Ricarda Huch
Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri
Ricarda Huch

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Wenn der junge Graf Federigo Confalonieri durch die Straßen Mailands ging, die eng, hoch und steil wie Felsschluchten waren, so glich er einem eingeschlossenen Pferde oder Hirsch, der mit entrüsteter Ungeduld die labyrinthischen Gänge seines Gefängnisses entlang schreitet und den Ausgang ins Freie sucht. Während er bei allen Vergnügungen, die die gute Gesellschaft pflegte, beim Fechten, Tanzen und Reiten, bei Rennen und Jagden, durch seine Gewandtheit und seinen Geschmack die Blicke auf sich zog, eilten seine Augen, deren schwarzblauer Glanz sie unvergleichlich machte, über die Umgebung hinweg, als ob sie nichts als ein Hindernis wäre, das ihn einengte.

Es war an einem Abend des ausgehenden Winters, als ihm dies Gefühl der Unruhe und des Ungenügens deutlicher und schmerzhafter als je zum Bewußtsein kam, nämlich auf einem Balle, den er ohne seine Frau besuchte, die ihrer ersten Entbindung entgegensah. Er fand die Gesellschaft, die sich im Palaste des alten Grafen Litta versammelte, in besonderer Erregung, weil Eugen Beauharnais, der Vizekönig von Italien, sein Erscheinen zugesagt hatte, worauf man um so mehr gespannt war, als seine junge Gemahlin ihn begleiten sollte, eine bayrische Prinzessin, von deren Schönheit, Liebenswürdigkeit und Tugend gesprochen wurde und die erst kürzlich in die Residenz eingezogen war. Federigo, dessen Familie Österreich anhing und der in der Abneigung gegen Napoleon aufgewachsen war, nahm die frohbewegte Stimmung mit Unwillen wahr; in jeder Gruppe, der er sich näherte, wurde von den hohen Eigenschaften des fürstlichen Paares gesprochen, und auch diejenigen, die über den neugebackenen König und Ehemann witzelten, verrieten, daß sie durch seine bevorstehende Gegenwart erregt waren.

Als Eugen, seine Frau am Arme, eintrat, hörte man 6 zunächst nichts als das Kleiderrauschen der herabsinkenden Damen, bis die lebhafte Anrede des Prinzen den Herrn und die Herrin des Hauses, die Nächststehenden und allmählich die ganze Gesellschaft ermunterte. Federigo stand neben der Gräfin Frecavalli, einer Freundin seiner Frau, in einer Fensternische, von wo aus sie bequem zusehen konnten, ohne selbst beachtet zu werden. »Hübsch, aber plebejisch,« sagte sie mit Verachtung; »er sieht aus wie ein Unterleutnant, der etwa auch mit einem netten Kammermädchen zufrieden ist. Unsere Landsleute indessen scheinen mit Begeisterung die Untertanen dieses Karnevalkönigs zu spielen.« Dies sagte sie mit Bezug auf die Herren und Damen, die sich drängten, dem prinzlichen Paare vorgestellt zu werden. Die allgemeine Beflissenheit benutzte Federigo, um unbemerkt den Saal und das Haus zu verlassen; seine Laune war so geworden, daß es ihm unmöglich schien, in die gesellige Fröhlichkeit einzustimmen. Er machte sich eilig Weg durch die neugierigen Menschen, die noch immer am Tore des Palastes standen, bog in eine stillere Nebenstraße ein und überließ sich seiner Stimmung und seinen Gedanken.

Das Bild der hochmütigen Aristokraten, seiner Landsleute und Standesgenossen, wie sie dem jungen Franzosen huldigten, den die Willkür Napoleons ihnen als Fürsten aufgedrängt hatte, haftete, Zorn und Ekel erregend, in seinem Geiste. Er dachte, daß Napoleon kein Land mit solcher Nichtachtung behandelt hätte wie Italien, und indem er sich sagte, daß sie es durch ihr Betragen verdienten, empörte sich doch sein Gefühl dagegen, als gegen eine Vergewaltigung und Verhöhnung des edelsten unter allen Kulturvölkern. Mehr als je empfand er es mit Genugtuung, nicht zu diesen Menschen zu gehören, die ohne Würde und Größe nur auf den flachen Genuß des Augenblicks bedacht waren; zugleich aber bedrängte ihn die 7 Frage, wodurch er sich denn anders als eben durch diese Verachtung von ihnen unterschiede. Daß sie ihn nicht für ihresgleichen hielten, ließen ihn die älteren Leute durch Abneigung, Tadel oder Spott merken, viele von den jüngeren dadurch, daß sie ihn anstaunten und ihm in Kleidung und Gewohnheiten nachzueifern suchten, sei es auch nur, um sich hervorzutun. Man hielt ihn für klug, scharfblickend und hochstrebend, seine Altersgenossen, junge Männer, Frauen und Mädchen hörten zu, wenn er sprach, wie wenn sein Urteil mehr als das anderer gälte; aber in diesem Augenblick schätzte er sie gerade deswegen gering. Er hatte nichts geleistet, nicht mehr gelernt als jeder junge Edelmann von Mailand: Reiten, Fechten, ein wenig Französisch und ein wenig Geschichte. Vielleicht gehörte eine gebietende Haltung und eine stolze Anmut zu seiner Person, die ihn vor anderen auszeichnete; aber auch wenn er alle anderen in der Ausbildung des Körpers übertroffen hätte, war er doch nicht so einfältig, bloßen Fertigkeiten höheren Wert beizulegen. Es hatte Männer in Mailand gegeben und gab noch solche, die Anspruch auf Ehrfurcht und Ruhm hatten: Beccaria, der die Rechtswissenschaft in eine neue Bahn gelenkt hatte, Verri, dessen Charakter ein Vorbild war, Monti, dessen Kunst auch die Verächter seiner Gesinnungslosigkeit bewundern mußten, und andere; wie er nun bedachte, daß ein unbestimmtes Selbstgefühl ihn von jeher über diese hinausgedrängt hatte, und dann, was er bisher geleistet hatte, mit ihren Taten verglich, ergriff ihn ein solches Schamgefühl, daß er für sich errötete.

Er ging schnell vorwärts, vom Ungestüm seiner Gedanken und Entschlüsse getrieben; denn indem er das schärfste Urteil über sich fällte, entschied er zugleich, daß es für die Zukunft aufgehoben sein sollte. Kenntnisse wollte er sich zuerst erwerben, damit er sich nicht länger durch die Lächerlichkeit 8 entwürdigte, Meinungen und Einrichtungen zu verachten, ohne seinen Tadel begründen und vernünftige Vorschläge machen zu können. Wenn andere ihm darin nachahmten, daß er die herrschenden Gesinnungen und Verhältnisse angriff, so wollte er, daß sie zugleich ein Muster des Besseren in ihm finden könnten. Der Druck, der ihn während des ganzen Abends belastet hatte, wich dem Schwunge seiner belebten Willenskraft, die sich auf ein außerordentliches Ziel richtete; seine schlanke Gestalt richtete sich freier auf, und er durcheilte mehrere Straßen mit fliegenden Schritten, ohne darauf zu achten, wohin sie führten. Er beschloß ohne Zögern, morgen etwa, seine Lebensweise zu verändern und, anstatt die Zeit mit sinnlosen Vergnügungen und Zeremonien zu verlieren, seinen Geist durch gründliches Studium, namentlich der Staats- und Naturwissenschaften, der Geschichte und der Sprachen, zu bilden und zu erweitern. Plötzlich veranlaßte ihn das Gefühl, sich an einem unbekannten Orte zu befinden, daß er stehenblieb und sich umsah: er fand heraus, daß er sich nicht weit von der Porta Comasina befand, in einer Gegend, wo hauptsächlich kleine Handwerker wohnten und die er selten besuchte.

Wie er stand und überlegte, welchen Weg er einschlagen müßte, um am schnellsten nach Hause zu kommen, denn er befand sich an einem Kreuzungspunkte, sah er tief im Hintergrunde einer langen dunklen Gasse etwas Unkenntliches sich langsam bewegen. Er bedachte schnell, daß er allein in dieser verlassenen Gegend war und keine Waffe bei sich hatte; doch blieb er mit etwas unruhiger klopfendem Herzen stehen, um das Verhüllte herankommen zu lassen. Ein schwaches Räderrollen und der klarer werdende Umriß überzeugten ihn, daß es ein Wagen war, der vielleicht einen Toten oder einen Kranken beförderte. Als er nahe genug bei ihm war, rief er 9 dem Kutscher zu: »Fährst du einen Kranken? Hat es einen Unfall gegeben?« worauf der Wagenschlag sich öffnete und der Kopf eines Herrn zum Vorschein kam, der fragte, was es gebe. Mit Verwunderung erkannte Federigo den Grafen Melzi d'Eril, den ehemaligen Präsidenten der zisalpinischen Republik, den Napoleon zum Herzoge von Lodi gemacht hatte und der jetzt noch, obwohl ohne Amt, eine beratende und oft entscheidende Stimme in den Staatsgeschäften hatte. Auf Federigos Entschuldigung, er habe sich überzeugen wollen, ob der Wagen etwas Gespenstisches, etwas Verbrecherisches oder Hilfsbedürftiges verberge, lächelte Melzi und erklärte, daß er wegen eines Anfalls heftiger Gichtschmerzen seinem Kutscher befohlen habe, Schritt zu fahren; gleichzeitig forderte er ihn auf, einzusteigen und mitzufahren, wenn anders er nach Hause wolle, da die Schmerzen jetzt fast vorüber wären und er die Pferde wieder traben lassen könne. Als Federigo neben ihm saß, fügte er hinzu, daß er in einer sehr wichtigen Angelegenheit von seinem Landgut in die Stadt komme, nämlich um den Vizekönig von einer Entschließung abzuhalten, die er für unheilvoll halte. Er spreche davon, sagte er, weil Federigo in dem Rufe stehe, nicht nur gut reden, sondern auch klug schweigen zu können. »Da Ihr auf die eine meiner bescheidenen Gaben rechnet,« sagte Federigo, »gestattet Ihr mir vielleicht, von der anderen einen mäßigen Gebrauch zu machen.« Eigentlich sei es nur eine Frage, die er stellen wolle: ob Melzi es für ehrenhaft und ratsam halte, daß ein junger Mann sich und seine Arbeit einem Staate widme, dessen persönlicher Spitze er mit grundsätzlicher Abneigung gegenüberstehe. Melzi betrachtete Federigo mit Wohlwollen und sagte lachend: »Ich sehe, mein Lieber, daß Ihr auch ein wenig auf meine Verschwiegenheit rechnet.« Ernsthafter verbreitete er sich dann darüber, daß nach seiner Meinung jeder junge 10 Mailänder, der durch Herkunft und Begabung eine Anwartschaft darauf habe, in den Staatsdienst eintreten solle. Er wisse, daß die Familie Confalonieri österreichisch gesinnt sei; ob nun aber Federigo diesen Traditionen folge oder nicht, so sollte er sich keinesfalls dadurch abhalten lassen, seine Arbeitskraft dem Staate zu widmen. Es komme weniger darauf an, wer der Maschine seinen Namen gebe, als von wem und in welchem Sinne sie gelenkt würde. Die französische Herrschaft sei in vieler Hinsicht ein Vorteil für die Lombardei gewesen, das öffentliche Leben habe sich reicher entfaltet; freilich, wenn die einheimischen Tüchtigen sich vom Staatsdienste zurückzögen, so müßte entweder Mißwirtschaft oder Fremdherrschaft entstehen, die außerdem zur Folge hätte, daß der eingeborene Adel, der der Träger der Kultur und insbesondere des Staatswesens sein sollte, infolge der Untätigkeit träge, stumpf, weichlich und untauglich würde.

Da sie inzwischen vor dem Palaste des Herzogs angekommen waren, verabschiedete sich Federigo mit Dank, ohne den Wagen, den jener ihm anbot, weiter zu benutzen. Während er nach Hause ging, überdachte er Melzis Worte, die ihn durchaus nicht befriedigten. Wie konnte er sagen, daß es auf die Person des Herrschers nicht ankomme, wenn der Herrscher Napoleon war; denn Eugen Beauharnais war nur sein Geschöpf! Die in Mailand regierten und verwalteten, waren nur Vollzieher von Napoleons souveränem Willen; man war nicht in England. Je aufrichtiger er Melzi als einen hervorragenden Staatsmann von unanfechtbarer Redlichkeit bewundert hatte, desto mehr mißfielen ihm die eben ausgesprochenen Grundsätze, auf die sich der Troß der gesinnungslosen Sklaven berufen konnte, die nach der Gunst des jeweils Mächtigsten haschen. Nicht die flüchtigste Neigung war in ihm, dem erhaltenen Rate gemäß zu handeln; vielmehr war 11 sein Entschluß befestigt, keinerlei Amt, das Hof oder Regierung ihm anböte, anzunehmen, sondern sich zunächst ganz auf die Ausbildung seines Geistes zu beschränken.

Dessenungeachtet gelang es Eugen Beauharnais, ihn mit dem Hofe zu verknüpfen, indem seine Frau Hofdame der Vizekönigin wurde, was Federigo auf den Wunsch der Familie Casati, der Teresa angehörte, zuließ. Teresa war zwar gewöhnt, sich dem Willen ihres Mannes zu fügen, der nicht selten von dem der Ihrigen abwich, freute sich aber der getroffenen Übereinkunft diesmal besonders, weil sowohl die wahrhaft liebenswerte Prinzessin wie der warmherzige, ritterliche Beauharnais ihr sympathisch waren. Ihre kindlich edle Erscheinung und ihr treuherzig schlichtes Wesen, das sie von den anderen Damen durchaus unterschied, machte bald Eindruck auf den Vizekönig, und seine Huldigungen wurden bemerkt, wie auch, daß Teresa sie gelassen annahm; denn da sie nicht gefallsüchtig war, dachte sie weder daran, die Männer zu reizen, noch sie gelegentlich zurückzustoßen, sondern freute sich arglos der Neigung, die sie erweckte. Federigo, der das Erscheinen seiner Frau bei Hofe immer ungern gesehen hatte, bekämpfte mühsam seinen Unwillen; wie nun aber der Vizekönig ihm das Amt eines Groß-Stallmeisters anbot und dadurch einer beleidigenden Verkennung seiner Persönlichkeit und seiner Talente oder einer Gedankenlosigkeit Ausdruck gab, die ebensosehr der Zurechtweisung bedurfte, lehnte er nicht nur für seine Person ab, sondern ließ auch Teresa ihr Amt bei der Prinzessin niederlegen. Daß der kleine französische Edelmann, der Sohn einer Frau von zweifelhaftem Rufe, durch nichts als soldatische Tüchtigkeit und die galante und leichte Liebenswürdigkeit der französischen Offiziere ausgezeichnet, ihn zu seinem Stallmeister hatte machen wollen, fühlte er so sehr als Kränkung, daß er es bedauerte, sie nicht 12 im Zweikampfe rächen zu können. Es verschärfte seinen Haß, daß die sonst immer nachgiebige Teresa zwar seinem Willen gehorchte, aber im Bewußtsein ihrer Schuldlosigkeit und der Harmlosigkeit von Eugens Leichtsinn, sein Verhalten ihr gegenüber in Schutz nahm und Federigos Eifersucht um so bestimmter zurückwies, als kein Liebesübermaß auf seiner Seite sie entschuldigen konnte. Eine Zeitlang war er geneigt, ihr nicht nur Mangel an weiblicher Würde, sondern auch an italienischer Gesinnung vorzuwerfen, eine Unbilligkeit, die ihre sich gleichbleibende Treue und Festigkeit allmählich stillschweigend widerlegte.

Mit dreißig Jahren war Federigo das Haupt einer Partei geworden, die sich die Italienische nannte, weil sie anstatt französischer oder österreichischer Herrschaft einen nationalen Staat als Ziel setzte, oder auch die Liberale, weil sie die alte, absolutistische Regierungsform durch eine Verfassung in moderner Art ersetzen wollte. Unerwartet schnell stellten die stürzenden Ereignisse sie vor die Notwendigkeit zu handeln, als Napoleon fiel. Die Möglichkeit, selbständig zu werden, war für Mailand jetzt durch raschen Anschluß an Eugen Beauharnais gegeben, der, an der Spitze eines geschulten Heeres stehend, Österreich abhalten und sich zu einem italienischen Könige machen konnte. Allein die Unabhängigkeitspartei konnte von diesem Franzosen und Geschöpf Napoleons den Begriff der Fremdherrschaft nicht trennen und richtete die ganze Kampfkraft gegen ihn, wodurch es den österreichisch Gesinnten leicht wurde, ihre Pläne durchzusetzen. Der wilde Flügelschlag dieser Zeit war für Federigo wechselweise belebend und entkräftend; er genoß in vollen Zügen, daß er handeln und vorwärtseilen konnte, aber das Bewußtsein nagte an ihm, daß teils Mangel an geeigneten Mitteln, teils die Gedankenlosigkeit und Selbstsucht seiner Anhänger wie 13 seiner Gegner ihn verhindern würde, das erwünschte Ziel zu erreichen. Die größere Hälfte der Aristokratie mochte sich nicht schnell genug in Österreichs Arme werfen, das durch fast hundertjährige, heilsame Herrschaft sich heimisch in Mailand gemacht hatte, und mit derselben Ausschließlichkeit sahen die Franzosenfreunde die Rettung durch den Beauharnais verbürgt; es schien ihm, als ob keiner von allen, auch die von seiner Partei nicht, das Schicksal Italiens im ganzen und seine Zukunft bedachte. Zuweilen war es ihm, als ob er allein sehend und wissend zwischen lauter Tieren sei, die ein unverstandener Instinkt zu einer an sich bedeutungslosen oder vielleicht unheilvollen Stelle risse, ein zugleich kläglicher und brutaler Anblick. In dem Gefühl, alleinstehend mit einer schweren Verantwortung belastet zu sein, dachte er an den Grafen Melzi als an den einzigen, dessen Ansehen so groß und allgemein war, daß er vielleicht die Vereinigung aller zu gemeinsamem Handeln erzwingen konnte.

Es war ein Frühlingsmorgen, als er sich entschloß, den Kanzler aufzusuchen und ihn zu bitten, in die Verwirrung der öffentlichen Angelegenheiten rettend einzugreifen. Melzi empfing ihn auf einem Diwan liegend, da ihn die Gicht seit einiger Zeit des Gebrauchs der Beine beraubte; sein Gesicht war schmäler und weißer geworden, die feine gebogene Nase schärfer, und die Lippen, um die ein höfliches Lächeln schwebte, dünn und blaß. Seine dunklen Augen, die in früherer Zeit wohl einen Ausdruck jesuitischer List und Verborgenheit annehmen konnten, waren tiefer zurückgesunken und erschienen größer und ernster. Er äußerte Freude, Federigo zu sehen, an dessen Entwicklung er immer Anteil genommen habe und der einen Veilchengeruch von Ahnung und Hoffnung mit in sein Krankenzimmer bringe. Indessen zu dem, was Federigo nun vortrug, schüttelte er den Kopf. »Versucht nicht,« sagte 14 er, »mich noch einmal in die Kämpfe des öffentlichen Lebens zu ziehen, die ich kaum aus der Ferne zu betrachten tauge. Ich habe jahrelang mit aller Kraft der einen Welt gedient, in der wir Sterbliche uns bewegen; nun wird es mir Zeit, mich in die unsichtbare einzuleben, der wir auch angehören. Wohl habe ich dem Kaiser nahe genug gestanden, um durch die Wendung seines Geschickes erschüttert zu werden; denkt indessen nicht, daß diese Anhänglichkeit mich etwa bewöge, mit dem sinkenden Sterne den Schauplatz zu verlassen. Aber wen läßt dies Ende nicht an das Ende aller menschlichen Dinge denken! Von dem Anblick der zahllosen geringeren Geschöpfe, die sich, von einem mächtigeren lange niedergehalten, nun tausendfüßig regen und täglich anmaßender ihr Teil von der freigewordenen Beute heischen, wendet mein Auge sich überdrüssig ab; geschweige denn, daß ich auf diesem Markte mitfeilschen möchte. Wir überschätzen die Wichtigkeit unserer irdischen Verhältnisse. Wie gleichgültig ist es, wessen Gier es davon trägt, was der oder jener besitzt, wem dies oder das angehört! Was ein jeder ist und tut, davon hängt das Wohl der Einzelnen und des Ganzen ab. In einem Staat von Ehrenmännern, die das Rechte tun, kann auch ein Schelm ohne Schaden regieren.«

Federigo hatte kaum mit der Achtung zuhören können, die das Alter und die Würde des Kanzlers erforderte. »Verzeiht mir,« entgegnete er lebhaft, »wenn ich Euch in die dünne Region solcher Anschauungen nicht folgen mag. Wie kann ein jeder das Rechte anders tun, als indem er die Pflichten seines Berufes erfüllt? Und habt Ihr nicht selbst gesagt, daß unser Beruf es ist, dem Staate zu dienen? Ich weiß nicht, welche Formen das Dasein im Reiche Gottes annehmen wird; wir müssen die Triebkräfte anerkennen und nützen, die uns irdische Menschen bewegen. Auf den Höhen Eurer 15 Weisheit verkümmert der Wuchs der Taten; die aber sind das Skelett der Menschheit, und ihr Edelstes ist daran gebunden und darin ausgedrückt, bis wir erlöste Geister sind.«

Melzi, der aufmerksam und lächelnd zugehört hatte, sagte einlenkend, er freue sich, einen jungen Landsmann eine so kräftige Lebensauffassung äußern zu hören. Er habe sein Fernbleiben von den Welthändeln erklären, nicht ihn dazu überreden wollen. Wenn er seinen Rat wünsche, sei es der, nicht mehr erstreben zu wollen, als was vernünftigerweise erreichbar sei. Wenn Mailand jetzt zu Beauharnais halte, sei es möglich, daß dieser das lombardo-venezianische Königreich erhalte und eine einheimische Dynastie begründe; er habe dahinzielende Ratschläge bereits seit Wochen gegeben, allein die Mailänder Parteien hörten nicht auf, sich untereinander zu bekriegen, und Prinz Eugen sei zu zartfühlend oder zu kleinmütig, um die zum Zweck notwendigen Entschlüsse zu fassen.

Federigo warf mit einer unmutigen und verächtlichen Bewegung den Kopf zurück und sagte: »Wenn er es vorzieht, sich zu fügen, warum sollten wir den Fremden festhalten?« Der Kanzler kniff die Augen zusammen und betrachtete seinen Gast nachdenklich. »Gehorsam ist die höchste Weisheit, die der Mensch erlernen kann,« sagte er bedächtig und fuhr dann in einem sachlicheren Tone fort: »Ihr liebt den Vizekönig nicht und, wenn ich recht berichtet bin, die Erzherzoge ebensowenig. Welcher klügere Plan ist es denn, mit dem Ihr meinen ausstechen wollt? Sollen wir dem General Pino die eiserne Krone anbieten?« Es war nämlich unter den unbedingten Italienern daran gedacht worden, diesen tüchtigen Anführer, der den russischen Feldzug rühmlich mitgemacht hatte, an Eugens Stelle zu setzen. Federigo machte eine hastig ablehnende Handbewegung, indem er sagte: »Wir haben genug 16 von der Soldatenherrschaft!« und auf Melzis fragenden Blick setzte er vorsichtig zögernd hinzu: »Es gibt Millionen Italiener, und die Hälfte von ihnen sehnen sich nach einem freien und unabhängigen Vaterlande. Wenn sie alle ihre lokalen Eitelkeiten und Beschränktheiten diesem Ideal zuliebe ein wenig zurückstellten, wenn sie ihre Wünsche zu einem festen, dauerhaften Willen verdichteten, sollten wir zu diesem italienischen Volke nicht einen italienischen Fürsten finden können?« Melzi hatte mit kühlem Staunen zugehört und den Kopf nach dem geöffneten Fenster gedreht; am hellblauen Himmel hingen Girlanden von daunenweichen Wölkchen über den dunklen Palästen, die sein Gegenüber bildeten. »Wenn! wenn! Das sind Schimären!« sagte er zerstreut und spielte mit einem in karminrotes Leder gebundenen Buche, das an seinem Tischchen neben ihm lag, und in welchem er vorher gelesen haben mochte. Es sei die »Nachfolge Christi« von Thomas a Kempis, erklärte er, ein Buch, das Federigo wohl noch nicht gelesen hätte, das er aber gewiß später einmal schätzen würde. »Alle Geheimnisse der Welt löst dies Buch«, sagte er, »dem, der es versteht, wovon ich leider noch fern bin. Kennt Ihr den Spruch des alten Mystikers: ›In girum imus nocte et consumimur igni; wir irren nächtlich im Kreise und verzehren uns brennend?‹ Gönnt mir, mein Lieber, mich aus dem irdischen Labyrinth zu entwirren, bevor das selbstmörderische Feuer mich verzehrt hat.« In seinem Blicke lag beim Abschiede wohlwollende Nachsicht und ein leiser Spott, der Federigo das Blut in die Wangen trieb.

Die Enttäuschung, die er erfahren hatte, erbitterte ihn gegen den Mann, den er als den feinsten Geist und stärksten Charakter Mailands, ja Italiens bewundert hatte, und der sich nun seinem Vaterlande entzog, da es seiner am meisten bedurfte. So trübselig hatte ein Alter von kaum sechzig Jahren 17 ihn verändert; er zürnte mit der gebrechlichen Menschennatur und mit dem Kanzler insbesondere, den er frei von den der Allgemeinheit anhaftenden Schwächen geglaubt hatte. Wäre er offen und wirksam für Eugen eingetreten, so hätte man ihn bekämpfen oder sich von ihm überwinden lassen können; aber unleidlich war ihm die Gleichgültigkeit oder Trägheit und vollends, daß er sie in eine Kutte der Frömmigkeit und Weisheit vermummte. Es schien ihm dasselbe zu sein, was er den meisten seiner Landsleute vorwarf und worin er den Grund der staatlichen Bedeutungslosigkeit sah, nämlich eine gewisse Weichlichkeit des Geistes, der sich am wohlsten fühlt, wenn er sich in Beschäftigungen verlieren kann, die kein wirksames Handeln erfordern und keine Verantwortung auferlegen, etwa Münzen oder alte Pergamente sammeln, ins Theater gehen oder Rosenkränze abbeten.

Auf sich selbst angewiesen, warf er sich mit hochgespannter Leidenschaft in die Ereignisse des Tages, zunächst mit dem Zweck, die Verlängerung der Franzosenherrschaft in der Person des Prinzen Eugen unmöglich zu machen. Die Volksrache, die man absichtlich gereizt hatte, griff aus der Reihe der Unbeliebten den Finanzminister Prina heraus und marterte den Wehrlosen mit den Händen und allerlei beliebig aufgerafften Werkzeugen zu Tode. Während so Mailand die Reste der napoleonischen Herrschaft zertrümmerte, verteilten die Alliierten Italien, und als eine Abordnung aus Mailand in Paris eintraf, um einem habsburgischen Prinzen die Krone eines selbständigen, nach liberaler Verfassung zu regierenden Reiches anzubieten, waren die Lombardei und Venetien bereits österreichische Provinzen geworden.

Federigo war ein Mitglied der durch die provisorische Regierung ernannten Deputation und reiste mit dem Bewußtsein ab, obwohl der jüngste unter seinen Gefährten, der 18 einzige zu sein, der für eine möglichst weitgehende Selbständigkeit Mailands mit Nachdruck eintreten würde; denn die übrigen wollten nichts, als dem Kaiser ihre Ergebenheit versichern, oder verfolgten den Grundsatz, sich nicht auszusetzen. Nun aber zeigte sich sofort, daß der Abordnung keine andere Aufgabe blieb, als dem neuen Herrn zu huldigen, und während auf der einen Seite die wachsende Einsicht in die Aussichtslosigkeit aller seiner politischen Bestrebungen ihn erschütterte, erheiterte und berauschte ihn das Treiben der großen Stadt und die glänzende Geselligkeit, an der teilzunehmen seine Stellung ihn veranlaßte. Wo er erschien, bewirkte der Zauber seiner Gestalt und Mienen, die seelenvolle Lebhaftigkeit und der Gehalt seiner Rede, daß man ihn auszeichnete; aber er konnte über der schmeichelnden Meinung der anderen nur auf Stunden die vergessen, die er selbst von sich hatte: daß er mit allen seinen Plänen und Hoffnungen gescheitert war und die hohle und lächerliche Rolle eines belanglosen Höflings spielte. Noch klammerte er sich an die Aussicht, daß die Vertreter Englands und Rußlands Mailand in seinen Forderungen unterstützen würden; da er bei ihnen kein Gehör fand, blieb nur die Möglichkeit, daß der Kaiser selbst den Willen der Italiener achtete, wenn es gelang, ihn von dem Ernst und der Festigkeit desselben zu überzeugen.

Kaiser Franz empfing die Mailänder Herren in gemütlicher Stimmung, die sich unter dem Eindruck der absichtlichen Zurückhaltung, die Confalonieri beobachtete, zunächst nur desto umständlicher entfaltete. Während der ersten oberflächlichen Wechselreden betrachtete Confalonieri die hohe Person mit Spannung: Sein Körper, sein Gesicht und seine Haltung waren nicht häßlich, aber geistlos und unedel und standen in verletzendem Widerspruch zu der Stellung, die er einnahm, und zu der Selbstgefälligkeit, mit der er sich derselben bewußt 19 zu sein schien. Nichts von Größe, Wahn oder Übermut lag in seiner Erscheinung unwillkürlich ausgesprochen, wohl aber ein eisernes Selbstgefühl, das nicht dem Stolz üppiger Natur und adligen Blutes entsprang, sondern einer Art habgieriger und mißgünstiger Gesinnung, die sich von niemandem den Rang ablaufen lassen will. Dieser Eindruck, den er sich im einzelnen nicht sofort klarmachte, erzeugte in Federigo ein Gefühl von Abneigung gegen ein Fremdartiges, seiner Seele nicht Eingehendes, das mit leiser Geringschätzung verbunden war.

Sowie eine Gelegenheit sich bot, sagte er etwa folgendes: »Die Wirbel der Vergangenheit haben in Mailand wertvolle Kleinodien zurückgelassen: ein eigenes Heer, das sich in blutigen Kriegen bewährt hat, Gesetze, die freilich bisher ungeachtet auf dem Papiere standen, Unternehmungen, die die Betriebsamkeit förderten und den Wohlstand hoben; darf Mailand von Eurer Majestät erleuchteter Einsicht und väterlicher Güte hoffen, daß Sie einen Besitz, den es mit vielen Opfern bezahlt hat, erhalten werden?«

Der Kaiser, dem die Bedeutung der Worte nicht entgangen war, sagte nachlässig, als ob es sich um ein paar förmliche Redensarten handle: »Ja ja, ich weiß wohl, die Mailänder haben in den Kriegsjahren viel gelitten. Nun, ich werde für alles sorgen; ihr seid meine Untertanen, und ich werde wie ein Vater euren billigen Wünschen und Bedürfnissen Rechnung tragen.« Das Wort Untertanen, das Franz in der Tat mit Bedacht gewählt hatte, klang Federigo wie eine Zurückweisung und Herausforderung; um so entschiedener brachte er die Bitte vor, der Kaiser möge die Lombardei durch Personalunion mit seinen übrigen Ländern verbinden, nicht zu einer österreichischen Provinz machen. »Ich bin nicht ehrgeizig,« sagte Franz, »von einem Königreich Italien will ich nichts 20 wissen, weil ich nur auf die Provinzen Lombardei und Venetien ein Recht habe.« In seinem Tone lag jetzt die Bestimmtheit des Herrn, der das letzte Wort gesagt hat; doch würde er gern, fügte er herablassend hinzu, bei seinen Maßnahmen die Vorschläge der Abgeordneten in Überlegung ziehen. »Etwas anderes zu erbitten oder anzunehmen, als was wir gesagt haben, liegt nicht in unserem Auftrage,« sagte Federigo kalt. Franzens hellblaue, neugierige Augen glitten rasch mit spöttischem Mißfallen über den jungen Grafen, der ihm dermaßen zu trotzen wagte. Das Urteil, das er im Innern über ihn ausfertigte, lautete, daß der junge Mann eitel, hochfahrend und phantastisch sei und gelegentlich gedemütigt werden müsse. Die anderen Mailänder Herren gefielen ihm freilich ebensowenig, obwohl sie mit augenscheinlicher Beflissenheit darum warben; denn wenn er auch Unterwürfigkeit forderte, war er doch nur mit derjenigen zufrieden, die mit deutscher Einfalt und Biederkeit dargebracht werde, während ihre übertriebene und allzu glatte Äußerung ihm Mißtrauen einflößte. Überhaupt hatten die Italiener nichts Trauliches für ihn; doch erachtete er sie für ungefährlich, sofern er sie nur scharf in Zucht hielte.

Federigos Herz war voll von Erbitterung gegen alle, die seiner Ansicht nach diesen Ausgang verschuldet hatten: gegen die mailändische Regierung, die sich nach dem Sturze Napoleons und Eugens gebildet hatte, gegen die österreichische Partei und gegen seine eigene, gegen den Grafen Melzi. Wenn alle diese anders gewesen wären, glaubte er, hätte sich etwas erreichen lassen; aber auch sich selbst warf er vor, daß er die Lage nicht beizeiten erkannt hatte. Er kam sich getäuscht und bloßgestellt vor, so, als könne er auf das Zutrauen seiner Mitbürger keinen Anspruch mehr erheben. Sein Widerwille, Mailand und sich in Mailand zu sehen, bewog ihn, von Paris 21 nach London zu fahren, um die englischen Zustände gründlich kennenzulernen. Dorthin war ihm der Ruf seiner Persönlichkeit, Talente und Gesinnungen vorausgegangen und eröffnete ihm alle Kreise, in denen moderne Bildung und freisinnige Bestrebungen herrschten, und die nun seine schlanke Jugend, sein verschwenderischer Geist und sein beherrschtes Wesen vollends gewann. Als er nach Mailand zurückkehrte, begann sein Name in der liberalen Welt Europas Geltung zu haben.

Dort hatte inzwischen mit Gepränge und unter lauten Huldigungen der Einzug des neuen Monarchen stattgefunden. Im Hause des Grafen Vitaliano Confalonieri, des Vaters von Federigo, herrschte eine selbstzufriedene Stimmung, als wäre auf Grund eigener Verdienste nach langer Herrschaft des Unsinns nunmehr die Vernunft wiedereingesetzt. Der häufigste Gast im Hause des alten Grafen, die an Stelle seiner frühverstorbenen Gemahlin den Haushalt überwachte und der Geselligkeit vorstand, war seine Kusine Pompea, mit der er beständig im Streite lag, ohne sie jedoch entbehren zu können. Beide machten Federigo Vorwürfe, daß er gerade jetzt abwesend gewesen war, während er die Gelegenheit hätte ergreifen sollen, sich bei dem Kaiser in Gunst zu setzen; aber während Vitaliano verlangte, daß über alles, was den Hof anging, mit Ernst und Ehrerbietung gesprochen werde, nahm sich Pompea das Recht, über dies wie über alles andere ihre Meinung frei und ausgelassen zu äußern. Nach ihrem Gefühl waren die Rechte der Habsburger Dynastie über Italien unbestreitbar, hatte diese aber neben ihrer Unantastbarkeit als solcher auch eine menschliche Seite, die der allgemeinen und namentlich ihrer Kritik unterstand. Da Kaiser Franz in demselben Jahre wie sie selbst geboren war, betrachtete sie ihn nicht viel anders als wie einen Zwillingsbruder, der ein wenig 22 mißraten wäre und wohl daran täte, sich nach ihren Anweisungen zu richten. Sie erzählte Federigo, daß er während der Galaaufführung in der Scala ein sauertöpfisches Gesicht gemacht habe und überhaupt kein Kavalier sei, worauf Vitaliano entgegnete, er gebe das Beispiel lobenswerter Sparsamkeit, wovon freilich die Mailänder nichts wissen wollten. »Er ist ebenso geizig wie du,« sagte Pompea; »aber du kannst nicht leugnen, daß er wie ein Stück Seife aussieht. Ja, er hat etwas von einem langgezogenen Talglicht und ist kein Mann von Welt. Er plagt seine Frauen mit einer Gattenliebe, die ihm niemals ausgeht, wie einem Anstreicher seine Tünche, und es nimmt mich nicht wunder, daß sie sich hinlegen und sterben. Freilich hat er es nicht nötig, ein Kavalier zu sein, aber das hindert mich nicht, die Wahrheit auszusprechen.« Hingegen machte sie Federigos hingeworfene Bemerkung, Franz sei eben kein Italiener, sehr böse. Erstens, sagte sie, sei er in Florenz geboren, und zweitens taugten die Italiener nicht zum Regieren. Sie wären untereinander wie die Hunde und fingen an zu raufen, sowie mehr als einer da wäre. Indem sie Federigo mit ihrem Fächer auf den Arm schlug, sagte sie, er solle nicht das moderne Wesen annehmen und den Italiener spielen wollen; das sei pöbelhaft, und er würde seinen guten Ton und seine Eleganz dabei einbüßen. Er fange an, ein Sonderling zu werden, das sei aber eine grobe Geschmacklosigkeit, die er abtun müsse.

In einem Punkte war Vitaliano geneigt, Federigo zu entschuldigen, wo Pompea ihn angriff, nämlich, daß er seine Frau zuviel allein lasse, ohne sie auf Reisen gehe, überhaupt sie vernachlässige. Pompea, welche mit ihrem fünfundvierzigsten Jahre die Reihe ihrer galanten Abenteuer noch nicht abzuschließen gedachte, hatte eine Vorliebe für Teresa, die sie gerührt das gute Kind nannte, die nichts erlebt hatte und mit 23 all ihrer Schönheit und Jugend in dem, was das Wesentliche war, gegen sie nicht aufkommen konnte. Zwar pflegte sie, wenn sie ihm Vorwürfe machte, ihn augenzwinkernd anzusehen und zu sagen: »Nicht wahr, sie ist langweilig, das gute Kind? Wie eine protestantische Kirche!«; aber sie beharrte darauf, daß die arme Kleine nichts dafür könne, und daß er sich ein wenig um sie bekümmern müsse. Vitaliano sagte dagegen, Frauen hätten das Haus und die Kinder, ohne sich dadurch irremachen zu lassen, daß Teresas einziges längst gestorben war, und könnten außerdem in die Kirche und in das Theater gehen; Männer gehörten zu Männern.

Nach kurzer Zeit erfuhr Federigo, daß man ihn allgemein für den Urheber des Volksaufstandes hielt, dem der Finanzminister Prina zum Opfer gefallen war; denn sein Haß Napoleons und des Prinzen Eugen waren bekannt, und seine Persönlichkeit trat so auffallend hervor, daß man ihm ohne weiteres die bedeutendste Rolle bei diesen Ereignissen zuschrieb. Besonders quälend war es, daß fast ein jeder annahm, es sei so, aber niemand es ihm ins Gesicht sagte, so daß er die Verachtung und den Abscheu zu spüren glaubte, die ein Anstifter zum Morde einflößt, ohne sich verteidigen zu können. Endlich entschloß er sich dazu, den Argwohn, der ihn lautlos umstrich, selbst auszusprechen und zugleich als verleumderisch zurückzuweisen. In der Schrift, die er zu diesem Zweck verfaßte und verbreitete, machte er sowohl seine liberalen Überzeugungen bekannt wie seine Ansicht von dem Rechte Mailands auf Selbständigkeit und seine Trauer, daß es sie durch fremde Gewalt und eigene Schwäche verloren habe. Indem er sich einen Mann nannte, der niemals Sklave irgendeiner Regierung gewesen sei, noch es jemals sein werde, forderte er den Zorn des Kaisers heraus, der die Aristokratie seines Reiches als fügsame Diener zu betrachten gewohnt und gegen 24 Federigos Person schon eingenommen war: Franz verbannte den Unbotmäßigen für eine gewisse Zeit auf eines seiner Güter.

Dies war eine erwünschte Genugtuung für Federigo, dem daran lag, zu zeigen, daß er nicht Gegner des Prinzen Eugen gewesen war, um sich beim Kaiser Franz beliebt zu machen, daß er vielmehr nach wie vor Freund einer nationalen Regierung in einer der neuen Zeit entsprechenden Form sei. Er atmete wieder freier und nahm den Zorn seines Vaters als willkommenen Tribut auf; denn es kränkte ihn nachträglich, daß er durch den väterlichen Einfluß in der Meinung aufgewachsen war, als wäre das Österreichische das allein Vornehme, Rechtmäßige und Vernünftige, und daß dieses Vorurteil ihn zu einer billigen Beurteilung des französischen Einflusses nicht hatte kommen lassen. Die Stellung, die er jetzt einnahm, glaubte er seinem Vater gegenüber ausdrücklich betonen zu müssen, obwohl ihm die Auftritte, die sich daran knüpften, peinlich waren. Widerwärtigkeiten der Art fielen nicht ins Gewicht gegenüber dem Aufschwung, den sein Geist nach Überwindung einer Zeit voll Qualen, Enttäuschung, Schmach, Bitterkeit gegen sich und andere wieder nahm. Die Feinde Österreichs, die sich rasch mehrten, sahen in ihm ihren Führer und eigneten sich dankbar seine Kampfesweise an, die darin bestand, daß er Bildung, Wohlstand und geistiges Leben in Mailand, den neuen Herren zum Trotze, zu verbreiten suchte, die ein dämpfendes und einengendes System befolgten.

In der Schar seiner Anhänger fehlten wenige von denen, die sich damals in Mailand durch Geist und idealen Antrieb auszeichneten. Die erste Stelle unter ihnen nahm Graf Luigi Porro Lambertenghi ein, etwas älter als Federigo, ebenso reich und ganz unabhängig, in seiner Unternehmungslust durch keinerlei Bedenken und Vorurteile gehemmt. Was neu 25 und praktisch und der Ausgangspunkt eines großen Betriebes war, lockte ihn, sich irgendwie daran zu beteiligen. Er liebte die Ideen an sich, besonders wenn sie sich stracks verwirklichen ließen. Da ihm das Überlieferte als solches nicht heilig war, weder Kirche noch König noch Adel, so schienen ihm die kühnsten Umwälzungen leicht und einwandfrei. Die Gleichgültigkeit gegen seine Titel war nicht nur eine Redensart bei ihm und nicht einmal eine Überzeugung, sondern ihm angeboren, wie er denn oft, wenn er über die Unwissenheit der Aristokratie lachte, durchaus vergaß, daß er dazu gehörte; auch legte er keinen Wert auf seine äußere Erscheinung und den Eindruck, den er durch sie hervorrief. In allem diesen war er ganz von Federigo verschieden, der sich gewählt kleidete, der sich nicht leicht von den durch die Zeit geheiligten Mächten losmachte und sich nicht gründlich genug über eine Einrichtung oder Erfindung unterrichten konnte, bevor er mit seiner Person und seinen Mitteln dafür eintrat. Er hielt Porro für unreif und oberflächlich, Porro hingegen ihn für überbedenklich, herrschsüchtig und herzlos in bezug auf Teresa, die er, der seit Jahren verwitwet war, verehrte, und die Federigo nach seiner Meinung unterschätzte und vernachlässigte. Trotzdem sie häufig aneinandergerieten, waren sie doch durch das gemeinsam Angreifende ihrer Richtungen, durch Porros Verehrung für Teresa und auch durch gegenseitige Anhänglichkeit dauerhaft verbunden. Es gehörten ferner zu diesem Kreise der Erzieher von Porros Söhnen, Silvio Pellico, ein junger, doch schon rühmlich genannter Dichter; der Arzt Rasori, ein hervorragender Mediziner und Bewunderer Napoleons, durch die Zügellosigkeit seines Privatlebens berüchtigt; Borsieri, ein origineller Kopf und beliebter Gesellschafter, von dem man viel erwartete; der junge Graf Arconati, ein gutmütiger, liebenswürdiger, aber von wechselnden Launen umgetriebener, 26 seinem Reichtum nicht gewachsener Mensch; der Dichter Giovanni Berchet und viele andere; die Malerin Bianca Milesi, eine kräftige Natur, die immer Schützlinge hatte und für andere beschäftigt war, ohne empfindsam zu sein; die verwöhnte, feurige und reizbare Gräfin Frecavalli; die reizende, durch den Keim der Brustkrankheit zu frühem Tode bestimmte Gräfin Mathilde Dembrowsky, Freundinnen Teresas.

England hielt Federigo für das Urbild eines freien und glücklichen Staates. Nach dem Muster Londons suchten er und seine Freunde Mailand zu modernisieren; sie wollten die Beleuchtung der Straßen und Häuser durch Gas, auf den Flüssen die Dampfschiffahrt einführen, Zeitschriften gründen, in denen alles besprochen würde, was in Italien und im Auslande Bemerkenswertes geschähe, geleistet und gedacht würde, öffentliche Spielplätze und Bäder, Kaffeehäuser einrichten, in denen Zeitungen auflägen, und wo ein reger Verkehr interessanter Menschen sich entwickelte. Daß er die Wurzel dieses Gedeihens, die Tüchtigkeit eines sich selbst regierenden Volkes nicht so leicht nach Italien übertragen konnte, war ihm bewußt; dennoch regierte der Gedanke daran seine Handlungen und seine Lebensweise. Die unbestimmten Hoffnungen fingen an, sich zu gestalten, als das Gerücht laut wurde, der junge Thronfolger in Piemont, Karl Albert von Savoyen, sei liberalen und patriotischen Ideen zugänglich und ein Feind der Herrschaft und Bevormundung Österreichs. Wenn die Großherzigkeit dieses Prinzen so weit ging, daß er sein bequemes Erbe wagte, um die Hand nach der verhängnisvollen eisernen Krone auszustrecken, so war die Möglichkeit da, den ausländischen Fürsten einen einheimischen entgegenzustellen. Seitdem bereiste Federigo die Länder Italiens mit dem besonderen Zweck, die Stimmung und die Kräfte der Bevölkerung kennenzulernen und die gleichgesinnten Patrioten 27 miteinander in Verbindung zu setzen. Überall war das Urteil der gediegensten Männer, daß die Zustände krank und faul, durch vereinzelte Reformen kaum heilbar seien; aber der größere Teil des Volkes, die auf dem Lande, waren in ihrer Armut stumpf und träge, ja sie zogen die Österreicher den einheimischen Bedrückern und Aussaugern vor, und auch der kleine Bürgerstand war nicht durch Vaterlandsgefühl oder andere ideale Triebfedern in Bewegung zu setzen.

Die Probefahrt des Dampfers, den Porro und Confalonieri auf eigene Kosten hatten herstellen lassen, auf dem Po gestaltete sich zu einem Feste, das mitzufeiern die beiden Unternehmer viele Freunde aus Mailand begleitet hatten. Der Abend versammelte alle im Hause eines Bekannten in Venedig. Federigo, der bei der Fahrt mit zugegriffen hatte, strahlte in heiterster Laune, Porro hingegen war verdrießlich und schalt auf Pellico, der sich von der Gesellschaft abgesondert hatte, um das Theater zu besuchen, wo die berühmte Schauspielerin Carlotta Marchionni spielte, in deren Kusine er verliebt war. Diese abgeschmackte Leidenschaft, sagte Porro, habe Pellico ganz untauglich gemacht, für ihn sei er gar nicht mehr da; sei auch sein Körper anwesend, so sei es doch sein Geist nicht. Das Mädchen liebe ihn nicht; abgesehen davon werde seine Familie eine solche Heirat nicht zugeben, auch hätten beide kein Geld, kurz, die Sache führe zu nichts Gutem.

Federigo zog Porro in einen kleinen Salon, der leer war, und fragte halblaut, ob es vielleicht nur dieser Liebeshandel sei, der Pellico fernhalte? Er habe bemerkt, daß sie beide, Porro und Pellico, allerlei Heimlichkeiten und zuweilen Umgang mit fragwürdigen Leuten hätten; hoffentlich dächten sie nicht daran, sich mit den Carbonari einzulassen?

Porro antwortete mit Empfindlichkeit, es sei unrecht, so wegwerfend von den Carbonari zu sprechen. Wenigstens 28 wären dies Leute, die feste Ziele hätten und keine hindernden Vorurteile. Ein vergewaltigtes Volk könne seine Tyrannen nicht mit höflichen Redensarten aus dem Lande scharwenzeln. Wenn man etwas ausrichten wolle, dürfe man nicht heikel in der Wahl seiner Mittel sein. »Was haben sie denn ausgerichtet?« sagte Federigo. »Ich verdamme sie nicht; aber ihre Zeit ist vorüber, und du und ich, wir gehören nicht zu ihnen. Wir sind keine Knaben, denen das Herz beim Räuberspiele höher schlägt oder die Plutarch zu ehrgeizigen Träumen entflammt; wir sind keine Schwärmer, die, den Dolch in der Hand, die Gerechtigkeit auf der Erde herstellen wollen. Laßt euch vor Kindereien und Übereilungen warnen, die euch verderben können!«

Sie wurden durch einen Teil der übrigen Gesellschaft unterbrochen, die im lebhaften Gespräch über Karl Albert, den Erbprinzen von Savoyen, eintraten. Seit er eine Österreicherin zur Frau genommen, sagte die Frecavalli, könne man auf ihn nicht mehr rechnen. Wie ein freier Vogel durch ein Weibchen in den Käfig gelockt würde, so habe er um die verliebte Habsburgerin sein Schwert hingegeben. Er würde es nicht mehr führen, um Italien zu befreien, sondern höchstens um es für Österreich zu unterjochen. Was könne überhaupt von Piemont Gutes kommen, meinte Borsieri. Der junge Graf Arconati seufzte nach Napoleon; nur ein solcher Mann könne ein solches Werk vollbringen. »Ach, Napoleon!« rief die Frecavalli, »ein Tiger mit Menschengeist! So denke ich mir einen König von Italien!« Dabei richtete sie ihre dunklen Augen herausfordernd auf Federigo und lachte. Borsieri stellte sich vor ihn hin, als ob er ihn auf die Zulässigkeit dieses Gedankens hin mustern wollte. »Wahrhaftig, Federigo,« sagte er, »du bist ein göttlicher Mann! Mirabeau und Alexander in einer Person! Seht das feine Haupt! das stolze Lächeln, 29 das den lieblichen Mund und die verschwiegenen Augen umspielt! Der diamantene Blick durchbohrt das Zukunftsgewölk, das die Krone verhüllt. Alle Nerven sind zur Tat gespannt und doch bemeistert von dem Willen, der den rechten Augenblick erwarten kann!« Federigo faßte den Redner lachend um die Schulter, schüttelte ihn ein wenig und sagte: »Jedem, was ihm gebührt. Ich bin ich, höher hinaus will ich nicht. Ich kann eher ein Gott werden als ein König.«

»Das verstehe ich nicht!« sagte Arconati. »Wenn man nur die Kraft hat! War Napoleon nicht Kaiser über alle geborenen Könige?« In Federigos Gesicht trat ein hochmütig ablehnender Ausdruck. »Solche Kraft«, sagte er, »hat nur ein Emporkömmling.« Borsieri ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung in einen Sessel fallen. »Gott sei Dank!« rief er aus. »Ich sah dich schon als einen zweiten Napoleon durch Europa, Asien und weiter fegen, mich hinterdrein. Ade Weib, Kind, Essen, Schlaf, Gemütsruhe, ade Welt und Leben!« Er wühlte mit beiden Händen in den Haaren und schien mit erschrockenen Augen die Katastrophe zu verfolgen, die nun glücklich vermieden war.

 


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