich hüllt ein, mich wärmet sein
    Das Ale, das gut und alt.
Chorus. Ripp' und Rück, u. s. w.
Das Weibchen mein, schenkt gern sich ein.
    Läßt Ale sich nicht verdrießen,
Zum Krug sie geht, bis ihr wohl seht
    Vom Aug' ihr Thränen fließen.
Mir beut sie dann den Krug auch an,
    Wie ein ächter Trinker thut,
Und sagt, mein Schatz, hier ist der Satz
    Vom Ale, das alt und gut.
Chorus. Ripp' und Rück, u. s. w.
So laßt sie trinken, bis sie nicken und sinken,
    Wie Bursche gut und froh,
Sie missen nicht des Glückes Licht,
    Gut Ale macht's den Leuten so.
Die armen Seelen, die die Krüge nicht zählen,
    Der Himmel wohl erhalt',
Er schirm' ihr Leben, ihre Weiber daneben,
    Sei'n sie nun jung oder alt.
Chorus. Ripp' und Rück, u. s. w.

Es würde dem Herzen wohlthun, an einem Clubabend das Freudengeschrei, die Bruchstücke von Liedern, und dann und wann den lauten Chor eines halben Dutzends mißtönender Stimmen zu hören, welche aus diesem lustigen Haufe erschallen. Zu solcher Zeit ist die Straße mit Zuhörern gefüllt, denen dieß eben so viel Vergnügen macht, als ob sie in einen Conditorladen guckten, oder die Dämpfe aus einer Garküche einathmeten.

Es gibt zwei jährlich wiederkehrende Ereignisse, welche in Klein-Britanien große Bewegung und Aufsehen machen; dieß sind der St. Bartholomäus Markt und der Lord Mayor's Tag. Während der Dauer des Marktes, welcher in der benachbarten Gegend von Smithfield gehalten wird, ist nichts da als Geklatsch und Umherschlendern. Die früher ruhigen Straßen von Klein-Britanien sind nun mit einer Menge von fremden Gestalten und Gesichtern bedeckt; jedes Wirthshaus ist ein Schauplatz von Getümmel und Schwelgerei. Morgens, Abends und Nachts hört man Fiedeln und Gesang aus dem Schenkzimmer, und an allen Fenstern sieht man einige Gruppen lustiger Gesellen mit halbgeschlossenen Augen, den Hut auf der einen Seite, die Pfeife im Munde, den Krug in der Hand, tändelnd und plaudernd und leichtfertige Lieder bei ihrem Getränk singend. Selbst die besonnene Zucht und Sitte häuslicher Familien, welche, wie ich sagen muß, zu anderen Zeiten von meinen Nachbarn sehr strenge beobachtet wird, hält gegen diese Saturnalien nicht Stich. Da ist an kein Zuhaushalten der Dienstmädchen zu denken. Sie sind durchaus toll geworden von dem Harlekin und dem Puppenspiel, den fliegenden Pferden, Signor Polito, dem Feuerfresser, dem berühmten Herrn Paap und dem irischen Riesen. Auch die Kinder vergeuden all ihr Festtagsgeld für Spielzeug und vergoldeten Pfefferkuchen, und erfüllen das Haus mit dem Lilliputschen Lärm von Trommeln, Trompeten und Pfenningspfeifen.

Der Lord Mayors Tag ist indessen das große Jahresfest. Der Lord Mayor wird von den Bewohnern von Klein-Britanien für den größten Machthaber auf Erden, seine vergoldete Kutsche mit sechs Pferden als der Gipfel alles menschlichen Glanzes, und sein Zug, mit allen Sheriffs und Aldermen in seinem Gefolge, als die größte aller irdischen Festlichkeiten angesehen. Wie frohlocken sie bei dem Gedanken, daß der König selbst nicht in die City kommen darf, ohne erst an das Thor von Temple-Bar zu klopfen, und den Lord-Mayor um Erlaubniß zu bitten; denn, wenn er es thäte, Himmel und Erde! wer weiß, was das für Folgen haben würde! Der Mann in voller Rüstung, welcher vor dem Lord-Mayor herreitet und der City-Kämpe ist, hat gemessenen Befehl, Jeden niederzuhauen, der sich gegen die Würde der City vergeht; und dann ist der kleine Mann da mit der sammetnen Suppenschüssel auf dem Kopfe, der an dem Fenster der Staatskutsche sitzt, und das City-Schwerdt hält, so lang wie eine Lanzenstange, – Gott's Blut! Wenn er einmal dieses Schwerdt zieht, so ist die Majestät selbst nicht mehr sicher!

Unter dem Schutze dieses gewaltigen Machthabers schlafen demnach die guten Leute von Klein-Britanien in Frieden. Temple-Bar ist eine sichere Schutzwehr gegen alle Feinde im Lande; und was Einfälle von Außen betrifft, so braucht der Lord-Mayor sich nur in den Tower zu werfen, die Stadtmiliz zusammen zu rufen, und das stehende Heer der Beefeaters unter Waffen zu stellen, und er kann der Welt Trotz bieten!

Klein-Britanien hat dergestalt, in seine eigenen Geschäfte, seine Gebräuche und Meinungen eingehüllt, lange als das gesunde Herz dieser großen schwammigen Hauptstadt geblüht. Ich selbst gefiel mir, es als einen auserkorenen Fleck zu betrachten, wo die Grundsätze eines mannhaften John-Bullismus, wie Saatkörner, aufgespeichert geblieben sind, um den Volkscharakter wieder zu verjüngen, wenn derselbe in Verderb und Entartung versunken wäre. So habe ich mich auch des allgemeinen Geistes der Eintracht gefreut, welcher überall herrschte; denn obgleich dann und wann einige wenige widersprechende Meinungen zwischen den Anhängern des Käsehändlers und denen des Apothekers zur Sprache gekommen sind, oder sich ein gelegentlicher Zwist zwischen den Sterbegesellschaften entspann, so waren dieß doch nur vorübergehende Wolken, welche bald verschwanden. Die Nachbarn kamen freundlich zusammen, schüttelten sich bei dem Abschiede die Hände, und sagten von ihren Freunden und Nachbarn immer nur hinter ihrem Rücken Böses.

Ich könnte schöne Beschreibungen von hübschen Schmäusen liefern, wobei ich gegenwärtig gewesen bin, und wo wir »Alle-Bier,« »Päbstin Johanna,« »Tom komm und kitzle mich,« und andere herrliche alte Spiele spielten, und zuweilen einen guten englischen Contretanz, nach der Melodie von »Sir Roger de Coverley« tanzten. Einmal im Jahre pflegten auch die Nachbarn zusammen eine Landpartie nach dem Forst von Epping zu machen. Das Herz eines Jeden würde gelacht haben, hätte er gesehen, wie wir da auf dem Grase unter den Bäumen unser festliches Mahl einnahmen; wie wir den Wald von dem Gelächter über die Lieder wiederhallen machten, welche der kleine Wagstaff und der lustige Leichencommissarius saugen! Nach dem Essen pflegten die jungen Leute Blindekuh und Versteckens zu spielen, und es war höchst belustigend, zu sehen, wie sie sich in den wilden Rosengebüschen verwickelten, und zu hören, wie zuweilen ein hübsches, lustiges Mädchen aus dem Gebüsch hervorkreischte. Die älteren Leute pflegten sich um den Käsekrämer und den Apotheker zu versammeln, um diese von Politik reden zu hören; denn sie brachten gewöhnlich in ihren Taschen eine Zeitung mit heraus, um sich aus dem Lande die Zeit zu vertreiben. Dann und wann wurden sie etwas hitzig bei ihrem Streit; allein ihre Zwistigkeiten wurden immer durch einen schiedsrichterlichen Ausspruch eines würdigen alten Parasolmachers, mit doppeltem Kinn, geschlichtet, der selten genau begriff, wovon die Rede war, und deßwegen immer auf eine oder die andere Weise zu Gunsten Beider zu entscheiden suchte.

Alle Reiche sind indessen, wie irgend ein Philosoph oder Geschichtschreiber sagt, Veränderungen und Umwälzungen unterworfen. Luxus und Neuerungssucht schleichen sich ein; Parteien entstehen; und Familien erheben sich dann und wann, deren Ehrgeiz und Ränke das ganze System in Verwirrung bringen. So ist in der letzten Zeit die Ruhe von Klein-Britanien gewaltig gestört, und seine goldene Sitteneinfachheit durch die hochstrebende Familie eines Schlächters, der sich zur Ruhe gesetzt hat, mit gänzlichem Verfall bedroht worden.

Die Familie Lamm hatte seit langer Zeit zu den bedeutendsten und beliebtesten in der ganzen Gegend gehört; die Misses Lamm waren die Schönen von Klein-Britanien, und Jedermann war darüber erfreut, als der alte Lamm Geld genug erworben hatte, und seinen Laden schließen, und seinen Namen auf eine Messingplatte an seine Thür anschlagen konnte. Zu einer bösen Stunde hatte es sich indessen gefügt, daß eine von den Misses Lamm die Ehre hatte, als Ehrendame der Lady Mayores auf deren großem jährlichen Ball zu sein, bei welcher Gelegenheit sie drei hochwallende Straußfedern auf dem Kopfe getragen hatte. Das vergaß die Familie nie; die jungen Misses begannen sogleich Gefallen am vornehmen Leben zu finden, schaffte einen Einspänner an, setzte dem Laufjungen ein Stück goldene Tresse um den Hut, und war seitdem in der ganzen Nachbarschaft ein Gegenstand des Geredes und der Verachtung geworden. Man konnte sie nicht mehr dazu bewegen, Päbstin Johanna oder Blindekuh zu spielen; sie konnte keine Tänze, als Quadrillen, leiden, wovon kein Mensch in Klein-Britanien je etwas gehört hatte; fing an Romane zu lesen, schlecht Französisch zu reden, und das Pianoforte zu spielen. Auch ihr Bruder, der bei einem Advokaten in der Lehre war, wurde ein Stutzer und Recensent, Charaktere, die man hier zu Lande gar nicht gekannt hatte; er machte die ehrlichen Leute bald ganz verwirrt mit seinen Reden von Kean, der Oper und dem Edinburger Review.

Was aber noch schlimmer war, die Lammes gaben einen großen Ball, zu welchem sie nicht einen einzigen von ihren alten Nachbarn einluden; sondern eine große Menge von Leuten von Ton aus Theobald's Road, Red Lion Square und anderen Gegenden gegen das Westende hin. Es waren mehrere junge Modemänner von ihres Bruders Bekanntschaft aus Gray's Inn Lane und Hatton Garden da, und nicht weniger als drei Aldermann's Frauen mit ihren Töchtern. Das konnte nicht vergessen noch vergeben werden. Ganz Klein-Britanien war in Aufruhr über das Knallen der Peitschen, das Schlagen der elenden Pferde, und das Rasseln und Klappern der Fiacker. Die Klatschschwestern aus der Nachbarschaft steckten ihre Nachtmützen aus allen Fenstern heraus und beobachteten die gebrechlichen Fuhrwerke, wie sie vorbeirumpelten; und ein Haufe zorniger alter Gevatterinnen guckte aus einem Hause, das dem des ehemaligen Schlächters gerade gegenüber lag, und bemäkelte und beurtheilte Jeden, der an die Thür pochte.

Dieser Ball gab beinahe zu einem offenen Kriege Anlaß, und die ganze Nachbarschaft erklärte, daß sie nichts mehr mit den Lammen zu thun haben wolle. Es ist wahr, daß Mrs. Lamm, wenn sie keine Einladung bei ihren vornehmen Bekannten hatte, noch einigen ihrer alten Gevatterinnen kleine Hausthees gab, und zwar »ganz freundschaftlich,« wie sie zu sagen pflegte; auch ist es eben so wahr, daß ihre Einladungen immer angenommen wurden, obgleich man vorher sich zum Gegentheil verschworen hatte. Ja, die guten Damen saßen da, ergötzten sich an der Musik, welche die Misses Lamm machten, die sich dann wohl herabließen, ihnen ein irisches Lied aus dem Piano vorzutrommeln; und sie hörten mit bewunderungswürdiger Theilnahme Mrs. Lamm's Anecdoten von Alderman Plunket's Familie aus Portfokenward und von den Misses Timberlake, den reichen Erbinnen aus Crutched Friars an; erleichterten aber nachher ihr Gewissen, und wandten die Vorwürfe ihrer Verbündeten dadurch ab, daß sie bei der nächsten Klatschversammlung Alles erzählten, was vorgegangen war, und die Lammes und ihre Gesellschaft ganz zersetzten.

Der Einzige aus der Familie, der nicht modisch gemacht werden konnte, war der ehemalige Schlächter selbst. Der ehrliche Lamm war, ungeachtet seines sanften Namens, ein rauher, derber, alter Bursche, mit einer Löwenstimme, einen Schopf schwarzen Haars wie eine Schuhbürste, und einem breiten Gesichte, das so gesprenkelt wie sein Rindsfleisch war. Vergebens sprachen die Töchter von ihm als »dem alten Herrn;« redeten ihn, mit unendlich sanftem Tone, als »Papa« an, und bemühten sich, ihn in Schlafrock und Pantoffeln und andere vornehme Sitten hineinzuzwängen. Sie mochten thun was sie wollten, der alte Schlächter war doch nicht auszutreiben. Seine kräftige Natur setzte sich über alle ihre Glossen hinweg. Er hatte einen derben gemeinen Humor, der unbesiegbar war. Seine Späße zwangen seinen empfindsamen Töchtern einen Schauder ab, und er bestand darauf, des Morgens seinen Rock von blauem Baumwollenzeuge zu tragen, um zwei Uhr zu Mittag zu essen, und »ein Stückchen Wurst zum Thee zu haben.«

Dennoch war er verdammt, die allgemeine Ungnade seiner Familie zu theilen. Er fand, daß seine alten Cameraden allmählig kalt und abgemessen gegen ihn wurden, nicht mehr über seine Späße lachten, und dann und wann ein Wort über »dergleichen Leute,« und einen Wink über »Vornehmthun« fallen ließen. Dieß ärgerte und kränkte zugleich den ehrlichen Schlächter, und seine Frau und Töchter benutzten, der feinen Politik des listigen Geschlechts gemäß, diesen Umstand, und bewogen ihn am Ende, seine Nachmittagspfeife und seinen Krug bei Wagstaff aufzugeben, nach Tisch zu Hause zu sitzen, seine Pinte Portwein zu trinken – ein Getränk, das er verabscheut – und in seinem Armstuhl in einsamer und trauriger Vornehmheit zu nicken.

Die Misses Lamm sah man nun in französischen Hauben mit unbekannten jungen Modemännern auf den Straßen umherflattern, und so laut sprechen und lachen, daß es den Nerven jeder ehrlichen Frau, die es hörte, weh that. Ja, sie gingen sogar so weit, Jemanden zu protegiren, und veranlaßten einen französischen Tanzmeister, sich in der Nachbarschaft niederzulassen; allein die würdigen Bewohner von Klein-Britanien fingen Feuer darüber, und verfolgten den armen Gallier so, daß er Fiedel und Tanzschuhe zusammenpacken mußte, und sich in solcher Hast davon machte, daß er schlechtweg vergaß, die Miethe für seine Wohnung zu bezahlen.

Ich hatte mir im Anfang mit dem Gedanken geschmeichelt, daß all dieser feurige Unwille von Seiten des Gemeinwesens nur ein Uebermaß seines Eifers für die Aufrechthaltung guter alter englischer Sitte und seines Abscheues gegen alle Neuerungen sei; und ich gab der schweigenden Verachtung, welche sie so heftig gegen den Stolz von Emporkömmlingen, gegen französische Mode und gegen die Misses Lamm aussprachen, Beifall. Aber es thut mir leid, sagen zu müssen, daß die Krankheit sich festgesetzt hatte, und daß meine Nachbarn, nachdem sie jenes Beispiel geschmäht, es nachzuahmen anfingen. Ich belauschte meine Wirthin, wie sie ihren Mann bestürmte, die Töchter nur ein Vierteljahr lang Französisch und Musik lernen zu lassen, und ihnen zu erlauben, einige wenige Tanzstunden zu nehmen, um Quadrillen tanzen zu lernen. Ich sah sogar, einige Sonntage darauf, nicht weniger als fünf französische Hauben, genau wie die der Misses Lamm, in Klein-Britanien paradiren.

Ich hatte noch Hoffnung, daß all diese Thorheiten sich nach und nach verlieren, daß die Lammes aus der Gegend wegziehen, sterben oder mit Advokatenschreibern durchgehen würden, und daß die Ruhe und Einfalt in das Gemeinwesen wieder zurückkehren würde. Aber unglücklicherweise entstand eine nebenbuhlerische Macht. Ein reicher Oelhändler starb, und hinterließ eine Wittwe mit einem großen Wittwenthum und eine Familie von mehreren wackern Töchtern. Die jungen Damen hatten schon lange sich insgeheim über die Sparsamkeit ihres klugen Vaters geärgert, welche ihr ganzes elegantes Aufstreben niederhielt. Ihr Ehrgeiz, der nun kein Hinderniß mehr hatte, brach in eine Flamme aus, und sie standen öffentlich gegen die Familie des Schlächters auf. Es ist wahr, die Lammes, da sie zuerst angefangen, hatten auch einen Vorsprung vor ihnen auf der Modelaufbahn. Sie konnten ein wenig schlechtes Französisch reden, das Piano spielen, Quadrillen tanzen und hatten vornehme Bekanntschaften; aber die Trotters ließen sich davon nicht abschrecken. Wenn die Lammes mit zwei Federn auf ihren Hüten erschienen, so steckten die Misses Trotter vier auf, und von doppelt so schöner Farbe. Wenn die Lammes einen Ball gaben, so blieben die Trotters nicht zurück; und wenn sie gleich nicht so ausgesuchte Gesellschaft hatten, so war sie doch doppelt so zahlreich und noch einmal so lustig.

Das ganze Gemeinwesen hat sich endlich, unter den Fahnen dieser beiden Familien, in zwei Modeparteien getheilt. Die alten Spiele von der Päbstin Johanna, und Tom komm und kitzle mich, sind ganz abgekommen; an einen ehrlichen Contretanz ist gar nicht mehr zu denken; und als ich es wagte, am vergangenen Weihnachtsfeste eine junge Dame unter der Mistel zu küssen, ward ich mit Unwillen zurückgewiesen, da die Misses Lamm erklärt hatten, das sei »gräulich gemein.« So ist auch ein bitterer Streit ausgebrochen, welches der modernste Theil von Klein-Britanien sei. Die Lammes erhoben sich für Cross-Keys Square, und die Trotter für die Gegend von St. Bartholomäus.

So wird dieses kleine Gebiet von Parteiungen und innerem Zwiespalt zerrissen, wie das große Reich, dessen Namen es trägt, und zu bestimmen, was das Ende davon sein wird, würde selbst den Apotheker, ungeachtet seines großen Talents für Voraussagungen, in Verlegenheit setzen. Ich fühle indessen, daß sich alles mit dem gänzlichen Untergange des ächten John-Bullismus schließen wird.

Die unmittelbaren Wirkungen dieses Zwiespalts sind für mich überaus unangenehm. Da ich ein einzelner Mann, und, wie ich schon vorher bemerkt habe, ein etwas müßiger, zu-nichts-guter Mensch bin, so hat man mich immer für den einzigen Gentleman von Profession in der Gegend angesehen. Ich stehe daher bei beiden Parteien in großer Gunst, und muß ihren Cabinets-Berathungen und ihren gegenseitigen Rückenbissen zuhören. Da ich zu höflich bin, um nicht bei allen Gelegenheiten der Meinung der Damen zu sein, so habe ich mich dadurch, daß ich immer auf die Gegner schmähe, bei beiden Parteien ganz heillos compromittirt. Mit meinem Gewissen, das ein sehr gefügiges ist, könnte ich mich darüber wohl noch abfinden; aber meine Besorgniß läßt mir keine Ruhe – wenn die Lamme und Trotter zu einer Vereinigung und offenen Erklärung kommen, so bin ich zu Grunde gerichtet.

Ich habe mich daher entschlossen, noch zu guter Zeit meinen Rückzug anzutreten, und sehe mich eben nach einem andern Neste in dieser großen Stadt um; nach einem Orte, wo die alten englischen Sitten noch beobachtet werden, wo man weder französisch ißt, trinkt, tanzt noch redet, und wo es keine Modefamilien von Handwerkern, die sich zur Ruhe gesetzt haben, gibt. Sobald ich ein solches gefunden habe, will ich, wie eine ergraute Ratte, wegeilen, ehe mir das alte Haus auf die Ohren fällt, meinem gegenwärtigen Wohnorte ein langes, obwohl wehmüthiges Lebewohl sagen, und es den beiden Parteien der Lamme und Trotter überlassen, sich in das zerrissene Reich von Klein-Britanien zu theilen.


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