Henrik Ibsen
Kaiser und Galiläer
Henrik Ibsen

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Erster Akt

Am Hafen von Konstantinopel. Im Vordergrund rechts eine prächtige Landungsbrücke, mit Teppichen belegt. Auf der Uferhöhe, nahe der Brücke, sieht man einen verhüllten Stein, den eine Wache umgibt. Fern auf dem Bosporus liegt die kaiserliche Flotte, mit Trauerfahnen behängt.

Eine zahllose Menschenmenge in Booten und am Strande. Oben am Ende der Landungsbrücke steht Kaiser Julian, in Purpur und Goldschmuck. Er ist von Hofleuten und hohen Staatsbeamten umgeben. In seiner nächsten Umgebung befinden sich der Kriegsoberst Nevita, der Leibarzt Cäsarios und die Redner Themisteos und Mamertinos.

Julian blickt über das weite Wasser hin. Welche Begegnung! Der tote Kaiser und der lebende! – Daß er seinen letzten Atemzug in so weiter Ferne tun mußte! Daß ich, trotz aller Eile, nicht das süße Glück genießen konnte, meinen Vetter zum letzten Male zu umarmen! Ein bitter Los für uns beide! – – – Wo ist das Leichenschiff?

Nevita. Da kommt es.

Julian. Das lange Boot da?

Nevita. Ja, gnädigster Kaiser!

Julian. Armer Vetter! So groß im Leben – und nun mußt Du Dich begnügen mit so niedrigem Dach! Jetzt wirst Du nicht mit der Stirn wider den Sargdeckel stoßen, Du, der Du das Haupt beugtest, als Du durch Konstantins Torbogen rittest.

Ein Bürger unter den Zuschauern zum Goldschmied Potamon. Wie jung er aussieht, unser neuer Kaiser!

Potamon. Er ist doch ansehnlicher geworden. Als ich ihn zuletzt sah, war er schmächtig und mager; – es mag wohl neun oder zehn Jahr her sein.

Ein anderer Bürger. Ja, er hat große Taten in den Jahren verrichtet!

Eine Frau. Und all die Gefahren, in denen er von Kindheit an geschwebt hat!

Ein Priester. Und wunderbar ist er aus allen gerettet worden – Gottes Schutz ist über ihm!

Potamon. Man erzählt sich, daß er sich in Gallien unter einen Schutz anderer Art begeben hat!

Priester. Lügen, Lügen! Das könnt Ihr glauben.

Julian. Jetzt kommt er. Die Sonne, die ich anrufe, und der große Blitzeschleuderer wissen, daß ich des Konstantios Tod nicht gewünscht habe. Das hat wahrhaftig meinen Gedanken fern gelegen. Ich habe Gebete für sein Leben emporgesendet. – Sag' mir, Cäsarios – Du mußt es doch am besten wissen, – hat man unterwegs dem kaiserlichen Leichnam alle gebührenden Ehren erwiesen?

Cäsarios. Der Leichenzug glich durch ganz Kleinasien dem Zuge eines Siegers. In allen Städten, durch die wir kamen, scharten sich die Gläubigen auf den Straßen. Ganze Nächte hallten die Kirchen wider von Gebet und Gesang; das Dunkel ward zum hellerlichten Tag beim Schein der vielen tausend brennenden Kerzen –

Julian. Gut, gut, gut! – Unsagbare Bangigkeit ergreift mich bei dem Gedanken, nach einem so großen, tugendsamen und heißgeliebten Kaiser die Regierung zu übernehmen. Warum ward es mir nicht vergönnt, in stiller Einsamkeit zu leben!

Mamertinos. Und wer sollte wohl diesem großen schweren Beruf so völlig gewachsen sein, wie Du es bist, Du Unvergleichlicher?! Ich rufe dreist jenen andern zu, die die Kaiserwürde begehrt haben: kommt her und ergreift des Reiches Steuer; aber so, wie Julian es tut. Tag und Nacht denket nur an das Gemeinwohl. Seid Herren dem Namen nach, und doch der Bürgerfreiheit Diener. Im Kampf und nicht bei den Zechgelagen sollt Ihr Euren Platz in den vordersten Reihen wählen. Beansprucht nichts für Euch selbst; aber seid freigebig gegen alle und jeden. Haltet Eure Gerechtigkeit gleich fern der Nachgiebigkeit wie der Grausamkeit. Lebet so, daß keine Maid auf dem Erdenrund Euch zu fluchen habe. Bietet Trotz so Galliens Unwegsamkeit wie Germaniens Kälte! – Was würden sie antworten? Entsetzt über so strenge Forderungen, würden sie ihre verweichlichten Ohren zuhalten und rufen: Nur ein Julian ist all dem gewachsen!

Julian. Der Herr der Welten gebe, daß so große Hoffnungen nicht getäuscht werden mögen. Aber ach, was fehlt mir nicht alles! Ein Schauder überfällt mich. Mit Alexander, mit Mark Aurel und mit so vielen andern trefflichen Männern will man mich vergleichen! Hat nicht Platon gesagt, nur ein Gott könne über die Menschen herrschen? O, betet mit mir, daß ich des Ehrgeizes Schlingen meide und die Versuchungen der Macht! Athen, Athen! Dahin geht meine Sehnsucht! Ich war wie ein Mann, der um seiner Gesundheit willen eine nützliche Leibesübung trieb, – und nun kommen sie zu mir und sagen: Tritt auf den Schauplatz und siege in den olympischen Spielen. Ganz Griechenland soll Zuschauer sein! Muß nicht mein Herz erbeben, noch ehe ich den Kampf beginne?

Themistoes. Warum erbeben, o Kaiser? Hast Du nicht vor dem Kampfspiel schon den Beifall der Griechen? Bist Du nicht gekommen, alle heimatlosen Tugenden wieder in ihr altes Recht einzusetzen? Sind nicht in Dir, dem einen Mann, alle Gaben des Siegerglücks vereint, die Herakles, die Dionysos, die Solon, die –?

Julian. Still! Nur des Toten Preis soll heut erschallen! Da legen sie an. Nimm den Stirnreif und meine Ketten, – ich will in solch einer Stunde nicht kaiserlichen Prunk tragen.

Er gibt den Schmuck einem aus dem Gefolge. Der Leichenzug kommt über die Landungsbrücke mit großer Pracht an Land. Priester mit brennenden Kerzen an der Spitze. Der Sarg wird auf einem Wagen mit niedrigen Rädern gefahren; Kirchenfahnen vor und hinter dem Wagen; Chorknaben schwingen Räucherfässer; Scharen christlicher Bürger folgen.

Julian legt die Hand auf den Sarg und seufzt vernehmlich: Ah!

Ein Zuschauer. Schlug er das Zeichen des Kreuzes?

Ein Anderer aus der Menge. Nein.

Der erste. Siehst Du – siehst Du!

Ein dritter Zuschauer. Auch beugte er sich nicht vor dem Allerheiligsten.

Der erste Zuschauer zum zweiten. Siehst Du wohl! Was sagte ich?

Julian. So fahre denn heim in Pracht und Ehren, – Du meines Vetters entseelter Leib! Ich mache diesen Staub nicht verantwortlich für das, was Dein Geist an mir verbrochen hat. Was sage ich? War es Dein Geist, der so hart mit meinem Stamm verfuhr, daß ich nun als letzter hier stehe? War es Dein Geist, dessen Gebot meine Kindheit mit tausend Ängsten verdüsterte? War es Dein Geist, der das Haupt jenes edlen Cäsar dem Henker preisgab? Warst Du es, der mich, den unerfahrenen Jüngling, im ungastlichen Gallien auf einen so schwierigen Posten stellte, und der dann, als nicht Mißgeschick noch Widerwärtigkeiten mich zu überwinden vermochten, mir die Ehre meiner Siege streitig machte? O Konstantios, mein Vetter! – all das hatte nicht seinen Ursprung in Deinem großen Herzen. Warum krümmtest Du Dich in Haß und Qual? Warum sahst Du von blutigen Schatten Dich umgeben auf Deinem schmerzensreichen Sterbelager? Böse Ratgeber haben Dein Leben und Deine Todesstunde verbittert. Ich kenne sie, diese Ratgeber! Es waren Männer, denen der ewige Sonnenschein Deiner Gnade verderblich wurde. Ich kenne sie, diese Männer, die so willfährig in das Gewand der Überzeugung schlüpften, die dem Hofe am genehmsten war.

Heidnische Bürger unter den Umstehenden. Es lebe Kaiser Julian!

Cäsarios. Gnädigster Herr, der Zug wartet –

Julian zu den Priestern. Lasset in Eurem frommen Sang Euch um meinetwillen nicht stören. Auf denn, meine Freunde! Der Zug zieht langsam nach links davon. Es folge, wer da mag, und es bleibe, wer da mag! Aber das sollt Ihr alle wissen an diesem Tage, daß mein Platz hier ist. Unruhe und Bewegung in der Menge. Was bin ich? Der Kaiser. Doch ist damit alles gesagt? Gibt es nicht ein kaiserliches Amt, das in den letzten Jahren höhnisch aus der Erinnerung hinweggewischt zu sein scheint? Was war der gekrönte Weisheitsfreund Mark Aurel? Kaiser? Bloß Kaiser? Fast hätte ich gefragt: war er nicht noch etwas mehr als Kaiser? War er nicht zugleich Oberpriester?

Stimmen aus der Menge. Was sagt der Kaiser? Was war das? Was hat er gesagt?

Themistoes. Herr, sollte es wirklich Deine Absicht sein –?

Julian. Nicht einmal mein großer Ohm Konstantios wagte sich dieser Würde zu entledigen. Selbst nachdem er einer gewissen neuen Glaubenslehre so außerordentliche Gerechtsame eingeräumt hatte, fuhr er doch fort, sich »Oberpriester« von allen denen nennen zu lassen, die an den uralten Gottheiten des Griechenvolkes festhielten. Daß dieses Amt in der Folgezeit traurig vernachlässigt wurde, – davon will ich nicht reden, sondern nur davon, daß keiner meiner hohen Vorgänger – auch er nicht, dem wir heut mit tränennassem Antlitz den letzten Gruß zurufen – gewagt hat, es niederzulegen. Sollte ich mich da einer Neuerung vermessen, die so weise und gerechte Kaiser nicht für recht und ratsam hielten? Das sei ferne von mir!

Themistoes. Großer Kaiser, willst Du damit sagen –?

Julian. Ich will damit sagen, daß alle Bürger volle Freiheit haben sollen. Haltet fest am Christengotte, Ihr, die Ihr es für wünschenswert erachtet um der Ruhe Eurer Seele willen. Was mich betrifft, so bin ich nicht so kühn, meine Hoffnung auf einen Gott zu bauen, der mir in allen Unternehmungen bisher feindlich gewesen ist. Ich habe sichere Zeichen und Zeugnisse dafür, daß der ganze Erfolg, den ich an Galliens Grenzen errang, – daß ich ihn jenen andern Gottheiten verdanke, die den großen Alexander auf eine ähnliche Art begünstigt haben. Unter dem Schirm und Schutz dieser Gottheiten entrann ich glücklich allen Gefahren; und vor allem waren sie es, die mich auf meiner Fahrt hierher mit so wunderbarer Schnelligkeit und mit solchem Glück zum Ziele führten, daß ich auf den Straßen hier Zurufe vernahm, die darauf deuteten, man halte mich für einen göttlichen Menschen, – was eine große Übertreibung ist, Ihr Freunde! Aber sicher ist, daß ich mich nicht undankbar zeigen darf für so beharrliche Gnadenbeweise.

Stimmen aus der Menge gedämpft. Was will er tun?

Julian. So setze ich denn die ehrwürdigen Götter unserer Ahnen wieder ein in ihr altes Recht. Aber keine Kränkung soll dem Gott der Galiläer widerfahren und auch dem Judengotte nicht. Die Tempel, die fromme Herrscher in den Tagen der Vorzeit mit so hoher Kunst erbaut haben, sie sollen in verjüngter Herrlichkeit wiedererstehen mit Altären und Bildsäulen – ein jeglicher seinen besonderen Göttern: so daß geziemender Kult aufs neue darin stattfinden kann. Doch keineswegs werde ich dulden, daß den Kirchen der Christen irgendwie Arges widerfahre; auch darf ihren Begräbnisplätzen oder anderen Stätten, die heilig zu halten ein seltsamer Wahn sie antreibt, keinerlei Unbill geschehen. Wir wollen Nachsicht üben mit dem Wahne anderer – ich selbst war in Irrtümer verstrickt: doch darüber werfe ich einen Schleier. Was ich seit meinem einundzwanzigsten Jahr über die göttlichen Dinge gedacht habe, dabei will ich nicht verweilen – ich will nur sagen, daß ich denen Glück wünsche, die mir nachfolgen – daß ich über die lächle, die nicht in meine Fußspuren treten mögen – daß ich versuchen werde zu überreden, – doch ohne jemanden zwingen zu wollen. Er hält einen Augenblick erwartungsvoll inne; schwacher Beifall wird hier und dort in der Menge laut.

Julian heftiger. Mit einigem Recht hatte ich auf dankbare Zustimmung gerechnet, wo ich jetzt nur neugieriges Erstaunen merke. Doch ich hätte das wissen sollen, – es herrscht klägliche Gleichgültigkeit bei denen, die da vorgeben, unserm alten Glauben nicht untreu geworden zu sein. Unterdrückung und Spott haben die ehrwürdigen Gebräuche der Väter in Vergessenheit gebracht. Ich habe nachgefragt, bei Hoch und Niedrig – aber kaum einer hat mir glaubwürdigen Bescheid darüber geben können, wie ein Opfer für Apollo oder für Fortuna in allen Einzelheiten vorzunehmen wäre. Ich muß also hierin vorangehen, wie in anderem. Es hat mich den Schlaf so mancher Nacht gekostet, aus alten Büchern zu erforschen, was früher dabei Brauch gewesen ist. Aber ich beklage mich darüber nicht, wenn ich bedenke, wie großen Dank wir gerade jenen Gottheiten schuldig sind – auch schäme ich mich nicht, alles selbst zu verrichten – –. Wohin, Cäsarios?

Cäsarios. Zur Kirche, gnädigster Kaiser: zu beten für die Seele meines entschlafenen Herrn.

Julian. Geh nur, geh! Jeder hat in diesen Dingen seine Freiheit. Cäsarios mit mehreren älteren Hofleuten und Staatsbeamten links ab. Aber die Freiheit, die ich dem geringsten Bürger zugestehe, behalte ich auch mir selbst vor. – So verkünde ich Euch denn, Ihr Griechen und Römer, daß ich mich wieder mit meinem ganzen Herzen den Lehren und Bräuchen zuwende, die unsern Ahnen heilig waren, – daß sie frei verbreitet und ausgeübt werden dürfen neben allen neuen und fremden Anschauungen, – und da ich ein Kind dieser Stadt bin und sie darum über alles lieb habe, so verkünde ich solches im Namen der Gottheiten, die die Stadt beschützen.

Er gibt ein Zeichen; Diener entfernen die Hülle von dem Stein. Man sieht einen Altar und an dessen Fuß eine Weinkanne, einen Ölkrug, einen kleinen Stoß Scheiter und sonstiges Zubehör. Starke, aber stumme Bewegung in der Menge, während Julian zum Altar emporschreitet und die Vorbereitungen für das Opfer trifft.

Themistoes. Oh, wohl darf ich als Grieche in Tränen hinschmelzen beim Anblick so großer Demut und so frommen Eifers!

Ein Bürger. Sieh, er bricht selbst die Scheiter in Stücke.

Ein anderer Bürger. Über dem linken Schenkel. Muß das so sein?

Der erste. Es muß wohl.

Mamertinos. In dem Feuer, das Du anzündest, großer Kaiser, darin soll die Forschung und Gelehrsamkeit leuchten, ja, auferstehen – verjüngt, wie jener wunderbare Vogel –

Nevita. Dieses Feuer wird die griechischen Waffen härten. Ich weiß nicht viel von den galiläischen Erdichtungen, aber das habe ich gemerkt: alle, die ihnen anhängen – sie sind verzagt und unbrauchbar zu größeren Dingen.

Themistoes. In diesem Feuer, Du Unvergleichlicher, sehe ich die Weisheit geläutert von jeder Anklage und von allen Beschuldigungen. Der Wein, den Du ausgießest, ist einem Purpur gleich, womit Du die Wahrheit zierst, um sie auf einen Königsthron zu setzen. Nun Du Deine Hände emporhebst –

Mamertinos. Nun Du Deine Hände emporhebst, ist es, als ob Du die Stirn der Wissenschaft mit einem goldenen Kranze schmückest; und die Tränen, die Du vergießest –

Themistoes drängt sich näher. Ja – die Tränen, die ich Dich weinen sehe, sind wie köstliche Perlen, womit kaiserliche Huld wieder die Beredsamkeit belohnt. O, so ist es denn den Griechen wieder vergönnt, ihr Auge zum Himmel zu heben und den ewigen Sternen zu folgen auf ihrer Bahn! Wie lange war solches uns nicht verstattet! Mußten wir nicht aus Furcht vor Angebern ewig zittern und wie die Tiere den Blick auf den Boden heften? Wer unter uns durfte sich erdreisten, der Sonne Auf- und Niedergang zu beobachten? Er wendet sich an die Menge. Auch Ihr nicht, Ihr Ackerbauer, die Ihr in so großen Scharen heute hierher geströmt seid, auch Ihr wagtet nicht, mit der Stellung der Himmelskörper Euch zu beschäftigen, obwohl Ihr doch Eure Arbeiten danach verteilen müßt –

Mamertinos. Und Ihr Seeleute, – habt Ihr oder haben Eure Väter es gewagt, den Namen der Sternbilder auszusprechen, nach denen Ihr Eure Fahrt richten müßt? Jetzt dürft Ihr es –, jetzt ist es keinem mehr verwehrt –

Themistoes. Nun darf ein jeder Grieche, lebe er zu Wasser oder zu Lande, bei den unverrückbaren Himmelsgesetzen sich Rats erholen; er braucht nicht wie ein Ball sich hin und her schleudern zu lassen von Zufall und Ungefähr; er –

Mamertinos. O welch ein Mann ist dieser Kaiser, dem wir so große Güter verdanken!

Julian vor dem Altar mit erhobenen Händen. So habe ich denn vor aller Augen und in Demut Öl und Wein ausgegossen zu Eurer Ehre, Ihr wohltätigen Götter, die Ihr diese Euch so sehr frommende Handlung feierlichen Gedächtnisses so lange habt entbehren müssen. Ich habe meinen Dank zu Dir emporgesendet, Apollon, dem von den Weisen einige – zumal morgenländische – den Namen des Sonnenkönigs beilegen: denn Du bringst und erneust das Licht, das des Lebens Grund und Ursprung ist. – Dir habe ich mein Opfer dargebracht, Dionysos, Du Gott der Entzückung, der Du die Seele des Menschen dumpfer Niedrigkeit entreißest und sie emporhebst zu einem des Geistes würdigen Verkehr mit höheren Geistern. – Und obwohl ich Dich zuletzt nenne, habe ich Deiner doch nicht weniger innig gedacht, o Fortuna! Stände ich wohl hier ohne Deine Hilfe? Ich weiß sehr wohl, daß Du Dich nicht mehr selbst offenbarst, wie es in dem goldenen Zeitalter geschah, wovon jener blinde Sänger ohnegleichen uns erzählt hat. Aber das weiß ich doch – und darin stimmen die anderen Weisheitsfreunde alle mit mir überein, – daß gerade Du wesentlichen Anteil hast an der Wahl des begleitenden Dämons, des guten oder des verderblichen, der jedwedem Menschen auf seinem Lebensgange folgen soll. Ich habe keine Ursache, über Dich zu klagen, Fortuna! Vielmehr habe ich die allergrößte Veranlassung, Dir Lob und Preis darzubringen. Dieser Pflicht, die meinem Herzen so teuer ist, habe ich mich heut unterzogen. Auch nicht vor der niedrigsten Verrichtung habe ich mich gescheut. Hier stehe ich im hellen Licht des Tages; die Augen aller Griechen sind auf mich gerichtet; ich erwarte, daß die Stimmen aller Griechen mit meiner Stimme sich vereinen, Euch anzurufen, Ihr unsterblichen Götter!

Während des Opferdienstes haben sich die meisten christlichen Zuschauer einer nach dem andern entfernt; nur ein kleiner Haufen ist zurückgeblieben. Als Julian inne hält, wird nur schwacher Beifall gehört, vermischt mit leisem Gelächter und verwundertem Flüstern.

Julian sieht sich um. Ah so! Wo sind sie hin, sie alle? Macht man sich aus dem Staube?

Themistoes. Jawohl – schamrot über die Undankbarkeit so langer Jahre.

Mamertinos. Nein, – es war Freudenröte. Sie gingen, die große Botschaft durch alle Straßen zu tragen.

Julian verläßt den Altar. Der unwissende Haufe kann sich nie in das Ungewohnte finden. Ich habe schwere Arbeit vor mir, aber keine Mühe soll mich verdrießen. Was ziemt einem Weisen mehr, als Irrtümer auszurotten? Und darin rechne ich auf Euren Beistand, Ihr aufgeklärten Freunde! Doch unsere Gedanken müssen auf eine Weile hiervon Abschied nehmen. Folgt mir, jetzt harren meiner andere Pflichten.

Schnell ab, ohne den Gruß der Bürger zu erwidern; die Hofleute und seine übrigen Begleiter folgen ihm.


Ein großer Saal im Kaiserpalast.

Türen auf beiden Seiten und in der Mitte; auf einer Estrade links an der Wand im Vordergrunde steht der Kaiserthron. Julian, umgeben von seinem Hofe und seinen hohen Beamten, unter denen der Schatzmeister Ursulos, die Redner Themisteos und Mamertinos sich befinden.

Julian. Bis hierher haben die Götter geholfen. Nun wird das Werk vorwärts rollen wie die Wogen einer Sturmflut. Der stumme Trotz, den ich auf gewissen Seiten spüre, wo ich ihn am wenigsten erwartet hätte, soll meine Seele nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Das ist ja gerade das Merkmal echter Weisheit, Duldsamkeit an den Tag zu legen. Wir alle wissen, daß man mit passenden Mitteln des Leibes Gebrechen heilen kann, – aber kann man in den göttlichen Dingen die Irrtümer mit Feuer und Schwert ausrotten? Und was nützt es mir, daß Eure Hand opfert, indessen Eure Seele verdammt, was die Hand tut? – Darum wollen wir in Eintracht miteinander leben. Mein Hof soll allen ausgezeichneten Männern zugänglich sein, was für Überzeugungen sie auch haben mögen. Lasset uns der Welt das ungewöhnliche und erhabene Schauspiel eines Hofes ohne Heuchelei geben, – sicherlich des einzigen Hofes seiner Art – eines Hofes, wo Schmeichelei als einer der gefährlichsten Feinde gilt. Wir wollen einander anklagen und tadeln, wenn es nötig ist, doch ohne einander deshalb weniger zu lieben.

Zum Kriegsobersten Nevita, der durch die Mitte kommt.

Dein Antlitz leuchtet, Nevita –. Was für gute Zeitung bringst Du?

Nevita. Wahrlich, die beste und angenehmste. Eine große Schar fürstlicher Sendboten ist gekommen aus dem fernen Indien, Dir Geschenke zu bringen und Deine Freundschaft zu erbitten.

Julian. Ah! Und sag' mir doch – von welchen Völkerschaften?

Nevita. Von den Armeniern und andern jenseits des Tigris. Ja, etliche der Fremden wollen sogar von den Inseln Diu und Serandib kommen.

Julian. Also von den äußersten Grenzen der Welt, Ihr Freunde!

Themistoes. Selbst dahin hat Fama Deinen Namen und Deinen Ruhm getragen!

Mamertinos. Selbst in jenen unbekannten Gegenden ist Dein Schwert den Fürsten und Völkern ein Schrecken!

Themistoes. Diu und Serandib! Weit östlich im Indischen Meer –

Mamertinos. Ich stehe nicht an zu sagen: außerhalb des Erdkreises –

Julian. Der Haarscherer komme! Ein Höfling rechts ab. Ich will die Sendboten geziemend empfangen, – doch ohne Pracht und Schmuck. So wie der erhabene Mark Aurel sie empfangen haben würde; und ihn wähle ich lieber zum Vorbild als den Kaiser, dessen Heimgang uns soeben in Betrübnis versetzt hat. Kein Prunken mehr mit eitlen irdischen Dingen! Selbst die Barbaren sollen spüren, daß die Weisheit – wenn auch in der Gestalt ihres geringsten Dieners – wieder Platz genommen hat auf dem Kaiserthron.

Der Höfling kehrt zurück mit dem Haarscherer Eunapios, der prächtig gekleidet ist.

Julian blickt ihn verwundert an, geht ihm entgegen und begrüßt ihn. Was suchst Du hier, Herr?

Eunapios. Gnädigster Kaiser, Du hast mich hierher befohlen –

Julian. Du irrst, Freund. Ich habe nach keinem meiner Ratsherren gesandt.

Eunapios. Allergnädigster Kaiser –

Ursulos. Verzeih, Herr – dieser Mann ist der kaiserliche Haarscherer.

Julian. Was sagst Du? Wirklich? Dieser Mann – Du spaßest – dieser Mann, in Seide und in den goldgestickten Stiefeln, der sollte –? Ja so! Du bist also der Haarscherer! Verbeugt sich vor ihm. Niemals würde ich mich vermessen, mich von so feinen Händen bedienen zu lassen.

Eunapios. Allergnädigster Kaiser – ich bitte um Gottes und meines Erlösers willen –

Julian. Hoho! Ein Galiläer! Habe es mir doch gleich gedacht! Ist das die Entsagung, womit Ihr prahlt? Aber ich kenne Euch wohl! Welcher Gottheit Tempel hast Du geplündert, oder wieviel Griffe in die kaiserliche Kasse hast Du getan, um solchen Staat machen zu können? – Du kannst wieder gehen, – ich habe keine Verwendung für Dich. Eunapios rechts ab. Sag' mir, Ursulos, wieviel Lohn bekommt dieser Mensch?

Ursulos. Gnädigster Kaiser, auf Befehl Deines erhabenen Vorgängers ward ihm die Tageslöhnung von zwanzig Leuten zugesichert –

Julian. Schau', schau'! Nicht mehr?

Ursulos. Doch, Herr – in der letzten Zeit haben ihm noch Pferde aus den kaiserlichen Ställen zur Verfügung gestanden samt einer bestimmten jährlichen Summe Geldes und einem Goldstück für jedesmal, wenn er –

Julian. Und das alles für einen Haarscherer! Was müssen da erst die andern –? Damit soll rasch aufgeräumt werden. Laßt die fremden Gesandtschaften eintreten! Nevita durch die Mitte ab. Ich will sie ungeschorenen Haares empfangen; es schickt sich auch am besten so. Denn obschon ich wohl weiß, daß nicht das ungekämmte Haar oder der zerfetzte Mantel den wahren Weisheitsfreund macht, so meine ich doch, es dürfe das Beispiel, das Antisthenes wie Diogenes gegeben hat, von einem Manne wohl befolgt werden, der, sogar auf dem Kaiserthron, gern in die Fußstapfen so großer Lehrer treten möchte.

Er steigt die Estrade hinauf, wo der Kaiserthron steht; der Hof ordnet sich unten. Die Gesandten, geführt von Nevita und Eutherios, kommen in prächtigem Aufzuge, gefolgt von Sklaven, die Geschenke aller Art tragen.

Nevita. Gnädigster Kaiser und Herr! Nicht mächtig der edlen Sprache, die so viele beredte Männer, und nicht zum wenigsten Du selbst, vor allen anderen Sprachen zur Vollkommenheit ausgebildet haben, – und überdies aus Scheu, mit barbarischen Lauten Dein Ohr zu verletzen, haben diese Sendboten morgenländischer Fürsten mich zu ihrem Sprecher erwählt.

Julian auf dem Throne. Ich bin bereit, Dich zu hören.

Nevita. Zuerst legt der König von Armenien diese Rüstung zu Deinen Füßen nieder, – er bittet Dich, sie im Krieg gegen des Reiches Feinde zu tragen, obgleich er wohl weiß, Du unüberwindlicher Held stehst unter dem Schutz und Schirm der Götter, die nicht zulassen, daß Du von der Waffe eines Sterblichen verwundet werdest. – Hier bringt man Dir kostbare Teppiche, Zelte und Sattelzeug von den Fürsten jenseits des Tigrisstromes. Sie wollen damit zu erkennen geben, daß, wenn die Götter jenen Landen einen außerordentlichen Reichtum gegönnt haben, es doch nur zu dem Zweck geschah, ihn dem Liebling der Götter zugute kommen zu lassen. – Der König von Serandib und ebenso der Beherrscher von Diu senden Dir diese Waffen – Schwert, Spieß und Schild, samt Bogen und Pfeilen. Denn, sagen sie, wir achten es für das ratsamste, wehrlos dem Sieger gegenüber zu stehen, der, einer Gottheit gleich, sich mächtig genug gezeigt hat, jeden Widerstand zu brechen. – Zum Entgelt erbitten alle als die höchste Gnade Deine Freundschaft, und da ein Gerücht ihnen gemeldet hat, Du habest vor, im Frühjahr den verwegenen Perserkönig zu vernichten, – so bitten sie namentlich, ihre Länder mit feindlichem Einfall zu verschonen.

Julian. Nicht konnte eine solche Botschaft mir ganz unerwartet kommen. Die Gaben, die sie bringen, sollen in meine Schatzkammer gebracht werden, und durch Euch lasse ich Eure Herrscher wissen, daß es meine Absicht ist, Freundschaft mit allen Völkerschaften zu halten, die sich nicht – weder mit Waffengewalt, noch mit Hinterlist – meinen Absichten in den Weg stellen. – Auf die Tatsache, daß man in Eurer fernen Heimat, verleitet durch mein Siegerglück, durchaus in mir eine Gottheit sehen will, lasse ich mich nicht weiter ein. Ich achte die Götter zu hoch, um mir in ihrer Mitte einen Platz anzumaßen, der mir nicht zukommt, obschon ich wohl weiß, daß des öfteren und zumal in den alten Zeiten Helden und Herrscher gelebt haben, die durch der Götter Gunst und Gnade so bevorzugt waren, daß schwer zu sagen ist, ob man sie zu den Sterblichen oder zu den Unsterblichen zu zählen habe. Indessen, – dergleichen zu entscheiden ist gewagt, selbst für uns Griechen. Um wieviel mehr erst für Euch? Also, genug davon! – Eutherios, Du wirst die Fremden zur Rast geleiten und dafür sorgen, daß es ihnen an nichts fehle.

Die Sendboten und ihr Gefolge verlassen den Saal, von Eutherios begleitet; Julian steigt von der Estrade herab; die Höflinge und Redner umringen ihn unter bewundernden Glückwünschen.

Themistoes. So jung – und schon so hoch geehrt vor allen anderen Kaisern!

Mamertinos. Ich frage: werden Fama nicht die Lungen fehlen, Deinen Ruhm zu verkünden, wenn die Götter, wie ich sicher hoffe, Dir ein langes Leben gönnen.

Themistoes. Der Schreckensruf, den die flüchtigen Alemannen an den fernsten Ufern des Rheinstromes ausgestoßen haben, pflanzte sich nach Osten fort, um am Tauros und am Kaukasos zu widerhallen –

Mamertinos. – jetzt erschallt er wie ein donnerndes Echo durch ganz Asien.

Nevita. Was die Inder so erschreckt hat, das ist diese Ähnlichkeit zwischen unserem griechischen Julian und jenem macedonischen Alexander –

Mamertinos. Ähnlichkeit? Ha was! Hatte König Alexander heimliche Feinde im eigenen Lager? Hatte er mit einem neidischen und verleumderischen Hof zu kämpfen?

Nevita. Gewiß, gewiß, – und da gab es auch keine unfähigen Heerführer, die Alexanders Fortschritte hemmten.

Julian. Ursulos, es ist mein Wille, die Ankunft dieser Sendboten soll in der Stadt und in sämtlichen Provinzen des Reiches bekannt gemacht werden. Alles soll genau geschildert werden, – wo sie zu Hause sind und was für Geschenke sie mitgebracht haben. Nichts will ich den Bürgern vorenthalten wissen von dem, was meine Regierung angeht. Du kannst auch einige Worte mit einfließen lassen von dem merkwürdigen Glauben der Inder, Alexander sei wiedergekommen.

Ursulos zögernd. Vergib, gnädigster Kaiser, aber –

Julian. Nun?

Ursulos. Du hast selbst gesagt, von diesem Hofe solle die Schmeichelei verbannt sein –

Julian. Gewiß, Freund!

Ursulos. So laß mich Dir ehrlich sagen, daß diese Sendboten hergekommen sind, Deinen Vorgänger aufzusuchen, – nicht Dich.

Julian. Und das wagst Du mir einzureden?

Themistoes. Ei, welch törichte Sprache!

Mamertinos. Welch ein Märchen!

Ursulos. Es ist die Wahrheit. Ich habe lange gewußt, daß diese Männer kommen würden, – lange bevor Kaiser Konstantios seine Augen schloß. O mein gnädigster Herr, laß keine falsche Eitelkeit Eingang in Deine junge Seele finden –

Julian. Genug, genug! Du willst also damit sagen, daß –?

Ursulos. Denk selber nach. Wie sollten Deine gallischen Siege, so ruhmreich sie auch gewesen sind, mit solcher Schnelligkeit jenen fernen Völkerschaften zu Ohren gedrungen sein? Wenn die Sendboten von den Heldentaten des Kaisers sprachen, so dachten sie an den Krieg gegen den Perserkönig –

Nevita. Ich wüßte nicht, daß der Krieg gegen König Sapores so geführt worden wäre, daß er Schrecken bis an die Grenzen der Welt hätte verbreiten sollen.

Ursulos. Gewiß, – das Kriegsglück war in jenen Gegenden wider uns. Aber das Gerücht von den großen Rüstungen, die Kaiser Konstantios für das Frühjahr plante, hat die Armenier und die andern Volksstämme in Angst versetzt. Rechne die Zeit doch nach, Herr! Zähle die Tage, wenn Du willst, und sage dann, ob es anders möglich ist. Dein Zug von Gallien hierher vollzog sich mit wunderbarer Schnelligkeit; doch die Reise jener Männer von den indischen Inseln her – es wäre doch zehnmal wunderbarer noch, wenn – –. Frag' sie selbst und Du wirst hören –

Julian bleich vor Zorn. Wozu sagst Du mir das alles?

Ursulos. Weil es die Wahrheit ist, und ich nicht ertragen kann, Deinen jungen schönen Ruhm in einem erborgten Gewande zu sehen, das ihn verdüstert.

Themistoes. Welch verwegene Sprache!

Mamertinos. Welch höchst verwegene Sprache!

Julian. Das kannst Du nicht ertragen? So! Ich kenne Dich besser! Ich kenne Euch alle, ihr Alten dieses Hofes. Den Ruhm der Götter wollt Ihr schmälern – das ist's! Denn ist das nicht der Götter Ruhm, daß sie so Großes durch einen Menschen vermögen? Aber Ihr haßt sie, diese Götter, – ihre Tempel habt Ihr niedergerissen, ihre Bildsäulen habt Ihr zertrümmert und ihre Schätze habt Ihr an Euch gerissen. Noch nicht einmal geduldet habt Ihr sie, diese unsere so wohltätigen Götter. Kaum habt Ihr zugegeben, daß die Frommen sie heimlich im Herzen tragen. Jetzt wollt Ihr auch den Tempel der Erkenntlichkeit niederreißen, den ich ihnen in meinem Herzen errichtet habe! Ihr wollt mir die dankbare Vorstellung nehmen, daß ich den Unsterblichen eine neue und so begehrenswerte Wohltat schulde; – denn ist nicht der Ruhm als eine solche Wohltat anzusehen?

Ursulos. Der einige Gott im Himmel ist mein Zeuge, daß –

Julian. Der einige! Da haben wir es wieder! So seid Ihr immer! Welche Unduldsamkeit! Nehmt Euch doch an uns ein Beispiel! Sagen wir, daß unsere Götter die einzigen sind? Achten wir nicht die Götter der Ägypter ebenso wie jenen jüdischen Jehova, der gewißlich große Dinge an seinem Volke vollbracht hat? Ihr dagegen – und ein Mann wie Du, Ursulos, – bist Du ein Römer, griechischen Ahnen entstammt? Der einige! Welch barbarische Unverschämtheit!

Ursulos. Du hast gelobt, keinen um seiner Überzeugungen willen zu hassen.

Julian. Das habe ich, – aber ich dulde auch nicht, daß Ihr uns zu nahe tretet. Die Sendboten wären nicht gekommen, um –? Das hieße mit andern Worten, daß der große, göttliche Dionysos, dem die ganz besondere Macht zu eigen ist, den Menschen die verborgenen Dinge zu offenbaren, – daß er jetzt nicht mehr so wirksam sein sollte wie in den verflossenen Zeiten. Brauche ich das zu dulden? Ist diese Frechheit nicht allzu groß? Bin ich nicht gezwungen, Dich zur Rechenschaft zu ziehen?

Ursulos. Dann werden alle Christen sagen, daß es ihr Glaube ist, den Du verfolgst.

Julian. Seines Glaubens wegen soll keiner verfolgt werden. Aber habe ich ein Recht, durch all das, wessen Ihr Euch schuldig macht, einen Strich zu ziehen, nur weil Ihr Christen seid? Sollen Eure Irrtümer Euren Fehlern als Deckmantel dienen? Was habt Ihr verwegenen Männer nicht alles schon längst verübt, hier am Hofe und anderswo? Wie habt Ihr nicht allen Lastern geschmeichelt und allen Launen Euch gefügt? Ja, bei wie vielem hast Du nicht selbst, Ursulos, ein Auge zugedrückt? Ich denke nur an den schamlos aufgeputzten Haarscherer, den salbenstinkenden Narren, der mich eben hier mit Ekel erfüllt hat. Bist Du nicht Schatzmeister? Wie hast Du seinen unverschämten Forderungen nachgeben können?

Ursulos. Ist es ein Verbrechen, daß ich der Diener meines Herrn gewesen bin?

Julian. Ich brauche solche verschwenderischen Diener nicht. All jene frechen Weichlinge sollen aus dem Palaste gejagt werden – und alle Köche und Gaukler und Tänzer auch. Geziemende Anspruchslosigkeit soll wieder herrschen. – – Zu Themisteos und Mamertinos. Ihr, meine Freunde, sollt mir dabei an die Hand gehen. – Und Du, Nevita, dem ich die Würde eines Heerführers verleihe, auf daß Du mit desto größerem Ansehen auftreten kannst, – Dich beauftrage ich damit, zu untersuchen, wie unter meinem Vorgänger die Staatsämter verwaltet worden sind, und besonders in den letzten Jahren. Du kannst nach Belieben geeignete Männer hinzuziehen, daß sie Dich in diesen Dingen mit ihrem Urteil unterstützen. Zu den älteren Höflingen und Ratsherren. Ich brauche Euch nicht weiter. Als auf seinem Sterbebette mein betrauerter Vetter mich zu seinem Erben einsetzte, da vermachte er mir auch die Gerechtigkeit, die selbst auszuüben sein langes Siechtum ihn gehindert hatte. Geht heim, – und wenn Ihr Rede und Antwort gestanden habt, dann könnt Ihr ziehen, wohin es Euch gelüstet.

Ursulos. Gott der Herr erhalte und beschirme Dich, mein Kaiser!

Er verneigt sich und geht mit den ältern Männern durch die Mitte ab. Nevita, Themisteos, Mamertinos und alle jüngeren scharen sich um den Kaiser.

Nevita. Erhabener Herrscher, wie soll ich Dir würdig für das Zeichen Deiner Gnade danken, das Du soeben –

Julian. Keinen Dank! Ich habe in diesen wenigen Tagen Deine Treue und Dein Urteil schätzen gelernt. Auch den Bericht über die Gesandten des Morgenlandes übertrage ich Dir. Fass' ihn so ab, daß die wohltätigen Götter keinen Grund finden, irgend einem von uns zu zürnen.

Nevita. Ich werde nach dem Willen meines Kaisers handeln, hierin wie in allem andern. Rechts ab.

Julian. Und nun, Ihr Getreuen, nun laßt uns die unsterblichen Mächte preisen, die uns den rechten Weg gewiesen haben.

Themistoes. Die Unsterblichen und ihren mehr als sterblichen Liebling! Welch ein Jubel wird das Reich durchbrausen, wenn es ruchbar wird, daß Du diese gewalttätigen und eigennützigen Männer entfernt hast!

Mamertinos. Mit welcher Spannung und ungeduldigen Hoffnung wird man der Wahl ihrer Nachfolger entgegensehen!

Themistoes. Alle Griechen werden wie aus einem Munde rufen: Platon selbst hat das Steuer des Reiches ergriffen!

Mamertinos. Viel mehr, würdiger Freund – alle Griechen werden rufen: Platons Wort hat sich verwirklicht, – nur ein Gott kann über die Menschen herrschen.

Themistoes. Nun wünsche ich nur, daß die Gunst der glückbringenden Gottheiten Nevita begleiten möge. Ihm ist eine große und schwierige Aufgabe geworden. Ich kenne ihn nicht so genau; aber wir dürfen wohl alle hoffen, daß er sich als der rechte Mann erweisen wird –

Mamertinos. Ganz gewiß – obschon es vielleicht auch noch andere Männer geben dürfte, die –

Themistoes. Nicht als ob ich damit gesagt haben wollte, daß die Wahl, die Du, unvergleichlicher Kaiser –

Mamertinos. Nein, nein, – ganz und gar nicht.

Themistoes. Aber wenn es ein Fehler ist, vor Eifer danach zu brennen, einem geliebten Herrn zu dienen –

Mamertinos. – dann hast Du wahrhaftig mehr als einen fehlerhaften Freund –

Themistoes. – selbst wenn Du sie nicht so ehrest, wie Du den überglücklichen Nevita geehrt hast –

Mamertinos. – selbst wenn sie jedes sichtbaren Zeichens Deiner Gnade entbehren müßten –

Julian. Wir wollen keine tüchtige Kraft ungenützt und unbelohnt lassen. Was Dich betrifft, Themisteos, so übertrage ich Dir das Amt des Stadtvorstehers hier in Konstantinopel; und Du, Mamertinos, kannst Dich bereit halten, im kommenden Jahre nach Rom abzugehen, um eins der erledigten Konsulate zu übernehmen.

Themistoes. Mein Kaiser! Mir schwindelt vor so viel Ehre –!

Mamertinos. Eine so hohe Auszeichnung! Konsul! Ist je ein Konsul ausgezeichnet worden wie ich? Etwa Lucius, etwa Brutus, etwa Publius Valerius? Was waren die Auszeichnungen jener Männer gegen die Ehre, die mir geworden ist? Jene wurden vom Volke ernannt, – ich aber von Julian!

Ein Höfling. Gepriesen sei der Kaiser, der die Gerechtigkeit walten läßt!

Ein anderer Höfling. Gepriesen Er, dessen bloßer Name schon die Barbaren mit Schrecken schlägt!

Themistoes. Gepriesen seien die erhabenen Götter alle, die in Eintracht auf einen einzigen Mann ihre liebenden Augen gerichtet haben, so daß es von diesem einen, wenn er zum ersten Mal (was spät geschehen möge!) uns Kummer macht und von uns geht, einst heißen wird: er habe Sokrates und Mark Aurel und Alexander in den Schatten gestellt!

Julian. Da hast Du den Kern der Sache getroffen, Themisteos. Zu den Göttern sollen wir unsere Hände und unsere Herzen erheben! Ich sage das nicht, um Euch zu belehren, vielmehr um Euch an das zu mahnen, was an diesem Hofe so lange verabsäumt worden ist. Es sei ferne von mir, jemanden zwingen zu wollen. Aber bin ich wohl zu tadeln, weil ich gern anderen von jener holden Verzücktheit mitteilen möchte, die mich durchströmt, wenn ich mich in dem Gefühl wiege, der Gemeinschaft der Unsterblichen anzugehören!? Heil, Heil Dir, weinlaubbekränzter Dionysos! Denn Du vor allen wirkest so große und geheimnisvolle Dinge! Ein jeglicher gehe nun an sein Amt! Ich für mein Teil habe einen Freudenzug durch die Straßen der Stadt zugesagt. Es soll kein Fest für meinen Hof sein, noch ein Gelage zwischen vier Wänden. Frei können die Bürger sich mir anschließen oder fernbleiben. Ich will die Reinen von den Unreinen, die Frommen von den Verirrten sondern. – – O Sonnenkönig, breite Licht und Schönheit über diesen Tag hin! O Dionysos, senke Deine berauschende Herrlichkeit in unsere Sinne! Fülle die Seelen mit Deinem heiligen Sturmesbrausen, fülle sie, bis alle Bande reißen und der befreite Jubel aufatmet in Tanz und Gesang! – O du Leben, du Leben, du Leben in Schönheit!

Schnell rechts ab; die Höflinge treten flüsternd in Gruppen zusammen und entfernen sich allmählich.


Eine enge Straße in Konstantinopel.

Große Menschenmasse. Alle blicken in einer Richtung die Straße hinab. Lärm, Gesang und Musik von Flöten und Trommeln wird in einiger Entfernung laut.

Ein Schuhmacher in seiner Haustür ruft quer über die Straße. Was ist denn los, lieber Nachbar?

Ein Krämer im Hause gerade gegenüber. Es heißt, syrische Gaukler sind in die Stadt gekommen.

Ein Fruchthändler auf der Straße. Bewahre! Es ist eine Ägypterbande, die mit Affen und Dromedaren herumzieht.

Der Haarschneider Eunapios, dürftig gekleidet, macht vergebliche Versuche, durch das Gedränge zu kommen. Platz da, Ihr Narren! Zum Teufel, wie kann man scherzen und schnattern an solch 'nem Unglückstag?

Eine Frau an einem kleinen Fenster. Pst, pst! Eunapios! Schöner Herr!

Eunapios. Sprich mich nicht auf offener Straße an, Du Kupplerin!

Die Frau. Stiehl Dich durch die Hintertür, süßer Freund!

Eunapios. Luder Du! Bin ich aufgelegt zu spaßen –?

Die Frau. Du sollst schon noch aufgelegt werden. Komm, schöner Eunapios! Vorgestern habe ich eine Sendung frischer Tauben gekriegt –

Eunapios. O du sündige Welt! Will weiter. Platz, Platz da! In des Satans Namen! Laßt mich durch!

Der Schriftgelehrte Hekebolios im Reiseanzug, von zwei bepackten Sklaven begleitet, kommt aus einer Seitenstraße. Ist die Stadt ein Narrenhaus geworden? Da schreien alle sich die Ohren taub, und keiner kann mir Bescheid geben. Ah sieh, – Eunapios, mein frommer Bruder!

Eunapios. Gruß und Heil, ehrwürdiger Herr! Also wieder in der Stadt?

Hekebolios. In diesem Augenblick angekommen. – Die heißen Erntemonate habe ich als frommer Mann im stillen Dienst des Herrn auf meinem kretischen Landgut verbracht. Aber, vor allen Dingen sag' mir, was gibt es hier?

Eunapios. Unglück und Verwirrung! Der neue Kaiser –

Hekebolios. Ja, ja, – ich habe wunderliche Gerüchte gehört –

Eunapios. Es ist zehnmal schlimmer noch, als die Gerüchte sagen! Alle treuen Diener sind aus dem Palast gejagt.

Hekebolios. Sprichst Du die Wahrheit?

Eunapios. Weh' mir! Ich selbst war der erste –

Hekebolios. Schrecklich! So bin auch ich vielleicht –?

Eunapios. Sicherlich. Alle Rechnungen sollen untersucht werden, alle Geschenke zurückgegeben werden, alle ungenauen Besteuerungen –

Hekebolios bleich. Um Gottes willen!

Eunapios. Gottlob, ich habe ein gutes Gewissen.

Hekebolios. Ich auch, ich auch; aber trotzdem –. Ha, so ist es am Ende doch wahr, daß der Kaiser dem Apollon und der Fortuna geopfert hat?

Eunapios. Ja gewiß, – aber wer kümmert sich um solche Kleinigkeiten?

Hekebolios. Kleinigkeiten? Merkst Du denn nicht, verblendeter Freund, daß es unsere gute Christengesinnung ist, die er verfolgt?

Eunapios. Was sagst Du? Kreuz Jesu, sollte das möglich sein?

Frauen im Gedränge. Da kommen sie!

Ein Mann auf dem Dach eines Hauses. Ich kann ihn sehen!

Andere Stimmen. Wer kommt? Wer, wer?

Der Mann auf dem Dache. Kaiser Julian. Er hat Weinlaub im Haar.

Volk auf der Straße. Der Kaiser!

Eunapios. Der Kaiser!

Hekebolios. Komm, komm, frommer Bruder!

Eunapios. Laßt mich, Herr; ich bin ganz und gar nicht fromm.

Hekebolios. Nicht fromm –?

Eunapios. Wer darf mir nachsagen –? Will man mich zugrunde richten? Fromm? Wann war ich fromm? Ich gehörte einmal zur Donatistensekte! Das ist manches Jahr her. Der Teufel hole die Donatisten! Klopft an das Fenster. He, Barbara, Barbara; mach' auf, alte Vettel! Man läßt ihn durch die Tür hineinschlüpfen.

Die Menge. Da ist er! Da kommt er!

Hekebolios, Alle ungenauen Besteuerungen –! Untersuchung! O heiliges Donnerwetter! Er macht sich mit den beiden Sklaven davon.

Der Dionysoszug kommt die Straße herab. Flötenspieler voran; betrunkene Männer, zum Teil verkleidet als Faune und Satyre, tanzen nach dem Takte. Mitten im Zuge sieht man Julian, auf einem Esel reitend, über den ein Pantherfell geworfen; er ist wie der Gott Dionysos gekleidet, trägt ein Pantherfell um die Schultern, einen Kranz von Weinlaub um die Stirn und in der Hand einen mit Grün umwundenen Stab, an dessen oberstem Ende ein Pinienzapfen befestigt ist. Halbnackte geschminkte Weiber und Jünglinge, Tänzer und Gaukler umringen ihn; die einen tragen Weinkannen und Trinkschalen, andere schlagen Tamburine und ziehen einher unter wilden Sprüngen und Gebärden.

Die Tänzer singen.
Feurigen Zug aus vollen Schalen!
    Feurigen Zug!
    Lippen, weindampfende,
    Fäuste, zukrampfende,
    Bocksbeine, stampfende,
Huldigen, Weingott, Dir nimmer genug!

Die Weiber singen.
Auf! Immer hitziger, liebesentbrannter
   Greift uns, Bacchanten!
Schleift uns in Sonnengolds funkelndste Strahlen!
   Auf seinem Panther
   Thront er, der Blühende!
   Liebt uns, Bacchanten!
Auf! auf uns zärtliche! Auf! auf uns glühende!
   Bändiget singend uns,
   Taumelnd und springend, uns
   Wieder Entbrannten!

Julian. Platz da! Zurück, Ihr Bürger! Gebt ehrerbietig Raum! Nicht uns, aber ihm, den wir ehren!

Eine Stimme aus der Menge. Der Kaiser in Gesellschaft von Huren und Gauklern!

Julian. Schlimm genug, daß ich mit solchen fürlieb nehmen muß. Werdet Ihr nicht schamrot, daß größere Frömmigkeit und mehr Eifer bei diesen zu finden ist als bei Euch?

Ein alter Mann. Christus erleuchte Dich, o Herr!

Julian. Aha, Du bist ein Galiläer! Und Du willst mitreden! Saß nicht Dein großer Meister zu Tisch mit Sündern? Ging er nicht ein und aus in Häusern, die für wenig anständig galten? Antworte mir darauf!

Eunapios. umringt von Mädchen, in Barbaras Haustür. Jawohl, antworte, antworte, wenn Du kannst, Du Dummkopf!

Julian. Ei, sieh, – bist Du nicht der Haarscherer, der –?

Eunapios. Ein erlöster Mann, gnädigster Herr! – Platz, Ihr Bacchanten, Platz für einen Bruder! Er und die Mädchen tanzen hinein in die Reihen des Dionysoszuges.

Julian. Das gefällt mir. Nehmt Euch ein Beispiel an diesem Griechen, wenn Ihr noch einen Funken von dem Geist der Alten in Euch spürt. Und das ist wohl vonnöten, Ihr Bürger; denn kein Gott ward so verkannt, – ja, lächerlich gemacht, wie dieser Dionysos, der die Verzückung bringt und der bei den Römern auch Bacchus heißt. Meint ihr, er sei ein Gott der Trunkenbolde? Ihr neunmal Unwissenden! Ich bemitleide Euch, wenn Ihr so denkt. Wem anders als ihm verdanken die Seher und Dichter ihre wunderbaren Gaben? Wohl weiß ich, daß etliche dem Apollon diese Macht zuschreiben, und das gewiß nicht ohne allen Fug, – aber da ist der Zusammenhang ganz anders zu verstehen – wie ich aus verschiedenen Schriften beweisen kann. Doch hierüber will ich nicht mit Euch auf offener Straße streiten. Auch erlaubt es die Zeit nicht. Ja, spottet nur! Schlagt nur das Zeichen des Kreuzes! Ich sehe es wohl –. Ihr möchtet gern mich auspfeifen, gern Steine nach mir werfen, wenn Ihr nur den Mut dazu hättet. – Muß ich nicht dieser Stadt mich schämen, die tiefer gesunken ist als die Barbaren und nichts Besseres weiß, als an der wahnwitzigen Erfindung eines törichten Juden festzuhalten? – Vorwärts! Zur Seite! – Haltet uns nicht auf!

Die Tänzer.
      Auf seinem Panther
Thront er, der Blühende!

Die Weiber.
Auf! auf uns zärtliche! Auf! auf uns glühende!
                                       Immer entbrannter!

Der Zug biegt unter Gesang in eine Seitengasse ein; die Menge sieht ihm in stummem Erstaunen nach.


Der Büchersaal des Kaisers im Palast.

Links der Eingang; eine kleinere Tür mit Vorhang rechts.

Der Hausmeister Eutherios kommt von links, begleitet von zwei Dienern, die Decken tragen.

Eutherios ruft in das Gemach rechts. Agilo, Agilo, warmes Rosenwasser! Der Kaiser will baden. Rechts ab mit beiden Dienern.

Julian kommt eilig von links; er trägt noch das Pantherfell und den Kranz von Weinlaub; in der Hand hat er den umwundenen Stab; er geht im Zimmer ein paarmal auf und ab, dann schleudert er den Stab in eine Ecke.

Julian. War darin Schönheit? – – Wo waren die Alten im weißen Bart? Wo waren die reinen Jungfrauen mit Stirnbändern, sittig im Gebahren, voll Züchten mitten in der Freude des Tanzes? Pfui über Euch, Ihr Huren! Er reißt sich das Pantherfell von der Schulter und wirft es beiseite. Wo ist die Schönheit hin? Der Kaiser gebietet ihr wiederaufzuerstehen, und sie ersteht nicht wieder auf – –? – Pfui, über diese stinkende Unzucht! Und diese Gesichter! Alle Laster schrieen aus den verzerrten Zügen – Schwären an Leib und Seele! – Pfui! Pfui! Ein Bad, Agilo! Der Gestank erstickt mich.

Agilo in der Tür rechts. Das Bad ist fertig, gnädigster Herr!

Julian. Das Bad? Laß es nur sein. Was ist der Schmutz des Körpers im Vergleich zu all dem andern? Geh!

Agilo wieder ab; der Kaiser steht eine Weile in Gedanken.

Der Seher von Nazareth saß zu Tisch mit Zöllnern und Sündern. – Worin liegt die Kluft zwischen seinem Tun und meinem?

Der Schriftgelehrte Hekebolios kommt von links und bleibt ängstlich an der Tür stehen.

Julian. Was willst Du, Mann?

Hekebolios auf den Knien. Herr!

Julian. Ha, was sehe ich? Hekebolios, – bist Du es wirklich?

Hekebolios. Derselbe, und doch ein andrer.

Julian. Mein alter Lehrer. Was willst Du! Steh auf!

Hekebolios. Nein, nein – laß mich liegen. Und zürne nicht, wenn ich Gebrauch mache von meinem alten Rechte, bei Dir ein- und auszugehen.

Julian kalt. Ich fragte, was Du von mir willst.

Hekebolios. »Mein alter Lehrer«, sagtest Du. Daß ich den Schleier des Vergessens über jene Tage werfen könnte!

Julian wie oben. Ich verstehe. Du meinst, daß –

Hekebolios. O, daß ich in die Erde sinken könnte, um meine Beschämung zu verbergen! Sieh, o sieh – da lieg' ich vor Dir, ein Mann, dessen Haar bald ergraut ist, – ein Mann, der sein Leben lang geforscht und gegrübelt hat und der nun bekennen muß, daß er irreging und seinen geliebten Schüler irre geführt hat.

Julian. Was willst Du damit sagen?

Hekebolios. Du nanntest mich Deinen alten Lehrer. Sieh, hier liege ich Dir zu Füßen, blicke mit Bewunderung zu Dir auf und nenne Dich meinen neuen Lehrer.

Julian. Steh auf, Hekebolios!

Hekebolios steht auf. Du sollst alles hören, Herr, und dann richte mich nach Deiner Gerechtigkeit. – Als Du fern warst, da wurde es mir fast unerträglich, am Hofe Deines hohen Vorgängers zu leben. Ich weiß nicht, ob Du erfahren hast, daß man mich zum Vorleser der Kaiserin und zum Almosenverteiler befördert hatte? Ach, konnten Ehrenposten mir den Verlust meines Julian ersetzen? Kaum ertrug ich's noch, mitanzusehen, wie Männer, die prahlerisch ihre Tugend zur Schau trugen, Zuwendungen und Bestechungsgelder aller Art annahmen. Er wurde mir verhaßt, dieser Verkehr mit gierigen Glücksjägern, deren Fürsprache jedem feil war, wenn er nur klingende Worte mit klingendem Golde aufwiegen konnte. O mein Kaiser, Du weißt nicht, was hier im Schwange gewesen ist –!

Julian. Ich weiß es, ich weiß es.

Hekebolios. Ein einfaches Dasein in der Einsamkeit, das lockte mich. So oft ich nur konnte, zog ich mich nach Kreta, auf mein bescheidenes Tuskulum zurück, – auf mein kleines Landgut – wo die Welt noch nicht aller Tugenden bar zu sein schien. Da habe ich auch diesen Sommer gelebt, die menschlichen Dinge und die himmlischen Wahrheiten überdenkend.

Julian. Glücklicher Hekebolios!

Hekebolios. Da drang das Gerücht von all Deinen wunderbaren Taten nach Kreta –

Julian. Ah!

Hekebolios. Ich fragte mich selbst: ist er mehr als ein Mensch, dieser Jüngling ohnegleichen? Unter wessen Schutz steht er? Pflegt auf solche Art der Gott der Christen seine Macht zu offenbaren?

Julian gespannt. Nun, und –!

Hekebolios. Ich machte mich an die Arbeit, die alten Schriften aufs neue zu durchforschen. Licht um Licht ging mir auf – o, das bekennen zu müssen!

Julian. Sprich zu Ende, – ich beschwöre Dich!

Hekebolios wirft sich auf die Knie. Straf' mich gerecht, wie Du bist, o Herr! Aber laß ab von dem Wahn Deiner Jugend, soweit er die göttlichen Dinge betrifft! Ja, gnädigster Kaiser, Du bist in Irrtümern verstrickt, und ich – unfaßbar, daß die Scham mich nicht tötet, – ich, ich habe Dich mit irre geführt –

Julian mit ausgebreiteten Armen. Komm an mein Herz!

Hekebolios. Ich flehe Dich an, sei dankbar den unsterblichen Göttern, deren Liebling Du bist! Und kannst Du es nicht, so strafe mich, wenn ich es tue an Deiner Statt –

Julian. Komm, komm in meine offenen Arme, sage ich. Er hebt ihn auf, drückt ihn an seine Brust und küßt ihn. Mein Hekebolios! Welch große, welch unerwartete Freude!

Hekebolios. Herr, wie soll ich das verstehen?

Julian. Du weißt also nicht –? Wann bist Du in die Stadt gekommen?

Hekebolios. Vor einer Stunde ging ich ans Land.

Julian. Und eiltest gleich hierher?

Hekebolios. Auf den Schwingen der Angst und der Reue, Herr!

Julian. Ohne jemanden gesprochen zu haben?

Hekebolios. Jawohl, – ohne jemanden gesprochen zu haben; aber –?

Julian. O so kannst Du freilich nicht wissen – Er umarmt ihn aufs neue. Mein Hekebolios, erfahr es denn jetzt! Gleich Dir habe ich das Joch des Irrtums abgeschüttelt. Den unsterblichen Sonnenkönig, dem wir Menschen so viel schulden, habe ich wieder in sein uraltes Recht eingesetzt. Fortuna hat ihr Opfer aus meinen demütigen Händen empfangen, und wenn Du in diesem Augenblick mich müde findest und ein wenig abgespannt, so ist's, weil ich eben ein Fest zu Ehren des göttlichen Dionysos gefeiert habe.

Hekebolios. Ich höre und staune.

Julian. Sieh her, – noch sitzt der Kranz in meinem Haar. Unter dem frohen Zuruf der Menge – ja, es waren ziemlich viele –

Hekebolios. Und ich, ich habe nichts geahnt von so großen Dingen!

Julian. Nun wollen wir alle Freunde der Wahrheit und alle Jünger der Weisheit um uns sammeln, alle züchtigen und ehrbaren Anbeter der Götter – es gibt schon noch einige, – zwar nicht gar viele –

Cäsarios, der Leibarzt, begleitet von mehreren Beamten und Herren des alten Hofes, kommt von links.

Julian. Ah, da ist ja der gute Cäsarios – mit zahlreichem Gefolge und mit einer Miene, die auf etwas Wichtiges schließen läßt.

Cäsarios. Gnädigster Kaiser, gestattest Du Deinem Diener eine Frage in seinem Namen und im Namen dieser bekümmerten Männer hier?

Julian. Frag' nur, mein bester Cäsarios! Bist Du nicht der Bruder meines teuren Gregor? Frag', frag'!

Cäsarios. So sag' mir, Herr – Er bemerkt Hekebolios. Was sehe ich! Hekebolios hier?

Julian. Soeben zurückgekehrt –

Cäsarios will sich zurückziehen. Dann bitte ich, warten zu dürfen –

Julian. Nein, nein, Cäsarios, – dieser Freund darf alles hören.

Cäsarios. Freund, sagst Du? Mein Kaiser, diese Verhaftungen geschehen also nicht mit Deinem Willen?

Julian. Wovon sprichst Du?

Cäsarios. Du weißt es noch nicht? Nevita, der Kriegsoberst, – der Heerführer, wie er jetzt sich nennt – leitet unter dem Vorwand, es geschähe in Deinem Namen, Verfolgungen ein gegen alle Vertrauensmänner Deines Vorgängers.

Julian. Untersuchungen, höchst notwendige Untersuchungen, mein Cäsarios!

Cäsarios. O, aber Herr, verbiet ihm, so gewalttätig vorzugehen. Nach Pentadios, der die Bücher führte, wird von Soldaten gefahndet – ebenso nach einem gewissen Prätorianerhäuptling, dessen Namen zu nennen Du verboten hast! Du weißt, wen ich meine, Herr, – jenen unglücklichen Mann, der sich aus Furcht vor Dir schon mit seinem ganzen Hause verborgen hält!

Julian. Du kennst den Mann nicht. In Gallien ging er mit höchst verwegenen Gedanken um.

Cäsarios. Mag sein. Aber jetzt ist er doch unschädlich. Jedoch nicht ihm allein droht man mit Verderben; auch der Schatzmeister Ursulos ist verhaftet –

Julian. Ah, Ursulos? Es war also doch nötig.

Cäsarios. Nötig! War das nötig, Herr? Bedenk doch nur: Ursulos, ein Greis, an dem kein Makel haftet, – ein Mann, vor dessen Wort sich Hoch und Niedrig in Ehrfurcht beugten –

Julian. Ein Mann ohne alle Urteilskraft, sage ich Dir! Ursulos ist ein Verschwender, der die Begehrlichkeit der Hofbeamten einwandlos gesättigt hat. Und dabei ist er in Staatsgeschäften unbrauchbar! Ich habe es selbst erfahren. Ich würde ihn niemals mit dem Empfange fremder fürstlicher Sendboten betrauen.

Cäsarios. Und doch bitten wir Dich, Herr, – wir alle, die wir hier vor Dir stehen: sei großmütig – gegen Ursulos wie gegen die übrigen.

Julian. Wer sind die übrigen?

Cäsarios. Nur zu viele, fürchte ich. Ich nenne nur den Unterschatzmeister Evagrios, den vorigen Hausmeister Saturninos, den Oberrichter Kyrenos und –

Julian. Warum stockst Du?

Cäsarios zögernd. Herr, unter den Angeklagten ist auch der Hofvorleser Hekebolios.

Julian. Wie?

Hekebolios. Ich? Unmöglich!

Cäsarios. Angeklagt, Bestechungsgelder von unwürdigen Amtsbewerbern genommen zu haben –

Julian. Das sollte Hekebolios –? Ein Mann wie Hekebolios –?

Hekebolios. Welch schändliche Verleumdung! Bei Christus – wollte sagen: bei den himmlischen Göttern!

Cäsarios. Ah so!

Julian. Was meinst Du?

Cäsarios kalt. Nichts, mein gnädigster Kaiser!

Julian. Cäsarios!

Cäsarios. Ja, mein hoher Herr?

Julian. Nicht Herr, – nenne mich Deinen Freund.

Cäsarios. Darf ein Christ Dich so nennen?

Julian. Ich bitte Dich: nähre nicht solche Gedanken, Cäsarios! Das darfst Du nicht glauben. Was kann ich dafür, daß jene angeschuldigten Männer alle Christen sind? Das beweist doch nur, daß die Christen es verstanden haben, alle einträglichen Ämter an sich zu bringen. Aber darf der Kaiser zugeben, daß die wichtigsten Ämter des Reiches schlecht verwaltet werden? Zu den übrigen. Ihr meint doch wohl nicht, daß es Euer Glaube ist, der mich gegen die Unredlichen aufgebracht hat? Ich rufe alle Götter zu Zeugen an: ich will nicht, daß man gegen Euch Christen anders als nach Gesetz und Richterspruch verfahre, und ebensowenig will ich, daß man Euch überhaupt Böses zufüge. Ihr – oder jedenfalls viele von Euch, seid ja doch fromm, denn auch Ihr betet den Herrn an, der da allmächtig ist und über die ganze sichtbare Welt herrscht. Mein Cäsarios, bete nicht auch ich zu ihm, – nur unter anderen Namen?

Cäsarios. Vergönne mir, gnädigster Herr, –

Julian. Im übrigen ist es meine Absicht, Milde zu üben, wo solches füglich geschehen kann. Was Hekebolios betrifft, so dürfen seine heimlichen Feinde sich nicht einbilden, daß es ihnen gelingen wird, ihm mit Angebereien oder erbärmlichen Ränken anderer Art zu schaden.

Hekebolios. Mein Kaiser! Mein Schutz und Schild!

Julian. Auch will ich nicht, daß man unbarmherzig allen geringeren Hofbediensteten das Brot nimmt. Ich denke zum Beispiel an jenen Haarscherer, den ich fortgejagt habe. Es tut mir leid. Der Mann kann bleiben. Er sah mir aus wie ein Mensch, der sich auf sein Handwerk ordentlich versteht. Ehre sei solchen Männern! So weit kann ich gehen, mein Cäsarios, aber auch nicht weiter. Ursulos hat selbst die Folgen zu tragen. Ich muß so handeln, daß die blinde und doch so scharfsichtige Göttin der Gerechtigkeit keinen Grund hat, über einen Sterblichen die Stirn zu runzeln, in dessen Hände sie eine so große Verantwortung gelegt hat.

Cäsarios. Unter diesen Umständen habe ich kein Wort mehr zu Gunsten der Unglücklichen zu sagen. Ich bitte nur, Hof und Stadt verlassen zu dürfen.

Julian. Das willst Du?

Cäsarios. Ja, gnädigster Kaiser!

Julian. Du bist ein Starrkopf wie Dein Bruder.

Cäsarios. Die neuen Dinge geben mir viel zu denken.

Julian. Ich hatte Großes mit Dir vor, Cäsarios! Es würde mir sehr lieb sein, wenn Du Deinen Irrtümern entsagen könntest. Kannst Du das nicht?

Cäsarios. Gott weiß, was ich vor einem Monat noch gekonnt hätte, – – jetzt kann ich es nicht mehr.

Julian. Die Verschwägerung mit einem der mächtigsten Geschlechter sollte Dir freistehen. Bedenkst Du Dich nicht?

Cäsarios. Nein, gnädigster Kaiser!

Julian. Ein Mann wie Du könnte rasch aufsteigen von Stellung zu Stellung. Cäsarios, sollte es Dir nicht möglich sein, in Gemeinschaft mit mir die neuen Dinge zu fördern?

Cäsarios. Nein, gnädigster Herr!

Julian. Ich meine nicht hier, – sondern anderswo. Es ist meine Absicht, von hier fortzugehen. Konstantinopel ist mir höchlich zuwider; Ihr Galiläer habt alles getan, um es mir zu verleiden. Ich gehe nach Antiochia; dort finde ich besseren Boden. Du solltest mir folgen. Willst Du nicht, Cäsarios?

Cäsarios. Gnädigster Herr, ich will auch in die östlichen Provinzen; aber ich möchte allein reisen.

Julian. Und was willst Du da?

Cäsarios. Meinen alten Vater sehen und Gregor zu dem Kampf zu stärken suchen, der bevorsteht.

Julian. So geh!

Cäsarios. Leb wohl, mein Kaiser!

Julian. Glücklicher Vater, der so unglückliche Söhne hat!

Er winkt mit der Hand; Cäsarios und seine Begleiter verneigen sich tief und gehen links ab.

Hekebolios. Welch verwegener und schnöder Trotz!

Julian. Mein Herz ist bis aufs Blut verwundet von diesen und von vielen andern Dingen. Du, mein Hekebolios, sollst mir folgen. Der Boden brennt mir unter den Füßen in dieser verpesteten Galiläerstadt. Ich will an Kytron und Priskos, die Weisheitsfreunde, schreiben, die sich in den letzten Jahren einen so großen Ruf erworben haben. Maximos kann ich jeden Tag hier erwarten. Er soll uns begleiten. – Ich sage Dir, es stehen uns glückliche Siegestage bevor, Hekebolios! In Antiochia, Freund, – da werden wir den unvergleichlichen Libanios treffen, – und da sind wir Helios näher bei seiner Auferstehung. – O, diese zehrende Sehnsucht nach dem Sonnenkönig –!

Hekebolios. Ja, ja, ja –!

Julian umarmt ihn. Mein Hekebolios! – Weisheit! Licht! Schönheit!


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