Karl Immermann
Preußische Jugend zur Zeit Napoleons
Karl Immermann

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12. Kapitel.

Preußens Erhebung.

Preußens Fall nach der thüringischen DoppelschlachtAm 14. Oktober 1806 wurde gleichzeitig zwischen Jena, Apolda und Weimar und etwas nördlich bei Auerstädt gekämpft. Die Schlacht heißt deshalb oft die bei Jena und Auerstädt. wird, solange es eine Geschichte gibt, zu ihren furchtbarsten und warnendsten Ereignissen gezählt bleiben. Am vierzehnten Oktober kämpfen die Heere im Herzen Deutschlands, einen Monat später suchen ihre Reste, hundert Meilen rückwärts, sich an der Warthe und Weichsel im Felde zu erhalten. Acht Tage liegen zwischen einem Glanze, dessen Trüglichkeit nur von wenigen Tieferblickenden erkannt war, und einer Finsternis, durch welche auch nur für die stärksten Gemüter noch ein ferner Lichtschimmer leuchtet.

Man hat in den damaligen Zeiten, wo Leidenschaft oder böser Sinn in den Wunden der zerfleischten Mutter zu wühlen liebte, hin und wieder gesagt, der unglückliche Staat sei den Leichen in manchen Gewölben zu vergleichen gewesen, welche, die äußere Form und Gestalt bewahrend, doch bei der ersten Berührung in Staub zerfallen. Nichts kann unrichtiger sein. Ein verwestes Reich besinnt sich nicht, wie Preußen tat, unmittelbar nach dem entsetzlichen Sturz auf gewaltige Lebenskräfte: ein heruntergekommenes und abgenutztes Volk würde etwas mehr als sechs Jahre bedurft haben, um von dem Zustande der Entkräftung zu dem Mute zu genesen, mit welchem der Schild erhoben wurde, als die Stunde gekommen war. Nein! Ein in seinem Kerne eigentlich gesunder und starker Staat fiel – fiel dennoch mit unglaublicher Schnelligkeit!

Hier gibt uns der Geist der Geschichte eine praktischere Lehre, als welche aus dem Gleichnisse von erhaltenen Leichen zu ziehen sein möchte. Denn daß Staaten und Völker im Laufe der Zeiten nach und nach altern und dadurch aus der Reihe selbständiger Existenzen verschwinden mögen, ist ein gemeines Schicksal, zu dessen Abwendung sich noch kein Mittel hat entdecken lassen. Aber daß es diesen großen, zusammengesetzten Wesen ebenso ergehen kann, wie einem einzelnen Menschen, der in aller Kraft daniederzuwerfen ist, wenn er sich Arme und Füße band oder sein Auge verhüllte oder auf schlüpfrigen, abschüssigen Grund trat, darin liegt eine Erfahrung, deren Wiederkehr zu vermeiden in unseren Kräften steht.

Wie auch Not, Elend und Trübsal sich von allen Seiten damals auftürmten, dennoch wurde die preußische Ehre aufrecht erhalten. Blücher kapituliert erst, als ihm Pulver und Nahrung für Mann und Roß ausgegangen ist; Lestocq entscheidet die Schlacht bei Eylau; Courbière antwortet, als der Parlamentär ihm vorstellig macht, der König habe seine Staaten verlassen: »Dann bin ich König von Graudenz.«Dies Wort wird bis zum heutigen Tage fälschlich zitiert. Courbière erwiderte auf das Wort des Franzosen, es gebe keinen König von Preußen mehr, nicht: »Dann bin ich König von Graudenz«, sondern: »So gibt es doch noch einen König von Graudenz«, womit er König Friedrich Wilhelm den Dritten meinte.

Schill entwickelt in seiner beweglichen Schar an der Ostsee die ganze unabschwächbare Elastizität, welche von jeher die beste Ausstattung unsres Reichs war; hinter Kolbergs Mauern taucht Gneisenau auf; Nettelbeck endlich zeigt vorbildlich, was der freie Bürgersinn vermöge, wenn man ihm zu schaffen gibt.

Der Friede zerreißt das Land: der Feind bleibt im Lande! Lasten von untragbarem Gewicht sollen jede Hoffnung dereinstigen Auferstehens daniederhalten.

Wenn sonst ein Krieg unter den Nationen der europäischen Christenheit auch durch entschieden unglücklichen Ausgang für die eine zum Abschluß kam, so pflegte nach dem Frieden dem Besiegten der Schirm der Verträge und die Stütze des Völkerrechts zu werden. In unserm Falle aber hat sich der Überwinder ein Andres ausgesonnen. Preußen ist ihm nichts als eine Beute, als ein blutiger Fetzen, den er mit dem Fuße im Staube hin und her stößt, wie es seinem Übermute gefällt.

Der Mann, von dem ich rede, gehört der Geschichte an, und nur die Sage kennt das Wunder und das Ungeheuer. Die Geschichte weiß allein von Menschen und von der Macht der Umstände. Auch Jener war ein Mensch, aus Gut und Böse gemischt und weit mehr von der Macht übergewaltiger Umstände zu maßlosen Taten entboten, als dieser Macht selbst gebietend. Das aber muß gesagt werden, daß er unser Vaterland und alle Empfindungen, die ein edler Sieger zu schonen pflegt, mit einer Grausamkeit behandelte, welche jemals zu vergessen allem richtigen Selbstgefühle widersprechen würde. Er bleibe uns daher in Gutem und Bösem erinnerlich. Wir wollen seine Großtaten von der Brücke bei Lodi bis zu den Schanzen an der Moskwa und die Kraft, mit welcher er Frankreich im Innern auferbaute, im Gedächtnis behalten, aber daneben wollen wir uns auch an die Schmähungen auf die Königin, an die Beleidigungen bei dem Vertrage von Tilsit, an die Besetzung der Oderfestungen, an die Kontribution von einhundert Millionen Talern und an den Raub der polnischen KapitalienDie Polen erhofften von Napoleon Wiederherstellung ihres Königreichs; er bildete auch im Frieden zu Tilsit ein »Großherzogtum Warschau« und machte den König von Sachsen, der schon oben wiederholt erwähnt ist, zum erblichen Großherzog. Aber der neue Staat mußte ihm sogleich für 20 Millionen Franken Nationalgüter zu Schenkungen an seine Feldherrn abtreten und wurde auch sonst wie eine eroberte französische Provinz behandelt. erinnern.

Und noch an ein Zweites werden wir uns zu erinnern haben. Der Sohn und Held der Revolution stellte in diesen Unbilden, soweit sie nicht seinem rachsüchtigen Ingrimme entsprangen, doch nur den Egoismus und Stolz des Volkes, welches seit lange für das erste gelten zu wollen sich angewöhnt hatte, im größten Maßstabe dar. Diese Eigenschaften aber gehören, wenn wir nicht oberflächlichen Reden, sondern unsern gesunden Augen und Ohren glauben, noch keineswegs der Geschichte, vielmehr der lebendigen und gegenwärtigen Wirklichkeit an.

Indem der Eroberer alle Rettungsmittel abschneidet, hat er nur eins übersehen, zum Glück ist es das sicherste: die Kraft großer sittlicher Entschlüsse. Der König umgibt sich mit Räten, würdig des Vertrauens, welches der reine Wille der Majestät in sie gesetzt hat, und gewachsen jener äußersten Krisis des Staats. Es beginnt nun etwas, was, in solcher Ausdehnung unter solchen Schwierigkeiten gelungen, ohne Beispiel sein möchte. Einem geschlagenen Heere wird ein würdiges Bewußtsein eingehaucht; die Ausländer verschwinden; der Gedanke der Landesbewaffnung kommt auf, und weil nur Vierzigtausend unter den Waffen stehen sollen, so wandern nach und nach, indem man immerfort entläßt und aushebt, Hunderttausend in Bauer- und Bürgerröcken umher. Das Eigentum wird in die fleißige Hand gegeben, die morschgewordene Fessel der Zünfte gesprengt, dagegen dem wichtigsten Herde des neueren Lebens, der Stadt, zeitgemäße Gestalt und Gliederung zugeteilt. In die Ämter kommt der Tüchtigste, sei er so oder so geboren. Fichte hält mitten unter den Gewalthabern in Berlin seine Reden an die deutsche Nation. Und damit der Patriot die letzte Versicherung erhalte, daß die Regierung die Wiedergeburt des Staats in der unsterblichen Region des Geistes vollenden wolle und gewissermaßen den Schlußstein des Baus damit empfange, so ersteht unter Finanz- und Verwaltungsnöten aller Art auf dem zitternden, dampfenden Boden die neue HochschuleDie Universität Berlin wurde 1810 begründet. in der Hauptstadt.

Alles dieses vollbringt sich vor dem Antlitz des Feindes, während seine Heersäulen das Land durchziehen und Schwärme von Kundschaftern bestellt sind, jeder bedenklichen Regung aufzulauern. Sie sehen den »Tugendbund«Eine dem Könige und den obersten Staatsbeamten bekannte, im übrigen geheime Gesellschaft, die im Frühjahr 1808 in Königsberg entstand und sich rasch über alle preußisch gebliebenen Städte ausdehnte. Der Zweck war die sittliche und politische Erneuerung Preußens als Vorbereitung zur Abwerfung des französischen Jochs. Besonders wirkten seine Mitglieder auf Wiederherstellung der Armee und auf ein besseres Verhältnis zwischen Offizieren und Zivilisten, das bisher recht unfreundlich gewesen war. Im Dezember 1809 mußte der König nach Napoleons Willen den Tugendbund verbieten; die einander bekannt gebliebenen Mitglieder waren jedoch bis zum offenen Kampfe gegen Napoleon dessen Vorbereiter., sie sehen diesen und jenen Verdächtigen, aber sie übersehen das Größte, Verdächtigste!

Welchen Teil an dieser Schöpfung des Schweigens die wirkenden Persönlichkeiten im einzelnen gehabt, wie die inneren Bezüge ihrer Arbeit zu- und aufeinander gewesen, inwiefern der Zufall ihr Schaffen gehemmt oder gefördert, das wahr und erschöpfend darzulegen, ist vielleicht die Stunde noch nicht gekommen; gewiß aber würde meiner Feder jedes nähere Schildern nicht gelingen. Ich nenne also nur die Namen: Stein, Hardenberg, Scharnhorst, Boyen, an welche sich die Ausbeute des erhabenen Werks in ihrer ungeteilten Fülle knüpft.

Die Zeit ist eisern, der goldne Schmuck verschwindet, und eherne Zierraten tragen Frauen und Jungfrauen. Aber wie jeder Einzelne leide und darbe: er sieht, daß sein Monarch in würdevollem Dulden, in opfernder Entsagung Allen das glorreichste Beispiel gibt. Der letzte Schlag, an dem sich diese Tugend bewähren soll, bricht über das Haupt des Königs herein. Die Königin stirbt, als der Überwältiger, nach dem Feldzuge in Österreich auf dem Gipfel seiner Macht stehend, nur noch schlecht verhehlt, daß er die völlige Vernichtung des ihm widerwärtigen Staates sinne.

Endlich war der Zorn des Geschicks versöhnt. In allen den aufgehäuften Brennstoff heißer Wünsche, heftiger Vorsätze, geheimer Zurüstungen, verborgener Vorbereitungen, wagemutiger Bündnisse fiel wie ein zündender Funke die Post von dem ungeheuern Ereignisse in Rußland. Die Wirkung war eine magische; wer die Grenzen kennt, die jeder Darstellung gesetzt sind, fühlt, daß kein Wort den ganzen Gehalt jener Tage wiedergeben kann. Wunderbare Bilder schwebten den Menschen vor, seltsame Träume umspannen sie; die Welt war wie von einem Fieber geschüttelt, aber in den Schauern dieses Fiebers spürte Jeder die Entscheidung des langen Übels. Alles erwachte, regte sich, fühlte die Zuckungen der von Grund aus annahenden Verwandlung. Zwischen den Gewöhnungen des alten Elends und dem Aufsprießen junger Hoffnungen ergaben sich tiefgreifende, schneidende Widersprüche. York, ein Charakter, wenn es je einen gegeben hat, wirft durch die Konvention von TauroggenIn dem Dorfe Poscherun bei Tauroggen (im russischen Gouverment Kowno) schloß Graf York am 30. Dezember 1812 mit dem russischen General Diebitsch eigenmächtig einen Neutralitätsvertrag; damit traten die bisherigen preußischen Hilfstruppen Napoleons auf die Seite seiner Gegner. zuerst den Keim fester Gestaltung in dieses Chaos. Er wird verurteilt, aber schon hat sich die Erwartung der Nation seinem Schritte angeschlossen, und sie berührt der Spruch des Kriegsgerichtes nicht.

Am 3. Februar 1813 sagt der Kanzler im Namen seines Herrn aus, daß der Staat in Gefahr sei, und ruft die Freiwilligen auf. Der Feind wird noch nicht gezeigt, aber Jeder sieht ihn.

Endlich, am 17. März, spricht der König selbst zu seinem Volke. In dieser Anrede, die nie vergessen werden wird, sind die Worte Taten, weil in jedem Worte nur eine Wahrheit laut vom Throne herab verkündet wird, welche Millionen schon seit sechs Jahren sich zugeraunt hatten. Wie wenn die Herstellung eines schönen Heldenbildes beschlossen ward, Meißel und Hammer hinter der bergenden Umhüllung lange daran arbeiteten, endlich aber der Mantel fällt und dem entzückten Volke die verehrte Gestalt neu leuchtend entgegenstrahlt, so fiel am 17. März vor dem Bilde Borussias die Umhüllung zusammen, und hergestellt, frischen Glanzes, erregte es wieder das Staunen und die Freude der Welt.

Schon bei Groß-Görschen bestehen die Freiwilligen mit ihrem Blute die Waffenprobe. Scharnhorst fällt, aber die Saat, die er geheimnisvoll säen helfen, geht über seinem Grabe auf. Macdonald erfährt an der Katzbach, Oudinot bei Groß-Beeren, Ney bei Dennewitz, was die Landwehr sei. In dem grauen Feldmarschall ist der Geist Preußens am gewaltigsten rege, in seinem Verhältnis stehen die Geschicke Preußens gleichsam zutage. Er wetteifert mit dem großen Feinde nicht in dem Elemente, in welchem dieser mit Meisterschaft zu walten weiß, er stellt ihm vielmehr ein ganz neues entgegen, auf welches der Gegner sich nicht versteht und woran zuletzt dessen Zauber alle zerbrechen. Wie man von Napoleon sagen kann, daß seine Kriege eine politische Färbung hatten, und wie in der Politik immer nur der glückliche Erfolg einen Schritt weiter bringt, so läßt sich von Blücher behaupten, daß er den Krieg wieder zu einer Art von persönlichem Zweikampfe im größten Maßstabe zu veredeln wußte. In einem rechten Zweikampfe aber auf Tod und Leben, wie dieser war, tritt nicht eher die Entscheidung ein, als bis der Eine sterbend am Boden liegt oder ihm der Degen aus der Hand geschlagen ist. Wunden und Nachteile in den einzelnen Gängen tun dem Tapfern da nichts an! Charakteristisch wird es bei unsrer Vergleichung, daß der eine Feldherr aus der Artillerie, der berechnetsten und berechnendsten Waffengattung, der andere aus der Reiterei, der ritterlichsten, hervorgegangen war. Wie der Feind durch Überfall, durch Konzentrierung unwiderstehlicher Massen auf einen Punkt zu wirken versteht, so weiß unser Held mit überraschten oder zerstreutlagernden Truppen zu siegen oder den Widersacher zu ermüden oder mindestens die Ehre des Kampfes auszulösen.

Und in einem Zuge ist er unvergleichlich, und dadurch hat er die Feinde am nachhaltigsten in Verwirrung gesetzt: in dem Zuge, daß keine verlorne Schlacht seinen Entschlüssen etwas anhaben konnte. So leistet er denn etwas nie Dagewesenes, nämlich daß er, auch geschlagen, unaufhaltsam immer vorwärts dringt. In der Champagne hart mitgenommen, vor dem Walde von Etoges beinahe aufgerieben, beschließt er, dem Kriege auf eigne Hand in Paris ein Ende zu machen. Er behauptet sich bei Laon und steht wenige Wochen später auf dem Montmartre. Ja, als sollte sich am Ende dieser rühmlichen Bahn ihr Gesetz noch einmal in der glänzendsten Figur verkörpert zeigen: bei Ligny schleudert das verwundete Roß den Dreiundsiebenzigjährigen auf den Boden, er aber erhebt sich von diesem Sturze nur zu dem Siege von Belle-Alliance, jenem Riesen zu vergleichen, der von der Berührung seiner Mutter gedoppelte Kräfte empfingNach der griechischen Göttersage war der Riese Antaios, Sohn des Meergotts Poseidon und der Gaia (Erde), unüberwindlich, weil er von jeder Berührung mit seiner Mutter neue Kraft gewann. Herkules mußte ihn deshalb in der Luft halten, um ihn zu erwürgen. . Uns aber ergreift bei der Betrachtung dieser Heroengestalt die freudige Rührung, welche für den wohlgesinnten Menschen nie ausbleibt, wenn er sieht, wie aus dem Schoße der Natur einmal etwas Ganzes, Großes, Unvermischtes, Urgewaltiges hervorwuchs.

Ist der alte Blücher der erdgeborne Mut, die erfolgbringende Tatkraft, so tritt in einem andern Kreise eine nach außen hin mit solchen Wirkungen nicht vergleichbare, innerlich aber ebenso bedeutende Potenz jenes Kampfes besonders hervor. Die Jugend und Frische des deutschen Gesamtlebens war in seinen zartesten Nerven von der fremden Überziehung angetastet worden. Deutsches Denken, Sinnen und Dichten stand in Gefahr, mit der heimischen Sprache den fremden Lauten und dargeliehenen oder aufgedrungenen Geistesformen weichen zu müssen. Deshalb kämpfte die Blüte der Jugend aus dem Hörsaal, der Kirche, dem Lehrstuhl, der Gerichtshalle so begeistert mit; diese Jugend fühlte, daß das ganze Erbe unsrer großen geistigen Ahnen und die Zukunft des Geistes, welche ihr anheimfallen sollte, auf dem Spiele stehe.

Der Atem dieser Jugend durchdrang erfrischend das Heer; überallhin waren ihre Sprossen gepflanzt, nirgends aber stand der junge grüne Hain so dicht als in der Lützowschen Freischar. Hier war der Student der Nebenmann des jungen Geistlichen; Ärzte, Künstler, Lehrer, Naturforscher, ausgezeichnete, zum Teil schon hochgestellte Beamte von besondrem Schwunge des Wirkens, Gelehrte und Forscher mancher Art waren an die wenigen Kompagnien und Schwadronen verteilt, welche zum Zeichen, daß alle Farben des deutschen Lebens erst wieder aufwachen sollten, das farblose Schwarz trugen. Unsre Sinnes- und Geistesart war gewissermaßen dort in einer gedrängten und übersichtlichen Gruppe nach ihren verschiedensten Formen sichtbar. Ein kühner, freisinniger Führer hielt diese eigenartigen Persönlichkeiten, diese wundersame Genossenschaft unter den schwierigsten Umständen in Sieg und Niederlage zusammen. Ich nenne einige wenige Namen, wie sie mir eben einfallen, und ohne damit andeuten zu wollen, daß sie das Ganze auch nur näherungsweise bezeichnen können; die Namen: Friesen, Graf zu Dohna, Reil, Vietinghoff, Eckstein, Dorow, Beuth, Helmenstreit, Ennemoser, Kruckenberg, Petersdorf, Jahn, Berenhorst, Meckel, Foerster, endlich: Theodor Körner.

Die Freischar war die Poesie des Heers, und so hat sie denn auch den Dichter des Kampfes in ihrem Schoße ausgetragen: Theodor Körner. Von ihm kann man sagen, was Wallenstein von Max sagt:

»Sein Leben liegt faltenlos und leuchtend ausgebreitet.«

Ein schönes, beneidenswertes Leben! Indem er den Kriegerrock anzieht, streift er alles Schwache, Nachgeahmte seiner ersten Versuche ab; er ist ein Andrer geworden. Von Feldwacht zu Feldwacht, von Gefecht zu Gefecht quellen ihm Lieder zu, eigne, unnachgeahmte, unnachahmbare, welche die Nation zu ihren Schätzen stellt. Er dichtet sein Schwertlied, einen der höchsten Laute unsrer Sprache; da werben schon die Trompeten. Er wirft den Stift weg und ergreift die Braut, welche er eben besungen. In der Fülle dieser Wonne, auf dem Gipfel solchen Glücks tritt ihn der Tod an, rasch, ohne daß er sein Antlitz gesehen hat, und die Brüder geben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft. Er fehlt im Siegesheimzuge, aber er ruht, wie er wollte, und lebt im Volk:

»Denn was berauscht die Leier einst gesungen,
das hat des Schwertes freie Tat errungen.«

Sehen wir in ihm die jauchzende Lust des Daseins, so mischt sich unsrem Gefühle eine tragische Stimmung bei, wenn wir noch einen Blick auf die Schar zurückwerfen, von welcher ich vorhin einen bildlichen Ausdruck gebraucht habe. Dieser Ausdruck ist auch nach der trüben Seite zu kein leerer, er hat eine wehmütige Wahrheit. Jene schnellen Reiter, jene munteren Schützen hätten vor Allen die beflügeltsten Züge, die kecksten und vordersten Wagnisse verdient, sie wären es wert gewesen, dem schlesischen Heere streifend den Weg auf den Montmartre zu zeigen. Die Freischar war geboren, Blüchers Auge zu sein. Aber ein eigensinniges Kriegsgeschick, dessen Beschlüsse unbeugsam sind, bindet einen geraumen Teil des Kampfes hindurch den raschen Führer und sein rasches Häuflein an die gemessenen Schritte eines Zaudernden, dessen Rückhalten zwar den vollgültigsten und gerechtesten Staatsgrund für sich hat, Andern aber freilich, welche mit solchen Gründen nichts zu teilen finden, ein bitter-drückendes Gewicht anhängt. Und so klingt in diesem ganzen sonderbaren Verhältnisse der alte Schmerz an, daß die Fürstin des Geisterreiches, die Poesie, wenn sie in das irdische Dasein hinüberschreitet, als gefesselte Königin aufzutreten meistenteils verurteilt ist.

Indessen, was auch unterwegs gehemmt, zerdrückt, von seiner Bestimmung abgelenkt wird, die große Sache des Vaterlandes geht ihren gesegneten Gang und findet in Paris und zum andern Male in Paris die volle Genugtuung. An diesem überschwänglichen Heile löschten alle einzelnen Mißstimmungen aus. Deutschland war eins, sein guter Name hergestellt, und dazu hatte ein Jeder mit Mut, Gut oder Gaben, Rat und Fleiß beigesteuert, ein Jeglicher nach Vermögen. In dem Gefühle dieses allgemeinen Glücks schlossen sich alle Wunden, vor diesem starken Gesamtbewußtsein wichen die Zweifel zurück.


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