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III. Kapitel.
Die Erscheinung des Menschen

Da alles Äußere die Erscheinung eines Inneren ist, so versteht sich von selbst, daß das Äußere des Menschen sein Inneres ausdrückt. Die Dreiteilung der Welt erscheint auch am menschlichen Organismus: der ganze Körper gliedert sich in Unterleib, Brust und Kopf, ebenso das Gesicht in Kinn, Nase und Stirn; das Gehirn zerfällt in der Hauptsache in Vorder-, Mittel- und Hinterhirn.

Der Unterleib mit den Ernährungs- und Fortpflanzungsorganen repräsentiert das Tier (Kind, Natur) im Menschen oder den unbewußten, räumlichen Menschen; ihnen entspricht im Antlitz Mund und Kinn.

Die Brust mit den Zirkulations- und Atmungsorganen repräsentiert den Mann im Menschen oder den selbstbewußten, geistigen Menschen; ihnen entspricht im Antlitz die Nase. Das Antlitz repräsentiert das Weib im Menschen oder den bewußten, zeitlichen Menschen; ihm entspricht im Antlitz die Stirn, die wiederum dem Becken entspricht.

Die Bewegungsorgane, die Muskeln, gehören dem unbewußten Menschen, das Vorstellungsvermögen dem bewußten, das Nervensystem dem selbstbewußten. Der unbewußte, kindlich-tierische Mensch ist wesentlich spielend, der bewußte weibliche Mensch wesentlich vorstellend, der selbstbewußte, persönliche Mensch wesentlich empfindend.

Alle drei Wesen, die die menschliche Dreieinigkeit zusammensetzen, sind dem Menschen gleich wesentlich; indessen, da der Mensch vom Tier ausgeht, so ist das Tier seine Grundlage, das, worauf er sich aufbaut und welches also die Grundbedingung seines normalen Daseins ist. Ein Gesicht ohne Kinn, d. h. mit sehr verkümmertem Kinn deutet auf das Fehlen der normalen Basis und auf eine wackelige Existenz. Das Elementare, die Urtriebe sind hier gar nicht oder nur sehr schwach vorhanden. Ein schöner, großer Mund und ein festes und an Größe im Verhältnis zum übrigen Gesicht stehendes Kinn zeigen elementare Kraft und Leidenschaft an, das, woraus das Höchste und das Entsetzlichste werden kann. In allen Elementen liegt zugleich Segen und Verderben, Gutes und Böses; es kommt auf den Geist an, der sie lenkt. Das Tier ist in keinem Falle verantwortlich, da es unbewußt ist; so geben auch im Menschen Mann und Weib, der negative und positive Geist, den Ausschlag. Die unendliche Mannigfaltigkeit der Nasen- und Mundbildung ist leicht auszulegen; ein schöner, zierlicher Mund mit zierlichem Kinn zeigt an, daß hier kein reißendes, sondern ein sanftes, friedliches Tier vorhanden ist; ein häßlich-großer Mund und vortretendes Kinn verraten verbrecherische Triebe.

Der Mund ist nicht nur das essende, sondern auch das sprechende, singende und küssende Glied; er bezeichnet den Punkt, wo das Unbewußte bewußt wird. Insofern sieht man am Munde hauptsächlich, wie der Mensch als Sichäußernder beschaffen, ob er verschwenderisch oder geizig, offen oder verschlossen ist. Der volle Mund gehört der Natur an und drückt ihre Fülle und Verschwendung aus; der schöne weibliche Mund, nicht voll, nicht schmal, edles Maß; der Mund des innerlichen, geistigen Menschen ist dünnlippig, manchmal verkniffen, und bedeutet Geiz und widerwilliges Sichäußern; denn der Geist spart, die Natur verschwendet. Auf den unteren Stufen der Entwicklung werden Samen und Eier millionenweise hervorgebracht; je höher sie steigt, desto geringer wird die Zahl der Nachkommenschaft bei desto aufmerksamerer und längerer Brutpflege, bis endlich die Regel gilt: unum sed leonem.

Das überlange Kinn ist das Zeichen der schwächer gewordenen Kraft, das Zeichen der Auflösung der Dreieinigkeit. Hier hat vorhandene Bestialität zur inneren Selbstverneinung und Selbstzerstörung geführt: es liegt also ein Grad von Geisteskrankheit vor. Als sprechendes Beispiel fällt einem sofort das lange Kinn und die hängende Unterlippe der habsburgischen Familie ein, einer Familie, die, ursprünglich raubtierhaft, wie fast alle herrschenden Familien der früheren Jahrhunderte, geisteskrank wurde, d. h. der Selbstzerstörung und -auflösung anheimfiel. Es ist bezeichnend, daß jedem Menschen im Zustande der Erschöpfung das Kinn länger wird: im Tode öffnet sich der Mund, und das Kinn klappt herunter, ein Gesichtszustand, den man auf Bildern der althabsburgischen Kaiser oft beobachten kann. Das lange, schwache Kinn der Amerikaner zeigt ausgeleierte, Gespenst gewordene Tierheit an.

Ist das Kinn die Grundlage des Gesichtes, so soll es doch von der Stirn überwogen werden. Die Stirn ist die Sonne im Antlitz, das Strahlende, das zuerst ins Auge fallen soll; nicht vom Sitze der elementaren Kraft, sondern vom Thron des Geistes aus soll der Mensch herrschen. Die verhältnismäßig niedrige Stirn ist für das Gesicht des modernen Menschen charakteristisch und nähert es häufig dem Verbrechertypus; denn die enge, niedrige Stirn bezeichnet, mit brutalem Untergesicht verbunden, den Verbrecher.

Es ist das Weib im Menschen, das sich in Stirn und Auge offenbart; eine hohe und breite Stirn ist das erste Erfordernis weiblicher Schönheit. Man sieht der Stirn an, daß sie Geist birgt, nicht männlichen, entwickelnden Geist, sondern den innerlichen, positiven, der in zutreffenden Einfällen, aus unerschöpflichem Füllhorn verschwendeten Wundern überraschend zutage tritt. Das Weib hat wirklich Geist, d. h. es ist im Besitz des ganzen Geistesschatzes, der Ideen; nur bedarf es des negativen, männlichen Geistes, um zur Spendung seines Reichtums erregt zu werden. So besitzt im Körperlichen das Weib die Keime der neuen Menschen, die Eier; aber der zeugende Mann muß sie zum Gebären erregen.

In den Augen liegt das Erkennen und Anschauen, und zwar sind schmale, längliche Augen mehr ins Innere, große, runde mehr aufs Äußere gerichtet; jene wirken geistiger, diese sinnlicher. Wenn Stirn und Nase noch verbunden sind wie beim griechischen Typus, so zeigt das an, daß negativer und positiver Geist, Männlichkeit und Weiblichkeit, hier noch nicht scharf voneinander geschieden sind, daß der Mensch noch nicht im vollen Besitze des Selbstbewußtseins ist. Zu diesem Typus gehört notwendig entsprechend großer Mund und starkes Kinn, da er ja eine frühe Entwicklungsstufe bezeichnet. Diese Menschen sind geborene Künstler, aber sie können nur typische Kunst hervorbringen, da ihnen die Persönlichkeit fehlt; auch sind sie, da ihr Geschlechtssinn noch gebunden ist, der erst bei größerer Differenzierung des Männlichen und Weiblichen hervortritt, nicht Dichter und Musiker, sondern wesentlich bildende Künstler. Sie haben ferner weder positiven noch negativen Geist, d. h. ihr Geist ist noch neutral, sie sind wesentlich schöne, unbewußte Tiere. Daher schreibt sich der Zug unbewußter Schwermut in den schönen Gesichtern der griechischen Kunst: das auf Erlösung Harrende, derselbe Zug, der an Tieren für den Menschen – der Natur gegenüber Geist – etwas so Hinreißendes und Rührendes hat.

Die griechische Verschmelzung von Stirn und Nase ist das Merkmal eines republikanischen Volkes, eines Volkes nämlich, in dem der einzelne, als nicht sehr selbstbewußt hervortretend, sich dem Ganzen willig einfügt. Die durch das Scherbengericht verbannten Griechen, denen man oft mehr Gutes als Böses nachzusagen hatte, waren jedenfalls markante Persönlichkeiten, die in dem typischen Volke unwillkürlich als Störenfriede, als die Unharmonischen, empfunden wurden. Man findet den griechischen Typus häufig in der Schweiz, dem einzigen wirklich republikanischen Volke des Abendlandes, und die Schweizer sind auch sehr empfänglich für schöne, harmonische Persönlichkeit, sehr empfindlich gegen irgendeine hervorstechende Persönlichkeit. Sie bewundern solche allenfalls bei Fremden, dulden sie aber nicht unter sich. Die Engländer, teils monarchisch, teils republikanisch, haben viel markante und viel typische Persönlichkeit; beide, das Original wie der Typus, werden als einheimisch, als der englischen Nation wesentlich empfunden. Ein durchaus monarchisch-aristokratisches Volk sind die Deutschen, wie es denn auch kein Volk gibt, wo die kleine, unbedeutende, verschwommene Nase so allgemein ist; der herrschenden Klasse dagegen sind sehr hervortretende Nasen eigentümlich.

Die Nase, die im Antlitz den Mann repräsentiert, gibt dem Gesicht seinen Charakter, wie es ja auch die Persönlichkeit ist, die für die entscheidende Wirkung des Menschen den Ausschlag gibt. Nirgends zeigt sich die Symbolik des menschlichen Äußern schlagender, als in der wesentlichen Veränderung des antiken Gesichtes durch das Vorspringen der Nase; es macht die Losreißung des Geistes von der Natur, das Selbstbewußtwerden sinnfällig. Durch das Vorspringen der Nase hat das Antlitz an typischer Schönheit verloren, die persönliche Schönheit und unendliche Mannigfaltigkeit ist dadurch erst geschaffen.

Den Charakter zeigt die Nase (wie übrigens auch das Kinn) dadurch an, daß sie das Skelett vorführt. Zuweilen täuschen fleischige Nasen Kraft vor, der nichts Inneres entspricht; diese verlieren mit den Jahren die Form, wodurch das Gesicht unschön wird. Eine kleine Nase wirkt kindlich, primitiv, und wenn sie sehr klein ist, schwach; da die Persönlichkeit noch unentwickelt ist, fehlt es an Wollen, Initiative, Selbständigkeit. Die prominente, große Nase ist das Merkmal des Herrschers, der durch seine Persönlichkeit sich alles unterwirft, auch ohne sein Dazutun. Zugleich zeigt die große Nase den religiösen Menschen, der, in voller Erkenntnis seines Selbst, sich als Ebenbild des persönlichen Gottes erfaßt. Namentlich spricht die mit einem zierlichen Kinn verbundene große Nase für schöne Religiosität, die Gottes- und Menschenliebe vereinigt; als ein Beispiel dafür wird vielen sofort Lavater einfallen.

Zur großen Nase gehört ein entsprechend großes Kinn, namentlich aber eine entsprechend große Stirn: ein Mittelpunkt ohne Peripherie ist ein Unding, eine starke Persönlichkeit ohne Grundlage und Gehalt hat etwas Lächerliches und Abstoßendes. Die Nase beherrscht das Antlitz; ist nichts Rechtes zum Beherrschen da, so liegt eine anspruchsvolle und vordringliche, eitle und leere Persönlichkeit vor.

Weite Nüstern drücken Genußfähigkeit aus: man sieht die Seele, die das Leben verschlingen möchte; sie werden sich gewöhnlich mit vollen Lippen zusammen finden.

Ein Gesicht mit schöner Nase kann nicht häßlich, ein Gesicht mit häßlicher Nase kann nicht schön sein; sie ist so ausschlaggebend für das Gesicht, wie der Mann für den Charakter der Familie.

An der Frau ist die große Nase störend, weil die Frau die wesentlich Bewußte, nicht die wesentlich Selbstbewußte ist. Man erwartet von der Frau bis zu einem gewissen Grade Innerlichkeit und Zurückhaltung, während die große Nase Hervortreten- und Herrschenwollen verrät. Andererseits entstellt die übermäßig kleine Nase die Frau nicht so sehr wie den Mann.

Eine alte, ich glaube griechische Schönheitsregel verlangt, daß Stirn, Nase und Kinn gleich lang seien, die Nase von der Wurzel an bis an den Punkt, wo die Oberlippe an die Nase stößt; das heißt: Vorstellungsvermögen, Willenskraft und Tatkraft sollen gleich stark sein. Danach müßte Napoleon, von dem gesagt wurde, er wisse alles, wolle alles und könne alles, ein schönes, harmonisches Gesicht gehabt haben.

Arme und Beine stellen den sich in Zeit und Raum bewegenden, den tätigen und handelnden Menschen dar. Der Arm mit der Hand ist das natürliche Werkzeug des Menschen, und es ist bezeichnend, daß von dem Worte Hand die Zeitwörter handeln, hantieren abstammen. Die Hand ist ein besonders ausdrucksvolles Glied, und es ist nicht unberechtigt, wenn auf eine wohlgebildete Hand unwillkürlich ebensoviel oder mehr Wert als auf ein schönes Gesicht gelegt wird. Die mehr schmale als breite, mittelgroße Hand der Frau macht uns sofort ihr harmonisches Walten im häuslichen Bezirk, ihr sanftes Pflegen deutlich, die große, kräftige und geschickte Hand des Mannes sein herzhaftes Zugreifen und Helfen. Mit unbefangenem Blick sieht man der Hand sofort an, wie der, zu dem sie gehört, handeln und Menschen behandeln kann. Täuscht einen im Gesicht etwa vorhandener guter Wille oder Selbstbeherrschung, so verrät die grobe, harte Hand unwidersprechlich, wie grausam sie anfassen und quälen, der Fuß, wie tückisch er schleichen oder wie nichtachtend er zertreten kann.

Kurze Arme scheinen gehemmte Entwickelung anzudeuten.

Die im Verhältnis zum Rumpf kurzen Beine sind ein Abzeichen der Weiblichkeit und hängen mit den Funktionen der Mütterlichkeit, dem breiten Becken, zusammen; die Frau wirkt nicht nach außen, sondern läßt die Frucht im Innern reifen. In diesem Zusammenhange wird es klar, warum die großen Künstler verhältnismäßig kurze Beine haben: sie bilden geistige Organismen wie die Frau räumliche.

Eine breite und hohe Stirn geht gewöhnlich mit breiten Hüften zusammen, denn sie ist ja das Zeichen der Weiblichkeit, und der Stirn im Antlitz entspricht das Becken im Körper. Mit ihrer Stirn vererbt die Mutter dem Sohne ihren Intellekt. Hat ein solcher Mann keine untersetzte Figur, sondern im Verhältnis lange Beine, so deutet das darauf, daß die Mutter sehr vergeistigt war, daß sie entweder einen ebenfalls sehr geistigen Mann hatte, oder, falls dieser positiv war, daß sie ihren Sohn anstatt nach dem Bilde ihres Mannes nach dem Bilde ihres Vaters machte. Ein solcher Mann ist also einseitig konstituiert, und es fehlt ihm an Positivität, Natur. (S. Kapitel VII.)

Überlange Arme und Beine bedeuten, wie das überlange Kinn, Kraft, die Schwäche geworden ist, und werden auch unwillkürlich allgemein als Zeichen von Dekadenz begriffen. Die überlange, schmale Hand ist ein erstorbenes Werkzeug; ist sie sehr schön geformt, könnte man sie den Leichnam eines Künstlers nennen.

Von den Organen, die man die vegetativen nennt, gleichsam die Urorgane, ist der Magen mit dem Darm das dem unbewußten, tatkräftigen Menschen wesentliche. Dies Organ, das Symbol der Tierheit, selbst ein Tier, ein allesfressendes, das sich von seinesgleichen wie auch von seinen Vorfahren, den Pflanzen nährt, fing an sich zu verneinen, als der Mensch, auf der Höhe des Bewußtseins angelangt, seine Tierheit, sein unbewußt zerstörendes Handeln verneinte. Seitdem wurde er immer schwächer, die tierische Nahrung bewältigt er nicht mehr und muß mit pflanzlicher gefristet werden. An diesem Organ sterben im allgemeinen die unbewußten Menschen.

Mit dem Bewußtsein war auch die Geschlechtsliebe auf den höchsten Grad gestiegen, im 16. Jahrhundert, und damals nahmen auch die Geschlechtskrankheiten ihren Anfang.

Während das Weib an Kopfschmerzen und den Organen der Mütterlichkeit zu leiden pflegt, sind die Erkrankungen des Herzens (Arterienverkalkung) und der Lunge dem Manne wesentlich.

Mit dem zunehmenden Selbstbewußtsein begannen die Leiden des Nervensystems, des höchsten Organes. Nervöse Störungen in einem Organ sind eigentlich sein Bewußtwerden und deuten somit sein beginnendes Sterben an.

Völligkeit des Körpers ist weiblich, Magerkeit und Schlankheit männlich und geistig; der Geist verzehrt die Materie wie Licht und Feuer. Das Weib bedarf des Stoffes, um ihre Kunstwerke, die Kinder, daraus zu bilden. Hat sie das Werk vollendet, so verliert sie an Völligkeit und wird mager, während der Mann zunimmt, der inzwischen sein geistiges Werk vollbracht hat; denn eine gewisse Menge von Stoff gehört notwendig zum ganzen Menschen.

Schwarzes Haar ist positiv, das Haar des primitiven, unbewußten Menschen, braunes Haar neutral, blondes Haar negativ (die blonde Bestie). Rotes Haar, die Feuerfarbe, bedeutet die äußerste Negation, es ist das Haar der Loreleien und Zauberer, destruktiver, nur erregender, nicht gebender Menschen.


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